Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Aus eigener Erfahrung Julijana Sokcevic betreut unbegleitete minderjährige Flüchtlinge In den 90er-Jahren war Julijana Sokcevic Bürgerkriegsflüchtling. Die Kroatin hat auch deswegen ein Gespür für die Gefühle von Menschen, die aus einem kriegsgeschüttelten Land kommen. „Ich bin glücklich, dass ich dabei bin“, sagt die 42-Jährige. Dass sie nun helfen kann und Menschen in Not unterstützen. „Die Problematik nach außen tragen, die Öffentlichkeit informieren und aufklären“, sieht sie als die wichtigste Aufgabe der vielen freiwilligen und professionellen Helfer. Immer wieder vermitteln, dass die Flüchtlinge keine Bedrohung sind. Im letzten Sommer ist sie als Flüchtlingsbetreuerin in einer Frankfurter Turnhalle eingestiegen, hat als pädagogische Fachkraft vor allem Deutschunterricht gegeben, als die ersten minderjährigen Ausländer in der Stadt eintrafen. Außerdem war sie am Aufbau eines strukturierten Systems beteiligt. „Professionalisierung muss stattfinden“, sagt Julijana Sokcevic überzeugt. Inzwischen arbeitet die Soziologin und Politikwissenschaftlerin, die ihren Bachelor mit den Schwerpunkten Migration und Integration gemacht hat, für das Deutsche Rote Kreuz. Ist Leiterin Betreuung in einer Schule, in der ausschließlich unbegleitete Minderjährige untergebracht sind. Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: F.Jaenicke Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Musik ohne Grenzen Der Syrische Flüchtlingschor „Zuflucht“ und Cornelia Lanz Immer wieder singen sie „Janna“, das arabische Paradieslied. Ihren Auftritt in „Die Anstalt“ im ZDF haben Millionen Menschen verfolgt. Seitdem sind sie in der gesamten Republik gefragt. „Das hat Wellen geschlagen und Bewegung in die Politik gebracht“, sagt die Sängerin Cornelia Lanz. Sie hat das Projekt Syrischer Flüchtlingschor „Zuflucht“ 2014 initiiert. Am Anfang hat sie dafür sogar vier Monate im Flüchtlingsheim im Kloster Oggelsbeuren (Kreis Biberach) gewohnt – gemeinsam Singen, Kochen, Essen. Das Team wächst. Geflohene Autoren, Schauspieler, Sänger aus Afghanistan und Irak sind inzwischen dabei. „Wir machen Oper mit Flüchtlingen“, erzählt Cornelia Lanz. Nach „Cosi fan tutte“ folgt nun „Zaide. Eine Flucht“ nach Mozarts Fragment. Eine Friedensoper mit geflohenen Künstlern, die Flucht aus dem eigenen Land thematisiert. In beide Richtungen, auch aus Deutschland in die arabische Kultur. Eine „Herzensangelegenheit“ sind Chor und Oper für die 34-Jährige geworden. Durch den in Stuttgart gegründeten Verein „Zuflucht Kultur e.V.“ steht das Projekt auf festen Füßen. Viele Künstler der ersten Stunde sind gut integriert, bei den Einladungskonzerten wird neben dem Paradieslied oft auch Beethovens Ode an die Freude angestimmt. Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Kaum gebraucht Polizeichefin Antje van der Heide ist vorbereitet Ja, sie könnte das alte Bild von der Polizei als Freund und Helfer bemühen. Antje van der Heide sieht sich und ihre Leute vornehmlich als Unterstützer. „Wir müssen uns auf die Bedürfnisse der Menschen einlassen, die zu uns kommen“, sagt die 46-jährige Leiterin der Polizeidirektion Hochtaunus. Annäherung ist ihr Stichwort, den Menschen, die aus Diktaturen kommen, eine positive Erfahrung mit Polizei bieten. In ihrem Bereich gibt es zwei große Notaufnahmelager mit 1 000 Flüchtlingen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. „Da kann die Stimmung schnell kippen“, so van der Heide. Sie und ihre Kollegen seien daher regelmäßig vor Ort und bieten Gespräche an. Konfliktsituationen sollen möglichst vermieden werden. Die Polizei ist gut vernetzt mit allen beteiligten Behörden. Die Polizeichefin ist „überrascht, wie wenig wir gebraucht werden“. Subjektive Ängste in der Bevölkerung, vor allem im Umfeld der Aufnahmeeinrichtungen, nimmt sie aber genauso ernst und will ihre Polizei auf „alle Eventualitäten vorbereiten, vom Brand bis zu Anfeindungen aus der Bevölkerung.“ Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Eine lange Zeit Sina Delavaran wartet auf die Entscheidung zu seinem Asylantrag „Was ist meine Schuld?