2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Frau Thi lässt los Eine Kaiserslauterer Geschäftsfrau wird buddhistische Nonne in Vietnam Autor: Michael Sollorz Redaktion: Nadja Odeh Regie: Maria Ohmer Sendung: Montag, 21.03.16 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 22.03.16 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Und sie schneiden nicht ordentlich die Hecken, wie meine Mutter sie geschnitten hat. 03 - Atmo: Garten Erzähler: Kaiserslautern-Hohenecken, ein Regentag. Auf der Straße zwischen den Einfamilienhäusern ein schmaler junger Mann mit ernstem Gesicht, mein Freund Lam. 04 - O-Ton Lam: Aber es ist noch genau das Gleiche. Das Dach. Die Garagentür, die haben nichts geändert. Die Rollläden sind neu. Mein Dachfenster, da oben hab ich gewohnt. Erzähler: Vor zehn Jahren hat Lam das Haus seiner Kindheit zum letzten Mal gesehen. Verblassende Spuren einer glücklichen Zeit. 05 - O-Ton Lam: Die haben sogar noch das Bild auf dem Gartenhäuschen gelassen, dieses Känguruh, das hat meine Mama gemalt. Und der Koalabär da links nebendran, das ist alles noch von meiner Mama. 06 - Atmo: Lam mit Orchester, eine Probe. Erzähler: Eine Orchesterprobe - Lam ist Dirigent, mit all den Nöten des jungen Freiberuflers. Er grübelt viel, und ich denke oft, das hat auch mit dem Weg seiner Mutter zu tun. Seit ich ihn kenne, interessiert mich ihre Geschichte. Sie hat ihrer Vergangenheit den Rücken gekehrt, konsequenter als die meisten, die ich kenne. Und bald besuchen wir sie - in ihrem neuen Leben. 2 07 // 08 - O-Ton Lam: Sie ist auf jeden Fall für mich ein Beispiel allein schon die Tatsache, dass sie nach dem richtigen Leben sucht. Ich mein, ((ich kenn so viele andere Eltern, die ihren Kindern etwas vorlamentieren und sich beklagen übers Altwerden oder dass die Kinder weg sind, und allein die Tatsache,)) O.C. dass sich meine Mutter diesen Aufgaben des Lebens so wissentlich stellt oder diese Fragen jeden Tag so laut stellt, Was ist das Leben, was ist richtiges Leben, was ist Tod, was ist Altwerden, // Dieses aktive sich Beschäftigen imponiert mir einfach schon mal sehr. Erzähler: Anfang der 70er Jahre kommt die 19jährige Thi Pham aus Südvietnam zum Studium nach Deutschland. Hier trifft sie den gleichaltrigen Hung Chu, auch er Student. Nach ihren Abschlüssen als Baustoffingenieure heiraten die zwei und lassen sich in Kaiserslautern nieder. Eine Tochter wird geboren, sechs Jahre später Lam. Gute Jahre einer jungen Familie. - Hung erhält eine Dozentur an der Fachhochschule. Doch sie genügt ihm nicht. Eine Export/Import Firma wird gegründet. 09 - Atmo: belebte vietnamesische Straße. 10 // 11 // 12 – O-Ton Lam: Die Trennung fing an, als mein Vater mehr und mehr Zeit in Vietnam und später sogar mehr Zeit in Vietnam als in Deutschland verbrachte. // Das war auf jeden Fall die Zeit, wo das zu kippen begann, würde ich sagen, wo er auch immer mehr so eine Arbeits-Manie entwickelte, dieses Workaholicsein. // Umgekehrt hätte das wohl mir und meiner Mutter besser gefallen, wenn er dieses akademische Leben als Dozent gelebt hätte als dieses Luxus-FirmenchefLeben, das er sich dann irgendwie eingerichtet hat später. Erzähler: