Der neue Swiss Code of Best Practice for

GesKR 4
2014
Der neue Swiss Code of Best Practice
for Corporate Governance 2014
Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Richtlinien für Institutionelle I­nvestoren zur Ausübung ihrer
­Mitwirkungsrechte bei Aktiengesellschaften
III. Grundzüge eines wirksamen ­C ompliance-Managements
IV. Swiss Code of Best Practice for C
­ orporate Governance
1. Comply or Explain
2. Nachhaltigkeit, Rolle des Verwaltungsrats
3.Aktionäre
4. Zusammensetzung des Verwaltungsrats
5. Vorsitz von Verwaltungsrat und ­G eschäftsleitung
6. Aufgaben des Verwaltungsrates
7. Ausschüsse des Verwaltungsrats
8. Anhang 1 zum Swiss Code betreffend E
­ ntschädigungen
8.1 Rolle der Generalversammlung
8.2Vergütungsausschuss
8.3Vergütungssystem
8.4 Vergütungsbericht und Transparenz
8.5 Weitere Best Practices?
V.Fazit
I.
Einführung
Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance («Swiss Code») wurde erstmals 2002 publiziert
und 2007 um den Anhang 1 betreffend die Entschädigung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in Publikumsgesellschaften ergänzt. Eine Reihe von Trägerorganisationen hatten ausdrücklich erklärt, den Swiss Code
und den Anhang 1 mitzutragen und haben vor der Publikation des neuen Swiss Codes 2014 ausdrücklich ihre
Trägerschaft erneuert.1 Die beiden Schweizer Proxy Advisors Ethos und SWIPRA waren bereits vor der öffentlichen Vernehmlassung in die Revisionsarbeiten eingebunden und haben ebenfalls ihre Trägerschaft bestätigt.
Am 1.1.2014 trat die Verordnung gegen übermässige
Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften
*
1
Rechtsanwalt, LL.M., Mitglied der Konzernleitung der Nestlé AG
(Vevey), Präsident der Rechtskommission der Economiesuisse.
Aktuelle Liste der Trägerorganisationen 2014: ASIP, Ethos, Schweizerische Bankiervereinigung, Schweizerischer Arbeitgeberverband,
Schweizerischer Gewerbeverband, SVV, scienceindustries, SWIPRA, SwissHoldings, Swissmem, Treuhand-Kammer, Vereinigung
der privaten Aktiengesellschaften.
(VegüV) in Kraft, welche eine Revision unabdingbar
machte. Aber bereits vorher war die Rechtskommission
der Economiesuisse vom Vorstandsausschuss mandatiert
worden, folgende Themenschwerpunkte zu bearbeiten:
• Stärkung des Verwaltungsrates (inkl. «Frauenvertretung»)
• Grundsatz «Comply or Explain»
• Compliance
• Stimmrechtsausübung durch institutionelle Investoren
• Technische Möglichkeiten rund um die Generalversammlung
• Anpassung des Anhang 1 betreffend Entschädigungen an die aktienrechtlichen Vorgaben
Zwar gab es eine Reihe von weiteren Themen, welche im
Lichte der internationalen Entwicklungen hätten aufgenommen werden können.2 Der Vorstandsausschuss hat
die oben genannte Liste von Themen bestimmt, welche
ihm am dringendsten erschienen. Er hat den Präsidenten
der Rechtskommission mandatiert eine Arbeitsgruppe
zu führen, welche auch Mitglieder der Arbeitsausschüsse
aus den Jahren 2002 bzw. 2007 einschloss.3
Die Revisionsarbeiten konnten naturgemäss erst abgeschlossen werden, als die VegüV definitiv bekannt war.
Gleichzeitig eröffnete die Revision des Swiss Code auch
die Chance, um auf dem bewährten Weg der Selbstregulierung weniger praxisnahe, unflexible Regelungen
im künftigten Aktienrecht nach Möglichkeit zu verhindern.4 Vor allem aber ging es darum einen Beitrag zu leisten zur Festigung des Vertrauens nach der Finanzkrise.
2
3
4
Siehe Christoph Bühler, Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance: Anpassungsbedarf im Spiegel der internationalen
Entwicklungen», GesKR 4 2011 S. 477–488.
Mitglieder des Arbeitsausschusses 2014 waren: Peter Böckli (Universität Basel), Michèle Burger (Nestlé), Peter Forstmoser (Universität Zürich), David Frick (Nestlé), Karl Hofstetter (Universität Zürich, Schindler Holding), Christian Stiefel (SwissHoldings),
Meinrad Vetter (bis Dez. 2013)/Erich Herzog (economiesuisse),
Christoph Winzeler, SBVg.
Die Aktienrechtsrevision geht voraussichtlich am 12. November
2014 in die Vernehmlassung.
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David Frick*
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
II. Richtlinien für Institutionelle
­Investoren zur Ausübung ihrer
­Mitwirkungsrechte bei Aktiengesellschaften
Als ersten Teil der Revisionsarbeiten hat Economiesuisse
zusammen mit der ASIP, dem Schweizerischen Pensionskassenverband, dem Ausgleichsfonds AHV/IV/EO,
Ethos, SwissBanking und mit SwissHoldings am 21. Januar 2013 die «Richtlinien für Institutionelle Investoren
zur Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei Aktiengesellschaften» (Richtlinien) publiziert. Der neue Swiss
Code verweist ausdrücklich auf dieses Dokument.5
Schon im bisherigen Swiss Code war die Aussage enthalten, dass er sich zwar an die schweizerischen Publikumsgesellschaften wendet, einzelne Punkte aber institutionelle Anleger und Intermediäre betreffen. Es war
also nicht gänzlich neu, dass man sich im Rahmen der
Revisionsarbeiten auch mit den institutionellen Anlegern befasste.6
Grundgedanke war, dass nicht nur die «Issuers», sondern auch die institutionellen Investoren Verantwortung
für die Ausübung der Stimmrechte tragen. Während
der Swiss Code also die geltenden schweizerischen Best
Practices für «Issuers» zusammenfasst, sollen die Richtlinien ebensolche Best Practices für Institutionelle Investoren festhalten.
Die Richtlinien sind positiv aufgenommen worden.7 Sie
erfüllen im Prinzip die Aufgabe eines «Swiss Stewardship Codes» für Institutionelle Investoren, ähnlich wie
solche Dokumente etwa in England und anderen Ländern erlassen wurden oder noch in Ausarbeitung sind.
Die Richtlinien waren von Anfang an so konzipiert, dass
sie auch nach dem 3. März 2013, unabhängig vom Abstimmungsausgang über die Minder Initiative, Bestand
haben konnten. Sie sollten auch dazu dienen, im Falle
einer Annahme der Initiative Hilfestellung für deren vernünftige Auslegung durch Institutionelle Investoren zu
leisten.
Zudem stellen sie einen ersten Schweizer Versuch dar,
die Proxy Advisors einer gewissen indirekten Regulierung zu unterstellen, indem den institutionellen Investoren gewisse Vorgaben zum Umgang mit deren Empfehlungen gemacht werden. Dem gleichen Ansatz folgt
5
6
7
Sektion 1 Swiss Code.
David Frick, Corporate Governance heute – Revision des Swiss
Codes of Best Practice, SJZ 108 (2012) Nr. 10, S. 234 (zit. David
Frick, Corporate Governance).
Andreas Binder/Roman S. Gutzwiller, Soft Law für Institutionelle Investoren, GesKR 1/2013, S. 10 (zit. Binder/Gutzwiller, Soft
Law).
die kürzlich erlassene Guidance der U.S. Securities and
Exchange Commission.8
Institutionelle Investoren, welche die Richtlinien befolgen oder sich diesen sogar ausdrücklich unterstellen,
bekennen sich damit zu ihrer Verantwortung bei der
Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte. Zur Bekräftigung
dieser Verantwortung haben die Träger der Richtlinien
die nachfolgenden fünf Grundsätze verfasst, welche im
Dokument eingehender erläutert werden:
1. Institutionelle Investoren üben ihre Mitwirkungsrechte aus, soweit dies im Interesse ihrer Anleger als
geboten und als praktikabel erscheint.
