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LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
MYANMAR
DR. NORBERT ESCHBORN
0 4 . März 2016
www.kas.de/myanmar
„Auf Mandela hoffen, auf Thaksin
vorbereiten“ – Myanmars politische Zukunft?
Drei Monate nach den ersten freien Parlamentswahlen binnen 25 Jahren ist die politische Landschaft Myanmars in Bewegung geraten: schon am 10. statt wie ursprünglich
geplant am 17. März wird das Unionsparlament in der Hauptstadt Naypyidaw Kandidaten für das Präsidentenamt benennen. Das neue Staatsoberhaupt soll am 1. April sein
Amt antreten. Auch wenn große Teile der Welt die Transition des Landes hin zu mehr
Demokratie in den vergangenen fünf Jahren mit großer Aufmerksamkeit und Sympathie
für die Lichtgestalt der myanmarischen Opposition, Aung San Suu Kyi, verfolgt haben,
wird die Friedensnobelpreisträgerin – zumindest vorerst - nicht in den Präsidentenpalast einziehen können.
In der Presse des Landes waren in dieser
sowie der vom Militär gestellten Staatsfüh-
Woche Fotos einer verbissenen, um nicht zu
rung auf der anderen Seite gegeben. Dabei
sagen: bitter schauenden Aung San Suu Kyi
war u.a. sondiert worden, ob und inwieweit
im Parlament zu sehen. Die Vorsitzende der
das alte Regime bereit gewesen wäre, ent-
Nationalen Liga für Demokratie (NLD), bis
weder den kritischen Verfassungsartikel
dato wichtigste Oppositionspartei des Lan-
auszusetzen oder so zu verändern, dass
des, die bei den Parlamentswahlen vom 08.
dieses Hindernis für Aung San Suu Kyi auf
November 2015 einen überragenden Sieg
ihrem Weg an die Spitze des Staates hätte
errungen hatte, musste sich eingestehen,
überwunden werden können. Diese Hoff-
dass sie eines ihrer wichtigsten Ziele nicht
nung hat sich eindrucksvoll nicht erfüllt: die
erreichen wird: die Wahl zum nächsten
lokalen Medien berichten von Verhandlun-
Staatsoberhaupt.
gen, die in einer Sackgasse geendet seien,
symbolisiert durch ein spannungsgeladenes
Unüberwindlich: die Hürde der Verfassung
Zusammentreffen der NLD mit dem allmächtigen Oberbefehlshaber des Militärs,
Es ist allgemein bekannt, dass die unter
General Min Aung Hlain, am 17. Februar,
nicht demokratischen Umständen zustande
das ergebnislos geendet habe.
gekommene, gegenwärtig geltende Verfassung des Landes aus dem Jahr 2008 im Ar-
Auch außerhalb der offiziellen politischen
tikel 59 (f) den Grund für diese nicht völlig
Zirkel machte sich Widerstand gegen ein
überraschende Entwicklung liefert: Die bei-
Abrücken von Artikel 59 (f) bemerkbar: Im
den Söhne Suu Kyis sind britische Staats-
Februar kam es widerholt zu öffentlichen
bürger, womit sie die Verfassungsvorgabe
Demonstrationen nationalistischer Gruppen,
nicht erfüllt, wonach Kinder von Präsident-
die als dem alten Regime verbunden gelten
schaftskandidaten „keiner ausländischen
dürfen und sich öffentlich gegen eine wie
Macht zur Treue verpflichtet“ sein dürfen.
auch immer gestaltete Reform des Verfassungsartikels aussprachen. Dabei themati-
Gleichwohl hatte es, offensichtlich motiviert
sierten sie ganz offen die Gefahr eines Mili-
durch das Ausmaß des NLD-Wahlsiegs, in
tärputsches: die Streitkräfte, so diese Grup-
den letzten Wochen und Monaten Gespräche
pen, würden ein Abweichen von dem ver-
zwischen der Parteiführung auf der einen
fassungsmäßigen Prozess der Wahl des
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Staatsoberhaupts nicht tolerieren. Der In-
wären Spannungen mit der Parlamentsfrak-
formationsminister der alten Regierung
tion der NLD und ihrer Führerin sowie auch
setzte noch etwas darauf, als er den Söhnen
NLD-interne Schismen wohl unvermeidlich.
der Suu Kyis über die myanmarischen MediDR. NORBERT ESCHBORN
en empfahl, sich um die Staatsbürgerschaft
Was wird aus der „Lady“?
des Landes zu bemühen. Mit Blick auf die
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Hintergründe des Verfassungsartikels muss-
Die Frage nach der künftigen Rolle Suu Ky-
te die Äußerung zu einer vorhersehbaren,
is, wenn sie nicht selbst Staatschefin wer-
erheblichen Verstimmung der NLD führen.
den könnte, beherrschte die öffentliche Debatte Myanmars in den vergangenen Tagen.
