Zwischen Elitenförderung und Inklusion „mit Augenmaß“ - Das Wahlprogramm der AfD in Rheinland-Pfalz Von Theresa Singer Am 13. März 2016 wählen drei Bundesländer einen neuen Landtag. Nach den Erfolgen in Sachsen, Thüringen und Bremen will die Alternative für Deutschland auch in die Landtage von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und ab Herbst schließlich auch in Mecklenburg-Vorpommern einziehen. Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung hat die Wahlprogramme auf Inhalte, Aufbau der Themen, Sprachverwendung und Rhetorik untersucht. Die Analysen sollen helfen, die vereinfachenden und unterkomplexen Aussagen der AfD und deren diskriminierenden Inhalte als solche zu erkennen. Den Wähler_innen in Rheinland-Pfalz bietet sich bei den kommenden Landtagswahlen ein breites Spektrum an rechtspopulistisch bis rechtsextremen Parteien zur Wahl an. Neben der AfD konkurrieren Bernd Luckes ALFA, „Der Dritte Weg“, REP und NPD um Stimmen am rechten Rand. Umfragen zufolge hat nur die AfD Chancen auf den Einzug in den Landtag. Laut neuen „infratest dimap“ Wahlumfragen ist sie derzeit mit 8,5 Prozent drittstärkste Kraft im Bundesland1. AfD-Spitzenkandidat ist der Bundeswehroffizier Uwe Junge. Junge war über 30 Jahre lang Mitglied der CDU. Vor seinem Beitritt zur AfD war er allerdings Mitglied der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“, die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bei öffentlichen Auftritten gibt sich Junge betont moderat und distanziert sich etwa von den rassistischen Parolen seines Parteikollegen Björn Höcke. Auch wenn sich Junge bislang nicht offen fremdenfeindlich gezeigt hat, kann auch er polemisch bis aggressive Töne anschlagen. In Wahlkampfveranstaltungen bringen ihm vor allem die subtil islamfeindlichen Aussagen viel Applaus ein.2 Das Wahlprogramm in Rheinland-Pfalz fällt im Vergleich zu den Programmen der Landesverbände in ostdeutschen Bundesländern gemäßigt aus. Auch im Vergleich zu BadenWürttemberg tritt die AfD in Rheinland-Pfalz zurückhaltender auf. Direkte Demokratie – zwei Seiten einer Medaille Wie in anderen Bundesländern, setzt sich die AfD in Rheinland-Pfalz scheinbar für mehr demokratische Mitbestimmung ein. Das Thema direkte Demokratie wird – wie in BadenWürttemberg - an erster Stelle im Wahlprogramm verhandelt. So sollen Volksabstimmungen für „echte Meinungsfreiheit“3 sorgen. Das zum Kampfwort der Rechten mutierte Schlagwort 1 http://www.wahlumfrage.de/wahlumfrage-zur-landtagswahl-2016-rheinland-pfalz-22-02-16/ Die AfD fordert Sachlichkeit und sät Propaganda: Uwe Junge bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ludwigshafen am 14.Dezember 2015 http://www.rheinneckarblog.de/14/propaganda-gegen-propaganda/86677.html , aufgerufen am25.02.2016 3 S. 5 2 „Political Correctness“ wird von der Partei als Meinungszensur verstanden. Die AfD meint, dass aus einer „Volksherrschaft in vieler Hinsicht eine Parteienherrschaft geworden“4 sei und stilisiert sich zur Anwältin des „Volkes“. Man fühle sich gegängelt, nicht aussprechen zu dürfen, was man denkt und müsse sich dem Willen der „Parteienherrschaft“ unterordnen. Deshalb fordert die AfD „Volksentscheide auf der Bundesebene und der europäischen Ebene“5. Warum die Möglichkeiten von Volksabstimmungen auf Bundesebene begrenzt sind, ist historisch begründet. In der Weimarer Republik wurden direkt-demokratische Elemente in der Verfassung zur Spielwiese für Hetze und Populismus. Auch heute noch können Volksabstimmungen eine