Nach 35 Jahren Deutschland ist Lams Mutter zurückgekehrt in ihr Geburtsland Vietnam. Alle paar Jahre besucht sie dort ihr Sohn, und diesmal begleite ich ihn. Sie lebt als buddhistische Nonne in einem kleinen Kloster im Zentralen Hochland, dicht vor der Stadt Da Lat. Die französischen Kolonialherren schätzten die gute Luft und die kühlen Nächte im sonst so heißen Südvietnam. Die Einwohner tragen dicke Jacken. Sogar die Kuh auf der Molkerei-Reklame hat eine Pudelmütze auf. 3 13 – Atmo: sprudelnd muntere Frau Thi (in der Küche mit Lam) Erzähler: Frau Thi ist klein und lebhaft, fröhliches Faltengesicht, Metallbrille. Schlichte braune Nonnentracht, geschorener Kopf. Mutter und Sohn haben viel zu erzählen. Ich verstehe leider kein Wort. 14 – O-Ton Lam: ((Wir haben zu Hause immer vietnamesisch gesprochen, also nicht nur mit der Mutter, sondern auch mit dem Vater. Sowohl meine Schwester und ich haben zu Hause oder als Kleinkinder erst Vietnamesisch gelernt, // und das Deutsche kam dann erst im Kindergarten.)) O.C. Erzähler: Frau Thi macht Abendbrot, schon nachmittags um Vier, denn sie geht früh schlafen; ihre Nächte enden um drei Uhr morgens. Wie von selbst kommt das Gespräch dabei immer wieder auf Lams Vater. 15 - Atmo: Frau Thi: Er sagt niemals vorher, wann er kommt. Jetzt kennt ihr. Nach Deutschland. Lam: Das hat er früher auch nicht gemacht? Frau Thi: Nee! Er sagt immer zwei, drei Tage vorher, dass er kommt.// Dass niemand planen kann. Lam: So ist es immer noch. Wir wissen nie, wann er kommt. Auch nach Europa. // Frau Thi: (lachend:) Ja, genau! Erzähler: Er fühle sich eingesperrt, hörte sie von ihrem Mann. Bis heute versteht sie nicht genau, was er damit meinte. 16 - O-Ton Frau Thi: Er sagt nicht direkt Gefängnis, aber er hat keine Freiheit sozusagen. Gefängnis ist zu hart. Aber keine Freiheit hat. Und ich hab gesagt, was kann ich als Frau sein, ich hab alles getan, wenn er vereisen, manchmal hab ich auch die Kondome in die Tasche gesteckt für ihn. Vor seinen Mitarbeitern sagt er, ich bin nicht eifersüchtig, ich bin eine ganz offene Frau, er ist sehr stolz drauf. 17 // 18 - O-Ton Lam: Vor uns Kindern hat sie immer versucht zu verbergen, dass sie traurig ist. // Sie hat auch nicht versucht, uns gegen den Papa aufzuhetzen, oder zu sagen, das ist ein schlechter Mann, der hat mich angelogen, das hat sie 4 eigentlich nicht gemacht. 19 // 20 // 21 – O-Ton Frau Thi: Ich hab nicht gewollt, ich will keinen Export/Import-Geschäft haben. Die Import/Export-Geschäft so viele schwarze Sachen drin, die ich überhaupt nicht haben möchte. Schwarzgeld oder sowas, nein, das will ich nicht haben. // Ich habe gesagt zu Buddha oder zu Universum, ich habe gesagt, im Endeffekt gehört dieses Geld Vietnamesen. Ich habe die ganze Zeit nur für Vietnam gearbeitet. Deswegen // ich hab versprochen, wieder nach Vietnam zu bringen, und in Vietnam etwas bauen. // Buddha hat alles gesehen, die Universum hat das gesehen, löse meine Schmerzen jetzt sozusagen. Und jetzt in Tiefenmeditation habe ich genau festgestellt, das ist wahr. Deswegen verstehe ich jetzt seine Worte: Ich muss meiner Frau ihre Freiheit zurückgeben. Bei der Rechtsanwältin. Erzähler: Eine Scheidung wie tausend andere. Der Mann nimmt eine Jüngere. Die große Tochter ist schon ausgezogen, als nächster geht der Sohn - zum Studieren. Zurück bleibt eine Frau um die Fünfzig. In einem leeren Haus. 22 – O-Ton Lam: Und das kam dann später Stück für Stück, // dieses Beten, dieses Meditieren, // dass ihr das viel Halt gegeben hat auch zu Hause, als Tagesstruktur, weil sie hat ja dann auch nicht mehr viel gearbeitet, weil meine Eltern haben die Firma aufgelöst. // Und dann auch noch für sie ganz alleine, weil der Freundeskreis war größtenteils über den Mann und über die Ehe und die sind ihr alle auf den Keks gegangen, weil sie sich so scheinheilig mitleidend aber eigentlich nur sensationsgeil zu ihr geäußert haben, wie ist denn das mit eurer Ehe und wie schade und so – sie hat sich von all ihren Freunden, von diesen befreundeten vietnamesischen Paaren zurückgezogen. Das heißt, was macht man denn dann in Kaiserslautern, wo man nichts hat, und das ist diese Leere, // und die hat sie dann versucht, mit etwas zu füllen oder zu hinterfragen, warum hab ich so Angst vor dieser Leere oder diesem Nichts? 23 - Atmo: Leiterin, Lam & Frau Thi 5 Erzähler: Sonnenuntergang. Im Tal der Feierabend-Verkehr. Frau Thi führt uns herum. Die Leiterin des Klosters kommt dazu, Mitte Vierzig, stämmig, prüfender Blick. Sie heißt Co Tam Hanh. Nach Frau This Scheidung, während eines Vietnam-Besuchs, sind sich die Frauen begegnet. Die Nonne und die Vietnamesin aus Deutschland – bald entstand der Plan, gemeinsam etwas neues aufzubauen. - Wo heute das Kloster am Hang liegt, war vor zehn Jahren nur Morast. Hier, im Zentralen Hochland von Vietnam, hat Frau This Geld aus der Zeit in Kaiserslautern seine Bestimmung gefunden. - Zum Kloster gehört auch ein kleines Waisenhaus. Erst vor kurzem lag wieder ein Baby auf der Schwelle. Es ist krank. Die Nonnen waren schon mit ihm in der Klinik in Da Lat, doch die Ärzte fanden nichts. 24 – Atmo Frau Thi: Ich habe schon gefragt, warum bringen sie das Baby nicht – nein, sie waren schon so oft dort, vor ein paar Tage waren sie erst dort. Der KinderChefarzt war auch schon da. Aber trotzdem, der kann nicht helfen, er sagt, er merkt doch gar nicht, dass das Baby krank ist. Deswegen müssen sie jetzt nach Ho Chi Minh City, weißt du // Co Tam Hanh und eine andere. Alleine schafft sie sowieso nicht. 25 - Atmo: Der Gong ruft Erzähler: Vor der Tür des Tempels sammeln sich die Sandalen. Der Gong ruft zum Abendgebet. Frau Thi macht nur mit, wenn sie möchte. Sie hat ihre Privilegien. 26 – O-Ton Frau Thi: Ab und zu komm ich, wenn die mich brauchen. Weil zum Beispiel sie meinten, sie fühlen keine Energie, und sie brauchen jemand dabei, Energie senden oder sowas, dann muss ich kommen. Ich will gerne, nicht muss, aber ich mach es gerne. Aber sonst sitz ich lieber oben. Genau wie eine Batterie, weißt du, ich muss noch selber Energie laden, aber nachher, wenn sie mich brauchen, kann ich abgeben. Aber wenn ich immer dort bleibe, hab ich selber keine Energie, wie kann ich dann geben? 