V 08 11 - Московская немецкая газета

Nr. 06 (397) 26.03. bis 08.04.2015
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UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR • GEGRÜNDET 1870
MACHTWORT
GOTTESWORT
Putin erklärt in TV-Film
die Geschehnisse auf
der Krim vor einem Jahr.
Neun Fakten
zum „Krimi“.
Wie ein deutscher
Pastor nach 80 Jahren
lutherisches Leben
in Sibirien wiederbelebte.
08
11
ЯЗЫК МОЙ 
ДРУГ МОЙ
Как вызвать
интерес
к немецкому
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STICH W O R T E
»
Wenn Touristen zu uns
kommen und mit dem Russland der Balalaikas, Troikas und
Matrjoschkas Bekanntschaft
schließen, dann nervt das viele.
Ich zum Beispiel bin auch genervt.
Wir verkaufen in der Eremitage
keine Matrjoschkas. Das ist nicht
das Bild von Russland, das wir
vermitteln möchten.
Eremitage-Direktor Michail Piotrowskij im Radiosender „Echo Moskwy“.
Skoda Fabia
Opel Astra
Seat Leon
Chevrolet Cruze
Suzuki Grand Vitara
Citroën C1
»
»
Dann werden dänische
Kriegsschiffe zu Zielen russischer Atomraketen.
Russlands Botschafter in Dänemark,
Michail Wanin, in der Zeitung „Jyllands Posten“ zu den Folgen einer
dänischen Beteiligung am geplanten
NATO-Raketenschutzschild.
Promo (6)
Heute wird St. Petersburg
zum Zentrum einer neuen
Revolution: der Revolution der
Optimisten.
Fjodor Birjukow von der linkskonservativen Rodina-Partei in St. Petersburg auf einem Forum von Nationalisten aus ganz Europa.
»
Außer Drohen können sie
nichts. Deshalb sind sie politisch so erfolglos.
CDU-Außenpolitiker Karl-Georg
Wellmann auf n-tv.de in einem Kommentar zum selben Thema.
Vollbremsung! Diese Autos verschwinden vom russischen Markt
Der Astra von Opel gehört in Deutschland
zu den beliebtesten Pkw. In Russland lief der
Absatz eher schleppend. Und jetzt wird er ganz
eingestellt. General Motors zieht sich wegen des
Konjunktureinbruchs komplett aus dem russischen Markt zurück, damit rollt auch die Konzerntochter Opel ins Abseits (siehe Seite 5).
Das Schicksal des Opel Astra teilen andere prominente Autotypen, die dem Preisdruck nicht
standhalten konnten. In Russland werden nur
noch Restbestände verkauft, dann ist Schluss. In
der Regel handelt es sich um Autos mit geringer
oder ohne Lokalisierung. Der Import macht sie
wegen des schwachen Rubels unattraktiv.
Die Hersteller reagieren mit drastischen Maßnahmen wie diesen auf immer neue Horrorzahlen aus Russland, wo der Markt lange nur eine
Richtung kannte: nach oben. Doch schon 2014
ging es 10,3 Prozent nach unten. Und die Krise
spitzt sich zu: Im Februar lag das Minus gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei 37,9 Prozent.
РЕКЛАМА
»
Sobald Sie sich gewaschen
haben.
Twitter-Antwort von Alexej Walow,
Chef des Schtschjolkowo-Kreises im
Moskauer Land, auf die Frage eines
Einwohners, wann es in der Stadt, die
mit der Bekämpfung ihrer Abwässer
überfordert ist, zu stinken aufhöre.
02
POLITIK
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Kabale um die Rente
Russland und sein ewiger Sonderweg. Das Rentensystem zum Beispiel.
Seit 1932 hat sich das Renteneintrittsalter nicht mehr verändert und
gehört zu den niedrigsten der Welt. In der Krise ist der Streit um
seine Erhöhung neu aufgeflammt. Und sogar Präsident Putin hat ihn
nicht gleich im Keim erstickt.
Tino Künzel
Heraufsetzung des Eintrittsalters auf 63 Jahre? In der Regierung gibt es pro und contra
Ist die Rente in Russland sicher?
Die Meinungen sind geteilt.
Von Tino Künzel
Mit der Rente könnte einmal alles
stehen und fallen. Die ganze schöne
soziale Stabilität. Vielleicht sogar
das Vertrauen in den Präsidenten.
Zumindest aber ein Lebensmodell, das über Jahrzehnte Bestand
hatte. Das könnten viele übelnehmen. Und auf dieser Flanke riskiert
die russische Staatsführung lieber
nichts. 2011 erklärte Wladimir
Putin, der damals zwischenzeitlich
Premierminister war, die unpopuläre Diskussion um eine Anhebung des Rentenalters sei für die
nächsten fünf Jahre tabu. Frühestens 2016 wolle man zu der Frage
zurückkehren, wenn überhaupt.
In Russland könnte
es bereits 2035 so
viele Rentner geben
wie Berufstätige.
Ähnlich hat sich Putin dann
auch im Präsidentschaftswahlkampf geäußert, bevor er wieder
in den Kreml einzog. Doch das
war vor der Krim, vor den Sanktionen, vor der Wirtschaftskrise.
Und schon damals warnten Experten wie der von Putin geschätzte
ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin, Russland werde um
ein steigendes Rentenalter nicht
herumkommen und damit eine
Entwicklung nachvollziehen, die
andere Industriestaaten längst
durchgemacht haben.
Bisher gilt in Russland ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren für
Männer und von 55 Jahren für
Frauen. In den nördlichen Regionen sind es wegen der erschwerten Lebensbedingungen noch
fünf Jahre weniger. Außerdem
gelten zahlreiche Ausnahmen für
bestimmte Berufsgruppen.
Das Eintrittsalter gilt unverändert seit Einführung des Rentensystems im Jahr 1932. Damals war
die Lebenserwartung noch erheblich niedriger, inzwischen liegt sie
auch in Russland bei 71 Jahren.
Schon deshalb halten Kritiker eine
Anpassung längst für überfällig.
Und zu den Standardargumenten
wie dem Bevölkerungsschwund
und dem Defizit im Rentenfonds
hat sich nun auch noch die prekäre wirtschaftliche Lage gesellt, die
Finanzreserven wie den Nationalen
Wohlstandsfonds dahinschmelzen
lässt. Neue Einnahmequellen zu
erschließen, kann vor diesem Hintergrund weder kurz- noch langfristig schaden.
Prominenter Fürsprecher einer
Reform ist Finanzminister Anton
Siluanow. Im Februar schlug er
vor, ab 2018 das Eintrittsalter jedes
Jahr um ein halbes Jahr zu erhöhen,
bis es für Männer und Frauen gleichermaßen 63 Jahre beträgt. Ihm
zur Seite sprang Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, der auf dem
jährlichen Gaidar-Forum sagte,
die Lebenswirklichkeit habe sich
kardinal gewandelt. Die Zeiten, als
ältere Menschen allein von ihrer
Rente abhängig waren, seien vorbei. Heute würden auch die meisten Rentner weiter einer bezahlten
Tätigkeit nachgehen und hätten
somit verschiedene Einkünfte zur
Verfügung. Davon könne auch die
Einstellung zur Rente als solche
nicht unberührt bleiben.
Nach Expertenprognosen könnte es in Russland bereits 2035 so
viele Rentner geben wie Berufstätige. Das hält kein Rentensystem aus.
Bereits heute haben die Belastungen für den Rentenfonds kritische
Ausmaße erreicht. 2010 sprengte das Defizit erstmals die Marke
von einer Billion Rubel und konnte
auch durch die Erhöhung der Sozialabgaben von 26 auf 34 Prozent
nur teilweise ausgeglichen werden.
Im Jahr 2015 sind Transferleistungen aus dem Haushalt in den Rentenfonds in Höhe von 2,8 Billionen
Rubel geplant – umgerechnet rund
43 Milliarden Euro. Eine gigantische Summe, die beinahe den
Gesamtausgaben für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi
entspricht. Kritiker dieser Praxis
rechnen vor, dass eine Angleichung des Renteneintrittsalters
für Männer und Frauen auf dem
Niveau von maximal 63 Jahren bis
2030 die Zahl der Rentenempfänger von 41,1 auf 35 Millionen Menschen senkt. Damit könnte zumindest die Schieflage des Rentensystems reduziert werden.
Präsident Putin hat die Diskussionen zugelassen, ohne sich selbst
daran zu beteiligen. Dafür meldete
sich immer wieder der sogenannte „soziale Block“ der Regierung
um Vizepremier Olga Golodez
zu Wort und erteilte sämtlichen
Reformplänen eine Absage. In
„näherer Zukunft“ gebe es nichts
zu erörtern, sagte sie neulich. Stattdessen würden die Rahmenbedingungen verbessert, damit Berufstätige auch nach Erreichen des Rentenalters weiter arbeiten könnten.
Bereits im Januar war eine neue
Rentenformel in Kraft getreten, die
bei einem freiwilligen Verzicht auf
die reguläre Rente zum frühestmöglichen Zeitpunkt deren spätere
überproportionale Steigerung vorsieht. Wer etwa zehn Jahre später
in Rente geht, dessen Rente wird
sich demnach verdoppeln.
Aber auch vor radikalen Maßnahmen in der entgegengesetzten Richtung scheint die Regierung nicht
zurückzuschrecken. Zumindest
wurde die Öffentlichkeit zuletzt von
einer Initiative des Finanzministeriums aufgeschreckt, ab 2016 Rentnern, die weiter berufstätig sind,
für die Zeit der Arbeit die Rente zu
streichen. Die Rede war allerdings
nur von Rentern mit einem Jahreseinkommen ab einer Million Rubel.
Das beträfe 220 000 Menschen.
Lesen Sie auf Seite 7 vom Leben
einer russischen Rentnerin.
Von wegen altes Eisen
Moskauer NGO bringt Rentner mit Bildungsangeboten unter Menschen
Tatjana Panfjorowa
Vereinsamung ist eine Volkskrankheit der Moderne, und
gerade Alte sind davon betroffen. Was tun? Die Moskauer
NGO „Zentrum Perspektive“ von
Anne Hofinga will Rentner mit
kostenlosen Bildungsangeboten
zusammenbringen. Jetzt ist das
Projekt angelaufen.
Von Clara Vuillemin
Sie treffen sich jeden Dienstagnachmittag. Fünf Rentnerinnen
und zwei junge Frauen sitzen
neuerdings einmal die Woche in
der Mitte eines großen und hellen
Saales im Kreis. Durch die Fenster
des roten Backsteinbaus scheint
die Sonne auf Zimmerpflanzen,
gestapelte Stühle und einen Flügel. Die Stimmung ist entspannt,
es wird viel gelacht. Es ist schließlich auch komisch, wenn älteren
Damen sich darin üben, schwierige Lautfolgen schnell nachzusprechen und sich dabei immer wieder
verheddern.
Hier treffen sich das digitale
und das analoge Zeitalter.
Der Kurs über die Kunst des
Schauspiels, die Entwicklung der
Sprache und des Gedächtnisses
hat gerade erst begonnen und richtet sich explizit an Menschen, die
nicht mehr im Berufsleben stehen.
Die Moskauer Wohltätigkeitsorganisation „Zentrum Perspektive“
will mit diesem Projekt, das sie
„Silbernes Zeitalter“ nennt und
in den eigenen Räumlichkeiten
durchführt, der Großstadteinsamkeit im Alter begegnen. Das Zentrum wurde 1998 auf Initiative der
Deutschen Anne Hofinga gegründet und hilft Menschen in schwierigen Lebenslagen.
Eine der Kursteilnehmerinnen ist
Janna. Die ehemalige Chemikerin
hat schon verschiedene ähnliche
Angebote genutzt, aber auch viele
wieder abgebrochen. Hier fühle sie
sich wohl und nicht unter Druck
gesetzt, sagt sie. Das Angebot an
Kursen ist breitgefächert, es reicht
bis zu Vokal- oder Theatertherapie
und ist damit auch innovativ und
ungewöhnlich.
Janna lebt allein, ihr Mann ist
gestorben. Bei einer Augenoperation wurde ihre Sehfähigkeit wiederhergestellt, jetzt will sie „so viel
wie möglich erleben“. Der Kontakt
zu den jüngeren Frauen, die ihren
Kurs leiten, tut ihr gut. Von ihnen
werde sie „wenigstens nicht wie ein
Dinosaurier angeschaut“, meint sie
lachend.
Hilfsbedürftig wirken die Kursteilnehmerinnen nicht. Sie studieren an diesem Nachmittag Lieder
und Gedichte ein, um damit später in staatlichen Altersheimen
aufzutreten.
Eine der Damen bleibt anschließend gleich für den nächsten Kurs:
dem „ABC der Computerfertigkeit“. Dort lernen sie und andere,
mit Textprogrammen, E-Mail und
Skype umzugehen. Die Nachfrage
ist groß, es gibt mehr Interessenten, als Computer zur Verfügung
stehen.
Dabei hatte es sich in der Vergangenheit als durchaus schwierig
erwiesen, Rentner zu kontaktieren.
Versuche mit Zeitungsanzeigen
schlugen fehl. Erfolgreicher war
man mit herkömmlichen Abrisszetteln. So ist auch Janna auf das
Angebot aufmerksam geworden.
Längerfristig erhofft sich Anne
Hofinga allgemein eine bessere
Einbindung von Rentnern als freiwillige Helfer in ihrer Organisation.
Zum Beispiel suche man ehemalige
Lehrkräfte als Nachhilfelehrer für
sozial benachteiligte Kinder und
Jugendliche. Und eine Vision für die
Zukunft ist, dass das Projekt eine
Eigendynamik annimmt, also aus
Kursteilnehmern Kursleiter werden, die auch selbst Werbung für
die Kurse machen. Das „Zentrum
Perspektive“ müsste dann nur noch
die Räume zur Verfügung stellen.
03
BLICKPUNKT
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Machtkampf der Oligarchen
Die reichsten Männer der Ukraine liefern sich Scharmützel um ihren Einfluss
Im Osten der Ukraine hält die
Waffenruhe weitgehend, dafür
bricht nun ein Konflikt auf, den
Russland schon immer an die
Wand gemalt hat: Die Oligarchen
wehren sich gegen die Eindämmung ihres Einflusses. Nun wurde
Igor Kolomojskij, der Gouverneur
von Dnepropetrowsk, entlassen.
Getrennte Wege: Präsident Poroschenko, Oligarch Kolomojskij.
Petro Poroschenko hat einen
Machtkampf entschieden, der die
Ukraine tagelang in Atem hielt:
Der ukrainische Präsident gab die
Entlassung von Igor Kolomojskij,
Gouverneur der ostukrainischen
Region Dnepropetrowsk, bekannt.
Der Oligarch hat verloren. Fürs
erste.
Kolomojskij hatte dem ukrainischen Präsidenten im Zentrum der
Hauptstadt den Fehdehandschuh
hingeworfen. 30 maskierte Männer
ohne Abzeichen, mit Maschinengewehren bewaffnet, waren in die
Zentrale des Öl- und Gasförderers
„Ukrnafta“ gestürmt. Dann errichteten Handwerker ein massives
Metallgitter vor dem Eingang.
Als später in der Nacht der
sichtlich gut gelaunte Kolomojskij
selbst auftaucht und den Journalisten erklärt, dass er das Unternehmen auf diese Weise vor einer
drohenden Übernahme durch seine
Konkurrenten schütze, die Teil des
Reuters / PIXSTREAM
Von Moritz Gathmann (n-ost)
organisierten Verbrechens seien,
sind die letzten Zweifel beseitigt –
der Kampf der Oligarchen um ihren
Einfluss ist in der Ukraine ist offen
ausgebrochen. Und wenn Leute wie
Kolomojskij ihre Interessen mit
Hilfe bewaffneter Sturmtrupps im
Zentrum Kiews verteidigen, steht
nicht weniger als die Stabilität des
Staates auf dem Spiel.
Warum der Konflikt gerade in
der Ölbranche aufgebrochen ist,
erklärt der Politologe Jurij Romanenko: „Die Ressourcen der Oligarchen schwinden, damit verstärkt
sich der Kampf um jene Bereiche,
in denen leicht Kapital zu verdie-
РЕКЛАМА
H I E R
nen ist.“ Zudem fürchteten Oligarchen wie Kolomojskij, dass der
Kontrollverlust über einen Bereich
ihre Imperien insgesamt zum Wanken bringt.
Kolomojskij ist nicht der einzige
Oligarch des Landes, aber bislang
schien er wie der absolute Gewinner unter ihnen. Manchen Beobachtern galt er gar als unantastbar,
weil er das Land im Osten gegen die
Separatisten verteidigt.
Die anderen Oligarchen dagegen sind im vergangenen Jahr tief
gefallen. Rinat Achmetow, immer
noch der reichste Ukrainer, hat mit
dem Zusammenbruch der von ihm
W E R D E N
S I E
finanzierten „Partei der Regionen“
seinen politischen Einfluss und
mit der Abspaltung der „Volksrepubliken“ die Kontrolle über seine
wichtigsten Aktiva verloren. Dmitrij Firtasch, eine Schlüsselfigur in
den ukrainisch-russischen Beziehungen und im ukrainischen Gassektor, sitzt in Wien fest, von wo
ihm die Auslieferung an die USA
droht. Und der Röhrenproduzent
Viktor Pintschuk, Schwiegersohn
des Ex-Präsidenten Kutschma, hat
durch die Krise mit Russland seinen wichtigsten Kunden verloren.
Wie schwierig es sein kann, die
Macht der ukrainischen Oligarchen
F Ü N D I G !
zu brechen, zeigt sich am Beispiel
von Kolomojskij: Mit knapp zwei
Milliarden Dollar (laut Forbes) ist
er nicht nur einer der reichsten
Männer des Landes. Seine Bank
„Privat“ ist die größte des Landes,
ein Zusammenbruch würde den
gesamten Bankensektor zerstören.
Seit dem Sturz von Janukowitsch
hat sich Kolomojskij zudem bedeutendes politisches Kapital erarbeitet: Er ließ sich von der Übergangsregierung zum Gouverneur
seiner Heimatregion Dnepropetrowsk ernennen. Mit der Aufstellung eigener Freiwilligenbataillone
wie „Dnepr-1“ nach dem Beginn
der separatistischen Bewegung
im Osten des Landes schuf sich
Kolomojskij sich eine Privatarmee,
die er gegen die Separatisten einsetzt, die aber – wovor Beobachter immer wieder gewarnt hatten
– auch für eigene Interessen im
Rest des Landes zum Einsatz kommen könnte. Genau dies ist jetzt
offenbar geschehen: Auf die Frage,
wer sie seien, antwortete der Kommandeur der Bewaffneten vor der
„Ukrnafta“-Zentrale: „Dnepr-1“.
Politologe Romanenko sieht in
der Entlassung Kolomojskijs einen
taktischen Rückzug. Er rechnet mit
Versuchen Kolomojskijs, die politische Situation zu destabilisieren:
„Die nächsten anderthalb Monate
werden entscheidend sein für die
Macht Poroschenkos.“
04
WIRTSCHAFT
RIA Novosti
Verhandeln gegen
die Inflation
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
In den Unternehmen finden momentan
harte Lohnverhandlungen statt
Die steigende Inflation und der abgestürzte Rubel führen in Russland
zu sinkenden Reallöhnen. Daher sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
derzeit miteinander an den Tischen und reden über Lohnerhöhungen.
Die Arbeitnehmer müssen sich dabei fast immer auf Senkungen der
Realeinkommen einstellen.
Viele Arbeitnehmer fordern derzeit Erhöhungen ihrer Rubelgehälter.
Von Christian Tegethoff
Im Zusammenspiel mit den beidseitigen Sanktionen hat der Sinkflug
des Rubelkurses zu einem starken
Anstieg der Verbraucherpreise
geführt: Die offizielle Inflationsrate lag 2014 mit 11,4 Prozent fast
doppelt so hoch wie im Vorjahr.
Nach Ansicht vieler Arbeitnehmer
schließt der dafür zu Grunde liegende Warenkorb viele Produkte
noch nicht einmal angemessen ein,
die sich besonders verteuert haben
– etwa Handys, Autos oder Kühlschränke. Die tatsächliche Preissteigerung für den russischen Verbraucher dürfte deutlich über den amtlichen Angaben liegen – die gefühlte
tut dies in jedem Fall.
Entsprechend hart wurde in den
letzten Monaten in vielen russischen Unternehmen und den Vertretungen ausländischer Firmen
um Anpassungen der Rubelbezüge
gerungen. Für die Unternehmen
kamen Forderungen nach Gehaltserhöhungen allerdings zur Unzeit;
die meisten Branchen haben mit
sinkenden Umsätzen, Einfuhrbeschränkungen und dem Kaufkraftverlust der Kunden zu kämpfen.
Aus Sicht vieler Unternehmensleitungen hat sich vor diesem Hintergrund weniger die Frage von
Lohnerhöhungen gestellt, sondern
eher die nach betriebsbedingten
Entlassungen. Andererseits sollten
die Leistungsträger weiterhin an die
Unternehmen gebunden werden.
Wie haben die Firmen auf diese
komplizierte Situation reagiert? In
den betriebsinternen Verhandlungen haben sie verschiedene Antworten gefunden, wie eine Mandantenumfrage der Personalberatung CT Executive Search zeigt.
„Wir haben von unseren Mitarbeitern keinen Druck bekommen,
nur höfliche Bitten um Überprüfung der Gehälter“, berichtet die
Personalleiterin eines internationalen Produzenten von Bau- und
Bergbaumaschinen. Das Unternehmen beschäftigt mehrere hundert
Mitarbeiter an einer Reihe von Vertriebsstandorten in Russland. Die
Unternehmensleitung hat letztlich
auf eine Anpassung der Gehälter
verzichtet.
Aus Mitarbeitersicht fielen die
Abschlüsse im Konsumgüterbe-
reich etwas besser aus. So hat eines
der befragten Unternehmen die
Rubelgehälter seiner gut 3000 Mitarbeiter um immerhin 4,5 Prozent
angepasst – liegt damit aber immer
noch deutlich unter der Inflationsrate. „Unseren Mitarbeitern ist ihr
stabiler Arbeitsplatz so wichtig,
dass sie Reallohneinbußen hinnehmen“, so die Erklärung aus der Personalabteilung des multinationalen
Unternehmens. Die Firma verfolgt deshalb eine zurückhaltende
Gehaltspolitik, wie auch der Wettbewerb. Mit mitarbeiterseitigen
Kündigungen wird nicht gerechnet.
Die Personalleiterin eines internationalen Produzenten von Schmierstoffen beschreibt eine kompliziertere Lage: „Wir sind wirtschaftlich
unter Druck, müssen aber trotzdem
versuchen, unser Team zusammen-
I N F O
Flugs gekündigt
Fehlende Gehaltsanpassungen
sind manchmal auch ein Kündigungsgrund. Erst vor wenigen
Monaten haben wir über den
deutschen Piloten Klaus-Dieter
Rohlfs berichtet, der der erste
ausländische Pilot bei der russischen Fluggesellschaft Aeroflot
war. Nun hat er nach wenigen
Monaten gekündigt. Hauptgrund
neben Mobbing und nicht eingehaltenen Absprachen der Personalabteilung war angeblich, dass
sein Rubelgehalt aufgrund der
Inflation weniger wert geworden
ist. Die letzten Gehaltsanpassungen gab es bei Aeroflot wohl im
August 2013.
zuhalten.“ Hintergrund sind Abwerbeversuche der russischen Wettbewerber, die sich angesichts der
Zurückhaltung der ausländischen
Unternehmen aktiv um Marktanteile bemühen. Trotz des abnehmenden Verbraucherinteresses sah
sich das Unternehmen deshalb zu
Gehaltsaufschlägen gezwungen: so
stiegen die Rubelbezüge aller Mitarbeiter um durchschnittlich 6,4
Prozent, hinzu kam ein Bonus von
50 000 Rubel für jeden Mitarbeiter,
um wechselkursbedingte Kaufkraftverluste zu kompensieren.
