Protokoll - Literaturwissenschaft

Philosophie und Poesie der Postmoderne
II. Umberto Eco: Il nome della rosa (1980)
Umberto Ecos Roman Il nome della rosa gilt als Idealtyp eines postmodernen Romans. Ihm liegt
auf den ersten Blick eine leicht nachvollziehbare, weil spannende Geschichte zugrunde:
Das Geschehen ist in einem norditalienischen Kloster angesiedelt und auf das späte 14. Jahrhundert
datiert. Der gealterte Mönch Adson von Melk berichtet im Rückblick von einer Mordserie in
besagtem Kloster, bei deren Aufklärung er als Novize einst dem Mönch William von Baskerville
assistiert hat. Diese Handlung ist in eine übergeordnete Fiktionsebene eingebettet, die durch eine
auf 1980 datierte Vorbemerkung erzeugt wird. Der Schreiber dieses Vorworts will Adsons
Erzählung wenige Tage vor der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 in der tschechischen
Hauptstadt in französischer Übersetzung gefunden und flüchtig übersetzt haben; die Vorlage ist auf
der Weiterreise verloren gegangen, und allein in Buenos Aires haben sich Hinweise finden lassen,
die aber nicht auf den ursprünglichen Autor zurückgeführt haben.
In seiner Nachschrift zum ›Namen der Rose‹ (ital. 1983, dt. 1984) reflektiert Eco die Postmodernität
seines Werkes. Den Roman bezeichnet er als für postmodernes Schreiben prädestinierte Gattung, da
es sich dabei um eine »Maschine zur Erzeugung von Interpretationen«1 handele. Dies bedeutet, dass
sich ein postmoderner Text aus heterogenen Bedeutungsebenen konstituiert und somit
unterschiedliche, subjektive Lesarten ermöglicht. Der Autor müsse dabei die Autorität über den
eigenen Text abgeben und sich eigener Interpretationen enthalten.
Unabdingbar für die Pluralität postmoderner Kunstwerke ist ihr Vergangenheitsbewusstsein: Ein
›unschuldiges‹ (=direktes, unvermitteltes) Sprechen bzw. Schreiben ist in der Gegenwart nicht mehr
möglich, da alles schon oft gesagt wurde. Dieses Problem soll durch markiertes (=bewusstes,
vermitteltes) Zitieren gelöst werden. Zugleich erlaubt die mit der Herausgeberfiktion einhergehende
Rahmenstruktur, die Binnengeschichte um die Morde im mittelalterlichen Kloster von einem naiven
Erzähler berichten zu lassen.
In expliziter Abgrenzung gegen das um 1968 virulente Postulat, Literatur müsse politisch
›engagiert‹ sein, darf sich die postmoderne Literatur wieder als zweckfreies Spiel verstehen (Ironie).
Ecos Der Name der Rose lässt sich einerseits ›unterhaltsam‹ als Kriminalroman, Historischer
Roman oder gothic novel lesen (Popularität + Pluralität); andererseits illustrieren die nur zufällig
erfolgreichen Ermittlungen der Detektivfigur William von Baskerville die poststrukturalistische
Zeichen-Theorie, der zufolge Zeichen per se selbstreferenziell sind und daher nicht zuverlässig auf
ihren Urheber/Autor zurückverweisen. Von zahllosen weiteren Anleihen bei der Weltgeschichte der
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Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose«. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. München/Wien 1984, S. 9f.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
WS 2014/15
Philosophie und Poesie der Postmoderne
Literatur abgesehen, zitiert Ecos Roman mit den Namen ›William von Baskerville‹ und ›Adson
Arthur Conan Doyles dritten Sherlock Holmes-Roman The Hound of the Baskervilles (1902); der
Name des blinden Mörders (der Kloster-Bibliothekar Jorge von Burgos) bezieht sich auf den
argentinischen ›Erfinder‹ postmodernen Erzählens Jorge Luis Borges (1899-1986), der in Buenos
Aires Bibliothekar war und im Alter erblindet ist (eklektisches Zitieren).
