WM 2006 nicht gekauft, aber Beckenbauers Rolle ist dubios

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SAMSTAG, 5. MÄRZ 2016
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Zippert zappt
KOMMENTAR
D
THEMEN
Schatten auf
dem Fußball
LARS WALLRODT
DPA/IAN LANGSDON; PA/DPA/PETER KNEFFEL; BUGATTI/DOMINIC FRASER
er DFB hat im Laufe
der Jahre den Überblick
über alle seine Bestechungsverbindlichkeiten verloren, und auch die Dokumente
über die Aufgaben von Franz
Beckenbauer, dem Special
Agent mit der Lizenz zum Löhnen, sind verschwunden. Wahrscheinlich, weil sie mit Geheimtinte geschrieben wurden.
Deshalb beauftragte man die
Wirtschaftskanzlei Freshfields
Bruckhaus Deringer, Licht ins
Aktendunkel zu bringen. Nach
vier Monaten liegt der Bericht
vor, und man muss dem DFB
ein großes Lob aussprechen,
denn allein der Name ist dazu
angetan, Vertrauen zu erwecken. Rottenfields hätte jedenfalls nicht so gut geklungen.
Das Resümee von Freshfields
lautet: Alles kann, nichts muss,
und Beckenbauer hat die Arschkarte. Vielleicht wurde jemand
bestochen, vielleicht aber auch
nicht, vielleicht nur ein bisschen, aber über das Konto der
großen deutschen Zwielichtgestalt liefen Zahlungen nach
Katar, deren Zweck unbekannt
ist. Es könnte sein, dass Beckenbauer dem Emirat Geld
geliehen hat, damit die Scheichs
sich die WM 2022, das Wintermärchen, kaufen konnten.
U
Zwischen Paris und Budapest
Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande nehmen sich in den Arm. Das kann persönliche
Vertrautheit symbolisieren, soll aber wohl ein politisches Zeichen sein. Kurz vor dem EU-Flüchtlingsgipfel
mit der Türkei stehen Deutschland und Frankreich für
die „Reisefreiheit im Innern Europas“, wie es Merkel in
Paris ausdrückte. Anders sieht das Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der Bayerns Ministerpräsiden-
ten Horst Seehofer in Budapest empfing. Orbán (ganz
rechts) will „Grenzen luftdicht versiegeln“. Und Seehofer? Wünscht Merkel „von ganzem Herzen“ Erfolg beim
Leitartikel Seite 3 und Seite 6
EU-Gipfel.
WM 2006 nicht gekauft, aber
Beckenbauers Rolle ist dubios
Deutscher Fußball-Bund legt Ermittlungsbericht einer Wirtschaftskanzlei vor. Merkwürdige Zahlungen
von sechs Millionen Franken wurden über Schweizer Konto abgewickelt. Teilweise fehlen wichtige Akten
MOTOR
Der Bugatti Chiron
hat 1500 PS.
Wie fährt man so
einen Sportwagen?
Seite 16
LITERARISCHE
WELT
Inge Jens spricht
über die letzten und
sehr schwierigen Jahre
ihres Mannes
Beilage
REISE
Kenia lebt immer noch
gut von den Touren
zu den Kulissen von
„Jenseits von Afrika“
Beilage
Nr. 55
D
ie WM-Affäre wird mehr
und mehr zum Fall Franz
Beckenbauer. Der nun vorgelegte Untersuchungsbericht der vom Deutschen
Fußball-Bund (DFB) beauftragten Kanzlei Freshfields kann die Frage des möglichen Stimmenkaufs vor dem „Sommermärchen“ 2006 zwar nicht beantworten.
Er bringt aber Beckenbauer mit weiteren
dubiosen Zahlungen in Verbindung. Die
6,7 Millionen Euro (zehn Millionen
Schweizer Franken) im Zentrum des
Skandals landeten demnach über die
Schweiz auf einem Konto in Katar – und
nicht beim Weltverband Fifa.
Vertrag zwischen Verband und Jack Warner, dem damaligen Chef des nord- und
mittelamerikanischen
Fußballbundes
Concacaf? Wenige Tage vor der WM-Vergabe waren ihm Tickets und Freiflüge
versprochen worden. Angeblich soll der
Vertrag nie vollzogen worden sein.
Immerhin kann der Fluss der 6,7 Millionen Euro ziemlich genau nachvollzogen werden. Das Geld floss vom damaligen Adidas-Vorstandschef Robert LouisDreyfus an eine Firma in Katar, die dem
damaligen Fifa-Exekutivkomiteemitglied
Mohammed Bin Hammam gehört – einem Intimus von Sepp Blatter. Was der
Katarer mit dem Geld machte, ist nicht
bekannt. Mindestens ebenso obskur waren die Versuche des DFB, die Rückzahlung an Louis-Dreyfus zu verschleiern.
