Das große Wettbrennen

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25.03.2015
Das große Wettbrennen
Mit dem TDI von Malmö nach Kopenhagen
Der TDI-Motor ist eine der bedeutendsten Effizienztechnologien der Automobilwelt. Auf
einem Roadtrip durch Stationen seiner Erfolgsgeschichte blicken wir zuruck auf 25 Jahre
Entwicklung – vom Audi 100 2.5 TDI uber den A7 Sportback competition* bis zum RS 5 TDI
concept mit e-Turbo. Ein PS-starker Weg mit Inspirationspotenzial fur die Zukunft.
Es sind turbulente Zeiten im Sommer 1989. Eine Revolution im Osten zeichnet sich ab, aber
noch weiß keiner, was passieren wird. Dann geschieht das Unfassbare: Die Mauer fällt – und
Karawanen zweitaktender Trabis und Wartburgs husten uber die offene Grenze von Ost
nach West. So gesehen hatte der Wind of Change vor 25 Jahren auch eine deutliche Ölnote.
Schon bald wandern die Gemischverbrenner allerdings flächendeckend ins Nirwana – die
Automobilwelt im Westen ist längst meilenweit enteilt.
Doch auch da kundigt sich eine Revolution an – und zwar beim guten alten Selbstzunder.
Seit Jahrzehnten sind Dieselmotoren im Auto bei Sparwilligen beliebt – in Deutschland,
besonders in Frankreich und auch in Italien. Spaß freilich ist ein Fremdwort, zäh und laut sind
die Rappelmotoren dieser Generation.
Doch die Zeit ist reif: Bei Audi in Neckarsulm arbeiten die Entwickler intensiv an der
Neuerfindung des Dieselmotors. Andreas Fröhlich ist einer der wenigen, der die nun schon
25 Jahre andauernde TDIErfolgsgeschichte durchgängig begleitet hat. "Ich war ganz frisch
bei Audi, ich habe als Werkstudent angefangen und, ehrlich gesagt, damals noch nicht ganz
umrissen, was die Entwicklung des TDI auslösen wird." Während er erzählt, streicht er uber
den schmalen Lenkradkranz des Audi 100 2.5 TDI, den er souverän durch die Straßen des
schwedischen Malmö steuert.
Über 30 Jahre hinweg war der Achtzylinder-Zweitakter im DieselHouse Kopenhagen
der größte Dieselmotor der Welt.
Anfang der 1930er-Jahre wurde von Burmeister & Wain diese riesige Dieselmaschine als
Stromgenerator für Kopenhagen gebaut. Der Achtzylinder- Zweitakter lief 1933 zum ersten
Mal. Mit einer Leistung von bis zu 22.500 PS zählt der nach dem dänischen Gelehrten Hans
Christian Ørsted benannte Motor bis heute zu den Giganten des Maschinenbaus. Zweimal im
Monat wird der voll funktionsfähige Riesendiesel für Besucher gestartet. Das DieselHouse
wird heute von MAN Diesel & Turbo mit viel Liebe als Museum unterhalten. Seit 2011 gehört
MAN Diesel & Turbo zum Volkswagen Konzern.
Links: Reihen-Funfzylinder-TDI: Das arbeitswillige 265-Nm-Aggregat hat leichtes Spiel mit
dem 1,3-Tonnen-Audi.
Mitte: Kraftpaket: Das maximale Drehmoment von 650 Nm liegt beim V6-Top- Diesel
zwischen 1.400 und 2.800 1/min an.
Rechts: Elektro-Joker: Der per 48-Volt-Netz elektrisch angetriebene Verdichter (rot) dreht
innerhalb von 200 Millisekunden bis auf 72.000 1/min.
Erstmals an den Start ging die neue Technologie im Jahr der Wende auf der Frankfurter IAA:
Während Volkswagen den Golf GTI G60 enthullte, BMW einen stärkeren M3, Mazda den
MX-5 und Opel den Lotus Omega präsentierte, sah man auf dem Audi-Stand einen neuen
Audi 100 – mit direkteinspritzendem, turboaufgeladenem und elektronisch geregeltem
Funfzylinder- Dieselmotor. 88 kW (120 PS), 265 Nm – verglichen mit seinen Konkurrenten
auf der IAA klangen Leistung und Drehmoment des neuen TDI nicht unbedingt nach scharfer
Klinge. In seiner Bedeutung aber stach er alle anderen meilenweit aus.
Der Audi 100 aus dem Jahr 1989 markiert nicht nur den Beginn der TDI-Story (die später
sogar in Le Mans Geschichte schreibt), sondern ist auch insgesamt bereits ein sehr
ausgereiftes Automobil. Noch heute gibt sich der Funfzylinder in jeder Beziehung äußerst
arbeitswillig, springt munter an, nimmt freudig Beschleunigungswunsche an und serviert
prompt mit anständiger Laufkultur. Dazu ein winziger Wendekreis und naturlich die bei
Youngtimer- Freunden so beliebte Einfachheit.