Gefahr für die Demokratie sein, wenn sie genutzt werden, um Ängste zu schüren, die Gesellschaft zu spalten und Minderheitenrechte einzuschränken. Wenn die AfD die Hürden für Volksinitiativen und Volksbegehren herabsetzen möchte, stellt sie ihren Wähler_innen in Aussicht, aktiv an politischen Entscheidungen teilzuhaben. Sie ermöglicht aber auch einer Mehrheit, die Rechte von Minderheiten zu unterdrücken. Das zeigt sich schablonenhaft am per Volksentscheid beschlossenen Minarett-Verbot in der Schweiz. Vater, Mutter und viele, viele Kinder „Die AfD-Rheinland Pfalz bekennt sich klar zum Leitbild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern. […] Andere Formen menschlichen Zusammenlebens, die keinen reproduktiven Beitrag zum Erhalt unseres Landes leisten, verdienen Toleranz und Respekt, nicht aber staatliche Förderung.“6 Die AfD positioniert sich somit klar gegen die „Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe“ und ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Zudem vertritt die Partei die Auffassung, die „demographischen Probleme Deutschlands [ließen] sich nicht durch Zuwanderung lösen, sondern durch kinderreiche Familien.“ Indem die AfD von „Erhalt unseres Landes“ durch (deutsche) Kinder spricht, sagt sie indirekt, Zuwanderer_innen würden den Fortbestand der Nation bedrohen. „Durch den unkontrollierten Import von Flüchtlingen [hole man sich] arabischen Antisemitismus und potenzielle Terroristen ins Land“7, so Junge bei einer Wahlkampfveranstaltung. Wie schon die Analyse zu Baden-Württemberg gezeigt hat(LINK?), betrachtet die AfD die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie als Keimzelle der Gesellschaft und Kultur und bedient damit überkommene Familienbilder. Die AfD hat ein rückwärtsgewandtes, einzig auf Reproduktion abzielendes Familienbild, das nichts mehr mit der gesellschaftlichen Realität von heute zu tun hat und keinen Raum lässt für individuelle Lebensplanung und unterschiedliche Beziehungskonzepte. Die AfD wird mit ihrer propagierten Familienpolitik den vielfältigen Familienformen nicht gerecht und marginalisiert darüber hinaus auch all jene, die ihrem Leitbild nicht entsprechen. Einzig über eine Ehe geschlossene Partnerschaften, die einen „reproduktiven Beitrag“ für die Gesellschaft leisten, würden nach den Vorstellungen der AfD finanzielle Unterstützung genießen.8 4 S. 6 S. 7 6 S. 8 7 http://www.rheinneckarblog.de/14/propaganda-gegen-propaganda/86677.html, aufgerufen am 25.02.2016 8 s. ausführlich Kemper, Andreas (2014): Keimzelle der Nation – Teil 2. Berlin, FES. 5 Im Hinblick auf die Kindererziehung, soll Eltern bei der Wahl einer Betreuungsform „wirkliche Wahlfreiheit“9 gelassen werden. Doch nur einkommensstarke Familien hätten tatsächlich diese „Wahlfreiheit“. In der Regel hat die Vollerwerbstätigkeit beider Eltern vor allem ökonomische Gründe und hat nichts mit einer „Gender-inspirierte[n] Gleichstellungspolitik“ zu tun, „die die durchgehende Vollerwerbstätigkeit beider Eltern als Idealbild anstrebt“10, wie die AfD zu wissen glaubt. Dazu passt die Aussage, dass „die Erziehung der Kinder […]in erster Linie dem Elternhaus“11 obliege. Mit ihrer Kritik an der Gleichstellungspolitik macht die AfD deutlich, dass sie keine Gleichberechtigung der Geschlechter anstrebt, sondern an tradierten Familienformen und Geschlechterbildern festhält. Für die Pflege und Erziehung wären demnach vornehmlich die Mütter zuständig. Ihnen wird keine „wirkliche Wahlfreiheit“ zugestanden. Eliten fördern Im