6 26 – O-Ton Lam: Buddhismus oder buddhistische Praxis war so immer ein Teil von uns gewesen, oder vom Familienleben, so wie es in jeder buddhistischen vietnamesischen Familie ein Teil ist, Es gibt einen kleinen Altar im Haus, hat‘s schon immer gegeben, wo zum Beispiel Bilder vom verstorbenen Großvater sind, zu denen man an Festen wie dem Tet-Fest, also dem Neujahrsfest, sich kurz verneigt, so eine körperliche Huldigung macht, quasi ein Gebet, könnte man es übersetzen. // dass sich meine Mutter dann aber ein bisschen mehr damit beschäftigt hat, denk ich, kam in der Zeit der Trennung. Erzähler: Rasch ist es dunkel geworden. Wir kehren zurück in Frau This kleines Privathaus, 80 komfortable Quadratmeter schräg oberhalb der Klostergebäude. Hier lebt sie allein, mit europäischen Standards. Zum Beispiel die IKEA-Küche, die hat sie sich nachbauen lassen. Der Arbeitslohn eines Tischlers? 6 Euro am Tag. - Nach der Scheidung, durch ihre Besuche bei Co Tam Hanh in deren altem Kloster, hat Frau Thi eine andere Welt entdeckt. 27 – O-Ton Lam: Da hat sie zwar noch nicht von der Ordination gesprochen, aber sie hat erzählt, dass sie diese Nonne kennengelernt hat, und dass das eine ganz tolle Begegnung gewesen war und ihr das dort so gut gefallen hat. Da hat sie manchmal auch von erzählt, wie sie dort im Kloster dieses Leben und diesen Alltag mitgemacht hat und auch dieses frühmorgens aufstehen und meditieren, // wie wohl sie sich da gefühlt hat, wie geborgen, das kann ich ja auch gut nachvollziehen, wenn ich dort bin, wenn man morgens früh aufsteht, in dieser besonderen Stimmung, und diese Gesänge hört, das ist etwas, da fühlt man sich ganz sicher. // Da hatte sie noch nicht davon gesprochen, dass sie das ganz möchte, aber da habe ich schon gespürt, dass das für sie eine Sehnsucht ist. Erzähler: Während Frau Thi in Deutschland ihren Hausstand auflöste, trieb Co Tam Hanh in Vietnam den Neubau des Klosters voran. Ein starkes Gespann, die beiden. 28 – O-Ton Frau Thi: Sie hat mir vorhin eine Aufgabe gegeben, nach der Meditation muss ich irgendwas tun, aber nur ganz klein, Aufmerksamkeit sozusagen. 7 Erzähler: Oberhalb von Frau This Haus, in einem der Einsiedel-Hüttchen, sitzt eine junge Nonne. Für einen Monat will sie allein sein und schweigen. Doch es gibt Gerüchte. Nimmt sie ihre Auszeit nicht ernst genug? Die Leiterin sorgt sich. 29 // 30 // 31 // 32 - O-Ton Frau Thi: Und sie hat gesagt, ich soll nochmal nach der Meditation nochmal gucken, ob die wirklich da ist oder treffen sich mit jemand anders //– das geht nicht im Kloster! Bestimmte Regeln müssen wir halten. // Weil die andern Leut hat erzählt, so so so, aber ob es wirklich wahr ist – wir brauchen den Beweis. // Meine Aufgabe momentan, weil ich ganz oben bin, muss ich nochmal gucken, ob das so ist. 33 - Atmo: Das schweigende Frühstück. Stäbchen klappern. Schmatzen. Erzähler: Der neue Morgen. Zwanzig Nonnen leben im Kloster. Die meisten jung, aus armen Familien. Hier gibt es jeden Tag satt zu Essen. Selbstverständlich vegetarisch. Wir sitzen mit den Nonnen am Frühstückstisch. Bei den Mahlzeiten herrscht Schweigen. Es soll die Achtsamkeit vertiefen. Sei dankbar. Konzentriere dich darauf, was du gerade tust. Einen Bissen aus der Schale nehmen und zum Mund führen. Kauen. Schmecken. - Und alle warten, bis die