myself (4/2016)

Wir machen Frauen stark
April 2016
3,50
€
DeutschlAnD, Österreich
sfr 6,90 schweiZ
„Tausche
Karriere
gegen Kind“
Eine Frau über
ihre wichtigste
Entscheidung
SpEciAL
So wird aus
ihrer Wohnung
ein Zuhause
Schlanker
schlauer
&
■ Der neue Weg zu
einer guten Figur
■ Mehr Spaß im Job –
so geht’s
Aufräumen
Ausmisten
Aufatmen
Detox für den
Kleiderschrank
Besser
schlafen
Ein simpler
Trick hilft
Schöne
Haut
fürWas
alle
der
Körper jetzt
braucht
„Der Sex
meines Lebens“
(…kam spät)
Jessica Alba
Garance Doré
Anne Gesthuysen
… und alles
wird fotografert –
auch die
Kinder.
So sieht es aus, wenn
man von der Küche aus
Karriere macht.
Das „Hongkong-ParisGirl“ als
charmante
Gastgeberin.
öffnete sie ihr erstes Pop-up-Restaurant.
Früher hätte sich Mimi Thorisson an die
Stirn getippt, wenn ihr jemand gesagt
hätte, sie würde in der Provinz landen.
Die Tochter einer französischen Mutter
und eines chinesischen Vaters sagt von
sich selbst, sie sei ein „Hongkong-ParisGirl“. Sie wächst in der chinesischen
Metropole auf, studiert in London und
Paris und arbeitet zunächst als Model
und Fernsehjournalistin. Sie reist viel, ist
ständig auf Achse, bis sie Oddur auf einer
„Auf dem
Land fühlte
ich mich zuerst verloren“
Party während der Fashion Week kennenlernt. Die beiden heiraten, ziehen in
eine gemeinsame Wohnung in Paris, die
bald zu klein ist für die wachsende Familie. Oddur hat bereits zwei Kinder aus
einer früheren Beziehung, Mimi eines.
Dazu eine Hundeschar aus Foxterriern
und Jack Russells. Als Mimi wieder
schwanger wird, sucht das Paar ein Haus
in der Normandie – ohne Erfolg. Dafür
findet Oddur 2010 ein Landhaus auf
der abgelegenen Halbinsel am Atlantik,
sechs Autostunden von Paris entfernt.
Tatsächlich weiß Mimi Thorisson zuerst nicht, was sie hier mit sich anfangen
soll, sie steht wie unter Schock. „In den
ersten Monaten fühlte ich mich dort irgendwie verloren“, schreibt sie in ihrem
Kochbuch. Und auch heute noch liest
man auf ihrem Blog Passagen darüber,
wie deprimierend es draußen auf dem
Land sein kann. Kein Friseur, kein Bäcker weit und breit – dafür sieht sie von
ihrem Schlafzimmer aus den Wald.
Mimi Thorisson ist keine gelernte Köchin, es ist der Zufall, der sie zu einer
macht. Eines Tages bäckt sie einen Kuchen nach dem Rezept ihrer isländischen
Schwiegermutter (siehe vorherige Seite).
Sie dekoriert ihn mit Beeren und Blüten aus dem Garten, knipst ein Foto und
lädt es ins Netz. Ihre Freunde sind begeistert und wollen mehr, woraufhin sie
Oddur bittet, den Kuchen noch einmal
professionell abzulichten. Das appetitliche Bild wird via Facebook und Twitter
zum viralen Hit. Die Idee für „Manger“
ist geboren.
