2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Cairo, USA Eine Stadt in Illinois als Spiegel für die Geschichte der Rassentrennung Autor: Tom Noga Redaktion: Petra Mallwitz Regie: Maria Ohmer Sendung: Montag, 14.03.16 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Ich sagte nein, vielleicht nicht, denn ich hatte gehört, es seien überhaupt nur ein Dutzend Häuser da, und wenn sie die nicht ganz extra hell erleuchteten, wie sollten wir wissen, dass es eine Stadt war. Jim meinte, wo der Mississippi und der Ohio zusammenkämen, das müsse man doch gewiss sehen.” Erzähler Aus “Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten” von Mark Twain. Der Roman erschien 1884, 19 Jahre nach Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs, spielt aber in der Zeit vor der Abspaltung des Südstaaten. Sprecher 1 Zitator “Jim meinte, er sehe sie ganz sicher, denn im Augenblick, wo er sie sehe, sei er ein freier Mann, ein freier Nigger! Vorbeifahren hieße wieder in die Sklaverei gehen.” O-Ton 1a Stace England „I think that Cairo tells us… … all of that took place in this town.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Was Cairo uns erzählt? Wer Amerika verstehen will, sollte sich die Geschichte von Cairo anhören. Die rassistischen Auseinandersetzungen, der Gegensatz zwischen Norden und Süden - all das hat hier Ausdruck gefunden.” Erzähler Stace England, Musiker. Er ist in der Nähe von Cairo aufgewachsen und lebt bis heute dort. Die Geschichte der Stadt hat er in einem Album verarbeitet: “Greetings from Cairo, Illinos.” O-Ton 1b Stace England „For me personally… … what we have to struggle with over the years.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England Ich persönliche habe in Cairo herausgefunden, was es heißt, Amerikaner zu sein. Cairo ist die Geschichte Amerikas - wie in einer Kapsel. Hier lässt sich unsere Kultur verstehen und das, womit wir uns seit so vielen Jahren herumschlagen.” O-Ton 2 Stace England „That is ironic… … it was almost a Jim Crow sort of notion here as well.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Die Ironie an der Geschichte ist, dass hier im Bürgerkrieg ein riesiges Feldlager der Nordstaaten war. ((Es gibt eine Anekdote von damals: Weil die Soldaten vom Flusswasser krank wurden, haben die Ärzte ihnen Bier verordnet, das sei gesünder. Aber im Ernst: Die Konzentration von Truppen und Material in Cairo war kriegsentscheidend. Nach dem Wiederaufbau aber setzte sich hier de facto die Rassentrennung durch. Wie im tiefen Süden mit den Jim-Crow-Gesetzen.”)) O-Ton 3 Stace England „I would say a Southern city in a Northern state… … although they were in the North proper.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Im Grunde war Cairo damals eine Stadt mit Südstaaten-Mentalität in einem Nordstaat. Mit der “Great Migration” Anfang des 20.Jahrhunderts kamen dann viele Schwarze in die Stadt, vor allem aus Mississippi und dem Delta. Für sie begann hier der Norden, hier wollten sie sich ein neues Leben aufbauen. Aber sie mussten feststellen, dass es hier nicht anders war als dort, wo sie herkamen. Auch hier hingen Schilder: “Nur für Weiße”. In Cairo herrschte Rassentrennung, obwohl die Stadt im Norden liegt.” Erzähler Der Weg nach Cairo führt über eine rostige Brücke, die sich in einem kühnen Bogen über den Ohio River spannt, eine träge schlammige Brühe. Die andere Brücke, im Westen der Stadt über den Mississippi, ist