NDR Info – Das Forum (01.03.2016) Kranker Kranich

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NDR Info – Das Forum
(01.03.2016)
Kranker Kranich-Wie die Lufthansa wieder gesunden will
Feature von Jörg Pfuhl
---------------------------------------------------------------------------------OT 1 Flughafen-Atmo – geblendet mit Claudia Scheil:
Ja, ich denke, das sind ja auch so Dinge, wie man groß wird. Mein erster Flug
war mit Lufthansa, und der Service war eigentlich immer gut. Und auch, als ich
anfing zu arbeiten und mehr fliegen musste, bin ich am Anfang sehr viel mit
Lufthansa geflogen, weil man einfach mit Lufthansa geflogen ist. Und in dem
Sinne hat man ja schon so eine Markenaffinität. Mein Herz hängt schon so ein
bisschen an der Lufthansa. 0`32
Autor:
Claudia Scheil ist frequent flyer, Verlagsbranche. Heute fliegt sie von Hamburg
nach Zürich. Hermaat Turkinov arbeitet für eine Hamburger Reederei; er muss
heute über Frankfurt nach Kroatien:
OT 2 Hermaat Turkinov:
Man fühlt sich immer noch hanseatisch, wenn man Lufthansa fliegt. Ich weiß
nicht, warum, das ist so ein Kopfgefühl. 0‘05
OT 3 Garnadt:
Es ist natürlich über Jahre aufgebautes Vertrauen, der Glaube an die Fähigkeit,
dass die Lufthansa immer beste Qualität, beste Sicherheit, beste
Kundenorientierung bringt, und dann hat man ein Premium. Klar ist, man darf
sich nicht der Illusion hingeben, dass, wenn man ein Preis-Premium im Markt
aufgrund von Kundenvertrauen erlangt, dass das auf Dauer gesetzt ist. 0‘23
2
Autor:
Was Lufthansa-Vorstand Karl Ulrich Garnadt beschreibt, trifft ziemlich genau
die Lage seiner Airline. Gemessen am Umsatz ist Lufthansa der größte
Luftfahrtkonzern der Welt. Gemessen an Passagieren immerhin der größte
Europas. Eine große Flotte von 600 Flugzeugen beherrscht die Drehkreuze in
Frankfurt, München, Wien und Zürich. Niemand wartet und repariert weltweit
mehr Flugzeuge als die Lufthansa-Technik, niemand gibt weltweit mehr Essen
aus als die Lufthansa-Tochter SkyChefs, niemand transportiert so viel Fracht
wie Lufthansa Cargo. – Aber: Der Kranich fliegt 30, 40 % teurer als seine
Wettbewerber. Lufthansa wirkt ein wenig wie Mercedes-Benz: sicher,
hochwertig, mit langer Tradition. Aber eben auch schwer, behäbig, nicht überall
mehr ganz vorne mit dabei, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord
Schellenberg:
OT 4 Schellenberg:
Die Lufthansa ist sicherlich ein Unternehmen, das für Deutschland steht, und
ein Unternehmen, dem die Menschen ihr Leben anvertrauen. Diesen Ruf
rechtfertigt Lufthansa. Gleichzeitig ist sie aber eben nicht mehr das innovativste
Unternehmen in der Branche, was sie sicherlich früher einmal war. Lufthansa
hat über viele Jahrzehnte super Innovationen im Bereich Flugzeugbau begleitet
und gefördert. Lufthansa hat Airbus und Boeing gesagt, was man braucht – und
das war der Standard. Und über die Jahre hat man, glaube ich, vergessen, das,
was der Passagier sich so vorstellt, da mit einzubeziehen: Die Komfortthemen,
auch teilweise die Zielorte. Man hat sich sehr auf den Geschäftsreisenden
konzentriert, da ging der wohlhabende Privatreisende verloren, und man hat
sicherlich unterschätzt auf der Langstrecke die Konkurrenz der Golf-Carrier,
also der arabischen Fluggesellschaften. Und man hat unterschätzt in Europa die
Konkurrenz der sogenannten Günstigflieger. 0`55
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Erzählerin:
Vergangenes Jahr hatte Lufthansa noch die meisten Passagiere in Europa.
