Digitale Agenda – was wird aus dem Europäischen Kaufrecht?

Verlag Dr. Otto Schmidt 25.03.2015
 Digitale Agenda – was wird aus dem Europäischen Kaufrecht?
von Prof. Dr. Christiane Wendehorst*
Der Entwurf der EU-Kommission für ein Gemeinsames
Europäisches Kaufrecht von 2011 hatte über drei Jahre
lang für gespaltene Meinungen gesorgt. Im Dezember
2014 kündigte die neue Kommission an, den Entwurf
zurückzuziehen, dafür aber ein neues Instrument
vorschlagen zu wollen, um das Potential des
elektronischen Handels im digitalen Binnenmarkt voll
zur Entfaltung zu bringen. Seitdem wird gerätselt, wie
die zivilrechtliche Seite der Digitalen Agenda aussehen
könnte.
1.
Hintergrund des CESL
Im Oktober 2011 legte die EU-Kommission einen
Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames
Europäisches Kaufrecht (Common European Sales Law,
CESL) vor.1 Der Vorschlag war als optionales
Vertragsrecht für Kaufverträge und kaufnahe Verträge
gedacht, und zwar sowohl in B2C- als auch in B2BVerhältnissen. Es sollte innerhalb des nach der Rom IVerordnung anwendbaren nationalen Vertragsrechts als
einheitliche europäische Alternative zum genuin
nationalen Vertragsrecht gewählt werden können. Damit
sollte vor allem das durch Art. 6 Abs. 2 der Rom IVerordnung heraufbeschworene Problem gelöst werden,
dass Unternehmer sich für B2C-Geschäfte jeweils auf
das Recht des Verbrauchers einzustellen haben; das
macht bislang den grenzüberschreitenden Vertrieb insb.
für KMU teuer und unattraktiv, was sich letztlich als
Binnenmarkthindernis manifestiert.2
Das Europäische Parlament hat den CESL-Vorschlag
Ende Februar 2014 mit großer Mehrheit befürwortet3
und lediglich eine Vielzahl von Änderungen gefordert,
welche in großen Teilen auf Änderungsvorschläge des
European Law Institute (ELI) 4 zurückgingen. Allerdings
formierte sich gegen das CESL von Beginn an breiter
Widerstand seitens der Mitgliedstaaten, die darin den
Anfang vom Ende nationaler Zivilrechtskodifikationen
witterten. In erstaunlicher Einigkeit sprachen sich auch
die meisten Verbraucher- und Unternehmerverbände
gegen das CESL aus, obgleich es sowohl Verbrauchern
*
1
2
3
4
Die Autorin ist Professorin für Zivilrecht an der
Universität Wien und Vize-Präsidentin des European Law
Institute (ELI).
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen
Parlamentes und des Rates über ein Gemeinsames
Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635 endg.
KOM(2011) 635 endg. S. 2.
Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v.
26.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über ein
Gemeinsames Europäisches Kaufrecht KOM(2011) 0635
–
C7-0329/2011
–
2011/0284(COD)
(P7_TAPROV(2014)0159).
Statement of the European Law Institute on the Proposal
for a Regulation on a Common European Sales Law,
www.europeanlawinstitute.eu/projects/publications
(16.3.2015).
Exemplar für CRonline
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als auch Unternehmern weit mehr Vorteile als Nachteile
gebracht hätte.
2.
Alternativen zum Ansatz des CESL
Mitte Dezember 2014 hat die neue EU-Kommission
angekündigt, den CESL-Vorschlag zurückzuziehen und
durch einen Alternativvorschlag im Rahmen der
Digitalen Agenda zu ersetzen.5 Darüber, wie eng sich
der Alternativvorschlag („CESL II“) am ursprünglichen
Vorschlag orientieren wird – und ob er mit ihm
überhaupt nennenswerte Ähnlichkeit haben wird – wird
seitdem spekuliert. Als denkbare Optionen wären etwa
zu nennen:

Neuvorlage des CESL, aber Eingrenzung des
Anwendungsbereichs auf im Internet geschlossene
Verträge („digitale Verträge“).

Schaffung eines europäischen Vertragsrechts für
den Vertrieb digitaler Inhalte bzw. für den
Onlinevertrieb digitaler Inhalte.

Fokussierung auf die vollharmonisierende
Festlegung
bestimmter
Mindestrechte
für
Verbraucher bzw. Kunden in der digitalen Welt.
Die beiden zuletzt genannten Optionen bringen
allerdings u.a. die Schwierigkeit mit sich, dass sie das
Grundproblem, zu dessen Lösung das CESL
vorgeschlagen wurde, für den wirtschaftlich immer
noch sehr bedeutenden Vertrieb körperlicher Waren
nicht lösen. Sie müssten daher ergänzt werden, und
zwar etwa durch

europäische Allgemeine Geschäftsbedingungen,
bei deren Verwendung Art. 6 Abs. 2 der Rom IVerordnung für unanwendbar erklärt wird;

Änderung von Art. 6 Abs. 2 der Rom IVerordnung, d.h. generelle oder auf Fernabsatzbzw. digitale Verträge beschränkte Einführung des
Herkunftslandprinzips;

Überarbeitung
der
Richtlinie
2011/83/EU
(Verbraucherrechterichtlinie), d.h. viel weiter
gehende Vollharmonisierung des Vertragsrechts in
Europa;

Rückzug auf den „Toolbox“-Ansatz, d.h. das
Setzen
auf
langfristige
freiwillige
Rechtsangleichung durch die Mitgliedstaaten
anhand des Draft Common Frame of Reference
(DCFR)6 und ähnlicher Dokumente.
Die Einführung des Herkunftslandprinzips würde den
Rechtsschutz für Verbraucher empfindlich schwächen.
Die Option weitergehender Vollharmonisierung wurde
2008
von
der
vorletzten
EU-Kommission
5
6
Mitteilung der Kommission an das Europäische
Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
KOM(2014) 910 final, Annex 2, Nr. 60.
Von Bar/Clive/Schulte-Nölke et al., Principles, Definitions
and Model Rules of European Private Law – Draft
Common Frame of Reference. Outline Edition (2009).
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vorgeschlagen,7 ist aber infolge des
Widerstands der Mitgliedstaaten letztlich
Der Rückzug auf den „Toolbox“-Ansatz
Anderes als eine gesichtswahrende
Kapitulation.
3.
vehementen
gescheitert.
wäre nichts
Form der
Neue Fragestellungen
Die digitale Welt hat sich seit dem CESL-Vorschlag
weiterentwickelt und es scheinen neue Fragestellungen
am Horizont auf, die auch zivilrechtlich nach Lösungen
verlangen. Dazu gehören bspw. Machine-to-Machine
Communication (M2M), die Automatisierung vieler
Lebensvorgänge (z.B. im Straßenverkehr) oder der 3DDruck. Auch dazu wird der europäische Gesetzgeber
Antworten geben müssen.
7
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 8.10.2008 über Rechte der
Verbraucher, KOM(2008) 614 endg.
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