Biologische Wirkungen ionisierender Strahlung

Wirkungen ionisierender Strahlung
auf den Menschen - Strahlenbiologie
PD Dr. Jürgen Füller
Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie
und Radioonkologie Gera
28.04.2015
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Strahlenbiologische Reaktionsfolge
Ionisierende Strahlung
Zeitfaktor
Prozesse
Physikalische Prozesse
Sekundenbruchteile
Ionisation
Radiolyse
Chemische Reaktionen
SekundenMinuten
DNA-Schäden
Biomolekülreakt.
Zelluläre Störungen
MinutenJahrzehnte
Chrom. Aberrat.
Mitoseblock
Organreaktionen
MinutenJahrzehnte
Determinist. und
stochast. Reakt.
Arten der Energieabsorption
Direkte Strahlenwirkung:
• Energieabsorption und Strahlenwirkung im
biologischen Molekül
Indirekte Strahlenwirkung:
• Energieabsorption im Wasser mit Radiolyse
• Entstehung diffusibler Radikale und H2O2
• Energietransfer an Biomoleküle (Oxidation)
Nukleinsäureschäden
1 Sv (Gy) führt pro Zelle etwa zu:
3000 Basenschäden, 1000 Einzelstrangbrüchen
40 Doppelstrangbrüchen
normal intramolekular intermolekular
Doppelstrangbrüche (nicht oder falsch repariert) wichtigster Mechanismus der Strahlenwirkung !
Andere Biomolekülwirkungen
Proteine:
• Reakt. d. Aminosäuren
• enzymatische Funktion
• Denaturierung
• kataboler Stoffwechsel
• Immunsuppression
Lipide/Lipoide:
• FS-Peroxidbildung
• Membranstörungen
Kohlenhydrate:
• oxid. Phosphorylierg.
Chromosomenschäden
Lymphozytenkaryogramm
nach 2 Gy mit 24-FarbenFISH-Test
( A.Küchler, Jena, 2002 )
• Brüche
• Deletion
• Inversion
• Translokation
Chromosomenaberrationen
NUMERISCH
•Polyploidie
Vervielfachung d. gesamten
Chromosomensatzes
STRUKTURELL
•Chromosomenbrüche
• Deletion / Fragmente
• Inversion
• Translokation
• Aneuploidie
Vervielfachung oder Fehlen
einzelner Chromosomen
• Ringchromosomen
• Dizentrische Chrom.
• Azentrische Chrom.
Zelluläre Ebene und Zellzyklus
Angriffspunkte:
Proteinsynthese
Membraneffekte
Mitoseblock
Zelltod
Radiogene Zelleffekte
• Interphasetod:
keine Teilungsfähigkeit mehr
• Reproduktiver Tod:
verlangsamte Teilung,
späterer Tod
• Zellerholung:
subletaler Strahlenschaden, Mutationen
• Kein Effekt:
ungestörte Teilung,
keine Mutationen
Gewebe-Strahlensensibilität
Hoch:
• Knochenmark
• Lymphatisches Gewebe
• Dünndarmschleimhaut
• Ovarien, Hoden
Mittel:
• Haut, Schleimhaut
• Drüsengewebe
• epitheliale Gewebe
Gering:
• Bindegewebe
• Muskulatur
• Nervengewebe
Strahlenwirkmechanismus
Physikalische Primärprozesse
(Anregung, Ionisation)
Chemische Veränderungen
(Nukleinsäuren, Proteine, Lipoide)
Biologische Reaktionen
Körperzellen
Deterministische
Schäden
Keimzellen
Stochastische
Schäden
Deterministische Strahleneffekte
Akut:
- Gewebsnekrose
- Entzündung
Schweregrad
Schwelle
Dosis
Chronisch:
- narbig degen.