Dieses Jahr wird Ryanair vorbeiziehen und nach Passagieren größte Airline
Europas werden. Im vergangenen Winter ist die Lufthansa zum ersten Mal in 60
Jahren geschrumpft: weniger Flugzeuge mit dem Kranich-Emblem, weniger
Strecken im Angebot. Im August wäre der Konzern fast aus dem DAX
gerutscht. Standard & Poors hat Lufthansa abgewertet auf BBB-, nur noch
knapp über Ramsch. Den Konzern drücken gewaltige Pensionslasten von fast 5
Milliarden Euro.
((Autor:
In der Lufthansa-Lounge im Hamburger Flughafen sind Kaffee und Prosecco für
Vielflieger noch kostenlos:
OT 5 Umfrage 3 Vielflieger
Frau: Lufthansa ist für mich immer noch eine der besseren Gesellschaften, aber
es gibt bessere: Quantas, Emirates. Es gibt allerdings auch deutlich schlechtere,
z.B. Air France!
Mann: Also bei Langstreckenflügen gab es früher auch in der Holzklasse diese
Eyeshades und Strümpfe, solche Kleinigkeiten halt. Im Vergleich zu früher ist es
alles ein bisschen einfacher geworden.
Mann: Vor 20 Jahren hat`s noch das Mittagessen gegeben oder das Frühstück
an Bord, wenn man da auch gerade nach Wien geflogen ist – das ist natürlich
vorbei. Heute gibt’s ein paar Brötchen.))
Autor:
Die Lufthansa muss sparen und wird deshalb nickelig. Koffer und
Sitzplatzreservierung gibt es nur noch gegen Aufpreis. Neu auch die 16 Euro
Buchungsgebühr: Strafe für jeden, der nicht online, sondern im Reisebüro bucht.
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Lange her die Zeiten, als die Lufthansa auch auf der Kurzstrecke ein komplettes
Mahl servierte:
OT 6 Wochenschau (unter Musik):
Die unermüdliche und stets hilfsbereite Stewardess bemüht sich vorbildlich um
das Wohl der Passagiere. Die Reise durch die Luft ist kurz – schon neigt sich die
Maschine dem Frankfurter Flugplatz zu.
Erzählerin:
Heute werden Nüsschen gereicht. In seine Mittelstreckenflieger quetscht der
Konzern zusätzliche Sitzreihen – die Beinfreiheit stirbt auf Raten: In den frühen
90er Jahren waren es noch 32 Zoll; dann 31, 30, und im jüngsten Flieger nur
noch schmale 29 Zoll bis zum Vordersitz. Sparfüchsig wird Konzernchef
Carsten Spohr auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern: die Büros in der
Frankfurter Zentrale werden derzeit abgeschafft, ebenso eigene Schreibtische.
Bis Herbst sollen sich alle 2.000 Mitarbeiter jeden Morgen einen der knappen
Arbeitsplätze im Großraum suchen – wer zu spät kommt, dem bleibt nur sein
Home Office. Den Aktionären streicht Spohr die Dividende und bereitet alle
darauf vor, dass noch lange nicht genug gespart, gestrichen und gestreckt
worden ist:
OT 7 Spohr:
Obwohl die Stückkosten seit 2012 Jahr für Jahr gesenkt wurden, reicht es noch
nicht, um die Lufthansa- Passage wieder wachstumsfähig zu machen. Wir sind
immer noch deutlich teurer in der Produktion als unsere Wettbewerber. Es liegt
noch ein harter Weg vor uns, um unsere Kosten hier auf ein Niveau zu bringen,
das uns auch dann wieder Wachstumsperspektiven erlauben kann.
5
Autor:
Lufthansa schrumpft und spart. Andere geben das Geld mit vollen Händen aus.
Sie wachsen und lachen über die alte Lufthansa: „Kein ernsthafter
Wettbewerber“, findet Ryanairs Marketing-Chef Kenny Jacobs:
OT 8 Jacobs (englisch)
Übersetzer:
Der Wettbewerb in Deutschland ist schwach. Lufthansa, Germanwings, Air
Berlin – sie haben alle Probleme. Da ist kein Wettbewerber, der uns Sorgen
machen könnte.