Man könnte sich ewig durch das digitale Album klicken, durch die Rezepte
von saisonalen französischen Gerichten
wie Artischocken-Pilz-Tartelettes oder
Entenbrust mit Pfirsich, und durch die
persönlichen Geschichten, die Mimi zu
jedem einzelnen erzählt. Doch es geht
nicht nur ums Essen: Sie macht sich und
ihre Familie zu den Protagonisten eines
wahr gewordenen Lifestyle-Märchens, in
dem beim Zwiebelschneiden Pumps getragen werden und die Kinder für das
gemeinsame Sonntagsdinner in ihre besten Kleider schlüpfen. Oddurs Bilder
sind dabei charmant inszenierte Stillleben, poetisch, in sich ruhend und voller
Leichtigkeit. Irgendwie schafft er es,
seine Frau auch dann noch glamourös
aussehen zu lassen, wenn sie in Gummistiefeln durch eine Schlammpfütze watet. „Wir sind wie ein Drache mit zwei
Köpfen“, sagt Mimi Thorisson. „Er ist
mein Partner in allem, was ich mache,
ohne ihn wäre mein Blog ein anderer.“
Ein Traumpaar hat sich gefunden, das
den Sinn für das Schöne teilt – und ihn
auch noch geschickt zu vermarkten weiß.
Das offen zur Schau gestellte Glück
ruft aber auch Neider auf den Plan. Vor
Kurzem machte sich der amerikanische
Food-Blogger Adam Roberts in einem
Comic über Mimi Thorissons Selbstinszenierung lustig – und damit ihre
Noch mehr traumhaft schöne Food­Blogs: myself.de/foodlieblinge
Chancen auf den renommierten Piglet
Award für ihr Kochbuch zunichte. Sie
konterte den Angriff mit einem langen
Blog-Eintrag, in dem sie sich gekränkt
davor verwahrt, nur nach ihrem Äußeren
beurteilt zu werden. Natürlich ist es
Quatsch, zu glauben, dieses Leben sähe
tatsächlich so aus, wie es uns die Bilder
weismachen. Sie zeigen lediglich einen
Ausschnitt, und den zu gestalten kostet
Zeit und Kraft. So viel, dass die Familie
nach einem anstrengenden letzten Jahr
zurzeit abgetaucht ist, wochenlang für
niemanden zu erreichen, nicht mal für
den eigenen Verlag oder die Presse.
Das Leben als Gourmet-Göttin in
Frankreich ist hart erarbeitet. Und es
hat etwas rührend Altmodisches, der
herausgeputzten Großfamilie dabei zuzusehen, wie sie das Natürlichste der Welt
in epischer Breite zelebriert: das Zusammenleben. Es stimmt schon, die selbstverständlichen Dinge sollten gefeiert
werden. Manchmal vergessen wir das in
der Hektik des Alltags. Doch gut, dass
Mimi Thorisson uns daran erinnert. ◗
„Das Beste aus meiner
französischen Küche“
(Neuer Umschau Verlag,
29,95 Euro) – eine
Mischung aus Rezepten
und Lifestyle-Idylle.
Das Leben im
Médoc: ein wahr
gewordenes
Märchen.
Apri. 2016
Fotos: oddur thorisson Aus dem Buch „dAs Beste Aus meiner FrAnzÖsischen kÜche“, neuer umschAu BuchverL Ag
Hauseigener Familienchronist: Fotograf und Ehemann Oddur Thorisson.
◗ BÜcher
Deutsch-Stunde
Wie heißt es so trefend: Der
Familie entkommt man nicht.
Konstantn Boggosch, im Mai
1945 in der Ostzone geboren,
versucht sein Leben lang, sich
von der Last seiner Herkunf zu
befreien. Als Sohn eines SS­
Kriegsverbrechers verfolgt ihn
seine Biografe bis nach Mar­
seille und wieder zurück in die
DDR kurz vor Mauerbau. Ein
großer Roman von einem
großen Erzähler.
Glückskind mit Vater,
Christoph Hein, Suhrkamp,
22,95 Euro
Fürs Gefühl
Eigentlich mögen sie (fast) alle
Frauen: Elke Heidenreich ist
warmherzig, klug und hat einen
versöhnlichen Blick aufs Leben.
