Symposium „Energetische Sanierung und soziales Wohnen“ 17.03.2015 Energetische Sanierung und soziales Wohnen Passt das zusammen? Dr. Christian v. Malottki Institut Wohnen und Umwelt (IWU) 1 Das Institut Wohnen und Umwelt Forschungseinrichtung des Landes Hessen und der Stadt Darmstadt Ca. 45 Mitarbeiter Forschungsfelder ► Wohnen ► Energie ► Integrierte nachhaltige Entwicklung Forschungsprojekte in der Grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung für Kommunen, Bundesländer, Bund, EU, Unternehmen, Verbände Ansicht des neuen IWU-Hauses, das mit Passivhaus-Komponenten saniert wurde 2 Klimaschutzziele der Bundesregierung Langfristige Ziele bis 2050: ► alle Sektoren: Treibhausgasemissionen -80 % (gegenüber 1990) ► Gebäudesektor: Klimaneutralität => Primärenergiebedarf -80% (gg. 2008*) Kurzfristige Ziele bis 2020: ► alle Sektoren: Treibhausgasemissionen -40 % (gg. 1990) ► Gebäudesektor: ►Klimaneutraler Neubau ab 2020 ►Verdopplung der energetischen Sanierungsrate auf 2 %/a ►Wärmebedarf -20% (gg. 2008*) 3 CO2-Emissionen in Deutschland: Anteil der Gebäude 7% Sonstige CO2-Emissionen 7% Wohngebäude (Wärme) Wohngebäude (Haushaltsstrom) 6% Nichtwohngebäude (Wärme) Nichtwohngebäude (Strom) 17% 63% Gesamtemissionen: ca. 890 Mio t CO2 Potenziale im Gebäudebereich sind vergleichsweise einfach zu heben Berechnungen: IWU (Nichtwohngebäude: Schätzung) 4 Niedrigenergie- und Passivhäuser Aktive und passive Solarenergienutzung Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung h > 60 % bzw. h > 80 % Energieeffiziente Wärmeversorgung: Wärmeschutzverglasung •Brennwertkessel •Wärmepumpen •Kraft-Wärme-Kopplung •Biomasse + Minimierung Hilfsstrom 2 bzw. 3 Scheiben im wärmegedämmten Rahmen Hohe Dichtheit: 2-7 20 Liter Heizöl pro m² Wohnfläche Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil Oil n50 < 1,0 1/h bzw. n50 < 0,6 1/h Hochwirksamer Wärmeschutz Dämmstärke 15 bis 30 cm bzw. 25 bis 40 cm Stand der energetischen Gebäudesanierung Bauteilunterschiede: Altbau (Baujahr bis 1978): Nachträglich gedämmte Bauteilfläche ► Heizungen sehr weit ► Fenster und Dach weit ► Außenwand und Kellerdecke erst am Anfang Unterschiede nach Baualter der Gebäude ► Neubau gut ► 70er Jahre: noch kaum saniert ► Umfangreiche Sanierungstätigkeit in den 50er und 60er-Jahre-Beständen ► Begrenzte Möglichkeiten vor 1914 Eigentümerunterschiede ► Problemkind Privatvermieter und Wohnungseigentümergemeinschaften Regionale Unterschiede bei Fenstern: Wärmeschutzverglasung (Fenstereinbau ab 1995) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Außenwand Quelle: Datenbasis Gebäudebestand. Deutschlandweite Repräsentativbefragung des IWU 2010 Dach / OGD Fußboden / KD Fenster 6 Konfliktfelder der energetischen Sanierung Dämmung und Baukultur Dämmung und Fernwärme Vermieter-Mieter-Dilemma Motivation der privaten Kleineigentümer Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit Ideal: Warmmietenneutrale energetische Sanierung mit "wärmetechnsicher Beschaffenheit" im Mietspiegel Erhöhung nach $ 558 BGB (neue ortsübliche Vergleichsmiete) Zahlungen in € pro m² Wohnfläche und Monat 10 9 8 Energetische Modernisierung 7 6 5 Heizkosten 4 