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Jung, männlich, wohnungslos - Zwangsräumungen | Manuskript
Jung, männlich, wohnungslos – Zwangsräumungen
Bericht: Knud Vetten
Gerichtsvollzieher Rolf Süssmann auf dem Weg zur ersten Zwangsräumung am heutigen Tag.
Treffen mit einem Schlüsseldienst und den Vertretern des Vermieters. Wir sind in Freital. Ein
junger Mann im Untergeschoss hat monatelang keine Miete gezahlt und nun soll er geräumt
werden.
„Öffnen Sie bitte.“
David E. scheint nicht zu Hause zu sein. Doch noch bevor der Schlüsseldienst den Weg frei
macht – die Überraschung.
„Was ist denn hier los?“
„Herr E., Süssmann, Gerichtsvollzieher!“
„Ist das nicht morgen erst?“
„Nee. Heute.“
E: Heute schon?
S: Jetzt in dem Augenblick. Also, ganz schnell, die persönlichen Sachen, ganz schnell und
dann raus!“
Der 29-Jährige erklärt, er habe mit dem Gerichtsvollzieher erst morgen gerechnet.
Rolf Süssmann
„Hier ist noch alles voll. Wie hätte der das bis morgen räumen können. Ist immer wieder
eine Ausrede.“
Der Schuldner ist nicht allein, hat Besuch von einer Freundin. Die Beiden wollen wissen, was
mit den Sachen passiert, die sie nicht gleich mitnehmen können.
Das wird weggeschmissen, Sie haben eineinhalb Monate Zeit gehabt.“
„Wo kommen sie dann bis dahin hin?“
„Müssten Sie mit dem Vermieter ausmachen. Es ist ein Berliner Modell. Das bedeutet, was
hier drin steht, da macht der Vermieter Pfandrecht geltend und damit war es das.“
Um die Situation zu entspannen, gibt Rolf Süssmann dem jungen Mann gut 20 Minuten Zeit
alles Mögliche zusammen zu packen. Ein Zugeständnis - rein rechtlich hätte er das nicht tun
müssen.
„Mach los hier, das Ding weg, Alter.“
Der junge Mann bleibt gereizt: Auch bei der Freundin des Schuldners fruchtet die Taktik der
Deeskalation nicht:
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Jung, männlich, wohnungslos - Zwangsräumungen | Manuskript
Frau und Rolf Süssmann
„Was ist denn los?“
„Die Wohnung gehört Ihnen doch gar nicht.“
„Soll ich mal zu Ihnen nach Hause kommen? Was soll denn das ?
„Wohnen Sie hier?
„Nein!“
„Dann gehen Sie doch raus! Dann hat es sich!“
„Sie können mal aus dem Weg gehen oder so.“
„Oder da hinten raus.“
Im Haus soll es häufig mit David E. und seinen Freunden Ärger gegeben haben. Wir treffen
die direkte Nachbarin, die sich seit Jahren gestört fühlt.
Nadja Müller
„Immer diese rechtsextremistische Musik. Ganze Nacht. Ich hatte keinen Schlaf. Sie sehen,
wie ich aufgeregt bin. Das ist das Ergebnis von vier Jahren dieser Terror. Danke.“
Vor gut eineinhalb Monaten hat Rolf Süssmann den Schuldner besucht, die Zwangsräumung
angekündigt und dann den Termin noch einmal schriftlich zugesandt. Doch für David E.
waren andere Dinge wichtiger.
Rolf Süssmann, Gerichtsvollzieher
„Seine Mittel zum Konsumieren von Crystal Meth, die hat er schon verpackt gehabt und
schnell rausgebracht. So habe ich ihn beim letzten Mal auch gesehen, da lag er hier, hat
sich auch nicht groß rühren können, die Tür war offen.“
David E. wird gerade wohnungslos. Mit seinem früheren Leben scheint er nun völlig
gebrochen zu haben. Ein Fall, von vielen tausend anderen allein in Sachsen. Er gehört zu
einer Bevölkerungsgruppe mit besonders hohem Risiko: Jung und männlich.