In den abschließenden Gesprächen zwischen William von Baskerville und Adson kommt darüber
hinaus das postmoderne Plädoyer für Toleranz (bzw. die grundsätzliche Ironisierung eines jeden
Fundamentalismus) zur Geltung: Um den zweiten Teil der Poetik des Aristoteles (= die Theorie der
Komödie) unter Verschluss zu halten, hat Jorge von Burgos seine Morde begangen und im Sterben
zuletzt das gesamte Kloster niedergebrannt (ob es dieses Zweite Buch der aristotelischen Poetik je
gegeben hat, ist historisch ungeklärt) – indem William von Baskerville den Novizen Adson auf die
Gefahr hinweist, die von totalitären Ideologien ausgeht, warnt Umberto Eco zugleich die Leser vor
jeder Art von Fanatismus.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
WS 2014/15
Philosophie und Poesie der Postmoderne
Zitate
Umberto Eco: Nachschrift zum Namen der Rose (1984)
»Un narratore non deve fornire interpretazioni della propria opera, altrimenti non avrebbe scritto un
romanzo, che è una macchina per generare interpretazioni.«
»Ein Erzähler darf das eigene Werk nicht interpretieren, andernfalls hätte er keinen Roman
geschrieben, denn ein Roman ist eine Maschine zur Erzeugung von Interpretationen.«2
»Penso all’atteggiamento post-moderno come a quello di chi ami una donna, molto colta, e che
sappia che non può dirle ti amo disperatamente, perché lui sa che lei sa (e che lei sa che lui sa) che
queste frasi le ha già scritte Liala. Tuttavia c’è una soluzione. Potrà dire: Come direbbe Liala, ti
amo disperatamente.«
»Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene
Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann: Ich liebe dich inniglich, weil er weiß, daß sie
weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon, sagen wir, von Liala
geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: Wie jetzt Liala sagen
würde: Ich liebe dich inniglich.«3
»A questo punto, avendo evitata la falsa innocenza, avendo detto chiaramente che non si può più
parlare in modo innocente, costui avrà però detto alla donna ciò che voleva dirle: che la ama, ma
che la ama in un’epoca di innocenza perduta. Se la donna sta al gioco, avrà ricevuto una
dichiarazione d’amore, ugualmente.«
»In diesem Moment, nachdem er die falsche Unschuld vermieden hat, nachdem er klar zum
Ausdruck gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau
gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen
Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung
angenommen.«4
»Nessuno dei due interlocutori si sentirà innocente, entrambi avranno accettato la sfida del passato,
del già detto che non si può eliminare, entrambi giocheranno coscientemente e con piacere al gioco
dell’ironia… Ma entrambi saranno riusciti ancora una volta a parlare d’amore.«
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Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 9f.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 78f.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 79.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
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Philosophie und Poesie der Postmoderne
»Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die
Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen
kann, beide spielen bewußt und mit Vergnügen das Spiel der Ironie… Aber beiden ist es gelungen,
noch einmal von Liebe zu reden.«5
»Credo tuttavia che il post-moderno non sia una tendenza circoscrivibile cronologicamente, ma una
categoria spirituale, o meglio un Kunstwollen, un modo di operare. Potremmo dire che ogni epoca
ha il proprio post-moderno, così come ogni epoca avrebbe il proprio manierismo (tanto mi chiedo se
post-moderno non sia il nome moderno del Manierismo come categoria metastorica).
Credo che in ogni epoca si arrivi a dei momenti di crisi quali quelli descritti da Nietzsche […]. Il
passato ci condiziona, ci sta addosso, ci ricatta.«
»Ich glaube indessen, daß ›postmodern‹ keine zeitlich begrenzbare Strömung ist, sondern eine
Geisteshaltung oder, genauer gesagt, eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen. Man könnte geradezu
sagen, daß jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat, so wie man gesagt hat, jede Epoche habe
ihren eigenen Manierismus (und vielleicht, ich frage es mich, ist postmodern überhaupt der
moderne Name für Manierismus als metahistorische Kategorie).