energiebedingte Mehreinnahmen 3 Nettomiete 2 Nettomiete+Heizkosten (ohne Energiesparmaßnahmen) 1 0 1999 ortsübliche Vergleichsmiete 2004 2009 2014 2019 2024 Jahre Quelle: IWU 8 Modernisierung vs. Instandhaltung (Bsp. Außenwand) Ohnehin erforderliche Kosten Energiebedingte Mehrkosten Situationsabhängiger Anteil § 559 BGB ist missbrauchsanfällig, wenn Instandhaltungskosten als Modernisierungskosten deklariert werden. Die Erreichung der Klimaschutzziele macht allerdings mehr vorgezogene Modernisierungen erforderlich. Rebound-Effekt „Die Nebenkosten sinken doch kaum nach einer energetischen Modernisierung“ • In energetisch schlechten Altbauwohnungen wird deutlich weniger geheizt (Prebound-Effekt). • Nach einer Modernisierung steigen die Raumtemperaturen. Die Mieter konsumieren also unbewusst mehr geheizten Wohnraum (ReboundEffekt). • Die warmen Betriebskosten sinken daher nicht wie erwartet, die Komforterhöhung rechtfertigt dennoch eine Mietpreiserhöhung 10 Anteil energetischer Sanierungen am Mietpreisanstieg Eine einfache Modellrechnung Im Jahr xxxx energetisch sanierte Gebäude (1 %) Im Jahr xxxx nicht energetisch sanierte Gebäude (99 %) Mittelwert aller Gebäude (100 %) 01.01.xxxx 01.01.xxxx+1 1,00 € Sanierung 0,12 € + 2 %) 6,00 € 6,00 € 0,12 € + 2 %) 6,00 € 6,00 € 0,01 € Sanierung 0,12 € + 2 %) 6,00 € 6,00 € Preisentwicklung am Immobilienmarkt 140 Wohnungsmieten Baukosten 120 Verbraucherpreisindex Strom, Gas und andere Brennstoffe 100 80 60 1991 1996 Quelle: IWU auf Basis Stat. BA 2001 2006 2011 Nachholender Preisanstieg am Wohnungsmarkt Angebotsmieten für Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen Quelle: IWU auf Basis www.immodaten.net 13 Fuel Poverty / Energiearmut 700 y = 21,65x 0,388 R² = 0,972 Bruttokaltmiete 600 500 400 BKM Pot.(BKM) 300 120 200 0 2000 4000 6000 8000 110 10000 100 Warme Nebenkosten Nettoeinkommen Haushalt Die Miet- und Heizkostenbelastung steigt degressiv mit dem Einkommen y = 12,36x0,233 R² = 0,879 90 80 70 60 WarmNK 50 Pot.(WarmNK) 40 0 2000 4000 6000 8000 10000 Nettoeinkommen Haushalt Quelle: IWU auf Basis Mikrozensus Zusatzerhebung Wohnen 2006 14 Fuel Poverty / Energiearmut Haushaltsgröße 1 2 3 4 5+ insges. Niedrigeinkommen insges. insges. o. Tr. 1,33 1,50 1,57 1,51 1,61 1,44 1,40 1,52 1,60 1,60 1,60 1,48 1,31 1,42 1,53 1,44 1,44 1,37 Transfer Mindestsicherung WoG insges. o. MH insges. ALG II insgesamt 1,50 1,60 1,61 1,66 1,79 1,57 1,52 1,63 1,61 1,71 1,75 1,59 1,53 1,64 1,60 1,71 1,74 1,60 1,45 1,43 1,58 1,48 1,90 1,50 kein NEB sonst. 1,50 1,54 1,54 1,58 1,98 1,57 1,30 1,49 1,56 1,48 1,52 1,42 Durchschnittliche monatliche Energiekosten (Heizung und Strom) pro m² der Mieterhaushalte (E-52), Quelle: EVS 2008, zitiert aus: J. Kirchner, H. Cischinsky: Soziale Absicherung des Wohnens. Im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung. Darmstadt 2013 (noch unveröffentlicht). • • Niedrigeinkommensbezieher haben tendenziell überdurchschnittliche Energiekosten pro m² (Bausubstanz), Grundsicherungsempfänger noch höhere (Anwesenheit zuhause, Fehlanreize Transferleistungssystem) Selbstnutzende Eigentümer haben ebenfalls höhere Energiekosten als Mieter (hoher