Bildungsbereich lehnt die AfD inklusive Schulmodelle ab und erklärt das „Experiment der Gemeinschaftsschule [für] gescheitert“12. Die Partei fordert in diesem Zusammenhang „Inklusion mit Augenmaß“13. Das „Augenmaß“ ist ein rhetorischer Kniff, der Weitsicht und Genauigkeit andeutet, tatsächlich aber Benachteiligungen und Ausschlüsse legitimieren soll. Die AfD behauptet, die Interessen nicht-behinderter Kinder würden durch Inklusionsmodelle nicht berücksichtigt14. Inklusionsmaßnahmen werden als bloße „Symbolpolitik“15 diffamiert. Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes besagt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Maßnahmen zur Inklusion werden von der AfD dagegen als zu hoher finanzieller Mehraufwand betrachtet, der leistungsstarke Kinder in ihrer Entwicklung behindere.16 Die Partei möchte eine „Rückkehr zum Leistungsprinzip“ und spricht sich gegen eine „Akademisierung“ aus. Im Wahlprogramm wird immer wieder betont, dass „[n]icht ausschließlich Akademiker […] die Grundpfeiler unserer Gesellschaft“17 seien. Es ist daher nur konsequent, wenn die Partei unter dem Slogan „Mut zur Leistung: Chancenvielfalt statt Gleichmacherei“18 den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems gegenüber Gemeinschaftsschulen fordert. Hier werden Maßnahmen manifest, gegen einen Bildungsaufstieg aus der sog. „Unterschicht“. An anderer Stelle erklärt die AfD, „die Ablehnung von Elitenförderung [behindere] Weiterentwicklung“19. Was heißt das schon anderes, als dass die Ausbildung einer gesellschaftlich besser gestellten und besser verdienenden Elite erwünscht ist? Die Ablehnung sozialstaatlicher Prinzipien zeigt sich darin, dass die AfD vor allzu expansiver Sozialpolitik warnt und auf mehr „Eigeninitiative“20 setzt. In den Wahlprogrammen von Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und auch Thüringen kommt die Beschwörung des Leistungsprinzips und die Kritik an der 9 S. 5 S. 9 11 S. 11 12 S. 10 13 S. 11 14 ebd. S. 22 16 s. Wahlprogramm Thüringen, S. 10 17 S. 10 18 ebd. 19 S. 23 20 S. 20 10 „Subventionierung von Leuchtturmprojekten“21 (gemeint ist hier etwa der Mindestlohn) noch stärker zum Ausdruck. Einwanderungspolitik nach deutschen Interessen Bundesweit hat die AfD die Asyl- und Zuwanderungspolitik zu dem Wahlkampfthema erhoben, da eben dieses Thema die Menschen im täglichen Leben umtreibe22. Im rheinlandpfälzischen Wahlprogramm schreibt die Partei: „das Asylrecht ist ein hohes Gut, das wir konsequent umsetzen und gegen Missbrauch schützen wollen, um es zu bewahren. Einwanderung kann für Deutschland ein Gewinn sein, wenn sie nach deutschen Interessen gesteuert wird […]“23. Der AfD gelingt es, sich in diesem Statement als Fürsprecherin des Asylrechts darzustellen, indem sie pauschal alle Geflüchteten des „Asylmissbrauchs“ bezichtigt und kriminalisiert. Problematisch ist auch, wenn die Partei der Einfachheit halber Asyl- und Zuwanderungspolitik in einen Topf schmeißt. Wo die Regierung die Einwanderungspraxis reglementieren kann, sind hingegen die Steuerungsmöglichkeiten bei der Asylpolitik aufgrund von internationaler völkerrechtlicher Verpflichtungen äußerst begrenzt. Auch hier fährt die AfD wiedermal die Taktik, scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme anzubieten. Demzufolge, sieht die Partei in der Wiedereinführung von Grenzkontrollen „kein[en] Widerspruch zur Freizügigkeit innerhalb der EU“24. Sie könnten angeblich sogar helfen, vor „Einbruchtourismus“25 zu schützen. Als Kriterien für die legale