** SAMSTAG, 5. MÄRZ 2016 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 ** D 2,60 EURO B Zippert zappt KOMMENTAR D THEMEN Schatten auf dem Fußball LARS WALLRODT DPA/IAN LANGSDON; PA/DPA/PETER KNEFFEL; BUGATTI/DOMINIC FRASER er DFB hat im Laufe der Jahre den Überblick über alle seine Bestechungsverbindlichkeiten verloren, und auch die Dokumente über die Aufgaben von Franz Beckenbauer, dem Special Agent mit der Lizenz zum Löhnen, sind verschwunden. Wahrscheinlich, weil sie mit Geheimtinte geschrieben wurden. Deshalb beauftragte man die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, Licht ins Aktendunkel zu bringen. Nach vier Monaten liegt der Bericht vor, und man muss dem DFB ein großes Lob aussprechen, denn allein der Name ist dazu angetan, Vertrauen zu erwecken. Rottenfields hätte jedenfalls nicht so gut geklungen. Das Resümee von Freshfields lautet: Alles kann, nichts muss, und Beckenbauer hat die Arschkarte. Vielleicht wurde jemand bestochen, vielleicht aber auch nicht, vielleicht nur ein bisschen, aber über das Konto der großen deutschen Zwielichtgestalt liefen Zahlungen nach Katar, deren Zweck unbekannt ist. Es könnte sein, dass Beckenbauer dem Emirat Geld geliehen hat, damit die Scheichs sich die WM 2022, das Wintermärchen, kaufen konnten. U Zwischen Paris und Budapest Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande nehmen sich in den Arm. Das kann persönliche Vertrautheit symbolisieren, soll aber wohl ein politisches Zeichen sein. Kurz vor dem EU-Flüchtlingsgipfel mit der Türkei stehen Deutschland und Frankreich für die „Reisefreiheit im Innern Europas“, wie es Merkel in Paris ausdrückte. Anders sieht das Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der Bayerns Ministerpräsiden- ten Horst Seehofer in Budapest empfing. Orbán (ganz rechts) will „Grenzen luftdicht versiegeln“. Und Seehofer? Wünscht Merkel „von ganzem Herzen“ Erfolg beim Leitartikel Seite 3 und Seite 6 EU-Gipfel. WM 2006 nicht gekauft, aber Beckenbauers Rolle ist dubios Deutscher Fußball-Bund legt Ermittlungsbericht einer Wirtschaftskanzlei vor. Merkwürdige Zahlungen von sechs Millionen Franken wurden über Schweizer Konto abgewickelt. Teilweise fehlen wichtige Akten MOTOR Der Bugatti Chiron hat 1500 PS. Wie fährt man so einen Sportwagen? Seite 16 LITERARISCHE WELT Inge Jens spricht über die letzten und sehr schwierigen Jahre ihres Mannes Beilage REISE Kenia lebt immer noch gut von den Touren zu den Kulissen von „Jenseits von Afrika“ Beilage Nr. 55 D ie WM-Affäre wird mehr und mehr zum Fall Franz Beckenbauer. Der nun vorgelegte Untersuchungsbericht der vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) beauftragten Kanzlei Freshfields kann die Frage des möglichen Stimmenkaufs vor dem „Sommermärchen“ 2006 zwar nicht beantworten. Er bringt aber Beckenbauer mit weiteren dubiosen Zahlungen in Verbindung. Die 6,7 Millionen Euro (zehn Millionen Schweizer Franken) im Zentrum des Skandals landeten demnach über die Schweiz auf einem Konto in Katar – und nicht beim Weltverband Fifa. Vertrag zwischen Verband und Jack Warner, dem damaligen Chef des nord- und mittelamerikanischen Fußballbundes Concacaf? Wenige Tage vor der WM-Vergabe waren ihm Tickets und Freiflüge versprochen worden. Angeblich soll der Vertrag nie vollzogen worden sein. Immerhin kann der Fluss der 6,7 Millionen Euro ziemlich genau nachvollzogen werden. Das Geld floss vom damaligen Adidas-Vorstandschef Robert LouisDreyfus an eine Firma in Katar, die dem damaligen Fifa-Exekutivkomiteemitglied Mohammed Bin Hammam gehört – einem Intimus von Sepp Blatter. Was der Katarer mit dem Geld machte, ist nicht bekannt. Mindestens ebenso obskur waren die Versuche des DFB, die Rückzahlung an Louis-Dreyfus zu verschleiern. Über ein Fifa-Konto ging das Geld zurück an den Adidas-Mann, deklariert als Zuschuss zur Fifa-Gala und abgezeichnet vom damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und seinem Stellvertreter Horst R. Schmidt. „Der DFB hat das Geld an eine dem Einflussbereich Mohammed Bin Hammams zuzurechnende Firma in Doha gezahlt“, sagte DFB-Interimspräsident Rainer Koch. Der Zahlungsvorgang sei „zehn Jahre verheimlicht und zehn Monate beschönigt“ worden und dabei eigentlich „in zehn Sekunden zu erklären“. nen Euro bestimmt waren, die der Fußball-Weltverband Fifa einst gefordert hatte, um dem Organisationskomitee der Weltmeisterschaft 2006 einen Zuschuss von 170 Millionen Euro zu gewähren. Über die Frage, warum Geld gezahlt werden muss, um Geld zu bekommen, war schon DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gestolpert. Und was war mit dem VON LARS WALLRODT Die Affäre ist damit nach wie vor nicht aufgeklärt. Das gilt auch für den Vorwurf, dass die Weltmeisterschaft in Deutschland möglicherweise gekauft wurde. Freshfields-Anwalt Christian Druve sagte: „Wir haben keinen Beweis für einen Stimmenkauf, können ihn aber auch nicht vollständig ausschließen.