2. Institutionelle Investoren nehmen bei der Ausübung
ihrer Mitwirkungsrechte die Interessen ihrer Anleger
wahr.
3. Institutionelle Investoren tragen die Verantwortung
für die Ausübung der ihnen zustehenden Mitwirkungsrechte.
4. Institutionelle Investoren machen die Grundsätze
und Verfahren der Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte den Anlegern zugänglich.
5. Institutionelle Investoren legen einmal jährlich offen,
wie sie ihre Mitwirkungsrechte ausgeübt haben.
Der in den Richtlinien enthaltene schweizerische Ansatz ist einerseits limitierter als derjenige des U.K. Stewardship Code, welcher in sieben Grundsätzen einen
Verhaltenskodex für institutionelle Anleger enthält, der
über die Stimmrechtsausübung hinausgeht. Die Schweizer Regelung sieht auch keine Überwachung vor wie die
durch den englischen Financial Reporting Council. Dafür ist sie beim Thema der Stimmrechtsausübung präziser als das englische Muster.9
III. Grundzüge eines wirksamen
­Compliance-Managements
Auch die Arbeiten zur Compliance gingen zügig voran. Diese wurden von der Fachgruppe Compliance der
SwissHoldings wahrgenommen. Diese hatte bereits im
Jahr 2010 erste Grundzüge zur «Compliance» erarbeitet, welche von Economiesuisse als «Dossier Politique»
publiziert wurden. Im Rahmen der Revision des Swiss
Code wurde das Dossier im Laufe des Jahres 2014 überarbeitet. Neu wird es im Swiss Code auch ausdrücklich
referenziert.10 Damit soll den Grundzügen bewusst eine
erhöhte Bedeutung als Teil des Selbstregulierungswerks
des Swiss Code zuerkannt werden. Die Überarbeitung
wurde von einem Expertenausschuss der Fachgrup-
8
SEC Division of Corporation Finance and Division of Investment
Management, joint Staff Legal Bulletin No. 20, June 20, 2014.
9
David Frick, Corporate Governance, S. 235; Binder/Gutzwiller, a.a.O., S. 8.
10 Sektion 21 Swiss Code.
pe Compliance der SwissHoldings vorgenommen und
von dieser Fachgruppe validiert.11 Die «Grundzüge eines wirksamen Compliance-Managements» wurden am
29. September 2014 mit dem neuen Swiss Code publiziert.
Grundgedanke der Compliance-Richtlinien war es,
Compliance als Unternehmensprinzip zu verankern
und eine Art schweizerische Best Practices dazu zur
Verfügung zu stellen. Gerade kleineren Unternehmen,
welche teilweise erst im Aufbau eines Compliance-Management-Systems sind, sollen sie Hilfestellung bieten.
Gleichzeitig sollen sie aber auch grösseren Unternehmen
helfen, darzustellen, inwiefern ihre Compliance-Systeme
den schweizerischen Best Practices entsprechen. Insofern sollen sie auch eine Art Schweizer «Compliance Defense» ermöglichen: «Es ging dabei nicht darum, alle Details eines wirkungsvollen Compliance-Programms, das
die Anforderungen der U.S. Federal Sentencing Guidelines oder des U.K. Bribery Act kopiert, zu statutieren,
sondern vielmehr, diesen einen bewusst schweizerischen,
pragmatischen Ansatz gegenüberzustellen … Ziel ist,
Aufschluss darüber zu geben, was denn ein minimales
Compliance-Programm beinhaltet, das eine wirksame
Compliance Defense im Sinn der schweizerischen Gesetzgebung leisten kann. Der Swiss Code soll hier einen
Beitrag leisten, Rechtssicherheit zu schaffen, und auch
den Gerichten gewisse Anhaltspunkte liefern.»12
Die wichtigsten Neuerungen 2014 waren einerseits die
Reflektion des modernen Verständnisses der Compliance, welches heute neben der reinen Legal Compliance
oft einen funktionsübergreifenden Ansatz verfolgt und
auch eine Verpflichtung zur Integrität umfasst («do the
right thing»). Anderseits wurde die Compliance als Führungsaufgabe und Verpflichtung des Linienmanagements
betont. Beides reflektiert Lehren aus grösseren Compliance-Unfällen der letzten Jahre und fokussiert auf die
sogenannte «Behavioral Compliance».
Entsprechend wird gleich am Anfang des Dokuments
unter dem Titel «Compliance als Unternehmensprinzip»
integres unternehmerisches Handeln als ein fundamentales Gebot sorgfältiger Unternehmensführung erfasst:
«Unternehmen müssen, wenn sie langfristig erfolgreich
sein wollen, eine Kultur der Compliance pflegen. Der
Begriff der Compliance umfasst dabei regelmässig die
Einhaltung von Rechtsvorschriften sowie interner Verhaltensrichtlinien (Codes of Conduct, Weisungen); heute ist darin typischerweise auch eine Selbstverpflichtung
zur Integrität enthalten. Damit eine Compliance-Kultur
in einem Unternehmen entsteht, müssen auf allen EbeMitglieder des Expertenausschusses waren: Jacques Beglinger
(SwissHoldings), Daniel Lucien Bühr (LALIVE), David Frick
(Nestlé), David Hügin (Clariant), Urs Jaisli (Roche), Michael
Neff (Kuoni Reisen), Othmar Strasser (ZKB) und Christian Stiefel
(SwissHoldings).
12 David Frick, Corporate Governance, S. 236.
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nen verschiedene Massnahmen getroffen werden (Compliance Management System). Compliance ist dabei ganz
wesentlich das Resultat guter Führung; umgekehrt sind
Compliance-Verstösse oft das Ergebnis mangelhafter
oder fehlender Führung. ... Die Schweizer Unternehmen
sind überzeugt, dass sich mit einem systematischen, den
Risiken des Unternehmens adäquaten Compliance-Management Rechtsverstöße nach Möglichkeit vermeiden
und ein integres Geschäftsgebaren fördern lassen. Wirksames Compliance-Management ist deshalb unabdingbarer Bestandteil sorgfältiger Unternehmensführung.
Durch gute Compliance und integres Verhalten leisten
die Unternehmen einen Beitrag an ihre gesellschaftliche
Verantwortung.»13
Nachfolgend werden fünf Grundelemente wirkungsvoller Compliance dargestellt und erläutert:
1. Aktives Bekenntnis zur Verantwortung von Verwaltungsrat und Unternehmensleitung.
2. Die Struktur der Compliance-Organisation.
3. Die Compliance-Prozesse.
4. Richtige Anreize und Sanktionen.
5. Die Prüfung der Wirksamkeit und die stetige Verbesserung der Compliance-Massnahmen.
Ein letztes Kapitel anerkennt Compliance als andauernde Herausforderung: «Die Compliance-Erwartungen
von Staat und Gesellschaft an jedes Unternehmen sind
ernst zu nehmen und angemessen umzusetzen. Die
Unternehmensführung ist deshalb verpflichtet, die Geschäftstätigkeit und die interne Organisation laufend auf
die Einhaltung der verbindlichen Integritätsstandards
hin zu überprüfen und erkannte Lücken zeitnah und
konsequent zu schliessen. Zusammenfassend kann somit
das umfassende Compliance-Management einerseits als
anspruchsvolle Gemeinschaftsaufgabe und andererseits
als wichtiger Dauerauftrag an die Unternehmensführung
bezeichnet werden.»14 Damit schliesst sich der Kreis zur
Corporate Governance im Sinne einer guten Unternehmensführung.
IV. Swiss Code of Best Practice for
­Corporate Governance
Worum ging es nun bei der Revision des eigentlichen
Swiss Codes? Gleich im Vorwort des am 29. September
2014 publizierten neuen Swiss Code findet sich eine kurze Zusammenfassung:
«Seit seiner Einführung im Jahr 2002 hat der Swiss Code
die Entwicklung der Corporate Governance in der
11
13
Gundzüge eines wirksamen Compliance Managements, Hrsg.
SwissHoldings und Economiesuisse, September 2014 (zit. Grundzüge), S. 2.