Ich glaube, daß man in jeder Epoche an Krisenmomente gelangt, wie sie Nietzsche […] beschrieben
hat. Die Vergangenheit konditioniert, belastet, erpreßt uns.«6
»L’avanguardia distrugge il passato, lo sfigura: le Demoiselles d’Avignon sono il gesto tipico
dell’avanguardia; poi l’avanguardia va oltre, distrutta la figura l’annulla, arriva all’astratto,
all’informale, alla tela bianca, alla tela lacerata, alla tela bruciata.«
»Die Avantgarde zerstört, entstellt die Vergangenheit: Picassos Demoiselles d’Avignon sind die
typische Auftrittsgebärde der Avantgarde; dann geht die Avantgarde weiter, zerstört die Figur,
annulliert sie, gelangt zum Abstrakten, zum Informellen, zur weißen Leinwand, zur zerrissenen
Leinwand, zur verbrannten Leinwand.«7
»Ma arriva il momento che l’avanguardia (il moderno) non può più andare oltre […]. La risposta
post-moderna al moderno consiste nel riconoscere che il passato, visto che non può essere distrutto,
perché la sua distruzione porta al silenzio, deve essere rivisitato: con ironia, in modo non
innocente.«
»Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen
kann […]. Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung,
daß die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum
Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld.«8
»Penso che i collages di Picasso, di Juan Gris e di Braque fossero moderni: per questo la gente
normale non li accettava. Invece i collages che faceva Max Ernst, montando i pezzi di incisioni
ottocentesche, erano post-moderni: si possono anche leggere come un racconto fantastico, come il
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Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 79.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 77.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 78.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 78.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
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Philosophie und Poesie der Postmoderne
racconto di un sogno, senza accorgersi che rappresentano un discorso sull’incisione, e forse sul
collage stesso.«
»Ich denke, die Collagen von Braque, Juan Gris und Picasso waren ›modern‹. Deshalb wurden sie
vom normalen Publikum abgelehnt. Dagegen waren die Collagen, die Max Ernst aus alten Stichen
montierte, postmodern. Man konnte und kann sie auch wie phantastische Traum- oder
Abenteuergeschichten lesen, ohne zu merken, daß sie einen Diskurs über alte Stiche darstellen oder
vielleicht auch einen über das Collagieren selbst.«9
André Breton: Manifeste du Surréalisme (1924)
»[Paul Valéry] m’assurait qu’en ce qui le concerne, il se refuserait toujours à écrire: La marquise
sortit à cinq heures.«10
»Paul Valéry versicherte mir, dass er, soweit es ihn beträfe, sich immer weigern würde zu
schreiben: Die Marquise ging um 5 Uhr aus.«11
Umberto Eco: Nachschrift zum Namen der Rose (1984)
»Si può dire Era una bella mattina di fine novembre senza sentirsi Snoopy? Ma se lo avessi fatto
dire a Snoopy? Se cioè era una bella mattina… lo avesse detto qualcuno che era autorizzato a dirlo,
perché così si poteva fare ai suoi tempi? Una maschera, ecco cosa mi occoreva.«
»Kann einer, der erzählen will, heute noch sagen: ›Es war ein klarer spätherbstlicher Morgen gegen
Ende November‹, ohne sich dabei wie Snoopy zu fühlen? Was aber, wenn ich Snoopy das sagen
ließe? Wenn also die Worte ›Es war ein klarer spätherbstlicher Morgen...‹ jemand sagte, der dazu
berechtigt war, weil man zu seiner Zeit noch so anheben konnte? Eine Maske, das war's, was ich
brauchte.«12
Edward Bulwer-Lytton: Paul Clifford, 1830
»It was a dark and stormy night …«13
Alexandre Dumas: Les trois mousquetaires (1844)
»C'était une nuit orageuse et sombre …«14
Umberto Eco: Nachschrift zum Namen der Rose (1984)
Per cui la mia storia non poteva che iniziare col manoscritto ritrovato, e anche quella sarebbe stata
una citazione (naturalmente). Così scrissi subito l’introduzione, ponendo la mia narrazione a un
quarto livello di incassamento, dentro a altre tre narrazioni: io dico che Vallet diceva che Mabillon
ha detto che Adso disse…
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Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 79f.