Über ein Fifa-Konto ging das Geld zurück
an den Adidas-Mann, deklariert als Zuschuss zur Fifa-Gala und abgezeichnet
vom damaligen DFB-Präsidenten Theo
Zwanziger und seinem Stellvertreter
Horst R. Schmidt. „Der DFB hat das Geld
an eine dem Einflussbereich Mohammed
Bin Hammams zuzurechnende Firma in
Doha gezahlt“, sagte DFB-Interimspräsident Rainer Koch. Der Zahlungsvorgang
sei „zehn Jahre verheimlicht und zehn
Monate beschönigt“ worden und dabei eigentlich „in zehn Sekunden zu erklären“.
nen Euro bestimmt waren, die der Fußball-Weltverband Fifa einst gefordert
hatte, um dem Organisationskomitee der
Weltmeisterschaft 2006 einen Zuschuss
von 170 Millionen Euro zu gewähren.
Über die Frage, warum Geld gezahlt werden muss, um Geld zu bekommen, war
schon DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gestolpert. Und was war mit dem
VON LARS WALLRODT
Die Affäre ist damit nach wie vor nicht
aufgeklärt. Das gilt auch für den Vorwurf,
dass die Weltmeisterschaft in Deutschland möglicherweise gekauft wurde.
Freshfields-Anwalt Christian Druve sagte: „Wir haben keinen Beweis für einen
Stimmenkauf, können ihn aber auch
nicht vollständig ausschließen.“
Viereinhalb Monate stürzten sich die
Ermittler in die Archive. 128.000 Mails
wurden gesichtet, 740 Aktenordner gewälzt und 26 Personen befragt. Zu klären
war unter anderem, wofür die 6,7 Millio-
Die Aufklärung kostet
eine Menge Geld
Die Untersuchung des Skandals
wird teuer für den Deutschen
Fußball-Bund (DFB): „Die genauen
Kosten lassen sich noch nicht beziffern, aber wir rechnen mit einem kleineren siebenstelligen
Betrag“, sagte der designierte
DFB-Präsident Reinhard Grindel.
„Das ist natürlich viel Geld, aber
die Untersuchung hat auch deshalb ihren Wert, weil es nicht nur
um das Ansehen des DFB geht,
sondern auch um das Ansehen
unserer Mitglieder.“ Zudem gehe
es auch um das Verhältnis zu den
Sponsoren.
Die Aufklärungsarbeit, die vor allem
Zwanzigers Nachfolger Wolfgang Niersbach betrieb, muss ebenfalls als blamabel
bezeichnet werden. Obwohl er schon
frühzeitig von der dubiosen Zahlung erfuhr, informierte er nicht, wie in den Regularien vorgesehen, das übrige Präsidium, sondern stellte eigene Ermittlungen
an. Es sei „nicht auszuschließen, dass
frühere DFB-Mitarbeiter Akten nach ihrem Ausscheiden vernichtet haben“,
schreibt Freshfields.
Beckenbauer, Chef des WM-Organisationskomitees, lassen die Ermittlungen
in keinem guten Licht erscheinen. Noch
bevor Louis-Dreyfus sein Geld an die Fifa
überwiesen habe, floss laut Bericht eine
Zahlung von sechs Millionen Franken in
vier Tranchen über das Konto einer
Schweizer Kanzlei an die Bin-HammamFirma – und zwar von einem Konto Beckenbauers, auf das auch sein mittlerweile verstorbener Berater Robert Schwan
Zugriff hatte. Dieses Geld wurde zurückerstattet, als das Louis-Dreyfus-Geld einging. Deklariert wurde es mit „Erwerb
von TV- und Marketingrechten Asienspiele 2006“. Als ahnungsloser Handlanger, der unbesehen Zahlungsbelege abzeichnete, wird sich Beckenbauer nun
nur noch schwerlich bezeichnen können.
Siehe Kommentar und Seite 23
nd das war nun die große Aufklärung? Begierig hatte die Öffentlichkeit auf den Bericht der
Kanzlei Freshfields gewartet, die seit
viereinhalb Monaten die ominösen Vorgänge beim Deutschen Fußball-Bund
(DFB) untersuchte. Die Fakten waren
rar. 6,7 Millionen Euro hatte der DFB –
sorgsam verschleiert als Beitrag für eine Fifa-Gala – über den Weltverband
zurück an den mittlerweile verstorbenen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus
fließen lassen. Der hatte das Geld einst
an die Fifa überwiesen, damit das Organisationskomitee für die Weltmeisterschaft 2006 einen Zuschuss in Höhe
von 170 Millionen Euro bekam. Das
Ganze ist so skurril, wie es sich anhört.
Herausgefunden hat Freshfields wenig.
Die 6,7 Millionen Euro sind an eine Firma geflossen, die Mohammed Bin
Hammam gehört, damals Mitglied des
Fifa-Exekutivkomitees und Vorsitzender der Finanzkommission. Was der damit gemacht hat? Keine Ahnung. Auch
der obskure Vertrag zwischen dem DFB
und Jack Warner, dem karibischen Mafioso, bleibt rätselhaft. Sachwerte in
Höhe von rund fünf Millionen Euro waren ihm kurz vor der WM-Vergabe versprochen worden. Der Vertrag kam
wohl nicht voll zur Ausführung. Aber
allein seine Existenz lässt tief blicken.
Ebenso wie die Tatsache, dass beim
DFB eine Akte mit der Bezeichnung
„Fifa 2000“ verschwunden ist.