14 Grundzüge, S. 16.
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Schweiz massgeblich geprägt und sich als Instrument
der Selbstregulierung bewährt. Verschiedene Entwicklungen in den vergangenen Jahren haben es erforderlich
gemacht, den «Swiss Code» anzupassen. Die überarbeitete Fassung berücksichtigt die Neuerungen, die sich
aufgrund von Artikel 95 Abs. 3 der Bundesverfassung ergeben haben. Er betont ganz besonders das Konzept des
nachhaltigen Unternehmenserfolgs als Leitstern einer
sinnvollen «Corporate Social Responsibility». Er sieht
zudem spezifische Anpassungen zur Zusammensetzung
des Verwaltungsrats (einschliesslich der Frauenvertretung) und zum Risikomanagement (inkl. Compliance)
vor.»15
Ausgangspunkt war also, dass sich der Swiss Code im
Wesentlichen bewährt hatte. Deshalb hat die Arbeitsgruppe auch bewusst an einigen bewährten Grundsätzen
des Swiss Codes festgehalten, das heisst namentlich an
einer prinzipienbasierten Regelung, welche nach Möglichkeit eine Wiederholung gesetzlicher Regelungen vermeidet und sich an eigentlichen Best Practices (und nicht
an Experimenten) orientiert sowie den Unternehmen im
Zweifel Freiheit bewahrt.
Im Folgenden werden die wichtigsten Neuerungen einschliesslich einiger Überlegungen der Arbeitsgruppe dar­
gestellt.
1.
Comply or Explain
Der Swiss Code von 2002 hatte den Grundsatz «Comply or Explain» im Unterschied zu vielen ausländischen
Codes explizit nicht aufgenommen. Der Swiss Code
sollte nur «Leitlinien setzen und Empfehlungen abgeben, nicht den Schweizer Unternehmen eine Zwangsjacke anziehen.»16 Daran ist festgehalten worden.
Neu wird das «Comply or Explain»-Prinzip eingeführt:
«Der Swiss Code wendet sich im Sinne von Empfehlungen und unter Anwendung des «Comply or Explain»Prinzips an die schweizerischen Publikumsgesellschaften ... Jedes Unternehmen soll die Möglichkeit behalten,
eigene Gestaltungsideen zu verwirklichen. Es erklärt
diese in geeigneter Weise, soweit sie von den Empfehlungen des Swiss Code abweichen (‹comply or explain›).»17
Erklärungsbedürftig sind dabei eigentliche Abweichungen und Ausnahmen, nicht aber der Gebrauch eines im
Swiss Code eingeräumten Ermessens. Ebensowenig gibt
es prima facie Erklärungsbedarf, wo der Swiss Code eine
Kann-Vorschrift gewählt hat.18
Swiss Code, S. 3.
Swiss Code von 2002, S. 6.
17 Präambel Swiss Code, S. 6.
18 Keine Geltung hat das «Comply- or Explain» Prinzip auch für die
Grundzüge eines wirksamen Compliance Managements, da diese
nur referenziert wurden und das Prinzip (anders als die erwähnten
Richtlinien für Institutionelle Investoren) selber nicht enthalten.
Die Präambel enthält zwei weitere Selbstbeschränkungen:
Erstens zielt der Swiss Code auf die Situation in der
Schweiz mit ihrer Vielfalt von grossen, mittleren und
kleineren Aktiengesellschaften. Der «Swiss Code» soll
durch eine gut verständliche Darstellung den Referenzrahmen bieten, der von vielen Unternehmen in der
Schweiz weitgehend befolgt wird. Der Swiss Code widerspiegelt schliesslich, dass der Schweizer Gesetzgeber
in Fragen der Entschädigung andere Wege eingeschlagen
hat, als sie im Ausland üblich sind.19
Zweitens betont die Präambel die Gestaltungsfreiheit.
Ein Unternehmen soll sich nicht «entschuldigen» müssen, wenn es vom Swiss Code abweicht. «Comply or Explain» heisst eben gerade, dass man andere, abweichende Lösungen wählen darf, wenn man sie erklären kann.
Jeder der am Zustandekommen dieses Textes beteiligten
Organisationen soll es zudem offen stehen, in Ergänzung
zum Swiss Code – und wo nötig auch in Abweichung
von der hier festgehaltenen Stammregelung – bestimmte
Gewichte anders zu setzen und eigene Ideen zu verfolgen.20
Ein spezielles Problem stellte sich betreffend der Anwendung des «Comply or Explain»-Prinzips auf sogenannte
Gesellschaften in besonderen Verhältnissen. Schon im
bisherigen Swiss Code war festgehalten, dass bei Gesellschaften mit aktiv engagierten Grossaktionären (darin
eingeschlossen an der Börse kotierte Tochtergesellschaften eines Konzerns) sowie bei mittleren und kleineren
Unternehmen Anpassungen oder Vereinfachungen vorgesehen werden können.21 Einerseits wollte man nicht
die Legitimität der abweichenden Regelung untergraben. Andererseits war klar, dass das Prinzip unter Berufung auf solche «besondere Verhältnisse» komplett
unterlaufen werden könnte. Die gewählte Lösung war,
am «Comply or Explain» Prinzip für diejenigen Gesellschaften festzuhalten, auf welche der Swiss Code zugeschnitten ist: «Für börsenkotierte Gesellschaften bleibt
der Grundsatz «Comply or Explain» anwendbar.»22
Bewusst wurde von weiteren Regelungen des «Comply
or Explain»-Prinzips abgesehen, etwa was Detaillierungsgrad oder Umfang der Erklärungen betrifft. Dies
soll der prinzipienbasierten Denkweise des Codes entsprechend - der Praxis überlassen werden. Auch der Ort
der Erklärung wurde nicht spezifiziert. Es dürfte sich
in der Regel um den jährlichen Corporate Governanceoder Vergütungsbericht handeln, aber auch eine Erklärung auf der Website des Unternehmens ist denkbar.
15
16Präambel
19
Präambel Swiss Code, S. 6
Präambel Swiss Code, S. 6
21 Sektion 27 des Swiss Code 2002.
22 Sektion 27 Swiss Code.
20
Diese Zurückhaltung ist, wie der gleichzeitig mit dem
Swiss Code publizierte Grundlagenbericht von Karl
Hofstetter hervorhebt, aus zwei Gründen sinnvoll. «Erstens ist der Grundsatz neu und seine Handhabung soll
primär der Praxis überlassen werden. Es darf aufgrund
der Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass sich
diese im Diskurs zwischen Unternehmensverwaltungen
und Investorenschaft entwickeln wird. Zweitens ist zu
berücksichtigen, dass sich der Code, aufgrund der offenen Art, wie seine Empfehlungen zum Teil bewusst formuliert wurden, nicht immer dafür eignet, klare Abgrenzungen zwischen Regel und Ausnahme vorzunehmen.
Hier ist gesundes Augenmass sowohl auf Seiten der Unternehmen wie auf Seiten der sie kontrollierenden Investoren gefragt.»23
2.
Nachhaltigkeit, Rolle des Verwaltungsrats
Neben der Nachführung etablierter Best Practices stellte sich auch die Frage einer fundamentaleren Neuorientierung zwischen den beiden Modellen einer einzig der
Shareholder Value Creation verpflichteten Aktiengesellschaft und einer Unternehmung, die einer weiteren
Gruppe von Stakeholders verpflichtet ist. Das schweizerische Aktienrecht lässt im Prinzip beides zu, sieht
aber für die Aktionäre keinerlei Pflichten vor, welche
über die Liberierung hinausgingen. Es kann also nur der
Verwaltungsrat die Interessen der weiteren Stakeholder
mitberücksichtigen, und nur er untersteht einer auf das
langfristige Interesse des Unternehmens ausgerichteten
Loyalitätspflicht.24
Peter Forstmoser hat in diesem Zusammenhang von
zwei Glaubensbekenntnissen gesprochen: Für die einen
sind ausschliesslich die Interessen der Shareholder zu
verfolgen, wobei dies – quasi als Nebenprodukt – automatisch auch das Beste für die Mitarbeiter, die Kunden
und die Öffentlichkeit sein soll. Für die anderen sollen
die Interessen aller an einem Unternehmen Beteiligten
ausgewogen berücksichtigt werden. Einig sind sich aber
beide Lager mit Bezug auf die langfristige Ausrichtung.25
Aufgrund eines Wandels der Bekenntnisse in den letzten
Jahren26 haben die Gegensätze zwischen den Konzepten des Shareholder- und Stakeholder Value praktisch
inzwischen stark abgenommen. «Diese Konvergenz
stellt sich dann ein, wenn Leitlinie der Unternehmensführung das Unternehmensinteresse ist – verstanden
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als das Interesse an einer nachhaltigen Steigerung des
Unternehmenswertes.»27
Bereits 2008 hatte beispielsweise Nestlé im Zweckartikel seiner Statuten verankert: «Bei der Verfolgung ihres
Gesellschaftszwecks strebt Nestlé die Schaffung von
langfristigem, nachhaltigem Wert an.» Das Unternehmen
geht davon aus, dass es langfristig nur erfolgreich sein
und Mehrwert für seine Aktionäre kreieren kann, wenn
es Mehrwert für die Gesellschaft schafft.
