Thinking Aloud/Allowed Is Europe Taking a Right Turn? Is Europe

Thinking Aloud/Allowed
Debatten über Themen unserer Zeit
7. Juni 2016 , 21 Uhr, Burgtheater
Is Europe Taking a Right Turn?
Rechtsruck in Europa?
Gilles Kepel und Chantal Mouffe im Gespräch mit Philipp Blom
Im Sog der weltweiten Finanzkrise schien es, als ob sich Europa eher nach links bewegen würde.
Proteste gegen die Sparmaßnahmen überschwemmten den alten Kontinent, und die politische
Debatte konzentrierte sich auf das Thema der ungleichen Verteilung. Syriza und Podemos zogen junge
Menschen auch außerhalb von Griechenland und Spanien in ihren Bann. Doch dann kam die
Flüchtlingskrise, und Europa veränderte sich über Nacht. Die Identitätspolitik ersetzte den
Klassenkonflikt als primäres Anliegen in politischem Diskurs wie öffentlicher Meinung. Während es bei
der Globalisierung um offene Grenzen, Reisefreiheit, Toleranz und liberale Werte ging, definiert sich
die öffentliche Stimmung in Europa heute durch die Forderung, die Grenzen dicht zu machen und „die
Anderen“ auszuschließen. Es scheint, als ob wir zu einem Zugehörigkeitskonzept zurückkehren
wollten, das sich aus Nationalität und gemeinsamen kulturellen Wurzeln speist. Erleben wir heute eine
Umkehrung der Globalisierung? Verwandelt sich das Wesen der liberalen Demokratie vor unseren
Augen? Kehren die Ideen der 1930er Jahre wieder in der europäischen Politik ein? Wie erklärt sich die
wachsende Zustimmung für rechtsgerichtete politische Parteien? Wenn Religion und ethnische
Zugehörigkeit die neuen Bruchlinien der europäischen Gesellschaft sind, wo liegen dann die Chancen
für ein gedeihliches Miteinander? Und was geschieht, wenn „die Welt zerfällt, die Mitte nicht mehr
hält” und „die Besten des Zweifels voll, die Ärgsten / Von der Kraft der Leidenschaft erfüllt“1 sind?
Die belgische Politiktheoretikerin Chantal Mouffe ist bekannt für ihre agonistische Auffassung der
Demokratie. Zusammen mit Ernesto Laclau gilt sie als eine der wichtigsten Entwicklerinnen der
theoretischen Grundlagen von Podemos. Derzeit ist sie Professorin für politische Theorie an der
University of Westminster (London). In ihrer ersten bedeutenden Publikation Gramsci and Marxist
Theory (1979) eröffnete Chantal Mouffe jenen kritischen Dialog mit dem Marxismus und der Linken,
der die grundlegende Ausrichtung ihrer Arbeit kennzeichnen sollte. Zu ihren Werken zählen
Hegemonie und radikale Demokratie (1985, gemeinsam mit Ernesto Laclau), The Return of the
Political (1993), Das demokratische Paradox (2000), Über das Politische (2005) und Agonistics
(2013). Ihre letzte Arbeit PODEMOS. In the Name of the People (2016) verfasste sie zusammen mit
Íñigo Errejón. In ihren Texten ruft Chantal Mouffe die demokratische Politik auf, den parteilichen
Charakter der Politik sowie die Schlüsselrolle starker Emotionen für die Konstruktion politischer
Identitäten anzuerkennen.
Der französische Politologe Gilles Kepel ist ein führender Experte für Welt- und Identitätspolitik mit
Schwergewicht auf den islamischen und arabischen Staaten der Gegenwart. Er ist Professor am
Pariser Institut für politische Studien Sciences Po sowie an der École Normale Supérieure in Paris.
Kepels Arbeiten leisteten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Islam als ideologische,
politische und soziale Kraft sowohl in der muslimischen Welt als auch innerhalb migrantischer
Communitys in Europa. In seinem letzten Buch Terror in France – The origin of the French Jihad
(2015) beschreibt er die immer weiter auseinanderklaffenden, entlang der Religion und den
postkolonialen Einwandereridentitäten strukturierten neuen Bruchlinien in der französischen
Gesellschaft.
Philipp Blom ist Historiker, Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Zu seinen jüngsten Büchern
zählen Böse Philosophen: Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung (2012), Der
taumelnde Kontinent: Europa, 1900-1914 (2010) und Fracture: Life and Culture in the West, 19181938 (2015). Als „public intellectual“ bringt Philipp Blom eine historische Perspektive in die Analyse
von Wandel und Herausforderungen in der zeitgenössischen Gesellschaft ein.
1 William Butler Yeats, „The Second Coming” / „Die Wiederkunft”
Für weitere Informationen:
Zu Podemos
http://newleftreview.org/II/93/pablo-iglesias-understanding-podemos
Zum Rechtspopulismus
http://www.cccb.org/rcs_gene/mouffe.pdf
Zur wachsenden Unterstützung rechtsgerichteter politischer Parteien in
in Europa
http://time.com/4075396/far-right-politics-rise-europe/
Zu Islam und Dschihad in Europa
http://qz.com/574889/islamists-and-the-far-right-work-hand-in-hand-to-promote-jihad-in-france/
https://www.opendemocracy.net/debates/article-5-57-2216.jsp