Veränderungen
- Zunahme des Schweregrades mit
steigender absorbierter Dosis
- Schwellenwert (ca. 200 - 500 mSv)
- Strahlenkrankheit (GK-Expos. > 1 Sv)
Dosis-Wirkungskurven in der Strahlentherapie
Normalgewebsschäden
Wirkung
Tumorvernichtung
Heilungsrate
ohne Spätfolgen
Dosis
Holthusen 1936
Fraktionierte Bestrahlung
107
Erhohlung vom
akuten (subletalen)
Strahlenschaden
Überleben Normalgewebszellen
Vermindertes
Parenchym
organspezifische
Spätfolgen
Überlebende
Zellen
104
Bsp.: 12 Fraktionen
Überleben Tumorzellen
Ziel: Tumor vernichtet
100
Anzahl der Fraktionen (Dosis)
Morphologische und
funktionelle Aspekte
des Sauerstoffeffektes
(nach R. Sauer 2002)
Akute Strahlenkrankheit (1)
Kurzzeitige Einwirkung von ionisierender
Strahlung mit > 1 Sv auf den gesamten
Organismus oder größere Teile von ihm
Systematik:
Schweregrad/
Letalität:
1 - 10 Sv: hämatolog. Form
10 - 50 Sv: intestinale Form
50 - 100 Sv: toxische Form
> 100 Sv: cerebale Form
I:
II:
III:
IV:
1 - 2 Sv
2 - 4 Sv
4 - 6 Sv
> 6 Sv
0%
20%
50%
100%
Akute Strahlenkrankheit (2)
Pathogenetische Merkmale
• Panhämozytopenie
• Gastrointestinalsyndrom
1.Primärperiode: Mattigkeit, Übelkeit, Erbrechen
2.Latenzperiode: Relatives Wohlbefinden
3.Gipfelperiode: Toxisch-febriles Krankheitsbild
4.Genesungsp.:
Minderleistung, Krebsrisiko
Akute Strahlenkrankheit (3)
Therapie der Gipfelperiode:
Leukopenie:
Thrombopenie:
Anämie:
Darmschädigung:
Symptomatisch:
Infektprophylaxe
Leukokonzentrat, GMCSF
Thrombokonzentrat
Gerinnungsfaktoren, Vit. K
Erythrozytenkonzentrat
Erythropoetin, Vit. B6, B12
Infusionstherapie (Schock)
Sepsisbehandlung
Psychopharmaka, Analgetika
Hautexterna
Knochenmarktransplantationsversuch
Akute Strahlenkrankheit (4)
Kombinierte Strahlenschädigung
Syndrom der gegenseitigen Komplizierung:
• Radiogene Schädigung
• Traumatische Schädigung
• Thermische Schädigung
Erhöhte Letalität ! Chirurgische Eingriffe
nur in der Latenzperiode durchführen !
Chronische Strahlenkrankheit (1)
Merkmale:
• Folgezustand einer überlebten akuten Strahlenkrh.
• Häufige / chron. Einwirkung von Dosen < 1 Sv
• Exposition / Kontamination / Inkorporation
Charakteristik:
• kein phasenhafter Verlauf
• allgemeine Leistungsinsuffizienz
• reversible / irreversible Organstörungen
• chronische Immunschwäche
• Kanzerogeneserisiko
Isotopenmigration im Organismus
Respirator.
Lymphkn.
Körperflüssigkeit
Leber
Niere
Urin
Gewebe
Skelett
Schweiß Wunde Resorption
Stuhl
Lunge
Haut
Magen-Darm-Trakt
Ingestion Inhalation Exhalation
Chronische Strahlenkrankheit (2)
Therapeutische Aspekte
• Nuklidentfernung (Dekontamination / Dekorporation)
• Vermeidung weiterer chronischer Exposition durch
Evakuierung aus kontaminierten Arealen sowie
Vermeidung kontaminierter Lebensmittel
• organabhängige symptomatische Maßnahmen
• effektive Dispensairebetreuung hinsichtlich
Immuninsuffizienz, Kanzerogeneserisiko und
genetischer Keimzelleffekte
Algorithmus bei möglicher Strahlenexposition
Vitale Bedrohung ?