Von diesen Überlegungen hat sich auch die Arbeitsgruppe leiten lassen. Im Ergebnis muss das Ziel von börsenkotierten Aktiengesellschaften die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes sein.28 Zwar soll der
Swiss Code weiterhin Platz für beide oben genannten
Modelle zulassen. Die frühere, ausdrückliche Ausrichtung ausschliesslich auf das Aktionärsinteresse wurde
aber gestrichen. Der Verwaltungsrat soll sich jetzt vom
Ziel der nachhaltigen Unternehmensentwicklung leiten
lassen. Mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit und der
Risikoberücksichtigung geht man einen vorsichtigen,
aber wichtigen Schritt vom rein «neoliberalen» Verständnis der Aktiengesellschaft zu einem zeitgemässeren
Ansatz, welcher die langfristigen Interessen des Unternehmens und der weiteren Stakeholders angemessen berücksichtigt.29
«Der Verwaltungsrat lässt sich vom Ziel der nachhaltigen
Unternehmensentwicklung leiten.»30 Mit dieser Kernaussage distanziert sich der Swiss Code im Nachgang zur
Finanzkrise auch bewusst von einer kurzfristig orientierten Unternehmensführung und will einen Beitrag leisten
zur Festigung des Vertrauens. Dementsprechend wird
neu auch die Verpflichtung des Verwaltungsrats erwähnt,
in der Planung für grundsätzliche Übereinstimmung von
Strategie, Risiken und Finanzen zu sorgen.31
Grenzen der Berücksichtigung anderer Interessen als die
der Aktionäre werden im Bericht Hofstetter ausgelotet:
Das darf im Prinzip nur geschehen, wenn zumindest
plausibel dargetan werden kann, dass auch ein vernünftiger Alleinaktionär im wohlverstandenen langfristigen
Unternehmensinteresse so gehandelt hätte.32 Dennoch
sollte der in der neuen «Zielvorgabe» für den Verwaltungsrat reflektierte Wertewandel nicht unterschätzt
werden.
3.Aktionäre
Bei den Kompetenzen der Aktionäre galt es zunächst
selbstverständlich, die Stärkung der Aktionärsrechte in
23
Karl Hofstetter, Swiss Code of Best Practice for Corporate
Governance 2014, Grundlagenbericht zur Revision, September
2014 (zit. Bericht Hofstetter), S. 27.
24 David Frick, Corporate Governance, S. 237.
25 Peter Forstmoser, NZZ vom 24. März 2012, Beilage «Aktionär»
(Scorecard).
26 Dazu Peter Forstmoser, «Profit – das Mass aller Dinge?», Sonderdruck aus Individuum und Verband, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2006, S. 57–60 (zit. Forstmoser, Profit).
27
28
29
30
31
32
Forstmoser, Profit, S. 69.
Forstmoser, Profit, S. 82.
David Frick, Corporate Governance, S. 236.
Sektion 9 Swiss Code.
Sektion 9 Swiss Code.
Bericht Hofstetter S. 9.
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der VegüV nachzuführen. Darüber hinaus ging es aber
darum, Best Practices zu verankern, welche die sinnvolle
Ausübung dieser neuen Aktionärsrechte überhaupt erst
ermöglichen.
Neu ist der Hinweis, dass die Statuten und zumindest
die Grundzüge des Organisationsreglements jederzeit
in schriftlicher oder elektronischer Form erhältlich sein
sollen und die Statuten auf der Website der Gesellschaft
publiziert werden.33 Im Zusammenhang mit den Statutenrevisionen für die Umsetzung der VegüV hatte sich
gezeigt, dass es bei einigen Gesellschaften noch erstaunlich aufwändig ist, die Statuten zu erhalten.
Umständen fehlte es an einer überzeugenden Grundlage
für die Aufnahme einer Empfehlung zu «one share one
vote». Der Swiss Code äussert sich aber weder positiv
noch negativ dazu. Er hat sich hier schlicht für Freiheit
entschieden. Die Aktionäre sollen in dieser Frage nicht
bevormundet werden.
4.
Zusammensetzung des Verwaltungsrats
Wichtige Neuerungen betreffen die Zusammensatzung
des Verwaltungsrates.40 Nichts Neues enthält der erste
Paragraph:
Fundamental ist, dass der Verwaltungsrat sicherstellt,
dass die Aktionäre ihren Willen informiert bilden und
zum Ausdruck bringen können.34 Neu sollen die Abstimmungsresultate nicht die detaillierten Protokolle so
rasch als möglich, spätestens nach Ablauf einer Woche,
den Aktionären zugänglich gemacht werden.35 Soweit
sinnvoll, soll der Verwaltungsrat bewährte elektronische
Mittel nützen.36 Zudem ergreift er geeignete Maßnahmen, damit der unabhängige Stimmrechtsvertreter seine
vom neuen Recht gestärkte Funktion wirksam wahrnehmen kann.37
Anzustreben ist eine ausgewogene Zusammensetzung
des Verwaltungsrats.
Zentral ist auch die Aufforderung, dass der Verwaltungsrat sich darum bemüht, den Dialog mit den Aktionären
zu verbessern, wenn bei einer Abstimmung ein wesentlicher Teil der Stimmen den Antrag des Verwaltungsrats
ablehnt.38 Im Gegensatz zu ausländischen Lösungen
wurde aber von einer ausdrücklichen Pflicht zur spezifischen Bekanntgabe der Verbesserungen abgesehen. Dies
dürfte sich aber automatisch aus dem Dialog ergeben.
• Dem Verwaltungsrat sollen weibliche und männliche Mitglieder angehören. Sie sollen die erforderlichen Fähigkeiten haben, damit eine eigenständige
Willensbildung im kritischen Gedankenaustausch
mit der Geschäftsleitung gewährleistet ist.
• Der Verwaltungsrat stellt eine angemessene Diversität seiner Mitglieder sicher.
• Eine Mehrheit besteht aus Mitgliedern, die im Sinne
von Ziffer 14 unabhängig sind.
• Ist eine Gesellschaft zu einem bedeutsamen Teil im
Ausland tätig, sollen dem Verwaltungsrat auch Personen mit langjähriger internationaler Erfahrung
oder ausländische Mitglieder angehören.
Nicht aufgenommen wurde der in der Vernehmlassung
von zwei Proxy Advisors eingebrachte Grundsatz «oneshare-one-vote». Dies wäre im Ergebnis insbesondere
auf eine Abschaffung von Aktien mit unterschiedlicher
Stimmkraft, Partizipationsscheinen sowie der in der
Schweiz noch weit verbreiteten Prozentvinkulierungen
hinausgelaufen. Im Unterschied zum Ausland kennt das
Schweizer Recht primär diese Kontrollmechanismen,
während andere Rechtsordnungen viel weitergehende
«Poison Pills» zulassen.
In der Schweiz ist kein Trend, und noch viel weniger
eine Best Practice, zu erkennen, Stimmrechtsaktien oder
die Prozentvinkulierung abzuschaffen. Auch im Ausland, insbesondere in den USA oder der EU, welche den
Grundsatz vor Jahren noch vehement gefordert hatte,
ist heute kein solcher Trend zu erkennen.39 Unter diesen
33
34
35
36
37
38
39
Sektion 2 Swiss Code.
