2015-04-29 EREV Wirkfaktoren

Wirkfaktoren – der Capability Approach
Prof. Dr. Michael Macsenaere
IKJ – Institut für Kinder- und Jugendhilfe
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Universität zu Köln
Hochschule Niederrhein
Übersicht
1. Was will Erziehungshilfe bewirken?
Capability Approach und Happiness Research
2. Was wirkt in der Erziehungshilfe?
Wirkfaktoren
3. Welche Wirkungen erreicht die Erziehungshilfe?
Effektivität und Effizienz
1
Was wollen wir in der
Erziehungshilfe bewirken?
Folie Nr. 3
Wirkung in den HzE und ihre Theorien - Historie
bis 1995:
Reduzierung von Defiziten
ab 1995:
Aufbau von Ressourcen und
Reduzierung von Defiziten
Macsenaere, Petermann, Schmidt
Aktuell:
Förderung der Grundbefähigungen
(Capabilities und Happ. Research)
Nussbaum, Sen, Otto/Ziegler, Macsenaere
2
Happiness Research
9 interkulturelle Glücksfaktoren:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Aktivität => Ziele setzen und erreichen
Aufmerksamkeit und Konzentration
Bewegung
Negative Emotionen kontrollieren
Vielfalt leben
Freiheit => Abhängigkeit vermeiden
Soziales Gefüge, Liebe
Gesundheit
Selbstbeobachtung und Selbstreflexion
=> Glück ist trainierbar!
Amartya Sen
Capability-Approach: Darstellung und Messung des
individuellen + gesellschaftl. Wohlergehens
5 Freiheiten:
1.
2.
3.
4.
5.
Die politische Freiheit: Kritik, Widerspruch,
Wahlrecht/Demokratie
Ökonomische Einrichtungen: freier Zugang zum Markt und
zum Arbeitsmarkt
Soziale Chancen: Bildung, Gesundheit
Gesellschaftliche Transparenz: keine Korruption,
verantwortl. Umgang mit Finanzmitteln/Macht,
Pressefreiheit
Soziale Sicherheit: Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe,
Mindestlöhne
3
Capabilities / Verwirklichungschancen
Ressourcen und Problemlagen
Individuelle
Fähigkeiten und
Potenziale
Gesellschaftliche
Rahmenbedingungen
gelingendes Leben /
selbstbestimmte
Lebensführung
Amartya Sen
Indikatoren zur Messung der indiv. „Fähigkeiten“:
•
•
•
•
sich ausreichend ernähren können
über Bekleidung und Behausung verfügen
sich ohne Scham in der Öffentlichkeit zeigen zu können
am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können
Folge:
Volkswirtschaftl. Kennziffern werden um Capabilities erweitert
- Lebenserwartung
- Bildung
- Korruption
- Lebensqualität etc.
4
Martha Nussbaum: Tugenden und Capabilities
Tugenden nach Aristoteles
1. Tapferkeit
2. Mäßigung
3. Gerechtigkeit
4. Freigiebigkeit
5. Gastfreundschaft
6. Seelengröße
7. Sanftmut
8. Wahrhaftigkeit
9. Echtes Verständnis
10. Klugheit
11. Praktische Vernunft
Capabilities nach Nussbaum
1.(Lebenswertes) Leben
2.Körperliche Integrität
3.Gefühlserfahrungen
4.Kognitive Fähigkeiten
5.Vertrauen
6.Vorstellung des Guten
7.Sozialität
8.Ökologische Verbundenheit
9.Freizeitgestaltung
10.(Starke) Vereinzelung
Capabilities in den HzE
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
(Lebenswertes) Leben
Körperliche Integrität
Wohnen und Mobilität
Resilienz
Kognitive Fähigkeiten
Emotionalität und soziale Kompetenz
Lebenspraktische Fähigkeiten
Freizeitgestaltung und Erholung
Initiative und Partizipation
Werte / Ethik
5
Capability Approach
Hohe internationale Wertschätzung
•
•
•
•
Vereinte Nationen (UNO)
Weltbank
Politik (z. B. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung)
Deutscher Caritasverband und Caritas International