Anteil EFH) 15 Fuel Poverty / Energiearmut Empirisch keine höhere Energiekostenbelastung einkommensschwächerer Haushalte feststellbar Aber: geringe Einkommenselastizität bedingt höhere Vulnerabilität ggü. Kostensteigerungen Arme Haushalte sind auch von Energiepreissteigerungen und Sanierungskosten betroffen – hier liegt die Lösung aber in den entsprechenden Transferleistungssystemen Als energiearm sollten v.a. Haushalte bezeichnet werden, die eigentlich nicht arm sind und nur durch ihre Rahmenbedingungen (geringes Einkommen, ineffiziente bzw. v.a. zu große Wohnung ) mit ihrem verfügbaren Einkommen jenseits der Wohn- und Heizkosten unter die Armutsgrenze rutschen. -> Mutmaßlich v.a. ältere Hauseigentümer -> Empirische Evidenz (mit Bedarfskennwerten!) hierzu äußerst schwer zu erreichen. 16 Energiebedingte Gentrifizierung? RELATIVE PREISE Neubau Aufwertung ? Filterung nach unten Sanierung ZEIT o Am Wohnungsmarkt ist die billige Wohnung v.a. die unmodernisierte Wohnung. o Während 1 % der Wohnungen saniert wird, veralten 99 % der Wohnungen langsam. o Die geringe Modernisierungsrate reduziert den Einfluss der energetischen Sanierung am gesamten Preisanstieg Energiebedingte Gentrifizierung In den meisten Fällen sind Vermieter an der Fortsetzung eines Mietverhältnisses interessiert, die Marktmiete begrenzt den Kostenanstieg Verdrängung gibt es dort, wo Lebenszyklus und Marktlage es zulassen, die energetische Sanierung kann diese Entwicklung (leicht) verstärken. Kommunale Instrumente wie Milieuschutz, differenzierte Mietspiegel, Berücksichtigung energetischer Merkmale bei den Kosten der Unterkunft. 18 Strategieentwicklung in Wohnungsunternehmen Differenzierte Sanierungstiefen auf langer Zeitachse statt Flächensanierung! Postsiedlung des Bauvereins Darmstadt, Quelle: Darmstädter Echo 19 Energetische Merkmale im Mietspiegel 7,25 Spreizung der ortsüblichen Vergleichsmiete Miete in €/m² 7 6,75 6,5 6,25 6 1 2 Durchschnitt aller Wohnungen 2005 2009 3 4 5 Unsanierte Sanierte Wohnungen Energetische Merkmale im Mietspiegel Quelle: Mietspiegel Darmstadt 2007, BBSR-Online-Publikation 4 / 2010 Nichtsignifikanz energetischer Merkmale • Die Modernisierungstiefe ist je nach Anbietersegment unterschiedlich. Im Mietspiegel können daher besonders preiswerte Wohnungsteilmärkte (Geschosswohnungsbau, kommunale Wohnungsunternehmen) durchaus energetisch effizienter sein. • Die Kosten für Modernisierungsmaßnahmen werden bei vielen Unternehmen nicht wohnungsweise, sondern unternehmensweise umgelegt. • Modernisierungsmaßnahmen in Bestandsmietverhältnissen werden ggf. erst mit Verzögerung oder gar nicht preiswirksam. 22 Energetische Aspekte im Transferleistungssystem SGB II / XII (= KdU/KdH) Wohngeld Funktionsweise Erstattung der tatsächlichen Kosten bis zur Angemessenheitsgrenze Zuschuss in Abhängigkeit von Miethöhe, Einkommen und Haushaltsgröße Anreiz zum günstigen Wohnen Unterhalb der Angemessenheitsgrenze keiner (Ersparnis erhält Leistungsträger) Vorhanden (Ersparnis erhält überwiegend der Leistungsempfänger Anreiz zum Energiesparen Unterhalb der Angemessenheitsgrenze keiner (Ersparnis erhält Leistungsträger) Vorhanden (Ersparnis