Einwanderung nennt die AfD u.a. eine „aktive Integrationsfähigkeit und –bereitschaft“ und sieht damit klar die Einwanderer_innen in der Bringschuld. Um keine falschen Anreize zu schaffen, soll für „Einwanderer aus anderen EUStaaten […] bei Sozialleistungen das Herkunftslandprinzip gelten“26. Damit fördert die Partei indirekt Dumpinglöhne für EU-Ausländer_innen in Deutschland. „Gefühle von Stolz auf die neue Heimat erhöhen [laut der AfD] die Integrationsbereitschaft von Einwanderern. Als mit gutem Grund selbstbewusste Kulturnation, biete[…] Deutschland vielfältige Identifikationsmöglichkeiten und üb[e] so Integrationskraft aus.“27 Der Begriff der Kulturnation ist nicht unproblematisch, denn er steht im engen Zusammenhang mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Die Nation wird hier auf völkischer Grundlage ethnisch verstanden. Das beschwören Deutschlands als „selbstbewusste Kulturnation“ erscheint vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Holocaust unreflektiert und geschichtsvergessen. „Zum Wohle des deutschen Volkes“? Die AfD macht sich eine Formulierung im Grundgesetz zu Nutze, wonach Gesetze „dem Wohle des deutschen Volkes“ dienen müssen und „Schaden von ihm wenden“ (Art. 56, 14) sollen. 21 s. Wahlprogramm Sachsen, S. 9 s. Petry bei Asyldemo in Dresden am 24.09.2015, https://www.youtube.com/watch?v=od_A9q0p7_k , aufgerufen am 24.02.2016 23 S. 7 24 S. 12 25 S. 14 26 S. 12 27 S. 13 22 „Zur Auflösung bestehender und zur Verhinderung neuer ethno-kultureller „Parallelgesellschaften“ [seien] diese durch geeignete Maßnahmen zu entflechten. Andere kulturelle Prägungen dürf[t]en in der Strafverfolgung und bei der Rechtsprechung nicht strafmildernd wirken“ (15). Was genau unter „entflechten“ zu verstehen ist und welche Maßnahmen die AfD hier vorsieht, bleibt unklar. Die Behauptung Menschen mit Migrationshintergrund würden strafrechtlich bevorzugt ist eine nicht zu belegende und daher dreiste Behauptung. Es dürfte eher Gegenteiliges der Fall sein. Fazit Der AfD-Landesverband in Rheinland-Pfalz gibt sich im Bundesvergleich betont bürgerlichkonservativ und zielt vor allem auf die Wähler_innenschaft ab, die sich von der CDU enttäuscht abwendet und nicht mehr repräsentiert fühlt. Die sozialpolitischen Forderungen der AfD benachteiligen Minderheiten und sozial Schwächere wie Asylbewerber_innen, Rentner_innen und Arbeitslose. Auch wenn die Rhetorik der rheinland-pfälzischen AfD nicht so markig wie die Höcke-AfD in Thüringen erscheint, lassen sich die Landesverbände nicht voneinander entkoppelt oder getrennt von der Bundespartei betrachten. Die AfD hat sich mit der Abspaltung des liberal-konservativen Lucke-Flügels (jetzt zu Teilen in der neuen Partei „ALFA“) politisch stark nach rechts bewegt, ohne klare Abgrenzung zu und von rechtsextremen Akteur_innen. In etlichen Positionen will die AfD demokratische Rechte einschränken, die ein Leben in Vielfalt ermöglichen. Das Wahlprogramm bleibt, wie auch alle anderen Programme der AfD, sehr vage ohne konkrete Maßnahmen zu benennen wie Dinge besser gemacht werden können. Hinter den inhaltslosen Worthülsen kann auch System stecken, denn je unkonkreter die Forderungen, desto weniger angreifbar mach sich die AfD. Die Partei bietet keine politischen Lösungsansätze, stattdessen spielt sie mit den Ängsten der Menschen. Das Wahlprogramm der AfD in Rheinland-Pfalz ist einsehbar unter http://www.alternative-rlp.de/wp-content/uploads/2015/11/wahlprogramm-ausfuehrlich.pdf.
© Copyright 2024 ExpyDoc