Für eine differenzierte Herangehensweise entschied sich auch ein
befragtes deutsches Unternehmen
aus dem Maschinen- und Anlagenbau mit Vertriebsbüro in Moskau.
In enger Abstimmung mit der Personalabteilung hat die Geschäftsführung einen „strategisch wichtigen“ Mitarbeiterkern identifiziert,
der im Unternehmen gehalten werden soll. Dieser erhielt eine Gehaltsanhebung von 5,7 Prozent. Für die
anderen Mitarbeiter gab es keinerlei
Anpassung; Kündigungen aus dieser Gruppe werden in Kauf genommen – und sind durchaus gewollt.
Mit Forderungen nach einer
Kompensation für die Rubelabwertung bissen die Mitarbeiter auf Granit: „Wir diskutieren mit russischen
Mitarbeitern grundsätzlich nicht
über Wechselkurse, auch wenn sie
das Thema ständig ansprechen“,
erläutert ein Manager den Unternehmensstandpunkt. Diese Sichtweise teilten praktisch alle befragten Unternehmen: „Die Ausgaben
unserer russischen Kollegen sind
ja in Rubel notiert“, so die Begründung eines Geschäftsführers, „die
vernünftige Referenzgröße für Vergütungsgespräche ist deshalb die
offizielle Inflationsrate“. Die meisten der Unternehmen haben die
Referenzgröße
»für DieGehaltsgespräche
ist die offizielle
Inflationsrate.
Rubelgehälter etwa in Höhe der halben Inflationsrate des Jahres 2014
(fünf Prozent), angehoben. Einige
haben sich zusätzlich verpflichtet,
zur Jahresmitte eine weitere Analyse vorzunehmen und die Vergütung
bei Vorliegen neuer Rahmenbedingungen noch einmal anzuheben.
Für die Arbeitnehmer bedeuten die
Verhandlungsergebnisse der letzten
Monate fast immer einen Rückgang
der Realeinkommen – das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung rechnet für 2015 mit einer
Inflationsrate von 12,2 Prozent.
Christian Tegethoff ist Geschäftsführer von CT Executive Search
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Das vergangene Jahr war eines der
schwierigsten seit dem Übergang
Russlands in ein marktwirtschaftlich
und demokratisch geprägtes Land.
Die Verschärfung der Spannungen
zwischen dem „Westen“ und Russland
hatten massive Auswirkungen auf die
russische Wirtschaft und auf die hier
aktiven deutschen Unternehmen. Am
Ende des Jahres stand ein Minus von
18 Prozent bei den deutschen Exporten nach Russland. Dieser Rückgang
spiegelt die Beschränkungen durch die
Sanktionen, aber auch den seit 2012
anhaltenden Rückgang des Wachstums
der russischen Wirtschaft wider. Die
Folgen der ungünstigen Rahmenbedingungen sind die merkliche Zurückhaltung bei neuen Investitionsprojekten und eine mit 90 Prozent einmalig
schlechte Bewertung der wirtschaftlichen Perspektive für 2015 durch die
Unternehmen. Der Handlungsspielraum der russischen Regierung bleibt
unter diesen Umständen begrenzt. In
einem ersten Schritt wurde das Budget
gekürzt. Begleitend verabschiedete
das Kabinett einen Antikrisenplan,
der Zahlungen an systemrelevante
Finanzinstitute ebenso wie an große
Unternehmen vorsieht. Darüber hinaus
sollen Sozialleistungen finanziert, der
Mittelstand gefördert und Importsubstitutionen angeregt werden. Den
Königsweg sieht Russland in der seit
Jahren zur Modernisierung favorisierten Lokalisierung. Dieses Prinzip hat im
Automobilbau gut funktioniert. Es wird
zukünftig entscheidend sein, welche
Währungspolitik von der Zentralbank
und dem Finanzministerium präferiert
wird. Sollte der Rubel auf dem derzeitigen Niveau verbleiben, würden
reale Anreize geschaffen, weitere
Produzenten nach Russland zu locken.
Perspektivisch wäre diese Politik auch
eine Exportförderstrategie, die denjenigen Unternehmen die Entscheidung
erleichtern würde, für die Russland als
Absatzmarkt nicht genügend Volumen
bietet. Der Zeitpunkt für den Einstieg
in Russland oder ein intensiveres
Engagement ist günstig. Die Marktpreise haben sich deutlich nach unten
entwickelt und der Euro-Rubelkurs
lässt den Kaufpreis deutlich günstiger
werden. Internationale Wettbewerber
haben sich aus dem Markt zurückgezogen, die nationalen leiden unter den
makroökonomischen Konditionen.
Die notwendige Bedingung dafür ist
die Rückgewinnung von Vertrauen –
augenblicklich werden zwar in vielen
russischen Regionen gute Rahmenbedingungen für Investitionen geschaffen, aber potentielle Investoren zeigen
Zurückhaltung. Auf der anderen Seite
gilt es, Marktanteile, die an asiatische
Mitbewerber verloren wurden, künftig
zurück zu gewinnen.
05
WIRTSCHAFT
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
„Wir Deutschen wurden vermisst”
Zur MITT-Messe in Moskau
kamen Mitte März fast keine
deutschen Aussteller. Dass viele
der Tourismusmesse fern blieben,
hatte neben politischen auch
finanzielle Gründe: die Gebühren
der Messe stiegen deutlich, die
russischen Urlauber in Deutschland blieben aus.
Simon Schütt
Deutsche Aussteller mieden die diesjährige Moskauer Tourismusmesse
Von Simon Schütt
Auf der größten russischen Tourismusmesse MITT in Moskau war
dieses Jahr die Region Sachsen das
Aushängeschild Deutschlands. Das
lag nicht daran, dass das Bundesland Bayern als Urlaubermagnet in
Deutschland den Rang abgelaufen
hat, sondern daran, dass Sachsen
als einziger deutscher Vertreter
gekommen war.
Nur im Bereich des MedizinTourismus stellten noch einige
deutsche Kliniken auf der Messe
aus. 42 deutsche Aussteller waren
es 2014, in diesem Jahr sind es
noch neun. Darunter die erwähnten Teilnehmer der InterMedMesse für Medizin-Tourismus und
Veranstalter, die aus Deutschland
Reisen nach Indien, Taiwan oder
Italien organisieren.
2014 belegten die deutschen
Stände noch ein großes Areal
in einem Pavillon der Messe im
„Expozentr“ neben der Skyline von
Moskwa City – dieses Jahr musste
man suchen, um den kleinen Sachsen-Stand überhaupt zu finden.
Dort steht Gernod Loose und
vertritt Deutschland. „Wir wollten uns die lange Jahre aufgebaute
gute Beziehung zu Russland nicht
kaputt machen lassen und haben
uns entschieden, trotzdem zu kom-
Der Stand der Krim auf der
Moskauer Tourismusmesse MITT.
men“, sagt er. Neben der schwierigen politischen Lage hätten wohl
auch finanzielle Aspekte dafür
gesorgt, dass so viele deutsche
Aussteller der russischen Tourismusmesse vom 18. bis 21. März
ferngeblieben seien. Der Messebetreiber ITE Russia, der zur ITE
Group mit Sitz in London gehört,
hätte die Gebühren für die europäischen Aussteller im Vergleich zum
Vorjahr drastisch angehoben – um
etwa 40 Prozent.
Im Sachsen-Tourismus habe sich
die Krise lange Zeit fast gar nicht
bemerkbar gemacht, berichtet
Loose. 2014 sei bis zum Jahresende relativ normal verlaufen – erst
im November habe es einen Ein-
bruch gegeben. „Im Januar war es
dann ganz schlimm“, sagt er. Der
schlechte Rubelkurs zum Euro
sei für die russischen Touristen
der entscheidende Faktor gewesen. Dadurch sei ihre Kaufkraft
im europäischen Ausland deutlich
geringer geworden und der Urlaub
in Rubel teurer. Er hoffe daher sehr
auf eine Erholung des Rubels.
Deutschlandweit sank die Zahl
der russischen Urlaubsgäste 2014
um fast ein Fünftel im Vergleich
zum Vorjahr. Von 2009 bis 2013
war diese Zahl zuvor stetig gestiegen. Er bedauere sehr, dass weniger
Russen nach Deutschland kämen,
sagt Loose. Am fehlenden Interesse Deutschlands an den rus-
sischen Touristen läge es sicher
nicht, dass die deutschen Aussteller auf der MITT ausblieben.
Russische Touristen sind im Ausland dafür bekannt, bei ihren Reisen überdurchschnittlich viel Geld
auszugeben.
Es dürfte die Kombination aus
Krise, politischer Verstimmung
und Rubelkurs sein, die dazu führt,
dass Russen Reisen in das europäische Ausland momentan meiden.
Der ausgehende Tourismus aus
Russland ist in diesem Jahr zwischen 50 und 70 Prozent gefallen,
sagt Irina Tjurina, die Sprecherin des Verbands der Russischen
Tourismus-Industrie.
Für den Tourismus im eigenen
Land gilt das nicht. Im gesonderten Russland-Pavillon der Messe
ist neben Moskau, Sankt Petersburg und Sotschi dieses Jahr auch
der Grund für die Verstimmungen
prominent vertreten: die Krim. Der
riesige Stand soll Touristen auf die
Halbinsel locken. Die Frau hinter
dem Stehtisch weist gleich auf die
enormen Rabatte, die für Reisen auf
die Krim gelten, hin. Internationale
Besucher hätten zwar großes Interesse an ihrem Stand gezeigt, vor
allem aber wegen des Politikums.
Eine ältere Dame kommt an
Looses Sachsen-Stand und fragt,
wo die anderen deutschen Aussteller seien. „Dieses Jahr sind nur
wir hier“, sagt Loose entschuldigend. „Das ist wirklich sehr schade und ein schlechtes Signal“, sagt
sie. Loose berichtet, im Verlauf der
Messe hätten viele Besucher nach
den deutschen Ausstellern gefragt:
„Wir wurden vermisst.“ Für die
Region Sachsen sei die Ausstellung
aber erfolgreich gewesen.
Die Autoverkäufe ausgebremst
Opels Weggang aus Russland ist nur ein Anzeichen der Krise in der Autoindustrie
plus von 18 Prozent, BMW immerhin drei Prozent im Vergleich zu
2013 (VW: -40; Audi: -23 Prozent).
2014 wurden in Russland laut
einer Studie der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCooper
2,3 Millionen PKWs verkauft – im
Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von zehn Prozent. 2012 waren
mit 2,8 Millionen noch deutlich
mehr Autos abgesetzt worden.
Das Beratungsunternehmen prognostiziert für das Jahr 2015 verkaufte Stückzahlen von bestenfalls
1,8 Millionen – ein Rückgang von
fast einem Viertel und das Niveau
von 2010. Auch für das Jahr 2016
geht man von ähnlichen Stückzahlen aus. Erst 2019 erhole man sich
wieder auf das Niveau von 2012.
Blickt man auf 2014 zurück, gab
es einige Besonderheiten. Im März
lagen die PKW-Verkäufe etwa auf
dem Niveau des Vorjahres und
brachen dann im August mit der
Verschärfung der politischen Situation um bis zu 26 Prozent ein. Mit
dem Rubelabsturz im November
und Dezember drängten mehr und
mehr Kunden zu den Autohänd-
lern, um ihre Rubel in Fahrzeuge
anzulegen – Kasachen und Weißrussen kauften damals in Russland
schätzungsweise 90 000 Neuwagen
– im Dezember konnte daher sogar
ein Wachstum von zwei Prozent
verzeichnet werden.
Bemerkenswert ist zudem, dass
ausländische Marken mit lokalisierter Produktion 2014 bei den verkauften Stückzahlen nur ein Minus
von zwei Prozent verzeichneten,
lokale Marken hingegen ein Minus
von 15 Prozent. Importierte Marken
verloren 20 Prozent. Bei den Dollar-Umsätzen machten die lokalen
Marken wechselkursbedingt mit 25
Prozent die größten Verluste. Um
dem entgegenzuwirken, plant die
Regierung die Förderung russischer
Autohersteller mit umgerechnet
390 Millionen Euro.
sim
РЕКЛАМА
Die Autoindustrie in Russland fährt
derzeit mit angezogener Bremse.
Opel kündigte nun an, man werde
sich bis Ende des Jahres vollständig
aus dem russischen Markt zurückziehen. In den VW-Werken in
Kaluga und den Nissan-Werken in
Sankt Petersburg wurden die Produktionen zurückgefahren.
Opels Rückzug ist nicht verwunderlich, verzeichnete die
Marke doch laut einem Bericht
der Association of European Businesses im gesamten Jahr 2014
einen Rückgang der Verkaufszahlen um 20 Prozent im Vergleich
zum Vorjahr. Allein in den ersten Monaten des neuen Jahres
sanken die Zahlen um über 80
Prozent. Nun hat der Mutterkonzern General Motors sogar einen
Schlussverkauf bis 30. April mit
einen Rabatt von 25 Prozent auf
alle 2014 hergestellten Opel ausgerufen – allerdings nur bei einer
geringen Händlerzahl.
Den übrigen deutschen Marken
in Russland geht es besser: Mercedes verzeichnete im Januar und
Februar sogar ein Verkaufszahlen-
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,
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Dr. Andreas Knaul
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Zinsen für fremde
Geldmittel
Ab dem 1. Juni werden in Russland Zinsen für die Verwendung
fremder Geldmittel infolge deren
unrechtmäßiger Einbehaltung bzw.
Zahlungsverzug in Höhe der durchschnittlichen Bankzinsen auf Einlagen natürlicher Personen für einen
bestimmten Zeitraum festgelegt. Der
Zinssatz beträgt derzeit 13,85 Prozent. Aktuell werden die Zinsen für
die Verwendung fremder Geldmittel
in Höhe des Finanzierungssatzes
der russischen Zentralbank in Höhe
von 8,25 Prozent erhoben. Entsprechende Änderungen wurden durch
das föderale Gesetz Nummer 42-FZ
„Über die Einbringung von Änderungen in Teil 1 des Zivilgesetzbuches
der Russischen Föderation“ vom 8.
März eingebracht.
Verdopplung der
Verzugszinsen
In die Staatsduma der Russischen
Föderation wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Verzugszinsen für die verspätete Zahlung
von Steuern und anderen Abgaben
praktisch verdoppelt. Es ist vorgesehen, dass der Verzugszinsensatz
als 1/165 des geltenden Refinanzierungssatzes der Zentralbank der
Russischen Föderation angesetzt
wird. Derzeit werden die Verzugszinsen ausgehend vom 1/300 des
Refinanzierungssatzes der Zentralbank der Russischen Föderation
berechnet. Falls der Gesetzentwurf
verabschiedet wird, verlieren die
Steuerzahler der Auffassung der
Urheber des Gesetzentwurfes nach
den ökonomischen Anreiz, die verspätete Zahlung von Steuern und
sonstigen Abgaben als Alternative
des Bankkredits anzuwenden.
Höhere Steuern für
Arbeitgeber mit
Ausländern
In die Staatsduma wurde ein
Gesetzentwurf eingebracht, der die
Steuerlast von Arbeitgebern, die
ausländische Mitarbeiter (ausgenommen hochqualifizierte Spezialisten) einsetzen: die Steuersätze
werden um ein Drittel erhöht, falls
der Anteil der ausländischen Arbeitnehmer in der vorausgegangenen
Berichts- bzw. Steuerperiode über
30 Prozent der durchschnittlichen
Mitarbeiterzahl des Unternehmens
betrug. Die neue Vorschrift betrifft
die Zahler der Gewinnsteuer, der
Einkommensteuer für natürliche Personen, der Einheitssteuer (Flat-Rate
Tax) auf geschätzte Erträge sowie die
Steuerzahler, die das vereinfachte
(erleichterte) Besteuerungssystems
und das Patentbesteuerungssystem
anwenden.
06
GESELLSCHAFT
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Hoher Rang für ein Prachtgebäude
Die Moskauer Staatliche Universität landet überraschend vor allen deutschen Unis
Die MGU landet im neuen „Times
Higher Education“-Ranking
überraschend auf dem 25. Platz
– vor allen deutschen Unis. Die
MDZ wirft deswegen einen Blick
darauf, wie es sich als Student
in dem Prachtbau auf den Sperlingsbergen, dem lange höchsten
Gebäude Europas, lebt.
Von Simon Schütt
Flickr: Stefano
Das jährliche „Times Higher
Education“-Ranking listet die Universitäten mit dem höchsten Prestige weltweit auf. Die beste deutsche Hochschule 2015 ist dort die
LMU in München, die sich im
Vergleich zum Vorjahr von Platz
46 auf 35 verbesserte, gefolgt von
der Universität Heidelberg und der
Humboldt-Uni in Berlin.
Für Russland barg das Erscheinen der diesjährigen Liste eine
große Überraschung: Die Moskauer Staatliche Universität (MGU)
landete auf dem 25. Platz. Im Vorjahr lag sie noch auf einem Platz
zwischen 51 und 61 – die genaue
Platzierung wird ab Rang 50 nicht
mehr angegeben.
Wie es genau zu dieser Verbesserung kam, können sich auch
Experten kaum erklären. Vermutet wird aber, dass eine Reihe von
Maßnahmen des Managements im
Hinblick auf die Hochschulreform
in Russland für das gute Abschnei-
Regina Schmidt (3)
Oben: Das Hauptgebäude der
MGU auf den Sperlingsbergen.
Mitte: Eingangshalle zu den
Wohnbereichen.
Unten links: Blick auf ein
Zweizimmer-Apartment.
Unten rechts: Ein Korridor im
Wohnbereich.
den verantwortlich sind. Die Aussagekraft der Umfrage ist allerdings
begrenzt: Sie bezieht sich lediglich auf den Ruf, den die Universität unter den Wissenschaftlern
genießt, nicht auf die tatsächliche
Qualität der Lehre oder Forschung.
Für die Studie wurden dieses Jahr
10 507 Wissenschaftler aus 150
Ländern befragt – Studenten hingegen nicht.
Prestigeträchtig ist das neoklassizistische Hauptgebäude der
MGU von außen allemal – es
ist die prominenteste der sieben
„Stalin-Schwestern“ und thront
mit 240 Metern Höhe über der
Moskwa. Wie es in dem Gebäude aussieht, ist allerdings weniger
bekannt. Zwei Studenten werfen
für die MDZ einen Blick hinein.
Eine Stadt im Inneren
Das Hauptgebäude der MGU
gleicht einer Stadt mit eigener Infrastruktur und Regeln. Von der
Post und dem Schuster über den
Waschsalon bis hin zum Optiker –
innerhalb der Universitätsmauern
lässt sich alles Notwendige besorgen. Studenten, Professoren und
Universitätsangestellte eilen über
die langen Korridore und durch die
pompösen Hallen – auf dem Weg
zum Unterricht, in eine der Cafeterien oder in den Einkaufsladen.
In gesonderten Wohnbereichen
sind tausende Studenten untergebracht. Als die MGU gebaut wurde,
soll Stalin gesagt haben, „unsere Studenten sollen nicht allein
leben“ und so teilen sich heute je
zwei Personen ein ZweizimmerApartment mit Dusche und Toilette – knapp zwölf Quadratmeter für
jeden. Auf den Etagen befindet sich
eine Gemeinschaftsküche. Viele
statten ihre Zimmer aber mit Mikrowellen und Minikochplatten aus.
Mit Kühlschränken, Teppichen für
die alten Holzböden und anderen
Haushaltswaren wird auf den Korridoren gerne gehandelt. Sonntags
ist der Hauptteil des Gebäudes
gesperrt und nur die Wohnbereiche sind geöffnet. Dann treffen
sich die Studenten im Innenhof
oder auf ihren Zimmern, bevor zu
Beginn der neuen Studienwoche
die Menschenmassen das Gebäude
bis hoch in den 36. Stock anfüllen.
Maria Galland hat von 2011 bis
2012 in der MGU gewohnt.
Stoff für Anekdoten
Als ich erfuhr, dass ich während
meines Auslandssemesters im
Hauptgebäude der LomonossowUniversität wohnen würde, war
ich begeistert davon, Tag und
Nacht in diesem unglaublichen
Bau zu verbringen. Doch wer
ein ebenso spektakuläres Inneres
erwartet, wird leider enttäuscht:
Die Möbel stammen aus älteren
Zeiten, Sauberkeit wird überbewertet und einen Kühlschrank
gibt es auch nicht. Das Leben entspricht zwar nicht dem höchsten
Standard, langweilig ist es aber
auf keinen Fall: Freunde kommen
zu spät zur Verabredung, weil
der Aufzug wieder stecken bleibt,
nachts lernt man Gänge kennen,
die die Teile des Hauptgebäudes
wie ein Labyrinth miteinander
verbinden. Es ist immer etwas los.
Alles in allem ist das Leben in der
Uni eine Herausforderung mit viel
Stoff für zukünftige Anekdoten.
Regina Schmidt macht aktuell ein
Auslandssemester an der MGU.
„Die russische Wissenschaft braucht mehr Kannibalismus“
„Das ist eine weltweit einmalige
Hochschulrevolution. So etwas
gibt es in keinem anderen Industriestaat so brutal, wie es sich hier
in Russland abspielt“, sagt Gregor
Berghorn, der Leiter der Moskauer Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes über
die aktuell in Russland laufende
Hochschulreform.
2013 verabschiedet, stellt sie
Russlands Wissenschafts- und Universitätswelt auf den Kopf. Über
ihre Ziele und Auswirkungen auf
die russischen Hochschulen und
die russische Forschung diskutierten beim „Moskauer Gespräch“
neben Berghorn auch der Dekan
der philosophischen Fakultät der
Moskauer Lomonossow-Universität, Wladimir Mironow und sein
Kollege Sergej Jegorow, der stellvertretende Prorektor und Vorsit-
zende des Entwicklungsprogramms
der Lomonossow-Universität.
Anlass der Reform ist der desolate Zustand der russischen Wissenschaft und Universitäten: Die
Lehrkräfte werden immer älter und
es fehlt an Nachwuchs. Als Arbeitgeber sind die Hochschulen wenig
attraktiv: die Gehälter sind niedrig, Noten und Abschlussarbeiten
werden käuflich. Seit dem Zerfall
der Sowjetunion hat sich der Anteil
privater Hochschulen verfünffacht
und die Studentenzahl verdoppelt.
Etwa 65 Prozent der Schulabgänger in Russland nehmen heute ein
Studium auf. Das entwerte die Studienabschlüsse und führe, so Berghorn, zu einem Fachkräftemangel
in den übrigen Berufsfeldern.
