Nr. 06 (397) 26.03. bis 08.04.2015 w w w . m d z - m o s k a u . e u UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR • GEGRÜNDET 1870 MACHTWORT GOTTESWORT Putin erklärt in TV-Film die Geschehnisse auf der Krim vor einem Jahr. Neun Fakten zum „Krimi“. Wie ein deutscher Pastor nach 80 Jahren lutherisches Leben in Sibirien wiederbelebte. 08 11 ЯЗЫК МОЙ ДРУГ МОЙ Как вызвать интерес к немецкому V STICH W O R T E » Wenn Touristen zu uns kommen und mit dem Russland der Balalaikas, Troikas und Matrjoschkas Bekanntschaft schließen, dann nervt das viele. Ich zum Beispiel bin auch genervt. Wir verkaufen in der Eremitage keine Matrjoschkas. Das ist nicht das Bild von Russland, das wir vermitteln möchten. Eremitage-Direktor Michail Piotrowskij im Radiosender „Echo Moskwy“. Skoda Fabia Opel Astra Seat Leon Chevrolet Cruze Suzuki Grand Vitara Citroën C1 » » Dann werden dänische Kriegsschiffe zu Zielen russischer Atomraketen. Russlands Botschafter in Dänemark, Michail Wanin, in der Zeitung „Jyllands Posten“ zu den Folgen einer dänischen Beteiligung am geplanten NATO-Raketenschutzschild. Promo (6) Heute wird St. Petersburg zum Zentrum einer neuen Revolution: der Revolution der Optimisten. Fjodor Birjukow von der linkskonservativen Rodina-Partei in St. Petersburg auf einem Forum von Nationalisten aus ganz Europa. » Außer Drohen können sie nichts. Deshalb sind sie politisch so erfolglos. CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann auf n-tv.de in einem Kommentar zum selben Thema. Vollbremsung! Diese Autos verschwinden vom russischen Markt Der Astra von Opel gehört in Deutschland zu den beliebtesten Pkw. In Russland lief der Absatz eher schleppend. Und jetzt wird er ganz eingestellt. General Motors zieht sich wegen des Konjunktureinbruchs komplett aus dem russischen Markt zurück, damit rollt auch die Konzerntochter Opel ins Abseits (siehe Seite 5). Das Schicksal des Opel Astra teilen andere prominente Autotypen, die dem Preisdruck nicht standhalten konnten. In Russland werden nur noch Restbestände verkauft, dann ist Schluss. In der Regel handelt es sich um Autos mit geringer oder ohne Lokalisierung. Der Import macht sie wegen des schwachen Rubels unattraktiv. Die Hersteller reagieren mit drastischen Maßnahmen wie diesen auf immer neue Horrorzahlen aus Russland, wo der Markt lange nur eine Richtung kannte: nach oben. Doch schon 2014 ging es 10,3 Prozent nach unten. Und die Krise spitzt sich zu: Im Februar lag das Minus gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei 37,9 Prozent. РЕКЛАМА » Sobald Sie sich gewaschen haben. Twitter-Antwort von Alexej Walow, Chef des Schtschjolkowo-Kreises im Moskauer Land, auf die Frage eines Einwohners, wann es in der Stadt, die mit der Bekämpfung ihrer Abwässer überfordert ist, zu stinken aufhöre. 02 POLITIK MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Kabale um die Rente Russland und sein ewiger Sonderweg. Das Rentensystem zum Beispiel. Seit 1932 hat sich das Renteneintrittsalter nicht mehr verändert und gehört zu den niedrigsten der Welt. In der Krise ist der Streit um seine Erhöhung neu aufgeflammt. Und sogar Präsident Putin hat ihn nicht gleich im Keim erstickt. Tino Künzel Heraufsetzung des Eintrittsalters auf 63 Jahre? In der Regierung gibt es pro und contra Ist die Rente in Russland sicher? Die Meinungen sind geteilt. Von Tino Künzel Mit der Rente könnte einmal alles stehen und fallen. Die ganze schöne soziale Stabilität. Vielleicht sogar das Vertrauen in den Präsidenten. Zumindest aber ein Lebensmodell, das über Jahrzehnte Bestand hatte. Das könnten viele übelnehmen. Und auf dieser Flanke riskiert die russische Staatsführung lieber nichts. 2011 erklärte Wladimir Putin, der damals zwischenzeitlich Premierminister war, die unpopuläre Diskussion um eine Anhebung des Rentenalters sei für die nächsten fünf Jahre tabu. Frühestens 2016 wolle man zu der Frage zurückkehren, wenn überhaupt. In Russland könnte es bereits 2035 so viele Rentner geben wie Berufstätige. Ähnlich hat sich Putin dann auch im Präsidentschaftswahlkampf geäußert, bevor er wieder in den Kreml einzog. Doch das war vor der Krim, vor den Sanktionen, vor der Wirtschaftskrise. Und schon damals warnten Experten wie der von Putin geschätzte ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin, Russland werde um ein steigendes Rentenalter nicht herumkommen und damit eine Entwicklung nachvollziehen, die andere Industriestaaten längst durchgemacht haben. Bisher gilt in Russland ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren für Männer und von 55 Jahren für Frauen. In den nördlichen Regionen sind es wegen der erschwerten Lebensbedingungen noch fünf Jahre weniger. Außerdem gelten zahlreiche Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen. Das Eintrittsalter gilt unverändert seit Einführung des Rentensystems im Jahr 1932. Damals war die Lebenserwartung noch erheblich niedriger, inzwischen liegt sie auch in Russland bei 71 Jahren. Schon deshalb halten Kritiker eine Anpassung längst für überfällig. Und zu den Standardargumenten wie dem Bevölkerungsschwund und dem Defizit im Rentenfonds hat sich nun auch noch die prekäre wirtschaftliche Lage gesellt, die Finanzreserven wie den Nationalen Wohlstandsfonds dahinschmelzen lässt. Neue Einnahmequellen zu erschließen, kann vor diesem Hintergrund weder kurz- noch langfristig schaden. Prominenter Fürsprecher einer Reform ist Finanzminister Anton Siluanow. Im Februar schlug er vor, ab 2018 das Eintrittsalter jedes Jahr um ein halbes Jahr zu erhöhen, bis es für Männer und Frauen gleichermaßen 63 Jahre beträgt. Ihm zur Seite sprang Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, der auf dem jährlichen Gaidar-Forum sagte, die Lebenswirklichkeit habe sich kardinal gewandelt. Die Zeiten, als ältere Menschen allein von ihrer Rente abhängig waren, seien vorbei. Heute würden auch die meisten Rentner weiter einer bezahlten Tätigkeit nachgehen und hätten somit verschiedene Einkünfte zur Verfügung. Davon könne auch die Einstellung zur Rente als solche nicht unberührt bleiben. Nach Expertenprognosen könnte es in Russland bereits 2035 so viele Rentner geben wie Berufstätige. Das hält kein Rentensystem aus. Bereits heute haben die Belastungen für den Rentenfonds kritische Ausmaße erreicht. 2010 sprengte das Defizit erstmals die Marke von einer Billion Rubel und konnte auch durch die Erhöhung der Sozialabgaben von 26 auf 34 Prozent nur teilweise ausgeglichen werden. Im Jahr 2015 sind Transferleistungen aus dem Haushalt in den Rentenfonds in Höhe von 2,8 Billionen Rubel geplant – umgerechnet rund 43 Milliarden Euro. Eine gigantische Summe, die beinahe den Gesamtausgaben für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi entspricht. Kritiker dieser Praxis rechnen vor, dass eine Angleichung des Renteneintrittsalters für Männer und Frauen auf dem Niveau von maximal 63 Jahren bis 2030 die Zahl der Rentenempfänger von 41,1 auf 35 Millionen Menschen senkt. Damit könnte zumindest die Schieflage des Rentensystems reduziert werden. Präsident Putin hat die Diskussionen zugelassen, ohne sich selbst daran zu beteiligen. Dafür meldete sich immer wieder der sogenannte „soziale Block“ der Regierung um Vizepremier Olga Golodez zu Wort und erteilte sämtlichen Reformplänen eine Absage. In „näherer Zukunft“ gebe es nichts zu erörtern, sagte sie neulich. Stattdessen würden die Rahmenbedingungen verbessert, damit Berufstätige auch nach Erreichen des Rentenalters weiter arbeiten könnten. Bereits im Januar war eine neue Rentenformel in Kraft getreten, die bei einem freiwilligen Verzicht auf die reguläre Rente zum frühestmöglichen Zeitpunkt deren spätere überproportionale Steigerung vorsieht. Wer etwa zehn Jahre später in Rente geht, dessen Rente wird sich demnach verdoppeln. Aber auch vor radikalen Maßnahmen in der entgegengesetzten Richtung scheint die Regierung nicht zurückzuschrecken. Zumindest wurde die Öffentlichkeit zuletzt von einer Initiative des Finanzministeriums aufgeschreckt, ab 2016 Rentnern, die weiter berufstätig sind, für die Zeit der Arbeit die Rente zu streichen. Die Rede war allerdings nur von Rentern mit einem Jahreseinkommen ab einer Million Rubel. Das beträfe 220 000 Menschen. Lesen Sie auf Seite 7 vom Leben einer russischen Rentnerin. Von wegen altes Eisen Moskauer NGO bringt Rentner mit Bildungsangeboten unter Menschen Tatjana Panfjorowa Vereinsamung ist eine Volkskrankheit der Moderne, und gerade Alte sind davon betroffen. Was tun? Die Moskauer NGO „Zentrum Perspektive“ von Anne Hofinga will Rentner mit kostenlosen Bildungsangeboten zusammenbringen. Jetzt ist das Projekt angelaufen. Von Clara Vuillemin Sie treffen sich jeden Dienstagnachmittag. Fünf Rentnerinnen und zwei junge Frauen sitzen neuerdings einmal die Woche in der Mitte eines großen und hellen Saales im Kreis. Durch die Fenster des roten Backsteinbaus scheint die Sonne auf Zimmerpflanzen, gestapelte Stühle und einen Flügel. Die Stimmung ist entspannt, es wird viel gelacht. Es ist schließlich auch komisch, wenn älteren Damen sich darin üben, schwierige Lautfolgen schnell nachzusprechen und sich dabei immer wieder verheddern. Hier treffen sich das digitale und das analoge Zeitalter. Der Kurs über die Kunst des Schauspiels, die Entwicklung der Sprache und des Gedächtnisses hat gerade erst begonnen und richtet sich explizit an Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen. Die Moskauer Wohltätigkeitsorganisation „Zentrum Perspektive“ will mit diesem Projekt, das sie „Silbernes Zeitalter“ nennt und in den eigenen Räumlichkeiten durchführt, der Großstadteinsamkeit im Alter begegnen. Das Zentrum wurde 1998 auf Initiative der Deutschen Anne Hofinga gegründet und hilft Menschen in schwierigen Lebenslagen. Eine der Kursteilnehmerinnen ist Janna. Die ehemalige Chemikerin hat schon verschiedene ähnliche Angebote genutzt, aber auch viele wieder abgebrochen. Hier fühle sie sich wohl und nicht unter Druck gesetzt, sagt sie. Das Angebot an Kursen ist breitgefächert, es reicht bis zu Vokal- oder Theatertherapie und ist damit auch innovativ und ungewöhnlich. Janna lebt allein, ihr Mann ist gestorben. Bei einer Augenoperation wurde ihre Sehfähigkeit wiederhergestellt, jetzt will sie „so viel wie möglich erleben“. Der Kontakt zu den jüngeren Frauen, die ihren Kurs leiten, tut ihr gut. Von ihnen werde sie „wenigstens nicht wie ein Dinosaurier angeschaut“, meint sie lachend. Hilfsbedürftig wirken die Kursteilnehmerinnen nicht. Sie studieren an diesem Nachmittag Lieder und Gedichte ein, um damit später in staatlichen Altersheimen aufzutreten. Eine der Damen bleibt anschließend gleich für den nächsten Kurs: dem „ABC der Computerfertigkeit“. Dort lernen sie und andere, mit Textprogrammen, E-Mail und Skype umzugehen. Die Nachfrage ist groß, es gibt mehr Interessenten, als Computer zur Verfügung stehen. Dabei hatte es sich in der Vergangenheit als durchaus schwierig erwiesen, Rentner zu kontaktieren. Versuche mit Zeitungsanzeigen schlugen fehl. Erfolgreicher war man mit herkömmlichen Abrisszetteln. So ist auch Janna auf das Angebot aufmerksam geworden. Längerfristig erhofft sich Anne Hofinga allgemein eine bessere Einbindung von Rentnern als freiwillige Helfer in ihrer Organisation. Zum Beispiel suche man ehemalige Lehrkräfte als Nachhilfelehrer für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Und eine Vision für die Zukunft ist, dass das Projekt eine Eigendynamik annimmt, also aus Kursteilnehmern Kursleiter werden, die auch selbst Werbung für die Kurse machen. Das „Zentrum Perspektive“ müsste dann nur noch die Räume zur Verfügung stellen. 03 BLICKPUNKT MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Machtkampf der Oligarchen Die reichsten Männer der Ukraine liefern sich Scharmützel um ihren Einfluss Im Osten der Ukraine hält die Waffenruhe weitgehend, dafür bricht nun ein Konflikt auf, den Russland schon immer an die Wand gemalt hat: Die Oligarchen wehren sich gegen die Eindämmung ihres Einflusses. Nun wurde Igor Kolomojskij, der Gouverneur von Dnepropetrowsk, entlassen. Getrennte Wege: Präsident Poroschenko, Oligarch Kolomojskij. Petro Poroschenko hat einen Machtkampf entschieden, der die Ukraine tagelang in Atem hielt: Der ukrainische Präsident gab die Entlassung von Igor Kolomojskij, Gouverneur der ostukrainischen Region Dnepropetrowsk, bekannt. Der Oligarch hat verloren. Fürs erste. Kolomojskij hatte dem ukrainischen Präsidenten im Zentrum der Hauptstadt den Fehdehandschuh hingeworfen. 30 maskierte Männer ohne Abzeichen, mit Maschinengewehren bewaffnet, waren in die Zentrale des Öl- und Gasförderers „Ukrnafta“ gestürmt. Dann errichteten Handwerker ein massives Metallgitter vor dem Eingang. Als später in der Nacht der sichtlich gut gelaunte Kolomojskij selbst auftaucht und den Journalisten erklärt, dass er das Unternehmen auf diese Weise vor einer drohenden Übernahme durch seine Konkurrenten schütze, die Teil des Reuters / PIXSTREAM Von Moritz Gathmann (n-ost) organisierten Verbrechens seien, sind die letzten Zweifel beseitigt – der Kampf der Oligarchen um ihren Einfluss ist in der Ukraine ist offen ausgebrochen. Und wenn Leute wie Kolomojskij ihre Interessen mit Hilfe bewaffneter Sturmtrupps im Zentrum Kiews verteidigen, steht nicht weniger als die Stabilität des Staates auf dem Spiel. Warum der Konflikt gerade in der Ölbranche aufgebrochen ist, erklärt der Politologe Jurij Romanenko: „Die Ressourcen der Oligarchen schwinden, damit verstärkt sich der Kampf um jene Bereiche, in denen leicht Kapital zu verdie- РЕКЛАМА H I E R nen ist.“ Zudem fürchteten Oligarchen wie Kolomojskij, dass der Kontrollverlust über einen Bereich ihre Imperien insgesamt zum Wanken bringt. Kolomojskij ist nicht der einzige Oligarch des Landes, aber bislang schien er wie der absolute Gewinner unter ihnen. Manchen Beobachtern galt er gar als unantastbar, weil er das Land im Osten gegen die Separatisten verteidigt. Die anderen Oligarchen dagegen sind im vergangenen Jahr tief gefallen. Rinat Achmetow, immer noch der reichste Ukrainer, hat mit dem Zusammenbruch der von ihm W E R D E N S I E finanzierten „Partei der Regionen“ seinen politischen Einfluss und mit der Abspaltung der „Volksrepubliken“ die Kontrolle über seine wichtigsten Aktiva verloren. Dmitrij Firtasch, eine Schlüsselfigur in den ukrainisch-russischen Beziehungen und im ukrainischen Gassektor, sitzt in Wien fest, von wo ihm die Auslieferung an die USA droht. Und der Röhrenproduzent Viktor Pintschuk, Schwiegersohn des Ex-Präsidenten Kutschma, hat durch die Krise mit Russland seinen wichtigsten Kunden verloren. Wie schwierig es sein kann, die Macht der ukrainischen Oligarchen F Ü N D I G ! zu brechen, zeigt sich am Beispiel von Kolomojskij: Mit knapp zwei Milliarden Dollar (laut Forbes) ist er nicht nur einer der reichsten Männer des Landes. Seine Bank „Privat“ ist die größte des Landes, ein Zusammenbruch würde den gesamten Bankensektor zerstören. Seit dem Sturz von Janukowitsch hat sich Kolomojskij zudem bedeutendes politisches Kapital erarbeitet: Er ließ sich von der Übergangsregierung zum Gouverneur seiner Heimatregion Dnepropetrowsk ernennen. Mit der Aufstellung eigener Freiwilligenbataillone wie „Dnepr-1“ nach dem Beginn der separatistischen Bewegung im Osten des Landes schuf sich Kolomojskij sich eine Privatarmee, die er gegen die Separatisten einsetzt, die aber – wovor Beobachter immer wieder gewarnt hatten – auch für eigene Interessen im Rest des Landes zum Einsatz kommen könnte. Genau dies ist jetzt offenbar geschehen: Auf die Frage, wer sie seien, antwortete der Kommandeur der Bewaffneten vor der „Ukrnafta“-Zentrale: „Dnepr-1“. Politologe Romanenko sieht in der Entlassung Kolomojskijs einen taktischen Rückzug. Er rechnet mit Versuchen Kolomojskijs, die politische Situation zu destabilisieren: „Die nächsten anderthalb Monate werden entscheidend sein für die Macht Poroschenkos.“ 04 WIRTSCHAFT RIA Novosti Verhandeln gegen die Inflation MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 In den Unternehmen finden momentan harte Lohnverhandlungen statt Die steigende Inflation und der abgestürzte Rubel führen in Russland zu sinkenden Reallöhnen. Daher sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber derzeit miteinander an den Tischen und reden über Lohnerhöhungen. Die Arbeitnehmer müssen sich dabei fast immer auf Senkungen der Realeinkommen einstellen. Viele Arbeitnehmer fordern derzeit Erhöhungen ihrer Rubelgehälter. Von Christian Tegethoff Im Zusammenspiel mit den beidseitigen Sanktionen hat der Sinkflug des Rubelkurses zu einem starken Anstieg der Verbraucherpreise geführt: Die offizielle Inflationsrate lag 2014 mit 11,4 Prozent fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. Nach Ansicht vieler Arbeitnehmer schließt der dafür zu Grunde liegende Warenkorb viele Produkte noch nicht einmal angemessen ein, die sich besonders verteuert haben – etwa Handys, Autos oder Kühlschränke. Die tatsächliche Preissteigerung für den russischen Verbraucher dürfte deutlich über den amtlichen Angaben liegen – die gefühlte tut dies in jedem Fall. Entsprechend hart wurde in den letzten Monaten in vielen russischen Unternehmen und den Vertretungen ausländischer Firmen um Anpassungen der Rubelbezüge gerungen. Für die Unternehmen kamen Forderungen nach Gehaltserhöhungen allerdings zur Unzeit; die meisten Branchen haben mit sinkenden Umsätzen, Einfuhrbeschränkungen und dem Kaufkraftverlust der Kunden zu kämpfen. Aus Sicht vieler Unternehmensleitungen hat sich vor diesem Hintergrund weniger die Frage von Lohnerhöhungen gestellt, sondern eher die nach betriebsbedingten Entlassungen. Andererseits sollten die Leistungsträger weiterhin an die Unternehmen gebunden werden. Wie haben die Firmen auf diese komplizierte Situation reagiert? In den betriebsinternen Verhandlungen haben sie verschiedene Antworten gefunden, wie eine Mandantenumfrage der Personalberatung CT Executive Search zeigt. „Wir haben von unseren Mitarbeitern keinen Druck bekommen, nur höfliche Bitten um Überprüfung der Gehälter“, berichtet die Personalleiterin eines internationalen Produzenten von Bau- und Bergbaumaschinen. Das Unternehmen beschäftigt mehrere hundert Mitarbeiter an einer Reihe von Vertriebsstandorten in Russland. Die Unternehmensleitung hat letztlich auf eine Anpassung der Gehälter verzichtet. Aus Mitarbeitersicht fielen die Abschlüsse im Konsumgüterbe- reich etwas besser aus. So hat eines der befragten Unternehmen die Rubelgehälter seiner gut 3000 Mitarbeiter um immerhin 4,5 Prozent angepasst – liegt damit aber immer noch deutlich unter der Inflationsrate. „Unseren Mitarbeitern ist ihr stabiler Arbeitsplatz so wichtig, dass sie Reallohneinbußen hinnehmen“, so die Erklärung aus der Personalabteilung des multinationalen Unternehmens. Die Firma verfolgt deshalb eine zurückhaltende Gehaltspolitik, wie auch der Wettbewerb. Mit mitarbeiterseitigen Kündigungen wird nicht gerechnet. Die Personalleiterin eines internationalen Produzenten von Schmierstoffen beschreibt eine kompliziertere Lage: „Wir sind wirtschaftlich unter Druck, müssen aber trotzdem versuchen, unser Team zusammen- I N F O Flugs gekündigt Fehlende Gehaltsanpassungen sind manchmal auch ein Kündigungsgrund. Erst vor wenigen Monaten haben wir über den deutschen Piloten Klaus-Dieter Rohlfs berichtet, der der erste ausländische Pilot bei der russischen Fluggesellschaft Aeroflot war. Nun hat er nach wenigen Monaten gekündigt. Hauptgrund neben Mobbing und nicht eingehaltenen Absprachen der Personalabteilung war angeblich, dass sein Rubelgehalt aufgrund der Inflation weniger wert geworden ist. Die letzten Gehaltsanpassungen gab es bei Aeroflot wohl im August 2013. zuhalten.