“ Sina Delavaran stellt die gleiche Frage immer wieder. Sich und anderen. Dass er aus einem Kriegsland stammt? Dass er Afghane ist, der auch im Iran nie wirklich gelitten war? Dass er auf abenteuerlichen Wegen nach und quer durch Europa geflüchtet ist? Dass ihn die selbsternannten Wächter der Islamischen Revolution eingekerkert und geschlagen haben? Dass er in seiner neuen Welt zum Christentum konvertierte? Sina ist 37 und seit 27 Jahren auf der Flucht. Die Hoffnung auf ein besseres Leben wird er nie aufgeben. Auch wenn er wieder nur geduldet und nicht wirklich anerkannt ist. Nicht arbeiten darf, nach zwei Jahren in Deutschland immer noch ein Fremder in fremdem Land ist. Immerhin, einen Deutschkurs hat ihm die Caritas finanziert. Die Johannes-Gemeinde in Oberursel mit der theologischen Hochschule hat ihm erst Kirchenasyl gewährt, später hat er dort ein Zimmer bekommen, hat sich taufen lassen. Sina Delavaran hilft, wo er kann, bietet Dolmetscher-Dienste im Kirchentreff an. Er ist immer noch einer von ihnen. Wer bist du, was willst du, warum bist du hier? Er stellt diese Fragen und würde sie so gerne auch mal selbst hören. Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Unermüdlicher Einsatz Sandra Anker organisiert einen Treff für Flüchtlinge „Refugees welcome“ steht am Eingang des schlichten Gebäudes. In vier Sprachen werden die Ankömmlinge mit dem Satz „Ein Ort des Friedens und Respekts“ begrüßt. Als viele Flüchtlinge in die Kleinstadt Oberursel geschickt wurden, reagierte die katholische Gemeindereferentin Sandra Anker schnell. Im Pfarrheim Liebfrauen wurde der „Willkommens-Treff“ eingerichtet, in der Nachbargemeinde St. Hedwig eine Kleiderbörse. An fünf Tagen in der Woche ist beides geöffnet, der Andrang ist groß. Ehrenamtliche Helfer stemmen das mit viel persönlichem Einsatz. Das von Sandra Anker mitentwickelte Netzwerk Flüchtlingshilfe funktioniert, 46 Trägergruppen sind aktiv. Unter dem Kreuz im Gemeinderaum lernen junge Muslima mit Kopftuch Deutsch, die Stimmung ist freundlich. „Hier ist jeder willkommen“, sagt Sandra Anker, lächelnd – trotz zwölf Stunden Arbeit an sieben Tagen in der Woche. „Wir brauchen solche Orte jenseits der Unterkünfte in Sporthallen.“ Zwei Themen motivieren die 47-Jährige bei ihrem unermüdlichen Einsatz: Ihr Glaube und das damit verbundene „wertvolle Menschenbild“ und ihre Familiengeschichte. Vater und Mutter kamen als Flüchtlinge in ihre neue Heimat, aus Ostpreußen und aus dem Sudetenland. „Das prägt.“ Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: © Bundespolizei Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Mit den Augen eines Kindes Die Zeichnung eines syrischen Mädchens Ein Bild von Krieg und Frieden, das mehr erzählt als tausend Worte. Gemalt von einem etwa achtjährigen Mädchen, das mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet ist. In ein Land, wo es hofft, eine neue Heimat zu finden. Mit einer Polizei, die Schutz verheißt statt Schrecken und Tod. Das Bild des namenlosen Mädchens steht nicht nur für das Kind, das es gemalt hat, für ein Gesicht der großen Flucht. Es ist ein Symbol für das Leid tausender Flüchtlingskinder. Ein Polizist aus Duderstadt hat es in der Clearing-Stelle Passau von dem Kind geschenkt bekommen, auch sein Name ist hier nicht wichtig. Es hat ihn und seine Kollegen der Bundespolizei „berührt“ und „sprachlos“ gemacht, das ist wichtig. Auf Twitter veröffentlicht, machte es in den sozialen Netzwerken in Windeseile zigtausendfach die Runde. Und die meisten Empfänger ließ es für kurze Momente genauso sprachlos und betroffen zurück wie die Polizisten in Passau. Vielleicht auch verständnisvoller. Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Eine improvisierte Praxis Notärztin Barbara Müllerleile hilft in einem Notaufnahmelager „Mir hat's die Füße weggezogen.“ So beschreibt Barbara Müllerleile (65) ihren ersten Moment in einem Notaufnahmelager. Bis zu 600 Menschen in zwei miteinander verbundenen Sporthallen, Feldbett an Feldbett gereiht, keinerlei Privatsphäre. Auch nicht im notdürftig eingerichteten Arztraum mit zwei Pritschen, getrennt nur durch eine improvisierte spanische Wand, dazu Medikamente in Kisten und Plastikwannen. In dieser improvisierten Praxis empfängt die Medizinerin, die sonst als Notärztin an der Bergstraße unterwegs ist, ihre Patienten. Menschen aus Afghanistan, Syrien, Pakistan, oft Frauen mit kleinen Kindern, die kein Deutsch oder Englisch sprechen. Immer muss ein Dolmetscher dabei sein, die Kommunikation verläuft auf einfachster Ebene. Barbara Müllerleile macht das ehrenamtlich. Schreibt sich für zwei Stunden pro Woche in den Dienstplan ein, manchmal auch zweimal die Woche. Ihre Motivation? „Die Menschen brauchen Zuwendung, irgendwer muss doch helfen. Jeder kann im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen, ich kann halt Medizin.