“ Viereinhalb Monate stürzten sich die Ermittler in die Archive. 128.000 Mails wurden gesichtet, 740 Aktenordner gewälzt und 26 Personen befragt. Zu klären war unter anderem, wofür die 6,7 Millio- Die Aufklärung kostet eine Menge Geld Die Untersuchung des Skandals wird teuer für den Deutschen Fußball-Bund (DFB): „Die genauen Kosten lassen sich noch nicht beziffern, aber wir rechnen mit einem kleineren siebenstelligen Betrag“, sagte der designierte DFB-Präsident Reinhard Grindel. „Das ist natürlich viel Geld, aber die Untersuchung hat auch deshalb ihren Wert, weil es nicht nur um das Ansehen des DFB geht, sondern auch um das Ansehen unserer Mitglieder.“ Zudem gehe es auch um das Verhältnis zu den Sponsoren. Die Aufklärungsarbeit, die vor allem Zwanzigers Nachfolger Wolfgang Niersbach betrieb, muss ebenfalls als blamabel bezeichnet werden. Obwohl er schon frühzeitig von der dubiosen Zahlung erfuhr, informierte er nicht, wie in den Regularien vorgesehen, das übrige Präsidium, sondern stellte eigene Ermittlungen an. Es sei „nicht auszuschließen, dass frühere DFB-Mitarbeiter Akten nach ihrem Ausscheiden vernichtet haben“, schreibt Freshfields. Beckenbauer, Chef des WM-Organisationskomitees, lassen die Ermittlungen in keinem guten Licht erscheinen. Noch bevor Louis-Dreyfus sein Geld an die Fifa überwiesen habe, floss laut Bericht eine Zahlung von sechs Millionen Franken in vier Tranchen über das Konto einer Schweizer Kanzlei an die Bin-HammamFirma – und zwar von einem Konto Beckenbauers, auf das auch sein mittlerweile verstorbener Berater Robert Schwan Zugriff hatte. Dieses Geld wurde zurückerstattet, als das Louis-Dreyfus-Geld einging. Deklariert wurde es mit „Erwerb von TV- und Marketingrechten Asienspiele 2006“. Als ahnungsloser Handlanger, der unbesehen Zahlungsbelege abzeichnete, wird sich Beckenbauer nun nur noch schwerlich bezeichnen können. Siehe Kommentar und Seite 23 nd das war nun die große Aufklärung? Begierig hatte die Öffentlichkeit auf den Bericht der Kanzlei Freshfields gewartet, die seit viereinhalb Monaten die ominösen Vorgänge beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) untersuchte. Die Fakten waren rar. 6,7 Millionen Euro hatte der DFB – sorgsam verschleiert als Beitrag für eine Fifa-Gala – über den Weltverband zurück an den mittlerweile verstorbenen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus fließen lassen. Der hatte das Geld einst an die Fifa überwiesen, damit das Organisationskomitee für die Weltmeisterschaft 2006 einen Zuschuss in Höhe von 170 Millionen Euro bekam. Das Ganze ist so skurril, wie es sich anhört. Herausgefunden hat Freshfields wenig. Die 6,7 Millionen Euro sind an eine Firma geflossen, die Mohammed Bin Hammam gehört, damals Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees und Vorsitzender der Finanzkommission. Was der damit gemacht hat? Keine Ahnung. Auch der obskure Vertrag zwischen dem DFB und Jack Warner, dem karibischen Mafioso, bleibt rätselhaft. Sachwerte in Höhe von rund fünf Millionen Euro waren ihm kurz vor der WM-Vergabe versprochen worden. Der Vertrag kam wohl nicht voll zur Ausführung. Aber allein seine Existenz lässt tief blicken. Ebenso wie die Tatsache, dass beim DFB eine Akte mit der Bezeichnung „Fifa 2000“ verschwunden ist. Der Bericht gibt erschreckende Einblicke in eine Parallelwelt, die sich da unbemerkt breitgemacht hat. Eine Welt, in der gemauschelt, gedealt und geklüngelt wurde. Der Fisch mag vom Kopf her stinken, und dass die Fifa von den deutschen WM-Machern Geld erpresste, um Zuschüsse zu gewähren, mag Kern des Übels sein. Doch wie innerhalb des DFB mit den Vorfällen umgegangen wurde, ist ebenfalls bezeichnend. Der deutsche Verband, der immer schnell zugegen war, wenn es darum