Ein Marionettenpräsident?
Während NLD-Granden nicht müde wurden
zu betonen, ihre Parteivorsitzende werde
Die als sehr machtbewusst geltende Partei-
„früher oder später“ schon noch Präsidentin,
chefin der NLD hatte dieses Ergebnis als ei-
wird die Belastbarkeit solcher Aussagen zu-
ne ihrer Optionen durchaus einkalkuliert.
sehends geringer. Denn es ist nicht abseh-
Schon vor längerer Zeit ließ sie verlauten,
bar, ob und wann ein Verfassungsreform-
dass, sofern sie selbst nicht zum Zug kom-
prozess, der diesen Schritt ermöglichen
me, sie durch eine von ihr zu benennende
würde, überhaupt in Gang kommt ange-
Person ihres Vertrauens im Präsidentenamt
sichts der zahlreichen, von der neuen Re-
regieren werde; dabei behalte sie sich in
gierung zu lösenden anderen Probleme.
allen zentralen Fragen eine informelle „letzt-
Dies vor dem Hintergrund, dass die Frie-
instanzliche“ Entscheidungsbefugnis vor.
densnobelpreisträgerin in diesem Jahr ihrem
Dieses „Outsourcing“ der Präsidentschaft
71. Geburtstag entgegenstrebt.
sowie die Aussicht eines extrakonstitutionellen quasi-Verfassungsorgans führten zu ei-
Spekuliert wurde daher u.a., ob Suu Kyi
ner breiten Debatte in den Medien. Zu un-
sich für ein anderes Regierungsamt bereit-
vorstellbar, zu impraktikabel und zu un-
hält – das der Außenministerin. Dieses Res-
rechtmäßig erschien diese Option. Gleich-
sort berechtigt zur Mitgliedschaft in dem
wohl kann kein Zweifel daran bestehen,
Verfassungsorgan Nationaler Verteidigungs-
dass die überwältigende Mehrheit der Be-
und Sicherheitsrat, der insbesondere in
völkerung Aung San Suu Kyi als Staats-
Phasen des Notstands eine besondere Rolle
oberhaupt möchte: Nur so und nicht anders
spielt. Allerdings würde die Übernahme ei-
ist die hohe Zustimmung zur NLD bei den
nes Regierungsamts auch bedeuten, dass
Parlamentswahlen zu erklären. Sicher ist
die NLD-Vorsitzende sowohl ihr Parteiamt
auch, dass die Frage der Staatsangehörig-
als auch ihr Parlamentsmandat niederlegen
keit der Söhne der „Lady“ bei der Bevölke-
müsste und damit von den politischen Ent-
rung von zweitrangiger Bedeutung ist.
scheidungsprozessen und ihrer Hausmacht
praktisch abgeschnitten sein würde. Ein ho-
Dennoch wird mit Spannung erwartet, wer
her Preis für diese derzeit außergewöhnlich
von der mit Abstand größten Parlaments-
mächtige Frau, die keinen Wunsch zu hegen
fraktion als Kandidat/-in für das Amt des
pflegt, als reine Repräsentationsfigur aufzu-
Staatsoberhaupts nominiert werden wird.
treten. Wie auch immer: Das größte Hin-
Spekulationen zufolge steht die Person be-
dernis, die Dinge zum Laufen zu bekom-
reits fest, ihr Name werde aber noch ge-
men, seien Aung San Suu Kyis „Eitelkeit
heim gehalten. Wer auch immer es sein
und Stolz“, ließ sich der politische Kommen-
wird: es stellt sich die Frage, ob es sich da-
tator U Khin Zaw Win vernehmen.
bei um eine Persönlichkeit handeln wird, die
Aung San Suu Kyi entweder dermaßen er-
Die Angst vor den „zwei Regierungen“
geben sein wird, dass der Präsident bzw. die
Präsidentin nurmehr Erfüllungsgehilfe sein
Es fällt nicht schwer, derzeit in der veröf-
würde oder ob sich die- bzw. derjenige auf
fentlichten Meinung Myanmars, aber auch in
die Befugnisse des Amtes besinnt und sich
Gesprächen mit Menschen unterschiedlicher
zutraut, eine eigenständige Rolle im Gefüge
sozialer Herkunft die dominierenden Einstel-
der Institutionen zu spielen. Dann allerdings
lungen auszumachen: einerseits eine noch
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immer spürbare Aufbruchsstimmung, inspi-
hinweg u.a. mit Berufung auf die Verfas-
riert durch das eindeutige Wahlergebnis des
sung von 2008.