Autor:
Ryanair greift jetzt die Lufthansa direkt an. Die Iren verfügen schon über 316
Flugzeuge und haben noch einmal 380 weitere bestellt. An der Börse sind sie
schon dreimal so viel wert wie die Lufthansa. Bislang hat sich der Billigflieger
zumindest in Deutschland zurückgehalten. Das ändert sich gerade. Ryanair will
nicht mehr nur deutsche Urlauber von Provinzflughäfen wie Frankfurt-Hahn in
die Sonne bringen, sondern drängt auf die großen deutschen Flughäfen wie
Berlin, Hamburg und Köln und bedient seit diesem Winter sogar innerdeutsche
Strecken:
OT 9 Jacobs
Übersetzer:
Die Strecke Köln – Berlin wird das Schlachtfeld für den europäischen
Preiskrieg, und er hat schon begonnen. Heute können Sie mit uns für 9 Euro 99
von Berlin nach Köln fliegen – bald vielleicht schon für 5-99.
[engl. stehen lassen: it’s going to be really, really... quite aggressive]
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Erzählerin:
Bislang waren Air Berlin und Germanwings allein auf dieser Strecke. Jetzt
kommt Ryanair als dritter hinzu. Das irische Unternehmen will seinen
Marktanteil in Deutschland vervierfachen, und es hat gute Karten. Es ist eine
junge Airline ohne Pensionslasten und Ticketsteuer; die Piloten sind billig,
angestellt bei Personaldienstleistern; die Passagiere wurden zum Verzicht
erzogen. Im Schnitt kostet ein Ticket bei Ryanair alles inklusive 56 Euro. Fast
doppelt so teuer ist Germanwings, der Billigflieger der Lufthansa.
Autor:
Deutschland hat Europa mit seinen Discountern wie Aldi und Lidl überzogen.
Jetzt schlägt Europa zurück: Billigflieger wie easyJet, Vueling, Norwegian,
Wizz und Wow Air drängen ins Land – und die deutschen Kunden fliegen nicht
mehr selbstverständlich mit deutschen Airlines, sagt Luftfahrtexperte
Schellenberg:
OT 10 Schellenberg:
Der Kunde hat eine Illoyalität aufgebaut: Er pickt sich das beste Angebot raus –
sei es für seine Geschäftsreise, für seine Privatreise. Er sucht nicht nach der
Lufthansa.
Erzählerin:
Die Lufthansa ist im vergangenen Jahr um magere 1,6 % gewachsen. EasyJet
vier Mal und Ryanair sogar zehn Mal so schnell. 2016 wird das Jahr, in dem
mehr Menschen bei Ryanair einsteigen als bei Lufthansa. Genügt es also, nur zu
sparen, ein bisschen von der Frührente der Piloten und den Betriebsrenten der
Stewardessen zu streichen?
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Autor:
Vor 24 Jahren war die Lufthansa schon einmal fast pleite. Der Golfkrieg und
die miese Weltkonjunktur hatten das Unternehmen ausgezehrt. Jörg Handwerg
fing 1992 als Pilot bei der Lufthansa an.
OT 11 Handwerg:
Damals hat man auch von den Piloten massive Zugeständnisse gefordert und
bekommen, um das Unternehmen zu sanieren. Und da war noch eine positivere
Einstellung den Piloten gegenüber da. Heute hat man oft das Gefühl, dass man
eigentlich nur ein ungewollter Ballast ist, und insofern ist die Atmosphäre im
ganzen Unternehmen natürlich eine ganz andere.
Autor:
Handwerg fliegt von Frankfurt aus alle Ziele an, die in rund vier Stunden zu
erreichen sind. Immer in einer A320 – derselbe Typ, für den auch sein oberster
Chef Carsten Spohr eine Pilotenlizenz hat. Verständnis von Pilot zu Pilot aber
gibt es nicht:
OT 12 Handwerg:
Nicht jeder, der einen Lkw-Führerschein hat, ist ein Lkw-Fahrer. Also, Carsten
Spohr, hört man, wäre schon in der Flugschule rumgelaufen und hätte gesagt,
er möchte mal CEO werden. Also, ich glaube, das allgemeine Gefühl der Piloten
ist nicht, dass er uns versteht oder dass er nachvollziehen kann, wie wir denken,
sondern er ist ein sehr, sehr machtbewusster Mensch.
