Klein, stark, schwarz

Seite 40
Christophorus 306
Christophorus 306
Seite 41
Klein, stark, schwarz
Text
Clauspeter Becker
Einsichten: Der Durchmesser der
Kupplungsscheiben des Carrera GT
beträgt nur 169 Millimeter
Fotografie
Olaf Becker
Beim Porsche Carrera GT packen nicht nur die Bremsbeläge auf Keramik-Scheiben zu.
Auch die Kupplung findet ihren Kraftschluss auf dem enorm harten Silizium-Karbid.
Eine neue Technik mit tief greifenden Folgen.
Technik
Der leistungsstärkste aller serienmäßig produzierten Porsche
unterscheidet sich von seinen Kollegen ausgerechnet in einem
mit der schieren Kraft unmittelbar befassten Element: Der mit
seinen 612 PS (450 kW) so fulminant motorisierte CarreraGT
hat die zierlichste Kupplung aller Porsche. Ein Durchmesser
der Kupplungsscheiben von 169 Millimetern genügt, um nicht
nur die 590 Newtonmeter Drehmoment zu übertragen, sondern maximal mehr als 1000 Nm. Der Porsche Turbo mit der
Wucht von 560 Nm und der noch kräftigere GT2 mit 620 Nm
bemühen 240 Millimeter große Kupplungsscheiben.
massenschwungrad und der Mitnehmerscheibe aus gewichtigem Stahl. Im Carrera GT hingegen steckt für den Alltag gebändigte Renntechnik. Hier garantieren zwei statt einer Scheibe
den energischen Kraftschluss. Und erstmals bei einem Automobil bestehen diese Reibscheiben dem Beispiel der Kollegen
im Bremssystem folgend aus Keramik. Die guten Erfahrungen
mit der Porsche Ceramic Composite Brake (PCCB) haben
zur Porsche Ceramic Composite Clutch (PCCC) geführt, die
ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Meitinger Firma SGL
Brakes GmbH produziert wird.
Die Größenunterschiede sind durch das Prinzip bedingt. Die
Porsche der Baureihe 911 verfügen bis hinauf zum Turbo über
eine herkömmliche Einscheibenkupplung mit einem Zwei-
Die moderne Variante dieses Werkstoffs übertrifft den Stahl in
drei wesentlichen Eigenschaften: Diese Art von Keramik ist
leichter, härter und hitzefester als Metall. Material vom A
Seite 42
Christophorus 306
Christophorus 306
Seite 43
Durchblick: Bernd Ramler ist als Projektleiter für den Bereich
Antrieb des Carrera GT auch für dessen Kupplung zuständig
Aussichten: „Wegen der kleinen Stückzahl müssen wir beim Preis
noch mit dem Faktor zehn rechnen“, sagt Bernd Ramler
Absicht: Das geringe Gewicht und die kleinen Abmessungen der
PCCC vertiefen die Qualitäten des Supersportwagens
Technische Informationen:
Innenansichten: Je kleiner die Kupplung
ist, desto tiefer kann schließlich der Motor
eingebaut werden
Porsche Ceramic Composite Clutch (PCCC)
des Carrera GT
Zwei-Scheiben-Trockenkupplung
Härte des Silizium-Karbids: 9,7 (absolute Härte: 10)
Durchmesser der Kupplungsscheiben: 169 Millimeter
Kraftübertragung: maximal mehr als 1000 Newtonmeter
Berstdrehzahl: über 20 000 U ⁄ min
Gewicht: 3,5 kg
Feinsten ziert auch die Trägerplatten der organischen Sinterbeläge der Firma Pagid: Titan hat hier gegen den schwereren
Stahl und das weniger robuste Aluminium gewonnen.
Die Gewichtsreduzierung gegenüber der 7,6 Kilogramm
schweren konventionellen Kupplung eines Turbo beträgt bei
der 3,5 Kilogramm leichten PCCC mehr als 50 Prozent. Die
Schlankheitskur hat ihren Preis. Bernd Ramler, Projektleiter
für den Bereich Antrieb des Porsche Carrera GT, gibt zu:
„Wegen der kleinen Stückzahl müssen wir beim Preis noch mit
dem Faktor zehn rechnen, doch für die Zukunft ist ein Potenzial zu erkennen, die Preise zu senken.“
Aber es wird auch künftig ein aufwändiger Prozess sein, eine
Keramik-Kupplung zu bauen. Denn an deren Reibscheiben
werden noch höhere Anforderungen gestellt als an die Bremsscheiben aus Keramik. Während der Anteil an Kohlefaser in
den Verzögerungs-Instrumenten noch aus kurzen, nicht ausgerichteten Fasern – Werkstattjargon Sauerkraut – besteht,
benötigt die Biege- und Fliehkräften ausgesetzte Kupplung die
Kohlefasern in der robusteren Form eines Gewebes.