Sektion 5 Swiss Code.
Sektion 6 Swiss Code.
Sektion 7 Swiss Code.
Sektion 7 Swiss Code.
Sektion 8 Swiss Code.
Bericht Hofstetter, S. 10–11.
• Der Verwaltungsrat soll so klein sein, dass eine effiziente Willensbildung möglich ist, und so gross, dass
seine Mitglieder Erfahrung und Wissen aus verschiedenen Bereichen ins Gremium einbringen und die
Funktionen von Leitung und Kontrolle (Ziffer 20 ff.)
unter sich verteilen können. Die Grösse des Gremiums ist auf die Anforderungen des einzelnen Unternehmens abzustimmen.
Teilweise neu sind aber die folgenden Anforderungen:
In mehreren Diskussionen haben sich die Herausgeber
des Swiss Codes entschieden, die erwähnten Schritte zur
ausdrücklichen Frauenförderung zu gehen. Für Frauenförderung, aber gegen Quoten, lässt sich diese Haltung zusammenfassen. Zusammen mit dem Grundsatz
des «Comply or Explain» sind die gewählten Formulierungen nicht zu unterschätzen. Zwar wurde von harten
Quoten abgesehen. Eine «angemessene» Diversität soll
aber heissen, dass auch die Vertretung der Geschlechter
den Verhältnissen des betroffenen Unternehmens angemessen sein soll. Diesen Ermessensentscheid wird der
Verwaltungsrat fällen müssen.
Wie im Bericht Hofstetter dargestellt, hatten gemäss
einer Untersuchung im Jahr 2013 bloss 41 % der 229
börsenkotierten Unternehmen überhaupt eine Frau im
40
Sektion 12 Swiss Code.
Verwaltungsrat. Das ergab eine Frauenquote von rund
9 %. Bei den 100 grössten Gesellschaften betrug sie 12 %
(2014: 13 %), bei den SMI-Unternehmen 14 % (2014:
16 %).41 Neuste Zahlen belegen einen Anteil von 20,6 %
Frauen in den Verwaltungsräten in allen 264 Unternehmen, deren Aktien an der Börse gehandelt sind.42
Finnland, das ähnlich wie der Swiss Code die Vertretung beider Geschlechter im Verwaltungsrat verlangt,
hat heute einen Frauenanteil von 27 % erreicht.43 Dies ist
deutlich mehr als etwa in den U.S.A. und England. So
betrug der Anteil der Frauen in den Verwaltungsräten
der Fortune 500 Companies 16,9 %, bzw. 22,8 % in den
FTSE-100 Boards. Aber auch Frankreich, welches 2011
eine eigentliche Quote von 40 % (bis 2017) verankerte,
zeigt gegenwärtig erst einen Frauenanteil von 18,3 %.
Neu ist, dass eine Mehrheit des Verwaltungsrats die
Unabhängigkeitsregeln von Sektion 14 erfüllen soll.
Die Unabhängigkeitsregeln wurden neu überdacht und
formuliert, materiell aber nicht verändert. Insbesondere
wurde von den detaillierten Checklists und zusätzlichen
Kriterien in ausländischen Regelungen abgesehen.
• Als unabhängig gelten nicht-exekutive Mitglieder des
Verwaltungsrats, welche der Geschäftsführung nie
oder vor mehr als drei Jahren angehört haben und
die mit der Gesellschaft in keinen oder nur verhältnismässig geringfügigen geschäftlichen Beziehungen stehen.
• Bei kreuzweiser Einsitznahme in Verwaltungsräten
ist die Unabhängigkeit im Einzelfall sorgfältig zu
prüfen.
• Der Verwaltungsrat kann weitere Kriterien der Unabhängigkeit in institutioneller, finanzieller oder persönlicher Hinsicht festlegen.
• Nicht übernommen wurde der Gedanke, dass die
Verwaltungsräte auch von massgebenden Aktionären
unabhängig sein sollten, deren Interessen sie gegenüber dem Management ja gerade wahrnehmen sollen.
Peter Böckli hat darin geradezu eine Perversion des
Grundgedankens gesehen.44
• Ebenso wenig wurde das etwa im neuen englischen
Corporate Governance Code enthaltene Kriterium
aufgenommen, dass Verwaltungsräte ab einer gewissen Amtszeit nicht mehr unabhängig sein sollten.
Dies widerspricht nicht nur dem Gedanken der langfristigen Orientierung des Verwaltungsrates, sondern
auch der Lebenserfahrung, dass die Unabhängigkeit
gegenüber dem Management mit längerer AmtsdauDaten aus Schilling Report 2014, Anhang; abrufbar unter: http://
www.schillingreport.ch.
42 Studie von CRIF AG, zit. in Sonntagszeitung vom 21. September
2014.
43Bericht Hofstetter S. 18, mit weiteren empirischen Daten.
44 Peter Böckli, Corporate Governance: Erfolg und Versagen einer
Leitidee, Der Schweizer Treuhänder, 2014, Sonderdruck, S. 6. (zit.
Böckli, Corporate Governance).
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2014
er eher zunehmen mag, etwa aufgrund der besseren
Kenntnis des Unternehmens.
Neu sind sodann die Anforderungen, dass der Verwaltungsrat für eine aufgabenbezogene Einführung neu
gewählter Mitglieder und eine zweckmässige Weiterbildung sorgt, ferner dass die Mitglieder des Verwaltungsrates sicher stellen, dass sie auch erhöhten zeitlichen
Anforderungen ihres Amtes entsprechen können.45 Damit soll auch das in der Vernehmlassung aufgenommene
Problem des «Overboarding» auf eine effektivere Art
und Weise aufgenommen werden als durch zusätzliche
zahlenmässige Verbote der Mandate.
Neu ist schliesslich, dass der Verwaltungsrat jährlich eine
Selbstevaluation nicht nur seiner Arbeit sondern auch
derjenigen seiner Ausschüsse vornimmt.46 Von einer Bekanntgabe des genauen Prozesses oder der Ergebnisse
wurde aber schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen haftungsrechtlichen Probleme abgesehen.
5.
Vorsitz von Verwaltungsrat und
­G eschäftsleitung
Etwas verschärft wurde die Regelung zur sogenannten
Doppelspitze:47
Der Grundsatz der Ausgewogenheit von Leitung und
Kontrolle gilt auch für die Unternehmensspitze.
• Der Verwaltungsrat wirkt darauf hin, dass sein Vorsitz und die Spitze der Geschäftsleitung zwei Personen anvertraut werden (Doppelspitze).
• Entschliesst sich der Verwaltungsrat aus unternehmensspezifischen Gründen, oder weil die Konstellation der verfügbaren Spitzenkräfte es nahelegt, zur
Personalunion, so sorgt er für adäquate Kontrollmechanismen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bestimmt
der Verwaltungsrat ein nicht exekutives, erfahrenes
Mitglied («lead director»). Dieses ist befugt, wenn
nötig selbständig eine Sitzung des Verwaltungsrats
einzuberufen und zu leiten.
Die früheren Kann-Vorschriften sind also entfallen.
Nach wie vor abgesehen wurde aber von zum Teil im
Ausland eingeführten Regelungen zur Übernahme des
Verwaltungsratspräsidiums durch den früheren CEO.48
Das Schweizer System teilt dem Verwaltungsratspräsidenten eine viel stärkere Rolle zu, wo die Kenntnis
des Unternehmens als früherer CEO umso wichtiger
sein kann. Die Doppelspitze kann so ein System echter
Checks und Balances zwischen Chairman und CEO verwirklichen. Voraussetzung dafür ist natürlich eine kla-
41
45
Sektionen 13 und 15 Swiss Code.
Sektion 15 Swiss Code.
47 Sektion 19 Swiss Code
48 So im Deutschen AktG, den ICGN Principles of Corporate Governance 2014 oder dem neuen U.K. Corporate Governance Code
2014.