Termin bei der Diakonie. Hier heißt es, die Zahlen der Wohnungslosen haben sich in den
letzten zehn Jahren verdoppelt. Mit schlechten Chancen für Betroffene. Denn preiswerten
Wohnraum gibt es immer weniger. Es falle auf, dass es immer häufiger jüngere Menschen
trifft.
Rotraud Kießling, Diakonie Sachsen
„Festzustellen ist, dass jüngere Menschen 18-35 Jahren im Verhältnis zur
Gesamtbevölkerung ein höheres Risiko haben statistisch gesehen doppelt so hoch als die
Menschen über 35.“
Wie viele tausend Menschen im Freistaat jährlich auf der Straße landen, weiß niemand.
Folglich kennt die Politik nicht einmal das Ausmaß des Problems.
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Jung, männlich, wohnungslos - Zwangsräumungen | Manuskript
Rotraud Kießling, Diakonie Sachsen
„Das Wort des Blindflugs ist passend in dem Falle, weil man kann nicht mal irgendwelche
Pläne oder sehen, was man machen will, wenn man nicht einmal erhebt, wie ist denn die
Situation. Und das fehlt komplett.“
Die Diakonie fordert die Erhebung genauer Daten, um danach den sozialen Wohnungsbau
auszurichten. Doch bisher gibt es dazu aus der Politik nur Ankündigungen.
Auch die zweite Zwangsräumung von Rolf Süssmann an diesem Tag hat ein junger Mann
verursacht. Auch er hat Mietschulden angehäuft. Der Briefkasten - voller Probleme.
Rolf Süssmann, Gerichtsvollzieher
„OWI-Sachen, Strafbefehle. Das ist voll gepresst. Könnten Sie dann noch den Briefkasten
öffnen. Ich will den nicht aufbiegen, der sieht sowieso schon so demoliert aus. Es ist auch
relativ gefährlich, wenn solche Briefe zum Beispiel drin sind, die werden rechtskräftig,
ohne dass er sich verwehren kann.“
Zur Räumung ist auch der Wohnungseigentümer gekommen. Jörg Franke hat auf diesen Tag
mehr als ein Dreivierteljahr gewartet. Nun soll der Schaden gering gehalten werden.
Jörg Franke
„Ich wollte die Tür erhalten.
„Wenn ich das Ding schlitze, dann ist die Türe völlig im Arsch.“ „Prima. Wird es halt ein
bisschen teurer.“
Seit Januar dieses Jahres hat Jörg Franke keine Miete mehr gesehen.
Rolf Süssmann, Gerichtsvollzieher
„Oh, sehr schön, wie man es sich gedacht und vorgestellt hat. So, da gehen wir noch einmal
hier rein. Ja, sehr schön.“
Jetzt hat der Vermieter die Nase richtig voll.
„Guck Dir das an. Oh nee.“
Jörg Franke erzählt uns die Vorgeschichte: Das Jobcenter hatte Anfang des Jahres Harz-IV und
Miet-Zahlungen eingestellt.
Jörg Franke
„Die haben dann gesagt, dass er irgendwo im Gefängnis sitzt. Dann bin ich zu meinem
Anwalt gegangen und der hat gesagt, wir müssen den jetzt rausklagen. Das Problem ist, bis
man einen Gerichtstermin hat, hier in Deutschland, bis das so hin und her geht, da braucht
man, da tut man, das muss man alles bezahlen, in Vorleistung gehen.“
Jörg Franke musste sich also einen Titel holen, damit er in seine eigene Wohnung kommt.
Obwohl der Mieter im Gefängnis sitzt.
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Bilanz: Neun Monate keine Mieteinnahmen. Jetzt muss Jörg Franke den Müll entsorgen,
dann darf er renovieren. Übrigens: Die Post des Schuldners muss er noch einige Monate für
ihn aufheben.
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