Muss so sein, denn genau so
lesen sich ihre (wirklich sehr
kurzen) Kurzgeschichten.
Die schönste, gerade mal
24 Zeilen lang: „Yannick“.
Alles kein Zufall, Elke Heiden­
reich, Hanser, 19,90 Euro
still-life: angelika röder/studio condé nast
Nostalgie at its best
Irgendwie denkt man bei der
Godmother of Punk, sie hat die
besten Tage hinter sich. Oder
sie denkt es selbst. In „Just
Kids“ (2010) schwelgte sie in
den wilden 70ern mit Künstler
Robert Mapplethorpe. Der
zweite Teil ihrer Biografe
liest sich wie ein Liebesbrief
an ihren späteren Mann, den
Gitarristen Fred „Sonic“ Smith.
Eine Reise durchs Erinnerungs­
land, versetzt mit spröder
Melancholie. Ein Stück Pat.
Das beste.
M Train, Patti Smith, KiWi,
17,99 Euro
Kultur
Sechs
Richtige
Jedes Buch ein gewinn:
die besten romane des frühjahrs
und eine tolle Biografie
Gesucht, gefunden
Nach dem Unfalltod ihrer
Eltern versuchen Jules, Marty
und Liz Zeit ihres Lebens, eine
schmerzliche Lücke zu schlie­
ßen. Jeder auf seine unbehol­
fene Art und Weise. Allen voran
Nesthäkchen Jules, der Alva
liebt, seit sie sich in der Schule
neben ihn setzte. Behutsam
erzählt Wells von der langen
Suche nach Geborgenheit,
mit feinen, warmen Sätzen,
mit denen man sich zudecken
will. Perfekt. Nicht weniger.
Vom Ende der Einsamkeit,
Benedict Wells, Diogenes,
22 Euro
Foto, bitte
Amory Clay wird in eine ziem­
lich seltsame englische Familie
hineingeboren, sie landet im
Berlin der frühen Dreißigerjah­
re, dann in New York, schließ­
lich arbeitet sie als Kriegsre­
porterin in Vietnam. Die fiktive
Biografie ist eine Mischung aus
Abenteuer, Lovestory und
Lebensbeichte, vielleicht ein
bisschen viel für einen Roman,
aber weil Leserinnen für weib­
liche Draufgänger schwärmen,
steht „Die Fotografin“ längst
auf den Bestsellerlisten.
Die Fotografin, William Boyd,
Berlin Verlag, 24 Euro
Egoisten unter sich
Das Biotop der Neuzeit: Unter­
leuten ist ein 200-Seelen-Kaf
eine Stunde vor Berlin. Altein­
gesessene und zugezogene
Landlust­Hipster versuchen das
Nebeneinander ohne Interesse
füreinander. Da soll in die land­
schafliche Idylle ein Windpark
gebaut werden. Die einen wit­
tern Proft, die anderen Lärm­
belästgung – und schon geht
das Hauen und Stechen los. So
unterhaltsam wie entlarvend.
Unterleuten, Juli Zeh,
Luchterhand, 24,99 Euro
◗ kino
Ziemlich
verlockend
die filmhighlights
im frühjahr –
echte Hingucker
Mann, oh Mann!
Anwältn Tony (Emmanuelle Bercot) kann
ihr Glück kaum fassen: Georgio (Vincent Cassel)
ist der absolute Traummann, mit so einem
Mann wird der Alltag immer aufregend
sein. Obwohl sie ahnt, dass sie Georgio nie ganz
für sich haben kann, verfällt Tony ihm
retungslos. Die Chronik einer Amour fou ist
der perfekte Liebesflm für Erwachsene:
intelligent, ergreifend, ganz ohne Kitsch.
Mein ein, mein alles, Start: 24.3.
60
text: ulrike scHröder; fotos: micHael friBerg/contour By get t y images, studio canal
So sieht Verführung
auf Französisch
aus: Schauspieler
Vincent Cassel.