46
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
re Kompetenzaufteilung und ein gut funktionierendes
Team. Auch die ausländischen Regelungen lassen diese
Lösung weiterhin zu, fordern aber zusätzliche Erklärungen oder Karenzfristen.
7.
6.
Neu sollen sodann Prüfungsausschuss und Vergütungsausschuss ausschliesslich aus nicht exekutiven und unabhängigen Mitgliedern bestehen. Demgegenüber sollen Gesamtverwaltungsrat und Nominationsausschuss
mehrheitlich unabhängig sein.
Aufgaben des Verwaltungsrates
Wie bereits erwähnt, wird die Rolle des Verwaltungsrats
betreffend Compliance und Risikomanagement gestärkt
und wird neu ausdrücklich auf die Grundzüge eines
wirksamen Compliance Managements verwiesen.
Auch hier ging es um die Festigung des Vertrauens im
Nachgang zur Finanzkrise. Ein zentraler Faktor des
Unternehmenserfolges, welcher allen Beteiligten zugute kommt, ist die Reputation, und diese lässt sich nur in
einem langfristigen Bemühen erwerben und aufrecht erhalten, das die Interessen aller Betroffenen einbezieht.49
Deshalb wird der Umgang mit Risiken und Compliance
spezifiziert und werden neu die Konzepte des internen
Kontrollsystems und der Reputationsrisiken betont:50
Der Verwaltungsrat sorgt für ein dem Unternehmen angepasstes Risikomanagement und ein internes Kontrollsystem. Das Risikomanagement bezieht sich auf finanzielle, operationelle und reputationsmässige Risiken.
Der Verwaltungsrat trifft Massnahmen zur Einhaltung
der anwendbaren Normen (Compliance).
• Der Verwaltungsrat ordnet die Funktion der Compliance nach den Besonderheiten des Unternehmens
und erlässt geeignete Verhaltensrichtlinien.
• Er orientiert sich dabei an anerkannten Best PracticeRegeln. Siehe insbesondere die von economiesuisse
und SwissHoldings verfassten «Grundzüge eines
wirksamen Compliance-Managements».
• Der Verwaltungsrat gibt sich mindestens einmal jährlich darüber Rechenschaft, ob die für ihn und das
Unternehmen anwendbaren Compliance-Grundsätze hinreichend bekannt sind und ihnen dauernd
nachgelebt wird.
Neu wird also der Erlass eines Codes of Conduct («Verhaltensrichtlinien») empfohlen und die Bedeutung des
jährlichen Risikoassessments durch den Verwaltungsrat
betont. Schliesslich regelt der Verwaltungsrat nicht nur
die Grundsätze für die Ad-hoc-Publizität, sondern trifft
Massnahmen zur Verhinderung von Verstössen gegen
das Insiderrecht.51 Hier werden zwei heute für den Verwaltungsrat besonders wichtige Aspekte der Compliance
aufgegriffen.
Ausschüsse des Verwaltungsrats
Zunächst galt es auch hier die VegüV nachzuvollziehen,
welche namentlich den Vergütungsausschuss neu geregelt hat.
Schliesslich gab es kleine Nachführungen betreffend Zusammensetzung und Aufgaben der drei Ausschüsse, welche nachfolgend wiedergegeben werden:52
Prüfungsausschuss
Der Verwaltungsrat setzt einen Prüfungsausschuss («Audit Committee») ein.
• Der Ausschuss setzt sich aus nicht-exekutiven und
unabhängigen Mitgliedern des Verwaltungsrats zusammen.
• Die Mehrheit, darunter der Vorsitzende, ist im Finanz- und Rechnungswesen erfahren. In komplexen
Verhältnissen soll neuerdings zumindest ein Mitglied
Finanzexperte (z.B. amtierender oder ehemaliger
CEO, CFO oder Wirtschaftsprüfer) sein.
Der Prüfungsausschuss bildet sich ein eigenständiges
Urteil über die externe und interne Revision, das interne
Kontrollsystem und den Jahresabschluss.
Vergütungsausschuss
Der Verwaltungsrat schlägt der Generalversammlung
nicht-exekutive und unabhängige Mitglieder zur Wahl in
den Vergütungsausschuss («Compensation Committee»)
vor.
• Dem Vergütungsausschuss kommt bei der Umsetzung der Vorgaben von Gesetz, Statuten und
Generalversammlung eine Schlüsselrolle zu, die
Sachkenntnis und Engagement im Interesse des Unternehmens verlangt.
• Der Präsident des Verwaltungsrats bzw. der Vorsitzende der Geschäftsleitung können, ausser wenn es
um ihre eigene Entschädigung geht, zu den Sitzungen
beigezogen werden.
• Im Übrigen gilt Anhang 1.
Nominationsausschuss
Der Verwaltungsrat setzt einen Nominationsausschuss
(«Nomination Committee») ein.
• Der Nominationsausschuss setzt sich mehrheitlich
aus nicht-exekutiven und unabhängigen Mitgliedern
des Verwaltungsrats zusammen.
49
Forstmoser, Profit, S. 70.
Sektionen 20 und 21 Swiss Code.
51 Sektion 18 Swiss Code.
50
52
Sektionen 23–26 Swiss Code.
• Der Nominationsausschuss legt Grundsätze für die
Auswahl von Kandidaten zur Zuwahl in den Verwaltungsrat bzw. für die Wiederwahl fest und bereitet
die Auswahl nach diesen Kriterien vor.
• Dem Nominationsausschuss können auch Aufgaben im Zusammenhang mit der Auswahl, Beurteilung und Nachfolgeplanung von Kandidaten für das
oberste Kader zugewiesen werden.
Erwähnenswert ist auch der neue Hinweis, wonach sich
die Revisionsstelle an die für sie geltenden Unabhängigkeitsrichtlinien hält.53 Von einer weitergehenden Regelung der externen Revision, wie sie in der Vernehmlassung teilweise vorgeschlagen wurde, wurde abgesehen,
da sie der prinzipienbasierten Natur des Swiss Codes
widersprochen hätte.
8.
Anhang 1 zum Swiss Code betreffend
­E ntschädigungen
Nach eingehenden Diskussionen hat sich die Arbeitsgruppe entschieden, die Entschädigungen weiterhin in
einem separaten Anhang zu regeln, diesen aber besser in
den Swiss Code zu integrieren. Entsprechend wurde die
Rolle des Vergütungsausschusses verstärkt, die von diesem zu beachtenden Grundsätze aber im Anhang belassen. Nicht zuletzt soll dies dem Verwaltungsrat ermöglichen, die Best Practices zur Entschädigung weiterhin in
einem «stand-alone» Dokument zu finden.
Auch im Anhang wurde daran festgehalten, nach Möglichkeit auf die Wiederholung gesetzlicher Regelungen
(der VegüV) zu verzichten sowie die vom Gesetz erhaltenen Spielräume offen zu halten und nicht durch die vorschnelle Statuierung von Best Practices zu verschliessen.
Es galt auch hier, sich auf eigentliche Best Practices zu
beschränken. Der Anhang beansprucht aber sehr wohl,
Empfehlungen zu geben für einen «verantwortlichen
Umgang mit diesen Fragen» und für Vorschläge an die
Generalversammlung, die für die Aktionäre «nachvollziehbar» sind.54
Peter Böckli hat im Zusammenhang mit der Revision
des Swiss Code 2007 ein grosses Versagen der Corporate Governance bei den Spitzenvergütungen festgestellt.
Die zögerliche Umsetzung des Anhangs 1 hat zweifellos
zum Erfolg der Minder-Initiative beigetragen.55 Inzwischen aber hat sich die Schweiz mit der VegüV ein weltweit einmaliges «Say-on-Pay Regime» gegeben, wohl
das schärfste überhaupt. Eine verbindliche Abstimmung
über einen Betrag (sowie die zwingenden Freiheitsstrafen) gibt es bisher in keinem anderen Land.
53
Sektion 28 Swiss Code.
Swiss Code, S. 16.