Besondere Eignung
•
•
•
•
Soziale Arbeit
Personenzentrierung (Behindertenhilfe)
Inklusion
Sozialraumorientierung
Erfassung intendierter + nicht intendierter Wirkungen
Grundlage für Bestimmung von effect, impact und outcome
Zentrale Wirkfaktoren
in der Erziehungshilfe
6
Klientel
Über 40.000 Hilfen
16 Bundesländer
Ca. 40.000.000 Daten
Einrichtungen
Trägerübergreifend
250 Institutionen
Europäisch:
- Deutschland
- Österreich
- Luxemburg
- Niederlande
- Bulgarien
14 Hilfearten
7
Wirkfaktoren und Akteure
Leistungserbringer
Jugendamt
Wirkfaktoren
Adressaten
Wirkfaktor
Partizipation
8
Effektivität in Abhängigkeit des Partizipationsgrads
hohe
Partizipation/
Kooperation
geringe
Partizipation/
Kooperation
0
2
4
6
8
10
12
14
Wirkfaktor
Hilfedauer
9
Effektstärke und Verweildauer
Entwicklung der Defizite und Ressourcen
+ 12
-
Ressourcen
10
Defizite
8
6
4
2
0
0
-2
6
12
18
24
30
36
48
>48
Verweildauer in Monaten
-4
EVAS; nur abgeschlossene Hilfen; n = 26286
Wirkfaktor
Elternarbeit
10
Elternarbeit und Kooperation
70%
59%
56%
60%
Kooperationsindex
52%
50%
Hilfen mit
Elternarbeit
40%
Hilfen ohne
Elternarbeit
30%
20%
20%
10%
0%
Kooperation
Kind/Jugendlicher
Kooperation
Eltern/Sorgeberechtigte
(F(1)=38,83; p=0,00)
Effektivität von Hilfen mit Elternarbeit
Besonders profitieren soz. Gruppenarbeit,
SPFH, Tagesgruppen, GU
positiv
Veränderung der Ausgangslage
7,500
+6,1
+4,9
+4,5
5,00
+3,6
+2,0
2,500
+1,0
,00
-0,1
00
-2,500
Effektindex
negativ
Ressourcenindex
Hilfen mit Elternarbeit
Defizitindex
Schulleistungsindex
Hilfen ohne Elternarbeit
(F(1) = 82,75; p = 0,00)
11
Resümee zur Elternarbeit in den HzE
Ausgangslage:
− Bevorzugt für männliche Klientel
− Bevorzugt für jüngere Klientel
− Schwierigere Ausgangslage: < Ressourcen; > Defizite
Prozessqualtät:
− Höhere Kooperation von Kind und insbes. von Eltern
− Höhere Hilfedauer
− Geringerer Anteil unplanmäßiger Beendigungen
Ergebnisqualität:
− Höhere Effektivität
− Bes. profitieren soz. Gruppenarbeit, SPFH, Tagesgruppen, GU
Wirkfaktor
Beziehungsqualität
12
Beziehungsqualität und Effektivität
10
Beziehungsqualität
niedrig
8
Beziehungsqualität
hoch
6
4
2
0
Effektivität
Ressourcen
Defizite
Schulleistungen
-2
-4
Kriterien für eine gute Beziehungsqualität
Vertrauen
Beziehungsqualität
13
Wirkfaktor
Klinische Orientierung
Wirkfaktor
Ressourcenorientierte
Pädagogik
14
Ressourcenorientierte Pädagogik
Orientiert an den Ressourcen
- Des Sozialraums
- Der Familie
- Des jungen Menschen
Tierpädagogik, Musik, Bewegung, Psychomotorik,
Kunst, Fotografie, Zirkus, Religion;
=> Video Cup-Song
Gerade für Klientel, die bislang eher durch Defizite
aufgefallen ist
Ressourcenorientierte Pädagogik
Tier
Musik
cup-song
Bewegung
Psychomotorik
Kunst
Fotografie/Film
Theater
Religion
...
15
Wirkfaktor
Verselbständigung
Förderung von Verselbständigung
Ausgangslage:
Mädchen
viele Ressourcen
geringe Defizite
Kooperation
Hilfedauer
Verselbständigung
Höhere Effekte
https://www.youtube.com/watch?v=I09H8z_hBw4
16
Wirkfaktor
Nachsorge
Wirkfaktor
Berufsorientierung
17
Berufsorientierung
Für Heime mit heiminterner Berufsausbildung:
diese ist externer Berufsausbildung überlegen:
− wird für schwierigere Klientel (mehr Risikiofaktoren)
gewählt:
− trotz geringerer Chancen: gute Effekte
− soziale Teilhabechancen werden erhöht
Was fördert beruflichen Erfolg?