“ Hintergrund sind Abwerbeversuche der russischen Wettbewerber, die sich angesichts der Zurückhaltung der ausländischen Unternehmen aktiv um Marktanteile bemühen. Trotz des abnehmenden Verbraucherinteresses sah sich das Unternehmen deshalb zu Gehaltsaufschlägen gezwungen: so stiegen die Rubelbezüge aller Mitarbeiter um durchschnittlich 6,4 Prozent, hinzu kam ein Bonus von 50 000 Rubel für jeden Mitarbeiter, um wechselkursbedingte Kaufkraftverluste zu kompensieren. Für eine differenzierte Herangehensweise entschied sich auch ein befragtes deutsches Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau mit Vertriebsbüro in Moskau. In enger Abstimmung mit der Personalabteilung hat die Geschäftsführung einen „strategisch wichtigen“ Mitarbeiterkern identifiziert, der im Unternehmen gehalten werden soll. Dieser erhielt eine Gehaltsanhebung von 5,7 Prozent. Für die anderen Mitarbeiter gab es keinerlei Anpassung; Kündigungen aus dieser Gruppe werden in Kauf genommen – und sind durchaus gewollt. Mit Forderungen nach einer Kompensation für die Rubelabwertung bissen die Mitarbeiter auf Granit: „Wir diskutieren mit russischen Mitarbeitern grundsätzlich nicht über Wechselkurse, auch wenn sie das Thema ständig ansprechen“, erläutert ein Manager den Unternehmensstandpunkt. Diese Sichtweise teilten praktisch alle befragten Unternehmen: „Die Ausgaben unserer russischen Kollegen sind ja in Rubel notiert“, so die Begründung eines Geschäftsführers, „die vernünftige Referenzgröße für Vergütungsgespräche ist deshalb die offizielle Inflationsrate“. Die meisten der Unternehmen haben die Referenzgröße »für DieGehaltsgespräche ist die offizielle Inflationsrate. Rubelgehälter etwa in Höhe der halben Inflationsrate des Jahres 2014 (fünf Prozent), angehoben. Einige haben sich zusätzlich verpflichtet, zur Jahresmitte eine weitere Analyse vorzunehmen und die Vergütung bei Vorliegen neuer Rahmenbedingungen noch einmal anzuheben. Für die Arbeitnehmer bedeuten die Verhandlungsergebnisse der letzten Monate fast immer einen Rückgang der Realeinkommen – das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung rechnet für 2015 mit einer Inflationsrate von 12,2 Prozent. Christian Tegethoff ist Geschäftsführer von CT Executive Search A U S L A N D S H A N D E L S K A M M E R Ihr persönlicher Rechtsberater in Moskau. Der Zeitpunkt für den Einstieg in Russland ist günstig Wir beraten Privat- und Geschäftsmandanten in deutscher und russischer Sprache zu zahlreichen Themen des Lebens und Arbeitens in Russland. • • • • • • ZIVILRECHT ARBEITSRECHT IMMOBILIENRECHT ALLTÄGLICHE RECHTSFRAGEN GERICHTSVERFAHREN BEHÖRDENVERFAHREN Michael Harms, Vorstandsvorsitzender AHK Wir übernehmen auch Ihre Rechtsangelegenheiten in Deutschland. Dabei arbeiten wir mit deutschen Rechtsschutzversicherungen zusammen. Die Abrechnung kann nach deutschem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erfolgen. Dolgorukovskaya Str. 21-1 · 127006 Moskau T +7 (499)973 06 46 · Fax +7 (499)978 85 57 [email protected] · www.ginsburg.ru РЕКЛАМА GINSBURG RECHTSANWALT Das vergangene Jahr war eines der schwierigsten seit dem Übergang Russlands in ein marktwirtschaftlich und demokratisch geprägtes Land. Die Verschärfung der Spannungen zwischen dem „Westen“ und Russland hatten massive Auswirkungen auf die russische Wirtschaft und auf die hier aktiven deutschen Unternehmen. Am Ende des Jahres stand ein Minus von 18 Prozent bei den deutschen Exporten nach Russland. Dieser Rückgang spiegelt die Beschränkungen durch die Sanktionen, aber auch den seit 2012 anhaltenden Rückgang des Wachstums der russischen Wirtschaft wider. Die Folgen der ungünstigen Rahmenbedingungen sind die merkliche Zurückhaltung bei neuen Investitionsprojekten und eine mit 90 Prozent einmalig schlechte Bewertung der wirtschaftlichen Perspektive für 2015 durch die Unternehmen. Der Handlungsspielraum der russischen Regierung bleibt unter diesen Umständen begrenzt. In einem ersten Schritt wurde das Budget gekürzt. Begleitend verabschiedete das Kabinett einen Antikrisenplan, der Zahlungen an systemrelevante Finanzinstitute ebenso wie an große Unternehmen vorsieht. Darüber hinaus sollen Sozialleistungen finanziert, der Mittelstand gefördert und Importsubstitutionen angeregt werden. Den Königsweg sieht Russland in der seit Jahren zur Modernisierung favorisierten Lokalisierung. Dieses Prinzip hat im Automobilbau gut funktioniert. Es wird zukünftig entscheidend sein, welche Währungspolitik von der Zentralbank und dem Finanzministerium präferiert wird. Sollte der Rubel auf dem derzeitigen Niveau verbleiben, würden reale Anreize geschaffen, weitere Produzenten nach Russland zu locken. Perspektivisch wäre diese Politik auch eine Exportförderstrategie, die denjenigen Unternehmen die Entscheidung erleichtern würde, für die Russland als Absatzmarkt nicht genügend Volumen bietet. Der Zeitpunkt für den Einstieg in Russland oder ein intensiveres Engagement ist günstig. Die Marktpreise haben sich deutlich nach unten entwickelt und der Euro-Rubelkurs lässt den Kaufpreis deutlich günstiger werden. Internationale Wettbewerber haben sich aus dem Markt zurückgezogen, die nationalen leiden unter den makroökonomischen Konditionen. Die notwendige Bedingung dafür ist die Rückgewinnung von Vertrauen – augenblicklich werden zwar in vielen russischen Regionen gute Rahmenbedingungen für Investitionen geschaffen, aber potentielle Investoren zeigen Zurückhaltung. Auf der anderen Seite gilt es, Marktanteile, die an asiatische Mitbewerber verloren wurden, künftig zurück zu gewinnen. 05 WIRTSCHAFT MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 „Wir Deutschen wurden vermisst” Zur MITT-Messe in Moskau kamen Mitte März fast keine deutschen Aussteller. Dass viele der Tourismusmesse fern blieben, hatte neben politischen auch finanzielle Gründe: die Gebühren der Messe stiegen deutlich, die russischen Urlauber in Deutschland blieben aus. Simon Schütt Deutsche Aussteller mieden die diesjährige Moskauer Tourismusmesse Von Simon Schütt Auf der größten russischen Tourismusmesse MITT in Moskau war dieses Jahr die Region Sachsen das Aushängeschild Deutschlands. Das lag nicht daran, dass das Bundesland Bayern als Urlaubermagnet in Deutschland den Rang abgelaufen hat, sondern daran, dass Sachsen als einziger deutscher Vertreter gekommen war. Nur im Bereich des MedizinTourismus stellten noch einige deutsche Kliniken auf der Messe aus. 42 deutsche Aussteller waren es 2014, in diesem Jahr sind es noch neun. Darunter die erwähnten Teilnehmer der InterMedMesse für Medizin-Tourismus und Veranstalter, die aus Deutschland Reisen nach Indien, Taiwan oder Italien organisieren. 2014 belegten die deutschen Stände noch ein großes Areal in einem Pavillon der Messe im „Expozentr“ neben der Skyline von Moskwa City – dieses Jahr musste man suchen, um den kleinen Sachsen-Stand überhaupt zu finden. Dort steht Gernod Loose und vertritt Deutschland. „Wir wollten uns die lange Jahre aufgebaute gute Beziehung zu Russland nicht kaputt machen lassen und haben uns entschieden, trotzdem zu kom- Der Stand der Krim auf der Moskauer Tourismusmesse MITT. men“, sagt er. Neben der schwierigen politischen Lage hätten wohl auch finanzielle Aspekte dafür gesorgt, dass so viele deutsche Aussteller der russischen Tourismusmesse vom 18. bis 21. März ferngeblieben seien. Der Messebetreiber ITE Russia, der zur ITE Group mit Sitz in London gehört, hätte die Gebühren für die europäischen Aussteller im Vergleich zum Vorjahr drastisch angehoben – um etwa 40 Prozent. Im Sachsen-Tourismus habe sich die Krise lange Zeit fast gar nicht bemerkbar gemacht, berichtet Loose. 2014 sei bis zum Jahresende relativ normal verlaufen – erst im November habe es einen Ein- bruch gegeben. „Im Januar war es dann ganz schlimm“, sagt er. Der schlechte Rubelkurs zum Euro sei für die russischen Touristen der entscheidende Faktor gewesen. Dadurch sei ihre Kaufkraft im europäischen Ausland deutlich geringer geworden und der Urlaub in Rubel teurer. Er hoffe daher sehr auf eine Erholung des Rubels. Deutschlandweit sank die Zahl der russischen Urlaubsgäste 2014 um fast ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr. Von 2009 bis 2013 war diese Zahl zuvor stetig gestiegen. Er bedauere sehr, dass weniger Russen nach Deutschland kämen, sagt Loose. Am fehlenden Interesse Deutschlands an den rus- sischen Touristen läge es sicher nicht, dass die deutschen Aussteller auf der MITT ausblieben. Russische Touristen sind im Ausland dafür bekannt, bei ihren Reisen überdurchschnittlich viel Geld auszugeben. Es dürfte die Kombination aus Krise, politischer Verstimmung und Rubelkurs sein, die dazu führt, dass Russen Reisen in das europäische Ausland momentan meiden. Der ausgehende Tourismus aus Russland ist in diesem Jahr zwischen 50 und 70 Prozent gefallen, sagt Irina Tjurina, die Sprecherin des Verbands der Russischen Tourismus-Industrie. Für den Tourismus im eigenen Land gilt das nicht. Im gesonderten Russland-Pavillon der Messe ist neben Moskau, Sankt Petersburg und Sotschi dieses Jahr auch der Grund für die Verstimmungen prominent vertreten: die Krim. Der riesige Stand soll Touristen auf die Halbinsel locken. Die Frau hinter dem Stehtisch weist gleich auf die enormen Rabatte, die für Reisen auf die Krim gelten, hin. Internationale Besucher hätten zwar großes Interesse an ihrem Stand gezeigt, vor allem aber wegen des Politikums. Eine ältere Dame kommt an Looses Sachsen-Stand und fragt, wo die anderen deutschen Aussteller seien. „Dieses Jahr sind nur wir hier“, sagt Loose entschuldigend. „Das ist wirklich sehr schade und ein schlechtes Signal“, sagt sie. Loose berichtet, im Verlauf der Messe hätten viele Besucher nach den deutschen Ausstellern gefragt: „Wir wurden vermisst.“ Für die Region Sachsen sei die Ausstellung aber erfolgreich gewesen. Die Autoverkäufe ausgebremst Opels Weggang aus Russland ist nur ein Anzeichen der Krise in der Autoindustrie plus von 18 Prozent, BMW immerhin drei Prozent im Vergleich zu 2013 (VW: -40; Audi: -23 Prozent). 2014 wurden in Russland laut einer Studie der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCooper 2,3 Millionen PKWs verkauft – im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von zehn Prozent. 2012 waren mit 2,8 Millionen noch deutlich mehr Autos abgesetzt worden. Das Beratungsunternehmen prognostiziert für das Jahr 2015 verkaufte Stückzahlen von bestenfalls 1,8 Millionen – ein Rückgang von fast einem Viertel und das Niveau von 2010. Auch für das Jahr 2016 geht man von ähnlichen Stückzahlen aus. Erst 2019 erhole man sich wieder auf das Niveau von 2012. Blickt man auf 2014 zurück, gab es einige Besonderheiten. Im März lagen die PKW-Verkäufe etwa auf dem Niveau des Vorjahres und brachen dann im August mit der Verschärfung der politischen Situation um bis zu 26 Prozent ein. Mit dem Rubelabsturz im November und Dezember drängten mehr und mehr Kunden zu den Autohänd- lern, um ihre Rubel in Fahrzeuge anzulegen – Kasachen und Weißrussen kauften damals in Russland schätzungsweise 90 000 Neuwagen – im Dezember konnte daher sogar ein Wachstum von zwei Prozent verzeichnet werden. Bemerkenswert ist zudem, dass ausländische Marken mit lokalisierter Produktion 2014 bei den verkauften Stückzahlen nur ein Minus von zwei Prozent verzeichneten, lokale Marken hingegen ein Minus von 15 Prozent. Importierte Marken verloren 20 Prozent. Bei den Dollar-Umsätzen machten die lokalen Marken wechselkursbedingt mit 25 Prozent die größten Verluste. Um dem entgegenzuwirken, plant die Regierung die Förderung russischer Autohersteller mit umgerechnet 390 Millionen Euro. sim РЕКЛАМА Die Autoindustrie in Russland fährt derzeit mit angezogener Bremse. Opel kündigte nun an, man werde sich bis Ende des Jahres vollständig aus dem russischen Markt zurückziehen. In den VW-Werken in Kaluga und den Nissan-Werken in Sankt Petersburg wurden die Produktionen zurückgefahren. Opels Rückzug ist nicht verwunderlich, verzeichnete die Marke doch laut einem Bericht der Association of European Businesses im gesamten Jahr 2014 einen Rückgang der Verkaufszahlen um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allein in den ersten Monaten des neuen Jahres sanken die Zahlen um über 80 Prozent. Nun hat der Mutterkonzern General Motors sogar einen Schlussverkauf bis 30. April mit einen Rabatt von 25 Prozent auf alle 2014 hergestellten Opel ausgerufen – allerdings nur bei einer geringen Händlerzahl. Den übrigen deutschen Marken in Russland geht es besser: Mercedes verzeichnete im Januar und Februar sogar ein Verkaufszahlen- Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte Dr. Andreas Knaul Business Center LeFort Elektrosawodskaja uliza 27, Gebäude 2, 107023 Moskau Tel.: +7 495 933 51 20 / 20 55 [email protected] www.roedl.com/ru Zinsen für fremde Geldmittel Ab dem 1. Juni werden in Russland Zinsen für die Verwendung fremder Geldmittel infolge deren unrechtmäßiger Einbehaltung bzw. Zahlungsverzug in Höhe der durchschnittlichen Bankzinsen auf Einlagen natürlicher Personen für einen bestimmten Zeitraum festgelegt. Der Zinssatz beträgt derzeit 13,85 Prozent. Aktuell werden die Zinsen für die Verwendung fremder Geldmittel in Höhe des Finanzierungssatzes der russischen Zentralbank in Höhe von 8,25 Prozent erhoben. Entsprechende Änderungen wurden durch das föderale Gesetz Nummer 42-FZ „Über die Einbringung von Änderungen in Teil 1 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation“ vom 8. März eingebracht. Verdopplung der Verzugszinsen In die Staatsduma der Russischen Föderation wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Verzugszinsen für die verspätete Zahlung von Steuern und anderen Abgaben praktisch verdoppelt. Es ist vorgesehen, dass der Verzugszinsensatz als 1/165 des geltenden Refinanzierungssatzes der Zentralbank der Russischen Föderation angesetzt wird. Derzeit werden die Verzugszinsen ausgehend vom 1/300 des Refinanzierungssatzes der Zentralbank der Russischen Föderation berechnet. Falls der Gesetzentwurf verabschiedet wird, verlieren die Steuerzahler der Auffassung der Urheber des Gesetzentwurfes nach den ökonomischen Anreiz, die verspätete Zahlung von Steuern und sonstigen Abgaben als Alternative des Bankkredits anzuwenden. Höhere Steuern für Arbeitgeber mit Ausländern In die Staatsduma wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Steuerlast von Arbeitgebern, die ausländische Mitarbeiter (ausgenommen hochqualifizierte Spezialisten) einsetzen: die Steuersätze werden um ein Drittel erhöht, falls der Anteil der ausländischen Arbeitnehmer in der vorausgegangenen Berichts- bzw. Steuerperiode über 30 Prozent der durchschnittlichen Mitarbeiterzahl des Unternehmens betrug. Die neue Vorschrift betrifft die Zahler der Gewinnsteuer, der Einkommensteuer für natürliche Personen, der Einheitssteuer (Flat-Rate Tax) auf geschätzte Erträge sowie die Steuerzahler, die das vereinfachte (erleichterte) Besteuerungssystems und das Patentbesteuerungssystem anwenden. 06 GESELLSCHAFT MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Hoher Rang für ein Prachtgebäude Die Moskauer Staatliche Universität landet überraschend vor allen deutschen Unis Die MGU landet im neuen „Times Higher Education“-Ranking überraschend auf dem 25. Platz – vor allen deutschen Unis. Die MDZ wirft deswegen einen Blick darauf, wie es sich als Student in dem Prachtbau auf den Sperlingsbergen, dem lange höchsten Gebäude Europas, lebt. Von Simon Schütt Flickr: Stefano Das jährliche „Times Higher Education“-Ranking listet die Universitäten mit dem höchsten Prestige weltweit auf. Die beste deutsche Hochschule 2015 ist dort die LMU in München, die sich im Vergleich zum Vorjahr von Platz 46 auf 35 verbesserte, gefolgt von der Universität Heidelberg und der Humboldt-Uni in Berlin. Für Russland barg das Erscheinen der diesjährigen Liste eine große Überraschung: Die Moskauer Staatliche Universität (MGU) landete auf dem 25. Platz. Im Vorjahr lag sie noch auf einem Platz zwischen 51 und 61 – die genaue Platzierung wird ab Rang 50 nicht mehr angegeben. Wie es genau zu dieser Verbesserung kam, können sich auch Experten kaum erklären. Vermutet wird aber, dass eine Reihe von Maßnahmen des Managements im Hinblick auf die Hochschulreform in Russland für das gute Abschnei- Regina Schmidt (3) Oben: Das Hauptgebäude der MGU auf den Sperlingsbergen. Mitte: Eingangshalle zu den Wohnbereichen. Unten links: Blick auf ein Zweizimmer-Apartment. Unten rechts: Ein Korridor im Wohnbereich. den verantwortlich sind. Die Aussagekraft der Umfrage ist allerdings begrenzt: Sie bezieht sich lediglich auf den Ruf, den die Universität unter den Wissenschaftlern genießt, nicht auf die tatsächliche Qualität der Lehre oder Forschung. Für die Studie wurden dieses Jahr 10 507 Wissenschaftler aus 150 Ländern befragt – Studenten hingegen nicht. Prestigeträchtig ist das neoklassizistische Hauptgebäude der MGU von außen allemal – es ist die prominenteste der sieben „Stalin-Schwestern“ und thront mit 240 Metern Höhe über der Moskwa. Wie es in dem Gebäude aussieht, ist allerdings weniger bekannt. Zwei Studenten werfen für die MDZ einen Blick hinein. Eine Stadt im Inneren Das Hauptgebäude der MGU gleicht einer Stadt mit eigener Infrastruktur und Regeln. Von der Post und dem Schuster über den Waschsalon bis hin zum Optiker – innerhalb der Universitätsmauern lässt sich alles Notwendige besorgen. Studenten, Professoren und Universitätsangestellte eilen über die langen Korridore und durch die pompösen Hallen – auf dem Weg zum Unterricht, in eine der Cafeterien oder in den Einkaufsladen. In gesonderten Wohnbereichen sind tausende Studenten untergebracht. Als die MGU gebaut wurde, soll Stalin gesagt haben, „unsere Studenten sollen nicht allein leben“ und so teilen sich heute je zwei Personen ein ZweizimmerApartment mit Dusche und Toilette – knapp zwölf Quadratmeter für jeden. Auf den Etagen befindet sich eine Gemeinschaftsküche. Viele statten ihre Zimmer aber mit Mikrowellen und Minikochplatten aus. Mit Kühlschränken, Teppichen für die alten Holzböden und anderen Haushaltswaren wird auf den Korridoren gerne gehandelt. Sonntags ist der Hauptteil des Gebäudes gesperrt und nur die Wohnbereiche sind geöffnet. Dann treffen sich die Studenten im Innenhof oder auf ihren Zimmern, bevor zu Beginn der neuen Studienwoche die Menschenmassen das Gebäude bis hoch in den 36. Stock anfüllen. Maria Galland hat von 2011 bis 2012 in der MGU gewohnt. Stoff für Anekdoten Als ich erfuhr, dass ich während meines Auslandssemesters im Hauptgebäude der LomonossowUniversität wohnen würde, war ich begeistert davon, Tag und Nacht in diesem unglaublichen Bau zu verbringen. Doch wer ein ebenso spektakuläres Inneres erwartet, wird leider enttäuscht: Die Möbel stammen aus älteren Zeiten, Sauberkeit wird überbewertet und einen Kühlschrank gibt es auch nicht. Das Leben entspricht zwar nicht dem höchsten Standard, langweilig ist es aber auf keinen Fall: Freunde kommen zu spät zur Verabredung, weil der Aufzug wieder stecken bleibt, nachts lernt man Gänge kennen, die die Teile des Hauptgebäudes wie ein Labyrinth miteinander verbinden. Es ist immer etwas los. Alles in allem ist das Leben in der Uni eine Herausforderung mit viel Stoff für zukünftige Anekdoten. Regina Schmidt macht aktuell ein Auslandssemester an der MGU. „Die russische Wissenschaft braucht mehr Kannibalismus“ „Das ist eine weltweit einmalige Hochschulrevolution. So etwas gibt es in keinem anderen Industriestaat so brutal, wie es sich hier in Russland abspielt“, sagt Gregor Berghorn, der Leiter der Moskauer Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes über die aktuell in Russland laufende Hochschulreform. 2013 verabschiedet, stellt sie Russlands Wissenschafts- und Universitätswelt auf den Kopf. Über ihre Ziele und Auswirkungen auf die russischen Hochschulen und die russische Forschung diskutierten beim „Moskauer Gespräch“ neben Berghorn auch der Dekan der philosophischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität, Wladimir Mironow und sein Kollege Sergej Jegorow, der stellvertretende Prorektor und Vorsit- zende des Entwicklungsprogramms der Lomonossow-Universität. Anlass der Reform ist der desolate Zustand der russischen Wissenschaft und Universitäten: Die Lehrkräfte werden immer älter und es fehlt an Nachwuchs. Als Arbeitgeber sind die Hochschulen wenig attraktiv: die Gehälter sind niedrig, Noten und Abschlussarbeiten werden käuflich. Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich der Anteil privater Hochschulen verfünffacht und die Studentenzahl verdoppelt. Etwa 65 Prozent der Schulabgänger in Russland nehmen heute ein Studium auf. Das entwerte die Studienabschlüsse und führe, so Berghorn, zu einem Fachkräftemangel in den übrigen Berufsfeldern. Bis 2020 sollen daher einerseits die Zahl der Hochschulen verringert, ineffiziente Einrichtungen geschlossen oder mit erfolgreicheren zusammengelegt werden. Zur angestrebten Optimierung des Hochschulsystems gehört außerdem ein Rankingverfahren, das die Simon Schütt Experten diskutieren beim „Moskauer Gespräch“ über die Hochschulreform in Russland Auf dem Podium (v.l.n.r.): Wladimir Mironow, Moderator Johannes Voswinkel, Sergej Jegorow und Gregor Berghorn. Bewertung der Bildungseinrichtungen nach objektiven Gesichtspunkten ermöglichen und die russischen Hochschulen nicht nur im eigenen Land, sondern auch international konkurrenzfähig machen soll. Außerdem wird die Akademie der Wissenschaften, als Zentrum der russischen Forschung aufgelöst und die Forschungsaufgaben an die Universitäten delegiert. Zukünftig soll sie nur noch als Agentur die Forschungstätigkeiten der Wissenschaftler an den Unis überwachen. Doch wie reagieren die russischen Hochschulen auf den Wettbewerb? „Woher wissen wir, dass wirklich die schlechten Hochschulen geschlossen werden?“, bemängelt etwa Mironow. Es fehle eine Expertenkommission, nach rein formalen Kriterien könne man Wissenschaft nicht bewerten. Jegorow kritisiert wiederrum die wachsende bürokra- tische Belastung: „Die Anzahl der Berichte, die pro Quartal verfasst werden müssen, hat sich verfünffacht.“ Besonders unübersichtlich sei die Situation in den Regionen, wo der wachsende Konkurrenzkampf um die Studentenzahlen fantastische Praktiken hervorrufe: Eine Hochschule in Kasan biete gar Fernstudiengänge in französischer Sprache für Studenten in Afrika an, um ihre Studierendenzahlen zu erhöhen. Berghorn hingegen meint, nur der Wettbewerb könne die russische Wissenschaft retten: „Die Gehälter müssen durch Kannibalismus erwirtschaftet werden.“ Professoren müssten verschwinden, damit andere bezahlt werden können. Eine weitere Zielstellung der Reform ist die Internationalisierung der Wissenschaft: Die Experten sind sich einig, dass selbst die gegenwärtig angespannte, politische Situation keinen negativen Einfluss auf den wissenschaftlichen Austausch habe. Peggy Lohse 07 REGIONEN MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 EIN TAG IM LEBEN VON ... Tino Künzel (3) 7:00 Früher, als mein Mann Stepan und ich noch in der Buchhaltung der Sowchose bei uns im Ort gearbeitet haben, waren wir schon um sechs Uhr auf den Beinen. Als Rentner lassen wir es gemütlicher angehen. Stepan steht als Erster auf und heizt den Küchenofen mit Holzscheiten an. Er holt Wasser vom Brunnen und frische Milch von unserer Nachbarin Galja – jeden Tag einen Liter. Ich erinnere mich an Zeiten, als in unserem Dorf 62 Kühe privat gehalten wurden. Heute sind es nur noch drei. Galja hat eine davon. 8:00 Wir trinken Tee. Wenn ich schlecht geschlafen habe oder erst spät eingeschlafen bin, weckt mich Stepan nicht, sondern wartet, bis ich von selbst wach werde. Seinen Tee nimmt er dann allein zu sich. 9:00 Frühstück. Haferbrei, Bratkartoffeln mit Pilzen, Quark – auf den Tisch kommt, worauf wir Appetit haben. Das Mittagessen bereite ich gleich mit vor. In unserem traditionellen russischen Ofen ist ja viel Platz für Töpfe und Pfannen. Solche Ziegelöfen waren von alters her ein fester Bestandteil von Bauernhäusern. Inzwischen sind sie meist von Gas- oder Elektroherden und modernen Backöfen abgelöst worden. Aber ich schwöre auf meinen alten Ofen, der eine gleichmäßige Hitze spendet, die sich lange hält. Er ist so geräumig, dass ich die verschiedensten Speisen auf einmal zubereiten kann. Im Sommer, wenn uns die Kinder und Enkel besuchen, die über halb Russland verstreut sind, und wir eine große Tafel aufbauen, damit alle gemeinsam verköstigt werden können, lobt immer jemand meine Kochkünste. Dass es bei mir besser schmeckt als im Restaurant, habe ich jedenfalls schon oft gehört. das wir seit 47 Jahren bewohnen. Es stammt aus der Zarenzeit, hat meinem Onkel und meiner Tante gehört, die im 19. Jahrhundert geboren wurden. Ich höre sie noch auf Lenin schimpfen, weil seine Bolschewiki den Bauern alles weggenommen haben. Als hier bei uns die Dörfer zusammengelegt wurden, sind wir aus dem Nachbarort nach Kosmino gezogen. Und das Haus musste natürlich mit. Wir haben es dort ab- und hier wieder aufgebaut. Mein Vater hat die drei Öfen gemauert. Der Flecken am Dorfrand könnte schöner nicht sein, inmitten von Wiesen, die zu einem Fluss abfallen, nebenan der Wald, wo wir Pilze sammeln. Und erst die Luft! Um nichts in der Welt würde ich in der Stadt leben wollen. HEUTE: Rentnerin Maria Pritykina (75) aus dem 500-SeelenDorf Kosmino in der Region Archangelsk 12:00 Es kommt nicht oft vor, aber erzählt vom Alltag manchmal brauchen wir etwas aus dem Dorfladen. Dann mache ich einer russischen mich auf den Weg. Es sind um die 20 Minuten zu Fuß. Aber wenn ich 10:00 Babuschka Ich schalte den Fernseher in der gute Bekannte treffe, dann können Stube an. Es ist ziemlich egal, was gerade läuft, ich schaue nur mit halbem Auge hin und widme mich meinen Handarbeiten: Decken, Socken, Haus- oder auch Handschuhen. So etwas kann man immer gebrauchen. Und es macht mir Freude, die Verwandschaft damit zu beschenken. Meine Nähmaschine steht im Schlafzimmer, das ist einer von drei Räumen im beheizten Teil unseres Hauses, es auch ein paar Stunden werden. Wir haben uns immer viel zu erzählen. Unser Dorf am östlichen Rand des Gebiets Archangelsk, eine Tagesfahrt mit dem Zug von Moskau entfernt, hat nur 500 Einwohner, da kennt jeder jeden. Und alle wissen, was im Ort passiert. Seit die Sowchose eingegangen ist, gibt es hier keine Arbeit mehr. Die Leute sind gezwungen, auswärts zu arbeiten, viele ziehen weg. Zurück blei- Die Küchenchefin. Maria rangiert Pfannen in den „Bauch“ des Ziegelofens. Auf ihrer Schürze steht „Mallorca“. Dort ist sie nie gewesen, wie auch anderswo im Ausland. Sie hat nicht einmal einen Reisepass. ben wir Alten und die Kinder. Zum Glück ist die Geburtenrate zuletzt wieder angestiegen, es denkt keiner daran, unsere Schule zu schließen. Vielleicht ist es um die Zukunft ja doch nicht so schlecht bestellt. 13:00 „Es geht uns gut.“ Maria Pritykina und ihr Mann Stepan vor dem gemeinsamen Haus (hinten) und einem Anbau (links). 15 Uhr werden Serien gezeigt. Das ist das beste Schlafmittel. Wenn ich an der Kasse im Laden stehe, dann merke ich, wie die Preise gestiegen sind. Aber Stepan und ich, wir haben zusammen eine Rente von 37 000 Rubel (nach heutigem Rubelkurs umgerechnet rund 570 Euro), damit kommen wir aus. Es geht uns gut, ich kann nicht klagen. Mit Lebensmitteln versorgen wir uns fast vollständig selbst. An Gemüse bauen wir zum Beispiel Kartoffeln, Tomaten, Gurken, Möhren und Rüben an, an Obst haben wir unsere eigenen Himbeeren, Johannisbeeren, Vogelbeeren. Zucker bekommen wir aus dem Großhandel. Frischen Fisch bringt unser Sohn vorbei. Brot backe ich selbst. Kohl haben wir üblicherweise sogar so viel, dass wir davon die Schule mitversorgen. Für den Winter wird eingekocht und im Keller eingelagert. Das macht alles Arbeit. Dafür kann ich aber meine Hand dafür ins Feuer legen, was es bei uns zu essen gibt. Und es ist garantiert von besserer Qualität als das, was im Laden verkauft wird. 17:00 14:00 Abendbrot. Dann legt sich mein Mann schon bald schlafen. Ich bleibe noch etwas länger auf. Wir essen zu Mittag. Anschließend halten wir Mittagsruhe. Stepan liest seine Bücher, bis ihm die Augen zufallen. Ich schaue fern, nach Nachmittagstee. Danach widme ich mich wieder der Handarbeit. Stepan geht spazieren. Er ist fünf Jahre älter als ich, wir haben uns einst beim Studium in Archangelsk kennengelernt. Seitdem sind wir zusammen. Heute hört er zwar schwer, ist aber ansonsten noch gut in Schuss, toi, toi, toi. Ich bin so dankbar, dass wir einander haben. 18:00 Im Sommer sind wir um diese Zeit draußen. Wenn die größte Hitze vorbei ist, wird im Garten gearbeitet, gern auch bis zum Einbruch der Dunkelheit. 20:00 Samstags ist Waschtag. Wir gehen gemeinsam in unsere Banja auf dem Grundstück und schrubben uns gegenseitig den Rücken. Auf das Dampfbad verzichten wir, das machen unsere Herzen nicht mehr mit. 21:00 Aufgeschrieben von Tino Künzel. Der Schtschi, den Maria aus einem gusseisernen Topf serviert, ist eine Wucht. Die Kohlsuppe, einen russischer Klassiker, kocht sie nach alten Rezept. Mit dem weit verbreiteten Kantinenessen hat ihr Schtschi nur den Namen gemein. 08 MEINUNG & MEDIEN MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Tatort Krim Halbinsel-Krimi oder Weltgeschichte? Neun Fragen zum russischen TV-Ereignis des Jahres 7 Wann und wo wurde der Film gedreht? Der Film wurde im Laufe von acht Monaten auf der Krim gedreht, berichtet sein Autor Kondraschow. Beendet worden seien die Dreharbeiten Mitte Februar dieses Jahres. Das Interview mit Putin, in dem dieser aus dem Nähkästchen plaudert, sei zeitnah nach den Ereignissen auf der Krim aufgezeichnet worden. Da Putin den Brand von Odessa erwähnt, fand das Interview frühestens im Mai statt. Weil seitdem „viel geschehen sei“, sprach Kondraschow wohl kurz vor der Filmpremiere erneut mit dem Präsidenten. Den Krieg im Donbass erwähnt Putin daher nur im zweiten Interview, das den Epilog des Films bildet. Das erlaubt ihm, die Hauptbotschaft des Films auf die kurze Formel zu bringen: Hätten wir das damals nicht getan, wäre die Krim wie der Donbass im Bürgerkrieg versunken. RIA Novosti Der weithin als Annexion beschriebene Anschluss der Krim scheint ein Meisterstück gewesen zu sein: Russland schnappte sich einen der militärisch wichtigsten Orte der Erde und das ohne Blutvergießen. Die US-Geheimdienste wurden wohl ebenfalls auf dem kalten Fuß erwischt. Wie und warum es so kam, will ihnen und dem Rest der Welt ein Film des russischen Staatssenders „Rossija 1", der am 15. März ausgestrahlt wurde, erklären. Von Anastassija Issajewa und Bojan Krstulovic 1 Wieso soll ein Film des russischen Staatsfernsehens so wichtig sein? Weil in „Krim. Der Weg nach Hause“ Präsident Putin höchstpersönlich über die Details der „Heimkehr“ der Krim nach Russland Auskunft gibt. Die nun in Bewegtbilder gegossene Version der Ereignisse von Februar und März 2014 dürfte bis auf weiteres in die russischen Schulbücher und offiziellen Geschichtsbücher eingehen und damit auch die Grundlage für Russlands Außenpolitik in dieser Frage formulieren. 2 Was ist die Hauptbotschaft ans Publikum? Nur durch das beherzte Eingreifen Russlands habe die KrimBevölkerung vor nationalistischen Umtrieben nach der „Putsch-Situation“ in Kiew geschützt werden können. Über zweieinhalb Stunden beschwört der Film mit vielen Details eine Drohkulisse für die Halbinsel, die vor allem von rechten Milizen und Teilen des Militärs ausgeht, aber auch andeutungsweise von Nato-Einheiten im Schwarzen Meer und sogar auf der Krim selbst. Die Ereignisse 2014 werden keineswegs als Annexion dargestellt, sondern vielmehr als entschlossene Verteidigung, erfolgreiche Rettung und umjubelte Heimkehr der Krim in ihre historische und menschliche Heimat. „Sie ließen uns keine andere Wahl“, so Putin resümierend. 3 Welche Botschaft gibt der Film an den Rest der Welt? Einige politische Beobachter in Russland wollen ein klares Signal an die Nachbarstaaten erkannt haben: Widerstand ist zwecklos, ihr habt keine Chance. Diese Botschaft 8 Filmautor Kondraschow (l.) neben Dmitrij Kisseljow bei der Vorstellung des Films mit englischen Untertiteln. werde vor allem aus der Episode zu Beginn des Films deutlich, in der Putin die Rettung von Wiktor Janukowitsch aus der Ukraine in allen Details beschreibt. Es bleibt dabei der Eindruck: Die Russen kennen das Terrain ihrer Nachbarn besser als deren eigene Sicherheitsdienste, sogar als deren Präsidenten mit ihrem Gefolge. Auch eine weitere Episode des Films geht klar in diese Richtung: Als die Armeeführung in Kiew angeblich einen Schießbefehl für die Soldaten auf der Krim übermitteln will, kappt der russische Auslandsgeheimdienst alle sicheren Kommunikationswege. Man kenne sich in solchen Dingen bestens aus, so Putin. Es bleiben wenige Zweifel, dass dies auch für viele der übrigen Staaten der ehemaligen UdSSR gilt. 4 Gibt Putin weitere bisher geheime Details preis? Zwei „Enthüllungen“ des Films sind eigentlich keine: Dass Russland im Februar 2014 Soldaten auf die Krim entsandte, war schon lange eingeräumt worden. Und dass die russischen Streitkräfte und Putin als ihr oberster Befehlshaber bei einem hypothetischen Nato-Angriff auf russisches Territorium den Einsatz von Nuklearwaffen in Betracht ziehen, ist auch nichts Neues. Bemerkenswert ist, dass Putin angeblich bereit war, die Krim nuklear zu verteidigen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch nicht Teil Russlands war. Völkerrechtlich brisant ist auch, dass Putin damals die Verlegung von hochmodernen „Bastion“-Abwehrsystemen auf die Krim – also de facto noch auf ukrainisches Territorium – veranlassen ließ, um einen USZerstörer abzuschrecken, der Kurs auf die Krim genommen haben soll. Verteidigungsminister Schojgu habe die Verlegung zunächst eigenmächtig gestoppt, wie Putin im Film fast scherzend erzählt. Das sei verständlich, so Putin, war doch seine Anordnung schon 20 Stunden alt, während derer er mit anderem beschäftigt war. Also sei Schojgu, der eigentlich als starker Mann im Volk beliebt ist, lieber auf Nummer sicher gegangen. Erst Putins erneute Bekräftigung habe zur Umsetzung dieses schwerwiegenden Schritts geführt. 5 Wird Putin von den Filmemachern eigentlich gefragt, wieso er 2014 lange öffentlich behauptete, dass die „grünen Männchen“ auf der Krim keine russischen Soldaten seien, sondern Amateure, die ihre Uniformen im Supermarkt gekauft haben könnten? Nein. 6 Wer ist der Autor von „Krim. Der Weg in die Heimat“? Beauftragt wurde der russische Journalist Andrej Kondraschow, der vor allem als Sprecher der werktäglichen 20 Uhr-Hauptnachrichten „Westi“ im Fernsehkanal „Rossija 1“ bekannt ist. Außerdem hat der 42-Jährige die Dokumentarfilme „Afgan“ (2014) über den Afghanistankrieg der UdSSR und „Beresowskij“ (2012) gedreht. In letzterem behauptete Kondraschow, dass der gleichnamige Oligarch 2004 versucht habe, mit Auftragsmorden in die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine und in Russland einzugreifen. In Interviews nach der Erstausstrahlung gab sich Kondraschow stolz über seine Berufung als Autor des Krim-Films. Damit habe er das Privileg gehabt, vom bloßen Beobachter zum Teilnehmer des geschichtsträchtigen Geschehens zu werden. I M P R E S S U M © Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 397 Redaktionsschluss: 25. März 2015 Korrektur: Marina Lischtschinskaja, Friederike Werner Herausgeber: Olga Martens, Heinrich Martens Layout: Andrej Franzew Design: Hans Winkler Redaktion: Bojan Krstulovic, Chefredakteur Olga Silantjewa, Stellv. Chefredakteurin Tino Künzel, Maria Galland (ifa-Redakteurin), Simon Schütt, Julia Larina (russischer Teil) „MaWi Group“ Geschäftsführende Gesellschafterin: Olga Martens Anzeigen: Tel. +7 (495) 531 6887, [email protected] Vertrieb: Tel.: +7 (495) 531 6887, [email protected] Vertretung in Deutschland: Natalia Kelbler ([email protected]) Adresse Redaktion Moskauer Deutsche Zeitung Deutsch-Russisches Haus, Ul. Malaja Pirogowskaja 5, Zi. 54. 119435 Moskau, Russland Tel. +7 (495) 531 6888 E-Mail: [email protected] www.mdz-moskau.eu *Ein Redakteur wird durch das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. aus Mitteln des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Die Redaktion übernimmt keine Haftung für den Inhalt der veröffentlichten Anzeigen. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Nachdruck nur mit Genehmigung. Registriert bei Roskompetschat am 14. Februar 2002, Nr. 77-11596. Gedruckt bei AO „Krasnaja Swesda“. Choroschewskoje-Chaussee 38, 123007 Moskau. Auflage 25 000 Expl. Номер заказа 1428-2015. Газета в розницу не распространяется. Wie viele Menschen haben den Film in Russland gesehen? Auch wenn er nicht zur Primetime lief, fand der Film ein Millionenpublikum. Die Einschaltquote mit knapp 40 Prozent war so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Das heißt, dass fast jeder zweite Russe, der an jenem Sonntag von 22 bis 0.30 Uhr vor dem Fernseher saß, den KrimFilm gesehen hat. Die absoluten Zahlen sind weniger spektakulär: Die Marktforscher von TNS (die gängige Quelle für Einschaltquoten in Russland) kommen auf 1,8 Millionen Moskauer und insgesamt 7,9 Millionen russlandweite Zuschauer. TNS zählt Kleinkinder nicht mit und auch nur Bewohner von Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Alles in allem erreichte der Film wohl kaum mehr Menschen, als ein durchschnittlicher „Tatort“Krimi in der ARD. 9 Gibt es den Krim-Film bald auf Deutsch? Höchstwahrscheinlich ja. Zurzeit arbeitet die russische mediale Auslandsagentur „Rossija Segodnja“ an der Übersetzung des Streifens in 36 Sprachen. Das sagte der Leiter der Agentur Dmitrij Kisseljow bei der Präsentation des Films für ausländische Journalisten (siehe Bild) drei Tage nach seiner Erstausstrahlung im Fernsehen. Bei dieser Präsentation mussten noch englische Untertitel aushelfen. Alle auf dieser Seite publizierten Beiträge geben ausschließlich die Meinung ihrer Autoren wieder. SAGEN SIE UNS IHRE MEINUNG: [email protected] №6(397) w w w . r u . m d z - m o s k a u . e Март 2 0 15 u Н Е З А В И С И М А Я ГА З Е Т А О П О Л И Т И К Е , Э К О Н О М И К Е И К У Л Ь Т У Р Е • О С Н О В А Н А В 1 8 7 0 Г О Д У ДОЖИВЕМ ДО ПАСХАЛЬНОГО ПОНЕДЕЛЬНИКА РЕФОРМА И СОДЕРЖАНИЕ МИР УСТАНОВИВШИЙСЯ И МИР ИНОЙ Давняя традиция немецкого города Ренс Как изменятся вузы и какой будет наука в России Погребение в Берлине после окончания войны II II I VI В поле зрения РИА Новости Идущий по футбольному полю 102-летний болельщик «Спартака» Отто Фишер из Копейска Челябинской области в марте дважды стал героем публикаций. Были две новости – хорошая и плохая. Хорошая: Фишера, который начал болеть еще в 20-е годы за команду-предшественницу «Спартака», пригласили в Москву, где он посетил новый стадион любимой команды и ее матч с «Динамо». Плохая: по возвращении домой он был ограблен неизвестным, пришедшим к нему под видом соцработника, – из квартиры исчезло более 700 тысяч рублей. «Спартак» уже пообещал оказать помощь старейшему болельщику. Международный союз немецкой культуры тоже поможет Фишеру. Кстати, он до недавней поездки в Москву не был в ней с 1941 года: после призыва в армию его арестовали, а дальше – трудармия, спецпоселение и жизнь далеко от столицы. Цели и средства Где убыло, там и прибыло Поддержка российских немцев продолжится О миграции граждан ФРГ Ольга Силантьева В прошлом году общественным организациям российских немцев из бюджетов разных уровней было выделено свыше 300 млн. рублей, из которых 65 млн. было направлено на капитальное строительство. Главными объектами поддержки являлись Российсконемецкие дома. Значительная часть средств была израсходова- на на оплату коммунальных услуг помещений для деятельности общественных организаций на местах. Германская сторона из бюджета МВД выделила около 8,5 млн. евро на финансирование этнокультурных мероприятий в России и поддержку СМИ. По линии МИД Германии на курсы немецкого, стипендии, молодежные обмены и поддержку СМИ было выделено около 880 тысяч евро. В 2015 году планируется сохранить финансирование примерно на том же уровне. Президент Федеральной национально-культурной автономии российских немцев Генрих Мартенс представил на встрече рабочей группы проект Культурно-делового центра немцев Омской области. Как ожидается, его функции будут шире тех, что имеют Российско-немецкие дома в Сибири (напомним, что один из них – в Барнауле – еще недавно был под угрозой закрытия). Так, помимо этнокультурного развития немцев региона, новый центр займется вопросами привлечения инвестиций из Германии, экономического, культурного, образовательного сотрудничества между немцами Омской области и поздними переселенцами. Генрих Мартенс выразил надежду на возобновление полноценной работы Межправкомиссии, отметив важность ее как инструмента, способствующего планомерному развитию российско-германских отношений. Последний раз комиссия собиралась в мае 2013 года. В Германии опубликованы результаты исследования, авторы которого выясняли, почему жители страны покидают ее и почему часть из них возвращается. «МНГ» – о главных выводах исследования «Международная мобильность. Мотивы, условия и следствия отъезда и возвращения