Das aktuelle Leitbild der Lippe

Lippe: Entwicklung, Visionen
Das aktuelle Leitbild der Lippe
Uwe Koenzen
Leitbilder besitzen zentrale Bedeutung als Bewertungsgrundlage und Orientierungshilfe für fließgewässerökologische Fragestellungen. Die Erarbeitung von typologisch gestützten Leitbildern für Fließgewässer wird in
NRW seit nunmehr 10 Jahren betrieben und ist mit der Vorlage des LUA-Merkblattes 34 „Leitbilder für die mittelgroßen bis großen Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen“ abgeschlossen. Die folgenden Abbildungen basieren im Wesentlichen auf screenshots aus dem digitalen Informationssystem zum LUA-Merkblatt 36 „Fließgewässertypenatlas Nordrhein-Westfalen“.
Das Leitbild im Sinne der LAWA-Definition
beschreibt den heutigen potenziell natürlichen
Gewässerzustand anhand des Kenntnisstandes über
die natürliche Funktion des Ökosystems Fließgewässer. Es ist das aus rein naturwissenschaftlicher Sicht
maximal mögliche Sanierungsziel, das keine sozio-
ökonomischen Einschränkungen berücksichtigt.
Ebenso bleiben Kosten-Nutzenbetrachtungen
unberücksichtigt. Diese sehr weitreichenden Vorgaben schaffen eine Bewertungsbasis, die unabhängig
von sozio-ökonomischen und somit gesellschaftlichen Veränderungen von Wertmaßstäben ist.
Abbildung 1: Flusstypen und Flussabschnittstypen in NRW (LUA 2002).
NUA-Seminarbericht Band 9
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Koenzen: Das aktuelle Leitbild der Lippe
Tabelle 1: Anteile der Fließgewässertypen im Lippe-Einzugsgebiet (Auswertung FTIS, LUA/MUNLV 2002).
Gelb hervorgehoben: Typen mit hoher Relevanz (unabhängig von der Gewässergröße).
Gewässername
Gewässertyp
Lippe Oberlauf
Fließgewässer der Niederungen
11 266
0,26
Lippe
mittelgroße
bis große
Fließgewässer
Sandgeprägter Fluss des Tieflandes
201 629
Schottergeprägter Karstfluss des Deckgebirges
54 700
Schottergeprägter Fluss des Grundgebirges
15 600
Lehmgeprägter Fluss des Tieflandes
49 270
Sandgeprägter Fluss des Tieflandes
65 411
Karstbach
383 433
Kiesgeprägtes Fließgewässer der
Verwitterungsgebiete und Flussterrassen
428 452
Löss-lehmgeprägtes Fließgewässer der Bördenlandschaft
572 760
Fließgewässer der Niederungen
1 589 540
Sandgeprägtes Fließgewässer der Sander
und sandigen Aufschüttungen
662 489
Organisch geprägtes Fließgewässer der Sander
und sandigen Aufschüttungen
96 076
Kerbtalbach im Grundgebirge
44 164
Kleiner Talauebach im Grundgebirge
98 492
Großer Talauebach im Grundgebirge
28 431
Kleiner Talauebach im Deckgebirge
62 503
Großer Talauebach im Deckgebirge
8 169
4,61
1,25
0,36
1,13
1,50
8,77
kleine
Fließgewässer
Fließlänge
(m)
%-AnteilGewässertyp
9,80
13,10
36,35
15,15
2,20
1,01
2,25
0,65
1,43
0,19
Gesamt
4 372 385
100,00
Nebengewässer
4 159 490
95,13
212 895
4,87
Lippe
Eingeschlossen in Betrachtungen zur Leitbildentwicklung sind jedoch irreversible anthropogene Veränderungen des Gewässerökosystems bzw. der
naturräumlichen Rahmenbedingungen:
– Auenlehmsedimentation
– Mineralisierung organischer Böden
– großflächige Abgrabungen (z. B. Braunkohletagebaue) und ggf. Aufschüttungen (Halden)
– bergbaulich induzierte Reliefveränderungen
– Sohleneintiefung des Rheins bei Erreichen des
tertiären Untergrundes
Diese Einbeziehung der rezenten Veränderungen
stellt sicher, dass der aktualistische Hintergrund –
das heutige potenziell Natürliche – entsprechende
Berücksichtigung findet.
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Bei einem Vergleich dieser Vorgaben mit den in der
Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nachgefragten
Referenzbedingungen zeigt sich, dass das im obigen
Sinne definierte Leitbild dem Referenzzustand im
Sinne der WRRL entspricht. Die Referenzzustände
im Sinne der WRRL können durch entsprechende
reale Gewässer oder alternativ durch die modellhafte Beschreibung des potenziell natürlichen
Zustandes belegt werden. Letzteres ist insbesondere
bei größeren Gewässern – wie auch der Lippe und
ihrer größeren Zuflüsse – notwendig, da keine adäquaten Referenzabschnitte vorhanden sind. Referenzzustände können für diese Gewässer zumeist
auf fließgewässermorphologischen Grundlagen
sowie der Dokumentation und Integration von Referenzstrukturen (s. LUA-Merkblatt 29) beschrieben
werden.
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Flusstypen in
Nordrhein-Westfalen
Flusstypen des Tieflandes
Organisch geprägter Fluss des Tieflandes
Lehmgeprägter Fluss des Tieflandes
Sandgeprägter Fluss des Tieflandes
Kiesgeprägter Fluss des Tieflandes
Flusstypen des Mittelgebirges
Schottergeprägter Fluss des Grundgebirges*
Kiesgeprägter Fluss des Deckgebirges
Schottergeprägter Karstfluss des Deckgebirges*
* Die schottergeprägten Flüsse tragen mittelgebirgstypische morphologische und hydrologische
Charakteristika weit in das Tiefland hinein, so
dass eine scharfe typologische Abgrenzung über
die Großlandschaften nicht möglich ist.