Der Bericht gibt erschreckende Einblicke in eine Parallelwelt, die sich da
unbemerkt breitgemacht hat. Eine
Welt, in der gemauschelt, gedealt und
geklüngelt wurde. Der Fisch mag vom
Kopf her stinken, und dass die Fifa von
den deutschen WM-Machern Geld erpresste, um Zuschüsse zu gewähren,
mag Kern des Übels sein. Doch wie innerhalb des DFB mit den Vorfällen umgegangen wurde, ist ebenfalls bezeichnend. Der deutsche Verband, der immer schnell zugegen war, wenn es darum ging, die Welt über Rechtschaffenheit aufzuklären und mit Wonne auf
die korrupte Fifa zu schimpfen, war
selbst Teil des Systems. Dass der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach interne Nachforschungen anstellen ließ, statt sofort das Präsidium zu
informieren, ist trauriger Beweis. Und
auch auf die Lichtgestalt Franz Beckenbauer, die die Geldströme lenkte, ist
ein Schatten gefallen.
Die Amtsträger rund um den designierten DFB-Präsidenten Reinhard
Grindel loben sich für die umfassende
Aufklärung. Und in der Tat hat
Freshfields gute Arbeit geleistet. Aber
viele Fragen können auch durch die
zeitliche Distanz zum Geschehenen
nicht mehr beantwortet werden. Umso
wichtiger ist es, nun die nötigen
Schlüsse zu ziehen und den DFB neu
aufzustellen. Auch, weil der Verband
sich bald um die Europameisterschaft
2024 bewerben will.
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STIL
Schwärzester unter den Schwarzmalern
Mailänder Mode für
Vagabunden
Der Künstler Anish Kapoor sichert sich den Zugriff auf das dunkelste Pigment, das es gibt
Seite 31
A
uf der Documenta in Kassel im Jahr 1992: Vor einem Betonkubus drängeln sich die Menschen. Im Inneren soll man in die
Unterwelt hinabsteigen können. „Descent into Limbo“ heißt
das Werk des damals gerade mit dem Turner-Preis ausgezeichneten
Künstlers Anish Kapoor. Und tatsächlich, der Boden scheint sich
aufzutun, ein unermesslich tiefes Loch gähnt den sich vorsichtig
nähernden Besuchern entgegen. Ein Schwarzes Loch womöglich?
DAX
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Seite 19
Dax
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Es war weder der Abstieg in die Hölle noch der Einstieg in ein
Wurmloch – nur eine optische Täuschung. Eine kreisrunde Fläche
äußerst matten, blauschwarzen Pigments gaukelte uns Sog, Tiefe und
Abgründigkeit vor. Ein in seiner Einfachheit überwältigendes Kunstwerk eines Bildhauers, der unsere tradierten Seherfahrungen von
Farben und Formen reizen und erweitern wollte.
Der britische Künstler strebt seitdem nach finsterster Singularität.
Und jetzt hat er einen Coup gelandet: Kapoor erwarb die Rechte an
einem Pigment, das so schwarz ist wie kein Schwarz bisher. Schwarz
ist schwarz, denkt man ja. Aber die totale Absorption aller Frequenzen des sichtbaren Lichts – die absolute, nichts mehr reflektierende
Schwärze – ist vor allem blanke Theorie. In der Praxis tanzt immer
mal ein Pigmentteilchen aus der Reihe. Mit derlei Störungen wollte
sich Kapoor nicht länger zufriedengeben. Und fand mit der HightechFirma Surrey Nanosystems nun den Produzenten seiner Träume.
„Vantablack“ heißt deren Pigment, das dunkler ist als jedes
bis dato bekannte Schwarz. Es besteht aus KohlenstoffNanoröhrchen, die 99,96 Prozent des Lichts schlucken,
das auf sie trifft. Die Lichtwellen werden darin so
lange hin und her geworfen, bis sie es frustriert
aufgeben, Licht zu sein, und vor lauter Verwirrung
als Wärme abstrahlen. Dass Kapoor dieses Pigment
nun als einziger Künstler exklusiv benutzen darf, sehen viele seiner
Künstlerkollegen nicht ein.
Darf eine Farbe monopolisiert werden? Yves Klein machte es vor
und ließ 1960 sein berühmtes „IKB“ patentieren. Nun will Anish Kapoor eben schwärzer malen als alle anderen. Dass ausgerechnet ein
Porträtmaler von Elizabeth II. mit ihren bonbonbunten Kostümen
ihn dafür kritisiert, wird den von der Queen in den Ritterstand beförderten Kapoor nicht jucken. Eher kann man sich fragen: Was ist es
eigentlich für eine Herausforderung für einen Künstler, das Absolute
als Material verwenden zu können? Wer schon Schwarze Löcher als feinste Fiktion erschaffen hat, der sollte doch
höhere Ziele haben. Kunst kann aus dem absoluten
Nichts entstehen, aber umgekehrt?
Was treibt Anish Kapoor? Ein Schwarzes Loch
hat er schon erschaffen
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ISSN 0173-8437
55-9
ZKZ 7109