немецких граждан». Анна Линк Более 3% населения мира (около 250 миллионов человек) проживают в настоящее время не в родной стране. Это данные Департамента ООН по экономическим и социальным вопросам. Сегодня наряду с классической эмиграцией по принципу «раз и навсегда» можно выделить четыре других вида: продолжительное отсутствие на родине, временный отъезд, циркулярные перемещения и так называемые транснациональные миграции (передвижения между странами, связывающими мигрантов с родственниками, согражданами и единоверцами, в результате чего образуется некое транснациональное пространство). Введение безвизового режима в Европе, а с ним и усиление миграционных потоков оказало стимулирующее влияние на процессы внутриевропейского миграционного обмена. Одной из наиболее популярных для жизни и работы европейцев стран является Германия. II РЕКЛАМА В Москве прошла встреча рабочей группы по подготовке заседаний Межправительственной российско-германской комиссии по проблемам российских немцев. На ней подвели итоги мер поддержки, оказанной в 2014 году, и обсудили планы на текущий год. II ГЕРМАНИЯ МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 К кролику – беги Ренс на Рейне: пасхальная традиция с XVII века В понедельник, 6 апреля, у ратуши городка Ренс (земля Рейнланд-Пфальц) с населением менее 3000 жителей пасхальные кролики величиной с человека по давней традиции будут дарить детям пасхальные яйца и корзинки со сладостями. Ирина Седельникова Первое упоминание о Ренсе относится к 874 году. Благодаря своему положению – на берегу Рейна, за лесами и виноградниками, – город служил местом важных собраний и переговоров, одним из которых стало собрание курфюрстов в 1338 году, где они договорились о процедуре избрания короля. Напоминанием об этом до сих пор служит огромный каменный трон в Ренсе. Однако важные события случались нечасто, и жизнь текла своим чередом. Ежегодно на Пасху дети, сопровождаемые Manfred Frickel (2) Пасхальные традиции в Германии по красоте и разнообразию не уступают рождественским, но так как в этот праздник, в отличие от Рождества, не принято дарить много подарков, он не связан с суетой и поиском подходящих вещей и подарочных упаковок. Намного больше он ассоциируется с духовным обновлением, с желанием стать лучше и помочь ближнему. Возможно, именно об этом думала Агнес фон Флёрен, положившая начало довольно необычной пасхальной традиции в городе Ренс. учителями, устраивали маленькое праздничное шествие по улицам городка. Останавливаясь у каждого дома, они пели пасхальные песни, затем, получив сладости или пасхальные яйца от хозяйки, шли дальше. В 1631 году накануне Пасхи Агнес фон Флёрен, дочь богатого винодела из Кобленца, обручилась с сыном местного высокопоставленного чиновника Хансом Хёггом, и, как будущая хозяйка дома, тоже вышла встречать детей. Детей было много, сладкие булочки и яйца быстро закончились, но Агнес радостно пообещала, что будет раздавать сладости и раскрашенные яйца и в следующем году, став уже женой Ханса. Восторгу детей не было предела. Сдержать обещание Агнес оказалось труднее, чем она ожидала: шла Тридцатилетняя война, и кавалерист Ханс погиб в одном из сражений. Во время нашествия шведов были убиты и родители Агнес, а она сама стала скрываться в одном из монастырей в Кобленце. Но обещание есть обещание, и на Пасху не счастливая молодая женщина, а бледная тихая монахиня вернулась в Ренс, чтобы снова раздавать детям раскрашенные яйца и сладости. Из года в год продолжала Агнес эту традицию, которая служила ей утешением и напоминанием об обещании, данном в минуту давно ушедшего счастья. Богатство, унаследованное после смерти родителей, она завещала госпиталю Ренса – с условием, что каждый Популярный детский конкурс – бег с яйцом в ложке Раздача детям пасхальных подарков в Ренсе год в Пасхальный понедельник дети города будут получать 1100 раскрашенных яиц и столько же булочек. Руководство госпиталя строго следило за исполнением ее воли, и лишь войны XX века прервали эту традицию. Возобновить ее решил в 1988 году фонд «Культурное наследие Ренса». С тех пор каждый год в Пасхальный понедельник город приглашает детей и их родите- лей вместе порадоваться празднику. Среди детей проводится конкурс рисунков, и авторы лучших получают награду. 2015 год не станет исключением: пасхальные кролики величиной с человека будут дарить детям подарки. Кроме того, пройдет праздничное шествие по улочкам средневекового Ренса в сопровождении духового оркестра и, конечно, пасхальных кроликов. Где убыло, там и прибыло Демографические отчеты I по Германии, напротив, демонстрируют отрицательные показатели миграционного сальдо. В период с 2009-го по 2013 год страну покинули 710 000 человек – в большинстве своем молодых и высококвалифицированных, из благополучных семей. Вернулось же в страну 580 000. В среднем Германия ежегодно теряет 25 000 граждан, преимущественно с высоким уровнем образования. Неквалифицированные рабочие кадры, боясь рисковать, не спешат уезжать из родной страны. Эти данные публикуются в исследовании, проведенном Экспертным советом германских фондов интеграции и миграции, Федеральным институтом по изучению проблем народонаселения и Университетом Дуйсбург-Эссен при поддержке фонда Mercator. В ходе исследования выяснилось, что самыми популярными европейскими странами для покидающих Германию жителей в период с 2013-го по 2014 год стали Швейцария (209 000 уехавших), Австрия (109 000), Польша (94 000) и Великобритания (89 000). Из неевропейских стран в тройку вошли США (136 000). На основе онлайн-опроса восьмисот уехавших и девятисот вернувшихся было выявлено, что отъезд связан с целым рядом причин. Свыше 30% опрошенных склонялись к четырем и более причинам для смены места жительства. Так, 72,2% обозначили желание получить новый опыт и расширить интеллектуальный кругозор, 66,9% хотели улучшить ситуацию с работой, а 50,9% приняли решение покинуть страну по семейным обстоятельствам. Такие факторы, как возраст и семейный статус, играют большую роль в формировании мотива отъезда. На учебу, как правило, едут люди в возрасте до тридцати лет (43,7%), в то время как работать за границей стремятся 75% уезжающих старше тридцати. Состоящие в браке граждане Германии чаще отправляются в другие страны по семейным обстоятельствам (73,9%), чем их неженатые и незамужние ровесники. Как правило, мужчины нацелены на лучшую работу с более комфортными условиями и высокой зарплатой. Женщинами обычно движет стремление сохранить целостность семьи. Немцы-мигранты уезжают в основном в Швейцарию, Америку и Австрию Надо еще учитывать, что в Германии проживает достаточно много граждан с миграционным прошлым. Их мотивами покинуть ФРГ могут стать ощущение дискриминации или же просто ностальгия. Несмотря на внушительное количество переселенцев из Германии, нельзя рассматривать процесс миграции исключительно как постоянную потерю ценных кадров. Большинство высококвалифицированных опрошенных не готовы оставаться вдали от родной страны дольше необходимого. Свое намерение вернуться они объясняют профессиональными причинами (56,5%), семейными обстоятельствами (63,9%) или неудовлетворительным опытом жизни за границей (40%). Больше половины опрошенных (54,2%) убеждены в том, что могут найти в Германии интересную и перспективную работу, 45,8% надеются на лучшие условия труда, в то время как 12,3% просто потеряли свое рабочее место за границей. Свое неудовлетворение жизнью за рубежом опрошенные аргументировали тоской по привычной жизни в Германии, по семье и старым друзьям. Исследование показало, что возрастной фактор также игра- ет большую роль при принятии решения вернуться на Родину: уезжающие в возрасте до тридцати лет изначально планируют свое пребывание за рубежом исключительно как временное. Таким образом, за счет возвращения происходит не только уравновешение миграционных данных, но и обогащение рабочей практики новым опытом, инновационными идеями и полезными контактами. Оказалось, кстати, что мигранты, в отличие от тех, кто никуда не уезжает, более открыто реагируют на новый жизненный опыт, гораздо легче адаптируются и чувствуют себя, как правило, здоровыми и довольными жизнью. Вообще миграционную мобильность необходимо развивать, поддерживать и укреплять. Политики, экономисты и гражданское общество должны совместными усилиями разрабатывать общие стратегии международной мобильности. МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 III РОССИЯ И ГЕРМАНИЯ Высшее преобразование Российско-немецкая дискуссия о реформе вузов и академической науки в нашей стране В середине марта в Москве, в Посольстве Германии в России, «Московская немецкая газета» совместно с Германороссийским форумом провела «Московские беседы» на тему «Реформа науки и образования в России». Владимир Миронов, Йоханнес Фосвинкель, Сергей Егоров и Грегор Бергхорн несколько разошлись, – грантовая система финансирования науки. Декан философского факультета МГУ Владимир Миронов привел пример Германии: «Классический гумбольдтовский университет – наиболее инновационный. Государство давало деньги и доверяло профессуре. И не ошиблось. Сегодня государство пошло по-другому пути, переводя науку на грантовую систему: «Я тебе дал деньги – ты мне завтра дай открытие». Но так не бывает. Физики могут 10 лет чай пить, а на 11-й сделать открытие. В науке должно сохраняться мощное бюджетное финансирование, а грантовая система должна быть дополнительной». Грегор Бергхорн говорил о новых требованиях. Ученый учится аргументировать, на что ему нужны деньги. И он занимается менеджментом – профессору из XIX века откажут. Владимир Миронов заметил, что все в итоге сводится к уме- РЕКЛАМА Они должны учиться тому, что не было предусмотрено плановой экономикой: самостоятельности, креативности, гибкости, инициативе». В качестве примера вуза, где эти качества прививаются, Грегор Бергхорн привел Высшую школу экономики. Но многие другие продолжают работать по прежним принципам, и у выпускников возникают проблемы с трудоустройством. «Мне кажется, система образования, существовавшая в СССР при плановой экономике, в некоторых аспектах была очень сильной, – не согласился заместитель проректора МГУ, начальник управления Программой развития Московского университета Сергей Егоров. – Мы видим это по успехам выпускников, которые многого достигли за рубежом. В некоторых областях науки в мире – сплошные русские фамилии». Еще один вопрос, взгляды на который участников дискуссии РЕКЛАМА Вопрос «Как поступить?» – привычный для системы высшего образования. Только обычно его задают абитуриенты. Но последние годы обсуждается вопрос, как поступить с самой вузовской системой. Государство затеяло реформу академической науки – как Российской академии наук, так и высшего образования. Ее цель – достижение лучших показателей: система должна стать более эффективной, позиции российской науки в мире – усилены, а в саму науку должны прийти молодые талантливые кадры. Модератор дискуссии журналист Йоханнес Фосвинкель, многолетний корреспондент газеты Die Zeit в Москве, напомнил о том, что закон «О Российской академии наук, реорганизации государственных академий наук» был принят в сентябре 2013 года и, как говорят его критики, довольно агрессивно проведен через парламент. Сторонники реформы считают, что это горькая пилюля, которую Россия должна проглотить, противники утверждают, что это смерть академии. «Это самый большой процесс изменений в истории высшей школы, – заметил в ходе дискуссии Грегор Бергхорн, руководитель Германского дома науки и инноваций (DWIH) и DAAD. – В мире подобного примера нет. Что необходимо изменить? Студенты знают много, но не могут применить эти знания. Simon Schütt Юлия Ларина нию написать заявку на грант. «Чтобы я получил грант, чиновник должен меня понять, – сказал он. – Я должен либо напугать его своим открытием, либо обещать ему бессмертие. Тогда есть большая вероятность, что грант будет поддержан». Эффективность, которой в результате реформы хотят достичь, не должна определяться по формальным критериям, а в некоторых случаях вообще не должна стать главным критерием. Вот пара примеров из дискуссии. «Когда-то у нас на философском факультете была открыта знаменитая кафедра теории и истории мировой культуры, – рассказал Владимир Миронов. – Возглавлял ее Вячеслав Иванов, на ней работал Сергей Аверинцев, к нам приезжал Юрий Лотман. Она располагалась в маленькой комнатке, метров пятнадцать, в которой студенты проводили все время. Если бы сегодня кафедру прове- ряли по критериям эффективности, ее закрыли бы». Второй пример – об эффективности вузов. В России за последнее время возникло много новых институтов и университетов. В процессе реформы какие-то будут закрыты, какие-то объединены. «Вузы в России выполняют разные функции, – заметил Сергей Егоров. – Есть такие, которые никогда не будут успешными, но благодаря им некоторые регионы России – устойчивые. Например, кавказские вузы выполняют важную регионообразующую функцию. То же касается и отраслей промышленности. Под реорганизацию попал, допустим, в Петербурге единственный вуз, выпускающий специалистов в определенной области строения морских судов. Это потеря целой школы». Во время обсуждения темы с залом возник новый аспект: если сейчас мы наблюдаем одну демографическую яму – меньше абитуриентов и студентов, то скоро столкнемся с другой – будет мало преподавателей. Вузовский преподаватель из числа слушателей сказал, что у них на кафедре шесть профессоров, четверо из которых старше 75 лет. А молодые не идут. Например, в вузе, который готовит программистов, профессора зарабатывают меньше выпускников, а то и студентов. В конце дискуссии была высказана мысль, которая учитывала все перечисленные за два часа достоинства и недостатки проводимых преобразований: «Да, реформа нужна, но нужно реформировать эту реформу». IV В Т О РА Я Р О Д И Н А МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 Другой немецкий язык Plautdietsch соберет его носителей на конференции в Южной Америке Сколько человек в мире говорят на Plautdietsch? Часто называют цифру – полмиллиона, но точно никто не знает. В Германии примерно 200 тысяч. В Канаде, Южной Америке еще 300 тысяч. В России осталось мало носителей этого языка. В России его называют немецко-платским диалектом. Разве это язык? По определению Европейской хартии региональных языков и языков меньшинств – да. Диалекты не подпадают под защиту хартии. РЕКЛАМА Все ли его носители – меннониты, то есть протестанты-пацифисты? Все меннониты или бывшие меннониты. Я, например, не крещен, то есть я этнический меннонит. В Канаде, допустим, меннонитов воспринимают не как людей особой веры, а как этническую общность. В Парагвае же и Боливии большинство говорящих на Plautdietsch одновременно и религиозные меннониты. Эмиграция туда из России началась в XIX веке по соображениям веры: после реформ Александра II и введения всеобщей воинской повинности – меннониты не могли брать в руки оружие. Как вы сами оказались в Германии? Я родился в Латвии, в Сигулде. В 1975 году наша семья эмигрировала в Германию – родители шесть лет ждали разрешения на выезд. Моя мама – из меннонитских колоний Украине. нитс ски к х ко коло оний наа У кр раи а нее. Во время войны оказалась в Германии, а по ее окончании была отправлена в Сибирь. Отец – из Омской области. В 1956 году, после снятия режима комендатуры, родители переселились в Прибалтику. Что представляет собой общество Plautdietsch-Freunde? Оно создано в 1999 году, сейчас в нем около 160 членов, почти все – из бывшего Союза. Мы объединились, чтобы сохранить язык и поддерживать тех, кто изучает. Организуем к кт о ег еего о из зуч у ае ает.. О р ан рг а иззуе у м учебные поездки в страны, где говорят на Plautdietsch, проводим научные конференции. Почти 15 лет выпускаем журнал PlautdietschFRIND. Многие считают, что, если на языке никто не пишет и не читает, это не язык. Поэтому мы печатаем книги и издаем журнал. Наши Из личного архива В конце марта в Парагвае пройдет Международная конференция СМИ, выходящих на Plautdietsch (плаутдич, вариант нижненемецкого). Это язык некоторых российских немцев, проживающих или ранее живших в нашей стране. «МНГ» побеседовала с Генрихом Сименсом из Бонна, защитившим докторскую на тему «Грамматика Plautdietsch». Д Е Т А Л И Погружение в язык Plautdietsch возник около 450 лет назад в Западной Пруссии, в низовьях Вислы. Это смесь древненидерландского, фризского и нижненемецкого. Курс, связанный с этим языком и меннонитами, ведет во фрайбургском Университете Альберта-Людвига лингвист Гёц Кауфман. В январе он с группой студентов побывал в Детмольде, где располагаются общество Plautdietsch- Freunde e.V. и Музей истории культуры российских немцев. В течение нескольких дней проходили встречи, на которых студентам рассказывали об истории и культуре меннонитов и их языке. Жили они в меннонитских семьях, что способствовало более близкому знакомству с языком и обычаями. Проведенные студентами интервью будут использованы в научных работах. подписчики в России, Южной Америке, Канаде. Журнал выходит дважды в год, следующий номер запланирован на июнь. Одной из важнейших его тем станет проводимая в Парагвае Международная конференция СМИ на Plautdietsch. О чем пойдет речь на конференции? О выходящих в Латинской Америке, Канаде и Германии радиопрограммах на Plautdietsch, а также о стандартизации орфографии. До сих пор каждый пишет, как хочет, поскольку школ, где учили бы Plautdietsch, нет (в школах учат стандартный немецкий, Hochdeutsch). Читателям приходится каждый раз приспосабливаться к новому написанию. В Парагвае пройдет встреча 15 важных людей из 5 стран, пишущих на Plautdietsch. Это переводчики Библии, составители словарей, исследователи языка, писатели, учителя. Они обсудят, возможно ли свести разные способы написания слов воедино. Осенью во время форума российских немцев, проходившего в Омске, вы побывали в деревне Солнцевка Исилькульского района, где проживает община меннонитов. Каковы ваши впечатления? Я был очень рад, что в Омской области еще есть семьи, в которых говорят на Plautdietsch, даже дети. Это, кстати, хорошее условие для того, чтобы у стандартного немецкого в Сибири было будущее. Опыт других стран, таких, как Канада, показывает, что везде, где дома прекращают говорить на нижненемецком, стандартный немецкий тоже страдает. Поэтому надо поддерживать родителей, которые с детьми говорят на Plautdietsch Журнал на Plautdietsch выходит дважды в год или Wolgadeutsch. Надо, чтобы они говорили на родном языке в детских садах и школах. Нет никакой опасности, что они из-за этого будут хуже учить стандартный немецкий. Дети легко учат несколько языков, и мы должны это использовать. Есть ли будущее у Plautdietsch? Есть. В Латинской Америке, где большие колонии меннонитов, через сто лет точно еще будут говорить на нем. Вопрос: сможем ли мы остановить вымирание языка в Германии? Здесь нет компактного проживания меннонитов, которое наблюдается в Латинской Америке и когда-то было в России. Поэтому в быту уже не говорят на Plautdietsch. И родители с детьми не говорят на нем. Одна из наших задач – воздействовать на родителей и тех, кто отвечает за образование. Если Plautdietsch будут изучать в школе, тогда и в семьях не перестанут на нем говорить. Беседовала Юлия Ларина Век живет, век учится «Вытянуть себя из трясины» О 93-летнем участнике языковых курсов Из личного архива Частая причина, по которой люди не учат языки, – возраст. «Поздно мне уже, – говорят, – раньше надо было заниматься». Опровергнуть этот тезис может Генрих Гирштейн из Хабаровска, 1922 года рождения, посещающий курсы немецкого языка. Юлия Ларина В Германии существует программа «Учиться всю жизнь» (Lebenslanges Lernen). На лекциях в немецких университетах первые ряды часто заняты седовласыми слушателями, решившими на пенсии получить новые знания. В России пожилые учащиеся – скорее исключение. Случай Генриха Гирштейна – это исключение из исключений. Генрих Генрихович посещает курсы немецкого языка, которые проводит Хабаровский краевой центр немецкой культуры «КОРН» при финансовой поддержке МВД Германии. «Он всегда приходит за полчаса до занятий, редко пропускает их, – говорит его сокурсница Евгения Кнаус, руководитель молодежного центра «КОРН», у которой с Гиршейном разница в возрасте – более 60 лет. – Он очень прилежный ученик, мы стараемся быть на него похожими. Для нас он как талисман группы». В детстве Гирштейн говорил на немецком, своем родном языке, но потом забыл его. На вопрос: «Почему вы прежде не пытались восстановить язык?» – он вздыхает и начинает рассказывать свою жизнь. Довольно быстро становится ясно, что ему было не до языков. Генрих Гирштейн родился в селе Куккус (сейчас Приволжское Саратовской области). В немецкой колонии на Волге обосновался его предок, Вильгельм Гирштейн, откликнувшийся на Манифест Екатерины II и прибывший в 1766 году из Германии в Россию. Родители Генриха Генриховича занимались сельским хозяйством. В коллективизацию, после того как скот конфисковали, а его владельцев заставили вступать в колхоз, родители тайно (разрешения не давали) Центр «КОРН» Генрих Гирштейн на одном из мероприятий центра «КОРН» V НЕМЦЫ РОССИИ переехали с четырьмя детьми в Сталинград, где строился тракторный завод и требовались рабочие. В августе 1937-го, когда жизнь там немного начала налаживаться, отца арестовали. При обыске в доме изъяли семь книг на немецком языке – в том числе Библию и молитвенники. Долгие годы об отце ничего не было известно – до тех пор, пока Генриху Генриховичу не удалось ознакомиться с его делом. В том же августе 1937-го, после 11 дней следствия и рассмотрения дела тройкой, отца расстреляли. Он реабилитирован посмертно. Мать Генриха Генриховича как члена семьи врага народа нигде не брали на работу. Кое-как она смогла найти место мойщи- Генрих Гирштейн (справа в верхнем ряду) в Глазове с немцами-спецпоселенцами мили, и мы приехали крайне истощенными». Началась работа в трудармии, которую позже оценило государство: Гирштейн награжден медалью «За доблестный труд в Великой Отечественной войне 1941–1945 гг.». В трудармию были мобилизованы и его брат, и его сестра, умершая в 1944-м. Генрих Генрихович строил Челябинский металлургический комбинат. За время пребывания в трудармии он освоил множество строительных профессий – землекоп, бетонщик, плотник, монтажник сантехоборудова- При обыске в доме Гирштейнов изъяли семь книг на немецком языке – в том числе Библию и молитвенники цы аптечной посуды. 