wegen Einsturzgefahr gesperrt. Die Stelzen, auf denen sie im Sumpfland des Ol’ Man River ruht, sind porös und hätten längst mit Beton ausgegossen werden sollen. Aber die Bauarbeiten verzögern sich Monat um Monat. Erzähler In Cairo beginnt der Norden: Wie ein ausgestreckter Finger schiebt sich Illinois hier zwischen die beiden Südstaaten Kentucky und Missouri. Ich stellen den Wagen ab und gehe die Washington Avenue entlang, die Hauptstraße. Sie ist breit und vierspurig. Aber Autos fahren hier kaum. Zu beiden Seiten eingestürzte Häuserzeilen, aus denen Unkraut wuchert, aus manchen ganze Bäume. Die Fenster sind vernagelt, Dachsparren quietschen die Wind. Erzähler Die Zugänge sind mit Warnband versperrt. Überall rosafarbene Aufkleber: “Keep out! This property is condemned” - Nicht betreten! Dieses Gebäude ist abrissreif. Dazwischen freie Flächen - hier hat der Abrissbagger schon gewirkt. Auf alten Bilder sieht man Haus neben Haus, Geschäft neben Geschäft - ein amerikanisches Kleinstadtidyll. Menschen flanieren, plauschen, verladen ihre Einkäufe. Kinder tollen umher. Weiße. Schwarze sieht man auf den Bildern nicht O-Ton 4 Stace England „A lot of thriving businesses… … boycotts were organized of those stores.” O-Ton 5 Stace England „And you can imagine how that was… … and that was the white structure in general.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Cairo war eine wohlhabende Stadt mit vielen prosperierenden Geschäften. Aber die Besitzer haben sich geweigert, Afroamerikaner einzustellen. Mitte der 1960er haben die Schwarzen begonnen, die Geschäfte zu boykottieren und stattdessen in Nachbargemeinden eingekauft. Als Kunden waren sie in Cairo willkommen, aber Jobs gab’s für sie nicht. Auch die großen Firmen haben statt Afroamerikanern lieber Leute von außerhalb angeheuert. Die besten Jobs waren sowieso für die Machthaber reserviert, für die Weißen.” O-Ton 6 Stace England „And they really needed o happen… … would habe diffused things and would habe ben a lot better.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Der Boykott war nötig, sonst hätte sich nie etwas geändert. Er zog sich über Jahre, die Auseinandersetzungen wurden härter und härter. Die einen sagen, das hätte die Stadt zugrunde gerichtet, weil die Ladenbesitzer deshalb weggezogen sind, die anderen, dass sich der Niedergang schon abgezeichnet hatte. So oder so hat der Boykott der Stadt nicht gut getan. Hätten die Ladenbesitzer doch nur Afroamerikaner eingestellt, dann wären die Proteste abgeebbt. Und alles wäre gut gewesen.”) Erzähler An Shemwell’s Barbecue ist alles billig: die beigefarbenen Kacheln auf dem Boden, die weißen Kunststoff-Tische, die bräunliche Wandverkleidung aus Holzimitat - und nicht zuletzt die Gerichte. Der Becher Kaffee kostet 85 Cent, Krautsalat 1,60 Dollar, Sandwiches gibt es ab 3,85. Hier habe ich mich mit Clarence Dossie verabredet. Er ist klein, untersetzt, schwarz. Vor ihm auf der Theke liegt ein Bildband des Fotografen Preston Ewing: “Let my people go: Cairo, Illinois, 1967 - 1973.” O-Ton 7 Clarence Dossie „That’s me right there… …I’d be buried in my grave.” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Das auf diesem Bild, das bin ich, eine Flagge in der Hand. Darauf steht: “Lieber tot als ein Sklave.” Erzähler Der Mann auf dem Foto ist jung, Anfang, Mitte 20. Die Haare millimeterkurz, ganz in schwarz gekleidet, eine Goldkette mit Kreuz um den Hals. Seine Miene ist ernst. Auch heute noch, nur selten huscht ein Lächeln über Clarence Dossies Gesicht. Clarence Dossies Leben bestand aus Arbeit: in einem Stahlwerk, auf dem Bau, im Holzgewerbe. Und aus politischem Kampf: in der Bürgerrechtsbewegung United Front und in den Gewerkschaften. Auf seine alten Tage lebt er mit seiner Frau in einem project, einem Sozialbau, der aussieht wie ein herunter gekommenes Motel. Sein Apartment besteht aus einem Wohnzimmer, das gleichzeitig der Flur ist, Schlafzimmer, Küche und Bad zusammen gerade mal 40 Quadratmeter. O-Ton 8 Clarence Dossie „Cairo has been raped…they are living on a shoestring budget and everything” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Cairo haben sie ausgeplündert, wirtschaftlich und so. Es gibt keine Jobs, niemand will hier leben. Die Nebenkosten in Cairo sind höher als in vielen großen Städten. Ich habe ein Haus drüben auf der 16. Straße, aber 500, 600 Dollar für Strom und Wasser im Monat kann ich mir nicht leisten. Deshalb lebe ich in einer Sozialwohnung, da sind die Nebenkosten inklusive. Auch viele Weiße versuchen, ihre Häuser zu verkaufen, und ziehen in Sozialwohnungen. Wenn’s einmal so weit gekommen ist, dass fast alle von der Wohlfahrt leben, bleibt kaum noch jemand übrig, der Steuern zahlt. Also muss auch die Stadt mit knappen Mitteln auskommen.” Erzähler In Cairo ist sind Wasser- und Stromversorgung städtisch, erzählt Clarence Dossie weiter. Das rechnet sich ab einer bestimmten Einwohnerzahl. Aber für eine Stadt, die schrumpft, entpuppt es sich als Falle: Fixkosten müssen auf immer weniger Haushalte umgelegt werden, das wiederum treibt die Leute aus ihren Häusern. Wann alles angefangen hat? Am 15. Juli 1967, sagt Clarence und blättert zurück zu einem Fotos. Es zeigt einen schwarzen Mann: Robert L. Hunt. O-Ton 9 Clarence Dossie „He was a black soldier… …Nothing was said, you know..” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Er war ein schwarzer Soldat, er wurde erhängt aufgefunden, auf der Polizeiwache in Cairo. Das war kein Selbstmord, wie es offiziell hieß. Wir waren sicher, dass er gelyncht worden war. Die White Heads und der Ku Klux Klan hatten Büros auf der 8. Straße. Hier gab es viel offenen Rassismus. Damals konnten sie praktisch alles mit dir machen. Aber darüber sprach man nicht.” Erzähler Es war der eine Lynchmord zu viel, resümiert Clarence Dossie. Eine Tat, die den Korken aus einer Flasche trieb, die viel zu lange verschlossen geblieben war. Er blättert weiter, zum Foto eines Mannes mit weißem Hut. Die so genannten White Hats waren eine Bürgerwehr, offiziell gegründet, um die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten. Ein Essay in dem Bildband vermittelt die Hintergründe: Um sich gegen die Repressalien der Weißen zu wehren, haben schwarze Aktivisten eine Bürgerrechts-Organisation gegründet, die United Front. Sie reichten unter anderem Beschwerde beim Innenministerium ein, weil staatliche Banken keine Afroamerikaner beschäftigen. Weil nichts passierte, rief sie zum Boykott auf. O-Ton 10 Clarence Dossie „All we wanted was an equal chance… …It was about econmics.” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Alles, was wir wollten, war das gleiche Anrecht auf Jobs, so wie sie es hatten. Und wir wollten in Frieden leben. Es ging uns gar nicht um die Rassenfrage sondern um wirtschaftliche Dinge.” Erzähler Clarence deutet auf ein Bild. Es zeigt einen Demonstranten, der ein Schild mit der Aufschrift “Jobs, jobs, jobs” hoch hält. O-Ton 11 Clarence Dossie „We used to have marches all the way through Cairo… knowing who’s who and all that stuff.” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Jeden Samstag sind wir durch Cairo marschiert. Berühmte Bürgerrechtler sind gekommen, um uns zu helfen, Jesse Jackson, Abernathy. Nicht alle Weißen waren Rassisten, einige standen sogar auf unserer Seite. Aber das Sagen hatten Leute mit vernebeltem Sinn, die nicht akzeptieren wollten, dass wir gleiche Rechte forderten. Sie haben uns angespuckt. Das hier ist der Bürgermeister, wie er auf einen Demonstranten einschlägt. Und das hier ist eine Art Panzerwagen. Sie haben ihn gebaut, um uns einzuschüchtern. Mit dem Wagen sind sie rumgefahren, aus den Löchern haben sie geschossen. Mittlerweile hat die Polizei in den meisten großen Städten aufgerüstet, statt auf die Leute zuzugehen, sie zu verstehen, wer wer ist und so.” Erzähler Clarence wundert sich noch heute, dass es außer dem schwarzen Soldaten keine weiteren Todesopfer gab. Oft hallten Schüsse durch die Nacht, immer wieder gerieten Gebäude in Brand. Die einen gaben den Schwarzen die Schuld, weil sie Molotowcocktails geworfen hätten, die anderen gingen davon aus, dass es die Hausbesitzer selbst waren, die ihre Gebäude anzündeten, um die Versicherungssumme zu kassieren. Vier Jahre, von 1969 bis 1973, hielt die United Front durch. Dann gaben die Ladenbesitzer auf. Aber nicht nach: Statt Schwarze einzustellen, zogen sie weg. O-Ton 12 Clarence Dossie „We won a battle but we also the war… … knowing who’s who and all that stuff.” Sprecher 3 Übersetzer Clarence Dossie „Wir haben diese Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren, jedenfalls wirtschaftlich. Wir hatten nichts, um die Läden zu ersetzen, sie haben uns eine sterbende Stadt hinterlassen.” O-Ton 13 Stace England „That’s one of the great puzzle of town… … it’s a lack of vision from the early city fathers.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Bei Cairo fragt man sich unwillkürlich: Warum ist hier keine große Stadt? Hier fließen die beiden wichtigsten Flüsse des Landes zusammen, die Stadt liegt an einer Eisenbahnlinie und in der Nähe einer Autobahn. Die Antwort lautet: Weil es den Stadtvätern an Weitsicht gefehlt hat.” O-Ton 14 Stace England „At the point in the 50’s, 40’s and 50’s… … but they didn’t want to to that. Sprecher 2 Übersetzer Stace England In den 40er und 50er hatte Cairo knapp 20.000 Einwohner. Mehr ging nicht, weil die Stadt von Deichen umgeben ist und es an Raum zur Expansion fehlte. Damals gab es Pläne, weiter oben im Norden einen größeren Deich zu bauen und so neue Siedlungsgebiete zu erschließen. Aber die weißen Stadtväter wollten das nicht, weil das mehr Afroamerikaner angezogen und die Stimmgewichte verschoben hätte. Sie hatten die Chance, die Stadt zu erweitern und für Wachstum sorgen, haben sich aber bewusst dagegen entschieden.” Erzähler Die Post von Cairo, Illinois residiert in einem sandfarbenen Quaderbau, wuchtig und viergeschossig. Drinnen ist es kühl und hallig, Böden und Wände sind aus Marmor. Dies war einmal das Federal Building, das Gebäude, in dem Bundesbehörden ihre Büros hatten, vom Finanzamt über Sozialversicherung und Handelskammer bis zum FBI. Nur die Post ist übrig geblieben, im Erdgeschoss. Die übrigen Stockwerke stehen leer. Erzähler Hinterm Schalter Anthony Chambliss: ein dicker Mann mit