55 Böckli, Corporate Governance, S. 8.
54
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8.1 Rolle der Generalversammlung
Der Anhang äussert sich im ersten Kapitel zur Rolle der
Generalversammlung. Der Verwaltungsrat muss dafür
sorgen, dass die Generalversammlung ihre neuen gesetzlichen Befugnisse ausüben kann. Dies heisst, dass er die
verschiedenen Abstimmungen und Wahlen strukturiert
und organisiert und dabei eine sachlich geführte Debatte und effiziente Entscheidfindungen anstrebt. Der Präsident oder der Vorsitzende des Vergütungsausschusses
gibt sodann Erläuterungen zum Vergütungsbericht sowie zum Vergütungssystem und beantwortet Fragen.
Neu soll der Verwaltungsrat aber auch die Information und Entscheidfindung der Aktionäre im Vorfeld der
Generalversammlung erleichtern. Darin findet sich eine
gewisse Abkehr vom traditionellen Modell der schweizerischen Generalversammlung als eine einmal jährlich
wiederkehrende Gelegenheit, dem Verwaltungsrat Fragen zu stellen. Vielmehr wird auf den heute meist schon
im Vorfeld der Generalversammlung geführten Dialog
mit Aktionärsvertretern und Investoren hingewiesen. Es
hat sich bereits im ersten Jahr unter der VegüV gezeigt,
dass Gesellschaften, welche den Dialog mit den Aktionären im Vorfeld der Generalversammlung vernachlässigen, Schwierigkeiten haben können, die notwendigen
Stimmen zu erhalten.
Das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre und das
Verbot selektiver Verbreitung kursrelevanter Informationen setzen dabei die juristischen Grenzen.
Da jeder Dialog zwei Seiten hat, sei hier auch noch einmal auf die erwähnten Richtlinien für Institutionelle Anleger zur Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei Aktiengesellschaften verwiesen.
8.2Vergütungsausschuss
Im zweiten Kapitel werden Empfehlungen zur Rollenverteilung zwischen Verwaltungsrat und Vergütungsausschuss abgegeben. Der Verwaltungsrat soll Beschluss
fassen über die Vergütungspolitik, das Vergütungssystem und die Vergütungsanträge an die Generalversammlung einschliesslich der jährlich beantragten Vergütungssummen. Letztere sollen im Antrag an die Aktionäre auf
nachvollziehbare Weise begründet werden, wobei auf
den Vergütungsbericht verwiesen werden kann. Selbstverständlich hat sich der Verwaltungsrat an die statutarische Kompetenzaufteilung zwischen ihm und dem
Vergütungsausschuss zu halten. Der Swiss Code empfiehlt aber, dass er sich in der Regel die Genehmigung der
Gesamtentschädigung der Geschäftsleitung und des Präsidenten vorbehält. Um den Vergütungsausschuss, der
neu direkt von den Aktionären gewählt wird, nicht noch
zusätzlichem Druck auszusetzen, wurde von einer weitergehenden Kompetenzverschiebung an den Ausschuss
abgesehen.
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
Sektion 32 regelt die theoretisch mögliche Situation, dass
Aktionäre Mitglieder des Vergütungsausschusses zur
Wahl vorschlagen, welche entgegen den Empfehlungen
des Swiss Codes nicht unabhängig sind. In einem solchen Fall muss der Verwaltungsrat die Generalversammlung über diesen Umstand informieren. Die Wahl bleibt
aber gültig. Der Verwaltungsrat selber soll jedoch keine
nicht unabhängigen Mitglieder oder solche, die in einer
Kreuzverflechtung stehen, zur Wahl vorschlagen. Ausdrücklich zulässig ist aber weiterhin die Wahl von bedeutenden Aktionären oder deren Vertreter in den Vergütungsausschuss. Ausländischen Überlegungen, welche
die Unabhängigkeit solcher Aktionärsvertreter in Frage
stellen, wird damit wie erwähnt nicht gefolgt.
Sektionen 33 und 34 betonen die Schlüsselrolle des Vergütungsausschusses bei der Ausgestaltung des Vergütungssystems nach den Vorgaben des Verwaltungsrats
zur Vergütungspolitik. Die Festlegung einer eigentlichen
Vergütungspolitik ist eine neue, letztlich wohl undelegierbare Aufgabe des Verwaltungsrats, welche in der
Vernehmlassung gewünscht wurde.
Das Vergütungssystem soll möglichst einfach, klar und
nachvollziehbar sein und die Interessen der Spitzenkräfte mit den Interessen der Gesellschaft in Einklang
bringen. Mit den Kriterien der Einfachheit und Nachvollziehbarkeit sollte einigen Lehren der Vergangenheit
und der neuen Rolle der Generalversammlung Rechnung
getragen werden.
8.3Vergütungssystem
Das dritte Kapitel regelt einige Einzelheiten zum Vergütungssystem und nimmt einige Forderungen der Proxy
Advisors aus den letzten Jahren auf, welche inzwischen
als Schweizer Best Practices gelten können. So sollen
nicht exekutiv tätige Personen in der Regel nur feste Elemente erhalten, welche grundsätzlich aus Geldzahlungen
und Aktienzuteilungen bestehen. Bei den exekutiv tätigen Personen sollen die variablen Elemente in angemessenem Verhältnis von der individuellen Leistung einerseits und vom nachhaltigen Erfolg andererseits abhängig
sein. Sie sollen auf nachvollziehbare Kriterien abstellen,
welche auch weniger leicht messbare Führungsqualitäten
berücksichtigen. Zudem sollen sie entfallen oder gekürzt
werden, wenn die massgeblichen Ziele nicht erreicht
werden. Bei aufgeschobenen Vergütungen, die aktienbezogen sind, hat der Ausschuss sodann auf angemessene
«Performancekriterien» und eine sinnvolle Fristenkongruenz zu achten.
Sektion 36 betont, dass sachlich nicht begründete Vorteilszuwendungen und falsche Anreize vermieden werden sollen. Zusätzlich zu den Verboten der VegüV
(betreffend Kündigungsfristen, Vertragsdauern, Abgangsentschädigungen und Vergütungen im Voraus) sollen Antrittsentschädigungen nur soweit zugesprochen
werden als sie zur Kompensation werthaltiger Ansprüche dienen, welche das betreffende Neumitglied aufgrund des Unternehmenswechsels verliert. Sodann wird
die Möglichkeit von vertraglichen Claw Backs in Erinnerung gerufen, wobei das Schweizer Recht in OR Art. 678
allerdings schon von Gesetzes wegen einen Claw Back
enthält.
In Sektion 37 wird der Vergütungsausschuss aufgefordert, sowohl Lohnvergleiche mit Drittunternehmen wie
die Arbeit externer und interner Berater zu hinterfragen.
Bewusst wurde davon abgesehen, auf die Beschränkungen der VegüV im Swiss Code durch eine vorschnelle Verankerung von Best Practices noch «eins drauf zu
setzen». Beispielsweise war erwogen worden, ob variable Vergütungselemente nach oben ausdrücklich durch
«caps» begrenzt sein sollten, wie dies viele Gesellschaften bei der Umsetzung der VegüV in die Statuten aufgenommen haben. Wegen offener Fragen um den Begriff
und die Bewertung solcher «caps» wurde letztlich davon
abgesehen. Ohnehin ist es unter der VegüV schwer denkbar, wie nach oben offene Lohnsysteme zur Abstimmung gebraucht werden könnten.
8.4 Vergütungsbericht und Transparenz
Das letzte Kapitel befasst sich mit dem Vergütungsbericht und der Transparenz. So soll weiterhin erläutert
werden, warum die für das Geschäftsjahr zugesprochenen Vergütungen gesunken oder gestiegen sind. Erstmals
wird hier ausdrücklich auf den notwendigen «pay-forperformance»-Zusammenhang hingewiesen, wie das
auch in der Vernehmlassung gefordert wurde. Der Bericht soll auch die wesentlichen Kriterien für die Bemessung der variablen Vergütungselemente zeigen sowie die
Bewertung von aktienbasierten Vergütungselementen
nach dem anwendbaren Regelwerk.
Neu soll der Vergütungsbericht transparent machen, wie
der Verwaltungsrat und der Vergütungsausschuss die
Vergütungsbeschlüsse der Generalversammlung im Geschäftsjahr umsetzten. Auch dies entspricht dem Grundgedanken eines verbesserten Dialogs zwischen Verwaltungsrat und Aktionären.