Autor:
Und vielleicht dickfellig dazu. 14 Streikwellen in den vergangenen beiden
Jahren hat Spohr ungerührt ausgesessen. Er habe sich nicht bewegt, konstatiert
Luftfahrtexperte Schellenberg:
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OT 12a Schellenberg:
Carsten Spohr als Vorstandsvorsitzender sagt das seinen Mitarbeitern auch
immer wieder, dass die Lufthansa weiter schrumpfen wird, im Kernbereich mit
dem Kranich am Heck, wenn hier nicht bessere Vereinbarungen getroffen
werden – und das zieht er durch!
Erzählerin:
Bodenpersonal und Flugbegleiter haben mittlerweile klein beigegeben. Ihre
Altersversorgung wird jetzt umgestellt: Die Lufthansa verspricht künftig kein
Versorgungsniveau mehr, sie beteiligt sich nur noch an Beiträgen. Die Piloten
wollen das nicht hinnehmen. Als letzte, aber schlagkräftigste der drei
Mitarbeitergruppen kämpfen sie weiter, auch vor Gericht:
OT 13 Handwerg:
Die Stimmung ist vergiftet – kann man eigentlich nicht anders sagen. Zwischen
dem Personal und dem Management gibt’s ein tiefes Misstrauen. Es gibt kein
Miteinander, sondern das Gefühl der Piloten ist: Man ist hier eine unerwünschte
Kostenposition, mehr nicht.
OT 14 Schellenberg:
Ich hab´ Verständnis dafür, dass es für die Mitarbeiter schwierig ist, wenn man
über 50, 60 Jahre ihnen erzählt hat, dass sie sozusagen das oberste Ende der
deutschen Pilotenschaft sind und der deutschen Mitarbeiterschaft und wenn man
dann sagt: „Ihr Lieben, das gilt nur noch für die, die schon länger da sind – alle
anderen kriegen neue Verträge, alle anderen kriegen neue Regeln – das ist
schwierig!
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Erzählerin:
Gleichwohl unumgänglich, meint Luftfahrtexperte Schellenberg. Bis zu 250.000
Euro kann ein Lufthansa-Pilot im Jahr verdienen, und mit 55 Jahren mit immer
noch 10.000 Euro monatlich in Frührente gehen. So steht es im LufthansaTarifvertrag. Eben deshalb stellt Lufthansa schon lange keinen Piloten mehr ein,
jedenfalls nicht bei der Kranich-Linie, sondern nur noch bei den
Konzerntöchtern. Wer mit weniger als dem halben Lufthansa-Gehalt zufrieden
ist, auf Vorruhestand verzichtet und einen Arbeitsvertrag nach österreichischem
Recht akzeptiert, ist willkommen beim neuen Billigableger des Konzerns:
OT 15 TV-Spot:
Das ist die neue Eurowings!
OT 16 Garnadt:
Wir müssen ganz nüchtern konstatieren, dass die Hälfte der Kunden heute rein
nach Preisgesichtspunkten entscheidet. Wir glauben, dass wir mit unseren
Stückkosten insgesamt um etwa 20 % im Kern auf der Langstrecke runter
müssen, um auf Dauer auch wieder wachsen zu können.
Autor:
Karl Ulrich Garnadt soll es richten. Über Jahre hinweg war er Chef der
sogenannten Passage, das ist das Herzstück des Konzerns. Jetzt soll er
Eurowings aufbauen, den neuen Billigflieger des Konzerns. Der juristische Sitz
ist Wien: Dort gibt es keinen Lufthansa-Tarifvertrag, dort nervt keine deutsche
Gewerkschaft. Ziel ist es, in Europa die Nummer drei der Billigflieger zu
werden, gleich hinter Ryanair und easyJet:
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OT 17 Garnadt:
Und mit easyJet werden wir uns, was die Kostenpositionen und was das
Preisniveau angeht, messen müssen. Und wenn wir das nicht schaffen, fehlt uns
die Perspektive in diesem Segment, das ist völlig klar. Und wir arbeiten sehr
hart daran, mit der Eurowings Strukturen zu schaffen, die genau das möglich
machen.
Autor:
50.000 Euro cash bekommt jeder Pilot, der von Lufthansa zu Eurowings
wechselt. Die Flugzeuge des alten Billigablegers Germanwings werden nach
und nach umlackiert, von lila mit gelb auf lila mit blau. Germanwings wird vom
Markt verschwinden.
OT 19 Garnadt:
Wir werden noch eine Zeitlang Germanwings mit den alten Farben sehen, aber
die Idee ist es schon, mittel- und langfristig, dass wir einheitlich die Marke
Eurowings positionieren, so dass der Kunde überall, wo er Eurowings kauft,
auch in ein solches Flugzeug einsteigt.