drahtloser Brille und sanfter Stimme. “Lass uns nach hinten gehen”, sagt er zur Begrüßung, “die Leute hier sind so neugierig.” Erzähler Anthony’s Familie lebt in fünfter Generation in Cairo. Oder besser: lebte, denn bis auf Anthony sind alle weggezogen. Sein Stammbaum lässt sich bis zu seinem Ururugroßvater zurückverfolgen. O-Ton 15 Anthony Chambliss „His name was Hinson Chambliss… … he was running from slavery. Sprecher 3 Übersetzer Anthony Chambliss „Sein Name war Hinson Chambliss. Er ist durch den Ohio River geschwommen, angeblich mit einem Koffer auf dem Rücken, so steht es im Geschichtsbuch unseres Landkreises. Wann genau, weiß ich nicht, aber ist aus der Sklaverei geflohen.” Erzähler Anthony Chambliss hat den Boykott miterlebt, als kleiner Junge. Sein Vater war Arzt. Die Familie lebte auf der Westseite der Washington Avenue, zwischen 20. und 15. Straße - dies war das Viertel für die dünne schwarze Oberschicht, wie Anthony es ausdrückt. Weniger betuchte Afroamerikaner lebten östlich der Durchgangsstraße, das weiße Bürgertum auf der - Anthony legt einen Hauch Ironie in die Worte - Upper Westside. Dort befand sich auch ein öffentliches Schwimmbad. Wobei öffentlich “whites only” bedeutete. O-Ton 16 Anthony Chambliss „Where it is now… … the city shut the pool down.” Sprecher 3 Übersetzer Anthony Chambliss „Heute ist da eine Autowaschanlage, aber das Gebäude steht noch. Eigenartig, das Schwimmbad lag direkt an der Hauptstraße. Meine Mutter hatte einen Kombi, der war immer voll mit Kindern, ich als Kleinster hinten drin. Wir sind oft am Schwimmbad vorbeigekommen und haben die weißen Kinder plantschen sehen. Mir war’s egal, ich habe mir nichts aus Schwimmen gemacht. Aber die anderen schwarzen Kinder wollten unbedingt da rein. Als die Rassentrennung aufhörte und sie das endlich durften, hat die Stadt das Schwimmbad stillgelegt.” Erzähler Genau genommen hat die Stadt das Schwimmbecken mit Schutt aufgefüllt. Damit ja niemand auf die Idee kommt, Wasser einzulassen und es zu benutzen. Anthony schüttelt den Kopf: Was für eine Verschwendung von Steuergeldern. Und nicht nur das. O-Ton 17 Anthony Chambliss „I don’t understand…… just to be mean.” Sprecher 3 Übersetzer Anthony Chambliss „Ich verstehe nicht, warum Menschen hassen. Oder warum sie böse sind, nur um böse zu sein.” Erzähler Anthony’s Chefin in der Post ist weiß, er selbst hat als Bürovorsteher weiße und schwarze Mitarbeiter unter sich. Kein Problem, sagt er, es herrscht Respekt. So ist das auch bei den anderen Arbeitgebern in Cairo. In den Filialen der National Bank, der Sandwich-Kette Subway und des Discounters Dollar General. Anthony überlegt einen Moment: das wars auch schon. Dann gibt es noch einen Autohändler, einen Schnapsladen, zwei Restaurants, außer Shemwell’s Barbecue das Nu Diner, aber das sind alles Familienbetriebe. O-Ton 18 Anthony Chambliss „We do now, I think we do… …we have to take care of each other.” Sprecher 3 Übersetzer Anthony Chambliss „Heute kommen alle miteinander klar, echt. Wenn du nur das nackte Minimum hast, müssen alle zusammenrücken und füreinander da sein. Und so ist das jetzt auch: Wenn jemand ein Problem hat, bekommt er Hilfe, unabhängig von seiner Hautfarbe. Wir sind alle Cairo-ites, wir leben hier und sind füreinander da.” O-Ton 19 Stace England „Oddly, after the true civil rights struggle was over…… … this was very intriguing to me.