Sofortmaßnahmen
Liegt eine erhöhte Strahlenexposition vor ?
Kontaminierte Wunde ?
Spez. Wundbehandlg.
Kontaminierte Haut ?
Dekontamination
Inkorporation ?
Dekorporation
Strahlenkrankheit ?
Stat. Spezialbehandlg.
Konventionelle Therapie und Dispensairebetreuung
Strahlenwirkmechanismus
Physikalische Primärprozesse
(Anregung, Ionisation)
Chemische Veränderungen
(Nukleinsäuren, Proteine, Lipoide)
Biologische Reaktionen
Körperzellen
Deterministische
Schäden
Keimzellen
Stochastische
Schäden
Stochastische Strahleneffekte
Wahrscheinlichkeit
Somat. Mutation:
Kanzerogenese
Keimzellmutation:
Dosis
Erbschäden
- Zunahme der Wahrscheinlichkeit
mit steigender absorbierter Dosis
- Schweregrad ist dosisunabhängig
- wahrscheinlich kein Schwellenwert
Karzinomentstehung
Mutierte Zelle
Hyperplasie
In-situ-Tumor
Dysplasie
Invasiver Tumor
mod. nach R.A.Weinberg, Spektr. d. Wiss., SH 1(1996), 8-9
Strahlenkanzerogenese
Historische und aktuelle Beispiele
• Schneeberger Lungenkrebs (Radon)
• Hautkarzinome bei Röntgenoderm
• Radioaktive Leuchtfarben (GI-Trakt)
• Röntgenkontrastmittel Thorotrast
• Leukämien der Atombombenopfer
• Schilddrüsenkarzinome (Tschernobyl)
Jährliche natürliche Radioaktivität in
Mitteldeutschland (2,4 mSv)
0,3 mSv (13%)
0,3 mSv (13%)
Radon
terrestrisch
kosmisch
Organismus
0,5 mSv (21%)
1,3 mSv (53%)
Jährliche zivilisatorische
Strahlenexposition ( 2,0 - 2,5 mSv)
Medizin:
1,9 mSv Medizin
Radiol. Diagnostik
Radiol. Therapie
Sonstiges:
0,1 mSv Sonstiges
Berufl. Exposition
Flugreisen
Fernsehen
Leuchtfarben
Kernkraftwerke
Rad. Fallout
2
0
10
0,05
CT-Abdomen
12
KM-Colon
6
KM-Niere
2,0
Rö-Becken
0,05
Rö-Thorax
<0,1
Atlantikflug
Tschernobyl
1986 (D)
2,4
Zivilisat.
Radioaktivität
4
Natürl.
Radioaktivität
Effektive Ganzkörperbelastungen
radiologischer Belastungen ( mSv )
12,0
9,0
8
5,0
1,5
Strahlenkanzerogeneserisiko
-2
-1
entspricht:
5 x 10 x Sv
5/100 der mit 1 Sv Exponierten
sterben statistisch an einer Krebserkrankung.
Krebsmortalität steigt von ca. 28% auf ca. 33%.
Lineare Extrapolation auf 1 mSv:
5/100.000
pro
1 mSv
Krebsmortalität „steigt“ von 28% auf 28,005%
(epidemiologisch nicht nachweisbar)
(mod. nach ICRP 60)
Strahleneffekte und Gravidität
Stadium
Strahlenwirkungen
Blastogenese
(0. - 9. Tag)
Resorption
(„Alles-oder-Nichts“Gesetz)
Embryogenese
(10. - 42. Tag)
Fehlbildungen
(Wachstumsstörungen,
pränataler Tod)
Fetalperiode
(43. Tag -Geburt)
Wachstumsstörungen
(Fehlbildungen,
pränataler Tod)