erhält der Leistungsempfänger Anreiz zur energetischen Sanierung In jedem Fall bei Warmmietenneutralität Gefahr, dass Wohnungen unangemessen werden 23 Thesen Kompensationen für Energiepreisanstiege sollten innerhalb des bestehenden Transferleistungssystems stattfinden (Vermeidung von Verwaltungsaufwand) Das Wohngeld ist aufgrund seiner Anreize hierzu bestens geeignet (vgl. Heizkostenzuschuss 2008 – 2010) Fehlanreize in der Grundsicherung (KdU / KdH) sollten abgebaut werden. 24 Perzentile bei Unterkunfts- und Heizkosten KdU: 20%-Perzentil der Quadratmetermieten von Mietwohnungen Heizkostenspiegel: 90 % der Quadratmeterkosten aller Wohnungen Kostensenkung = Verfügbarkeitsproblem Kostensenkung = Verhaltensproblem oder Problem des energetischen Zustand 25 Problem niedrige KdU-Grenze und hohe KdH-Grenze • • • • Umweltpolitisch: Verhinderung energetischer Sanierungen Stadtentwicklungspolitisch: fuel poverty und energetische Segregation Fiskalpolitisch: Kostenrisiko im Falle von Energiepreissteigerungen Kein Anreiz an die Nutzer zum energiesparenden Heizen Fehlanreiz Sanierungshemmnis KDU Fehlanreiz tatsächliche KdH-Übernahme KDH Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Der Gedämmte Der Überteuerte 330 € 57 € Lösung 1: Ausdifferenzierung der KdH (Heilbronner Heizkostenrechner) Energetisch gute Gebäude … schlechte Gebäude … mittlere Gebäude 27 Lösung 2: Einzelfalllösung über die Wirtschaftlichkeitsprüfung (BSG) Urteil B 14 AS 60/12 R: Der ungünstige energetische Standard einer Wohnung, (…), ist für sich genommen kein Grund im Einzelfall, der den Träger der Grundsicherung zur dauerhaften Übernahme von hohen Heizkosten als "angemessene" Aufwendungen verpflichtet. Wirtschaftlichkeit = bruttowarm „Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.“ § 22 (1) S. 4 SGB II -> „Bruttowarmmietgrenze durch die Hintertür“ 28 Lösung 3: Bruttowarmmiete per Satzung (§ 22b SGB II) Warmmietengrenze KDU+KDH Fehlanreiz Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Neu angemessene Kosten Der Gedämmte Der Überteuerte 333 € Gutachten „Die Berücksichtigung der energetischen Gebäudequalität bei der Festlegung von Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch http://www.iwu.de/fileadmin/user_upload/dateien/wohnen/2012/120727_Gutachten_Dresden_Energie_Ver%C3%B6ffentlichung.pdf 29 Lösung 4: Umschichtungssysteme in eine Richtung Übertragungsmöglichkeit auf Antrag mit Nachweis (Modell Bielefeld, Stadt Offenbach) KDU KDH Der Sparsame Der Wärmeliebende Altbaubewohner Neu angemessene Kosten Übertrag Der Gedämmte Der Überteuerte 276 € 57 € 30 Modellprojekte in den Kreisen GI, MR und WN Ziel: Lokale Miet- und Energieerhebung Datenerhebung: 09/2014 – 03/2015 Fragestellungen: • Zusammenhang zwischen Miete und energetischer Qualität • Energetischer Gebäudestandard im niedrigpreisigen Wohnungsmarktsegment • Zusammenhang zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch / KdH • Wirkungen eines Klima-Bonus auf die Verfügbarkeit angemessener Wohnungen • Kostenabschätzung für die Kommune 31 Vielen Dank! Dr. Christian v. Malottki [email protected] 32
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