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Das Seltsame ist: Nachdem der Kampf um die Bürgerrechte im tiefen Süden längst beendet war, ist er hier ausgebrochen, in Illinois. Als jemand, der sein Leben hier verbracht hat, fand ich das verblüffend.” O-Ton 20 Stace England (0:39min) „One of the things about this At the point in the 50’s, 40’s and 50’s… … It’s very challenging, very challenging.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Aber je mehr ich mich mit Cairo befasst habe, umso mehr habe ich verstanden, wie schwer es ist, Rassismus in einer Generation zu überwinden. Ich würde noch weiter gehen: Es ist unmöglich. Die Afroamerikaner wollten, dass die Rassentrennung in Cairo sofort endet, dass sofort eine neue, hellere Zeit anbricht. Und das war zu viel für eine Generation. Die Forderung war berechtigt, aber für die weiße Bevölkerung war dies ein zu weiter Weg. Diese Leute waren mit einer rassistischen Haltung aufgewachsen. Die auf die Schnelle abzuschütteln, war schwer, eine zu große Herausforderung.” Erzähler Wo Harry Lee und Deena Williams leben, ist Cairo, Illinois auch heute noch halbwegs intakt. Die Straßen sind von Eichen gesäumt, die Häuser gleichen Villen. Und sie sind bewohnt, die meisten jedenfalls. Dies ist die Upper Westside, das ehemalige Viertel der weißen Elite. Es gruppiert sich um einen Park mit Schaukeln und Rutschen für Kinder, die es nicht mehr gibt, mit Tennisplätzen, aus deren Belag Unkraut wächst, und einem Baseball-Stadion, in dem in den 60ern eine örtliche Auswahl mal gegen die St. Louis Cardinal angetreten ist, eines der großen Traditionsteams in den USA. Harry Lee und Deena empfangen mich in ihrem Wohnzimmer. Es sieht aus wie aus einem Katalog für schönes Wohnen: alles in Rotbraun, Ton in Ton und penibel aufgeräumt. Harry ist drahtig, er hat alle möglichen Sportarten ausgeübt und die Baseund Basketballmannschaften der örtlichen High School trainiert - so lange dort noch genügend Schüler angemeldet waren. Er ist schwarz, sie weiß. Zusammen gekommen sind sie im Jahr 1973, kurz bevor der Boykott endete. Als erstes gemischtes Paar in Cairo. O-Ton 21 Harry Lee Williams „No, there was another couple… probably the first who stayed in town.” Sprecher 4 Übersetzer Harry Lee Williams „Genau genommen gab’s vor uns schon ein Paar, aber sie haben die Stadt verlassen. Wir waren die ersten, die geblieben sind.” Erzähler An der Wand hängen Fotos von zwei jungen Frauen, Deenas Töchter aus erster Ehe. Mit Harry Lee hat sie die beiden Mädchen groß gezogen. Es war ein weiter Weg, räsoniert Deena. Jugendfreunde haben sich von ihnen abgewandt, von beiden. Und als sich sich in dieses Haus auf der Westseite verliebt hatten, wollte der Vorbesitzer nicht verkaufen. Sie passten nicht ins Viertel, sagte er zur Begründung. Erst als er keinen anderen Käufer fand, gab der Harry Lee und Deena den Zuschlag. Ein paar Wochen später stand ein Makler vor der Tür. Die Nachbarn hatten zusammengelegt und wollten ihnen das Haus wieder abkaufen - 20 Prozent über dem ursprünglichen Kaufpreis. Harry und Deena haben abgelehnt. Nun leben sie seit 35 Jahren hier. Und haben ihrer Stadt beim Sterben zugesehen. O-Ton 22 Harry Lee Williams „We knew there were some sacrifices… … to bringt that city back anytime soon.” Sprecher 4 Übersetzer Harry Lee Williams „Wir wussten, dass es zu Opfern kommen würde. Leider war es letztlich unsere Stadt, die dran glauben musste. Bis heute haben wir dieses Stigma, diese dunkle Wolke, die über uns schwebt. Aber wir wollen nach vorne schauen, wir wollen unsere Stadt verbessern, damit die Leute auch mal Gutes aus Cairo hören. Aber die Probleme aus den 60ern überstrahlen alles. 