3D-Zellkulturmodelle auf Basis thermogeformter

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Mikrokavitäten-Arrays
3D-Zellkulturmodelle auf Basis
thermogeformter Polymerfolien
ERIC GOTTWALD 1 , STEFAN GISELBRECHT 2 , ROMAN TRUCKENMÜLLER 2
1 KARLSRUHER INSTITUT FÜR TECHNOLOGIE, INSTITUT FÜR BIOLOGISCHE
GRENZFLÄCHEN, EGGENSTEIN-LEOPOLDSHAFEN
2 UNIVERSITÄT MAASTRICHT, MERLN INSTITUTE FOR TECHNOLOGY-INSPIRED
REGENERATIVE MEDICINE, DEPARTMENT OF COMPLEX TISSUE REGENERATION,
MAASTRICHT, NIEDERLANDE
For more than 100 years tissue culture has relied on two-dimensional
platforms, such as petri dishes and derivatives thereof, although for more
than already 50 years it is known that three dimensional (3D) culture
methods lead to or improve the organotypic behavior of cells. We have
developed a new method to generate uniform cellular 3D aggregates with
a defined position by means of thermoformed thin polymer films containing “microcavities” making them an useful system for a multitude of
applications in which 3D is of prime importance.
DOI: 10.1007/s12268-015-0556-0
© Springer-Verlag 2015
ó Zu den gängigen Techniken, zelluläre,
dreidimensionale Konstrukte zu erzeugen,
zählen solche, die die Zellen untereinander
ohne Gerüststrukturen aggregieren, wohingegen andere dies mit scaffolds unterstützen.
Diese Matrices können die Zellen vollständig
einschließen, wie beispielsweise Hydrogele,
oder in Faser- oder Schwammform vorliegen.
Eine neue Methode, um Zellen nicht nur zu
aggregieren, sondern auch noch die Aggregatgröße genau zu kontrollieren und darüber
hinaus auch noch die Position jedes einzelnen Aggregats reproduzierbar zu bestimmen,
bietet das von uns entwickelte Mikrothermoformverfahren SMART (surface modification
and replication by thermoforming). Mithilfe
dieses Verfahrens ist es möglich, Polymerfolien von typischerweise einigen zehn Mikrometern Dicke in Formen zu verstrecken, die
im einfachsten Fall halbkalottenförmig sind,
aber prinzipiell sehr variabel in der Form sein
können (Abb. 1A, B). Dabei ist deren Größe an
physiologische Größenordnungen angelehnt.
So beträgt die mittlere, freie Weglänge von
Sauerstoff zwischen zwei Kapillaren in
einem typischen tierischen Gewebe bis zu
300 Mikrometer, das heißt auf dieser Distanz
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findet eine Versorgung des Gewebes ausschließlich durch Diffusion statt. Mikrokavitäten besitzen deshalb häufig einen
Durchmesser von 300 Mikrometern und, je
nach Anwendung, eine Tiefe von bis zu
A
300 Mikrometern, sodass eine stationäre Kultur von darin kultivierten dreidimensionalen
Aggregaten auch ohne aktive Medienversorgung gestaltet werden kann.
Der SMART-Prozess gliedert sich in drei
Prozessmodule: Vorprozess, Hauptprozess
und Nachprozess (Abb. 2, [1, 2]), die das Verfahren sehr flexibel und damit in vielen
Arbeitsbereichen einsetzbar machen. So lassen sich z. B. mit Schwerionen bestrahlte
Folien in einem Nachprozess mit Poren versehen, deren Größe in einem weiten Bereich
einstellbar ist. Die Folien lassen sich auch
physikochemisch so modifizieren, dass Muster, die im planaren Zustand der Folie erzeugt
wurden, durch das Verstrecken in die dritte
Dimension überführt werden. So lassen sich
gezielt Bereiche erzeugen, die besonders
attraktiv oder unattraktiv für die Adhäsion
von Zellen sind [3]. Durch eine Integration
mikro- und nanoskaliger topografischer Strukturen auf den gekrümmten Oberflächen lässt
sich z. B. das Verhalten und/oder die Differenzierung von Zellen beeinflussen [4, 5].
Die so erzeugten funktionalisierten Mikrokavitäten-Arrays lassen sich vielfältig einset-
C
B
¯ Abb. 1: A, Schematische Darstellung
eines Mikrokavitäten-Arrays. x1,y1 etc.
bezeichnet die Positionskoordinaten einzelner Kavitäten im Array. B, Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Mikrokavitäten-Arrays. C, Mikrotiterplatte mit Mikrokavitäten-Arrays im Folienboden. *, zehn
Mikrokavitäten pro Well; **, 169 Mikrokavitäten pro Well.