Unser kleiner Roadtrip fuhrt uns von Malmö uber die Öresundbrucke nach Kopenhagen in
Dänemark. Und zwar zu einem der spektakulärsten Ziele, die man als motoreninteressierter
Mensch ansteuern kann. Wir sind im DieselHouse, einem Museum sudlich des bekannten
Tivoli, direkt an der Durchgangsstraße Nummer 2. Das Gebäude wurde um einen
Achtzylinder-Zweitakt- Reihendiesel herumgebaut. 24,5 Meter lang, 12,5 Meter hoch, 1.400
Tonnen schwer und 22.500 PS stark bei 115 Umdrehungen pro Minute. Der Notstromdiesel,
der Kopenhagen in schweren Zeiten mit Elektrizität versorgen sollte, ist längst aus dem
aktiven Dienst entlassen, aber noch voll einsatzfähig. Mit Druckluft wird das Monstrum aus
dem Schlaf geholt. Der Kurbeltrieb setzt sich wie das Skelett eines Brontosaurus langsam in
Bewegung. Es zischt und hämmert in einer Weise, die jede Industrial-Band der Achtziger in
die Knie zwingen wurde. Die Kolben, jeder 4,5 Tonnen schwer, stampfen und pressen dem
Besucher die Ehrfurcht vor der Ingenieurs- Schaffenskraft regelrecht ins Bewusstsein.
Gegen diese Maschine ist der TDI unseres Audi 100 ein Winzling. Und spricht man uber
seine Technik mit Andreas Fröhlich, der heute die Konstruktionsabteilung der TDI-Motoren
bei Audi leitet, spurt man Interesse und Erinnerung. Doch Fröhlich ist Ingenieur, er lebt im
Morgen, in all den Motoren, die noch zu entwickeln, zu konstruieren sind. Deshalb die Frage:
Könnte ein Funfzylinder-TDI nicht auch fur die Zukunft wieder eine Option sein? Man merkt
sofort, dass den Technikern in Neckarsulm der Gedanke nicht verwegen erscheint. Doch mit
dem aktuellen Programm haben sie erst mal alle Hände voll zu tun.
Effizienzsteigerung, Elektrifizierung, Gewichts- und Reibungsreduzierung, Abgasgesetze,
CO2-Verringerung – die Herausforderungen der Motorenentwicklung sind breit gefächert.
Fakt ist, dass die Komplexität ein nie dagewesenes Level erreicht hat. Und dass die
Verbrauchssenkung von etwa 32 Prozent seit 2010 eher der leichtere Abschnitt des Wegs
war. Dennoch sind die Ingenieure optimistisch, dass bis 2020 bei den Motoren noch einmal
15 Prozent möglich sind. In Kombination mit der Elektrifizierung insgesamt vielleicht sogar 30
Prozent. Und das trotz einer immer anspruchsvolleren Abgasreinigung.
Wir verlassen das DieselHouse und tauschen den Audi 100 gegen den Audi A7 competition.
Das Jubiläumsmodell ist das derzeit "höchste der Gefuhle" in der Welt des V6 TDI. Mit
seinem Biturbo bringt er satte 240 kW (326 PS) und bis zu 650 Nm Drehmoment auf die
Straße. Über ihm rangiert lediglich noch der 4.2 Liter V8 TDI im Audi A8. "Der V6 ist das
Ruckgrat der Audi- TDI, der V8 ist das Nonplusultra," erklärt Andreas Fröhlich, "hier zeigt
sich, was wir unter Rightsizing verstehen. Unsere Modelle sollen souverän motorisiert sein.
Zu viel Downsizing und zu hohe Aufladung können sich im Alltag negativ auf Verbrauch,
Laufkultur und Haltbarkeit auswirken. Deswegen wird der V6 TDI noch lange eine tragende
Rolle spielen, und deswegen entwickeln wir auch den V8 TDI weiter."
Souverän unterwegs sein. Unaufgeregt, leichtfußig, komfortabel und sportlich. Diese Attribute
vereint der A7 competition auf beeindruckende Art und Weise. Sein sauber gekapseltes
Triebwerk, dessen Package und Integration in den Vorderwagen eine viel zu selten
gewurdigte Meisterleistung darstellt, schnurrt leise vor sich hin. Der zur Potenz passende
voluminöse Sound wird stattdessen in der Sportabgasanlage komponiert und macht beim
Durchstarten deutlich, dass der Gentleman im eleganten Gewand auch anders kann. Der
Powerdiesel stellt seine 650 Nm Drehmoment schon ab 1.400 Umdrehungen zur Verfugung.
In Verbindung mit der schnell schaltenden Achtstufen-tiptronic bleiben im Bereich von null bis
250 km/h keine Performance- Wunsche offen.