Erzählerin:
Mit Eurowings wagt Lufthansa ein Experiment: Billig auch auf der Langstrecke.
Die etablierten Billigflieger fliegen keine Langstrecke: zu riskant, zu komplex.
Eurowings wagt es, seit November: in die Dominikanische Republik, nach
Thailand und Kuba. Der Start ist verheerend. Die türkischen Piloten, angemietet
von SunExpress, sind für die Langstrecke nicht geschult. Die Flotte ist noch so
klein, dass es keinen Ersatz gibt, wenn ein Flieger auf Kuba defekt ist. 68
Stunden warten die Urlauber von Flug EW 131, bis sie ein Ersatzflugzeug am
12. Januar wieder nach Hause bringt:
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((OT 20 Umfrage:
Drei Tage in der Ungewissheit und mit dem Nervenkrieg – wünsch‘ ich keinem!
- Manche haben ewig gewartet, bis sie untergebracht waren, und hatten dann
echt schlechte Hotels mit Kakerlaken und mussten fürs Essen zahlen. Gut, wo’s
uns auch so ging: Wir hatten halt keinen Ansprechpartner vor Ort, also wir
saßen da eigentlich drei Tage ohne Informationen. – Noch ne Nacht
übernachten und noch ne Nacht übernachten, und wieder war man unten und
wartete – also Eurowings ist für mich gestorben!
OT 21 Garnadt (seufzt):
Das ist ein Thema, was in der Startphase vorkommen kann, was nicht
vorkommen soll, aber wir haben das im Griff. Und ich denke mal: das wird im
Zeitablauf - gerade wenn wir jetzt sukzessive die nächsten Flugzeuge in Dienst
stellen, haben wir das Thema im Griff.))
Autor:
Eurowings-Chef Garnadt drückt aber erst einmal auf die Bremse: Er streicht die
Ziele Dubai und Teheran aus dem Programm und verschiebt die geplanten
Verbindungen nach Boston und Miami. An seinem Ziel hält er allerdings fest:
Der Konzern muss auch auf der Langstrecke billig fliegen. Experte Schellenberg
ist skeptisch:
OT 22 Schellenberg:
Nach Plan will Eurowings mit sieben Langstreckenflugzeugen unterwegs sein.
Wenn man sich mal den größten Wettbewerber anguckt: Emirates aus Dubai,
die hat allein 150 A380 bestellt, also die größten Passagierflugzeuge der Welt.
Sieben gegen 150, und dann haben die noch viel bei Boeing bestellt. Also, ich
möchte es mal als Test bezeichnen, was Eurowings da macht, und momentan
läuft dieser Test einfach nicht rund.
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Erzählerin:
Emirates, Etihad, Qatar Airways, Turkish Airlines – bei der Lufthansa nennt
man sie die „GoBo-Airlines“, die Airlines vom Golf und vom Bosporus. Sie
kaufen Flugzeuge im Hunderterpack, und sie bauen in Istanbul und am Golf
Flughäfen, von denen jeder allein mehr als doppelt so groß sein wird wie
Frankfurt. Dort gibt es keine Luftverkehrssteuer. In Qatar müssen die
Stewardessen unterschreiben, dass sie fünf Jahre lang nicht heiraten - sie
könnten ja schwanger werden. Gewerkschaften gibt es keine. Flughafen und
Airline gehören dem Scheich, und der hält die Landegebühren niedrig. Und ein
Nachtflugverbot wie in Frankfurt – undenkbar:
OT 23 Schellenberg:
Das würde eine Fluggesellschaft aus Dubai oder Abu Dhabi gar nicht
verstehen, dass Frankfurt nachts geschlossen wird! Wo das doch größter
deutscher Flughafen, einer der größten in Europa ist - und auch noch das
Drehkreuz der Lufthansa. Das muss doch offen sein!