vergangenen Novembers und die damit verbundene Hoffnung auf baldige, umfassende
Aber auch heute konnten sich beide Seiten
Verbesserung der Lebensbedingungen; an-
bisher nicht einmal über das protokollari-
dererseits eine insbesondere bei Personen
sche Prozedere der Machtübergabe einigen.
mit höherer Bildung festzustellende, tiefe
Die ausgehende Regierung präferiert eine
Besorgnis über die Zukunft des Landes, die
Zeremonie im Präsidentenpalast; die über-
ihre Wurzel in der Unsicherheit darüber hat,
nehmende NLD besteht auf einer Übergabe
wo künftig das Machtzentrum Myanmars
im Rahmen des Parlaments. Allein dadurch
verortet sein wird. Dabei wird deutlich, dass
werden die unterschiedlichen Denkweisen
bei aller Euphorie über den NLD-Sieg ein
und Standpunkte deutlich. Der Streit zieht
Realismus dahingehend überwiegt, dass das
sich nach Medienberichten schon einige Wo-
Militär als Machtfaktor auf Dauer aus dem
chen hin, weshalb Suu Kyi mit den Worten
politischen System Myanmars nicht ver-
zitiert wird, Myanmar sei weltweit führend
schwinden wird. Ganz praktisch könnte dies
bei der Länge der Transitionen.
bedeuten, dass sich nicht nur förmlichinstitutionell, sondern auch machtpolitisch
Unerfahrenheit und der Druck der Erwar-
neue Probleme ergeben, wer letzten Endes
tungen
das Sagen hat: die von einer Partei dominierte Legislative? Die inoffizielle Führerin
Allerdings gibt es nicht nur eine Transition,
der Nation, die charismatische Aung San
sondern gleich mehrere und dies in Berei-
Suu Kyi? Oder doch die Eliten der ausge-
chen, in denen die Akteure kaum Erfahrung
henden Ära, die, begünstigt durch den zent-
haben. Betroffen ist auch das Militär, das
ralistischen Staatsaufbau und die Besetzung
zwar mit 25 Prozent der Parlamentsabge-
nahezu sämtlicher Verwaltungseinheiten
ordneten eine verfassungsgesicherte
durch Angehörige des mächtigen „General
Sperrminorität hält, die verlässlich ist, weil
Administration Department“ (GAD), auch
seine Abgeordneten ausschließlich vom
mit oder trotz NLD-Ministern in fast allen
Oberbefehlshaber ernannt werden und das
Ressorts noch immer zum „Durchregieren“
mit den drei Schlüsselministerien Verteidi-
im top-down-Stil imstande wären?
gung, Inneres und Grenzsicherung zentrale
Die Herausforderung des Übergangs
Streitkräfte früher oder später eine neue
Ressorts besetzt. Jedoch werden auch die
Rolle für sich finden müssen, was nach
Myanmar hat historisch gesehen keine Er-
Jahrzehnten an der Macht nicht unproble-
fahrung beim friedlichen Übergang von ei-
matisch sein dürfte.
ner politischen Ordnung in eine andere.
Schon im 20. Jahrhundert, in dem das
Große Erwartungen der Welt lasten auf der
frühere Burma seine Unabhängigkeit erlang-
neuen Regierungspartei. Gleichwohl ist die
te, gab es keine friedlichen Machttransfers.
Regierungsfähigkeit der NLD ein weiteres
Auch dem „Gründer der Nation“, General
großes Fragezeichen. Der überragende
Aung San, wurde die Übernahme der
Wahlsieg war nur ein erster Schritt hin zum
Staatsführung durch seinen gewaltsamen
politischen Wandel des Landes. Die Partei,
Tod verwehrt. Seiner Tochter Aung San Suu
die Myanmar lange unter schwersten Belas-
Kyi wurde der Weg zur Macht schon einmal
tungen als Opposition gedient hat, verfügt
gewaltsam versperrt: nach den vom Militär
deshalb nicht über Erfahrung im Umgang
nicht anerkannten Wahlen von 1990. 25
mit der Macht und ebenso wenig über aus-
Jahre später stellt sich die Situation zwar
reichende, qualifizierte Personalressourcen.
anders dar, denn nicht nur verleiht der hohe
Die programmatischen Aussagen der NLD
Wahlsieg der NLD, wie schon 1990, beson-
zu wichtigen Themen waren nach überein-
dere Legitimität. Diesmal war das Militär
stimmender Beurteilung in- und ausländi-
gezielt an dem allmählichen Übergang be-
scher Beobachter ebenfalls eher dünn, bei
teiligt und steuerte den Prozess über Jahre
vielen relevanten Fragen erst gar nicht vorhanden.