Training
Durchsetzungsvermögen
Selbstbeherrschung
Intelligenz
Beruflicher Erfolg
18
„Der Schlüssel zum beruflichen Erfolg liegt darin,
seine Bedürfnisse zu kontrollieren.“
Walter Mischel
Aber:
„Der Schlüssel zum Glück liegt darin, seine
Bedürfnisse zu achten.“
Ulrike Manegold
Wirkfaktor
Traumapädagogik
19
Traumatisches Erlebnis
nein
6%
unbekannt
6%
begründeter
Verdacht
25%
ja
63%
traumatische Ereignisse
Vernachlässigung, Verwahrlosung
71
gewalttätiger Angriff durch Person aus
Familie/Bekanntenkreis
47
sexueller Missbrauch durch Person aus
Familie/Bekanntenkreis
20
Tod einer wichtigen Bezugsperson
17
gewalttätiger Angriff durch fremde Person
9
schwere Krankheit
8
sexueller Missbrauch durch fremde Person
7
schwerer Unfall, Feuer oder Explosion
6
0
20
40
60
80
Prozent
20
Effekte bei pädagogischen Fachkräften
Zuwachs -->
100
80
76,263
Indexmittelwert
72,316
70,00
60
63,290
52,237
<-- Reduzierung
40
41,526
theoretisches Wissen; p = .000; d = 2.26
20
praktische Fähigkeiten; n = .000; d = 1.37
Zusammenarbeit; p = .001; d = 0.63
0
Beginn
Abschluss
n = 38
Gesamthilfeeffekt bei den jungen Menschen
5
3
2,660
2
1,710
1
,00
0
2008
-
Effektindexänderung
+
4
2009
2010
-1
-2
-3
Hilfebeginn
21
Wirkfaktor
Mitarbeiterqualifikation
Mitarbeitermotivation
Empirisch erwiesene Einflussfaktoren:
1. Geld: lediglich „Hygienefaktor“; vermeidet Unzufriedenheit,
keine Förderung von Motivation, schnelle Gewöhnung
2. Erleben von Autonomie: eigene Entscheid. treffen können
3. Positives Feedback + echte Zuwendung: intern und gesellsch.
4. Betriebskultur mit positiven Menschenbild: Vertrauen, Respekt
5. Transparenz, Informationsfluss, Vorschlagswesen
6. Work-Life-Balance
7. Möglichkeit, Leistung zu bringen, sich weiterzuentwickeln,
zu wachsen
Interindividuell sehr unterschiedlich (=> „Diversity Management“)
22
Wirkfaktor
Indikation
Hilfeentscheidung
Weichenstellung… für den Hilfeerfolg!
23
Zuweisungsqualität (EVAS, aktualisiert)
27%
Arbeitsbelastung
nicht tauglich
12%
bedingt tauglich
sehr tauglich
61%
n = 17.619
0%
25%
50%
75%
Schwierigkeit, eine geeignete Hilfe zu finden
72 %
29 %
5%
24
Wirkfaktor
Sozialpädagogische
Diagnostik
Reliabilität
Validität
+
Sozialpädagogische Eingangsdiagnostik
+
+
Aufwand
Zuweisungsqualität
-
Akzeptanz
+
+
Geeignete Hilfe
Kosten der Hilfe
-
+
Effektivität
-
Anschlusshilfen
Abbruchquote
+
-
Outcome: Effizienz
25
Wirkfaktor
Casemanagement
Casemanagement
1. Falleingang (case finding und intake):
•
•
1. Fallbestimmung,
2. Arbeitsvereinbarung.
2. Situationsaufnahme und
Bedarfsfeststellung (assessment):
•
•
3. Information / Beratung / Antrag,
4. Aufnahme der Hilfesituation; Ermittlung
des erzieherischen Bedarfes und
Hilfebereiches.
3. Hilfeplanung/Unterstützungsplan.
(Serviceplan, planning):
•
•
•
•
•
5. Entwicklung möglicher Lösungsansätze,
6. Ermittlung bedarfsgerechter Hilfsangebote,
7. Auswahl der Hilfen und Leistungserbringer
(Fachgespräche,
Hilfeplanung),
8. Vorstellung des Hilfsangebotes bei der
Familie und Besprechung.
4. Implementierung:
•
9. Vereinbarungen und Koordination der
Hilfen (Hilfeplangespräche).
5. Prozessbeobachtung und
Prozesssteuerung (monitoring):
•
10. Beobachtung und Überprüfung der
Hilfen sowie ggf. Neusteuerung nach
Zwischenevaluation.