16-летнему Генриху в 1938-м пришлось перейти из обычной в вечернюю школу – он устроился работать на мясокомбинат, чтобы помочь семье. Новое несчастье случилось в августе 1941-го: Гирштейнов вместе с другими немцами выслали из Сталинграда в ВосточноКазахстанскую область. Там они работали в колхозе, но недолго. «В январе 1942-го всех мужчин немецкой национальности в возрасте от 17 до 50 лет райвоенкомат мобилизовал, как нам сказали, в действующую армию, на фронт», – рассказывает Генрих Генрихович. 10 дней в тридцатиградусный мороз они преодолевали 300 километров до станции. Там ждали еще столько же, пока был сформирован эшелон. Когда погрузили в теплушки и закрыли на запоры двери, они поняли, что везут их не на фронт. Через две недели их выгрузили на окраине Челябинска. «Это была огромная территория, обнесенная колючей проволокой с дозорными вышками по периметру, – говорит Гирштейн. – Там было разбито несколько больших армейских палаток, куда нас и поселили. За время пути нас ни разу не кор- ния… Он участвовал в строительстве атомных промышленных объектов в Челябинске-40 (Озерск), в Глазове. Потом его направили в Кирово-Чепецк. Гирштейн тогда уже освоил экономические профессии и работал в плановом, сметно-договорном отделах монтажного управления, входившего в трест «Энергоспецмонтаж», – до 1990 года, до выхода на пенсию. Он всю жизнь осваивал новые профессии и получал новые знания. Порой вынужденно – за колючей проволокой. Сейчас в Хабаровске, куда он переехал к сыну, внукам и правнукам, изучает немецкий из интереса. Что-то вспоминает из детства, а что-то переучивает: «Я ведь разговаривал на диалекте, на котором говорили в Германии в XVIII веке». Генрих Генрихович не собирается уезжать в Германию – был там один раз в гостях, вернулся и сказал: «Это не для меня. Моя родина – Россия». На вопрос, есть ли ему с кем общаться на немецком, Гирштейн отвечает: «Я еженедельно посещаю парную. Туда ходит один любитель, который изучает язык самостоятельно. Мы с ним разговариваем на немецком». Как сохранить родной немецкий В конце марта в Москве состоится IV научно-практическая конференция «Немцы России: стратегии развития языковой работы. 5 лет ответственности», на которой речь пойдет о необходимости персонального и коллективного вклада в сохранение немецкого языка как родного. Обречен ли язык российских немцев, а вместе с ним и они сами как этническое сообщество в России? Десятилетиями немцы, раздавленные репрессиями и обездоленные, боялись говорить на родном языке. Когда страх прошел, оказалось, что для сотен тысяч он перестал быть родным. Люди оправдывали незнание языка общей трагической судьбой. У наших дедов, переживших депортацию, репрессии, трудармию и спецпоселение, было право сетовать на судьбу и обстоятельства. Но как раз они делали это меньше всего! А вот у тех, кто помоложе, возникло убеждение, что российским немцам все должны. И все должны их спасать. И язык наш тоже должен кто-то спасать, но только никто этого не делает, поскольку и государство, и директора школ помешаны на английском. Как в таких условиях можно выучить немецкий? Наши великие соотечественники Святослав Рихтер и Борис Раушенбах прекрасно говорили на немецком языке. Раушенбах вспоминал: «Немецкий язык я выучил понастоящему в ГУЛАГе при помощи своего друга, доктора Берлинского университета, истинного берлинца. Мы с ним договорились: раз нас посадили как немцев, давай говорить только по-немецки. Четыре года мы, общаясь, не произнесли ни слова по-русски, и я научился хорошему немецкому языку – до этого у меня был „домашний” – и этим знанием „обязан” лагерю...» Так, говорите, директор школы виноват, что ваш ребенок не знает немецкого? Пять лет назад правительство ФРГ передало общественной самоорганизации российских немцев рычаги управления программой поддержки немецкого меньшинства в России и ее финансирование. А это ежегодно 8 млн. евро, которые правительство выделяет почти два десятилетия в рамках своих обязательств по преодолению последствий Второй мировой войны. Вместе с рычагами передали и ответственность. Языковая реформа стала первым делом, за которое мы взялись. Написали концепцию, разработали программы и в итоге добились в этой сфере самых больших в нашей деятельности успехов. Но и самые большие дефициты – тоже здесь. С одной стороны, понимая, что начинать языковую работу надо с малышей и их родителей, мы открыли более 120 групп дошкольного обучения немецкому в шести регионах России и создали пока единственный в стране учебно-методический комплект для изучения языка в детских садах Deutsch mit Schrumdi. С другой – мы столкнулись с катастрофической нехваткой персонала для работы в таких группах. С одной стороны, для популяризации немецкого в нашей стране мы предлагаем все больше мотивационных механизмов (назову лишь один из них – всероссийский конкурс «Друзья немецкого языка», в котором ежегодно участвуют несколько тысяч человек). Но, с другой стороны, мест, где мотивированные нами к изучению языка могут это изучение продолжить, становится все меньше. Законодательная база, позволяющая учить в школе немецкий как родной, есть, однако приме- Создано более 120 групп дошкольного обучения немецкому нить ее на практике в субъектах федерации сложно. Каждые два года мы собираем преподавателей немецкого языка, работающих в системе этнокультурного образования российских немцев, на научно-практические конференции и обсуждаем наши подвиги, персональные и коллективные, которые мы ежедневно совершаем. Подобно барону Мюнхгаузену, в какой-то мере российскому немцу, мы пытаемся вытянуть себя за волосы из трясины. Язык – живой: он поддается лечению, обновляется, расцветает. Тысячи немецких слов обогатили русский язык. Много русских слов позаимствовали и немцы, решившие когда-то стать подданными России. Пока живы говорящие на этом языке – российским немцам быть! Ольга Мартенс, первый заместитель председателя Международного союза немецкой культуры МСНК МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 VI И С Т О Р И Я И К У Л ЬТ У РА Похоронный процесс МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 Разрушенный Берлин в 1945 году, после окончания войны В издательстве «Новое литературное обозрение» выходит книга американского историка Моники Блэк «Смерть в Берлине: от Веймарской республики до разделенной Германии». Главное место в исследовании занимает тема смерти в годы Второй мировой войны. «МНГ» публикует отрывок из книги. Когда сражения стихли, людские потери все равно росли – из-за болезней (включая тиф, дифтерию и дизентерию), голода и самоубийств, – и этих покойников тоже нужно было хоронить. Если в Берлине 1937–1939 гг. уровень смертности составлял 13,5 человека на 1000 населения, то во второй половине 1945 г. этот показатель достигал 53,5 на 1000. Наплыв беженцев – в летние месяцы в Берлин ежедневно прибывало не менее 15 000 человек – поднял уровень смертности еще выше... Столкнувшись с этим бедствием, а также с серьезной угрозой для общественного здравоохранения, командование Красной армии, которая продвигалась по Берлину, беря район за районом, приказало хоронить собранные трупы. После военного поражения вермахта это была одна из первых попыток продемонстрировать новое – советское – господство: вернуть в организованное русло берлинскую «санитарную инфраструктуру», прежде всего заняться погребением мерК Н И Г А Артем Нойер «Смерть в Берлине: от Веймарской республики до разделенной Германии» Моники Блэк посвящена связанным со смертью представлениям и практикам. Цель книги – рассказать альтернативную историю Берлина, на которую оказали влияние столкновения его жителей со смертью, ее переживание и осмысление. твых. Хотя у этой задачи, несомненно, были практические и санитарные аспекты, она имела также символический характер: таким образом закреплялась радикальная смена власти в бывшем «логове фашистского зверя». Каждые приказ, жест, знак и постановление советской власти, адресованные населению Берлина, являли собой новые условия политической жизни – разными способами, но с одной целью: показать, что оккупанты – оккупированы, покоритель – покорен. Даже время теперь устанавливала Москва, что означало: в «новом Берлине» солнце всходит и заходит по правилам советской власти. Контроль над размещением мертвых – это сильный жест власти в любом контексте. Но в Берлине – после проигранной войны, в обществе, где в предшествующие двенадцать лет правильное погребение выступало замаскированной демонстрацией расового превосходства, – этот жест был особенно нагружен значением и символизировал радикальную смену власти в городе. Лишь несколькими месяцами ранее Гитлер лично запретил погребение членов расового сообщества в общих могилах; и вот теперь тысячи предавались вечности en masse [франц. все вместе], в песчаных карьерах, почти всегда анонимно и всегда без какой-либо церемонии. Более того, поиск, перевозку и захоронение умерших – то, что прежде делали расовые изгои, – теперь осуществляли немцы, задействованные Советами; некоторых использовали как Leichenkutscher (водителей труповозок), чья работа состояла в доставке тел на кладбища и поиске мест для их захоронения. Это была настоящая превратность судьбы. В Третьем рейхе традиционное погребение мертвых служило символическим инструментом для установления различий, одновременно расовых, культурных и моральных; теперь же первые в самом деле стали последними. Похороны мертвых в 1945 г. имели и другие символические значения. Любопытная черта многих берлинских мемуаров и иных документов послевоенного времени: в одних утверждается, что немцам было запрещено прикасаться к советским мертвецам, тогда как в других говорится о принуждении к их погребению. В ряде случаев берлинцы вспоминали, что их заставляли закапывать советские могилы, но не разрешали опускать погибших красноармейцев в могилу. А некоторые мемуаристы утверждали, что советские солдаты категорически отказывались прикасаться к погибшим немцам. Вполне вероятно, что каждое из этих противоречивых сообщений правдиво: ведь в сумятице конца войны командиры Красной армии в разных частях города могли применять разные методы ликвидации тел... Захоронение мертвых не только демонстрировало власть победителей и восстанавливало санитарные нормы; оно также имело моральную составляющую и служило инструментом перевоспитания. Вальтер Зейтц, врач в госпитале Шарите, был свидетелем того, как Хильде Беньямин (будущий министр юстиции Восточной Германии) следила за эксгумацией на территории школы Маркуса в Штеглице. В последние дни войны «группа людей была застрелена [нацистами] и похоронена в РИА Новости В Москве издана книга о берлинской «культуре смерти» Рудольф Дизинг, владелец частного похоронного бюро и продавец гробов, воспринимал советскую власть как шанс вернуть жизнь (и смерть) в Берлине на ее донацистские моральные основания. Столкнувшись с острой нехваткой жилья, недостатком продовольствия и продолжающимися последствиями массовой смерти, советские власти и их немецкие союзники-коммунисты быстро организовали для В Третьем рейхе традиционное погребение мертвых служило символическим инструментом для установления различий неглубокой могиле. <...> Бывший нацист должен был выкопать трупы. Был конец мая, и стояла жара. <...> Многих нацистов стало тошнить от запаха трупов. “Красная Хильде” закричала на них: “Вы их закопали – сможете и выкопать!”». Избавление от мертвых могло быть формой наказания за политические (и иные) прегрешения... Беньямин была не единственная, кто связывал погребение мертвых с установлением нового морального порядка в Берлине. Берлина новое правительство, или Magistrat, подчинявшееся напрямую советским военным властям. Дизинг, назначенный профессиональным экспертом – советником магистрата по вопросам захоронения, провел реорганизацию Центрального похоронного ведомства – существовавшего в конце войны института, ответственного за похороны в городе, которое продолжало действовать еще несколько месяцев, пока владельцы частных похоронных бюро изо всех сил старались стать на ноги. С точки зрения Дизинга, нехватка ресурсов и другие проблемы с погребением, вставшие перед берлинцами, – отсутствие гробов и дерева для их изготовления, разрушенные кладбища, поврежденные крематории, нехватка транспорта и мест для захоронения покойных, количество которых продолжало расти, – имели и моральный аспект. Эти проблемы возникли в результате нацистской политики, немаловажной частью которой была защита Берлина, названная Дизингом «безумнейшим из безумий». Возвращение практикам погребения «благочестия» по необходимости повлечет за собой изгнание из сферы похоронного дела нацистов, или, как он выражался, Nazioten [нем. «нациотов»] (соединив в этом эпитете слова «нацисты» и «идиоты»)… …Когда в июле союзники дошли до Берлина, самые насущные и острые проблемы погребения (хотя бы временного) в значительной мере были решены. Союзники, каждый в своей зоне, продолжили начатую советской властью работу по наведению порядка на кладбищах и в парках. Конвертируемый талант Больше 2 млн. человек в нашей стране смогут вспомнить Святослава Рихтера, взяв в руки конверт или монету с его изображением. В середине марта в Министерстве культуры России состоялась церемония гашения конверта, посвященная 100-летию со дня рождения выдающегося пианиста. Ее организовали Международный союз немецкой культуры, Федеральное агентство связи (Россвязь) и Министерст- во культуры. На конверте Рихтер изображен за роялем, а на марке виден его портрет ет и фрагмент нотной запи-си Прелюдии №1 из «Хорошо темперированного клавира» Баха. Напечатано 2 млн. таких конвертов. Их можно купить в почтовых отделениях по всей России. А в начале февраля Центральный банк РФ (Банк России) выпустил в обращение памятную серебряную монету серии «Выдающиеся личности Вы России» номиналом 2 Р рубля, тоже приуроченную к 100-летию со дня рождения Рихтера. На ней – рельефное изображение пианиста и контурное – фрагмента рояля. По сообщению пресс-службы Банка России, тираж монеты – 3 тысячи штук. юл V II НЕМЕЦКИЙ ЯЗЫК МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 Schrumdi will den Osterhasen sehen Von Swetlana Gaus Es ist Frühling. Jeden Tag wird es immer wärmer. Die Sonne scheint heller, die Vögel singen jeden Tag lauter. Bald ist Ostern. Schrumdi wartet mit Ungeduld auf das Osterfest. – Zu Ostern kommt der Osterhase und er legt mir viele bunte Ostereier in mein Osternest: rote, gelbe, blaue. Und dazu auch noch Süßigkeiten. Schrumdi freut sich auf das Osterfest und auf die Geschenke. Aber er ist etwas traurig. – Ich habe noch nie den Osterhasen gesehen, denkt Schrumdi. – Wie sieht er aus? Wie ein gewöhnlicher Hase? Hat er lange Ohren? Ist er grau oder bunt wie die Ostereier? Und wie kann er so viele Ostereier tragen? Schrumdi denkt sehr viel nach. Plötzlich hat er eine Idee! – Zu Ostern werde ich nicht schlafen. Ich ziehe einen warmen Pelz an und setze mich an die Tür. So verpasse ich den Osterhasen nicht. Er ist mit seiner Idee zufrieden. Mit jedem kommenden Tag wird Schrumdi ungeduldiger. Er freut sich auf Ostern, aber noch mehr freut er sich auf das Treffen mit dem Osterhasen. Endlich ist es soweit. Am Abend zieht Schrumdi einen warmen Pelz an und setzt sich an die Tür. Draußen ist es schon dunkel. Alle Kinder schlafen schon, nur Schrumdi schläft nicht. Er wartet auf den Osterhasen. Schrumdis Augen fallen langsam zu und er schläft ein… Am Morgen wacht Schrumdi auf. – Oh, je, ich habe den Osterhasen verpasst, schreit Schrumdi laut. Vor I N F O Liebe Kinder! Ich mag Briefe. Vor kurzem habe ich einen Brief von Marina Wesdenjowa aus der Stadt Berjosowskij im Ural bekommen. Marina lernt in der 6. Klasse. Deutsch ist ihr Lieblingsfach. Sie kann meine Geschichten lesen und Aufgaben machen. Das ist toll! Jetzt könnt ihr meine neue Geschichte lesen und euch auf Ostern vorbereiten. Bald kommt der Osterhase! ihm steht ein Osternest mit vielen bunten Eiern. – Danke, lieber Osterhase! Aber ich habe dich wieder nicht gesehen. Plötzlich sieht Schrumdi in den Spiegel, der an der Wand hängt. Da muss er aber lachen! Seine Wangen sind rot, gelb, braun und die Nase ist blau, genau wie die Ostereier im Nest. – Das ist aber lustig! Der Osterhase hat mich bemalt! Ich habe ihn nicht gesehen, aber er hat mich gesehen! Schrumdi nimmt sein Osternest und läuft ins Zimmer. Euer Schrumdi 1. Was liegt im Osternest? 2. Quiz Umkreise die Geschenke vom Osterhasen. Male diese Gegenstände ins Nest. Wähle das passende Wort und schreibe den Buchstaben in den Kasten. Dann bekommst du ein Lösungswort. 1. Wann ist Ostern? C. im Winter F. im Sommer N. im Frühling 2. Wer kommt zu Ostern? D. der Nikolaus E. der Osterhase G. Schrumdi … liegt im Osternest. … liegt im Osternest nicht. 3. Was bringt der Osterhase nicht? I. Ostereier K. Schokolade S. Bücher 4. Wie sind die Ostereier? A. schwarz T. bunt B. weiß Lisa Machlina Das Lösungswort: Wo liegen die Ostereier? 1. 2. 3. 4. 3. Farbensuchen РЕКЛАМА Suche die Farben im Buchstabenkasten. VIII НЕМЕЦКИЙ ЯЗЫК Sowohl in der römisch-katholischen als auch in der orthodoxen Kirche beginnt 40 Tage vor Ostern die Fastenzeit, in der die Menschen auf viele reichhaltige Lebensmittel verzichten. Aber warum gibt es diese Fastenzeit überhaupt? Von Kristina Großehabig Kinder dürfen nicht fasten, weil sie sich im Wachstum befinden. Aber sie können z.B. Schokolade gegen Obst und Gemüse tauschen. und durch die mehr Menschen zum Fasten im Sinne von Verzicht auf bestimmte Gewohnheiten aufgefordert werden sollen. In diesem Jahr steht die Aktion unter dem Motto „Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“. Es geht dabei in erster Linie darum, die eigenen Wertvorstellungen zu überdenken: Abweichungen von der Traumfigur am eigenen Körper akzeptieren, den Gesang der Nachbarin unter der Dusche dulden oder dem Kollegen ein Lächeln mehr schenken. Auch in Russland wird vor Beginn der Fastenzeit ein letztes Mal ausgiebig gefeiert und gegessen. Hier feiert man die Masleniza, die Butterwoche. Danach beginnt das Große Fasten, das in diesem Jahr bis einschließlich Samstag, den 11. April, dauern wird. In dieser Zeit sollen die Menschen vor allem auf tierische Produkte wie Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier verzichten. Auch in der orthodoxen Kirche soll das Fasten eine Reinigung des Körpers und der Seele bewirken. 