VonDerFreiheit - Limettenmutti

Von der Freiheit
Es war einmal eine Löwin, geboren hinter Gittern. Ihre Wärter kamen und gingen, brachten ihr
Fleisch, züchtigten sie mit dem Stock und säuberten ihren Käfig. Die Löwin zog im Käfig ihre
Kreise. Es waren die gleichen Kreise, die der Bär links neben ihr und der Panther rechts neben ihr
zogen. Jeden Tag und immer wieder, jedes Jahr und unaufhörlich.
Als die Löwin noch klein gewesen war, hatte sie sich in das warme Fell der Mutter gekuschelt und
ihren Geschichten über die Freiheit gelauscht. Davon, wie es war, durch das Gras zu jagen und
Zebras zu verfolgen, die Sonne einzuatmen und von dem Leuchten der Sternschnuppen geweckt zu
werden. Die Geschichten waren heute nicht mal mehr eine blasse Erinnerung sondern nur noch eine
Ahnung davon, dass Löwen einst anders lebten.
Kein Tier im Zoo musste Hunger leiden und auch krank wurden die Tiere selten. Sie hatten weder
Angst davor, von anderen Tieren gefressen zu werden, noch fürchteten sie das Wetter, da sie alle
einen Unterschlupf hatten. Dafür zogen sie ihre Kreise. Der Bär wie der Panther, der Orka wie der
Wolf. Und obwohl das Leben so einfach war, waren die Tiere müde.
Die Löwin hatte viele Winter gezählt und mitangesehen, wie dem Panther das Herz erlosch. Er
schlich weiter durch den Käfig, hatte aber vergessen, dass er ein Panther war. Der Löwin war
bekümmert und sie schaute in den nächtlichen Himmel, der vom Glanz der Stadt so hell war, dass
sie die Sterne nicht sehen konnte. Da zog ein Leuchten auf sie zu und wurde immer größer. Die
Löwin erschrak und lief in ihren Unterschlupf. Das Leuchten erfüllte ihre ganze Welt und voller
Wucht zerschlug es die Grenzen dieser Welt.
Der Panther und die Löwin waren frei. Der Panther stand einen langen Moment nur da, atmete tief
ein und begann seinem Pfad im Gehege zu folgen. Das Ohr der Löwin zuckte, die Barthaare
kribbelten, ihre Muskeln wurden steinhart und mit großen Sprüngen lief sie davon. Weg von allen
Lichtern und sie hörte erst auf zu laufen, als es dunkel um sie herum wurde und sie die Sterne sah.
Unter einem Baum rollte sie sich zusammen und schlief tief und fest.
Sie atmete die ersten Sonnenstrahlen ein und erwachte. Sie lief so schnell und so weit, wie sie noch
nie gelaufen war, sie brüllte und knurrte. Sie glaubte, dass sie bald die ganze Sonne in ihren Lungen
hätte.
Am Nachmittag bekam sie Hunger und sie begriff, dass ihr heute kein Pfleger ein Stück Fleisch
vorbeibringen würde. Sie sah ein Erdmännchen und versuchte es zu packen, doch es verschwand zu
schnell für ihre Klauen in seinem Bau. Sie suchte den ganzen Nachmittag und nun brüllte und
knurrte ihr Magen. Abends legte sie sich unter ihren Baum. Der Panther fehlte ihr, sie hatte Hunger
und in dieser Nacht konnte sie auch keine Sterne sehen. Die Wolken hingen tief und es begann zu
regnen. Die Löwin war nass und fror.
So vergingen die Tage, die Löwin fand keine Nahrung und magerte ab. Sie wurde krank und blieb
unter dem Baum liegen, vermisste ihre kleine Welt mit den Gitterstäben und dachte sehnsüchtig an
die anderen Zootiere. Sie wollte, zu schwach die Sonne einzuatmen, die Augen schließen und für
immer schlafen.
Da schaute das Erdmännchen neben ihr aus dem Boden.
„He du, Löwin, los steh auf!“
„Erdmännchen verschwinde, lass mich schlafen!“
„Ich kann jeden deiner Knochen sehen, sieht lustig aus.“
„Geh weg.“
„Ich wusste auch garnicht, dass Löwen weinen können. Das ist auch lustig.“
Die Löwin hielt sich die Pfoten über die Ohren, aber das Erdmännchen sprach lauter:
„Du verlauste Miezekatze, du bist doch ein Löwe, friss mich doch!“
Wütend erhob sich die Löwin und brüllte das Erdmännchen an:
„Verschwinde du Nervensäge!“
„Gut, jetzt wo du auf den Beinen bist, da drüben zwischen den Felsen sind ein paar dumme Ziegen.
Hol dir eine!“,
sagte das Erdmännchen und tauchte wieder in seinem Gang ab.
Die Löwin schleppte sich zu den Felsen und tatsächlich grasten dort Ziegen. Mit letzter Kraft
stürzte sich die Löwin auf die Tiere und riss sich eins. Endlich hörte der Hunger auf. Als sie nach
der Mahlzeit satt und träge in der Sonne lag, kam das Erdmännchen zu ihr.
„He du, hat es geschmeckt?“
„Ich habe noch nie etwas besseres gegessen.“
„Oh, ich habe gehört, Zebras sind außerordentlich lecker. Ich mag ja lieber Maden.“
„So habe ich mir das Freisein nicht vorgestellt.“
„Löwin, Freisein ist wirklich harte Arbeit. War es da, wo du vorher warst, besser?“
„Na ja, ich war immer satt, ich musste mir nichts jagen.“
„Nichts jagen? Und was hast du dann gemacht?“
„Ich bin Kreise gelaufen.“
„Den ganzen Tag?“
„Den ganzen Tag.“
„Wie lange hast du das gemacht?“
„Ich weiß nicht, eine Ewigkeit oder einen Wimpernschlag.“
„Willst du zurück?“
„Das geht nicht mehr, ich weiß, wie die Sonne riecht. Das gibt es dort nicht. Außerdem erlischt
einem das Herz dort und ich fühle es gerne in meiner Brust schlagen.“
„Ja, mmmmhhh, die Sonne riecht so wunderbar nicht wahr? Löwin, wenn du nicht jagst, dann
verhungerst du. Ziegen kommen nicht immer vorbei und ich werde immer zu schnell für dich sein.
Wenn du nicht verenden willst und dein Herz schlagen soll, musst du schon eine Löwin sein.
Löwen bleiben nicht wegen ein wenig Magenknurren unter einem Baum liegen.“
Epilog
Die Löwin lernte, wie Zebras gejagt werden und sie schmeckten ihr wirklich außerordentlich gut.
Es gab Tage mit Regen und Tage mit Sonnenschein, es gab Hunger und es gab Zebras, es gab
Wimmern und es gab Brüllen. Aber immer fühlte sich die Löwin frei. Wenn der Hunger sie
gefangen nahm, stand Sie auf und kämpfte um Nahrung.
Einmal nur wagte sie es, zu den Lichtern zurück zu gehen und sie blickte herab von einem Hügel
auf den Zoo. Da sah sie, wie die Tiere in den Gehegen ihre Kreise zogen und sie dachte, wie schade
es war, dass die Tiere nichts von der Freiheit wussten, den Geruch der Sonne nicht kannten und
niemals lernen würden, ein Zebra zu jagen. Sie flüsterte leise:
„Lebt wohl ihr guten Seelen. Die Schmerzen der Freiheit sind mir lieber als der große Schmerz in
euren erloschenen Herzen.“