6. Abschluss und Bewertung
(Evaluation):
•
•
11. Beendigung,
12. Abschlussevaluation
26
Wirkfaktor
Ressourcenorientierte
Hilfeplanung
Ressourcenorientierte Hilfeplanung
Ressourcenorientierung in der Hilfeplanung ist
mittlerweile die Regel – und das ist auch gut so!
Ressourcenbezogene Ziele werden besser erreicht
werden als defizitbezogene.
Optimierungsbedarf:
− auch zu Beginn der Hilfe einsetzen
− auch für junge Menschen mit einer ausgeprägten
Symptomatik
27
Wirkfaktor
Wirkungsorientierte
Verlaufsplanung
Wirkungsorientierte Steuerung im Einzelfall
Hilfen mit einer Laufzeit von mind. 2 Jahren
EVAS-Effektindex
20
15
10
5
0
Beginn
6 Monate
12 Monate
18 Monate
24 Monate
Ende
-5
-10
-15
Steuerungspotential
28
Wirkfaktor
Intensivpädagogik
Wirkfaktor
Individualpädagogik
29
Wirkfaktor
Alter
Alter und Effektstärke
10
9
EVAS-Effektindex
8
7
6
5
4
3
2
1
0
<6
6-9
10 - 13
14 - 17
18 - 26
Alter in Jahren bei Hilfebeginn
30
Wirkfaktor
Keine
Hilfevorerfahrung
Insbes. Heimerziehung und Psychiatrie
Wirkfaktor
Kooperation
31
Effektivität in Abhängigkeit der Kooperation
Kooperation
Schule
hohe
Partizipation/
Kooperation
geringe
Partizipation/
Kooperation
Kooperation
Hilfe
0
2
4
6
8
10
12
14
Methoden
- Partizipation
- SoLiG
- Partizipations Award (BVkE)
- Hilfe zur Selbsthilfe
- Förderung von intrinsischer Motivation durch
Ressourcenorientierung => an Interessen ansetzen
- Marte Meo
- „ich sehe etwas, wo du schon etwas kannst“
- Man muss Anliegen des Gegenüber kennen und was ihn
berührt
- Erfolg in kleinen Schritten rückmelden
Erfolg ist unmittelbar zu sehen (nach 1-3 Sitzungen)
32
Zentrale Wirkfaktoren
Intensivpädagogik
Verselbständigung
Sozialpäd. Diagnostik
Keine Jugendhilfekarriere
Mitarbeiter-Qualifikation
Partizipation
Kooperation
Hilfedauer
Nachsorge
Indikation
Alter
QualitätsEntwicklung
Wirkungsorientierte
Verlaufsplanung
Klinische Orientierung
Ressourcenor. Pädagogik
Elternarbeit
Traumapädagogik
Casemanagement
Berufsorientierung
Individualpädagogik
Beziehungsqualität
Ressourcenor. Hilfeplanung
Wie effektiv sind
Hilfen zur Erziehung?
33
Effektivität der Hilfen zur Erziehung
90
- gute Effektstärken
80
- beim jungen Mensch mehr
70
als im Umfeld
60
- regionale Disparitäten
50
- Besonderheiten der
40
Hilfearten
30
- erreichte Wirkungen
20
bleiben stabil
10
0
positiv
neutral
negativ
Sind Hilfen zur Erziehung
ihr (vieles) Geld wert?
34
Effizienzmodell
Roos, K. 2005: Kosten-Nutzen-Analyse von Jugendhilfemaßnahmen
Erste Kosten-Nutzen-Analyse in der Jugendhilfe
Effizienz von Heimerziehung (Roos, 2005; IKJ, 2009)
Kosten: 120.317 €
Nutzeneffekte
– Bildung, Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit
– Gesundheit
– Delinquenz
Gesamtnutzen: 355.137 €
35
Effizienz von Heimerziehung (Roos, 2005; IKJ, 2009)
Jugendhilfe rechnet sich:
Das ist nur der tangible Nutzen.
Der intangible Nutzen kommt noch dazu.
Keine Kosten, sondern Investitionen !
36
Weitere Informationen
IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH
Saarstraße 1
55122 Mainz
Tel.:
Fax:
0 61 31 - 94 79 7 - 0
0 61 31 - 94 79 7 - 77
eM@il:
[email protected]
Internet: www.ikj-mainz.de
37