Bis 2020 sollen daher einerseits
die Zahl der Hochschulen verringert, ineffiziente Einrichtungen
geschlossen oder mit erfolgreicheren zusammengelegt werden. Zur
angestrebten Optimierung des
Hochschulsystems gehört außerdem ein Rankingverfahren, das die
Simon Schütt
Experten diskutieren beim „Moskauer Gespräch“ über die Hochschulreform in Russland
Auf dem Podium (v.l.n.r.): Wladimir Mironow, Moderator
Johannes Voswinkel, Sergej Jegorow und Gregor Berghorn.
Bewertung der Bildungseinrichtungen nach objektiven Gesichtspunkten ermöglichen und die russischen Hochschulen nicht nur im
eigenen Land, sondern auch international konkurrenzfähig machen
soll. Außerdem wird die Akademie
der Wissenschaften, als Zentrum
der russischen Forschung aufgelöst
und die Forschungsaufgaben an die
Universitäten delegiert. Zukünftig
soll sie nur noch als Agentur die
Forschungstätigkeiten der Wissenschaftler an den Unis überwachen.
Doch wie reagieren die russischen
Hochschulen auf den Wettbewerb?
„Woher wissen wir, dass wirklich die schlechten Hochschulen
geschlossen werden?“, bemängelt
etwa Mironow. Es fehle eine Expertenkommission, nach rein formalen
Kriterien könne man Wissenschaft
nicht bewerten. Jegorow kritisiert
wiederrum die wachsende bürokra-
tische Belastung: „Die Anzahl der
Berichte, die pro Quartal verfasst
werden müssen, hat sich verfünffacht.“ Besonders unübersichtlich
sei die Situation in den Regionen,
wo der wachsende Konkurrenzkampf um die Studentenzahlen
fantastische Praktiken hervorrufe:
Eine Hochschule in Kasan biete gar
Fernstudiengänge in französischer
Sprache für Studenten in Afrika
an, um ihre Studierendenzahlen
zu erhöhen. Berghorn hingegen
meint, nur der Wettbewerb könne
die russische Wissenschaft retten:
„Die Gehälter müssen durch Kannibalismus erwirtschaftet werden.“
Professoren müssten verschwinden,
damit andere bezahlt werden können. Eine weitere Zielstellung der
Reform ist die Internationalisierung
der Wissenschaft: Die Experten sind
sich einig, dass selbst die gegenwärtig angespannte, politische Situation
keinen negativen Einfluss auf den
wissenschaftlichen Austausch habe.
Peggy Lohse
07
REGIONEN
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
EIN
TAG
IM
LEBEN
VON ...
Tino Künzel (3)
7:00
Früher, als mein Mann Stepan und
ich noch in der Buchhaltung der
Sowchose bei uns im Ort gearbeitet haben, waren wir schon um
sechs Uhr auf den Beinen. Als
Rentner lassen wir es gemütlicher
angehen. Stepan steht als Erster
auf und heizt den Küchenofen mit
Holzscheiten an. Er holt Wasser
vom Brunnen und frische Milch
von unserer Nachbarin Galja –
jeden Tag einen Liter. Ich erinnere mich an Zeiten, als in unserem
Dorf 62 Kühe privat gehalten wurden. Heute sind es nur noch drei.
Galja hat eine davon.
8:00
Wir trinken Tee. Wenn ich
schlecht geschlafen habe oder erst
spät eingeschlafen bin, weckt mich
Stepan nicht, sondern wartet, bis
ich von selbst wach werde. Seinen
Tee nimmt er dann allein zu sich.
9:00
Frühstück. Haferbrei, Bratkartoffeln mit Pilzen, Quark – auf den
Tisch kommt, worauf wir Appetit haben. Das Mittagessen bereite ich gleich mit vor. In unserem
traditionellen russischen Ofen ist
ja viel Platz für Töpfe und Pfannen. Solche Ziegelöfen waren von
alters her ein fester Bestandteil von
Bauernhäusern. Inzwischen sind
sie meist von Gas- oder Elektroherden und modernen Backöfen
abgelöst worden. Aber ich schwöre auf meinen alten Ofen, der eine
gleichmäßige Hitze spendet, die
sich lange hält. Er ist so geräumig,
dass ich die verschiedensten Speisen auf einmal zubereiten kann.
Im Sommer, wenn uns die Kinder
und Enkel besuchen, die über halb
Russland verstreut sind, und wir
eine große Tafel aufbauen, damit
alle gemeinsam verköstigt werden
können, lobt immer jemand meine
Kochkünste. Dass es bei mir besser
schmeckt als im Restaurant, habe
ich jedenfalls schon oft gehört.
das wir seit 47 Jahren bewohnen.
Es stammt aus der Zarenzeit, hat
meinem Onkel und meiner Tante
gehört, die im 19. Jahrhundert
geboren wurden. Ich höre sie noch
auf Lenin schimpfen, weil seine
Bolschewiki den Bauern alles weggenommen haben. Als hier bei uns
die Dörfer zusammengelegt wurden, sind wir aus dem Nachbarort
nach Kosmino gezogen. Und das
Haus musste natürlich mit. Wir
haben es dort ab- und hier wieder aufgebaut. Mein Vater hat die
drei Öfen gemauert. Der Flecken
am Dorfrand könnte schöner nicht
sein, inmitten von Wiesen, die zu
einem Fluss abfallen, nebenan der
Wald, wo wir Pilze sammeln. Und
erst die Luft! Um nichts in der
Welt würde ich in der Stadt leben
wollen.
HEUTE:
Rentnerin Maria
Pritykina (75) aus
dem 500-SeelenDorf Kosmino
in der Region
Archangelsk
12:00
Es kommt nicht oft vor, aber
erzählt vom Alltag
manchmal brauchen wir etwas aus
dem Dorfladen. Dann mache ich
einer russischen
mich auf den Weg. Es sind um die
20 Minuten zu Fuß. Aber wenn ich
10:00
Babuschka
Ich schalte den Fernseher in der gute Bekannte treffe, dann können
Stube an. Es ist ziemlich egal,
was gerade läuft, ich schaue nur
mit halbem Auge hin und widme
mich meinen Handarbeiten:
Decken, Socken, Haus- oder auch
Handschuhen. So etwas kann man
immer gebrauchen. Und es macht
mir Freude, die Verwandschaft
damit zu beschenken. Meine Nähmaschine steht im Schlafzimmer,
das ist einer von drei Räumen im
beheizten Teil unseres Hauses,
es auch ein paar Stunden werden. Wir haben uns immer viel zu
erzählen. Unser Dorf am östlichen
Rand des Gebiets Archangelsk, eine
Tagesfahrt mit dem Zug von Moskau entfernt, hat nur 500 Einwohner, da kennt jeder jeden. Und alle
wissen, was im Ort passiert. Seit die
Sowchose eingegangen ist, gibt es
hier keine Arbeit mehr. Die Leute
sind gezwungen, auswärts zu arbeiten, viele ziehen weg. Zurück blei-
Die Küchenchefin. Maria rangiert Pfannen in den „Bauch“ des Ziegelofens. Auf
ihrer Schürze steht „Mallorca“. Dort ist sie nie gewesen, wie auch anderswo im
Ausland. Sie hat nicht einmal einen Reisepass.
ben wir Alten und die Kinder. Zum
Glück ist die Geburtenrate zuletzt
wieder angestiegen, es denkt keiner
daran, unsere Schule zu schließen.
Vielleicht ist es um die Zukunft ja
doch nicht so schlecht bestellt.
13:00
„Es geht uns gut.“ Maria
Pritykina und ihr Mann Stepan
vor dem gemeinsamen Haus
(hinten) und einem Anbau (links).
15 Uhr werden Serien gezeigt. Das
ist das beste Schlafmittel.
Wenn ich an der Kasse im Laden
stehe, dann merke ich, wie die
Preise gestiegen sind. Aber Stepan
und ich, wir haben zusammen eine
Rente von 37 000 Rubel (nach heutigem Rubelkurs umgerechnet rund
570 Euro), damit kommen wir aus.
Es geht uns gut, ich kann nicht klagen. Mit Lebensmitteln versorgen
wir uns fast vollständig selbst. An
Gemüse bauen wir zum Beispiel
Kartoffeln, Tomaten, Gurken,
Möhren und Rüben an, an Obst
haben wir unsere eigenen Himbeeren, Johannisbeeren, Vogelbeeren.
Zucker bekommen wir aus dem
Großhandel. Frischen Fisch bringt
unser Sohn vorbei. Brot backe ich
selbst. Kohl haben wir üblicherweise sogar so viel, dass wir davon die
Schule mitversorgen. Für den Winter wird eingekocht und im Keller
eingelagert. Das macht alles Arbeit.
Dafür kann ich aber meine Hand
dafür ins Feuer legen, was es bei
uns zu essen gibt. Und es ist garantiert von besserer Qualität als das,
was im Laden verkauft wird.
17:00
14:00
Abendbrot. Dann legt sich mein
Mann schon bald schlafen. Ich bleibe noch etwas länger auf.
Wir essen zu Mittag. Anschließend
halten wir Mittagsruhe. Stepan liest
seine Bücher, bis ihm die Augen
zufallen. Ich schaue fern, nach
Nachmittagstee. Danach widme
ich mich wieder der Handarbeit.
Stepan geht spazieren. Er ist fünf
Jahre älter als ich, wir haben uns
einst beim Studium in Archangelsk kennengelernt. Seitdem sind
wir zusammen. Heute hört er zwar
schwer, ist aber ansonsten noch
gut in Schuss, toi, toi, toi. Ich bin so
dankbar, dass wir einander haben.
18:00
Im Sommer sind wir um diese Zeit
draußen. Wenn die größte Hitze
vorbei ist, wird im Garten gearbeitet, gern auch bis zum Einbruch
der Dunkelheit.
20:00
Samstags ist Waschtag. Wir gehen
gemeinsam in unsere Banja auf
dem Grundstück und schrubben
uns gegenseitig den Rücken. Auf
das Dampfbad verzichten wir, das
machen unsere Herzen nicht mehr
mit.
21:00
Aufgeschrieben von Tino Künzel.
Der Schtschi, den Maria aus einem gusseisernen Topf serviert, ist eine Wucht.
Die Kohlsuppe, einen russischer Klassiker, kocht sie nach alten Rezept. Mit dem
weit verbreiteten Kantinenessen hat ihr Schtschi nur den Namen gemein.
08
MEINUNG & MEDIEN
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Tatort Krim
Halbinsel-Krimi oder Weltgeschichte? Neun Fragen zum russischen TV-Ereignis des Jahres
7
Wann und wo wurde der
Film gedreht?
Der Film wurde im Laufe
von acht Monaten auf der Krim
gedreht, berichtet sein Autor Kondraschow. Beendet worden seien
die Dreharbeiten Mitte Februar
dieses Jahres. Das Interview mit
Putin, in dem dieser aus dem Nähkästchen plaudert, sei zeitnah nach
den Ereignissen auf der Krim aufgezeichnet worden. Da Putin den
Brand von Odessa erwähnt, fand
das Interview frühestens im Mai
statt. Weil seitdem „viel geschehen
sei“, sprach Kondraschow wohl
kurz vor der Filmpremiere erneut
mit dem Präsidenten. Den Krieg
im Donbass erwähnt Putin daher
nur im zweiten Interview, das den
Epilog des Films bildet. Das erlaubt
ihm, die Hauptbotschaft des Films
auf die kurze Formel zu bringen:
Hätten wir das damals nicht getan,
wäre die Krim wie der Donbass im
Bürgerkrieg versunken.
RIA Novosti
Der weithin als Annexion
beschriebene Anschluss der Krim
scheint ein Meisterstück gewesen
zu sein: Russland schnappte sich
einen der militärisch wichtigsten
Orte der Erde und das ohne Blutvergießen. Die US-Geheimdienste
wurden wohl ebenfalls auf dem
kalten Fuß erwischt. Wie und
warum es so kam, will ihnen und
dem Rest der Welt ein Film des
russischen Staatssenders „Rossija
1", der am 15. März ausgestrahlt
wurde, erklären.
Von Anastassija Issajewa
und Bojan Krstulovic
1
Wieso soll ein Film des russischen Staatsfernsehens so
wichtig sein?
Weil in „Krim. Der Weg nach
Hause“ Präsident Putin höchstpersönlich über die Details der
„Heimkehr“ der Krim nach Russland Auskunft gibt. Die nun in
Bewegtbilder gegossene Version
der Ereignisse von Februar und
März 2014 dürfte bis auf weiteres
in die russischen Schulbücher und
offiziellen Geschichtsbücher eingehen und damit auch die Grundlage
für Russlands Außenpolitik in dieser Frage formulieren.
2
Was ist die Hauptbotschaft
ans Publikum?
Nur durch das beherzte Eingreifen Russlands habe die KrimBevölkerung vor nationalistischen
Umtrieben nach der „Putsch-Situation“ in Kiew geschützt werden
können. Über zweieinhalb Stunden beschwört der Film mit vielen
Details eine Drohkulisse für die
Halbinsel, die vor allem von rechten Milizen und Teilen des Militärs
ausgeht, aber auch andeutungsweise von Nato-Einheiten im Schwarzen Meer und sogar auf der Krim
selbst. Die Ereignisse 2014 werden
keineswegs als Annexion dargestellt, sondern vielmehr als entschlossene Verteidigung, erfolgreiche Rettung und umjubelte Heimkehr der Krim in ihre historische
und menschliche Heimat. „Sie
ließen uns keine andere Wahl“, so
Putin resümierend.
3
Welche Botschaft gibt der
Film an den Rest der Welt?
Einige politische Beobachter
in Russland wollen ein klares Signal an die Nachbarstaaten erkannt
haben: Widerstand ist zwecklos, ihr
habt keine Chance. Diese Botschaft
8
Filmautor Kondraschow (l.) neben Dmitrij Kisseljow bei
der Vorstellung des Films mit englischen Untertiteln.
werde vor allem aus der Episode zu
Beginn des Films deutlich, in der
Putin die Rettung von Wiktor Janukowitsch aus der Ukraine in allen
Details beschreibt. Es bleibt dabei
der Eindruck: Die Russen kennen
das Terrain ihrer Nachbarn besser
als deren eigene Sicherheitsdienste, sogar als deren Präsidenten mit
ihrem Gefolge. Auch eine weitere
Episode des Films geht klar in diese
Richtung: Als die Armeeführung in
Kiew angeblich einen Schießbefehl
für die Soldaten auf der Krim übermitteln will, kappt der russische
Auslandsgeheimdienst alle sicheren Kommunikationswege. Man
kenne sich in solchen Dingen bestens aus, so Putin. Es bleiben wenige Zweifel, dass dies auch für viele
der übrigen Staaten der ehemaligen UdSSR gilt.
4
Gibt Putin weitere bisher
geheime Details preis?
Zwei „Enthüllungen“ des
Films sind eigentlich keine: Dass
Russland im Februar 2014 Soldaten auf die Krim entsandte, war
schon lange eingeräumt worden.
Und dass die russischen Streitkräfte und Putin als ihr oberster
Befehlshaber bei einem hypothetischen Nato-Angriff auf russisches
Territorium den Einsatz von Nuklearwaffen in Betracht ziehen, ist
auch nichts Neues. Bemerkenswert
ist, dass Putin angeblich bereit war,
die Krim nuklear zu verteidigen,
obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch
nicht Teil Russlands war. Völkerrechtlich brisant ist auch, dass Putin
damals die Verlegung von hochmodernen „Bastion“-Abwehrsystemen auf die Krim – also de facto
noch auf ukrainisches Territorium
– veranlassen ließ, um einen USZerstörer abzuschrecken, der Kurs
auf die Krim genommen haben
soll. Verteidigungsminister Schojgu habe die Verlegung zunächst
eigenmächtig gestoppt, wie Putin
im Film fast scherzend erzählt.
Das sei verständlich, so Putin, war
doch seine Anordnung schon 20
Stunden alt, während derer er mit
anderem beschäftigt war. Also sei
Schojgu, der eigentlich als starker
Mann im Volk beliebt ist, lieber
auf Nummer sicher gegangen. Erst
Putins erneute Bekräftigung habe
zur Umsetzung dieses schwerwiegenden Schritts geführt.
5
Wird Putin von den Filmemachern eigentlich
gefragt, wieso er 2014
lange öffentlich behauptete, dass
die „grünen Männchen“ auf der
Krim keine russischen Soldaten
seien, sondern Amateure, die ihre
Uniformen im Supermarkt gekauft
haben könnten?
Nein.
6
Wer ist der Autor von
„Krim. Der Weg in die
Heimat“?
Beauftragt wurde der russische
Journalist Andrej Kondraschow, der
vor allem als Sprecher der werktäglichen 20 Uhr-Hauptnachrichten
„Westi“ im Fernsehkanal „Rossija
1“ bekannt ist. Außerdem hat der
42-Jährige die Dokumentarfilme
„Afgan“ (2014) über den Afghanistankrieg der UdSSR und „Beresowskij“ (2012) gedreht. In letzterem behauptete Kondraschow, dass
der gleichnamige Oligarch 2004
versucht habe, mit Auftragsmorden in die Präsidentschaftswahlen
in der Ukraine und in Russland
einzugreifen.
In Interviews nach der Erstausstrahlung gab sich Kondraschow
stolz über seine Berufung als Autor
des Krim-Films. Damit habe er
das Privileg gehabt, vom bloßen
Beobachter zum Teilnehmer des
geschichtsträchtigen Geschehens
zu werden.
I M P R E S S U M
© Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 397
Redaktionsschluss: 25. März 2015
Korrektur: Marina Lischtschinskaja,
Friederike Werner
Herausgeber: Olga Martens, Heinrich Martens Layout: Andrej Franzew
Design: Hans Winkler
Redaktion: Bojan Krstulovic, Chefredakteur
Olga Silantjewa, Stellv. Chefredakteurin
Tino Künzel, Maria Galland (ifa-Redakteurin),
Simon Schütt, Julia Larina (russischer Teil)
„MaWi Group“
Geschäftsführende Gesellschafterin:
Olga Martens
Anzeigen:
Tel. +7 (495) 531 6887,
[email protected]
Vertrieb:
Tel.: +7 (495) 531 6887,
[email protected]
Vertretung in Deutschland:
Natalia Kelbler ([email protected])
Adresse
Redaktion Moskauer Deutsche Zeitung
Deutsch-Russisches Haus,
Ul. Malaja Pirogowskaja 5, Zi. 54.
119435 Moskau, Russland
Tel. +7 (495) 531 6888
E-Mail: [email protected]
www.mdz-moskau.eu
*Ein Redakteur wird durch das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. aus Mitteln des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland gefördert.
Die Redaktion übernimmt keine Haftung für den Inhalt der veröffentlichten Anzeigen. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Nachdruck nur mit Genehmigung. Registriert bei Roskompetschat am 14. Februar 2002, Nr. 77-11596.
Gedruckt bei AO „Krasnaja Swesda“. Choroschewskoje-Chaussee 38, 123007 Moskau. Auflage 25 000 Expl. Номер заказа 1428-2015. Газета в розницу не распространяется.
Wie viele Menschen haben
den Film in Russland
gesehen?
Auch wenn er nicht zur Primetime
lief, fand der Film ein Millionenpublikum. Die Einschaltquote mit
knapp 40 Prozent war so hoch wie
seit Jahren nicht mehr. Das heißt,
dass fast jeder zweite Russe, der an
jenem Sonntag von 22 bis 0.30 Uhr
vor dem Fernseher saß, den KrimFilm gesehen hat. Die absoluten
Zahlen sind weniger spektakulär:
Die Marktforscher von TNS (die
gängige Quelle für Einschaltquoten
in Russland) kommen auf 1,8 Millionen Moskauer und insgesamt 7,9
Millionen russlandweite Zuschauer. TNS zählt Kleinkinder nicht mit
und auch nur Bewohner von Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Alles in allem erreichte der
Film wohl kaum mehr Menschen,
als ein durchschnittlicher „Tatort“Krimi in der ARD.
9
Gibt es den Krim-Film bald
auf Deutsch?
Höchstwahrscheinlich ja.
Zurzeit arbeitet die russische
mediale Auslandsagentur „Rossija
Segodnja“ an der Übersetzung des
Streifens in 36 Sprachen. Das sagte
der Leiter der Agentur Dmitrij
Kisseljow bei der Präsentation des
Films für ausländische Journalisten
(siehe Bild) drei Tage nach seiner
Erstausstrahlung im Fernsehen. Bei
dieser Präsentation mussten noch
englische Untertitel aushelfen.
Alle auf dieser Seite publizierten Beiträge geben
ausschließlich die Meinung
ihrer Autoren wieder.
SAGEN SIE
UNS IHRE
MEINUNG:
[email protected]
№6(397)
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ДОЖИВЕМ ДО ПАСХАЛЬНОГО
ПОНЕДЕЛЬНИКА
РЕФОРМА
И СОДЕРЖАНИЕ
МИР УСТАНОВИВШИЙСЯ
И МИР ИНОЙ
Давняя традиция немецкого
города Ренс
Как изменятся вузы и какой будет
наука в России
Погребение в Берлине
после окончания войны
II
II I
VI
В поле зрения
РИА Новости
Идущий по футбольному полю
102-летний болельщик «Спартака» Отто Фишер из Копейска
Челябинской области в марте
дважды стал героем публикаций.
Были две новости – хорошая и
плохая. Хорошая: Фишера, который начал болеть еще в 20-е
годы за команду-предшественницу «Спартака», пригласили в
Москву, где он посетил новый
стадион любимой команды и
ее матч с «Динамо». Плохая:
по возвращении домой он был
ограблен неизвестным, пришедшим к нему под видом
соцработника, – из квартиры
исчезло более 700 тысяч рублей.
«Спартак» уже пообещал оказать
помощь старейшему болельщику.
Международный союз немецкой
культуры тоже поможет Фишеру.
Кстати, он до недавней поездки
в Москву не был в ней с 1941
года: после призыва в армию его
арестовали, а дальше – трудармия, спецпоселение и жизнь
далеко от столицы.
Цели и средства
Где убыло, там и прибыло
Поддержка российских немцев продолжится
О миграции граждан ФРГ
Ольга Силантьева
В прошлом году общественным
организациям российских немцев из бюджетов разных уровней
было выделено свыше 300 млн.
рублей, из которых 65 млн. было
направлено на капитальное строительство. Главными объектами
поддержки являлись Российсконемецкие дома. Значительная
часть средств была израсходова-
на на оплату коммунальных услуг
помещений для деятельности
общественных организаций на
местах. Германская сторона из
бюджета МВД выделила около
8,5 млн. евро на финансирование
этнокультурных мероприятий в
России и поддержку СМИ. По
линии МИД Германии на курсы
немецкого, стипендии, молодежные обмены и поддержку СМИ
было выделено около 880 тысяч
евро. В 2015 году планируется
сохранить финансирование примерно на том же уровне.
Президент Федеральной национально-культурной автономии российских немцев Генрих
Мартенс представил на встрече
рабочей группы проект Культурно-делового центра немцев
Омской области. Как ожидается,
его функции будут шире тех, что
имеют Российско-немецкие дома
в Сибири (напомним, что один из
них – в Барнауле – еще недавно
был под угрозой закрытия). Так,
помимо этнокультурного развития немцев региона, новый центр
займется вопросами привлечения инвестиций из Германии,
экономического, культурного,
образовательного сотрудничества между немцами Омской области и поздними переселенцами.
Генрих Мартенс выразил
надежду на возобновление полноценной работы Межправкомиссии, отметив важность ее как
инструмента, способствующего
планомерному развитию российско-германских отношений.