“ Barbara Müllerleile bekennt sich zur Wir-schaffen-das-Fraktion. „Deutschland ist ein reiches Land, das können wir uns leisten.“ Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: Ragnar Schmuck Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Paten und Geldgeber Martin Keune und die Berliner Flüchtlingspaten „Unser Engagement wächst uns erfreulich über den Kopf“, sagt Martin Keune. Einen humanen Weg, Angehörige von syrischen Flüchtlingen nach Deutschland zu holen, hatten er und seine Mitstreiter im Frühjahr 2015 gesucht und dabei eine Nische aufgetan. Die Berliner Ausländerbehörde genehmigt den Nachzug von engen Familienmitgliedern, wenn sie einen Verpflichtungsgeber haben, der eine Verpflichtungserklärung unterschreibt. Menschen wie Martin Keune übernehmen die Kosten für deren Lebensunterhalt, eine unwiderrufliche Verpflichtung auf Lebenszeit. „Keiner mit Verstand würde das unterschreiben“, so der 56-jährige Werbefachmann, der für zwei Syrer unterschrieben hat. Daher der Verein der Flüchtlingspaten. Über ihn werden die Verpflichtungsgeber finanziert. Rund 1 200 Paten wurden bundesweit gewonnen, sie spenden monatlich mindestens 10 Euro, rund 31 000 Euro fließen so in die Vereinskasse. Bis Jahresende 2015 wird der Verein 64 Angehörige von Flüchtlingen ins Land geholt haben, sie dürfen sofort einer Arbeit nachgehen. Auch dabei unterstützen die Flüchtlingspaten, sie vermitteln Deutschkurse und haben ein medizinisches Netzwerk aufgebaut. Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: O. Szekely Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Bildung gegen Isolation Timur Beygo ist „Teacher on the road“ Timur Beygos Philosophie ist klar: Der Zugang zu Bildung muss frei und umsonst sein. Sein Motto, sein politisches Verständnis, seine Linie, seit er kurz nach dem Abitur erstmals als Nachhilfelehrer aktiv war. Ohne Bezahlung. Jetzt ist er seit 14 Monaten für die „Teachers on the road“ unterwegs, gibt Flüchtlingen Deutschunterricht, ehrenamtlich wie all die anderen Teacher auch. Allein in Frankfurt und Offenbach sind es inzwischen 250 Mitstreiter, jeden Tag werden rund 200 Flüchtlinge unterrichtet. Timur Beygo (38) kümmert sich auch um die Organisation, fast täglich ist er deswegen im Frankfurter IG-Metall-Haus zu finden, einem wichtigen Stützpunkt der Initiative im „Netzwerk konkrete Solidarität“. Ziel der Sprachkurse ist es, die Isolation der Flüchtlinge zu durchbrechen, gesellschaftliche Teilhabe durch regelmäßigen Deutschunterricht zu ermöglichen. „Jeder kann kommen, wir sind offen für alle, nehmen alle“, sagt der Philosophie- und Mathematikstudent mit türkischen Wurzeln. Als sein Vater nach Deutschland kam, durfte er nicht studieren, was er wollte. Das hat Timo sensibilisiert und politisiert. Vorheriges Bild Nächstes Bild Zurück zum Artikel Foto: Ragnar Schmuck Galeriebilder zum Artikel „Gesichter der Flucht“. Eine neue Heimat Sibylle Ott-Kohm hat Rezwan Rahimy aus Afghanistan aufgenommen Es ist eine Geschichte von Glück und Zufall. Dass Rezwan Rahimy (20) aus dem afghanischen Baghlan im richtigen Moment auf Sibylle Ott-Kohm gestoßen ist. Zehn Nächte hatte der junge Mann im Freien geschlafen, weil das Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Berlin völlig überlaufen war. Die Klavierlehrerin Ott-Kohm (56) und ihr Mann nahmen Rezwan auf in ihre Vier-ZimmerWohnung in Schöneberg. „Es ist doch genug Platz nach dem Auszug der erwachsenen Kinder“, sagt Sibylle Ott-Kohm. „Jeder muss ein bisschen teilen, dann ist das auch eine Chance für Deutschland.“ Rezwan hat in seiner Heimat Taliban-Attacken und bei seiner sechswöchigen Flucht eine Schießerei an der pakistanisch-iranischen Grenze überlebt. In Berlin fühlt er sich sicher. Sein wichtigstes Papier, die „Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens“, trägt er als Kopie immer bei sich. Auf einen erfolgreichen Asylantrag hofft auch Sibylle Ott-Kohm. „Rezwan ist eine Bereicherung, er kann gerne bei uns bleiben“, sagt sie. Cello spielen würde er gern – und Zahnarzt werden. Sibylle und Matthias Ott-Kohm möchten ihm helfen, sich diesen Traum zu erfüllen. 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