1. Fülle die Lücken aus. a) Vor Beginn der Fastenzeit feiert man in Deutschland ________. b) Dabei verkleiden sich die Menschen und dürfen vor allem ausgiebig __________. c) Während des Karnevals gibt es sehr viele leckere und vor allem süße _______, wie zum Beispiel Krapfen. d) Am letzten Tag des Karnevals, dem ______________, beginnt die Fastenzeit. e) Fortan verzichten viele Christen 40 Tage lang auf den _______ bestimmter Lebensmittel. f) Im ___________ waren das z.B. Milchprodukte, Eier, Fleisch oder Alkohol. g) Heute entscheiden viele Menschen selbst, was sie in den nächsten _______ nicht mehr essen bzw. nicht mehr tun werden. 2. Was passt nicht in die Reihe? a) Karneval – Krapfen – Internet b) Aschermittwoch – Alkohol – Fastenzeit c) Lebensmittel – Kirche – Hungertuch d) römisch-katholisch – Ostern – 12. April e) Russland – Fastenaktion – 1983 f) Fasten – 4. April – orthodox Lesehilfe die Fastenzeit – пост; время поста reichhaltig – богатый; скоромный die Fastnacht – заговенье; канун поста ausgiebig – обильно; щедро schlemmen – пировать; чревоугодничать der Krapfen – пончики с повидлом der Aschermittwoch – пепельная среда der Verzehr – потребление entsagen – отрекаться; отказываться in sich kehren – уйти в себя; задуматься Buße tun – каяться; приносить покаяние die Gewohnheit – привычка die Wertvorstellung – представление о ценностях überdenken – переосмыслить Lösungen РЕКЛАМА Vor Beginn der Fastenzeit feiert man in Deutschland und vielen anderen Ländern Karneval bzw. Fastnacht. An diesem mehrtägigen Fest verkleiden sich die Menschen, tragen verschiedene Kostüme und dürfen vor allem ausgiebig schlemmen. Während des Karnevals gibt es sehr viele leckere und vor allem süße Speisen, wie zum Beispiel Krapfen. Am letzten Tag des Karnevals, dem Aschermittwoch, beginnt die Fastenzeit. Fortan verzichten viele gläubige Christen 40 Tage lang auf den Verzehr bestimmter Lebensmittel und Getränke. Im Mittelalter waren das z.B. Milchprodukte, Eier, Fleisch oder Alkohol. Heute entscheiden viele Menschen selbst, was sie in den nächsten Wochen nicht mehr essen bzw. nicht mehr tun werden. Denn heutzutage gibt es viele, die nicht nur auf bestimmte Produkte verzichten möchten, sondern z.B. auch auf Internet oder soziale Netzwerke. Das Fasten hat eine lange Tradition in der Kirche. Bereits seit dem 2. Jahrhundert fasten Menschen. Der Grund: In der Bibel ist überliefert, dass Jesus sich 40 Tage lang in einer Wüste aufhielt, fastete und in dieser Zeit jeglicher Versuchung durch den Teufel entsagte. Heute sollen die Menschen durch das Fasten in sich kehren, sich ihrer Sünden bewusst werden und Buße tun. Zudem sollen sie durch den Verzicht auf bestimmte Lebensmittel ein Solidaritätsgefühl gegenüber den Ländern der Dritten Welt entwickeln. Üblich ist es in der Fastenzeit auch, in den Kirchen den Altarraum mit einem sogenannten Hungertuch zu verhängen, sodass die Gläubigen den Gottesdienst nur hörend verfolgen können. In der römisch-katholischen Kirche dauert die Fastenzeit bis zum Samstag vor Ostern, d.h. in diesem Jahr bis zum 4. April. In der evangelischen Kirche wird das Fasten nicht so streng gesehen. Eine Besonderheit ist hier die Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“, die 1983 ins Leben gerufen wurde www.foto-fine-art.de / pixelio.de In der Fastenzeit gilt es, die Seele und den Körper zu reinigen Aufgaben 1. a) Karneval; b) schlemmen; c) Speisen; d) Aschermittwoch; e) Verzehr; f) Mittelalter; g) Wochen 2. a) Internet; b) Alkohol; c) Lebensmittel; d) 12. April; e) Russland; f) 4. April Sieben Wochen zum Nachdenken МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА № 6 (397) МАРТ 2015 Московская немецкая газета, №397 от 25 марта 2015 г., № заказа 1428-2015. Свидетельство ПИ-№77-11595 от 14 января 2002 г. Тираж 25 000 экз. Учредитель: Ольга Мартенс, Генрих Мартенс. Издатель: АО «МаВи групп». Главный редактор: Боян Крстулович. Адрес редакции: 119435, Москва, ул. Малая Пироговская, д. 5, оф. 54, e-mail: [email protected], тел.: +7 (495) 531 68 87. Газета в розницу не распространяется. Мнение авторов может не совпадать с позицией редакции. Отпечатано в АО «Красная Звезда», 123007, Москва, Хорошевское ш., 38. 09 F O T O R E P O R TA G E Sergej Larionow (7) MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Aus dem Leben gegriffen Fotos einer nordrussischen Kleinstadt werden zu Internethits Sosnogorsk ist Provinz, wie man sie in Russland überall findet. Ein Städtchen mit knapp 30 000 Einwohnern, von ausgedehnten Wäldern umgeben an einer Bahnlinie von Moskau in den Nordural gelegen, keine 60 Jahre alt und von Wohnblocks sowjetischer Bauart geprägt. Die wichtigsten Arbeitgeber sind ein Gasverarbeitungsbetrieb und die Eisenbahn. Schulabgänger träumen von einem Studium in St. Petersburg oder Moskau. Und wer einmal fortgezogen ist, kommt häufig nicht zurück. An Sehenswürdigkeiten hat der Ort allenfalls seine malerische Holzkirche zu bieten und vielleicht noch die Dampflok auf dem „Platz der Eisenbahner“, aber das wäre dann schon Geschmackssache. Die Stadt ist alles, nur nichts Besonderes. Also fotografiert Sergej Larionow auch nichts Besonderes: Plattenbauten, Spielplätze, Bänke in der Abendstimmung, einen Fußweg im Gegenlicht. Er wolle „das Unauffällige auffällig machen“, lässt der Lokalfotograf seine Frau ausrichten, über die er seit einem Schlaganfall 2009 mit der Außenwelt kommuniziert. Beim Schreiben verwechselt er die Silben, das Sprechen fällt ihm ohnehin schwer. Beim Laufen benutzt er einen Gehstock. Den Blick für seine Heimatstadt hat das vielleicht noch geschärft. Der 42-Jährige zeigt sie nicht als Idylle, aber als lebenswertes Umfeld und trifft damit offenbar den Nerv vieler Einwohner, die ein Bedürfnis danach haben, sich wohl zu fühlen in ihrer kleinen Welt. Von Larionow lassen sie sich nur zu gern die Augen öffnen. Wenn er die Aufnahmen ins Sozialnetzwerk VKontakte stellt, werden sie oft hunderte Male gelikt. Das bestärkt dann wiederum den Fotografen darin, in Sosnogorsk richtig zu sein: „Ich liebe die Stadt und will hier nicht weg.“ Tino Künzel 1 2 1 Nässe und Dreck in einem Hinterhof. Aber Fotograf Sergej Larionow schimpft nicht über diesen Schandfleck, er beschriftet das Bild „Kapitäne“. 2 Workout an einer Reckstange. 3 4 Bänke, Laternen, frischer Schnee: Dieses Stillleben heimste auf Larionows Seite bei VKontakte bis heute 408 Likes ein. 5 4 6 3 Trotz Supermärkten ist der Handel im Freien immer noch sehr beliebt. 7 5 Eisstern beim Schneefigurenfestival. 6 Ist das schön? Wohl kaum. Lässt es sich hier leben? Mit Sicherheit. 7 Orthodoxe Prozession vor Ostern. ZEITGESCHEHEN 70 JAHRE ENDE DES 2. WELTKRIEGS Anfang 2014 wurde groß dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedacht, in den Europas Staaten wie „Schlafwandler“ – so der Titel eines gern erwähnten Buches dazu – mehr oder weniger gestolpert seien. Während man sich versicherte, dass so etwas nicht wieder geschehen dürfe, entbrannte der Konflikt um die Ukraine – wie zum Spott auf die vermeintlichen Lehren, die Europa aus der Geschichte gezogen haben soll. Dieses Jahr folgt das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. Doch seit Monaten sorgt das Jubiläum selbst für Streit zwischen den Europäern: Russland will sich als Befreier gewürdigt sehen, doch die Befreiten, vor allem Russlands westliche Nachbarn, möchten nicht so richtig mitfeiern. Doch nicht nur mit den baltischen Staaten und Polen gibt es den schon traditionellen Streit: Für kurze Zeit glaubten viele Russen ernsthaft, dass auch die Deutschen, 1945 von ihnen besiegt und befreit in einem, eine Revision der Geschichte vorantrieben. Das war, als der ukrainische Ministerpräsident in der ARD behaupten durfte, die Rote Armee hätte damals die Ukraine und Deutschland überfallen. Aus dem Osterschreiben 1945 von Erzbischof Irinarch, von 1941 bis 1952 das Haupt der Altgläubigen RussischOrthodoxen Kirche. Christus ist Auferstanden! … Dieses Ostern ist ein besonderes Ostern, ein Osterfest, reich an Freuden und Größe. Wir sind Zeugen beispielloser Ereignisse! ... Über drei Jahre hat unser Feind, ein Diener des Teufels und schamloser Betrüger, unbarmherzig unser Land gequält und das Blut unserer Brüder und Schwestern vergossen. Mehr als fünf Jahre quälte er die Menschen Europas und anderer Länder und vergoss ihr Blut. Und jetzt, zu Ostern, hilft Gott unserer Armee, seinen Untergang zu vollenden. Höchst seltsam ist es, dass die Lateiner, Vertreter der katholischen Kirche und des Vatikans, zur Versöhnung mit den Faschisten aufrufen, zur Verzeihung Hitlers, also zum Frieden mit den Dienern des Teufels ... Es darf keinen Frieden geben mit listigen Betrügern wie Hitler und seinen faschistischen Handlangern. Auch wenn sie darniederliegen, können sie einen noch blutrünstigeren Krieg losbrechen. Das verbirgt sich hinter einem Frieden mit den Faschisten. Inzwischen hat sich das Fieber wieder gelegt, sogar die Absage von Kanzlerin Merkel an die Siegesparade in Moskau hat in Russland nicht so wirklich für Empörung sorgen wollen. Zumindest zwischen Deutschland und Russland scheint es keinen Streit über den größten Krieg der Weltgeschichte zu geben, den beide Nationen gegeneinander gekämpft haben. Oder täuscht dieser Eindruck etwa? Darüber, und inwiefern der Zweite Weltkrieg eine besondere Beziehung zwischen beiden Ländern in der Gegenwart und Zukunft begründet, diskutieren Matthias Platzeck, Ex-Ministerpräsident von Brandenburg und Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, Nikolaus Katzer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts Moskau, Nikolaj Pawlow, Deutschland-Experte an der Diplomatenhochschule MGIMO und Tatjana Timofeewa von der historischen Fakultät der Lomonossow-Universität. bk 10. April, 19 Uhr Deutsch-Russisches Haus Malaja Pirogowskaja 5 Frunsenskaja Anmeldung erforderlich unter www.mdz-moskau.eu CH EFRE DER B K I N O R IUNG So soll denn unsere tapfere Rote Armee den Willen Gottes ausführen; sei sie Fürsprecherin des Guten und Siegerin über das Böse. Unter der weisen Führung des großen Wojewoda (slawischer Heeresführer, Anmerkung der Redaktion) des russischen Landes Josef Wissarionowitsch Stalin hat sie die unlauteren Deutschen zerschlagen, die sich an unseren Heiligtümern vergangen und unsere Frauen und Kinder getötet haben. In diesen österlichen Tagen gratulieren wir, die Altgläubigen, unserer tapferen Armee und unserem Führer, Marschall Stalin, zu den großen Siegen und zum Ruhm, den sie der russischen Erde gebracht haben. Irinarch war von 1932 bis 1940 in Lagerhaft. Hier lobt er, unter dem Eindruck des bevorstehenden Sieges, Stalin. Der Patriarch der weit größeren Russisch-Orthodoxen Kirche Alexij erwähnt ihn in seinem Schreiben hingegen nicht. 1945 fiel das orthodoxe Ostern auf den 6. Mai. Dieses Jahr wird es am 12. April gefeiert. Von Vorschule bis Sauna Wie ganz Jung und ganz Alt in Russland Deutsch lernen Eigentlich wollen alle, dass in Russland wieder mehr Deutsch gelernt wird: die Offiziellen beider Länder und natürlich auch die deutsche Volksgruppe. Doch was kann man dafür tun? Die MDZ hat sich in einem ModellKindergarten umgesehen und mit dem wohl ältesten DeutschkursTeilnehmer Russlands gesprochen. Tino Künzel Moskauer Gespräch zu uns und dem Weltkrieg MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Von Tino Künzel und Julia Larina Draußen ist es Frühling geworden. Drinnen wissen Mädchen in bunten Kleidchen und Jungs in kurzen Hosen, was das heißt: Der Himmel ist blau, die Bäume werden grün, Mützen und Schals können zu Hause bleiben, bald ist auch wieder Zeit zum Radfahren. Fast alles an diesem Satz können die Vorschulkinder aus Syktywkar in der nordrussischen Komi-Republik schon sagen, und zwar genau so, wie es hier geschrieben steht: auf Deutsch. Zweimal pro Woche übt Deutschlehrerin Jewgenija Gorwat seit Beginn des neuen Schuljahres mit ihnen. Heute werden Jahreszeiten, Farben, Kleidungsstücke und Sportarten wiederholt. Die Kleinen sitzen oder liegen auf einem großen Teppich in ihrem Kindergarten Nummer 107, wo der Deutschunterricht als Zusatzleistung zum regulären Programm gehört und für die Eltern kostenlos ist. Es wird nicht nur gesprochen, sondern auch gesungen, gemalt, gebastelt und gespielt. Die Initiative für die Frühförderung ging von der National-Kulturellen Autonomie (NKA) der Russlanddeutschen in der KomiRepublik aus. Finanziert wird der Unterricht mit Fördergeldern. Ein Teil davon floss auch in einen neuen Kurs an der örtlichen Pädagogischen Fachschule, wo seitdem Deutschlehrer speziell für Vorschulgruppen ausgebildet werden. So etwas gab es bisher nicht. Im Kindergarten 107 lernen 60 von 400 Kindern Deutsch – die ältesten Gruppen. Jewgenija Gorwat wundert sich immer wieder über ihre Auffassungsgabe: „Die wissen schon ziemlich viel, das ist gar kein Vergleich zu unserer Generation.“ Als Gorwat die Sechs- und Siebenjährigen einmal fragte, wo eigentlich überall Deutsch gesprochen wird, nannten einige Österreich und die Schweiz. Der Kindergarten liegt im selben Stadtbezirk wie die 21. Schule mit erweitertem Deutschunterricht, Mein Name ist Hase: Kindergartenkinder in Syktywkar üben die Begrüßung (oben). Auch Heinrich Girstein (rechts) fängt neu an. die 1992 von den Russlanddeutschen als „deutsche Schule“ aus der Taufe gehoben wurde. „Die Kinder aus dem Kindergarten werden einmal auf ,unsere‘ Schule gehen, das macht ihn für uns so wichtig“, sagt Oleg Strahler, langjähriger Vorsitzender der NKA und heute Leiter eines Informations- und Bildungszentrums. Dem Vorschulunterricht zu Grunde liegt das Programm „Deutsch mit Hans Hase“ des Goethe-Instituts. Deutsch wird in Syktywkar aber noch an drei weiteren Kindergärten gelehrt. Im Kindergarten 108 stammen 14 der derzeit unterrichteten Kinder aus russlanddeutschen Familien. Die Kosten trägt der Internationale Verband der deutschen Kultur in Moskau. In dieser Form engagiert er sich bereits für mehr als 120 russische Kindergärten, und das nicht nur finanziell, sondern auch durch sein eigenes Programm „Deutsch mit Schrumdi“, das gerade lizensiert wird. Bedingung: Der Anteil der deutschen Kinder in der Gruppe muss mindestens 70 Prozent betragen. Über die Sprache soll so die nationale Identität von klein auf gestärkt werden. Offiziell gehören der deutschen Minderheit in Russland heute knapp 400 000 Menschen an. In der Komi-Republik sind es 5400 – für den europäischen Teil des Landes ist das viel. Die meisten jedoch leben in Sibirien. So wie Heinrich Girstein, der mit 93 Jahren Deutschkurse am deutschen Kulturzentrum „KORN“ in Chabarowsk besucht, das vom Bundesinnenministerium unterstützt wird. Kulturzentrum KORN 10 „Als Kind habe ich einen Dialekt gesprochen, der in Deutschland im 18. Jahrhundert vorkam“, erinnert sich Girstein. In seinem langen Leben, das wie bei fast allen Russlanddeutschen vom Krieg und den Repressionen unter Stalin mitgeprägt wurde, ist ihm die intuitive Nähe zur Sprache abhandengekommen. An manches erinnert er sich, das meiste muss er neu lernen. „Muss“ ist dabei natürlich relativ. Girstein lernt aus reinem Interesse an der Sprache, wie er sagt. Nach Deutschland auszureisen, habe er nie gewollt. Die Standhaftigkeit des Rentners beeindruckt seine Mitschüler. „Er ist sehr fleißig“, sagt Jewgenija Knaus, die mit ihm an den Kursen teilnimmt und Leiterin des „KORN“-Jugendzentrums ist. „Wir anderen versuchen, so zu sein wie er. Heinrich ist der Talisman unserer Gruppe.“ So ansteckend Girsteins Enthusiasmus auch sein mag, die Sprache seiner Kindheit um ihrer selbst willen zu lernen – ein konkreter Nutzen entsteht ihm trotzdem, wie er schmunzelnd bekennt: „Ich gehe jede Woche in die Sauna, wo ich einen Mann treffe, der auf eigene Faust die Sprache lernt. Dann unterhalten wir uns auf Deutsch.“ Sprachkonferenz: Deutsch in Russland Vom 30. März bis zum 2. April kommen in Moskau Spezialisten der deutschen Sprache zu einer internationalen Konferenz zum Thema „Deutsche in Russland. Strategien in der Spracharbeit. 5 Jahre gemeinsame Verantwortung“ zusammen. In Arbeitsgruppen, Podiumsdiskussionen und Vorträgen soll über frühes Deutschlernen, Deutsch als Minderheitensprache, die Medien im Spracherweb und die Zukunft der deutschen Sprache in Russland diskutiert werden. Organisiert wird die Konferenz vom Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVDK) und dem Institut für ethnokulturelle Bildung (BIZ). Zur Eröffnung der Konferenz wird der Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, erstmals in dieser Position in Russland erwartet. Für den 31. März und den 1. April ist abends ein Kulturprogramm mit einer Film- und Theatervorführung geplant. Die Veranstaltungen finden an unterschiedlichen Orten in Moskau statt. Das Programm ist online einsehbar. Weitere Informationen unter www.rusdeutsch.eu Privat Der Pastor und Sibirien-Reisende Friedrich Wilhelm Gerber (25.06.1932 – 21.10.2014). Der Täufer von Irkutsk Erinnerungen an einen Sibirien-begeisterten deutschen Pastor Kinder von Valentina getauft. Die Russlanddeutsche ist mit einem Russlandkoreaner verheiratet. Die beiden waren in Kasachstan aufgewachsen, weil ihre Völker nach dem Überfall Deutschlands auf die UdSSR dorthin deportiert wurden. Valentinas von Gerber getaufte Tochter Veronika ist übrigens später Schönheitskönigin von Irkutsk geworden. Zu den nächsten Gottesdiensten kamen immer mehr Menschen, darunter auch die späteren Gründer der lutherischen Gemeinde in Irkutsk. Viele andere traten nicht in die Gemeinde ein, treffen sich aber nun schon über 20 Jahre lang, feiern gemeinsam Weihnachten und sind als Familien befreundet. Vier Sommer von 1996 bis 2000 brachten uns so manche Gelegenheit, durch das Irkutsker Gebiet des Sees beerdigt sein möchte, und Gerber verstand ihn gut. Ignatius wurde Anfang 2000 eines Abends von Unbekannten auf offener Straße angegriffen und hat Sibirien danach verlassen. Während Gerbers meist sechswöchiger Sibirienreisen half ich ihm nach Kräften, knüpfte die nötigen Kontakte, organisierte seine Auftritte in den Medien und bearbeitete Visums- und Alltagsfragen. So hatte ich die einmalige Möglichkeit, Tag und Nacht die Arbeit eines Geistlichen zu beobachten. Einmal fragte ich ihn, wie viele Menschen er denn in seinem Leben schon auf dem letzten Weg begleitet habe. Da antwortete er: „Wenn ich jetzt auf den Friedhof gehe und ein Lied anstimme, dann antwortet mir ein Chor aus den Stimmen der Toten.