Последний раз комиссия собиралась в мае 2013 года.
В Германии опубликованы
результаты исследования, авторы которого выясняли, почему
жители страны покидают ее и
почему часть из них возвращается. «МНГ» – о главных выводах исследования «Международная мобильность. Мотивы,
условия и следствия отъезда
и возвращения немецких граждан».
Анна Линк
Более 3% населения мира (около
250 миллионов человек) проживают в настоящее время не
в родной стране. Это данные
Департамента ООН по экономическим и социальным вопросам. Сегодня наряду с классической эмиграцией по принципу
«раз и навсегда» можно выделить четыре других вида: продолжительное отсутствие на
родине, временный отъезд, циркулярные перемещения и так
называемые транснациональные миграции (передвижения
между странами, связывающими мигрантов с родственниками, согражданами и единоверцами, в результате чего образуется некое транснациональное
пространство).
Введение безвизового режима в Европе, а с ним и усиление
миграционных потоков оказало
стимулирующее влияние на процессы внутриевропейского миграционного обмена. Одной из
наиболее популярных для жизни
и работы европейцев стран является Германия.
II
РЕКЛАМА
В Москве прошла встреча
рабочей группы по подготовке
заседаний Межправительственной российско-германской
комиссии по проблемам российских немцев. На ней подвели итоги мер поддержки, оказанной в 2014 году, и обсудили
планы на текущий год.
II
ГЕРМАНИЯ
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
К кролику – беги
Ренс на Рейне: пасхальная традиция с XVII века
В понедельник, 6 апреля, у ратуши городка Ренс (земля Рейнланд-Пфальц) с населением менее 3000 жителей пасхальные
кролики величиной с человека по давней традиции будут дарить
детям пасхальные яйца и корзинки со сладостями.
Ирина Седельникова
Первое упоминание о Ренсе
относится к 874 году. Благодаря
своему положению – на берегу Рейна, за лесами и виноградниками, – город служил местом
важных собраний и переговоров,
одним из которых стало собрание
курфюрстов в 1338 году, где они
договорились о процедуре избрания короля. Напоминанием об
этом до сих пор служит огромный каменный трон в Ренсе.
Однако важные события случались нечасто, и жизнь текла
своим чередом. Ежегодно на
Пасху дети, сопровождаемые
Manfred Frickel (2)
Пасхальные традиции в Германии по красоте и разнообразию
не уступают рождественским,
но так как в этот праздник, в
отличие от Рождества, не принято дарить много подарков,
он не связан с суетой и поиском
подходящих вещей и подарочных упаковок. Намного больше
он ассоциируется с духовным
обновлением, с желанием стать
лучше и помочь ближнему. Возможно, именно об этом думала
Агнес фон Флёрен, положившая
начало довольно необычной пасхальной традиции в городе Ренс.
учителями, устраивали маленькое праздничное шествие по
улицам городка. Останавливаясь
у каждого дома, они пели пасхальные песни, затем, получив
сладости или пасхальные яйца
от хозяйки, шли дальше.
В 1631 году накануне Пасхи
Агнес фон Флёрен, дочь богатого винодела из Кобленца, обручилась с сыном местного высокопоставленного чиновника
Хансом Хёггом, и, как будущая
хозяйка дома, тоже вышла встречать детей. Детей было много,
сладкие булочки и яйца быстро
закончились, но Агнес радостно
пообещала, что будет раздавать
сладости и раскрашенные яйца
и в следующем году, став уже
женой Ханса. Восторгу детей не
было предела.
Сдержать обещание Агнес оказалось труднее, чем она ожидала: шла Тридцатилетняя война,
и кавалерист Ханс погиб в одном
из сражений. Во время нашествия шведов были убиты и родители Агнес, а она сама стала
скрываться в одном из монастырей в Кобленце. Но обещание есть обещание, и на Пасху
не счастливая молодая женщина, а бледная тихая монахиня
вернулась в Ренс, чтобы снова
раздавать детям раскрашенные
яйца и сладости. Из года в год
продолжала Агнес эту традицию,
которая служила ей утешением
и напоминанием об обещании,
данном в минуту давно ушедшего счастья. Богатство, унаследованное после смерти родителей, она завещала госпиталю
Ренса – с условием, что каждый
Популярный детский конкурс –
бег с яйцом в ложке
Раздача детям пасхальных
подарков в Ренсе
год в Пасхальный понедельник
дети города будут получать 1100
раскрашенных яиц и столько же
булочек. Руководство госпиталя
строго следило за исполнением
ее воли, и лишь войны XX века
прервали эту традицию.
Возобновить ее решил в 1988
году фонд «Культурное наследие
Ренса». С тех пор каждый год в
Пасхальный понедельник город
приглашает детей и их родите-
лей вместе порадоваться празднику. Среди детей проводится
конкурс рисунков, и авторы лучших получают награду. 2015 год
не станет исключением: пасхальные кролики величиной с человека будут дарить детям подарки. Кроме того, пройдет праздничное шествие по улочкам
средневекового Ренса в сопровождении духового оркестра и,
конечно, пасхальных кроликов.
Где убыло, там и прибыло
Демографические отчеты
I
по Германии, напротив, демонстрируют отрицательные показатели миграционного сальдо.
В период с 2009-го по 2013 год
страну покинули 710 000 человек
– в большинстве своем молодых
и высококвалифицированных, из
благополучных семей. Вернулось
же в страну 580 000. В среднем
Германия ежегодно теряет 25 000
граждан, преимущественно с
высоким уровнем образования.
Неквалифицированные рабочие
кадры, боясь рисковать, не спешат уезжать из родной страны.
Эти данные публикуются в
исследовании, проведенном
Экспертным советом германских фондов интеграции и миграции, Федеральным институтом по изучению проблем народонаселения и Университетом
Дуйсбург-Эссен при поддержке
фонда Mercator.
В ходе исследования выяснилось, что самыми популярными европейскими странами для
покидающих Германию жителей
в период с 2013-го по 2014 год
стали Швейцария (209 000 уехавших), Австрия (109 000), Польша (94 000) и Великобритания
(89 000). Из неевропейских стран
в тройку вошли США (136 000).
На основе онлайн-опроса
восьмисот уехавших и девятисот вернувшихся было выявлено, что отъезд связан с целым
рядом причин. Свыше 30% опрошенных склонялись к четырем и
более причинам для смены места
жительства. Так, 72,2% обозначили желание получить новый
опыт и расширить интеллектуальный кругозор, 66,9% хотели улучшить ситуацию с работой, а 50,9% приняли решение
покинуть страну по семейным
обстоятельствам.
Такие факторы, как возраст и
семейный статус, играют большую роль в формировании мотива отъезда. На учебу, как правило,
едут люди в возрасте до тридцати
лет (43,7%), в то время как работать за границей стремятся 75%
уезжающих старше тридцати.
Состоящие в браке граждане Германии чаще отправляются в другие страны по семейным обстоятельствам (73,9%), чем их неженатые и незамужние ровесники.
Как правило, мужчины нацелены на лучшую работу с более
комфортными условиями и
высокой зарплатой. Женщинами обычно движет стремление
сохранить целостность семьи.
Немцы-мигранты
уезжают в основном
в Швейцарию,
Америку и Австрию
Надо еще учитывать, что в Германии проживает достаточно
много граждан с миграционным
прошлым. Их мотивами покинуть ФРГ могут стать ощущение
дискриминации или же просто
ностальгия.
Несмотря на внушительное
количество переселенцев из
Германии, нельзя рассматривать
процесс миграции исключительно как постоянную потерю ценных кадров. Большинство высококвалифицированных опрошенных не готовы оставаться
вдали от родной страны дольше
необходимого. Свое намерение
вернуться они объясняют профессиональными причинами
(56,5%), семейными обстоятельствами (63,9%) или неудовлетворительным опытом жизни за
границей (40%).
Больше половины опрошенных (54,2%) убеждены в том, что
могут найти в Германии интересную и перспективную работу,
45,8% надеются на лучшие условия труда, в то время как 12,3%
просто потеряли свое рабочее
место за границей. Свое неудовлетворение жизнью за рубежом
опрошенные аргументировали
тоской по привычной жизни в
Германии, по семье и старым
друзьям.
Исследование показало, что
возрастной фактор также игра-
ет большую роль при принятии
решения вернуться на Родину:
уезжающие в возрасте до тридцати лет изначально планируют свое пребывание за рубежом
исключительно как временное.
Таким образом, за счет возвращения происходит не только уравновешение миграционных данных, но и обогащение
рабочей практики новым опытом, инновационными идеями и
полезными контактами.
Оказалось, кстати, что мигранты, в отличие от тех, кто никуда
не уезжает, более открыто реагируют на новый жизненный
опыт, гораздо легче адаптируются и чувствуют себя, как правило, здоровыми и довольными
жизнью.
Вообще миграционную мобильность необходимо развивать, поддерживать и укреплять.
Политики, экономисты и гражданское общество должны совместными усилиями разрабатывать общие стратегии международной мобильности.
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
III
РОССИЯ И ГЕРМАНИЯ
Высшее преобразование
Российско-немецкая дискуссия о реформе вузов и академической науки в нашей стране
В середине марта в Москве,
в Посольстве Германии в России, «Московская немецкая
газета» совместно с Германороссийским форумом провела
«Московские беседы» на тему
«Реформа науки и образования
в России».
Владимир Миронов, Йоханнес
Фосвинкель, Сергей Егоров
и Грегор Бергхорн
несколько разошлись, – грантовая
система финансирования науки.
Декан философского факультета
МГУ Владимир Миронов привел
пример Германии: «Классический гумбольдтовский университет – наиболее инновационный. Государство давало деньги и доверяло профессуре. И не
ошиблось. Сегодня государство
пошло по-другому пути, переводя
науку на грантовую систему: «Я
тебе дал деньги – ты мне завтра
дай открытие». Но так не бывает. Физики могут 10 лет чай пить,
а на 11-й сделать открытие. В
науке должно сохраняться мощное бюджетное финансирование,
а грантовая система должна быть
дополнительной».
Грегор Бергхорн говорил о
новых требованиях. Ученый
учится аргументировать, на что
ему нужны деньги. И он занимается менеджментом – профессору из XIX века откажут.
Владимир Миронов заметил,
что все в итоге сводится к уме-
РЕКЛАМА
Они должны учиться тому, что
не было предусмотрено плановой экономикой: самостоятельности, креативности, гибкости,
инициативе». В качестве примера вуза, где эти качества прививаются, Грегор Бергхорн привел Высшую школу экономики.
Но многие другие продолжают
работать по прежним принципам, и у выпускников возникают
проблемы с трудоустройством.
«Мне кажется, система образования, существовавшая в
СССР при плановой экономике, в некоторых аспектах была
очень сильной, – не согласился
заместитель проректора МГУ,
начальник управления Программой развития Московского университета Сергей Егоров. – Мы
видим это по успехам выпускников, которые многого достигли
за рубежом. В некоторых областях науки в мире – сплошные
русские фамилии».
Еще один вопрос, взгляды на
который участников дискуссии
РЕКЛАМА
Вопрос «Как поступить?» – привычный для системы высшего
образования. Только обычно его
задают абитуриенты. Но последние годы обсуждается вопрос,
как поступить с самой вузовской
системой. Государство затеяло
реформу академической науки –
как Российской академии наук,
так и высшего образования. Ее
цель – достижение лучших показателей: система должна стать
более эффективной, позиции
российской науки в мире – усилены, а в саму науку должны прийти
молодые талантливые кадры.
Модератор дискуссии журналист Йоханнес Фосвинкель, многолетний корреспондент газеты
Die Zeit в Москве, напомнил о
том, что закон «О Российской академии наук, реорганизации государственных академий наук» был
принят в сентябре 2013 года и, как
говорят его критики, довольно
агрессивно проведен через парламент. Сторонники реформы
считают, что это горькая пилюля, которую Россия должна проглотить, противники утверждают,
что это смерть академии.
«Это самый большой процесс
изменений в истории высшей
школы, – заметил в ходе дискуссии Грегор Бергхорн, руководитель Германского дома науки
и инноваций (DWIH) и DAAD.
– В мире подобного примера
нет. Что необходимо изменить?
Студенты знают много, но не
могут применить эти знания.
Simon Schütt
Юлия Ларина
нию написать заявку на грант.
«Чтобы я получил грант, чиновник должен меня понять, – сказал он. – Я должен либо напугать его своим открытием, либо
обещать ему бессмертие. Тогда
есть большая вероятность, что
грант будет поддержан».
Эффективность,
которой
в результате реформы хотят
достичь, не должна определяться по формальным критериям,
а в некоторых случаях вообще
не должна стать главным критерием. Вот пара примеров из
дискуссии. «Когда-то у нас на
философском факультете была
открыта знаменитая кафедра
теории и истории мировой
культуры, – рассказал Владимир Миронов. – Возглавлял ее
Вячеслав Иванов, на ней работал
Сергей Аверинцев, к нам приезжал Юрий Лотман. Она располагалась в маленькой комнатке,
метров пятнадцать, в которой
студенты проводили все время.
Если бы сегодня кафедру прове-
ряли по критериям эффективности, ее закрыли бы».
Второй пример – об эффективности вузов. В России за последнее время возникло много новых
институтов и университетов.
В процессе реформы какие-то
будут закрыты, какие-то объединены. «Вузы в России выполняют разные функции, – заметил Сергей Егоров. – Есть такие,
которые никогда не будут успешными, но благодаря им некоторые регионы России – устойчивые. Например, кавказские
вузы выполняют важную регионообразующую функцию. То же
касается и отраслей промышленности. Под реорганизацию
попал, допустим, в Петербурге
единственный вуз, выпускающий специалистов в определенной области строения морских
судов. Это потеря целой школы».
Во время обсуждения темы с
залом возник новый аспект: если
сейчас мы наблюдаем одну демографическую яму – меньше абитуриентов и студентов, то скоро
столкнемся с другой – будет
мало преподавателей. Вузовский
преподаватель из числа слушателей сказал, что у них на кафедре
шесть профессоров, четверо из
которых старше 75 лет. А молодые не идут. Например, в вузе,
который готовит программистов, профессора зарабатывают меньше выпускников, а то и
студентов.
В конце дискуссии была высказана мысль, которая учитывала
все перечисленные за два часа
достоинства и недостатки проводимых преобразований: «Да,
реформа нужна, но нужно реформировать эту реформу».
IV
В Т О РА Я Р О Д И Н А
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
Другой немецкий язык
Plautdietsch соберет его носителей на конференции в Южной Америке
Сколько человек в мире говорят
на Plautdietsch?
Часто называют цифру – полмиллиона, но точно никто не
знает. В Германии примерно 200
тысяч. В Канаде, Южной Америке еще 300 тысяч. В России
осталось мало носителей этого
языка.
В России его называют немецко-платским диалектом. Разве
это язык?
По определению Европейской
хартии региональных языков и
языков меньшинств – да. Диалекты не подпадают под защиту
хартии.
РЕКЛАМА
Все ли его носители –
меннониты, то есть
протестанты-пацифисты?
Все меннониты или бывшие меннониты. Я, например, не крещен,
то есть я этнический меннонит.
В Канаде, допустим, меннонитов воспринимают не как людей
особой веры, а как этническую
общность. В Парагвае же и Боливии большинство говорящих на
Plautdietsch одновременно и
религиозные меннониты. Эмиграция туда из России началась
в XIX веке по соображениям
веры: после реформ Александра II и введения всеобщей воинской повинности – меннониты
не могли брать в руки оружие.
Как вы сами оказались
в Германии?
Я родился в Латвии, в Сигулде.
В 1975 году наша семья эмигрировала в Германию – родители
шесть лет ждали разрешения на
выезд. Моя мама – из меннонитских
колоний
Украине.
нитс
ски
к х ко
коло
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кр
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а нее.
Во время войны оказалась в Германии, а
по ее окончании
была отправлена
в Сибирь. Отец
– из Омской
области. В 1956
году,
после
снятия режима комендатуры, родители
переселились в
Прибалтику.
Что представляет собой общество Plautdietsch-Freunde?
Оно создано в 1999 году, сейчас
в нем около 160 членов, почти
все – из бывшего Союза. Мы
объединились, чтобы сохранить язык и поддерживать тех,
кто
изучает.
Организуем
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учебные поездки в страны, где говорят на
Plautdietsch, проводим научные конференции. Почти 15
лет выпускаем журнал PlautdietschFRIND. Многие
считают, что, если
на языке никто не
пишет и не читает,
это не язык. Поэтому мы печатаем
книги и издаем
журнал. Наши
Из личного архива
В конце марта в Парагвае
пройдет Международная конференция СМИ, выходящих
на Plautdietsch (плаутдич,
вариант нижненемецкого).
Это язык некоторых российских немцев, проживающих
или ранее живших в нашей
стране. «МНГ» побеседовала с Генрихом Сименсом из
Бонна, защитившим докторскую на тему «Грамматика
Plautdietsch».
Д Е Т А Л И
Погружение в язык
Plautdietsch возник около 450
лет назад в Западной Пруссии, в низовьях Вислы. Это
смесь древненидерландского,
фризского и нижненемецкого.
Курс, связанный с этим языком и меннонитами, ведет во
фрайбургском Университете
Альберта-Людвига лингвист
Гёц Кауфман. В январе он с
группой студентов побывал
в Детмольде, где располагаются общество Plautdietsch-
Freunde e.V. и Музей истории
культуры российских немцев.
В течение нескольких дней
проходили встречи, на которых студентам рассказывали
об истории и культуре меннонитов и их языке. Жили они
в меннонитских семьях, что
способствовало более близкому
знакомству с языком и обычаями. Проведенные студентами
интервью будут использованы в
научных работах.
подписчики в России, Южной
Америке, Канаде. Журнал выходит дважды в год, следующий
номер запланирован на июнь.
Одной из важнейших его тем
станет проводимая в Парагвае
Международная конференция
СМИ на Plautdietsch.
О чем пойдет речь
на конференции?
О выходящих в Латинской Америке, Канаде и Германии радиопрограммах на Plautdietsch, а
также о стандартизации орфографии. До сих пор каждый пишет,
как хочет, поскольку школ, где
учили бы Plautdietsch, нет (в школах учат стандартный немецкий,
Hochdeutsch). Читателям приходится каждый раз приспосабливаться к новому написанию.
В Парагвае пройдет встреча 15
важных людей из 5 стран, пишущих на Plautdietsch. Это переводчики Библии, составители
словарей, исследователи языка,
писатели, учителя. Они обсудят,
возможно ли свести разные способы написания слов воедино.
Осенью во время форума российских немцев, проходившего
в Омске, вы побывали в деревне Солнцевка Исилькульского
района, где проживает община меннонитов. Каковы ваши
впечатления?
Я был очень рад, что в Омской
области еще есть семьи, в которых говорят на Plautdietsch, даже
дети. Это, кстати, хорошее условие для того, чтобы у стандартного немецкого в Сибири было
будущее. Опыт других стран,
таких, как Канада, показывает,
что везде, где дома прекращают говорить на нижненемецком,
стандартный немецкий тоже
страдает. Поэтому надо поддерживать родителей, которые с
детьми говорят на Plautdietsch
Журнал на Plautdietsch выходит дважды в год
или Wolgadeutsch. Надо, чтобы
они говорили на родном языке
в детских садах и школах. Нет
никакой опасности, что они из-за
этого будут хуже учить стандартный немецкий. Дети легко учат
несколько языков, и мы должны
это использовать.
Есть ли будущее у Plautdietsch?
Есть. В Латинской Америке, где
большие колонии меннонитов,
через сто лет точно еще будут
говорить на нем. Вопрос: сможем ли мы остановить вымирание языка в Германии? Здесь нет
компактного проживания меннонитов, которое наблюдается в
Латинской Америке и когда-то
было в России. Поэтому в быту
уже не говорят на Plautdietsch.
И родители с детьми не говорят
на нем. Одна из наших задач –
воздействовать на родителей и
тех, кто отвечает за образование.
Если Plautdietsch будут изучать в
школе, тогда и в семьях не перестанут на нем говорить.
Беседовала Юлия Ларина
Век живет, век учится
«Вытянуть себя
из трясины»
О 93-летнем участнике языковых курсов
Из личного архива
Частая причина, по которой
люди не учат языки, – возраст.
«Поздно мне уже, – говорят, –
раньше надо было заниматься».
Опровергнуть этот тезис может
Генрих Гирштейн из Хабаровска, 1922 года рождения,
посещающий курсы немецкого
языка.
Юлия Ларина
В Германии существует программа «Учиться всю жизнь»
(Lebenslanges Lernen). На лекциях в немецких университетах первые ряды часто заняты седовласыми слушателями,
решившими на пенсии получить
новые знания. В России пожилые
учащиеся – скорее исключение.
Случай Генриха Гирштейна – это
исключение из исключений.
Генрих Генрихович посещает
курсы немецкого языка, которые проводит Хабаровский краевой центр немецкой культуры
«КОРН» при финансовой поддержке МВД Германии. «Он
всегда приходит за полчаса до
занятий, редко пропускает их, –
говорит его сокурсница Евгения
Кнаус, руководитель молодежного центра «КОРН», у которой
с Гиршейном разница в возрасте
– более 60 лет. – Он очень прилежный ученик, мы стараемся
быть на него похожими. Для нас
он как талисман группы».
В детстве Гирштейн говорил на
немецком, своем родном языке,
но потом забыл его. На вопрос:
«Почему вы прежде не пытались
восстановить язык?» – он вздыхает и начинает рассказывать
свою жизнь. Довольно быстро
становится ясно, что ему было
не до языков.
Генрих Гирштейн родился в
селе Куккус (сейчас Приволжское Саратовской области). В
немецкой колонии на Волге обосновался его предок, Вильгельм
Гирштейн, откликнувшийся на
Манифест Екатерины II и прибывший в 1766 году из Германии
в Россию. Родители Генриха Генриховича занимались сельским
хозяйством. В коллективизацию,
после того как скот конфисковали, а его владельцев заставили вступать в колхоз, родители
тайно (разрешения не давали)
Центр «КОРН»
Генрих Гирштейн на одном из
мероприятий центра «КОРН»
V
НЕМЦЫ РОССИИ
переехали с четырьмя детьми в
Сталинград, где строился тракторный завод и требовались
рабочие. В августе 1937-го,
когда жизнь там немного начала
налаживаться, отца арестовали.
При обыске в доме изъяли семь
книг на немецком языке – в том
числе Библию и молитвенники.
Долгие годы об отце ничего не
было известно – до тех пор, пока
Генриху Генриховичу не удалось
ознакомиться с его делом. В том
же августе 1937-го, после 11 дней
следствия и рассмотрения дела
тройкой, отца расстреляли. Он
реабилитирован посмертно.
Мать Генриха Генриховича как
члена семьи врага народа нигде
не брали на работу. Кое-как она
смогла найти место мойщи-
Генрих Гирштейн (справа
в верхнем ряду) в Глазове
с немцами-спецпоселенцами
мили, и мы приехали крайне
истощенными».
Началась работа в трудармии,
которую позже оценило государство: Гирштейн награжден
медалью «За доблестный труд в
Великой Отечественной войне
1941–1945 гг.». В трудармию
были мобилизованы и его брат,
и его сестра, умершая в 1944-м.