André Breton: Manifestes du Surrealisme. Paris 1966, S. 15.
André Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Aus dem Französischen von Ruth Henry. Reinbek 1986, S. 13.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 27.
Edward Bulwer-Lytton: Paul Clifford. Collection of British Authors vol. VII. Leipzig 1842, S. 1.
Alexandre Dumas: Les trois mousquetiers. Vingt ans après. Édition présentée et annotée par Gilbert Sigaux. Paris 1962, S. 678.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
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Philosophie und Poesie der Postmoderne
»Ergo konnte meine Geschichte nur mit der wiedergefundenen Handschrift beginnen, und auch das
wäre dann (natürlich) nur ein Zitat. So schrieb ich zunächst das Vorwort, indem ich meine
Erzählung, verpackt in drei andere Erzählungen, in den vierten Grad der Verpuppung setzte: Ich
sage, daß Vallet sagte, daß Mabillon sagte, daß Adson sagte...«15
Ho riscoperto così ciò che li scrittori hanno sempre saputo (e che tante volte ci hanno detto): i libri
parlano sempre di altri libri e ogni storia racconta una storia già raccontata. Lo sapeva Omero, lo
sapeva Ariosto, per non dire di Rabelais o di Cervantes.
»Denn nun entdeckte ich, was die Dichter seit jeher wußten (und schon so oft gesagt haben): Alle
Bücher sprechen immer von anderen Büchern, und jede Geschichte erzählt eine längst schon
erzählte Geschichte. Das wußte Homer, das wußte Ariost, zu schweigen von Rabelais und
Cervantes.«16
Ho scritto un romanzo perché me ne è venuto voglia. Credo sia una ragione sufficiente per mettersi
a raccontare. L’uomo è animale fabulatore per natura.
Avevo voglia di avvelenare un monaco. Credo che un romanzo nasca da una idea di questo genere,
il resto è polpa che si aggiunga strada facendo.
»Ich habe einen Roman geschrieben, weil ich Lust dazu hatte. Ich halte das für einen hinreichenden
Grund, sich ans Erzählen zu machen. Der Mensch ist von Natur aus ein animal fabulator.
Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften. Ich glaube, Romane entstehen aus solchen IdeenKeimen, der Rest ist Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt.«17
Un titolo deve confondere le idee, non irregimentarle.
»Ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen.«18
Umberto Eco: Il nome della rosa (1980)
»Il 16 agosto 1968 mi fu messo tra le mani un libro dovuto alla penna di tale abate Vallet, Le
manuscript de Dom Adson de Melk, traduit en français d’après l’édition de Dom J. Mabillon (Aux
Presses de l’Abbaye de la Source, Paris, 1842).«19
»Am 16. August 1968 fiel mir ein Buch aus der Feder eines gewissen Abbé Vallet in die Hände: Le
manuscript de Dom Adson de Melk, traduit en français d’après l’édition de Dom J. Mabillon (Aux
Presses de l’Abbaye de la Source, Paris, 1842).«20
»La dotta trouvaille [...] mi rallegrava mentre mi trovavo a Praga in attesa di una persona cara. Sei
giorni dopo le truppe sovietiche invadevano la sventurata città.«21
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17
18
19
20
21
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 28.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 28.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 21.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 28.
Umberto Eco: Il nome della rosa. Mailand 1980, S. 11.