Letzte mit dem Essen fertig ist. 34 - Atmo: Munteres Geplapper der Nonnen beim Abwasch. Erzähler: Von der Last des Schweigens befreit, machen die Nonnen den Abwasch. Frau Thi sitzt mit ihrem Sohn vor dem Wirtschaftstrakt in der gleißenden Morgensonne. Bis jetzt hat die Leiterin noch nicht angerufen, ob sie in Ho Chi Minh-Stadt angekommen ist. Und wie es dem kranken Baby geht. Frau Thi wird ihr sagen, dass die Gerüchte stimmen. Die Einsiedlerin in ihrem Hüttchen – sie hatte Besuch. Von einer anderen jungen Nonne. 8 35 - O-Ton Frau Thi: Jetzt gehen wir hoch, machen wir eine kurze Spaziergang oben, weil die Sonne scheint, und normalerweise normaler Tagesablauf - von 8 bis 10 Uhr Gartenarbeiten, oder jede Gruppe macht etwas anderes, Kochen, Essen vorbereiten, Mittagessen, und die anderen nach Plan, was sie da drauf schreibt. Es gibt immer eine Chef für gemeinsame Arbeiten, die muss planen, und es wird immer gewechselt nach drei Monaten // Und bei mir, ich gehör nicht dazu, weil ich mein Häuschen da oben selber besorge. (Besen setzt ein) Denn mach immer Gartenarbeit vormittags, sozusagen. 36 // 37 // 38 – O-Ton Lam: Sie hat mehrmals gesagt, dass sie eigentlich nur unter diesen Bedingungen sich hat in Vietnam ordinieren lassen. // nämlich diese Exklusivität des Alleine-Lebens und dann zum Beispiel auch europäisches Essen kochen und sich eben auch keinen andern Regeln zu unterwerfen, selbst zu sagen, das ist mein Rhythmus, so mache ich das Gebet und jetzt meditiere ich, und nicht einer Regel von einer Gemeinde zu unterwerfen, das genießt sie schon sehr. // Das ist schon das, wo sie drauf hingearbeitet hat, also sehr glücklich. Nehm ich sie wahr. Erzähler: Im Herbst 2007 wird Frau Thi ordiniert. Ich betrachte Fotos von dem Tag. Die feierliche Zeremonie, durchgeführt von ranghohen Nonnen. Vier zu weihende Frauen treten vor sie hin, drei blutjung, die vierte schon über Fünfzig, Frau Thi. 39 // 40 - O-Ton Frau Thi: Eines muss ich noch dazu sagen, damals meine Familie, ungerne, dass ich Nonne werden. Die Geschwister. // Die meinten, die Nonnen leben im Kloster, es ist sehr schwer, nur leiden da dran, sie kennen die Problem mit höherem Rang, niedrigem Rang, und so weiter, sie weiß es, und sie sagten noch, mein Gott, die kommt von Europa hierher mit diesem Charakter, und sie leben in eine Kloster, das ist Katastrophe! Erzähler: Das schimmernde Haar einer Frau. Teil der eitlen Weltlichkeit: Abzulegen. An jenem Tag fallen Frau This Haare in eine Wasserschüssel. Der Nassrasierer gleitet über ihre Kopfhaut. Mit kahlem Schädel werden alle gleicher. 9 XX-41 Atmo Frau Thi: Da, hier, schneid ich die Haare. // Die andern Leut haben noch gesagt, normalerweise beim Haarschneiden weinen die, aber bei mir umgekehrt, ich freu mich darauf, die Haare zu schneiden. XX -42 Atmo Frau Thi + Lam: War meine Mutter auch dabei. Bei uns, weißt du, beim Ordinieren ... Erzähler: Vor der Ordination noch ein besonderes Ritual: Abschied von der Mutter. Der Brauch für ihre Beisetzung wird vorgezogen. Wie sonst erst am Grab, kniest du vor deiner Mutter nieder. Deine Stirn berührt den Boden. Noch zu ihren Lebzeiten, erweist du ihr die letzte Ehre. XX//XX 43 + 44– O-Ton aus der Atmo: Frau Thi + Lam: Lam: Ach so. weil sie als Nonne in der buddhistischen Ordnung quasi aufsteigt, musste sie vor der Ordinierung ihre Mutter schon verabschieden. Dieses Gebet ist der Abschied. // Frau Thi: Ja, das heißt, ich werde eine andere Person. Und da das war für mich auch nicht so schlimm, doch, auch schlimm, weil das ist so, meine Mutter ich muss das machen, und meine Mutter sagt, lass das doch, und ich sag nein, ich muss das machen, und sie hat geweint und ganz lieb gesagt, diese Weinen bedeutet nicht, dass sie traurig ist, Sie ist sehr froh, dass ich Nonne werde, das ist ihr Stolz, Aber plötzlich kommen die Tränen raus, und ich sag, macht nichts, lass doch die Tränen rauskommen, das ist ganz normal, aber du weißt ja, dass ich das machen muss. Anders geht nicht. Das war schwer für meine Mutter. Erzähler: Auch auf den Fotos: Tränen. Die Novizin neben Frau Thi weint über der Schüssel, in die ihr schwarzes Haar fällt. Und jede Menge angereister Verwandter – sie alle weinen. XX – 45 O-Ton Lam: Als dann meine Schwester so losgeheult hat, das fällt mir dann immer schwer, wenn ich meine Schwester so heulen sehe, dass ich mich dann zurückhalte, und dann haben auch meine ganzen Tanten und sogar der älteste Onkel, der große Arzt hat dann da geheult, und das sind so ungewöhnliche Szenen, 10 die man sonst nicht sieht, und die machen einen schon sehr beklommen.// Also irgendwas hat es wohl in ihnen selbst berührt, dass sie anfangen zu heulen. Schon wieder buddhistische Erklärungsmuster … Wahrscheinlich weil sie persönlich das Gefühl haben, jemanden zu verlieren. Dass ihnen etwas abhanden kommt, dass ihnen eine Schwester abhanden kommt, eine Mutter abhanden kommt. XX- 46 O-Ton Frau Thi: Die Mutter ist immer eine Mutter. Nur als Nonne ist mein Herz jetzt offen. Nicht nur an den Kindern sondern an alle Kinder der Welt. Die Liebe geben. Buddha hat uns gesagt, zum Beispiel eine Kerze, das Licht ist da, wenn du aber verschiedene Kerzen das Licht holen, das wird immer mehr Licht, aber der erste Licht ist genauso hell wie die andern. Das heißt, die Liebe, die Mutterliebe genauso, wird jetzt verteilt, aber wird nicht schwächer. XX -47 Atmo: Abendstimmung (Gong mit Talstraße, verrückter Vogel - Abendgebet ca. 04:00, ca: 07:00 = Karaokeschuppen im Tal. Große LKW-HUPE – Gesamtes Take für Regie mitschicken! - ca. 15:00 – dämonische Trommel, einsetzender Chor Erzähler: Schon am dritten Tag im Kloster bröckelt mein Zeitgefühl. Was ist das, Zeit? Die Vergangenheit lehrt, dass du nichts festhalten kannst. Nichts bleibt. XX-48 O-Ton Frau Thi: Das heißt, ich nehm es an wie es ist, weil es von der Natur her, von der Unbeständigkeit und alles drum und dran ich merk sofort das wird kommen. Und ich bereitet vor, dass es irgendwann mal kommt, ich nehm das an wie es ist. Und dann genau wie vor dem Tod – Ich habe viel gelesen, viel gesehen, Tod von meine Mutter, Tod von meine Bruder, sowas, das kann auch eine friedliche Tod sein, das kann auch eine schmerzhafte Tod sein, Aber dann ich nehm es an wie es ist, und ich versuch zu praktizieren, damit ich in diese Situation auch so ruhig bleibe wie momentan. Das ist mein