Генрих Генрихович строил
Челябинский металлургический
комбинат. За время пребывания
в трудармии он освоил множество строительных профессий
– землекоп, бетонщик, плотник,
монтажник сантехоборудова-
При обыске в доме Гирштейнов изъяли
семь книг на немецком языке –
в том числе Библию и молитвенники
цы аптечной посуды. 16-летнему Генриху в 1938-м пришлось
перейти из обычной в вечернюю
школу – он устроился работать
на мясокомбинат, чтобы помочь
семье.
Новое несчастье случилось в
августе 1941-го: Гирштейнов вместе с другими немцами выслали
из Сталинграда в ВосточноКазахстанскую область. Там они
работали в колхозе, но недолго.
«В январе 1942-го всех мужчин
немецкой национальности в возрасте от 17 до 50 лет райвоенкомат мобилизовал, как нам сказали, в действующую армию, на
фронт», – рассказывает Генрих
Генрихович. 10 дней в тридцатиградусный мороз они преодолевали 300 километров до станции.
Там ждали еще столько же, пока
был сформирован эшелон. Когда
погрузили в теплушки и закрыли
на запоры двери, они поняли, что
везут их не на фронт. Через две
недели их выгрузили на окраине
Челябинска. «Это была огромная
территория, обнесенная колючей
проволокой с дозорными вышками по периметру, – говорит
Гирштейн. – Там было разбито
несколько больших армейских
палаток, куда нас и поселили. За
время пути нас ни разу не кор-
ния… Он участвовал в строительстве атомных промышленных объектов в Челябинске-40
(Озерск), в Глазове. Потом его
направили в Кирово-Чепецк.
Гирштейн тогда уже освоил экономические профессии и работал в плановом, сметно-договорном отделах монтажного
управления, входившего в трест
«Энергоспецмонтаж», – до 1990
года, до выхода на пенсию.
Он всю жизнь осваивал новые
профессии и получал новые знания. Порой вынужденно – за
колючей проволокой. Сейчас в
Хабаровске, куда он переехал к
сыну, внукам и правнукам, изучает немецкий из интереса. Что-то
вспоминает из детства, а что-то
переучивает: «Я ведь разговаривал на диалекте, на котором
говорили в Германии в XVIII
веке». Генрих Генрихович не
собирается уезжать в Германию
– был там один раз в гостях, вернулся и сказал: «Это не для меня.
Моя родина – Россия».
На вопрос, есть ли ему с кем
общаться на немецком, Гирштейн отвечает: «Я еженедельно посещаю парную. Туда ходит
один любитель, который изучает
язык самостоятельно. Мы с ним
разговариваем на немецком».
Как сохранить родной немецкий
В конце марта в Москве состоится IV научно-практическая
конференция «Немцы России:
стратегии развития языковой
работы. 5 лет ответственности», на которой речь пойдет
о необходимости персонального и коллективного вклада
в сохранение немецкого языка
как родного.
Обречен ли язык российских
немцев, а вместе с ним и они
сами как этническое сообщество в России?
Десятилетиями немцы, раздавленные репрессиями и обездоленные, боялись говорить на
родном языке. Когда страх прошел, оказалось, что для сотен
тысяч он перестал быть родным. Люди оправдывали незнание языка общей трагической
судьбой.
У наших дедов, переживших депортацию, репрессии,
трудармию и спецпоселение,
было право сетовать на судьбу
и обстоятельства. Но как раз
они делали это меньше всего!
А вот у тех, кто помоложе, возникло убеждение, что российским немцам все должны. И все
должны их спасать. И язык наш
тоже должен кто-то спасать,
но только никто этого не делает, поскольку и государство, и
директора школ помешаны на
английском. Как в таких условиях можно выучить немецкий?
Наши великие соотечественники Святослав Рихтер и Борис
Раушенбах прекрасно говорили
на немецком языке.
Раушенбах
вспоминал:
«Немецкий язык я выучил понастоящему в ГУЛАГе при
помощи своего друга, доктора Берлинского университета,
истинного берлинца. Мы с ним
договорились: раз нас посадили
как немцев, давай говорить только по-немецки. Четыре года мы,
общаясь, не произнесли ни слова
по-русски, и я научился хорошему немецкому языку – до этого у
меня был „домашний” – и этим
знанием „обязан” лагерю...»
Так, говорите, директор
школы виноват, что ваш ребенок не знает немецкого?
Пять лет назад правительство ФРГ передало общественной самоорганизации российских немцев рычаги управления программой поддержки
немецкого меньшинства в России и ее финансирование. А это
ежегодно 8 млн. евро, которые
правительство выделяет почти
два десятилетия в рамках своих
обязательств по преодолению
последствий Второй мировой
войны. Вместе с рычагами передали и ответственность.
Языковая реформа стала первым делом, за которое мы взялись. Написали концепцию, разработали программы и в итоге
добились в этой сфере самых
больших в нашей деятельности
успехов. Но и самые большие
дефициты – тоже здесь.
С одной стороны, понимая,
что начинать языковую работу надо с малышей и их родителей, мы открыли более 120
групп дошкольного обучения
немецкому в шести регионах
России и создали пока единственный в стране учебно-методический комплект для изучения
языка в детских садах Deutsch
mit Schrumdi. С другой – мы
столкнулись с катастрофической нехваткой персонала для
работы в таких группах. С одной
стороны, для популяризации
немецкого в нашей стране мы
предлагаем все больше мотивационных механизмов (назову
лишь один из них – всероссийский конкурс «Друзья немецкого языка», в котором ежегодно участвуют несколько тысяч
человек). Но, с другой стороны, мест, где мотивированные
нами к изучению языка могут
это изучение продолжить, становится все меньше. Законодательная база, позволяющая
учить в школе немецкий как
родной, есть, однако приме-
Создано более
120 групп
дошкольного
обучения немецкому
нить ее на практике в субъектах
федерации сложно.
Каждые два года мы собираем преподавателей немецкого
языка, работающих в системе
этнокультурного образования
российских немцев, на научно-практические конференции
и обсуждаем наши подвиги,
персональные и коллективные,
которые мы ежедневно совершаем. Подобно барону Мюнхгаузену, в какой-то мере российскому немцу, мы пытаемся вытянуть себя за волосы из
трясины.
Язык – живой: он поддается
лечению, обновляется, расцветает. Тысячи немецких слов
обогатили русский язык. Много
русских слов позаимствовали
и немцы, решившие когда-то
стать подданными России. Пока
живы говорящие на этом языке
– российским немцам быть!
Ольга Мартенс, первый заместитель председателя Международного союза немецкой культуры
МСНК
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
VI
И С Т О Р И Я И К У Л ЬТ У РА
Похоронный процесс
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
Разрушенный Берлин в 1945
году, после окончания войны
В издательстве «Новое литературное обозрение» выходит книга
американского историка Моники Блэк «Смерть в Берлине: от Веймарской республики до разделенной Германии». Главное место
в исследовании занимает тема смерти в годы Второй мировой
войны. «МНГ» публикует отрывок из книги.
Когда сражения стихли, людские
потери все равно росли – из-за
болезней (включая тиф, дифтерию и дизентерию), голода и
самоубийств, – и этих покойников тоже нужно было хоронить.
Если в Берлине 1937–1939 гг.
уровень смертности составлял
13,5 человека на 1000 населения,
то во второй половине 1945 г.
этот показатель достигал 53,5 на
1000. Наплыв беженцев – в летние месяцы в Берлин ежедневно
прибывало не менее 15 000 человек – поднял уровень смертности еще выше...
Столкнувшись с этим бедствием, а также с серьезной угрозой
для общественного здравоохранения, командование Красной
армии, которая продвигалась по
Берлину, беря район за районом,
приказало хоронить собранные
трупы. После военного поражения вермахта это была одна
из первых попыток продемонстрировать новое – советское –
господство: вернуть в организованное русло берлинскую «санитарную инфраструктуру», прежде
всего заняться погребением мерК Н И Г А
Артем Нойер
«Смерть в Берлине: от Веймарской республики до разделенной Германии» Моники Блэк посвящена связанным со смертью представлениям и практикам. Цель
книги – рассказать альтернативную историю Берлина,
на которую оказали влияние
столкновения его жителей
со смертью, ее переживание
и осмысление.
твых. Хотя у этой задачи, несомненно, были практические и санитарные аспекты, она имела также
символический характер: таким
образом закреплялась радикальная смена власти в бывшем «логове фашистского зверя». Каждые
приказ, жест, знак и постановление советской власти, адресованные населению Берлина, являли
собой новые условия политической жизни – разными способами,
но с одной целью: показать, что
оккупанты – оккупированы, покоритель – покорен. Даже время
теперь устанавливала Москва,
что означало: в «новом Берлине»
солнце всходит и заходит по правилам советской власти.
Контроль над размещением
мертвых – это сильный жест
власти в любом контексте. Но
в Берлине – после проигранной
войны, в обществе, где в предшествующие двенадцать лет правильное погребение выступало
замаскированной демонстрацией расового превосходства, –
этот жест был особенно нагружен значением и символизировал радикальную смену власти
в городе. Лишь несколькими
месяцами ранее Гитлер лично
запретил погребение членов
расового сообщества в общих
могилах; и вот теперь тысячи
предавались вечности en masse
[франц. все вместе], в песчаных
карьерах, почти всегда анонимно и всегда без какой-либо церемонии. Более того, поиск, перевозку и захоронение умерших –
то, что прежде делали расовые
изгои, – теперь осуществляли
немцы, задействованные Советами; некоторых использовали
как Leichenkutscher (водителей
труповозок), чья работа состояла в доставке тел на кладбища и
поиске мест для их захоронения.
Это была настоящая превратность судьбы. В Третьем рейхе
традиционное погребение мертвых служило символическим
инструментом для установления
различий, одновременно расовых, культурных и моральных;
теперь же первые в самом деле
стали последними.
Похороны мертвых в 1945 г.
имели и другие символические
значения. Любопытная черта
многих берлинских мемуаров и
иных документов послевоенного времени: в одних утверждается, что немцам было запрещено
прикасаться к советским мертвецам, тогда как в других говорится о принуждении к их погребению. В ряде случаев берлинцы
вспоминали, что их заставляли закапывать советские могилы, но не разрешали опускать
погибших красноармейцев в
могилу. А некоторые мемуаристы утверждали, что советские
солдаты категорически отказывались прикасаться к погибшим
немцам. Вполне вероятно, что
каждое из этих противоречивых сообщений правдиво: ведь
в сумятице конца войны командиры Красной армии в разных
частях города могли применять
разные методы ликвидации тел...
Захоронение мертвых не
только демонстрировало власть
победителей и восстанавливало
санитарные нормы; оно также
имело моральную составляющую и служило инструментом
перевоспитания. Вальтер Зейтц,
врач в госпитале Шарите, был
свидетелем того, как Хильде
Беньямин (будущий министр
юстиции Восточной Германии)
следила за эксгумацией на территории школы Маркуса в Штеглице. В последние дни войны
«группа людей была застрелена [нацистами] и похоронена в
РИА Новости
В Москве издана книга о берлинской «культуре смерти»
Рудольф Дизинг, владелец частного похоронного бюро и продавец гробов, воспринимал советскую власть как шанс вернуть
жизнь (и смерть) в Берлине на ее
донацистские моральные основания. Столкнувшись с острой
нехваткой жилья, недостатком
продовольствия и продолжающимися последствиями массовой смерти, советские власти и
их немецкие союзники-коммунисты быстро организовали для
В Третьем рейхе традиционное погребение
мертвых служило символическим
инструментом для установления различий
неглубокой могиле. <...> Бывший
нацист должен был выкопать
трупы. Был конец мая, и стояла жара. <...> Многих нацистов
стало тошнить от запаха трупов.
“Красная Хильде” закричала на
них: “Вы их закопали – сможете и выкопать!”». Избавление
от мертвых могло быть формой
наказания за политические (и
иные) прегрешения...
Беньямин была не единственная, кто связывал погребение
мертвых с установлением нового
морального порядка в Берлине.
Берлина новое правительство,
или Magistrat, подчинявшееся
напрямую советским военным
властям. Дизинг, назначенный
профессиональным экспертом
– советником магистрата по
вопросам захоронения, провел
реорганизацию Центрального
похоронного ведомства – существовавшего в конце войны
института, ответственного за
похороны в городе, которое
продолжало действовать еще
несколько месяцев, пока владельцы частных похоронных
бюро изо всех сил старались
стать на ноги.
С точки зрения Дизинга,
нехватка ресурсов и другие проблемы с погребением, вставшие
перед берлинцами, – отсутствие
гробов и дерева для их изготовления, разрушенные кладбища, поврежденные крематории,
нехватка транспорта и мест для
захоронения покойных, количество которых продолжало расти,
– имели и моральный аспект. Эти
проблемы возникли в результате нацистской политики, немаловажной частью которой была
защита Берлина, названная
Дизингом «безумнейшим из безумий». Возвращение практикам
погребения «благочестия» по
необходимости повлечет за собой
изгнание из сферы похоронного
дела нацистов, или, как он выражался, Nazioten [нем. «нациотов»] (соединив в этом эпитете
слова «нацисты» и «идиоты»)…
…Когда в июле союзники
дошли до Берлина, самые насущные и острые проблемы погребения (хотя бы временного) в значительной мере были решены.
Союзники, каждый в своей зоне,
продолжили начатую советской властью работу по наведению порядка на кладбищах и в
парках.
Конвертируемый талант
Больше 2 млн. человек в нашей
стране смогут вспомнить Святослава Рихтера, взяв в руки
конверт или монету с его
изображением.
В середине марта в Министерстве культуры России состоялась
церемония гашения конверта,
посвященная 100-летию со дня
рождения выдающегося пианиста. Ее организовали Международный союз немецкой культуры, Федеральное агентство
связи (Россвязь) и Министерст-
во культуры. На конверте Рихтер изображен за роялем, а на
марке виден его портрет
ет и
фрагмент нотной запи-си Прелюдии №1 из
«Хорошо темперированного клавира»
Баха. Напечатано 2
млн. таких конвертов. Их можно купить
в почтовых отделениях
по всей России.
А в начале февраля Центральный банк РФ (Банк России)
выпустил в обращение памятную серебряную монету серии
«Выдающиеся
личности
Вы
России» номиналом 2
Р
рубля, тоже приуроченную к 100-летию
со дня рождения Рихтера. На ней – рельефное изображение
пианиста и контурное
– фрагмента рояля. По
сообщению пресс-службы
Банка России, тираж монеты
– 3 тысячи штук.
юл
V II
НЕМЕЦКИЙ ЯЗЫК
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
Schrumdi will den Osterhasen sehen
Von Swetlana Gaus
Es ist Frühling. Jeden Tag wird es
immer wärmer. Die Sonne scheint
heller, die Vögel singen jeden Tag
lauter. Bald ist Ostern.
Schrumdi wartet mit Ungeduld
auf das Osterfest.
– Zu Ostern kommt der
Osterhase und er legt mir viele
bunte Ostereier in mein Osternest:
rote, gelbe, blaue. Und dazu auch
noch Süßigkeiten.
Schrumdi freut sich auf das
Osterfest und auf die Geschenke.
Aber er ist etwas traurig.
– Ich habe noch nie den
Osterhasen
gesehen,
denkt
Schrumdi.
– Wie sieht er aus? Wie ein
gewöhnlicher Hase? Hat er lange
Ohren? Ist er grau oder bunt wie
die Ostereier? Und wie kann er so
viele Ostereier tragen?
Schrumdi denkt sehr viel nach.
Plötzlich hat er eine Idee!
– Zu Ostern werde ich nicht
schlafen. Ich ziehe einen warmen
Pelz an und setze mich an die Tür.
So verpasse ich den Osterhasen
nicht.
Er ist mit seiner Idee zufrieden.
Mit jedem kommenden Tag wird
Schrumdi ungeduldiger. Er freut
sich auf Ostern, aber noch mehr
freut er sich auf das Treffen mit
dem Osterhasen.
Endlich ist es soweit. Am Abend
zieht Schrumdi einen warmen Pelz
an und setzt sich an die Tür. Draußen ist es schon dunkel. Alle Kinder schlafen schon, nur Schrumdi schläft nicht. Er wartet auf den
Osterhasen. Schrumdis Augen fallen langsam zu und er schläft ein…
Am Morgen wacht Schrumdi auf.
– Oh, je, ich habe den Osterhasen
verpasst, schreit Schrumdi laut. Vor
I N F O
Liebe Kinder! Ich mag
Briefe. Vor kurzem habe
ich einen Brief von Marina
Wesdenjowa aus der
Stadt Berjosowskij im Ural
bekommen. Marina lernt in
der 6. Klasse. Deutsch ist
ihr Lieblingsfach. Sie kann
meine Geschichten lesen und
Aufgaben machen. Das ist
toll! Jetzt könnt ihr meine
neue Geschichte lesen und
euch auf Ostern vorbereiten.
Bald kommt der Osterhase!
ihm steht ein Osternest mit vielen
bunten Eiern.
– Danke, lieber Osterhase! Aber
ich habe dich wieder nicht gesehen.
Plötzlich sieht Schrumdi in den
Spiegel, der an der Wand hängt. Da
muss er aber lachen! Seine Wangen
sind rot, gelb, braun und die Nase
ist blau, genau wie die Ostereier im
Nest.
– Das ist aber lustig! Der Osterhase hat mich bemalt! Ich habe ihn
nicht gesehen, aber er hat mich
gesehen!
Schrumdi nimmt sein Osternest
und läuft ins Zimmer.
Euer Schrumdi
1. Was liegt im Osternest?
2. Quiz
Umkreise die Geschenke vom Osterhasen. Male diese Gegenstände ins Nest.
Wähle das passende Wort und
schreibe den Buchstaben in den
Kasten. Dann bekommst du ein
Lösungswort.
1. Wann ist Ostern?
C. im Winter
F. im Sommer
N. im Frühling
2. Wer kommt zu Ostern?
D. der Nikolaus
E. der Osterhase
G. Schrumdi
… liegt im Osternest.
… liegt im Osternest nicht.
3. Was bringt der Osterhase
nicht?
I. Ostereier
K. Schokolade
S. Bücher
4. Wie sind die Ostereier?
A. schwarz
T. bunt
B. weiß
Lisa Machlina
Das Lösungswort:
Wo liegen die Ostereier?
1.
2.
3.
4.
3. Farbensuchen
РЕКЛАМА
Suche die Farben im Buchstabenkasten.
VIII
НЕМЕЦКИЙ ЯЗЫК
Sowohl in der römisch-katholischen als auch in der orthodoxen Kirche beginnt 40 Tage vor
Ostern die Fastenzeit, in der die
Menschen auf viele reichhaltige
Lebensmittel verzichten. Aber
warum gibt es diese Fastenzeit
überhaupt?
Von Kristina Großehabig
Kinder dürfen nicht fasten, weil
sie sich im Wachstum befinden.
Aber sie können z.B. Schokolade
gegen Obst und Gemüse tauschen.
und durch die mehr Menschen
zum Fasten im Sinne von Verzicht auf bestimmte Gewohnheiten aufgefordert werden sollen. In
diesem Jahr steht die Aktion unter
dem Motto „Du bist schön! Sieben
Wochen ohne Runtermachen“. Es
geht dabei in erster Linie darum,
die eigenen Wertvorstellungen zu
überdenken: Abweichungen von
der Traumfigur am eigenen Körper akzeptieren, den Gesang der
Nachbarin unter der Dusche dulden oder dem Kollegen ein Lächeln
mehr schenken.
Auch in Russland wird vor Beginn
der Fastenzeit ein letztes Mal ausgiebig gefeiert und gegessen. Hier
feiert man die Masleniza, die Butterwoche. Danach beginnt das Große
Fasten, das in diesem Jahr bis einschließlich Samstag, den 11. April,
dauern wird. In dieser Zeit sollen
die Menschen vor allem auf tierische Produkte wie Fleisch, Fisch,
Milchprodukte und Eier verzichten.
Auch in der orthodoxen Kirche soll
das Fasten eine Reinigung des Körpers und der Seele bewirken.
1. Fülle die Lücken aus.
a) Vor Beginn der Fastenzeit feiert man in Deutschland ________.
b) Dabei verkleiden sich die Menschen und dürfen vor allem
ausgiebig __________.
c) Während des Karnevals gibt es sehr viele leckere und vor allem süße
_______, wie zum Beispiel Krapfen.
d) Am letzten Tag des Karnevals, dem ______________, beginnt die
Fastenzeit.
e) Fortan verzichten viele Christen 40 Tage lang auf den _______
bestimmter Lebensmittel.
f) Im ___________ waren das z.B. Milchprodukte, Eier, Fleisch oder
Alkohol.
g) Heute entscheiden viele Menschen selbst, was sie
in den nächsten _______ nicht mehr essen bzw. nicht mehr
tun werden.
2. Was passt nicht in die Reihe?
a) Karneval – Krapfen – Internet
b) Aschermittwoch – Alkohol – Fastenzeit
c) Lebensmittel – Kirche – Hungertuch
d) römisch-katholisch – Ostern – 12. April
e) Russland – Fastenaktion – 1983
f) Fasten – 4. April – orthodox
Lesehilfe
die Fastenzeit – пост; время поста
reichhaltig – богатый; скоромный
die Fastnacht – заговенье; канун поста
ausgiebig – обильно; щедро
schlemmen –
пировать; чревоугодничать
der Krapfen – пончики с повидлом
der Aschermittwoch – пепельная среда
der Verzehr – потребление
entsagen – отрекаться; отказываться
in sich kehren –
уйти в себя; задуматься
Buße tun – каяться; приносить покаяние
die Gewohnheit – привычка
die Wertvorstellung –
представление о ценностях
überdenken – переосмыслить
Lösungen
РЕКЛАМА
Vor Beginn der Fastenzeit feiert
man in Deutschland und vielen
anderen Ländern Karneval bzw.
Fastnacht. An diesem mehrtägigen Fest verkleiden sich die Menschen, tragen verschiedene Kostüme und dürfen vor allem ausgiebig
schlemmen. Während des Karnevals gibt es sehr viele leckere und
vor allem süße Speisen, wie zum
Beispiel Krapfen. Am letzten Tag
des Karnevals, dem Aschermittwoch, beginnt die Fastenzeit. Fortan verzichten viele gläubige Christen 40 Tage lang auf den Verzehr
bestimmter Lebensmittel und
Getränke. Im Mittelalter waren das
z.B. Milchprodukte, Eier, Fleisch
oder Alkohol. Heute entscheiden
viele Menschen selbst, was sie in
den nächsten Wochen nicht mehr
essen bzw. nicht mehr tun werden.
Denn heutzutage gibt es viele, die
nicht nur auf bestimmte Produkte verzichten möchten, sondern
z.B. auch auf Internet oder soziale
Netzwerke.
Das Fasten hat eine lange Tradition in der Kirche. Bereits seit dem
2. Jahrhundert fasten Menschen.
Der Grund: In der Bibel ist überliefert, dass Jesus sich 40 Tage lang
in einer Wüste aufhielt, fastete und
in dieser Zeit jeglicher Versuchung
durch den Teufel entsagte. Heute
sollen die Menschen durch das Fasten in sich kehren, sich ihrer Sünden bewusst werden und Buße tun.