Abbildung 2: Flusstypen in NRW (LUA 2002).
Grundlage für eine zielgerichtete und handhabbare
Erarbeitung von Leitbildern bzw. Referenzen ist eine
typologische Zuordnung der zu betrachtenden
Gewässer, da eine weitgehend individuelle Bearbeitung eine unüberschaubare Vielfalt an Leitbildern
bedingen würde. Diese typologische Zuordnung
wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeiten im
Auftrag des MUNLV und LUA auch für die Lippe
und ihre Zuflüsse vorgenommen (s. Tab. 1). Im Einzugsgebiet der Lippe ist eine Vielzahl von Gewässertypen anzutreffen, wobei die sandgeprägten Fließgewässer im Tiefland vorherrschen. Das obere Einzugsgebiet wird dagegen von schotter- und karstgeprägten Fließgewässern der Massenkalkflächen
bestimmt.
Die Lippe selbst wird den sandgeprägten Flüssen des
Tieflandes zugeordnet. Der Oberlauf der Lippe weist
jedoch natürlicherweise zudem erhebliche Schotterund Kiesanteile auf, die durch die schotterführenden
Bäche und Flüsse der Paderborner Hochebene zugeführt werden. Im Mittel- und Unterlauf sind Sande
und Totholz die dominierenden Sohlsubstrate unter
Leitbildbedingungen. Vereinzelt und kleinräumig
treten auch Mergelbänke auf.
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Abbildung 3: Flusstyp und Flussabschnittstypen der Lippe: Oberlauf der
Lippe und prägende Zuflüsse.
Die Laufentwicklung der Lippe wird im Wesentlichen durch die Talbodenbreite bestimmt. Diese
erlaubt zumeist die Ausbildung weiträumiger Mäander, die einen reichhaltigen Formenschatz von
Gewässer und Aue bedingen. Die Auen werden
durch ausgeprägte Rinnen- und Altwassersysteme
gegliedert, die auf die Verlagerung des Lippelaufes
in den leicht erodierbaren Sanden zurückzuführen
sind. Dennoch sind auch Laufabschnitte mit weitgehend gestrecktem Gewässerverlauf ausgeprägt. Derartige Abschnitte sind jedoch auf kleinräumige Engtalbereiche beschränkt.
Referenzstrukturen sind an keinem der nordrheinwestfälischen Tieflandflüsse so anzutreffen, dass
sich auf einem der Laufabschnitte ein vollständiges
„Leitbild“ ergäbe. So ist es notwendig, die verschiedenen Strukturelemente in ihrer jeweils charakteristischen Ausprägung zu identifizieren und zu dokumentieren (s. LUA Merkblatt 29). Letztlich gilt es,
die nunmehr gut dokumentierten abiotischen Leitbildzustände in Beziehung zu den potenziell zu
erwartenden Lebensgemeinschaften zu setzen. Hierbei wird neben aktuellen Bestandsdaten, die unmittelbar auf die ausgewählten Referenzabschnitte
bezogen sind, auch auf historische Daten zurückgegriffen.
So sind für die Lippe mindestens vier Wanderfischarten bzw. Neunaugen dokumentiert: Lachs,
Maifisch, Stör und Flussneunauge. Diese gilt es vor
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Fließgewässer
Sandbank*
*vorherrschendes Großkorn
Abbildung 4: Gerinnebettmuster der Lippe in Engtalbereichen (LUA 2002).
dem Hintergrund der Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie wieder in selbstreproduzierenden
Beständen zu etablieren.
Für kommende Planungen und die zielgerichtete
Bewirtschaftung bilden Leitbild und Referenzbeschreibung wichtige Grundlagen. Sie sind die Basis für die
Definition von Entwicklungszielen.
Abbildung 5: Referenzstrukturen sandgeprägter Tieflandflüsse. Oben links: treibsel- und totholzreiche Bankstrukturen, oben
rechts: Sandsohle und gehölzbestandene Ufer, unten links: Steilufer mit Sturzbaum, unten rechts: Verlandendes Altwasser.
Fotos: U. Koenzen 1999
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Fische und Rundmäuler:
Mindestens vier Wanderfischarten:
– Lachs
– Maifisch
– Stör
– Flussneunauge
Abbildung 6: Aspekte des biozönotischen Leitbildes der Lippe (LUA 2002, EHLERT et al. 2000).
Abbildung 7: Projektion des abstrakten potenziell natürlichen Zustandes in die Landschaft (DGM 5).
Anschrift des Verfassers
Dipl.-Geogr. Uwe Koenzen, Benrather Straße 47, 40721 Hilden
Literatur
EHLERT, T., U. KOENZEN, T. POTTGIESSER, H. SCHUMACHER & G. FRIEDRICH (2000): Dem Leitbild auf der Spur.
In: NUA-Seminarbericht Band 6, Emsauenschutz: 22–25.
LANDESUMWELTAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (LUA) (HRSG.) (2002): Fließgewässertypenatlas Nordrhein-Westfalen. Merkblatt Nr. 36. Essen.
LANDESUMWELTAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (LUA) (HRSG.) (2001): Leitbilder für die mittelgroßen bis großen
Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen. Merkblätter Nr. 34. Essen.
LANDESUMWELTAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (LUA) (HRSG.) (2001): Referenzgewässer der Fließgewässertypen
Nordrhein-Westfalens. Merkblätter Nr. 29. Essen.
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