Umberto Eco: Der Name der Rose. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. 44. Auflage. München/Wien 1982, S. 7.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 11.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
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»Der kostbare Fund [...] heiterte meine Stimmung auf, während ich in Prag die Ankunft einer mir
teuren Person erwartete. Sechs Tage später besetzten sowjetische Truppen die gebeutelte Stadt.«22
»A ben riflettere, assai scarse erano le ragioni che potessero inclinarmi a dare alle stampe la mia
versione italiana di una oscura versione neogotica francese di una edizione latina secentesca di un’
opera scritta in latino da un monaco tedesco sul finire del trecento.«23
»Der geneigte Leser möge bedenken: was er vor sich hat, ist die deutsche Übersetzung meiner
italienischen Fassung einer obskuren neugotisch – französischen Version einer im 17. Jh.
gedruckten Ausgabe eines im 14. Jh. von einem deutschen Mönch auf Lateinisch verfassten
Textes.«24
»Negli anni in cui scoprivo il testo dell’ abate Vallet circolava la persuasione che si dovesse
scrivere solo impegnandosi sul presente, e per cambiare il mondo. A dieci e più anni di distanza è
ora consolazione dell’ uomo di lettere (restituito alla sua altissima dignità) che si possa scrivere per
puro amore di scrittura.«25
»In den Jahren, da ich den Text des Abbé Vallet entdeckte, herrschte die Überzeugung, dass man
nur schreiben dürfe aus Engagement für die Gegenwart und im Bestreben, die Welt zu verändern.
Heute, mehr als zehn Jahre danach, ist es der Trost des homme de lettres (der damit seine höchste
Würde zurückerlangt), wieder schreiben zu dürfen aus reiner Liebe zum Schreiben.« 26
»›Wegen eines Satzes von Alinardus hatte ich angenommen, daß die Serie der Verbrechen dem
Rhythmus der sieben Posaunen in der Apokalypse folge: für Adelmus der Hagel, dabei war es ein
Selbstmord; für Venantius das Blut, dabei war es eine verrückte Idee von Berengar; für Berengar
selbst das Wasser, dabei war es ein Zufall; für Severin der dritte Teil des Himmelsgewölbes, dabei
hatte Malachias die Armillarsphäre nur genommen, weil sie gerade zur Hand war; und schließlich
für Malachias die Skorpione ... Warum hattest du ihm gesagt, das Buch habe die Kraft von tausend
Skorpionen?‹
›Deinetwegen. Alinardus hatte mir seine Idee eingegeben, und später hörte ich, daß auch du sie
einleuchtend fandest. Da sagte ich mir, daß offenbar ein göttlicher Plan diese Todesfälle lenkte, für
die ich mithin nicht verantwortlich war, und so warnte ich Malachias, er werde, falls er sich von der
Neugier packen ließe, gemäß eben diesem göttlichen Plan zugrunde gehen. Wie es dann ja auch
geschah.‹
›So war das also ... Dann habe ich mir ein falsches Muster zurechtgelegt, um mir die Schritte des
Schuldigen zu erklären, und der Schuldige hat sich diesem falschen Muster angepaßt. Und genau
dieses falsche Muster hat mich schließlich auf deine Spur gebracht ... «27
»›Non ho mai dubitato della verità dei segni, Adso, sono la sola cosa di cui l'uomo dispone per
orientarsi nel mondo. Ciò che io non ho capito è stata la relazione tra i segni. […] Mi sono
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Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 7.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 13.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 10.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 15.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 12.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 597.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
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comportato da ostinato, inseguendo una parvenza di ordine, quando dovevo sapere bene che non vi
è un ordnine nel universo.‹«28
»›Ich habe nie an der Wahrheit der Zeichen gezweifelt, Adson, sie sind das einzige, was der
Mensch hat, um sich in der Welt zurechtzufinden. Was ich nicht verstanden hatte, war die
Wechselbeziehung zwischen den Zeichen. [...] Ich bin wie ein Besessener hinter einem Anschein
von Ordnung hergelaufen, während ich doch hätte wissen müssen, dass es in der Welt keine
Ordnung gibt.‹«29