Dieser Motor ist im Wortsinn eine Wucht. Doch sich damit zufrieden geben? Die Frage
beantwortet der Audi RS 5 TDI concept. Hier haben die Entwickler einen 3.0 V6 TDI Biturbo
ins sportliche Design des RS 5 Coupé gehullt. Doch damit nicht genug: Zu den Turbobrudern
gesellt sich noch ein kleines Geschwisterchen. Elektrisch angetrieben hat es sich vom
Abgasstrom emanzipiert und dreht bis zu 72.000 Touren. Das heißt: ab Start voller Schub,
bis die beiden dicken Turbos ubernehmen. Weil der neue Kollege die Basis liefert, durfen
sich die beiden anderen noch ein bisschen freier austoben – und so ergibt sich neben dem
katapultartigen Spurtverhalten noch eine ordentliche Portion Zusatzleistung.
Mit 283 kW (385 PS) und 750 Nm ist der Technikträger sozusagen Klitschkos Rechte auf
Rädern. Von null auf 100 km/h braucht der Sportler gerade einmal vier Sekunden. Typische
RS-Feinheiten wie Sportfahrwerk und Keramikbremsen runden die
High-Performance-Talente endgultig ab. Im Vergleich zum Auto ohne e-Turbo verschafft sich
der RS 5 TDI concept beim Spurt aus dem Stand nach den ersten drei Sekunden einen
Vorsprung von zwei Fahrzeuglängen.
So ein e-Turbo ist eine feine Sache. Warum man ihn noch in keiner Preisliste findet? Die
Antwort verbirgt sich unter dem Kofferraumboden. Hier finden sich neben der
standardmäßigen 12-Volt-Batterie noch ein 48-Volt-Lithium-Ionen-Speicher und ein
DC/DC-Wandler. Von hier aus fuhrt ein 48-Volt- Netz bis zum elektrischen Lader im
Motorraum. Damit der so spontan hochdrehen kann, braucht er kurzzeitig bis zu sieben
Kilowatt elektrische Leistung. Zur schnellen Übertragung solch großer Energiemengen ist
das 48-Volt-Netz nötig. Die Technologie befindet sich in der Endphase der
Serienentwicklung, auch energieintensive Assistenz- und Fahrwerkssysteme lassen sich
damit optimal versorgen.
Den nächsten Evolutionsschritt unternimmt der V6 TDI, wenn er sich mit der
e-tron-Technologie verbundet. Nach dem Denkmuster des A3 Sportback e-tron geht es auch
hier darum, eine elektrische Reichweite von 50 Kilometern zu realisieren. Dazu kommt beim
TDI e-tron noch die uberlegene Dieselreichweite, die den Kunden uneingeschränkte Mobilität
garantiert. Mit einer Systemleistung von 275 kW (373 PS) und einem Drehmoment von 700
Nm wird der neue Plug-in-Hybridantriebsstrang auch in Sachen Performance keinerlei
Verzicht zulassen. Das erste Serienmodell mit TDI e-tron präsentiert Audi im Laufe des
Jahres 2015.
Dagegen befindet sich ein anderes Projekt noch in der Forschungsphase. Im November
2014 hat Audi die neueste Kooperation zur Entwicklung und Herstellung synthetischer
Kraftstoffe, der e-fuels, verkundet. Anlass war die Eröffnung einer Produktionsanlage des
Kooperationspartners sunfire in Dresden. Hier wird aus Wasser, Luft und regenerativ
erzeugtem, grunem Strom synthetischer Diesel hergestellt. Dabei treibt der Grunstrom eine
Elektrolyse-Anlage an, in der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Parallel
dazu filtert eine Anlage der Schweizer Technologiefirma climeworks nach dem
Direct-Air-Capturing-Verfahren Kohlendioxid direkt aus der Umgebungsluft.
Schließlich lässt sich aus dem Wasserstoff und dem Kohlendioxid in weiteren
Prozessschritten eine energiereiche Flussigkeit aus Kohlenwasserstoffen erzeugen. Diese
Flussigkeit wird Blue Crude genannt und ist wie Rohöl der Ausgangsstoff fur die weitere
Verarbeitung. Pro Tag soll die Pilotanlage bis zu 160 Liter Blue Crude erzeugen, wobei eine
80-prozentige Umwandlung in e-diesel möglich ist. Dieser synthetische Diesel ist dann in
jedem Verhältnis mit fossilem Diesel mischbar.
Erste Proben einer anderen Audi- Kooperationsanlage in den USA sind längst untersucht, die
Ergebnisse vielversprechend, weiß Ingenieur Fröhlich. Die Industrialisierung und die
Distribution seien noch offene Fragen. "Ohne starke Partner wird das nicht gehen." Dass
Audi heute schon in der Lage ist, CO2-neutrale Kraftstoffe anzubieten, haben die Entwickler
mit der Power-to-Gas- Anlage in Niedersachsen gezeigt. Dort wird synthetisches Methan,
das Audi e-gas, als Erdgasersatz erzeugt. Käufer des A3 Sportback g-tron können das
Angebot heute schon nutzen und damit CO2-neutral und erdölunabhängig fahren. So
gesehen weht auch heute wieder – zumindest ein sanfter – Wind of Change. Ganz frei von
Öldunst.
Text: Oliver Strohbach
Fotos: Alexander Herold
* Audi A7 Sportback competition:
Kraftstoffverbrauch kombiniert in l/100 km: 6,1; CO2-Emission kombiniert in g/km: 162