Zudem sollen sie durch den Verzicht auf bestimmte Lebensmittel
ein Solidaritätsgefühl gegenüber
den Ländern der Dritten Welt entwickeln. Üblich ist es in der Fastenzeit auch, in den Kirchen den
Altarraum mit einem sogenannten
Hungertuch zu verhängen, sodass
die Gläubigen den Gottesdienst nur
hörend verfolgen können. In der
römisch-katholischen Kirche dauert die Fastenzeit bis zum Samstag
vor Ostern, d.h. in diesem Jahr bis
zum 4. April.
In der evangelischen Kirche wird
das Fasten nicht so streng gesehen.
Eine Besonderheit ist hier die Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“,
die 1983 ins Leben gerufen wurde
www.foto-fine-art.de / pixelio.de
In der Fastenzeit gilt es,
die Seele und den Körper
zu reinigen
Aufgaben
1. a) Karneval; b) schlemmen; c) Speisen; d) Aschermittwoch; e) Verzehr;
f) Mittelalter; g) Wochen
2. a) Internet; b) Alkohol; c) Lebensmittel; d) 12. April; e) Russland;
f) 4. April
Sieben
Wochen
zum
Nachdenken
МОСКОВСКАЯ НЕМЕЦКАЯ ГАЗЕТА
№ 6 (397) МАРТ 2015
Московская немецкая газета, №397 от 25 марта 2015 г., № заказа 1428-2015. Свидетельство ПИ-№77-11595 от 14 января 2002 г. Тираж 25 000 экз. Учредитель: Ольга Мартенс, Генрих Мартенс. Издатель: АО «МаВи групп». Главный редактор: Боян Крстулович.
Адрес редакции: 119435, Москва, ул. Малая Пироговская, д. 5, оф. 54, e-mail: [email protected], тел.: +7 (495) 531 68 87. Газета в розницу не распространяется. Мнение авторов может не совпадать с позицией редакции. Отпечатано в АО «Красная Звезда», 123007, Москва, Хорошевское ш., 38.
09
F O T O R E P O R TA G E
Sergej Larionow (7)
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Aus dem Leben gegriffen
Fotos einer nordrussischen Kleinstadt werden zu Internethits
Sosnogorsk ist Provinz, wie man
sie in Russland überall findet. Ein
Städtchen mit knapp 30 000 Einwohnern, von ausgedehnten Wäldern umgeben an einer Bahnlinie
von Moskau in den Nordural gelegen, keine 60 Jahre alt und von
Wohnblocks sowjetischer Bauart
geprägt. Die wichtigsten Arbeitgeber sind ein Gasverarbeitungsbetrieb und die Eisenbahn. Schulabgänger träumen von einem Studium in St. Petersburg oder Moskau.
Und wer einmal fortgezogen ist,
kommt häufig nicht zurück.
An Sehenswürdigkeiten hat der
Ort allenfalls seine malerische
Holzkirche zu bieten und vielleicht
noch die Dampflok auf dem „Platz
der Eisenbahner“, aber das wäre
dann schon Geschmackssache. Die
Stadt ist alles, nur nichts Besonderes. Also fotografiert Sergej Larionow auch nichts Besonderes: Plattenbauten, Spielplätze, Bänke in
der Abendstimmung, einen Fußweg im Gegenlicht. Er wolle „das
Unauffällige auffällig machen“,
lässt der Lokalfotograf seine Frau
ausrichten, über die er seit einem
Schlaganfall 2009 mit der Außenwelt kommuniziert. Beim Schreiben verwechselt er die Silben,
das Sprechen fällt ihm ohnehin
schwer. Beim Laufen benutzt er
einen Gehstock.
Den Blick für seine Heimatstadt hat
das vielleicht noch geschärft. Der
42-Jährige zeigt sie nicht als Idylle,
aber als lebenswertes Umfeld und
trifft damit offenbar den Nerv vieler Einwohner, die ein Bedürfnis
danach haben, sich wohl zu fühlen
in ihrer kleinen Welt. Von Larionow lassen sie sich nur zu gern die
Augen öffnen. Wenn er die Aufnahmen ins Sozialnetzwerk VKontakte
stellt, werden sie oft hunderte Male
gelikt. Das bestärkt dann wiederum
den Fotografen darin, in Sosnogorsk richtig zu sein: „Ich liebe die
Stadt und will hier nicht weg.“
Tino Künzel
1
2
1 Nässe und Dreck in einem Hinterhof.
Aber Fotograf Sergej Larionow schimpft
nicht über diesen Schandfleck, er
beschriftet das Bild „Kapitäne“.
2 Workout an einer Reckstange.
3
4 Bänke, Laternen, frischer Schnee: Dieses
Stillleben heimste auf Larionows Seite bei
VKontakte bis heute 408 Likes ein.
5
4
6
3 Trotz Supermärkten ist der Handel im
Freien immer noch sehr beliebt.
7
5 Eisstern beim Schneefigurenfestival.
6 Ist das schön? Wohl kaum. Lässt es
sich hier leben? Mit Sicherheit.
7 Orthodoxe Prozession vor Ostern.
ZEITGESCHEHEN
70
JAHRE
ENDE DES
2. WELTKRIEGS
Anfang 2014 wurde groß dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor
100 Jahren gedacht, in den Europas Staaten wie „Schlafwandler“ –
so der Titel eines gern erwähnten
Buches dazu – mehr oder weniger
gestolpert seien. Während man sich
versicherte, dass so etwas nicht
wieder geschehen dürfe, entbrannte der Konflikt um die Ukraine –
wie zum Spott auf die vermeintlichen Lehren, die Europa aus der
Geschichte gezogen haben soll.
Dieses Jahr folgt das Gedenken an
das Ende des Zweiten Weltkriegs
vor 70 Jahren. Doch seit Monaten
sorgt das Jubiläum selbst für Streit
zwischen den Europäern: Russland
will sich als Befreier gewürdigt
sehen, doch die Befreiten, vor allem
Russlands westliche Nachbarn,
möchten nicht so richtig mitfeiern.
Doch nicht nur mit den baltischen
Staaten und Polen gibt es den schon
traditionellen Streit: Für kurze Zeit
glaubten viele Russen ernsthaft,
dass auch die Deutschen, 1945 von
ihnen besiegt und befreit in einem,
eine Revision der Geschichte vorantrieben. Das war, als der ukrainische Ministerpräsident in der
ARD behaupten durfte, die Rote
Armee hätte damals die Ukraine
und Deutschland überfallen.
Aus dem Osterschreiben
1945 von Erzbischof Irinarch,
von 1941 bis 1952 das Haupt
der Altgläubigen RussischOrthodoxen Kirche.
Christus ist
Auferstanden!
…
Dieses Ostern ist ein besonderes
Ostern, ein Osterfest, reich an
Freuden und Größe. Wir sind
Zeugen beispielloser Ereignisse! ...
Über drei Jahre hat unser Feind,
ein Diener des Teufels und
schamloser Betrüger, unbarmherzig unser Land gequält und das
Blut unserer Brüder und Schwestern vergossen. Mehr als fünf
Jahre quälte er die Menschen
Europas und anderer Länder und
vergoss ihr Blut. Und jetzt, zu
Ostern, hilft Gott unserer Armee,
seinen Untergang zu vollenden.
Höchst seltsam ist es, dass die
Lateiner, Vertreter der katholischen Kirche und des Vatikans,
zur Versöhnung mit den Faschisten aufrufen, zur Verzeihung
Hitlers, also zum Frieden mit den
Dienern des Teufels ...
Es darf keinen Frieden geben mit
listigen Betrügern wie Hitler und
seinen faschistischen Handlangern. Auch wenn sie darniederliegen, können sie einen noch
blutrünstigeren Krieg losbrechen.
Das verbirgt sich hinter einem
Frieden mit den Faschisten.
Inzwischen hat sich das Fieber
wieder gelegt, sogar die Absage von
Kanzlerin Merkel an die Siegesparade in Moskau hat in Russland
nicht so wirklich für Empörung
sorgen wollen. Zumindest zwischen Deutschland und Russland
scheint es keinen Streit über den
größten Krieg der Weltgeschichte zu geben, den beide Nationen
gegeneinander gekämpft haben.
Oder täuscht dieser Eindruck
etwa?
Darüber, und inwiefern der
Zweite Weltkrieg eine besondere
Beziehung zwischen beiden Ländern in der Gegenwart und Zukunft
begründet, diskutieren Matthias Platzeck, Ex-Ministerpräsident
von Brandenburg und Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, Nikolaus Katzer,
Direktor des Deutschen Historischen Instituts Moskau, Nikolaj Pawlow, Deutschland-Experte
an der Diplomatenhochschule
MGIMO und Tatjana Timofeewa
von der historischen Fakultät der
Lomonossow-Universität. bk
10. April, 19 Uhr
Deutsch-Russisches Haus
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IUNG
So soll denn unsere tapfere
Rote Armee den Willen Gottes
ausführen; sei sie Fürsprecherin
des Guten und Siegerin über das
Böse. Unter der weisen Führung
des großen Wojewoda (slawischer Heeresführer, Anmerkung
der Redaktion) des russischen
Landes Josef Wissarionowitsch
Stalin hat sie die unlauteren
Deutschen zerschlagen, die sich
an unseren Heiligtümern vergangen und unsere Frauen und
Kinder getötet haben.
In diesen österlichen Tagen gratulieren wir, die Altgläubigen,
unserer tapferen Armee und
unserem Führer, Marschall Stalin, zu den großen Siegen und
zum Ruhm, den sie der russischen Erde gebracht haben.
Irinarch war von 1932 bis
1940 in Lagerhaft. Hier lobt
er, unter dem Eindruck des
bevorstehenden Sieges, Stalin.
Der Patriarch der weit größeren
Russisch-Orthodoxen Kirche
Alexij erwähnt ihn in seinem
Schreiben hingegen nicht. 1945
fiel das orthodoxe Ostern auf
den 6. Mai. Dieses Jahr wird es
am 12. April gefeiert.
Von Vorschule bis Sauna
Wie ganz Jung und ganz Alt in Russland Deutsch lernen
Eigentlich wollen alle, dass in
Russland wieder mehr Deutsch
gelernt wird: die Offiziellen beider Länder und natürlich auch
die deutsche Volksgruppe. Doch
was kann man dafür tun? Die
MDZ hat sich in einem ModellKindergarten umgesehen und mit
dem wohl ältesten DeutschkursTeilnehmer Russlands gesprochen.
Tino Künzel
Moskauer Gespräch zu
uns und dem Weltkrieg
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Von Tino Künzel und Julia Larina
Draußen ist es Frühling geworden.
Drinnen wissen Mädchen in bunten Kleidchen und Jungs in kurzen
Hosen, was das heißt: Der Himmel
ist blau, die Bäume werden grün,
Mützen und Schals können zu
Hause bleiben, bald ist auch wieder Zeit zum Radfahren. Fast alles
an diesem Satz können die Vorschulkinder aus Syktywkar in der
nordrussischen Komi-Republik
schon sagen, und zwar genau so,
wie es hier geschrieben steht: auf
Deutsch. Zweimal pro Woche übt
Deutschlehrerin Jewgenija Gorwat
seit Beginn des neuen Schuljahres
mit ihnen. Heute werden Jahreszeiten, Farben, Kleidungsstücke
und Sportarten wiederholt.
Die Kleinen sitzen oder liegen
auf einem großen Teppich in ihrem
Kindergarten Nummer 107, wo
der Deutschunterricht als Zusatzleistung zum regulären Programm
gehört und für die Eltern kostenlos
ist. Es wird nicht nur gesprochen,
sondern auch gesungen, gemalt,
gebastelt und gespielt.
Die Initiative für die Frühförderung ging von der National-Kulturellen Autonomie (NKA) der
Russlanddeutschen in der KomiRepublik aus. Finanziert wird der
Unterricht mit Fördergeldern.
Ein Teil davon floss auch in einen
neuen Kurs an der örtlichen Pädagogischen Fachschule, wo seitdem
Deutschlehrer speziell für Vorschulgruppen ausgebildet werden.
So etwas gab es bisher nicht.
Im Kindergarten 107 lernen 60
von 400 Kindern Deutsch – die
ältesten Gruppen. Jewgenija Gorwat wundert sich immer wieder
über ihre Auffassungsgabe: „Die
wissen schon ziemlich viel, das
ist gar kein Vergleich zu unserer Generation.“ Als Gorwat die
Sechs- und Siebenjährigen einmal fragte, wo eigentlich überall
Deutsch gesprochen wird, nannten
einige Österreich und die Schweiz.
Der Kindergarten liegt im selben
Stadtbezirk wie die 21. Schule mit
erweitertem Deutschunterricht,
Mein Name ist Hase: Kindergartenkinder in Syktywkar üben die
Begrüßung (oben). Auch Heinrich
Girstein (rechts) fängt neu an.
die 1992 von den Russlanddeutschen als „deutsche Schule“ aus der
Taufe gehoben wurde. „Die Kinder aus dem Kindergarten werden
einmal auf ,unsere‘ Schule gehen,
das macht ihn für uns so wichtig“,
sagt Oleg Strahler, langjähriger
Vorsitzender der NKA und heute
Leiter eines Informations- und Bildungszentrums. Dem Vorschulunterricht zu Grunde liegt das Programm „Deutsch mit Hans Hase“
des Goethe-Instituts.
Deutsch wird in Syktywkar aber
noch an drei weiteren Kindergärten
gelehrt. Im Kindergarten 108 stammen 14 der derzeit unterrichteten
Kinder aus russlanddeutschen Familien. Die Kosten trägt der Internationale Verband der deutschen Kultur
in Moskau. In dieser Form engagiert
er sich bereits für mehr als 120 russische Kindergärten, und das nicht
nur finanziell, sondern auch durch
sein eigenes Programm „Deutsch
mit Schrumdi“, das gerade lizensiert wird. Bedingung: Der Anteil
der deutschen Kinder in der Gruppe muss mindestens 70 Prozent
betragen. Über die Sprache soll so
die nationale Identität von klein auf
gestärkt werden.
Offiziell gehören der deutschen Minderheit in Russland
heute knapp 400 000 Menschen
an. In der Komi-Republik sind es
5400 – für den europäischen Teil
des Landes ist das viel. Die meisten jedoch leben in Sibirien. So wie
Heinrich Girstein, der mit 93 Jahren Deutschkurse am deutschen
Kulturzentrum „KORN“ in Chabarowsk besucht, das vom Bundesinnenministerium unterstützt wird.
Kulturzentrum KORN
10
„Als Kind habe ich einen Dialekt
gesprochen, der in Deutschland im
18. Jahrhundert vorkam“, erinnert
sich Girstein. In seinem langen
Leben, das wie bei fast allen Russlanddeutschen vom Krieg und den
Repressionen unter Stalin mitgeprägt wurde, ist ihm die intuitive
Nähe zur Sprache abhandengekommen. An manches erinnert
er sich, das meiste muss er neu
lernen. „Muss“ ist dabei natürlich
relativ. Girstein lernt aus reinem
Interesse an der Sprache, wie er
sagt. Nach Deutschland auszureisen, habe er nie gewollt.
Die Standhaftigkeit des Rentners beeindruckt seine Mitschüler. „Er ist sehr fleißig“, sagt Jewgenija Knaus, die mit ihm an den
Kursen teilnimmt und Leiterin des
„KORN“-Jugendzentrums ist. „Wir
anderen versuchen, so zu sein wie
er. Heinrich ist der Talisman unserer Gruppe.“
So ansteckend Girsteins Enthusiasmus auch sein mag, die Sprache seiner Kindheit um ihrer
selbst willen zu lernen – ein
konkreter Nutzen entsteht ihm
trotzdem, wie er schmunzelnd
bekennt: „Ich gehe jede Woche
in die Sauna, wo ich einen Mann
treffe, der auf eigene Faust die
Sprache lernt. Dann unterhalten
wir uns auf Deutsch.“
Sprachkonferenz: Deutsch in Russland
Vom 30. März bis zum 2. April
kommen in Moskau Spezialisten
der deutschen Sprache zu einer
internationalen Konferenz zum
Thema „Deutsche in Russland.
Strategien in der Spracharbeit.
5 Jahre gemeinsame Verantwortung“ zusammen.
In Arbeitsgruppen, Podiumsdiskussionen und Vorträgen soll über
frühes Deutschlernen, Deutsch als
Minderheitensprache, die Medien
im Spracherweb und die Zukunft
der deutschen Sprache in Russland
diskutiert werden.
Organisiert wird die Konferenz
vom Internationalen Verband der
deutschen Kultur (IVDK) und
dem Institut für ethnokulturelle
Bildung (BIZ). Zur Eröffnung der
Konferenz wird der Beauftragte
der deutschen Bundesregierung
für Aussiedlerfragen und nationale
Minderheiten, Hartmut Koschyk,
erstmals in dieser Position in Russland erwartet.
Für den 31. März und den 1.
April ist abends ein Kulturprogramm mit einer Film- und Theatervorführung geplant. Die Veranstaltungen finden an unterschiedlichen Orten in Moskau statt. Das
Programm ist online einsehbar.
Weitere Informationen unter
www.rusdeutsch.eu
Privat
Der Pastor und Sibirien-Reisende
Friedrich Wilhelm Gerber
(25.06.1932 – 21.10.2014).
Der Täufer von Irkutsk
Erinnerungen an einen
Sibirien-begeisterten deutschen Pastor
Kinder von Valentina getauft. Die
Russlanddeutsche ist mit einem
Russlandkoreaner verheiratet. Die
beiden waren in Kasachstan aufgewachsen, weil ihre Völker nach
dem Überfall Deutschlands auf die
UdSSR dorthin deportiert wurden.
Valentinas von Gerber getaufte Tochter Veronika ist übrigens
später Schönheitskönigin von
Irkutsk geworden.
Zu den nächsten Gottesdiensten
kamen immer mehr Menschen,
darunter auch die späteren Gründer der lutherischen Gemeinde in
Irkutsk. Viele andere traten nicht
in die Gemeinde ein, treffen sich
aber nun schon über 20 Jahre lang,
feiern gemeinsam Weihnachten
und sind als Familien befreundet.
Vier Sommer von 1996 bis 2000
brachten uns so manche Gelegenheit, durch das Irkutsker Gebiet
des Sees beerdigt sein möchte, und
Gerber verstand ihn gut. Ignatius
wurde Anfang 2000 eines Abends
von Unbekannten auf offener Straße angegriffen und hat Sibirien
danach verlassen.
Während Gerbers meist sechswöchiger Sibirienreisen half ich
ihm nach Kräften, knüpfte die
nötigen Kontakte, organisierte
seine Auftritte in den Medien und
bearbeitete Visums- und Alltagsfragen. So hatte ich die einmalige
Möglichkeit, Tag und Nacht die
Arbeit eines Geistlichen zu beobachten. Einmal fragte ich ihn, wie
viele Menschen er denn in seinem
Leben schon auf dem letzten Weg
begleitet habe. Da antwortete er:
„Wenn ich jetzt auf den Friedhof
gehe und ein Lied anstimme, dann
antwortet mir ein Chor aus den
Stimmen der Toten.“
Die Menschen empfingen den Pastor mit
Tränen in den Augen. Viele haben zum ersten
Mal einen Menschen im Talar gesehen.
und das Altaigebiet zu reisen. Oft
fanden wir in den entlegensten
Winkeln inmitten der Taiga Reste
von Brüdergemeinden, die noch
nicht nach Deutschland ausgereist
waren. Die Glaubensbrüder empfingen den Pastor mit Begeisterung
und so manches Mal mit Tränen in
den Augen. Einige von ihnen hatten in der frühen Kindheit einen
Menschen im Talar gesehen, ihre
Nachkommen sahen so etwas
überhaupt zum ersten Mal. Pastor
Gerber taufte Kinder, reichte Sterbenden das Abendmahl, lernte die
Einheimischen und die Geschichte
und Kultur Sibiriens kennen und
hielt Vorlesungen für Studenten.
In Burjatien haben wir auch
buddhistische Klöster besucht,
Gerber respektierte die Religionen
der Ureinwohner. Einmal sind wir
in ein Kloster im Tunka-Nationalpark gefahren, wobei der Weg
über die Küste des Baikalsees ging.
Dort stand Gerber einst bei seiner ersten Reise nach Sibirien mit
dem Priester Ignatius. Der Katholik erzählte ihm, dass er am Ufer
Sein Humor erstaunte mich
besonders. Später begriff ich, wie
wichtig es für einen Geistlichen
ist, Humor zu haben. Man hat
nämlich ständig mit Menschen
zu tun, die häufig zwischen Leben
und Tod schweben. Gerber sagte
einmal, von einem heutigen Geistlichen werde erwartet, Sozialarbeiter, Psychologe und Schauspieler zu sein. Gerber stellte keine
hohen Ansprüche. Als er einmal
in einem sibirischen Dorf nach der
Toilette fragte, antwortete ihm die
Dame, bei der wir wohnten, zur
Toilette gehe man in den Wald.
Der Deutsche zuckte nicht mit der
Wimper. Heimlich gestand er mir,
ein derart asketisches Alltagsleben
habe er bei den Familien russischer Altgläubiger in Argentinien gesehen, wo er 20 Jahre seines
Lebens verbrachte.
Während der dritten Reise, es
ging in das Altai-Gebiet, machten sich bei ihm Herzprobleme
bemerkbar. Wir alle waren uns
sicher, ihn nie wieder in Sibirien
zu sehen. Aber ein Jahr nach sei-
ner Herzklappenoperation schickte er mir eine Nachricht, er sei
auf dem Weg nach Sibirien, diesmal begleitet von einer Krankenschwester – seiner Frau Helga. Sie
beobachtete ihn ständig und war
während der Gottesdienste immer
in der Nähe des Altars.
Einmal sah ich in der Siedlung
Pichtinskoe im Gebiet Irkutsk, wo
wir in der Lutherischen Gemeinde
eine Woche verbrachten, zufällig
in einem der Häuser ein Gesangbuch. Das Buch trug den Stempel der Lutherischen Kirche von
Irkutsk. Hinter der letzten Seite
war ein Blatt mit den Noten des
„Chorals der Irkutsker Kirche“
eingeklebt. Unter dem Text stand
„Die schrecklichen Tage im Jahr
1919“. Das Lied hieß „Ich dank dir
jetzt und alle Zeit, dass du mich
von dem Tod befreit“. Pastor Gerber war sehr bewegt von diesem
Fund. In diesem Moment bekamen seine Reisen nach Sibirien
einen sakralen Sinn. Dort, in dem
abgelegenen Taigadorf, wurde
ihm gleichsam der Staffelstab
vom letzten Pastor der Irkutsker
Gemeinde übergeben, die 90
Jahre vorher aufgehört hatte zu
existieren.
Danach zitierte er die Worte
dieses Chorals oft in Gottesdiensten in Irkutsk, Barnaul und anderen Orten und erzählte in seinen
Predigten von dem ungewöhnlichen Fund. Sein Buch über die
erste Reise nach Irkutsk nannte
er nach diesem Lied „Ich dank
dir jetzt und allezeit“. Die ganze
Auflage war schnell an Freunde
und Sibirieninteressierte verkauft,
heute kann man bei Internet-Auktionen einzelne, von mehreren
Personen durchgelesene Exemplare finden.
Gerber hat mich gelehrt, den
Tod nicht zu fürchten. Als ich
im letzten Jahr meinen jüngeren
Bruder zu Grabe trug, durchlebte
ich diese Tage, ohne eine Träne zu
vergießen. Und für meine Taufe,
die ich ihn im dritten Jahr unserer Zusammenarbeit zu vollziehen
bat, suchte ich mir den Psalmvers
aus: „Auch wenn ich wanderte im
Tale des Todesschattens, fürchte
ich nichts Übles …“
An der Küste des Baikalsees
nahe von Irkutsk.