Ganz am Schluss hält der Anhang fest: Falls die Generalversammlung die Gesamtvergütung prospektiv genehmigt oder beschliesst, kann der Verwaltungsrat den
Vergütungsbericht der Generalversammlung konsultativ (retrospektiv) zur Abstimmung vorlegen. Mit der
Kann-Vorschrift sollte der bisher von einer deutlichen
Mehrheit der börsenkotierten Gesellschaften befolgten Abstimmungsvariante der VegüV eine Verankerung
im Swiss Code gegeben werden. Nach einer Studie von
ISS vom September 2014 haben bisher 91 % der Schweizer Gesellschaften für den Verwaltungsrat und 63 % für
die Geschäftsleitung den prospektiven Weg («Budget
Approach») eingeschlagen, meist kombiniert mit einer
retrospektiven Konsultativabstimmung über den Vergütungsbericht.56 Insbesondere für Gesellschaften mit
einem diversifizierten Aktionariat ist die prospektive
Abstimmung, bezogen für die Geschäftsleitung auf das
nächste Geschäftsjahr, für die Mitglieder des Verwaltungsrates auf die Periode bis zur nächsten ordentlichen
GV, inzwischen als Schweizer Best Practice bezeichnet
worden.57 Die (zusätzliche) Konsultativabstimmung
über den Vergütungsbericht kann als die von den Proxy
Advisors geforderte internationale Best Practice betrachtet werden.58 Sie ist in den USA, England und anderen
Ländern inzwischen auch gesetzlich verlangt.
GesKR 4
2014
Practices hätten sich die Vorteile der Selbstregulierung
da schnell in ihr Gegenteil verkehrt.61
Der Erfolg des Swiss Codes beruht auf seiner Akzeptanz. Vor diesem Hintergrund wurde auch noch einmal
von der Schaffung eines institutionellen Gremiums, welches den Swiss Code überwacht und weiterentwickelt,
abgesehen.62 Stattdessen steht es neben den bestehenden
Trägerorganisationen weiteren Organisationen offen,
ebenfalls eine Unterstützungserklärung abzugeben und
in die weitere Entwicklung des Swiss Codes miteinbezogen zu werden.63 Zweifellos werden in kommenden Revisionen weitere Best Practices etabliert werden können.
8.5 Weitere Best Practices?
Verschiedentlich war die Aufnahme weiterer Best Practices zur Vergütung angeregt worden. Nach dem jahrelangen Ringen um die gesetzliche Regelung in der VegüV
hat die Arbeitsgruppe bewusst davon abgesehen. In der
VegüV war es gelungen, den Unternehmen im Rahmen
des Verfassungswortlautes einigen Spielraum zu belassen, gerade z.B. bei der Frage, ob die Vergütungsabstimmungen in der GV prospektiv oder retrospektiv durchzuführen seien.59 Im Wettbewerb der Systeme soll sich
die richtige Antwort in den nächsten Jahren durchsetzen
können, wobei absehbar ist, dass diese für unterschiedliche Branchen möglicherweise unterschiedlich lauten
wird.
Auch bezüglich der Vergütungsformen hätte der Swiss
Code weitere Empfehlungen abgeben können, z.B. zu
Antrittsprämien oder Entschädigungen beim Austritt.
Das hätte möglicherweise etwas Rechtssicherheit vermittelt. Aber auch diesbezüglich wollte die Arbeitsgruppe nicht der Praxis vorauseilen: «Best Practices sollten
sich bis zu einem gewissen Grad in der Praxis bewährt
haben und nicht einfach nur «Best Ideas» sein.»60 Diesem
Grundprinzip des Swiss Codes wurde auch im Bereich
der Vergütungen Rechnung getragen.
Bei grösseren Gesellschaften braucht es aufgrund des
Drucks von Investoren und Proxy Advisors heute gute
Gründe, längerfristig signifikant vom Swiss Code abzuweichen. Mit der Einführung des «Comply or Explain»
Prinzips wird der Druck wohl noch einmal zunehmen.
Durch eine vorschnelle Kodifizierung weiterer Best
56
Gemäss Ethos Studie vom Oktober 2014 haben sogar nur 27 % der
150 grössten Unternehmen für die Geschäftsleitung eine retrospektive Abstimmung gewählt.
57 So Rolf Watter/Yvo von Büren, VegüV: Erste Erfahrungen,
­GesKR 3/2014.
58 Gemäss Watter/von Büren, a.a.O., wurde die Konsultativabstimmung mit einer Ausnahme (Swatch) von allen SMI Gesellschaften
durchgeführt.
59 Vgl. Art. 12, 18 Abs. 2 VegüV.
60Bericht Hofstetter S. 21.
V.Fazit
Der neue Swiss Code ist seinen bewährten Prinzipien
treu geblieben. Während ausländische Codes teilweise jährlich aufdatiert werden müssen, soll er weiterhin
eine prinzipienorientierte Sammlung von Schweizer
«Best Practices» darstellen. Es geht weder um detaillierte
Checklists noch um das Testen von unbewährten Ideen.
Dies dient letztlich der Rechtssicherheit.
Trotzdem ist seine Strahlkraft für Unternehmen, welche diesen Grundsätzen noch nicht folgen, nicht zu unterschätzen. Die Einführung des «Comply or Explain»
Prinzips wird diese Strahlkraft zweifellos noch einmal
steigern. Die neu eingeführte Regelung zur (Gender)
Diversity könnte ein Testfall dafür werden. Der Swiss
Code hat sich für Frauenförderung, aber gegen Quoten
entschieden.
Die theoretisch grösste Änderung ist die Abkehr von
einem ausdrücklich ausschliesslich auf das Aktionärs­
interesse ausgerichteten Regelwerk. Neu soll sich der
Verwaltungsrat vom Ziel der nachhaltigen Unternehmensentwicklung leiten lassen. Damit vollzieht der
Swiss Code eine Entwicklung nach, welche sich in Literatur, Rechtsprechung und Unternehmenspraxis in den
letzten Jahren bereits abgezeichnet, aber in der Aufarbeitung der Lehren aus der Finanzkrise noch einmal akzentuiert ­hatte.
Die Verweise auf die Richtlinien zur Stimmrechtsausübung für Institutionelle Investoren sowie auf die
Grundzüge eines wirksamen Compliance-Managements
verdeutlichen die erhöhte Verantwortung aller Beteiligten über die traditionelle Corporate Governance (i.S.
einer guten Unternehmensführung) hinaus. Dem entsprechen auch die neuen Hinweise zum (Reputations)
Risikomanagement durch den Verwaltungsrat.
61
Siehe dazu Christoph B. Bühler, Regulating Corporate Governance
following the «Swiss Muesli» Recipe, SZW 2013, S. 150 f.
62 Binder/Gutzwiller, S. 11, für die Schaffung einer «Schweizer Corporate Governance Stiftung».
63 Swiss Code, S. 4.
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
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David Frick – Der neue Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 2014
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Bei der Zusammensetzung und Aufgabenverteilung von
Verwaltungsrat und Ausschüssen und bei den Aussagen
zur Doppelspitze führt der neue Swiss Code die international etablierten Best Practices nach und zieht einige
weitere Lehren aus der Finanzkrise.
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GesKR 4
Ebenso trägt er beim Thema der Vergütung den Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung, ohne den von
der VegüV im Rahmen des Verfassungswortlautes bewahrten Spielraum noch einmal einzuschränken. Die
Vorteile der Selbstregulierung, namentlich Flexibilität,
Praxisnähe und ein gewisser Wettbewerb der Ideen, sollten bewahrt und nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Bei aller Zurückhaltung enthält der Swiss Code von 2014
einige gewichtige Neuerungen, welche in ihrer Wirkung
nicht unterschätzt werden sollten. Insgesamt ging es darum, einen Beitrag zu leisten zur Festigung des Vertrauens
im Nachgang zur Finanzkrise und dem damit verbundenen Vertrauensverlust der Wirtschaft. Ob dies gelungen
ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.