In der ersten Fertigungsstufe wird das Gewebe bei einer Temperatur von 100 Grad als Platte gepresst. Anschließend kommt
die Platte mit der Kohlefaser-Matte und dem Epoxydharz in
einen heißeren Ofen und wird bei mehr als 700 Grad gebacken. Nach diesem Prozess haben die Brems- und Kupplungsscheiben schon die extreme Festigkeit des KohlefaserMaterials, wie es in der Formel 1 auch für die Bremsscheiben
zum Einsatz kommt. Die endgültige Dauerfestigkeit für den
Straßenbetrieb stellt sich erst durch die so genannte Silizierung
ein, bei der den Kohlefaser-Scheiben in einem dritten Backprozess verflüssigter Quarzsand zugeführt wird. Diese Anreicherung mit Silizium findet bei 1700 Grad und extrem
starkem Vakuum statt. Der geschmolzene Sand ist bei dieser
Temperatur flüssiger als Wasser. Das Silizium verdrängt das
Harz aus der Kohlefaserstruktur und nimmt 70 Prozent des
Volumens der gesättigten Scheiben ein.
In der Glut ist also ein neuer Stoff, Silizium-Karbid, entstanden, ein von den Technikern sehr geschätzter Härtefall. Dem
Diamanten mit der absoluten Härte 10 folgt in knappem Abstand mit der Härte 9,7 Silizium-Karbid. Das allerdings Verschleiß und hohen Temperaturen ebenso hartnäckig widersteht wie dem Werkzeug: Bearbeiten lässt sich die Oberfläche
allein mit Diamanten. Der Aufwand, der beim CarreraGT mit
der Keramik-Kupplung getrieben wird, hat mehr als eine bei
vernünftiger Behandlung lebenslange Haltbarkeit einer von
reichlich Drehmoment geplagten Kupplung. Das geringe Gewicht und die kleinen Abmessungen der PCCC vertiefen die
Qualitäten des Supersportwagens.
Das reinrassige Zehnzylinder-Renntriebwerk kann wegen
seines kleinen Zündabstands mit ganz geringer Schwungmasse
einen stabilen Leerlauf halten. Da ist die kleine und leichte
Kupplung gerade recht, die Begabung dieser Maschine, spontan hochzudrehen, mit minimaler Masse, sehr erfolgreich zu
unterstützen. Blitzartige Reaktionen auf die Befehle des Gaspedals sind eine korrekte und sportliche Antwort auf dieses
Fitness-Programm.
Aber zugleich erwartet der Carrera GT von seinem Fahrer ein
ausgeprägtes Gefühl im Umgang mit Gaspedal und Kupplung.
Geschmeidiges Anfahren erfordert eine wohldosierte Prise Gas
und den sensiblen Umgang mit einer Kupplung, die vollen
Kraftschluss über einen kurzen Weg vermittelt.
Die kleineren Abmessungen der Kupplung haben tief greifende
Änderungen in der Konstruktion der Kraftübertragung und
eine Förderung des sportlichen Charakters ermöglicht. Denn
bei einem Motor, der dank Trockensumpfschmierung keine
weit nach unten reichende Ölwanne hat, bestimmt die Größe
der Kupplungsglocke über die Bodenfreiheit und mithin über
die Einbaulage des Motors. Je kleiner also die Kupplung ist und
je kürzer der Abstand zwischen der Mitte der Kurbelwellenlager und der Unterseite des Motorgehäuses (98,5 Millimeter
beim Carrera GT), desto tiefer kann der Motor eingebaut
werden und desto weiter rückt schließlich dessen Schwerpunkt nach unten.
Dass der Motor im Carrera GT so tief liegt wie in einem allein
für Wettbewerbe aufgebauten Rennsportwagen, genügte Bernd
Ramler allerdings noch nicht. Ihm ging es auch darum, die
Masse der Mechanik so dicht wie möglich an die Mitte des
Fahrzeugs und an dessen Schwerpunkt zu rücken. Das Sechsganggetriebe des Carrera GT aus der Zahnradmanufaktur Hör
in Weiden gruppiert seine Wellen quer und ohne jeden Überhang auf der Höhe des Differenzials. „Denn würden wir ein
65 Kilogramm schweres Getriebe bei so einem Auto hinter die
Hinterachse packen“, bekräftigt Ramler, „dann wäre das für
die Balance der Fahreigenschaften so verkehrt, als würde der
B
Schwanz mit dem Hund wedeln.“