ging, die Welt über Rechtschaffenheit aufzuklären und mit Wonne auf die korrupte Fifa zu schimpfen, war selbst Teil des Systems. Dass der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach interne Nachforschungen anstellen ließ, statt sofort das Präsidium zu informieren, ist trauriger Beweis. Und auch auf die Lichtgestalt Franz Beckenbauer, die die Geldströme lenkte, ist ein Schatten gefallen. Die Amtsträger rund um den designierten DFB-Präsidenten Reinhard Grindel loben sich für die umfassende Aufklärung. Und in der Tat hat Freshfields gute Arbeit geleistet. Aber viele Fragen können auch durch die zeitliche Distanz zum Geschehenen nicht mehr beantwortet werden. Umso wichtiger ist es, nun die nötigen Schlüsse zu ziehen und den DFB neu aufzustellen. Auch, weil der Verband sich bald um die Europameisterschaft 2024 bewerben will. [email protected] STIL Schwärzester unter den Schwarzmalern Mailänder Mode für Vagabunden Der Künstler Anish Kapoor sichert sich den Zugriff auf das dunkelste Pigment, das es gibt Seite 31 A uf der Documenta in Kassel im Jahr 1992: Vor einem Betonkubus drängeln sich die Menschen. Im Inneren soll man in die Unterwelt hinabsteigen können. „Descent into Limbo“ heißt das Werk des damals gerade mit dem Turner-Preis ausgezeichneten Künstlers Anish Kapoor. Und tatsächlich, der Boden scheint sich aufzutun, ein unermesslich tiefes Loch gähnt den sich vorsichtig nähernden Besuchern entgegen. Ein Schwarzes Loch womöglich? DAX Im Plus Seite 19 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Punkte US-$ 9824,17 1,0970 Dow Jones 17.40 Uhr VON MARCUS WOELLER 17.021,90 Punkte +0,74% ↗ +0,63% ↗ +0,46% ↗ Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle Es war weder der Abstieg in die Hölle noch der Einstieg in ein Wurmloch – nur eine optische Täuschung. Eine kreisrunde Fläche äußerst matten, blauschwarzen Pigments gaukelte uns Sog, Tiefe und Abgründigkeit vor. Ein in seiner Einfachheit überwältigendes Kunstwerk eines Bildhauers, der unsere tradierten Seherfahrungen von Farben und Formen reizen und erweitern wollte. Der britische Künstler strebt seitdem nach finsterster Singularität. Und jetzt hat er einen Coup gelandet: Kapoor erwarb die Rechte an einem Pigment, das so schwarz ist wie kein Schwarz bisher. Schwarz ist schwarz, denkt man ja. Aber die totale Absorption aller Frequenzen des sichtbaren Lichts – die absolute, nichts mehr reflektierende Schwärze – ist vor allem blanke Theorie. In der Praxis tanzt immer mal ein Pigmentteilchen aus der Reihe. Mit derlei Störungen wollte sich Kapoor nicht länger zufriedengeben. Und fand mit der HightechFirma Surrey Nanosystems nun den Produzenten seiner Träume. „Vantablack“ heißt deren Pigment, das dunkler ist als jedes bis dato bekannte Schwarz. Es besteht aus KohlenstoffNanoröhrchen, die 99,96 Prozent des Lichts schlucken, das auf sie trifft. Die Lichtwellen werden darin so lange hin und her geworfen, bis sie es frustriert aufgeben, Licht zu sein, und vor lauter Verwirrung als Wärme abstrahlen. Dass Kapoor dieses Pigment nun als einziger Künstler exklusiv benutzen darf, sehen viele seiner Künstlerkollegen nicht ein. Darf eine Farbe monopolisiert werden? Yves Klein machte es vor und ließ 1960 sein berühmtes „IKB“ patentieren. Nun will Anish Kapoor eben schwärzer malen als alle anderen. Dass ausgerechnet ein Porträtmaler von Elizabeth II. mit ihren bonbonbunten Kostümen ihn dafür kritisiert, wird den von der Queen in den Ritterstand beförderten Kapoor nicht jucken. Eher kann man sich fragen: Was ist es eigentlich für eine Herausforderung für einen Künstler, das Absolute als Material verwenden zu können? Wer schon Schwarze Löcher als feinste Fiktion erschaffen hat, der sollte doch höhere Ziele haben. Kunst kann aus dem absoluten Nichts entstehen, aber umgekehrt? Was treibt Anish Kapoor? Ein Schwarzes Loch hat er schon erschaffen DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon 030/25910, Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon 0800 / 9 35 85 37 Fax 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] A 3,60 & / B 3,50 & / CH 5,20 CHF / CZ 105 CZK / CY 3,80 & / DK 28,00 DKR / E/P 3,60 & (Cont.) / I.C. 3,60 & / F 3,60 & / GB 3,30 GBP / GR 3,60 & / I 3,60 & /L 3,60 & / MLT 3,60 & / NL 3,60 & / PL 16,00 PLN + ISSN 0173-8437 55-9 ZKZ 7109
© Copyright 2024 ExpyDoc