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W I S S ENS CHAFT · S PECIA L : 3 D- ZE LLKULT UR
˚ Abb. 2: SMART-Prozess mit seinen drei Prozessmodulen Vor-, Haupt- und Nachprozess sowie
deren beispielhafte Verwendung. Im Vorprozess können beispielsweise Oberflächenmodifikationen auf die Folien gebracht werden, die sich nach dem Verstrecken der Folien im Hauptprozess
dreidimensional angeordnet wiederfinden. Im Nachprozessmodul können z. B. Poren oder eine
Funktionalisierung in bzw. auf die Folien gebracht werden.
zen. Grundsätzlich können damit zwei verschiedene Arten von Kultursystemen realisiert werden: passive und aktive Systeme. Zu
den passiven Systemen gehören z. B. Mikrotiterplatten im 96-Well- oder 384-Well-Format, deren Boden durch MikrokavitätenArrays gebildet wird und die zu Hochdurchsatz-/high-content-Screening-Zwecken von 3DAggregaten eingesetzt werden können. Dabei
lässt sich die Anzahl der Mikrokavitäten pro
Well variabel einstellen, um auch weniger
zahlreiche Zellspezies in 3D-Aggregate überführen zu können (Abb. 1C). Primäre Zellen
lassen sich so über lange Beobachtungszeiträume automatisiert mikroskopieren.
Außer in Mikrotiterplatten lassen sich die
Arrays auch noch in Petrischalen integrieren,
sodass sich das Handling dieser Systeme
besonders einfach darstellt. Eine weitere
Anwendungsmöglichkeit der Foliensysteme
bietet der Einsatz in Form von Inserts in z. B.
A
24- bis 96-Well-Formaten, sodass damit auch
klassische Transwell-Assays in 3D durchgeführt werden können.
Um 3D-Aggregate auch aktiv mit Medium
versorgen zu können, haben wir verschiedene Bioreaktoren entwickelt, mit denen dies
erreicht werden kann. So lassen sich komplexe Kulturmodelle realisieren, die neben
der Verwendung von Ko-Kulturen z. B. auch
die Kontrolle des Sauerstoffpartialdrucks, der
Pulsation des Flusses, der Strömungsgeschwindigkeit und des Versorgungsmodus
des Mediumflusses zulassen.
Insbesondere die Bioreaktorsysteme sind
in den letzten Jahren zur Plattform für Stammzellanwendungen weiterentwickelt worden,
da das System viele Möglichkeiten der kontrollierten Veränderung, insbesondere der
physikalisch-chemischen Eigenschaften der
Mikroumgebung, bietet und damit prädestiniert für die Entwicklung artifizieller Stamm-
B
zellnischen ist. Hier liegt der derzeitige Fokus
der Entwicklungen auf der Etablierung einer
fötalen bzw. adulten, endostealen hämatopoetischen Stammzellnische. Zur Etablierung
eines solchen Modells wurden CD34-positive (CD34+) humane hämatopoetische Stammzellen (HSC) aus Nabelschnurblut mithilfe
von magnetischen Beads isoliert. Die so
gewonnene HSC-Fraktion wurde anschließend
in verschiedenen Verhältnissen mit humanen
mesenchymalen Stammzellen des Knochenmarks entweder in statischer Kultur oder
in aktiv versorgter Bioreaktorkultur über
14 Tage in Mikrokavitäten-Arrays ko-kultiviert. Isoliert man anschließend die Zellen
aus dem System und unterwirft sie klassischen downstream-Analysen, wie RNA-Isolierung und RT2-PCR, Proteinbestimmung, Western Blots, Immunfluoreszenz oder CFU(colony-forming unit)-Assays, so lässt sich beispielsweise zeigen, dass CD34+-HSC ein nahezu identisches Profil der Verteilung von Kolonien im CFU-Assay aufweisen wie frisch aus
Nabelschnurblut isolierte Zellen (Abb. 3).
Mittels RT2-PCR und Western Blot konnte die
dazu gehörige Expression von CD34 im System gezeigt werden, ein Indikator für den
Stamm- bzw. Vorläuferzellcharakter der Zellen (Abb. 4). Wir stellten interessanterweise
aber auch fest, dass die HSC-Population sich
offenbar nicht uniform verhält, da eine Subpopulation eine CD38-Expression aufwies,
ein Hinweis auf eine beginnende Differenzierung der Zellen. Diese war nach fünf Tagen
der Ko-Kultur sogar deutlicher als die der Kontrollen im Monolayer, jedoch nach 14 Tagen in
der 3D-Kultur so gut wie nicht mehr nachweisbar, während diese in Monolayern immer
noch deutlich gezeigt werden konnte. Wir
können derzeit die Frage noch nicht zweifelsfrei beantworten, welches die Ursachen
C
˚ Abb. 3: Colony-forming unit(CFU)-Assays nach 2D- bzw. 3D-Kultur im Vergleich zu frisch isolierten CD34+-HSC-Zellen. A, Verteilung der Kolonien aus
CFU-Assays aus frisch isolierten humanen hämatopoetischen Stammzellen (HSC). B, Verteilung der Kolonien aus Ko-Kultur mit humanen mesenchymalen
Stammzellen (MSC) des Knochenmarks nach 14 Tagen in 2D-Kultur (Monolayer). C, Verteilung nach 14 Tagen in 3D-Bioreaktor-Ko-Kultur mit MSC. CFU-G:
colony-forming unit-Granulozyt; CFU-GM: colony-forming unit-Granulozyt-Makrophage; CFU-G beg. BFU-E: colony-forming unit-Granulozyt beginning
burst-forming unit-Erythrozyt; BFU: burst-forming unit-Erythrozyt; CFU-E: colony-forming unit-Erythrozyt; CFU-M: colony-forming unit-Makrophage.