Ziel. Sonst nichts. XX –49 O-Ton Lam: Sie hat einen Weg gewählt, wo sie mir auch sagt, das ist vielleicht nicht dein Weg, deshalb kannst du nicht alles 1 zu 1 übersetzen für dich. // 11 Also meditieren kann ich nicht richtig, ich habs ein paar mal probiert, Erstaunlicherweise klappt es, wenn ich bei meiner Mutter im Kloster sitze, irgendwie hat sie eine Energie oder nicht nur sie sondern das Kloster eine Ruhe und eine Energie, wo das für mich einigermaßen klappt, da kann ich ne Stunde sitzen. Oder anderthalb. Also wenn ichs mal im Kloster gemacht hab, // das ist wie ne Kopfdusche, danach ist erstmal die ganzen Teufelskreise, die das Gehirn so macht um die eigene bescheidene kleine Existenz wo sich das Ego so aufbaut, die sind dann ganz gut raus gewaschen. XX -50 Atmo: einsames Morgengebet Erzähler: Noch bevor es hell wird, Tag für Tag, verrichtet Frau Thi in ihrem Haus das Morgengebet. Diesmal darf ich sie dabei aufnehmen - und wage kaum zu atmen. Die kleine, schmale Frau. Wie anders sie lebt. Und plötzlich denke ich: Freiheit ist Einsamkeit. XX –51 O-Ton Lam: Ja, weiß nicht genau. Dass man das Ich auch aufgibt. Der größte Haken an der ganzen Geschichte ist ja immer das Ich. Das Ich schreit ja so sehr nach Leben, nach Selbst- … nach Bedeutung, nach all dem Zeug. XX -52 Atmo: Morgenstimmung, Hähne krähen, von der Talstraße früher Verkehr Erzähler: Unten im Tal beginnt ein neuer Tag im boomenden Wirtschaftswunder Vietnam. Um ihr Häuschen herum hat Frau Thi Bodendecker gepflanzt, mitgebracht aus Deutschland – dieser Sorte gehen Schlangen aus dem Weg. Und auch die lustigen Pinguin-Abfallkörbe auf dem Plattenweg zum Tempel hat sie besorgt. Keine großen Sachen, aber sie kümmert sich. XX = 53 O-Ton Frau Thi: Vietnam ist nicht unbedingt meine Heimat, sondern das ist der Ursprung, wohin ich noch zurückkehren möchte. // Heimat, das ist innen. Meine Seele. Oder wie heißt das auf Deutsch? Das ist sehr schwer zu sagen. Das ist sehr schwer zu erklären. Aber zurückkehren zum Ursprung sozusagen. // Das ist 12 genauso wie eine weiße Papier. Du zeichnest da drin so viele Sachen, aber Anfang an muss weiß sein, du kannst malen, du kannst alles machen, was du willst, aber der Ursprung, das ist weiß. // Ohne Verblendung, ohne Vorurteil. Das ist die Heimat, in die man wirklich zurückkehren möchte. XX -54 Atmo: müder Nonnengesang Erzähler: Auch im Tempel erwacht das Leben. Die ersten Mantras fließen ins Freie. Drüben auf der Bergkuppe erscheint die Morgensonne und flutet warm den Hang. Ein Augenblick im Paradies. Nirvana. XX- 55 O-Ton Frau Thi: Viele Leute träumen vom Nirvana, und sagen Nirvana ist so, Nirvana ist so – aber in Wirklichkeit Nirvana ist unbeschreiblich, kann man nicht sagen. // Bedeutet nicht, etwas Besonderes zu erreichen. Meiner Meinung nach das ist nicht so, weißt du. Wenn du alles loslassen, entspannen und dann die Ruhe finden, das ist schon Nirvana für mich. Nicht warten, bis tot ist, dann kommen zu Nirvana – manche Leute denken so, aber für mich nicht. Nirvana ist: kein Gedanke, kein Leiden, alles loslassen, ruhig, man fühlt sich wohl – das ist schon Nirvana. 13
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