“ Die Menschen empfingen den Pastor mit Tränen in den Augen. Viele haben zum ersten Mal einen Menschen im Talar gesehen. und das Altaigebiet zu reisen. Oft fanden wir in den entlegensten Winkeln inmitten der Taiga Reste von Brüdergemeinden, die noch nicht nach Deutschland ausgereist waren. Die Glaubensbrüder empfingen den Pastor mit Begeisterung und so manches Mal mit Tränen in den Augen. Einige von ihnen hatten in der frühen Kindheit einen Menschen im Talar gesehen, ihre Nachkommen sahen so etwas überhaupt zum ersten Mal. Pastor Gerber taufte Kinder, reichte Sterbenden das Abendmahl, lernte die Einheimischen und die Geschichte und Kultur Sibiriens kennen und hielt Vorlesungen für Studenten. In Burjatien haben wir auch buddhistische Klöster besucht, Gerber respektierte die Religionen der Ureinwohner. Einmal sind wir in ein Kloster im Tunka-Nationalpark gefahren, wobei der Weg über die Küste des Baikalsees ging. Dort stand Gerber einst bei seiner ersten Reise nach Sibirien mit dem Priester Ignatius. Der Katholik erzählte ihm, dass er am Ufer Sein Humor erstaunte mich besonders. Später begriff ich, wie wichtig es für einen Geistlichen ist, Humor zu haben. Man hat nämlich ständig mit Menschen zu tun, die häufig zwischen Leben und Tod schweben. Gerber sagte einmal, von einem heutigen Geistlichen werde erwartet, Sozialarbeiter, Psychologe und Schauspieler zu sein. Gerber stellte keine hohen Ansprüche. Als er einmal in einem sibirischen Dorf nach der Toilette fragte, antwortete ihm die Dame, bei der wir wohnten, zur Toilette gehe man in den Wald. Der Deutsche zuckte nicht mit der Wimper. Heimlich gestand er mir, ein derart asketisches Alltagsleben habe er bei den Familien russischer Altgläubiger in Argentinien gesehen, wo er 20 Jahre seines Lebens verbrachte. Während der dritten Reise, es ging in das Altai-Gebiet, machten sich bei ihm Herzprobleme bemerkbar. Wir alle waren uns sicher, ihn nie wieder in Sibirien zu sehen. Aber ein Jahr nach sei- ner Herzklappenoperation schickte er mir eine Nachricht, er sei auf dem Weg nach Sibirien, diesmal begleitet von einer Krankenschwester – seiner Frau Helga. Sie beobachtete ihn ständig und war während der Gottesdienste immer in der Nähe des Altars. Einmal sah ich in der Siedlung Pichtinskoe im Gebiet Irkutsk, wo wir in der Lutherischen Gemeinde eine Woche verbrachten, zufällig in einem der Häuser ein Gesangbuch. Das Buch trug den Stempel der Lutherischen Kirche von Irkutsk. Hinter der letzten Seite war ein Blatt mit den Noten des „Chorals der Irkutsker Kirche“ eingeklebt. Unter dem Text stand „Die schrecklichen Tage im Jahr 1919“. Das Lied hieß „Ich dank dir jetzt und alle Zeit, dass du mich von dem Tod befreit“. Pastor Gerber war sehr bewegt von diesem Fund. In diesem Moment bekamen seine Reisen nach Sibirien einen sakralen Sinn. Dort, in dem abgelegenen Taigadorf, wurde ihm gleichsam der Staffelstab vom letzten Pastor der Irkutsker Gemeinde übergeben, die 90 Jahre vorher aufgehört hatte zu existieren. Danach zitierte er die Worte dieses Chorals oft in Gottesdiensten in Irkutsk, Barnaul und anderen Orten und erzählte in seinen Predigten von dem ungewöhnlichen Fund. Sein Buch über die erste Reise nach Irkutsk nannte er nach diesem Lied „Ich dank dir jetzt und allezeit“. Die ganze Auflage war schnell an Freunde und Sibirieninteressierte verkauft, heute kann man bei Internet-Auktionen einzelne, von mehreren Personen durchgelesene Exemplare finden. Gerber hat mich gelehrt, den Tod nicht zu fürchten. Als ich im letzten Jahr meinen jüngeren Bruder zu Grabe trug, durchlebte ich diese Tage, ohne eine Träne zu vergießen. Und für meine Taufe, die ich ihn im dritten Jahr unserer Zusammenarbeit zu vollziehen bat, suchte ich mir den Psalmvers aus: „Auch wenn ich wanderte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles …“ An der Küste des Baikalsees nahe von Irkutsk. Heute gibt es in Irkutsk drei lutherische Gemeinden. Zurzeit steht in der Stadt der Vorschlag einer der Gemeinden an die Stadtverwaltung zur Diskussion, das Lenindenkmal abzureißen und die Lutherische Kirche, die früher dort stand, wieder aufzubauen. Als Gerber vor 20 Jahren eine Andacht neben dieser Statue hielt und am Fuße des Monuments ein Kreuz aus weißen Blumen niederlegte, hätte er sich nicht vorstellen können, dass das geschehen würde. Der Staffelstab, den Gott nach 90 Jahren in Gerbers Hände legte, ermöglichte es, lutherisches Leben in Irkutsk neu erstehen zu lassen. D E R A U T O R Privat Zum ersten Mal im Leben muss ich einen Nachruf schreiben. Und ich werde mich bemühen, das Wort „Tod“ dabei kaum zu gebrauchen, denn der Mensch, von dem ich erzählen will, hat mich und viele andere zu dem Glauben gebracht, dass es keinen Tod gibt. Im September vergangenen Jahres schrieb ich Friedrich Gerber und bat ihn, mir für einen Artikel in der Moskauer Deutschen Zeitung ein paar Fotos von seinen Pastorenreisen nach Sibirien zuzuschicken – und bekam keine Antwort. Als auch mein Weihnachtsgruß nach Mainz unbeantwortet blieb, begriff ich, dass er nicht mehr da war. Seine Kinder teilten mir Anfang Januar mit, dass der Pastor heimgegangen war, und schrieben von seinem letzten Lebensjahr. Beim Lesen erinnerte ich mich an unsere erste Begegnung. Es war 1997. Eine Einwohnerin von Irkutsk, die russlanddeutsche Lutheranerin Valentina Tjan, wollte ihre Kinder taufen lassen, sie aber nicht zu Russisch-Orthodoxen machen. Sie wandte sich an die katholische Hauptkirche am Ort, in der Hoffnung, dass sie ihr Kontakte zu Vertretern der anderen Konfession geben können. Der dortige Dekan Pater Ignatius – er war 1991 aus Polen nach Irkutsk gekommen – leitete die Bitte an seine Vorgesetzten weiter, und auf wundersamen Wegen gelangte sie zum Bischof der EvangelischLutherischen Kirche Sibiriens Ernst Schacht. Dieser bat den im Ruhestand befindlichen 64-jährigen Pastor Friedrich Gerber, nach Irkutsk zu fahren, um die dortigen Lutheraner ausfindig zu machen und ihnen beim Vollzug religiöser Rituale zu helfen. Ich wurde gebeten, sein Dolmetscher zu sein, da Gerber kein Wort Russisch sprach. Schon zwei Wochen später fand in Irkutsk der erste lutherische Gottesdienst seit der Revolution statt, der erste seit 80 Jahren. Er wurde in der Kapelle der katholischen Kirche abgehalten, denn die lutherische Kirche am Ort war 1919 geschlossen und später zerstört worden. Bei diesem Gottesdienst wurden auch die beiden RIA Novosti In den 1990er-Jahren wurde Friedrich Gerber nach Sibirien geschickt, um sich der dortigen deutschen Gemeinde anzunehmen, die acht Jahrzehnte Kommunismus überlebte. Der Journalist Vassilij Jaschkinas begleitete den Geistlichen bei seinen Sibirienreisen und erinnert hier an den bemerkenswerten Mann, der vor einiger Zeit verstorben ist. 11 ZEITGESCHEHEN MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Vassilij Jaschkinas ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Zurzeit arbeitet er als Redakteur bei der Zeitung „Moskowskij Komsomoljez“. Im Herbst vergangenen Jahres, zu Beginn des deutschen Sprachjahrs in Russland, erzählte er in der MDZ über den Einfluss des Deutschen in seinem Leben. Ein entscheidendes Kapitel darin: Die Begegnung mit Pastor Gerber, die ihm aus einer Lebenskrise herausgeholfen hatte. ANZEIGEN Satellitentelefone für Russland www.sat-telefon.de +49 651 12190 12 FEUILLETON Mit Tolstoi für die Freundschaft Zurück zum Ursprung Das Pokrowskij-Theater in Moskau zeigt Beethovens einzige Oper Bilaterales Kulturinstitut in Berlin nimmt seine Arbeit auf Peggy Lohse In Berlin gründet eine Russin ein deutsch-russisches Kulturinstitut. Gemeinsam mit Freiwilligen will sie mit Kulturveranstaltungen, Sprachkursen und Städtereisen das wechselseitige Verständnis zwischen Deutschen und Russen fördern. MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 1805 komponiert, hatte die Oper „Leonore“ des großen deutschen Komponisten anfangs nur mäßigen Erfolg. Erst zehn Jahre später gewann sie in neuer Fassung und mit neuem Titel die Gunst der Kritiker und des Publikums. Das Moskauer Pokrowskij-Theater zeigt das Stück hingegen in seiner Urfassung. Deutsche und russische Künstler feierten Ende Februar in der evangelischen Auenkirche in Berlin-Wilmersdorf bei einem gemeinsamen Konzert den „Abschied vom Winter − Masleniza“. Hierbei erklangen in den Kirchenmauern deutsche und russische Lieder und Volksweisen. Es ist die zweite große Kulturveranstaltung des im letzten Herbst in Berlin neu gegründeten TolstoiInstitutes. Die Direktorin, Tatjana Garsija, begrüßt, ganz im Sinne des orthodoxen „Butterfestes“, sowohl die circa 200 Gäste des evangelischen Gotteshauses als auch den Frühling: „Wir wollen die schreckliche Kälte aus unseren Herzen vertreiben.“ Dabei dürfen diese Worte sicher auch im globalen Sinne verstanden werden. Tatjana Garsija stammt aus Moskau, ist studierte Germanistin und arbeitet heute in Berlin als Übersetzerin und Journalistin. Bereits vor der offiziellen Gründung des Instituts nahm sie aktiv an Friedensdemonstrationen in Berlin und Umgebung gegen den Krieg in der Ukraine teil. Bei diesen Veranstaltungen bezog die 41-Jährige klar Stellung für einen diplomatischen und freundschaftlichen Umgang mit Russland. Die Idee, ein Institut für die deutsch-russische Freundschaft zu gründen, bewegte Garsija schon länger. Mit der Zuspitzung der politischen Ereignisse wurde hieraus ein dringlicher Plan. Garsija baute ein Netzwerk Gleichgesinnter auf und ließ das Tolstoi-Institut Anfang September 2014 ins Vereinsregister eintragen. Damit konnte die Arbeit beginnen. Dass Beethoven ein musikalisches Genie war, dessen Kompositionen bis heute in großen Konzerthallen weltweit gespielt werden, ist kaum eine Neuigkeit, doch dass er auch eine Oper komponierte, ist unter Laien hingegen weniger bekannt. „Fidelio“ lautet der Titel des Stücks, das vom Widerstandskampf einfacher Bürger gegen die Autokratie handelt. Die Oper zählt zu den „Rettungs- und Befreiungsopern“, einer Ausrichtung in der Oper, die die gesellschaftlichen Umbrüche während der Französichen Revolution und den Wunsch des Volkes nach Freiheit thematisiert. Erzählt wird die Geschichte der jungen Leonora, die sich als Mann ausgibt und versucht, ihren Ehemann aus den Fängen eines Autokraten zu befreien. Die Geschichte basiert auf dem Libretto des französischen Dramatikers Jean Nicolas Bouilly „Leonore oder die Eheliebe“ aus dem Jahr 1789, dem angeblich eine wahre Geschichte aus der Französischen Revolution zugrunde liegt. Den Text zu Beethovens musikalischer Interpretation des Stoffs schrieb der österreichische Schriftsteller Joseph Sonnleithner. Seit Herbst letzten Jahres ist die Oper am Moskauer PokrowskijTheater mit deutschem Originaltext und russischen Untertiteln zu sehen, interpretiert von russischen Schauspielern. Der Regisseur der Inszenierung, Michail Kisljarow, betont, dass die Oper in dieser Form nirgends sonst in Russland zu sehen sei, denn das PokrowskijTheater zeige sie in ihrer Urfassung von 1805, in der sie nur noch äußerst selten inszeniert werde. 1805 beendete Beethoven die Oper, die damals noch den Titel Tatjana Garsija bei ihrer Ansprache in der evangelischen Auenkirche in Berlin. Dabei sieht das Institut sein Wirkungsfeld weniger im politischen Bereich, sondern auf kultureller und persönlicher Ebene. Der Austausch und die Verständigung zwischen Russen und Deutschen sollen gefördert werden. Räumlichkeiten für die Institutsarbeit werden noch gesucht – in Charlottenburg, dem historisch „russischsten“ Stadtteil sische Konzerte sowie Lesungen deutsch-russischer Autoren und Künstlertreffen vorgesehen. Auch politische Diskussionen sind zukünftig angedacht. Besonders großer Beliebtheit erfreut sich aber der deutsch-russische Chor. Zudem sollen Sprachkurse angeboten werden. Aktuell bezieht sich die Pla- Aktuell beschränkt sich die Arbeit auf Berlin und Umgebung. Zukünftig möchte das Institut aber auch international agieren. Berlins. Bei den monatlichen Freitagstreffen kommen die Initiatoren, Vereinsmitglieder sowie Interessenten bisher im Berliner Gewerkschaftshaus zusammen: Personen ganz verschiedener Altersgruppen aus unterschiedlichen Bereichen sammeln hier Ideen zur Verwirklichung geplanter Aktivitäten. „Tolstoi war ausgesprochener Pazifist“, erklärt Garsija die Namensgebung des Instituts. Außerdem sei sein Beitrag zur Weltliteratur einer von vielen gemeinsamen Nennern zwischen den Kulturen. „Gegen Tolstoi hat doch sicher niemand etwas“, sagt sie lächelnd. Mit dem Ziel, persönliche Beziehungen zwischen Deutschland und Russland aufzubauen, sollen die Menschen ins Gespräch kommen, gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen austauschen und Einblicke in die jeweils andere Kultur bekommen. Dazu sind Veranstaltungsreihen wie klas- Mit Einsatz für das wechselseitige Verständnis: Die Direktorin des Tolstoi-Instituts. nung auf Berlin und Umgebung, perspektivisch möchte das Institut auch deutschlandweit und mit ähnlichen Institutionen international zusammenarbeiten. Auch Austauschreisen für Jugendliche und andere Altersgruppen in Russland sind geplant. Die erste Kulturreise dieser Art wird im Herbst in Tolstois Geburtsort Jasnaja Poljana in der Region Tula, rund 180 Kilometer von Moskau, führen. Finanzielle Mittel fließen bislang über Vereinsbeiträge und Spenden. Die Veranstaltungen tragen sich durch das ehrenamtliche Engagement der Initiatoren. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit möglichen Sponsoren aus der Wirtschaft, deren Ausgang bisher jedoch noch ungewiss ist. Der feierliche „Abschied vom Winter“ in der Auenkirche endet mit „Was der Westwind gesehen hat“ von Claude Debussy. Tatjana Garsija und das Tolstoi-Institut positionieren sich klar: „Wir rufen zur Freundschaft zwischen Deutschland und Russland auf!“ Das Publikum nickt einverstanden und zufrieden. Originalfassung »ist beiDie weitem stärker als die überarbeitete Version. aktuell erfolgreichsten russischen Dirigenten, gegenüber der Nachrichtenagentur „Tass“ sagte. Anders als in Beethovens Original wurden in der Inszenierung am Pokrowskij-Theater die gesprochenen Dialoge zwischen den einzelnen Gesangspartien gestrichen. Sie würden den Inhalt und den Verlauf der Oper nur verkomplizieren, erklärt Regisseur Kisljarow. Auch die Handlung wurde aus dem 18. Jahrhundert in die 1930er Jahre versetzt, jedoch ohne auf einen bestimmten Schauplatz zu verweisen. „Die Oper handelt von der Tyrannei. Das 20. Jahrhundert kannte eine Menge Tyrannen: Hitler, Stalin oder Mussolini. All diese Persönlichkeiten finden sich in der Figur Pizarros, dem Autokraten des Stücks, wieder“, so Kisljarow. 8. bis 10. April, 19 Uhr Pokrowskij-Theater Ul. Nikolskaja 17 Lubjanka (495) 606 70 08 www.opera-pokrovsky.ru opera-pokrovsky.ru Von Anastassija Issajewa privat Von Peggy Lohse „Leonore“ trug. Noch im selben Jahr wurde sie am Wiener Opernhaus „Theater an der Wien“ mit dem neuen Titel „Fidelio“ uraufgeführt. Allerdings hatte sie in dieser Form keinen Erfolg, weshalb Beethoven aus den ursprünglich drei Akten zwei machte. Im März 1806 wurde − ebenfalls im „Theater an der Wien“ − dann die überarbeitete Version gespielt. Doch noch immer ließ der Erfolg auf sich warten. Erst 1814 genoss die Oper, nachdem Beethoven sie ein drittes Mal überarbeitet hatte, endlich den erhofften Erfolg. Am Pokrowskij-Theater entschied man sich dennoch für die Urfassung mit dem Titel „Leonore“, da diese viel stärker sei als die überarbeitete Version, wie der musikalische Leiter der Oper, Gennadij Roschdestwenskij, einer der Als Mann verkleidet kämpft die Heldin Leonore (rechts) gegen die Diktatur. 13 MOSKAU MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Zur Behörde surfen Eine Online-Plattform macht Dienstleistungen der Stadt Moskau vom Computer aus zugänglich Das Online-Portal der Stadt Moskau bringt staatliche Dienstleistungen ins Internet und will seinen Bürgern so Behördengänge ersparen. Gleichzeitig soll die Korruption bekämpft werden, indem gleich online bezahlt wird. Noch gibt es allerdings Startschwierigkeiten. Sonntagabend. Zeit für den Moskauer Elftklässler Iwan seine Hausaufgaben zu machen. Doch seit einigen Monaten hat er ein Problem: Seine Hausaufgaben bekommt er elektronisch und das Internetportal der Stadt Moskau, auf dem sein elektronisches Klassenbuch „MRKO“ platziert ist. Heute ist wieder einmal überlastet, weil die Schüler vieler Schulen gleichzeitig darauf zugreifen, die ihre Hausaufgaben für Montag machen wollen. „MRKO“ ist einer der vielen Dienste des Moskauer Portals für staatliche Dienstleistungen „pgu.mos.ru“. Seit September 2014 wurden viele Schulen dazu aufgefordert, sich dem Klassenbuch anzuschließen – glücklich sind darüber nicht alle Schüler und Lehrer. Bei anderen Diensten ist die Stadt-Website praktischer: Sie ermöglicht den Zugriff auf elektronische Datenbanken und Archive verschiedener Abteilungen der Verwaltung. Seit dem Start des Projektes im Jahr 2010 können die Einwohner Moskaus so auf 285 Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kommunalwirtschaft, Kultur, Familie und Verkehr zugreifen – und das alles von Zuhause aus. Eltern können ihre Kinder nun online in den Kinder- Simon Schütt Von Maria Fomina garten einschreiben, man kann Verkehrsbußgelder bezahlen, Arzttermine vereinbaren und sogar Eheschließungsanträge stellen. Getraut wird dann immer noch persönlich. Für Unternehmen gibt es auf dem Portal einen eigenen Bereich, in dem sie etwa Genehmigungen oder Zuschüsse beantragen können. Die Registrierung für das Portal erfolgt mit wenigen Klicks: in ein Formular müssen Name, Sozialversicherungsnummer, Handynummer und E-Mail-Adresse eingegeben werden. Danach wird ein „Persönlicher Bereich“ freigeschaltet. Um sich zum Beispiel beim Arzt anzumelden, wählt man dort den Bereich „Gesundheit“ und schreibt Auf „pgu.mos.ru“ können Moskauer nun zum Beispiel ihre Stromkosten online begleichen. sich in die Warteliste ein. Iwans Mutter ist eine der über vier Millionen Registrierten und froh über die neuen Möglichkeiten: „Mir erleichtert es den Alltag. Über das Portal habe ich meine Kinder in Sportvereine eingetragen und brauchte dafür nicht in endlosen Warteschlangen zu stehen oder stapelweise Papiere auszufüllen.“ Sie hat über eine Metrowerbung mit der bekannten Moderatorin Oksana Fjodorowa von der Seite erfahren. Laut einer Statistik der Abteilung für Informationstechnologie der Stadt Moskau ist „pgu.mos.ru“ mit rund zehn Millionen monatlichen Besuchern das meistbesuchte städtische Portal Russlands. Am beliebtesten sind dabei mit 88 Prozent aller übermittelten Zahlungen kommunale Dienstleistungen im Bereich Wohnungs- und Kommunalwirtschaft: Täglich geben dort Bürger den Zählerstand des Wassers ein und bezahlen ihre Stromrechnungen. Insgesamt flossen über das Portal bereits mehr als fünf Milliarden Rubel. „Unsere Aufgabe für 2015 ist die Übertragung aller Dienstleistungen in die elektronische Form. Das bringt nicht nur den Bürgern, sondern auch den Behörden erhebliche Vorteile, weil die Kontrolle der Arbeit staatlicher Einrichtungen die Bekämpfung von Korruption ermöglicht“, behauptet Artjom Jer- molajew, Leiter der Abteilung für Informationstechnologie. Seinen Worten zufolge sollen dieses Jahr drei Bereiche des Portals verbessert werden: Die Benutzerschnittstelle soll überarbeitet werden, Dienstleistungen schneller und zuverlässiger erbracht werden und noch fehlende Dienste ergänzt werden. Trotz der positiven Entwicklung bleiben viele Fragen offen: Wie sollen Rentner ohne IT-Kenntnisse die Privilegien des Portals nutzen? Was sollen Schüler tun, wenn sie ihr virtuelles Hausaufgabenheft nicht öffnen können? Auf Kritik antworten die Betreiber mit: „Wir befinden uns noch in der Entwicklung.“ Moskau ist nicht die einzige Stadt, deren Bürger Online-Serviceleistungen in Anspruch nehmen können – weltweit verfügen Metropolen wie New York oder Berlin über ähnliche Anlaufstellen. Beachtenswert am Moskauer Stadtportal ist, dass darin weitere Serviceleistungen wie das Umfragesystem „Aktiwnyj Graschdanin“– „Aktiver Bürger“ integriert werden können. Das Projekt wurde 2014 ins Leben gerufen und dient dazu, Bürger über kommunale Entscheidungen abstimmen zu lassen. Jede Woche legen die Stadtregierung und der Bürgermeister Sergej Sobjanin wichtige Themen der Stadtorganisation zur Abstimmung vor. Die Moskauer haben somit bei den Entscheidungen der Behörden ein Mitspracherecht. Sie haben meist nur beratende Funktion, manchmal sind die Abstimmungen aber bindend. Iwan darf nun beispielsweise bis Ende März für Musikgruppen abstimmen, die im Juni auf seinem Abschlussball im Gorki-Park auftreten werden. Alte Stände auf den neuesten Stand gebracht Moskaus Kioske verschwinden von den Straßen, weil das Stadtbild modernisiert werden soll Weil sie nicht in das moderne Stadtbild Moskaus passen, sollen Kioske, deren Pachtzeit 2015 endet, abgerissen werden – dafür werden modernere gebaut. Die Besitzer sind besorgt um ihre Investitionen und Zukunft. Die alten Kioske (rechts) sollen den neuen, zentral geplanten (links) weichen. Kioske und kleine Ladenbuden gehören zum russischen Stadtbild wie Schnee im Winter. Wo sonst könnten reuige Ehemänner auch spät abends noch Blumen kaufen, Rentner sich nicht nur mit Gemüse, sondern auch mit aktuellem Klatsch und Tratsch versorgen und Kinder im Sommer das ersehnte Plombir-Eis bekommen. Moskaus rund 7700 Kioske verbinden städtische Bequemlichkeit mit dörflicher Gemütlichkeit und sind zudem ein wichtiger Wirtschaftszweig des Einzelhandels. Gleichzeitig wollen die Relikte aus der post-sowjetischen Zeit aber nicht mehr so recht in das modernisierte und gepflegte Stadtzen- Nora Korte Von Nora Korte trum der russischen Hauptstadt passen. Bürgermeister Sergej Sobjanin hatte bereits 2011 der baulichen Willkür auf den Straßen der Hauptstadt den Kampf angesagt. Damals wurden tausende private und zum Teil illegale Buden und Kioske geschlossen, 50 000 Menschen verloren ihre Arbeit. Für den Bau neuer Objekte gab es strikte Vorgaben. Die privaten Investoren waren verpflichtet, ihre Buden in ein und dem selben optischen Stil zu errichten. Anfang des Jahres griff die Stadtverwaltung erneut durch. Alle Pavillons, deren Pachtzeit von drei Jahren 2015 endet, werden abgerissen. Mehr als ein Drittel der Buden sind bereits von den Straßen verschwunden. Auch der kleine Reparaturladen von Sascha Iwanow soll zum 15. April weichen. Seit drei Jahren arbeitet der 57-jährige täglich neun Stunden in dem Kiosk bei Kitai-Gorod. „Bevor ich hier angefangen habe, war ich zehn Jahre lang mit meinem Laden an der Metro ‚1905 Goda‘. Damals musste ich 240 000 Rubel investieren, damit die Bude den Standards entsprach. Als sie uns geschlossen haben, hatte ich gerade mal einen kleinen Teil der Summe wieder raus.