Autor:
Ist es aber nicht. - Eurowings ist nicht nur ein Experiment, als Billigflieger auf
der Langstrecke zu bestehen, sondern auch eins, ob das Franchise-Konzept
funktioniert. Unter die Flügel von Eurowings nämlich soll nach LufthansaVorstellung schlüpfen, wer alleine zu klein ist, um zu überleben. Schon heute
machen die Flugzeuge mit dem Kranich-Emblem nicht einmal mehr die halbe
Flotte des Konzerns aus. Die Mehrheit der Konzernmaschinen stellen längst die
Flieger von Swiss und Austrian, von Brussels und Air Dolomiti, von Germanund Eurowings bis hin zur Schweizer Edelweiss Air. Germanwings wird bereits
integriert in Eurowings; Brussels und Air Dolomiti könnten folgen. Und nicht
nur konzerneigene Gesellschaften, sondern auch fremde. TUI lässt schon eine
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Maschine bei Eurowings fliegen. Garnadt lädt jeden ein, unter die Fittiche von
Eurowings zu schlüpfen:
OT 24 Garnadt:
Es gibt eine Reihe von kleineren Airlines, die vielleicht 20, 30, 50 Flugzeuge
haben, die kennt außerhalb ihrer Heimatbasis kein Mensch. Diese Unternehmen
haben es enorm schwer. Wir wollen mit Eurowings eine paneuropäische große
Marke aufbauen, die gerade auch für solche Unternehmen die Möglichkeit
bietet, praktisch sich einzuklinken - wie in einem franchise-Konzept sich hier zu
beteiligen - und damit Skaleneffekte, die sie selbst nie erreichen können, über
die Plattform Eurowings zu realisieren.
Erzählerin:
Eurowings bietet seinen Franchise-Partnern Vermarktung, IT-Unterstützung,
Verwaltung und Planung. Die Airlines konzentrieren sich aufs Fliegen. Als
Kunde würde man also bei Eurowings buchen, tatsächlich aber in einen
Billigflieger vielleicht von SunExpress, von Brussels oder TUIfly landen. Billig
und Franchise – eigentlich genau wie bei McDonald’s:
OT 25 Garnadt:
Wenn Sie sagen „McDonald’s der Lüfte“, das wäre noch nicht einmal Spott.
Denn die Idee an sich ist ja gut: eine globale Marke aufzubauen. Wenn wir so
global wären wie McDonald’s mit Eurowings, dann hätten wir ja praktisch
gewonnen...
Autor:
Luftfahrtexperte Cord Schellenberg ist skeptisch, ob das Experiment
funktionieren kann:
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OT 26 Schellenberg:
Plattform-Franchise auf der Langstrecke ist total komplex! Sie können, wenn
Ihre Besatzung auf dem eingebrachten TUI-Flugzeug ein Problem in der
Dominikanischen Republik hat, dann können Sie nicht ihre EurowingsBesatzung dort hinschicken und sagen: „Du übernimmst jetzt dieses Flugzeug!“
Das kann wieder nur die TUI-Besatzung machen, die dann aber vielleicht nicht
verfügbar ist. Und da kann man nichts hin- und herschieben, man ist überhaupt
nicht flexibel! Und das mit so wenigen Flugzeugen – es kann nur ein Test sein.
Alles andere würde doch dazu führen müssen, dass man sich mal 20, 30, 40, 50
Flugzeuge bestellt und hinstellt – und nicht sieben.
Autor:
Doch es ist der einzige Weg, den Lufthansa sieht, um trotz europäischer Löhne,
Steuern und Regularien wieder zu wachsen. Ob dieser Weg allerdings reicht, um
gegen die finanziell gut ausgestattete Konkurrenz vom Persischen Golf und vom
Bosporus zu bestehen, darf bezweifelt werden. So lange Fluggesellschaften wie
Turkish Arlines oder Emirates vom Staat bzw. Herrscher subventioniert werden,
wird es die Kranich-Linie schwer haben.
((Der Chef des Hamburger Flughafens, Michael Eggenschwiler, drückt der
Lufthansa die Daumen:
OT 27 Eggenschwiler:
Die Bedeutung einer Lufthansa für die Volkswirtschaft, für den Standort, für die
Arbeitsplätze – der ist so wichtig, dass man eben dafür sorgen muss, dass eine
Lufthansa sich so restrukturieren kann, dass sie eben auch in der Zukunft
mithalten kann und dass sie letztendlich die deutsche Fahne in die Welt trägt
und in der Welt eine hohe Identifikation mit der Lufthansa und dem Standort
Deutschland vorhanden ist. Und ich glaube, das ist schon etwas, wo es sich
dafür lohnt zu kämpfen.
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Zur Verfügung gestellt vom NDR
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