200 Kilometer nördlich von uns, in Ferguson, ist vor knapp zwei Jahren etwas Ähnliches passiert. Ein junger Schwarzer ist von einem Polizisten erschossen worden Es kam zu Aufständen, Häuser brannten - genau wie damals in Cairo. Was die Leute in Ferguson noch nicht wissen: Sie werden lange mit den Folgen zu kämpfen haben. Niemand will da hin ziehen oder dort bauen, niemand will oder kann ihnen helfen, die Stadt in naher Zukunft wieder nach vorn zu bringen.” O-Ton 23 Deena Williams „Right now in Cairo… … Do you see any?” Sprecherin 5 Übersetzerin Deena Williams „Ich bemerke hier keine Spannungen zwischen den Rassen mehr, oder? Wir haben tolle Freude, hier leben wunderbare Menschen, Schwarze und Weiße. Rassismus begegnet einem hier kaum noch. Oder wie siehst Du das?” O-Ton 24 Harry Lee Williams „That part of it has minimized……that has lived that for years.” Sprecher 4 Übersetzer Harry Lee Williams „Das ist tatsächlich zurückgegangen, so weit, das kaum noch etwas vorkommt. Wenn überhaupt sind es ein paar wenige ältere Leute, die schon immer so gedacht haben.” Erzähler So sitzen sie da und reden sich Cairo schön. Loben die gute Nachbarschaft und die Vorzüge des Kleinstadtlebens, die Ruhe und dass es keine Kriminalität gibt. Natürlich, für größere Einkäufe müssen sie weit fahren, auch wenn sie mal ins Kino gehen möchten. Nach Sikeston in Missouri, das sind 100 Kilometer hin und zurück. Deshalb haben Harry Lee und Deena Williams darüber nachgedacht, Cairo zu verlassen, mehr als einmal. Und sind geblieben. Weil Cairo Heimat ist. O-Ton 25 Deena Williams “We never gonna have the businesses back… … Do you see any?” Sprecherin 5 Übersetzerin Deena Williams „Die Läden werden nie zurückkommen. Aber wir können den Leuten Unterhaltung bieten, dass sie kommen und ihren Spaß haben. Vielleicht können wir das Theater wieder aufmachen und dort Stücke aufführen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aus denen … vermutlich nie was wird. Aber ich wünsche es mir, dass Cairo ein Comeback feiert.” O-Ton 26 Harry Lee Williams „One of the things I’d like the world to know… …that has lived that for years.” Sprecher 4 Übersetzer Harry Lee Williams „Eins soll die Welt wissen: Wer uns besucht, den behandelt wir dem größtmöglichen Respekt. Wir haben nicht viel anzubieten, aber was wir haben, das teilen wir gerne.” O-Ton 27 Stace England „There’s a slip of Nirvana … …everybody is struggling with the same things at this point.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Cairo hat etwas von Nivana: Rassismus lohnt nicht mehr, es gibt nichts mehr zu gewinnen. Die wirtschaftlichen Gegensätze sind verschwunden, Schwarze und Weiße sind enger zusammen gerückt. Das wärmt mein Herz. Sie haben alle mit denselben Problemen zu kämpfen.” O-Ton 28 Stace England (0:22min) „But it’s not a good thing… … so I’m an optimist at the end of the day.” Sprecher 2 Übersetzer Stace England „Aber das ist keine gute Sache. Cairo braucht Jobs und Wachstum. Letzten Endes bis ich aber guter Hoffnung. Ich liebe diese Stadt, ich liebe die Menschen hier. Sie haben harte Zeiten durchgemacht und ihre Würde nicht verloren. Dafür bewundere ich sie und deshalb bin ich optimistisch.”
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