“ Wie es ab April weitergeht weiß er nicht, zuckt aber lächelnd mit den Schultern. „Solange ich Arme und Beine habe, wird sich schon was finden.“ Wie vor drei Jahren bleiben auch dieses Mal die Unternehmer vorerst auf den Baukosten ihrer Objekte sitzen. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, hat ihnen eine Entschädigung der Stadt zugesichert, ein Angebot steht allerdings noch aus. Dafür werden in der Innenstadt bald neue Kioske entstehen, zentral geplant und errichtet. Die Hauptmotivation für dieses Vorhaben ist eine optische. Die neuen Kioske sollen – je nach Sparte ihrer Waren – einen Wiedererkennungswert haben. Vor allem aber sollen sie moderner aussehen. Erste Prototypen wurden bereits errichtet. In einem dieser ersten neuen Kioske auf der Twerskaja Straße verkauft Jelena Welizowa Theaterkarten. Der Pavillon, in dem sie sitzt, hat ein klassizistisches Design mit säulenartigen Eckpfeilern und vier großen Fenstern an jeder Seite. Er sei bereits kurz vor Neujahr als eine Art Versuchsobjekt aufgestellt worden. „Die gläsernen Fenster gefallen mir persönlich gut. Es fällt viel mehr Licht hinein als früher“, erklärt sie. In den nächsten Wochen sollen die ersten 100 dieser neuen Kioske im Stadtzentrum entstehen. Die Stadt lässt sie auf eigene Kosten bauen und will sie dann verpachten. Die Unternehmer können über eine Online-Auktion einen Platz erhaschen – die Buden sollen für je eine Million Rubel versteigert werden. MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 K O N Z E R T | R E S T A U R A N T | B Ü H N E greatmodernists.com K I N O | R E HIGH L I G H T S moscowmanege.ru AUF TRENDSUCHE Multimedia-Ausstellung animiert Gemälde Ein großer abgedunkelter Saal im Moskauer Designzentrum „Artplay“. Ringsum hohe Leinwände. Gebannt wartet eine Gruppe Menschen auf den Beginn der Show. Plötzlich ertönt klassische Musik und wie aus dem Nichts fliegen goldene Funken über die Leinwände. Immer schneller werden ihre Bewegungen, drehen sich schnell im Kreis, bis sie ineinander fließen und die bekannten goldfarbenen Frauenbildnisse Gustav Klimts formen. Die Frauen beginnen im Takt der Musik zu tanzen, während goldene Rauchschwaden und Kreise sie umschmeicheln. Auf diese Weise erwachen in einer spektakulären Bildershow rund 1000 Gemälde der bedeutendsten Repräsentanten des Modernismus zum Leben. „Große Modernisten. Kunstrevolution“, so der Name der Multimedia-Ausstellung, die aktuell im „Artplay“ zu sehen ist. Neben Klimts Kunstwerken sind auch Werke von Henri Rousseau, Paul Gauguin, Edward Munch, Paul Signac, Henri Toulouse-Lautrec, Amedeo Modigliani, Wassilij Kandinskij und Kasimir Malewitsch auf den etwa sechs Meter hohen Leinwänden zu erleben. Von manchen Gemälden sind nur Fragmente zu sehen, die einander überlagern und auf den Leinwänden vergrößert werden. So können Besucher feine Details der Kunstwerke erkennen, die in einer gewöhnlichen Ausstellung nicht unbedingt ins Auge stechen. „Das ist nicht das Ende der Kunst, sondern der Anfang der Realität“, sagte Malewitsch über den Modernismus. Die Ausstellung soll den Besuchern diese Kunstströmung näherbringen − das Videoformat erweist sich hierbei als Alternative zu herkömmlichen Museen. Einen Hauch von Malewitschs Realitätsvorstellung lässt der Film zu seinem Werk erahnen: Farbige Würfel, Kugeln und Dreiecke fliegen wie Kometen über eine winzige Erdoberfläche − und die Beobachter selbst sind Teil des Spektakels. Im Saal Sitzsäcke ausgelegt, auf denen man sich zurücklehnen und die Bilder auf sich wirken lassen kann. Von einer Empore aus lässt sich die Show auch von oben betrachten. Es empfiehlt sich aber, mitten im Raum zu stehen und den Standort hin und wieder zu wechseln, da der 360-Grad-Effekt somit stärker erzielt wird. Die Clips dauern im Schnitt sechs Minuten und werden begleitet von klassischer Musik bekannter und unbekannter Interpreten. Nach 40 Minuten beginnt die Show wieder von vorne. Der zweite Teil der Ausstellung ist ein Informationssaal. Hier ist zu sehen, wie die technische Revolution im 19. und 20. Jahrhundert die Kunst beeinflusst hat. Außerdem wird anhand von Reproduktionen berühmter Gemälde die Evolution einzelner Genres wie dem Portrait und dem Stillleben veranschaulicht. Parallel läuft im „Artplay“ aktuell eine weitere Multimedia-Show, die den Künstlern des Impressionismus gewidmet ist. Maria Fomina Bis 31. Mai Designzentrum „Artplay“ Ul. Nischnaja Syromjatnitscheskaja Kurskaja (495) 620 08 83 www.greatmodernists.com Reise zu den Sternen flickr.com/Hubbel Heritage Das Moskauer Planetarium zeigt Sonderfilm zum Frühling Einblick in ferne Welten und fremde Galaxien. Eine Reise durch Zeit und Raum können Besucher des Moskauer Planetariums im kuppelförmigen „Sternensaal“ erleben. Mit Hilfe eines speziellen Filmprojektors, des „Universarium M9“, erscheinen auf einem großen 360 GradBildschirm ferne Planeten, Wurmlöcher und fremde Galaxien. Im gemütlichen Lehnstuhl sitzend, erwarten den Besucher hier lehrreiche Vorlesungen, etwa über den „roten Planeten“, die Vulkanlandschaft des Mondes oder die Entstehung von schwarzen Löchern. Anlässlich des Frühlingseinbruchs hat sich das Planetarium nun ein Sonderprogramm einfallen lassen: Noch bis Ende Mai läuft vor einigen der regulär gezeigten Filme der Kurzfilm „Die Jahreszei- ten. Frühjahr“. Die Dokumentation erzählt, welche Sterne, Planeten und kosmischen Erscheinungen im Frühjahr am Sternenhimmel zu sehen sind und in welchem Zenit sie stehen. Die Tickets kosten im Schnitt 400 Rubel und müssen im Vorfeld online bestellt werden. Auch das Programm zu den einzelnen Vorstellungen ist auf der Internetseite des Planetariums einsehbar. Bis 2. April Museum Manege Maneschnaja pl. 1 Biblioteka im. Lenina (495) 692 44 59 www.moscowmanege.ru 3 T H E A T E R FLUG DER MÖWE tabakov.ru Bewegte Kunst Ein Trendjäger ist stets auf dem neusten Stand, was die Neuerungen und Entwicklungen in der Welt der schönen Textilien angeht. Die gleichnamige Ausstellung „Trendjäger? Die wichtigsten Vertreter der spanischen Mode“ richtet sich genau an diesen Menschentypus und zeigt, wie Mode in Spanien als Ausdrucksmedium genutzt und wahrgenommen wird. Zu sehen sind unter anderem gebräunte Models in spektakulären Kleiderkreationen spanischer Designer, abgelichtet von berühmten Fotografen. Außerdem zeigt die Ausstellung, wie sich die spanische Mode im letzten Jahrhundert entwickelt hat. Tschechows Theaterstück „Die Möwe“ zählt zu den Klassikern der russischen Literatur. Der Held des Dramas, Konstantin Treplew, kämpf um seine Anerkennung als Dichter, sieht sich aber immer wieder den Nörgeleien seiner Mutter ausgesetzt. Und auch sein Konkurrent Trigorin, der sowohl als Poet als auch als Werber um die Gunst von Treplews Geliebter mehr Erfolg hat, macht ihm das Leben schwer. In einer modernen und abstrakten Inszenierung präsentiert Regisseur Konstantin Bogomolow das Gesellschaftsdrama am berühmten Tschechow-Theater in Moskau. 2 B I E N A L E CLEVERE MODE Intelligente Textilien sind heute nicht nur in bestimmten Berufssparten, sondern auch in der Alltagsmode gang und gäbe. Sie schützen vor Regen, schmeicheln der Haut oder riechen wie Blumen. Die Bienale „Modeschöpfung“ zeigt, wie die Mode von heute innovative Materialien für sich verwertet. Die Besucher erfahren, wie aus einem einfachen Faden Nutzkleidung für Feuerwehrleute, Kosmonauten oder Sportler wird. Zu sehen sind über 400 Exponate aus russischen Museen, Erfindungen von Wissenschaftlern und aus den Modekollektionen führender europäischer Designer. vmdpni.ru A U S S T E L L U N G Bis 19. Mai Museum für Angewandte Kunst Ul. Delegatskaja 3 Majakowskaja (499) 973 32 19 www.vmdpni.ru 4 K O N Z E R T FRAUENSCHWARM Zu seinen Zeiten bei der britischen Boygroup “Take That” brachte Robbie Williams reihenweise pubertierende Mädchen zum Kreischen. Später entwickelte er sich zu einem der erfolgreichsten europäischen Musikkünstler, der es sogar zu einem Eintrag im Guinessbuch der Rekorde geschafft hat – für 1,6 Millionen verkaufte Konzerttickets an nur einem Tag. Zehn Jahre nach seinem letzten und bisher einzigen Kontert in Russland tritt er nun in Moskau im Olimpiskij-Stadion im Rahmen seiner „Let Me Entertain You“ Welttournee auf. Im Gepäck hat er seine bekanntesten Hits. olimpik.ru 1 Maria Galland Bis 31. Mai Planetarium Moskau Ul. Sadowaja-Kudrinskaja 5 Barrikadnaja (495) 221 76 90 www.planetarium-moscow.ru 3. April, 19 Uhr MXAT Kamergerskij per. 3 Ochotnij Rjad (495) 646 36 46 www.tabakov.ru 12. April, 20 Uhr Olympiahalle Olympijskij pros. 16 Prospekt Mira (495) 786 33 33 www.olimpik.ru 14 |15 MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 F E S T I V A L B A L L E T T | M U S E U M Backkunst mit Biss Hilfe gegen den Hunger zwischendurch Ein Ausflug in das Kolatsche-Museum in Kolomna Pawel Pelewin Das gut 100 Kilometer südlich von Moskau gelegene Kolomna ist nicht nur wegen seines Kremls ein Pilgerort für Touristen. Die historische Altstadt mit ihren zahlreichen Museen bringt das alte Russland näher. Das Museum „Kalatschnaja“ ist eines von ihnen und gewährt einen Einblick in die Backkunst des traditionellen Kolatsche-Brots. anschließend im klassischen Holzofen knusprig gebacken. Nicht nur das Kolatsche-Rezept, sondern auch die Einrichtung im Innern des Museums stammt aus dem 19. Jahrhundert und macht das Gefühl, sich in einer traditionellen Kolatsche-Bäckerei von einst zu befinden, perfekt. Aus dem großen, weißen Holzofen strömt der Duft von frischgebackenem Brot und in der Mitte steht ein großer, schwerer Holztisch, um den die Besucher sitzen, während der Oberbäcker auf ihm den Teig ausrollt. Nach dem Backen wurden früher die noch warmen Kolatsche auf dem Holztisch, dem sogenannten „Eistisch“, in Eiswürfel gepackt und eingefroren, erzählt Milajew. Auf diese Weise konnte das Brot damals über einen längeren Zeitraum frisch gehalten werden und überstand lange Transportzeiten. Nicht selten soll damals auch der Pariser Adel das Brot aus Russland bestellt haben. Heute nun kommen die Museumsbesucher in den Genuss einer frisch gebackenen Kolatsche. Nachdem die Brote aus dem Ofen gezogen wurden, werden sie noch dampfend mit Butter bestrichen und zu süßem Tee verspeist. Für den Eigenbedarf am heimischen Frühstücks- oder Abendbrottisch können sich die Besucher im museumseigenen Laden oder auf dem Museumsplatz direkt vom Pferdefuhrwerk mit den Broten eindecken. Auch hier erinnert das Ambiente an eine Bäckerei aus dem 19. Jahrhundert. 2013 hat das Museum „Kalatschnaja“ den Preis des Wettbewerbs „Das veränderte Museum in der veränderten Welt“ in Russland gewonnen. Dieser Wettbewerb zeichnet Museen mit besonders innovativen Ideen aus. Museum „Kalatschnaja“ Ul. Zajzewa 14, Kolomna Zug vom Kasaner Bahnhof bis zur Station „Kolomna“ (916) 376 49 28 www.kolomnapastila.ru Die letzten vereisten Schneereste gammeln und tauen vor sich hin. Noch sprießt kaum etwas Grünes durch das Braun und Grau. Aber die Mäntel bleiben schon offen, die Mützen und Handschuhe in der Tasche. Noch scheint die Sonne ziemlich bleich vom strahlendblauen Himmel und lädt zum gelösten Schlendern ein. Statt zum fröstelnden Eiltempo auf dem Weg zur wärmenden Metrostation. Erleichterndes Aufatmen. Fröhliches Frühlingserwachen. Überall rundherum. Auch in den Gesichtern. Beste Zeit für eine kleine Verschnaufpause auf der Parkbank. Und was Leckeres für zwischendurch. Die immer noch fünfstellige, gewähnte Weltrekordzahl an Stätten zum Essen und Trinken in der großen Stadt nährt den Verdacht, dass das Stillen von Hunger und Durst sowas wie Volkssport sein muss. So gut wie für jeden und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Jetzt lässt es sich auch wieder unter freiem Himmel gut und gerne speisen. Ja, und zum Raucherglück dann sogar eine Verdauungszigarette danach qualmen. Ob Plow oder Döner, ob Würstchen oder Sandwiches. Ob verschieden gefüllte Pelmeni oder Kartoffeln in allen Variationen. Und noch so viel mehr. Alles auf der Stelle und von Hand. Nicht gleichförmig vorfabriziert vom Fließband, wie meist in den Fast Food-Ketten nach amerikanischer Art. Brutzeln. Braten. Backen. Bedienen. Frisch. Freundlich. Fix. Fertig. Zum Beispiel nahe der Metrostation Akademitscheskaja. Wenn der flinke Surab aus Georgi- РЕКЛАМА Ein Bäckerlehrling mit einem Korb voller Kolatsche-Brote. РЕКЛАМА РЕКЛАМА PELMENI Von Frank Ebbecke Von Anna Braschnikowa Kolatsche gibt es in fast jeder slawischen Küche. In den meisten Traditionen handelt es sich hierbei um einen runden und süßen Kuchen aus Hefeteig, der mit Quark oder Mohn gefüllt ist. Die Kolomner Kolatsche hingegen ist aus salzigem Hefeteig gemacht. Das Rezept, so versichert man im Museum „Kalatschnaja“, stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde nach langer Lagerzeit in der Russischen Staatsbibliothek in Moskau wieder ausgegraben. In ihrer Form erinnert die Kolatsche an ein Vorhängeschloss. Der Bauch des Schlosses wird durch einen schmalen Bügel getragen, an dem sich die Kolatsche angenehm in der Hand halten lässt, während man den dickeren, unteren Teil genüsslich abknuspert. Durch das Loch, das durch den Bügel in der Kolatsche entsteht, lässt sie sich auch gut auf einer Stange aufgefädelt aufbewahren. Zu Zarenzeiten konnten sich nur die Reichen dieses Brot leisten. Nachdem sie den Bauch des Schlosses verzehrt hatten, sollen sie den oberen Teil den Armen weitergereicht haben. Nicht zuletzt auch, da der Teil, den sie bereits in den Händen hielten, als schmutzig galt, wie Oberbäcker Milajew während der Museumsführung erzählt. Das Rezept ist ganz einfach: etwas Wasser, Mehl und Salz werden miteinander verknetet und PROSECCO en und der flotte Uktam aus Usbekistan das nicht machen würden, wer dann? Die beiden, ganz in sauberem Weiß mit adrettem Käppi, teilen sich eine Essbude von nicht viel mehr als vielleicht zwei Metern Breite. Dafür aber schlauchlang. Fingerfertige Garköche, offenes Werkeln hinter Glas. Erst mal ein „Atscharuli Chatschapuri“, oder so ähnlich. Eine Käsebrot-Spezialität aus Georgien. Sieht fast aus wie ein Spielzeugpaddelboot. Eine knusprig gebackene Spitze abgebrochen und ins „a la minute“ gegarte Eigelb in der Mitte getunkt. Richtig lecker. Gerade gerupftes russisches Hähnchen, das vor der Bude seine Runden dreht. Am Spieß. Außen goldbraun gegrillt, innen saftig-zart gegart. Dazu ein Fläschchen Kwass vom Verkaufsdurchlass gleich nebenan. Kartoffelförmig gekneteter Kuchenteig, durchsetzt mit gezuckerter Kondensmilch. „Kartoschka“ zum Nachtisch. Gern geteilt mit einer ganzen Schar umhertrippelnder Bettel-Tauben. Die sind hier aber auch schon reichlich satt. Und das für gerademal gut 400 Rubel (zurzeit bescheidene sechs Euro). Eine „Zwischenmahlzeit“ gibt es so gut wie überall. Auch bei Ihnen um die Ecke. Garantiert. bk K U N S T S T A U R A N T | Selfie mit BlätterteigChatschapuri. Vkontakte 16 LETZTE SEITE Abgeschleppter Abschlepper St. Petersburg. Was für ein netter Kollege! Ein Abschleppfahrzeug hilft einem anderen, das eine Panne hatte. So zumindest erklärte ein lokaler TV-Sender die Bilder, die im Internet auftauchten. Dann aber meldete sich der Eigentümer zu Wort: Gesetzeswidrig sei das Verhalten der Kollegen (die ja auch Konkurrenten sind, da Privatunternehmen als Abschlepper arbeiten). Erst habe man das Fahrzeug verschlepp und jetzt fordere man 16 000 Rubel Lösegeld (die Gebühr für so etwas). Dabei habe es gar nicht falsch geparkt. Vermeintliche Zeugen, die sich im Internet zu dem Fall äußerten, widersprechen dem aber. Schweinerei in der Sauna Tscheljabinsk. Aufruhr im Dorf Mirnyj Kosyrewskij! Der Bürgermeister soll die öffentliche Banja zum eigenen Gebrauch in einen Schweinestall umfunktioniert haben. Dort, wo die Dorfbewohner ihren Feierabend genießen könnten, grunzen ihren Angaben zufolge neuerdings Schweine. Ferkelhaft seien auch die übrigen Taten des Dorfhaupts, klagen die Menschen vor Ort. So habe der LDPR-Politiker unmittelbar außerhalb der Siedlung eine Müllhalde angelegt, auf der sich neben dem üblich-stinkenden Müll auch tote Ziegen sammelten. Und die Abwässer von Mirnyj flössen direkt in den Schulgarten. Außer diesem beamtenbäuerlichen Unwesen tue die Verwaltung rein gar nichts. Die Dörfler kündigten eine Demo an, in der Verwaltung hieß es nur, das Anliegen werde geprüft. Preissprung bei Rasse-Miezen Nowosibirsk. Die starke Abwertung des Rubel Ende 2014 macht vieles in Russland teuer. Insbesondere natürlich alles, bei dem man zur Herstellung auf Importgüter angewiesen ist. Weniger einleuchtend ist, warum plötzlich in Russland selbstgezüchtete Katzen ein Drittel mehr kosten sollen als noch vor einigen Monaten. So eine Preisentwicklung wird aus Nowosibirsk gemeldet. Ein reinrassiges Maine-CoonKätzchen kostet jetzt stolze 50 000 Rubel. In Valuta ist der Preis dabei konstant geblieben (etwa 800 Euro). Wieso der Preis einheimischer Katzenbabys an die ausländischen Währungen gekoppelt scheint, fällt den Züchtern nicht so leicht zu erklären. Futter und Impfungen hätten sich verteuert, sagen die einen. Andere weisen darauf hin, dass die Katzen auch gerne ins Ausland verkauft würden. MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG Nr. 6 (397) MÄRZ 2015 Eines Nachts unter der Erde PLANET MOSKAU Von Hans Winkler Es gibt wohl kaum einen Ort, der weniger geeignet erscheint, jemanden auf frohe Gedanken zu bringen, als die Moskauer Metro. Grimmige Gesichter, die apathisch auf ihre Handy-Displays oder auf die Schuhspitzen des Gegenübers schauen. Die aktuellen HiobsBotschaften über die politische und wirtschaftliche Situation des Landes tun ihr Übriges, um den schmutzigen Schleier der Depression noch tiefer über die stoischen Minen der Passagiere zu senken. Wenn man dann spät abends am Freitag unter Moskaus Zentrum auch noch mit dem Zug in einem düsteren Tunnel stecken bleibt, dann fällt das Stimmungsbarometer tief unter null. Aber dann durchbricht die bedrohliche Stille unverhofft eine fröhliche Musik. Erst leise aus der Ferne, dann immer deutlicher und klarer. Von irgendwoher dringt Gelächter und Gefeixe. Ich denke: halbstarke Jugendliche machen Faxen – das kennt man freitagnachts. Dann erkenne ich einen jungen Mann, der zur Musik mit pantomimischen Bewegungen unentwegt Luftballons aus einer großen Tasche zieht, um mit Hilfe dieser den ver- wunderten Passagieren Blumen, Tiere und Hüte aus Hosentaschen und Knopflöchern zu zaubern. Immer mehr Menschen erwachen aus ihrem komatösen Normalzustand und beobachten die Szene mit ungewollter Heiterkeit. Erster Beifall brandet auf, es wird gelacht, Handykameras verfolgen das Spektakel. Der junge Mann schleicht sich von hinten an einen besonders widerspenstigen Griesgram und drückt ihm aus Luftballons geformte Pfeile und Bogen in die Hand. Der Griesgram soll damit in ein rosafarbenes Herz schießen, das der Spaßmacher soeben einer jungen Dame gereicht hat. Unter Anfeuerungsrufen des Publikums gelingt es ihm im dritten Versuch. „Bravo!“ und „Molodez!“ rufen die Passagiere und fragen: „Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?“ Der junge Mann deutet nur vielsagend mit dem Finger nach oben, dorthin, wo fünfzig Meter Schmutz uns vom Moskauer Nachthimmel trennen. Als der Zug dann doch noch die Station erreicht, springt der junge Mann aus dem Waggon und verschwindet in der Menschenmenge, genauso unverhofft, wie er erschienen war. Applaus und Gejohle hallen ihm aus dem Wagen hinterher. Ich vernehme Sätze wie: „Wie gut, dass der Zug stecken geblieben ist.“ Seit langem bin ich mit mir und der Stadt mal wieder im Reinen.
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