Heute gibt es in Irkutsk drei
lutherische Gemeinden. Zurzeit
steht in der Stadt der Vorschlag
einer der Gemeinden an die Stadtverwaltung zur Diskussion, das
Lenindenkmal abzureißen und
die Lutherische Kirche, die früher dort stand, wieder aufzubauen. Als Gerber vor 20 Jahren eine
Andacht neben dieser Statue hielt
und am Fuße des Monuments ein
Kreuz aus weißen Blumen niederlegte, hätte er sich nicht vorstellen
können, dass das geschehen würde.
Der Staffelstab, den Gott nach 90
Jahren in Gerbers Hände legte,
ermöglichte es, lutherisches Leben
in Irkutsk neu erstehen zu lassen.
D E R
A U T O R
Privat
Zum ersten Mal im Leben muss ich
einen Nachruf schreiben. Und ich
werde mich bemühen, das Wort
„Tod“ dabei kaum zu gebrauchen,
denn der Mensch, von dem ich
erzählen will, hat mich und viele
andere zu dem Glauben gebracht,
dass es keinen Tod gibt.
Im September vergangenen Jahres schrieb ich Friedrich Gerber
und bat ihn, mir für einen Artikel in
der Moskauer Deutschen Zeitung
ein paar Fotos von seinen Pastorenreisen nach Sibirien zuzuschicken – und bekam keine Antwort.
Als auch mein Weihnachtsgruß
nach Mainz unbeantwortet blieb,
begriff ich, dass er nicht mehr
da war. Seine Kinder teilten mir
Anfang Januar mit, dass der Pastor heimgegangen war, und schrieben von seinem letzten Lebensjahr.
Beim Lesen erinnerte ich mich an
unsere erste Begegnung.
Es war 1997. Eine Einwohnerin von Irkutsk, die russlanddeutsche Lutheranerin Valentina Tjan,
wollte ihre Kinder taufen lassen,
sie aber nicht zu Russisch-Orthodoxen machen. Sie wandte sich an
die katholische Hauptkirche am
Ort, in der Hoffnung, dass sie ihr
Kontakte zu Vertretern der anderen Konfession geben können. Der
dortige Dekan Pater Ignatius – er
war 1991 aus Polen nach Irkutsk
gekommen – leitete die Bitte an
seine Vorgesetzten weiter, und
auf wundersamen Wegen gelangte
sie zum Bischof der EvangelischLutherischen Kirche Sibiriens
Ernst Schacht. Dieser bat den im
Ruhestand befindlichen 64-jährigen Pastor Friedrich Gerber, nach
Irkutsk zu fahren, um die dortigen
Lutheraner ausfindig zu machen
und ihnen beim Vollzug religiöser
Rituale zu helfen. Ich wurde gebeten, sein Dolmetscher zu sein, da
Gerber kein Wort Russisch sprach.
Schon zwei Wochen später fand
in Irkutsk der erste lutherische
Gottesdienst seit der Revolution
statt, der erste seit 80 Jahren. Er
wurde in der Kapelle der katholischen Kirche abgehalten, denn
die lutherische Kirche am Ort
war 1919 geschlossen und später
zerstört worden. Bei diesem Gottesdienst wurden auch die beiden
RIA Novosti
In den 1990er-Jahren wurde
Friedrich Gerber nach Sibirien
geschickt, um sich der dortigen
deutschen Gemeinde anzunehmen, die acht Jahrzehnte Kommunismus überlebte. Der Journalist Vassilij Jaschkinas begleitete
den Geistlichen bei seinen Sibirienreisen und erinnert hier an den
bemerkenswerten Mann, der vor
einiger Zeit verstorben ist.
11
ZEITGESCHEHEN
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Vassilij Jaschkinas ist
Journalist, Übersetzer und
Schriftsteller. Zurzeit arbeitet er als Redakteur bei der
Zeitung „Moskowskij Komsomoljez“. Im Herbst vergangenen Jahres, zu Beginn
des deutschen Sprachjahrs in
Russland, erzählte er in der
MDZ über den Einfluss des
Deutschen in seinem Leben.
Ein entscheidendes Kapitel
darin: Die Begegnung mit
Pastor Gerber, die ihm aus
einer Lebenskrise herausgeholfen hatte.
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12
FEUILLETON
Mit Tolstoi für die
Freundschaft
Zurück zum Ursprung
Das Pokrowskij-Theater in Moskau zeigt
Beethovens einzige Oper
Bilaterales Kulturinstitut in Berlin nimmt seine Arbeit auf
Peggy Lohse
In Berlin gründet eine Russin ein
deutsch-russisches Kulturinstitut.
Gemeinsam mit Freiwilligen will
sie mit Kulturveranstaltungen,
Sprachkursen und Städtereisen
das wechselseitige Verständnis
zwischen Deutschen und Russen
fördern.
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
1805 komponiert, hatte die Oper
„Leonore“ des großen deutschen
Komponisten anfangs nur mäßigen Erfolg. Erst zehn Jahre später gewann sie in neuer Fassung
und mit neuem Titel die Gunst
der Kritiker und des Publikums.
Das Moskauer Pokrowskij-Theater zeigt das Stück hingegen in
seiner Urfassung.
Deutsche und russische Künstler
feierten Ende Februar in der evangelischen Auenkirche in Berlin-Wilmersdorf bei einem gemeinsamen
Konzert den „Abschied vom Winter
− Masleniza“. Hierbei erklangen in
den Kirchenmauern deutsche und
russische Lieder und Volksweisen.
Es ist die zweite große Kulturveranstaltung des im letzten Herbst in
Berlin neu gegründeten TolstoiInstitutes. Die Direktorin, Tatjana
Garsija, begrüßt, ganz im Sinne des
orthodoxen „Butterfestes“, sowohl
die circa 200 Gäste des evangelischen Gotteshauses als auch den
Frühling: „Wir wollen die schreckliche Kälte aus unseren Herzen vertreiben.“ Dabei dürfen diese Worte
sicher auch im globalen Sinne verstanden werden.
Tatjana Garsija stammt aus Moskau, ist studierte Germanistin und
arbeitet heute in Berlin als Übersetzerin und Journalistin. Bereits
vor der offiziellen Gründung des
Instituts nahm sie aktiv an Friedensdemonstrationen in Berlin und
Umgebung gegen den Krieg in der
Ukraine teil. Bei diesen Veranstaltungen bezog die 41-Jährige klar
Stellung für einen diplomatischen
und freundschaftlichen Umgang
mit Russland.
Die Idee, ein Institut für die
deutsch-russische Freundschaft zu
gründen, bewegte Garsija schon
länger. Mit der Zuspitzung der politischen Ereignisse wurde hieraus
ein dringlicher Plan. Garsija baute
ein Netzwerk Gleichgesinnter auf
und ließ das Tolstoi-Institut Anfang
September 2014 ins Vereinsregister
eintragen. Damit konnte die Arbeit
beginnen.
Dass Beethoven ein musikalisches
Genie war, dessen Kompositionen
bis heute in großen Konzerthallen
weltweit gespielt werden, ist kaum
eine Neuigkeit, doch dass er auch
eine Oper komponierte, ist unter
Laien hingegen weniger bekannt.
„Fidelio“ lautet der Titel des Stücks,
das vom Widerstandskampf einfacher Bürger gegen die Autokratie
handelt.
Die Oper zählt zu den „Rettungs- und Befreiungsopern“, einer
Ausrichtung in der Oper, die die
gesellschaftlichen Umbrüche während der Französichen Revolution
und den Wunsch des Volkes nach
Freiheit thematisiert. Erzählt wird
die Geschichte der jungen Leonora,
die sich als Mann ausgibt und versucht, ihren Ehemann aus den Fängen eines Autokraten zu befreien.
Die Geschichte basiert auf dem
Libretto des französischen Dramatikers Jean Nicolas Bouilly „Leonore oder die Eheliebe“ aus dem Jahr
1789, dem angeblich eine wahre
Geschichte aus der Französischen
Revolution zugrunde liegt. Den
Text zu Beethovens musikalischer
Interpretation des Stoffs schrieb der
österreichische Schriftsteller Joseph
Sonnleithner.
Seit Herbst letzten Jahres ist die
Oper am Moskauer PokrowskijTheater mit deutschem Originaltext und russischen Untertiteln zu
sehen, interpretiert von russischen
Schauspielern. Der Regisseur der
Inszenierung, Michail Kisljarow,
betont, dass die Oper in dieser
Form nirgends sonst in Russland
zu sehen sei, denn das PokrowskijTheater zeige sie in ihrer Urfassung von 1805, in der sie nur noch
äußerst selten inszeniert werde.
1805 beendete Beethoven die
Oper, die damals noch den Titel
Tatjana Garsija bei ihrer Ansprache in der evangelischen Auenkirche in Berlin.
Dabei sieht das Institut sein Wirkungsfeld weniger im politischen
Bereich, sondern auf kultureller
und persönlicher Ebene. Der Austausch und die Verständigung zwischen Russen und Deutschen sollen
gefördert werden. Räumlichkeiten
für die Institutsarbeit werden noch
gesucht – in Charlottenburg, dem
historisch „russischsten“ Stadtteil
sische Konzerte sowie Lesungen deutsch-russischer Autoren
und Künstlertreffen vorgesehen.
Auch politische Diskussionen sind
zukünftig angedacht. Besonders
großer Beliebtheit erfreut sich
aber der deutsch-russische Chor.
Zudem sollen Sprachkurse angeboten werden.
Aktuell bezieht sich die Pla-
Aktuell beschränkt sich die Arbeit auf Berlin
und Umgebung. Zukünftig möchte das
Institut aber auch international agieren.
Berlins. Bei den monatlichen Freitagstreffen kommen die Initiatoren,
Vereinsmitglieder sowie Interessenten bisher im Berliner Gewerkschaftshaus zusammen: Personen
ganz verschiedener Altersgruppen
aus unterschiedlichen Bereichen
sammeln hier Ideen zur Verwirklichung geplanter Aktivitäten.
„Tolstoi war ausgesprochener
Pazifist“, erklärt Garsija die Namensgebung des Instituts. Außerdem sei
sein Beitrag zur Weltliteratur einer
von vielen gemeinsamen Nennern
zwischen den Kulturen. „Gegen
Tolstoi hat doch sicher niemand
etwas“, sagt sie lächelnd.
Mit dem Ziel, persönliche Beziehungen zwischen Deutschland
und Russland aufzubauen, sollen die Menschen ins Gespräch
kommen, gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen austauschen
und Einblicke in die jeweils andere Kultur bekommen. Dazu sind
Veranstaltungsreihen wie klas-
Mit Einsatz für das wechselseitige Verständnis: Die Direktorin
des Tolstoi-Instituts.
nung auf Berlin und Umgebung,
perspektivisch möchte das Institut auch deutschlandweit und mit
ähnlichen Institutionen international zusammenarbeiten. Auch Austauschreisen für Jugendliche und
andere Altersgruppen in Russland
sind geplant. Die erste Kulturreise
dieser Art wird im Herbst in Tolstois Geburtsort Jasnaja Poljana in
der Region Tula, rund 180 Kilometer von Moskau, führen.
Finanzielle Mittel fließen bislang über Vereinsbeiträge und
Spenden. Die Veranstaltungen
tragen sich durch das ehrenamtliche Engagement der Initiatoren.
Gleichzeitig laufen Verhandlungen
mit möglichen Sponsoren aus der
Wirtschaft, deren Ausgang bisher
jedoch noch ungewiss ist.
Der feierliche „Abschied vom
Winter“ in der Auenkirche endet
mit „Was der Westwind gesehen
hat“ von Claude Debussy. Tatjana Garsija und das Tolstoi-Institut positionieren sich klar: „Wir
rufen zur Freundschaft zwischen
Deutschland und Russland auf!“
Das Publikum nickt einverstanden
und zufrieden.
Originalfassung
»ist beiDie weitem
stärker
als die überarbeitete
Version.
aktuell erfolgreichsten russischen
Dirigenten, gegenüber der Nachrichtenagentur „Tass“ sagte.
Anders als in Beethovens Original wurden in der Inszenierung am
Pokrowskij-Theater die gesprochenen Dialoge zwischen den einzelnen Gesangspartien gestrichen.
Sie würden den Inhalt und den
Verlauf der Oper nur verkomplizieren, erklärt Regisseur Kisljarow.
Auch die Handlung wurde aus
dem 18. Jahrhundert in die 1930er
Jahre versetzt, jedoch ohne auf
einen bestimmten Schauplatz zu
verweisen. „Die Oper handelt von
der Tyrannei. Das 20. Jahrhundert
kannte eine Menge Tyrannen: Hitler, Stalin oder Mussolini. All diese
Persönlichkeiten finden sich in der
Figur Pizarros, dem Autokraten des
Stücks, wieder“, so Kisljarow.
8. bis 10. April, 19 Uhr
Pokrowskij-Theater
Ul. Nikolskaja 17
Lubjanka
(495) 606 70 08
www.opera-pokrovsky.ru
opera-pokrovsky.ru
Von Anastassija Issajewa
privat
Von Peggy Lohse
„Leonore“ trug. Noch im selben
Jahr wurde sie am Wiener Opernhaus „Theater an der Wien“ mit
dem neuen Titel „Fidelio“ uraufgeführt. Allerdings hatte sie in dieser
Form keinen Erfolg, weshalb Beethoven aus den ursprünglich drei
Akten zwei machte. Im März 1806
wurde − ebenfalls im „Theater an
der Wien“ − dann die überarbeitete
Version gespielt. Doch noch immer
ließ der Erfolg auf sich warten. Erst
1814 genoss die Oper, nachdem
Beethoven sie ein drittes Mal überarbeitet hatte, endlich den erhofften
Erfolg.
Am Pokrowskij-Theater entschied man sich dennoch für die
Urfassung mit dem Titel „Leonore“, da diese viel stärker sei als
die überarbeitete Version, wie der
musikalische Leiter der Oper, Gennadij Roschdestwenskij, einer der
Als Mann verkleidet kämpft die Heldin Leonore (rechts) gegen die Diktatur.
13
MOSKAU
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Zur Behörde surfen
Eine Online-Plattform macht Dienstleistungen der Stadt Moskau vom Computer aus zugänglich
Das Online-Portal der Stadt
Moskau bringt staatliche Dienstleistungen ins Internet und will
seinen Bürgern so Behördengänge ersparen. Gleichzeitig soll die
Korruption bekämpft werden,
indem gleich online bezahlt wird.
Noch gibt es allerdings Startschwierigkeiten.
Sonntagabend. Zeit für den Moskauer Elftklässler Iwan seine Hausaufgaben zu machen. Doch seit
einigen Monaten hat er ein Problem: Seine Hausaufgaben bekommt
er elektronisch und das Internetportal der Stadt Moskau, auf dem
sein elektronisches Klassenbuch
„MRKO“ platziert ist. Heute ist
wieder einmal überlastet, weil die
Schüler vieler Schulen gleichzeitig
darauf zugreifen, die ihre Hausaufgaben für Montag machen
wollen. „MRKO“ ist einer der vielen Dienste des Moskauer Portals
für staatliche Dienstleistungen
„pgu.mos.ru“. Seit September 2014
wurden viele Schulen dazu aufgefordert, sich dem Klassenbuch
anzuschließen – glücklich sind darüber nicht alle Schüler und Lehrer.
Bei anderen Diensten ist die
Stadt-Website praktischer: Sie
ermöglicht den Zugriff auf elektronische Datenbanken und Archive verschiedener Abteilungen der
Verwaltung. Seit dem Start des
Projektes im Jahr 2010 können die
Einwohner Moskaus so auf 285
Dienstleistungen in den Bereichen
Bildung, Gesundheit, Kommunalwirtschaft, Kultur, Familie und Verkehr zugreifen – und das alles von
Zuhause aus. Eltern können ihre
Kinder nun online in den Kinder-
Simon Schütt
Von Maria Fomina
garten einschreiben, man kann Verkehrsbußgelder bezahlen, Arzttermine vereinbaren und sogar Eheschließungsanträge stellen. Getraut
wird dann immer noch persönlich.
Für Unternehmen gibt es auf dem
Portal einen eigenen Bereich, in
dem sie etwa Genehmigungen oder
Zuschüsse beantragen können.
Die Registrierung für das Portal
erfolgt mit wenigen Klicks: in ein
Formular müssen Name, Sozialversicherungsnummer, Handynummer und E-Mail-Adresse eingegeben werden. Danach wird ein
„Persönlicher Bereich“ freigeschaltet. Um sich zum Beispiel beim Arzt
anzumelden, wählt man dort den
Bereich „Gesundheit“ und schreibt
Auf „pgu.mos.ru“ können
Moskauer nun zum Beispiel ihre
Stromkosten online begleichen.
sich in die Warteliste ein. Iwans
Mutter ist eine der über vier Millionen Registrierten und froh über die
neuen Möglichkeiten: „Mir erleichtert es den Alltag. Über das Portal
habe ich meine Kinder in Sportvereine eingetragen und brauchte dafür nicht in endlosen Warteschlangen zu stehen oder stapelweise Papiere auszufüllen.“ Sie hat
über eine Metrowerbung mit der
bekannten Moderatorin Oksana
Fjodorowa von der Seite erfahren.
Laut einer Statistik der Abteilung für Informationstechnologie
der Stadt Moskau ist „pgu.mos.ru“
mit rund zehn Millionen monatlichen Besuchern das meistbesuchte städtische Portal Russlands. Am
beliebtesten sind dabei mit 88 Prozent aller übermittelten Zahlungen
kommunale Dienstleistungen im
Bereich Wohnungs- und Kommunalwirtschaft: Täglich geben dort
Bürger den Zählerstand des Wassers ein und bezahlen ihre Stromrechnungen. Insgesamt flossen über
das Portal bereits mehr als fünf Milliarden Rubel.
„Unsere Aufgabe für 2015 ist die
Übertragung aller Dienstleistungen in die elektronische Form. Das
bringt nicht nur den Bürgern, sondern auch den Behörden erhebliche Vorteile, weil die Kontrolle der
Arbeit staatlicher Einrichtungen
die Bekämpfung von Korruption
ermöglicht“, behauptet Artjom Jer-
molajew, Leiter der Abteilung für
Informationstechnologie. Seinen
Worten zufolge sollen dieses Jahr
drei Bereiche des Portals verbessert
werden: Die Benutzerschnittstelle
soll überarbeitet werden, Dienstleistungen schneller und zuverlässiger erbracht werden und noch
fehlende Dienste ergänzt werden.
Trotz der positiven Entwicklung
bleiben viele Fragen offen: Wie sollen Rentner ohne IT-Kenntnisse die
Privilegien des Portals nutzen? Was
sollen Schüler tun, wenn sie ihr virtuelles Hausaufgabenheft nicht öffnen können? Auf Kritik antworten
die Betreiber mit: „Wir befinden
uns noch in der Entwicklung.“
Moskau ist nicht die einzige
Stadt, deren Bürger Online-Serviceleistungen in Anspruch nehmen
können – weltweit verfügen Metropolen wie New York oder Berlin
über ähnliche Anlaufstellen.
Beachtenswert am Moskauer
Stadtportal ist, dass darin weitere
Serviceleistungen wie das Umfragesystem „Aktiwnyj Graschdanin“–
„Aktiver Bürger“ integriert werden
können. Das Projekt wurde 2014
ins Leben gerufen und dient dazu,
Bürger über kommunale Entscheidungen abstimmen zu lassen. Jede
Woche legen die Stadtregierung
und der Bürgermeister Sergej Sobjanin wichtige Themen der Stadtorganisation zur Abstimmung vor.
Die Moskauer haben somit bei den
Entscheidungen der Behörden ein
Mitspracherecht. Sie haben meist
nur beratende Funktion, manchmal
sind die Abstimmungen aber bindend. Iwan darf nun beispielsweise
bis Ende März für Musikgruppen
abstimmen, die im Juni auf seinem
Abschlussball im Gorki-Park auftreten werden.
Alte Stände auf den neuesten Stand gebracht
Moskaus Kioske verschwinden von den Straßen, weil das Stadtbild modernisiert werden soll
Weil sie nicht in das moderne
Stadtbild Moskaus passen, sollen
Kioske, deren Pachtzeit 2015
endet, abgerissen werden – dafür
werden modernere gebaut. Die
Besitzer sind besorgt um ihre
Investitionen und Zukunft.
Die alten Kioske (rechts) sollen
den neuen, zentral geplanten
(links) weichen.
Kioske und kleine Ladenbuden
gehören zum russischen Stadtbild
wie Schnee im Winter. Wo sonst
könnten reuige Ehemänner auch
spät abends noch Blumen kaufen, Rentner sich nicht nur mit
Gemüse, sondern auch mit aktuellem Klatsch und Tratsch versorgen und Kinder im Sommer das
ersehnte Plombir-Eis bekommen.
Moskaus rund 7700 Kioske verbinden städtische Bequemlichkeit
mit dörflicher Gemütlichkeit und
sind zudem ein wichtiger Wirtschaftszweig des Einzelhandels.
Gleichzeitig wollen die Relikte aus
der post-sowjetischen Zeit aber
nicht mehr so recht in das modernisierte und gepflegte Stadtzen-
Nora Korte
Von Nora Korte
trum der russischen Hauptstadt
passen. Bürgermeister Sergej Sobjanin hatte bereits 2011 der baulichen Willkür auf den Straßen der
Hauptstadt den Kampf angesagt.
Damals wurden tausende private
und zum Teil illegale Buden und
Kioske geschlossen, 50 000 Menschen verloren ihre Arbeit. Für den
Bau neuer Objekte gab es strikte
Vorgaben. Die privaten Investoren
waren verpflichtet, ihre Buden in
ein und dem selben optischen Stil
zu errichten.
Anfang des Jahres griff die Stadtverwaltung erneut durch. Alle
Pavillons, deren Pachtzeit von
drei Jahren 2015 endet, werden
abgerissen. Mehr als ein Drittel
der Buden sind bereits von den
Straßen verschwunden. Auch der
kleine Reparaturladen von Sascha
Iwanow soll zum 15. April weichen. Seit drei Jahren arbeitet der
57-jährige täglich neun Stunden in
dem Kiosk bei Kitai-Gorod. „Bevor
ich hier angefangen habe, war ich
zehn Jahre lang mit meinem Laden
an der Metro ‚1905 Goda‘. Damals
musste ich 240 000 Rubel investieren, damit die Bude den Standards
entsprach. Als sie uns geschlossen
haben, hatte ich gerade mal einen
kleinen Teil der Summe wieder
raus.“ Wie es ab April weitergeht
weiß er nicht, zuckt aber lächelnd
mit den Schultern. „Solange ich
Arme und Beine habe, wird sich
schon was finden.“
Wie vor drei Jahren bleiben auch
dieses Mal die Unternehmer vorerst auf den Baukosten ihrer Objekte sitzen. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, hat ihnen eine Entschädigung der Stadt zugesichert,
ein Angebot steht allerdings noch
aus. Dafür werden in der Innenstadt bald neue Kioske entstehen,
zentral geplant und errichtet. Die
Hauptmotivation für dieses Vorhaben ist eine optische. Die neuen
Kioske sollen – je nach Sparte ihrer
Waren – einen Wiedererkennungswert haben. Vor allem aber sollen
sie moderner aussehen. Erste Prototypen wurden bereits errichtet.