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¯ Abb. 4: Ergebnis
von Western-BlotVersuchen zur Ermittlung des CD34Expressionsniveaus
von humanen hämatopoetischen
Stammzellen (HSC)
nach fünf bzw.
14 Tagen in 2D(Monolayer, ML)
bzw. 3D-Kultur (Bioreaktor, BR).
für das beobachtete Verhalten der HSC in
unserer artifiziellen Nische sind. Erste Hinweise sprechen aber für eine Proliferation
von HSC in unserem Ko-Kultur-Modell, in
deren Verlauf sich die HSC asymmetrisch
teilen, das heißt die CD34-Expression aufrechterhalten werden kann, während ein
Teil der Zellen differenziert. Es kann damit
gezeigt werden, dass eine 3D-Ko-Kultur in
Mikrokavitäten-Arrays Vorteile für den
Erhalt der Plastizität von humanen CD34+HSC aus Nabelschnurblut besitzt.
ó
Literatur
[1] Giselbrecht S, Gietzelt T, Gottwald E et al. (2006) 3D tissue culture substrates produced by microthermoforming of
pre-processed polymer films. Biomed Microdev 8:191–199
[2] Truckenmuller R, Giselbrecht S, Rivron N et al. (2011)
Thermoforming of film-based biomedical microdevices.
Adv Mater 23:1311–1329
[3] Waterkotte B, Bally F, Nikolov PM et al. (2014)
Biofunctional micropatterning of thermoformed 3D-substrates. Adv Funct Mater 24:442–450
[4] Truckenmuller R, Giselbrecht S, Escalante-Marun M et
al. (2012) Fabrication of cell container arrays with overlaid
surface topographies. Biomed Microdevices 14:95–107
[5] Giselbrecht S, Reinhardt M, Mappes T et al. (2011)
Closer to nature-bio-inspired patterns by transforming
latent lithographic images. Adv Mater 23:4873–4879
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Eric Gottwald
Karlsruher Institut für Technologie
Institut für Biologische Grenzflächen
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1
D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen
Tel.: 0721-608-22504
Fax: 0721-608-25546
[email protected]
AUTOREN
Eric Gottwald
Jahrgang 1963. Biologiestudium an der Universität Köln. 1995 Promotion, 1996–
1998 Postdoc am Institut für Toxikologie, Forschungszentrum Karlsruhe. Seit 2000
Arbeitsgruppenleiter am Institut für Biologische Grenzflächen des Karlsruher
Instituts für Technologie. Seit 2014 Professor für Technische Biologie am Institut für
Bio- und Lebensmitteltechnik, Bereich II: Technische Biologie des Karlsruher
Instituts für Technologie.
Stefan Giselbrecht
Jahrgang 1974. Biologiestudium an der Universität Erlangen und der Universität
Saarbrücken. Promotion am Institut für Mikrostrukturtechnik an der Universität
Karlsruhe (TH) bei Prof. Dr. V. Saile. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Biologische Grenzflächen 1, dort 2007 Leitung der Arbeitsgruppe
Biomimetische Mikrostrukturen. Seit 2014 Assistant Professor am MERLN Institut
der Universität Maastricht.
Roman Truckenmüller
Jahrgang 1965. Maschinenbaustudium an der Universität Stuttgart. 1993–1995
freiberuflich tätig. 1996 Entwicklungsingenieur bei Heinkel Industriezentrifugen, bis
1999 Entwicklungsingenieur bei Siemens Automation & Drives. 2002 Promotion am
Forschungszentrum Karlsruhe, dort bis 2003 Postdoc. 2003–2005 Arbeitsgruppenleiter am Institut für Mikrostrukturtechnik des Forschungszentrums Karlsruhe, dort
2005–2007 Postdoc. 2007–2010 Postdoc am MIRA Institute for Biomedical Technology and Technical Medicine, Universtität Twente, Niederlande. Seit 2010 Assistant Professor, MERLN Institut der Universität Maastricht, Niederlande.
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