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Zudem bleibt die Partei in erheblichem Maß
sichts des überzeugenden Mandats der Be-
abhängig von der Person Aung San Suu Ky-
völkerung für die NLD. Die Rahmenbedin-
is, die die NLD mit einer für westliche Maß-
gungen für die neue Regierungspartei sind
stäbe außergewöhnlichen Strenge, um nicht
schwieriger als es sich die westliche Welt
zu sagen: nahezu autoritär führt. Die neu-
mit ihrem überaus positiven Bild Aung San
gewählten Parlamentsabgeordneten muss-
Suu Kyis derzeit noch vorzustellen imstande
ten beispielsweise akzeptieren, ein Viertel
ist.
ihrer monatlichen Diäten an die Parteikasse
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abzuführen. Damit liegt der Verdienst der
Die der „Lady“ zugedachte Rolle als eini-
Parlamentarier (die etwa 800 US-Dollar
gende Persönlichkeit der ganzen Nation wird
brutto pro Monat verdienen) etwa auf dem
sie nur erfüllen können, wenn sie eigene
Niveau von einheimischen Fahrern bei west-
Ambitionen hinter die Bedürfnisse ihres
lichen Botschaften in Rangun. Inwieweit
Landes zurückstellt. Ansonsten scheint nicht
dies die NLD-Abgeordneten für Korruption
ausgeschlossen, was in Kreisen westlicher
anfälliger macht, bleibt abzuwarten.
Beobachter als politische Zukunft Myanmars
so beschrieben wird: „Auf Mandela hoffen,
Wie auch immer: die fachlichen und morali-
auf Thaksin vorbereiten“. Die Kontrastie-
schen Anforderungen der Parteivorsitzenden
rung des charismatischen südafrikanischen
an ihre Mandatsträger sind hoch, und wer
Nationalhelden, der unter großen persönli-
ihnen nicht entspricht, hat mit Konsequen-
chen Opfern eine Führungsrolle im ehemali-
zen zu rechnen, so Aung San Suu Kyi öf-
gen Apartheid-Staat übernommen hatte und
fentlich. Die Abgeordneten sind aber nicht
diese weitsichtig gestaltend ausfüllte, mit
nur finanziell schlecht ausgestattet, sondern
dem einst als Hoffnungsträger geltenden,
verfügen weder über Personal noch ver-
letztlich aber extrem polarisierenden ehe-
nünftige Büros in der Hauptstadt. Der Zu-
maligen thailändischen Premierminister, der
gang zu ihnen wird schon jetzt penibel von
sich sehenden Auges in einen nicht zu ge-
der Parteiführung kontrolliert, denn sie kön-
winnenden Konflikt mit den alten Eliten sei-
nen nicht alles selbstständig entscheiden,
nes Landes stürzte, weggeputscht wurde
sondern das NLD-Zentralkomitee bestimmt
und eine bis heute tief gespaltene Gesell-
z.B., welcher Parlamentarier die Partei bei
schaft hinterließ, die von einem Militärre-
Veranstaltungen ausländischer Organisatio-
gime geführt wird, ist auf den ersten Blick
nen vertritt.
erschreckend. Unwahrscheinlich ist sie für
Myanmar aber nicht, sofern die Verantwort-
Ungeachtet des enormen internationalen
lichen in den kommenden Monaten nicht
Vertrauensvorschusses, den die NLD und
weitsichtig und uneigennützig handeln.
insbesondere Aung San Suu Kyi genießen,
dürfte es ihnen schwerfallen, eines der
größten Hindernisse für Myanmars künftige
ökonomische Entwicklung schnell zu beseitigen, nämlich die vielfältigen Sanktionen
der Vereinigten Staaten. Presseberichten
zufolge sehen amerikanische Experten keine
schnelle Lösung in dieser Frage, zumindest
nicht im Jahr 2016. Das Wahljahr in Amerika und nach wie vor bei politischen Entscheidungsträgern in Washington bestehende Bedenken hinsichtlich des künftigen Kurses Myanmars stünden dem entgegen.
Fazit
Angesichts der anstehenden Probleme
scheint die unmittelbare politische Zukunft
Myanmars unsicherer als erwartet ange-