»›Ma immaginando degli ordini errati avete pur trovato qualcosa…‹
›Hai detto una cosa molto bella, Adso, ti ringrazio. L’ordine che la nostra mente immagina è come
una rete, o una scala. Che si costruisce per raggiungere qualcosa. Ma dopo si deve gettare la scala,
perché si scopre che, se pure serviva, era priva di senso.‹« 30
»›Aber indem Ihr Euch falsche Ordnungen vorgestellt habt, habt Ihr schließlich etwas gefunden...‹
›Da hast du etwas sehr Schönes gesagt, Adson, ich danke dir. Die Ordnung, die unser Geist sich
vorstellt, ist wie ein Netz oder eine Leiter, die er sich zusammenbastelt, um irgendwo
hinaufzugelangen. Aber wenn er dann hinaufgelangt ist, muss er sie wegwerfen, denn es zeigt sich,
dass sie zwar nützlich, aber unsinnig war.‹«31
»Fa freddo nello scriptorium, il pollice mi duole. Lascio questa scrittura, non so per chi, non so più
intorno a che cosa: stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus.«32
»Kalt ist’s im Skriptorium, der Daumen schmerzt mich. Ich gehe und hinterlasse dies Schreiben, ich
weiß nicht, für wen, ich weiß auch nicht mehr, worüber: Stat rosa pristina nomine, nomina nuda
tenemus.« 33
»Es handelt sich um einen Hexameter aus De contemptu mundi von Bernardus Morlanensis, einem
Benediktiner des 12. Jahrhunderts, der über das Thema Ubi sunt variiert, wobei er den geläufigen
Topos − ›Wo sind sie, die Großen von einst, die ruhmreichen Städte, die schönen Damen? Alles
schwindet dahin...‹ [...] – lediglich um den Gedanken erweitert, daß uns von all den verflossenen H
Herrlichkeiten nur nackte Namen bleiben.«34
»L’Antichristo può nascere dalla stessa pietà, dall’ eccessivo amor di Dio o della verità […]. Temi,
Adso, i profeti e coloro disposti a morire per la verità, ché di solito fan morire moltissimi con loro,
spesso prima di loro, talvolta al posto loro.«35
»Der Antichrist entspringt [...] aus der Frömmigkeit selbst, aus der fanatischen Liebe zu Gott oder
zur Wahrheit, so wie der Häretiker aus dem Heiligen und der Besessene aus dem Seher entspringen.
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Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 495.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 625.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 495.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 625.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 503.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 635.
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (Anm. 1), S. 9.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 494.
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II. Umberto Eco: Il nome della rosa (›Der Name der Rose‹)
WS 2014/15
Philosophie und Poesie der Postmoderne
Fürchte die Wahrheitspropheten, Adson, und fürchte vor allem jene, die bereit sind, für die
Wahrheit zu sterben: Gewöhnlich lassen sie viele andere mit sich sterben, oft bereits vor sich,
manchmal für sich.«36
»Forse il compito di chi ama gli uomini è di far ridere della veritá, fare ridere la verità, perché
l’unica verità è imparare a liberarci dalla passione insana per la verità.«37
»Vielleicht gibt es am Ende nur eins zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit
zum Lachen bringen, die Wahrheit zum Lachen bringen, denn die einzige Wahrheit heißt: lernen,
sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.«38
»Perché è storia di libri, non di miserie quotidiane, e la sua lettura può inclinarci a recitare, col
grande imitatore da Kempis: In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum
libro.«39
»Denn es ist eine Geschichte von Büchern, nicht von den Kümmernissen des Alltags, und ihre
Lektüre mag uns dazu bewegen, mit dem großen Imitator a Kempis zu rezitieren: In omnibus
requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro.«40
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Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 624.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 494.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 624.
Umberto Eco: Il nome della rosa (Anm. 19), S. 15.
Umberto Eco: Der Name der Rose (Anm. 20), S. 12.
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