In einem dieser ersten neuen
Kioske auf der Twerskaja Straße
verkauft Jelena Welizowa Theaterkarten. Der Pavillon, in dem sie
sitzt, hat ein klassizistisches Design
mit säulenartigen Eckpfeilern und
vier großen Fenstern an jeder Seite.
Er sei bereits kurz vor Neujahr als
eine Art Versuchsobjekt aufgestellt
worden. „Die gläsernen Fenster
gefallen mir persönlich gut. Es fällt
viel mehr Licht hinein als früher“,
erklärt sie. In den nächsten Wochen
sollen die ersten 100 dieser neuen
Kioske im Stadtzentrum entstehen.
Die Stadt lässt sie auf eigene Kosten
bauen und will sie dann verpachten.
Die Unternehmer können über eine
Online-Auktion einen Platz erhaschen – die Buden sollen für je eine
Million Rubel versteigert werden.
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
K O N Z E R T | R E S T A U R A N T | B Ü H N E
greatmodernists.com
K I N O | R E
HIGH L I G H T S
moscowmanege.ru
AUF TRENDSUCHE
Multimedia-Ausstellung animiert Gemälde
Ein großer abgedunkelter Saal im
Moskauer Designzentrum „Artplay“. Ringsum hohe Leinwände.
Gebannt wartet eine Gruppe Menschen auf den Beginn der Show.
Plötzlich ertönt klassische Musik
und wie aus dem Nichts fliegen
goldene Funken über die Leinwände. Immer schneller werden ihre
Bewegungen, drehen sich schnell
im Kreis, bis sie ineinander fließen
und die bekannten goldfarbenen
Frauenbildnisse Gustav Klimts formen. Die Frauen beginnen im Takt
der Musik zu tanzen, während goldene Rauchschwaden und Kreise
sie umschmeicheln.
Auf diese Weise erwachen in einer
spektakulären Bildershow rund
1000 Gemälde der bedeutendsten
Repräsentanten des Modernismus
zum Leben. „Große Modernisten.
Kunstrevolution“, so der Name der
Multimedia-Ausstellung, die aktuell
im „Artplay“ zu sehen ist.
Neben Klimts Kunstwerken sind
auch Werke von Henri Rousseau,
Paul Gauguin, Edward Munch, Paul
Signac, Henri Toulouse-Lautrec,
Amedeo Modigliani, Wassilij Kandinskij und Kasimir Malewitsch auf
den etwa sechs Meter hohen Leinwänden zu erleben.
Von manchen Gemälden sind
nur Fragmente zu sehen, die einander überlagern und auf den
Leinwänden vergrößert werden. So
können Besucher feine Details der
Kunstwerke erkennen, die in einer
gewöhnlichen Ausstellung nicht
unbedingt ins Auge stechen.
„Das ist nicht das Ende der Kunst,
sondern der Anfang der Realität“,
sagte Malewitsch über den Modernismus. Die Ausstellung soll den
Besuchern diese Kunstströmung
näherbringen − das Videoformat
erweist sich hierbei als Alternative
zu herkömmlichen Museen. Einen
Hauch von Malewitschs Realitätsvorstellung lässt der Film zu seinem Werk erahnen: Farbige Würfel, Kugeln und Dreiecke fliegen
wie Kometen über eine winzige
Erdoberfläche − und die Beobachter selbst sind Teil des Spektakels.
Im Saal Sitzsäcke ausgelegt, auf
denen man sich zurücklehnen
und die Bilder auf sich wirken lassen kann. Von einer Empore aus
lässt sich die Show auch von oben
betrachten. Es empfiehlt sich aber,
mitten im Raum zu stehen und den
Standort hin und wieder zu wechseln, da der 360-Grad-Effekt somit
stärker erzielt wird. Die Clips dauern im Schnitt sechs Minuten und
werden begleitet von klassischer
Musik bekannter und unbekannter Interpreten. Nach 40 Minuten
beginnt die Show wieder von vorne.
Der zweite Teil der Ausstellung
ist ein Informationssaal. Hier ist zu
sehen, wie die technische Revolution im 19. und 20. Jahrhundert die
Kunst beeinflusst hat. Außerdem
wird anhand von Reproduktionen
berühmter Gemälde die Evolution
einzelner Genres wie dem Portrait
und dem Stillleben veranschaulicht.
Parallel läuft im „Artplay“ aktuell
eine weitere Multimedia-Show, die
den Künstlern des Impressionismus
gewidmet ist.
Maria Fomina
Bis 31. Mai
Designzentrum „Artplay“
Ul. Nischnaja Syromjatnitscheskaja
Kurskaja
(495) 620 08 83
www.greatmodernists.com
Reise zu den Sternen
flickr.com/Hubbel Heritage
Das Moskauer Planetarium zeigt Sonderfilm zum Frühling
Einblick in ferne Welten und
fremde Galaxien.
Eine Reise durch Zeit und Raum
können Besucher des Moskauer
Planetariums im kuppelförmigen
„Sternensaal“ erleben. Mit Hilfe
eines speziellen Filmprojektors,
des „Universarium M9“, erscheinen auf einem großen 360 GradBildschirm ferne Planeten, Wurmlöcher und fremde Galaxien. Im
gemütlichen Lehnstuhl sitzend,
erwarten den Besucher hier lehrreiche Vorlesungen, etwa über den
„roten Planeten“, die Vulkanlandschaft des Mondes oder die Entstehung von schwarzen Löchern.
Anlässlich des Frühlingseinbruchs hat sich das Planetarium
nun ein Sonderprogramm einfallen lassen: Noch bis Ende Mai läuft
vor einigen der regulär gezeigten
Filme der Kurzfilm „Die Jahreszei-
ten. Frühjahr“. Die Dokumentation erzählt, welche Sterne, Planeten
und kosmischen Erscheinungen
im Frühjahr am Sternenhimmel zu
sehen sind und in welchem Zenit
sie stehen. Die Tickets kosten im
Schnitt 400 Rubel und müssen im
Vorfeld online bestellt werden.
Auch das Programm zu den einzelnen Vorstellungen ist auf der
Internetseite des Planetariums
einsehbar.
Bis 2. April
Museum Manege
Maneschnaja pl. 1
Biblioteka im. Lenina
(495) 692 44 59
www.moscowmanege.ru
3
T H E A T E R
FLUG DER MÖWE
tabakov.ru
Bewegte Kunst
Ein Trendjäger ist stets auf dem
neusten Stand, was die Neuerungen und Entwicklungen in
der Welt der schönen Textilien angeht. Die gleichnamige
Ausstellung „Trendjäger? Die
wichtigsten Vertreter der spanischen Mode“ richtet sich genau
an diesen Menschentypus und
zeigt, wie Mode in Spanien als
Ausdrucksmedium genutzt und
wahrgenommen wird. Zu sehen
sind unter anderem gebräunte
Models in spektakulären Kleiderkreationen spanischer Designer, abgelichtet von berühmten
Fotografen. Außerdem zeigt die
Ausstellung, wie sich die spanische Mode im letzten Jahrhundert entwickelt hat.
Tschechows Theaterstück „Die
Möwe“ zählt zu den Klassikern
der russischen Literatur. Der
Held des Dramas, Konstantin
Treplew, kämpf um seine Anerkennung als Dichter, sieht sich
aber immer wieder den Nörgeleien seiner Mutter ausgesetzt.
Und auch sein Konkurrent Trigorin, der sowohl als Poet als
auch als Werber um die Gunst
von Treplews Geliebter mehr
Erfolg hat, macht ihm das Leben
schwer. In einer modernen und
abstrakten Inszenierung präsentiert Regisseur Konstantin Bogomolow das Gesellschaftsdrama
am berühmten Tschechow-Theater in Moskau.
2
B I E N A L E
CLEVERE MODE
Intelligente Textilien sind heute
nicht nur in bestimmten Berufssparten, sondern auch in der
Alltagsmode gang und gäbe. Sie
schützen vor Regen, schmeicheln der Haut oder riechen wie
Blumen. Die Bienale „Modeschöpfung“ zeigt, wie die Mode
von heute innovative Materialien für sich verwertet. Die Besucher erfahren, wie aus einem
einfachen Faden Nutzkleidung
für Feuerwehrleute, Kosmonauten oder Sportler wird. Zu sehen
sind über 400 Exponate aus
russischen Museen, Erfindungen
von Wissenschaftlern und aus
den Modekollektionen führender
europäischer Designer.
vmdpni.ru
A U S S T E L L U N G
Bis 19. Mai
Museum für
Angewandte Kunst
Ul. Delegatskaja 3
Majakowskaja
(499) 973 32 19
www.vmdpni.ru
4
K O N Z E R T
FRAUENSCHWARM
Zu seinen Zeiten bei der britischen Boygroup “Take That”
brachte Robbie Williams reihenweise pubertierende Mädchen zum Kreischen. Später
entwickelte er sich zu einem der
erfolgreichsten europäischen
Musikkünstler, der es sogar zu
einem Eintrag im Guinessbuch
der Rekorde geschafft hat – für
1,6 Millionen verkaufte Konzerttickets an nur einem Tag. Zehn
Jahre nach seinem letzten und
bisher einzigen Kontert in Russland tritt er nun in Moskau im
Olimpiskij-Stadion im Rahmen
seiner „Let Me Entertain You“
Welttournee auf. Im Gepäck hat
er seine bekanntesten Hits.
olimpik.ru
1
Maria Galland
Bis 31. Mai
Planetarium Moskau
Ul. Sadowaja-Kudrinskaja 5
Barrikadnaja
(495) 221 76 90
www.planetarium-moscow.ru
3. April, 19 Uhr
MXAT
Kamergerskij per. 3
Ochotnij Rjad
(495) 646 36 46
www.tabakov.ru
12. April, 20 Uhr
Olympiahalle
Olympijskij pros. 16
Prospekt Mira
(495) 786 33 33
www.olimpik.ru
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MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
F E S T I V A L
B A L L E T T | M U S E U M
Backkunst mit Biss
Hilfe gegen den Hunger
zwischendurch
Ein Ausflug in das Kolatsche-Museum in Kolomna
Pawel Pelewin
Das gut 100 Kilometer südlich
von Moskau gelegene Kolomna
ist nicht nur wegen seines Kremls
ein Pilgerort für Touristen. Die
historische Altstadt mit ihren
zahlreichen Museen bringt das
alte Russland näher. Das Museum „Kalatschnaja“ ist eines von
ihnen und gewährt einen Einblick
in die Backkunst des traditionellen Kolatsche-Brots.
anschließend im klassischen Holzofen knusprig gebacken.
Nicht nur das Kolatsche-Rezept,
sondern auch die Einrichtung im
Innern des Museums stammt aus
dem 19. Jahrhundert und macht
das Gefühl, sich in einer traditionellen Kolatsche-Bäckerei von
einst zu befinden, perfekt. Aus dem
großen, weißen Holzofen strömt
der Duft von frischgebackenem
Brot und in der Mitte steht ein
großer, schwerer Holztisch, um
den die Besucher sitzen, während
der Oberbäcker auf ihm den Teig
ausrollt. Nach dem Backen wurden
früher die noch warmen Kolatsche
auf dem Holztisch, dem sogenannten „Eistisch“, in Eiswürfel gepackt
und eingefroren, erzählt Milajew.
Auf diese Weise konnte das Brot
damals über einen längeren Zeitraum frisch gehalten werden und
überstand lange Transportzeiten.
Nicht selten soll damals auch der
Pariser Adel das Brot aus Russland
bestellt haben. Heute nun kommen die Museumsbesucher in den
Genuss einer frisch gebackenen
Kolatsche. Nachdem die Brote aus
dem Ofen gezogen wurden, werden sie noch dampfend mit Butter bestrichen und zu süßem Tee
verspeist.
Für den Eigenbedarf am heimischen Frühstücks- oder Abendbrottisch können sich die Besucher im museumseigenen Laden
oder auf dem Museumsplatz direkt
vom Pferdefuhrwerk mit den Broten eindecken. Auch hier erinnert
das Ambiente an eine Bäckerei aus
dem 19. Jahrhundert. 2013 hat das
Museum „Kalatschnaja“ den Preis
des Wettbewerbs „Das veränderte
Museum in der veränderten Welt“
in Russland gewonnen. Dieser
Wettbewerb zeichnet Museen mit
besonders innovativen Ideen aus.
Museum „Kalatschnaja“
Ul. Zajzewa 14, Kolomna
Zug vom Kasaner Bahnhof bis zur
Station „Kolomna“
(916) 376 49 28
www.kolomnapastila.ru
Die letzten vereisten Schneereste
gammeln und tauen vor sich hin.
Noch sprießt kaum etwas Grünes
durch das Braun und Grau. Aber
die Mäntel bleiben schon offen, die
Mützen und Handschuhe in der
Tasche. Noch scheint die Sonne
ziemlich bleich vom strahlendblauen Himmel und lädt zum gelösten
Schlendern ein. Statt zum fröstelnden Eiltempo auf dem Weg zur
wärmenden Metrostation. Erleichterndes Aufatmen. Fröhliches
Frühlingserwachen. Überall rundherum. Auch in den Gesichtern.
Beste Zeit für eine kleine Verschnaufpause auf der Parkbank.
Und was Leckeres für zwischendurch. Die immer noch fünfstellige, gewähnte Weltrekordzahl an
Stätten zum Essen und Trinken in
der großen Stadt nährt den Verdacht, dass das Stillen von Hunger
und Durst sowas wie Volkssport
sein muss. So gut wie für jeden
und zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Jetzt lässt es sich auch wieder unter
freiem Himmel gut und gerne speisen. Ja, und zum Raucherglück
dann sogar eine Verdauungszigarette danach qualmen.
Ob Plow oder Döner, ob Würstchen oder Sandwiches. Ob verschieden gefüllte Pelmeni oder
Kartoffeln in allen Variationen.
Und noch so viel mehr. Alles auf
der Stelle und von Hand. Nicht
gleichförmig vorfabriziert vom
Fließband, wie meist in den Fast
Food-Ketten nach amerikanischer
Art. Brutzeln. Braten. Backen.
Bedienen. Frisch. Freundlich. Fix.
Fertig. Zum Beispiel nahe der
Metrostation Akademitscheskaja.
Wenn der flinke Surab aus Georgi-
РЕКЛАМА
Ein Bäckerlehrling mit einem
Korb voller Kolatsche-Brote.
РЕКЛАМА
РЕКЛАМА
PELMENI
Von Frank Ebbecke
Von Anna Braschnikowa
Kolatsche gibt es in fast jeder slawischen Küche. In den meisten Traditionen handelt es sich hierbei um
einen runden und süßen Kuchen
aus Hefeteig, der mit Quark oder
Mohn gefüllt ist. Die Kolomner
Kolatsche hingegen ist aus salzigem Hefeteig gemacht. Das Rezept,
so versichert man im Museum
„Kalatschnaja“, stammt aus dem
19. Jahrhundert und wurde nach
langer Lagerzeit in der Russischen
Staatsbibliothek in Moskau wieder
ausgegraben.
In ihrer Form erinnert die Kolatsche an ein Vorhängeschloss. Der
Bauch des Schlosses wird durch
einen schmalen Bügel getragen, an
dem sich die Kolatsche angenehm
in der Hand halten lässt, während
man den dickeren, unteren Teil
genüsslich abknuspert. Durch das
Loch, das durch den Bügel in der
Kolatsche entsteht, lässt sie sich
auch gut auf einer Stange aufgefädelt aufbewahren.
Zu Zarenzeiten konnten sich
nur die Reichen dieses Brot leisten. Nachdem sie den Bauch des
Schlosses verzehrt hatten, sollen
sie den oberen Teil den Armen
weitergereicht haben. Nicht zuletzt
auch, da der Teil, den sie bereits in
den Händen hielten, als schmutzig
galt, wie Oberbäcker Milajew während der Museumsführung erzählt.
Das Rezept ist ganz einfach:
etwas Wasser, Mehl und Salz werden miteinander verknetet und
PROSECCO
en und der flotte Uktam aus Usbekistan das nicht machen würden,
wer dann? Die beiden, ganz in sauberem Weiß mit adrettem Käppi,
teilen sich eine Essbude von nicht
viel mehr als vielleicht zwei Metern
Breite. Dafür aber schlauchlang.
Fingerfertige Garköche, offenes
Werkeln hinter Glas.
Erst mal ein „Atscharuli
Chatschapuri“, oder so ähnlich.
Eine Käsebrot-Spezialität aus
Georgien. Sieht fast aus wie ein
Spielzeugpaddelboot. Eine knusprig gebackene Spitze abgebrochen und ins „a la minute“ gegarte Eigelb in der Mitte getunkt.
Richtig lecker. Gerade gerupftes
russisches Hähnchen, das vor der
Bude seine Runden dreht. Am
Spieß. Außen goldbraun gegrillt,
innen saftig-zart gegart. Dazu ein
Fläschchen Kwass vom Verkaufsdurchlass gleich nebenan. Kartoffelförmig gekneteter Kuchenteig, durchsetzt mit gezuckerter
Kondensmilch. „Kartoschka“ zum
Nachtisch. Gern geteilt mit einer
ganzen Schar umhertrippelnder
Bettel-Tauben. Die sind hier aber
auch schon reichlich satt. Und das
für gerademal gut 400 Rubel (zurzeit bescheidene sechs Euro).
Eine „Zwischenmahlzeit“ gibt
es so gut wie überall. Auch bei
Ihnen um die Ecke. Garantiert.
bk
K U N S T
S T A U R A N T |
Selfie mit BlätterteigChatschapuri.
Vkontakte
16
LETZTE SEITE
Abgeschleppter Abschlepper
St. Petersburg. Was für ein netter Kollege! Ein Abschleppfahrzeug hilft einem anderen, das eine Panne hatte. So
zumindest erklärte ein lokaler TV-Sender die Bilder, die
im Internet auftauchten. Dann aber meldete sich der
Eigentümer zu Wort: Gesetzeswidrig sei das Verhalten
der Kollegen (die ja auch Konkurrenten sind, da Privatunternehmen als Abschlepper arbeiten). Erst habe man das
Fahrzeug verschlepp und jetzt fordere man 16 000 Rubel
Lösegeld (die Gebühr für so etwas). Dabei habe es gar
nicht falsch geparkt. Vermeintliche Zeugen, die sich im
Internet zu dem Fall äußerten, widersprechen dem aber.
Schweinerei
in der Sauna
Tscheljabinsk. Aufruhr im Dorf
Mirnyj Kosyrewskij! Der Bürgermeister soll die öffentliche Banja
zum eigenen Gebrauch in einen
Schweinestall umfunktioniert
haben. Dort, wo die Dorfbewohner ihren Feierabend genießen
könnten, grunzen ihren Angaben
zufolge neuerdings Schweine.
Ferkelhaft seien auch die übrigen
Taten des Dorfhaupts, klagen
die Menschen vor Ort. So habe
der LDPR-Politiker unmittelbar außerhalb der Siedlung eine
Müllhalde angelegt, auf der sich
neben dem üblich-stinkenden
Müll auch tote Ziegen sammelten. Und die Abwässer von Mirnyj flössen direkt in den Schulgarten. Außer diesem beamtenbäuerlichen Unwesen tue die
Verwaltung rein gar nichts. Die
Dörfler kündigten eine Demo an,
in der Verwaltung hieß es nur,
das Anliegen werde geprüft.
Preissprung bei Rasse-Miezen
Nowosibirsk. Die starke Abwertung des Rubel Ende 2014 macht vieles
in Russland teuer. Insbesondere natürlich alles, bei dem man zur Herstellung auf Importgüter angewiesen ist. Weniger einleuchtend ist,
warum plötzlich in Russland selbstgezüchtete Katzen ein Drittel mehr
kosten sollen als noch vor einigen Monaten. So eine Preisentwicklung wird aus Nowosibirsk gemeldet. Ein reinrassiges Maine-CoonKätzchen kostet jetzt stolze 50 000 Rubel. In Valuta ist der Preis dabei
konstant geblieben (etwa 800 Euro). Wieso der Preis einheimischer
Katzenbabys an die ausländischen Währungen gekoppelt scheint, fällt
den Züchtern nicht so leicht zu erklären. Futter und Impfungen hätten sich verteuert, sagen die einen. Andere weisen darauf hin, dass
die Katzen auch gerne ins Ausland verkauft würden.
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (397) MÄRZ 2015
Eines Nachts unter der Erde
PLANET
MOSKAU
Von Hans Winkler
Es gibt wohl kaum einen Ort,
der weniger geeignet erscheint,
jemanden auf frohe Gedanken zu
bringen, als die Moskauer Metro.
Grimmige Gesichter, die apathisch
auf ihre Handy-Displays oder auf
die Schuhspitzen des Gegenübers
schauen. Die aktuellen HiobsBotschaften über die politische
und wirtschaftliche Situation des
Landes tun ihr Übriges, um den
schmutzigen Schleier der Depression noch tiefer über die stoischen
Minen der Passagiere zu senken.
Wenn man dann spät abends am
Freitag unter Moskaus Zentrum
auch noch mit dem Zug in einem
düsteren Tunnel stecken bleibt,
dann fällt das Stimmungsbarometer tief unter null.
Aber dann durchbricht die
bedrohliche Stille unverhofft
eine fröhliche Musik. Erst leise
aus der Ferne, dann immer deutlicher und klarer. Von irgendwoher dringt Gelächter und Gefeixe. Ich denke: halbstarke Jugendliche machen Faxen – das kennt
man freitagnachts. Dann erkenne ich einen jungen Mann, der
zur Musik mit pantomimischen
Bewegungen unentwegt Luftballons aus einer großen Tasche
zieht, um mit Hilfe dieser den ver-
wunderten Passagieren Blumen,
Tiere und Hüte aus Hosentaschen
und Knopflöchern zu zaubern.
Immer mehr Menschen erwachen aus ihrem komatösen Normalzustand und beobachten die
Szene mit ungewollter Heiterkeit.
Erster Beifall brandet auf, es wird
gelacht, Handykameras verfolgen
das Spektakel.
Der junge Mann schleicht
sich von hinten an einen besonders widerspenstigen Griesgram
und drückt ihm aus Luftballons
geformte Pfeile und Bogen in die
Hand. Der Griesgram soll damit
in ein rosafarbenes Herz schießen,
das der Spaßmacher soeben einer
jungen Dame gereicht hat. Unter
Anfeuerungsrufen des Publikums
gelingt es ihm im dritten Versuch.
„Bravo!“ und „Molodez!“ rufen die
Passagiere und fragen: „Wer sind
Sie? Wo kommen Sie her?“ Der
junge Mann deutet nur vielsagend
mit dem Finger nach oben, dorthin, wo fünfzig Meter Schmutz
uns vom Moskauer Nachthimmel
trennen.
Als der Zug dann doch noch
die Station erreicht, springt der
junge Mann aus dem Waggon
und verschwindet in der Menschenmenge, genauso unverhofft,
wie er erschienen war. Applaus
und Gejohle hallen ihm aus dem
Wagen hinterher. Ich vernehme
Sätze wie: „Wie gut, dass der Zug
stecken geblieben ist.“
Seit langem bin ich mit mir und
der Stadt mal wieder im Reinen.