INHALT 1 Gastfreundschaft – eine chassidische Einstimmung 2 2 Biblisch-theologische Einsichten zur Gastfreundschaft 3 2.1 In der Geschichte der Religionen 2.2 Im Alten Testament 2.3 Im Neuen Testament 2.4 In der Geschichte der Kirche 2.5 Im Judentum und im Islam 2.6 Gastfreundschaft – eine biblisch-theologische Verortung 3 3-4 4-5 5-6 6-7 7-8 3 Gastfreundschaft – und die Frage nach der Gestalt 9 der Gemeinde Jesu Christi heute 3.1 Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde – 9 - 10 ein Leitbild für die Gemeinde (Wolfgang Vorländer) 3.2 Gottes Gastfreundschaft und die Folgen für die 10 Gemeinde Jesu Christi 3.2.4 „Eucharistische Gastfreundschaft“ in der Ökumene 10 - 11 11 - 12 12 - 13 13 - 14 3.3 Gottes Gastfreundschaft – ein Ausblick 14 - 16 4 „Tentatis [=Angefochtenen] soll man gut essen und trinken 17 - 23 3.2.1 Die volkskirchliche Taufpraxis 3.2.2 Die Kinder und das Abendmahl 3.2.3 Der Besuchsdienst geben“ – Ein Exkurs zu Gastfreundschaft und praktischer Seelsorge bei Martin Luther 5 Leitbild der Evang. Kirchengemeinde Wössingen (Thesen) 23 - 26 6 Gastfreundschaft – eine Literaturauswahl 28 1 Gastfreundschaft – eine chassidische Einstimmung – hoffentlich auch beim – Singen. 2 Gastfreundschaft – biblisch-theologische Einsichten Rabbi Schmuel von Brysow war einer der von seiner chassidischen Richtung am höchsten geachteten Männer. Und er war reich. Eines Tages kam eine große Gruppe von Kaufleuten nach Brysow, und zwar kurz vor Sabbatanbruch, so dass sie sich entschlossen, den Festtag über in der Stadt zu bleiben. Sie kamen zu Rabbi Schmuel und erkundigten sich, ob sie in seinem Hause wohnen und das Sabbatmahl mit ihm teilen dürften. Rabbi Schmuel erwiderte, er könne ihnen beides anbieten, allerdings nur gegen Bezahlung, und dann nannte er sogar noch eine recht hohe Summe, die sie für ihren Aufenthalt zu bezahlen hätten. Die Reisenden waren befremdet, dass ein Chassid für die Wohltat der Gastfreundschaft Bezahlung verlangte, aber da sie keine Wahl hatten, nahmen sie sein Angebot an. Und so aßen und tranken die Kaufleute über den Sabbat zur Genüge, ja verlangten sogar noch erlesene Weine und ausgewählte Speisen als Entgelt für den hohen Preis, den sie zu entrichten haben würden. Auch zögerten sie nicht, alle möglichen Sonderwünsche zu äußern. Als der Sabbat vorüber war und die Kaufleute ihre Reise fortsetzen wollten, traten sie in Rabbi Schmuels Studierzimmer, um die vereinbarte Summe zu entrichten. Der aber brach in Lachen aus: „Glaubt ihr, ich habe den Verstand verloren? Wie könnte ich Geld annehmen für das Privileg, Reisenden Gastfreundschaft zu gewähren?“ Die Kaufleute sahen einander verständnislos an: „Warum habt ihr uns denn dann nur unter der Bedingung aufgenommen, dass wir Euch hoch bezahlen?“ Da erklärte Rabbi Schmuel: „Ich fürchtete, es könnte euch peinlich sein, auch genug zu essen oder die Besten Weine zu trinken, wenn ihr euch nur als meine Gäste fühlt. Und – seid ehrlich, hatte ich nicht recht?“ Fragt man danach, welche Rolle die Gastfreundschaft in der Religionsgeschichte spielt, so fällt auf, dass die sog. „philoxenía“ (griech. das „Willkommenheißen eines Fremden“) in allen Religionen und Kulturen eine zentrale Rolle spielt. Gemäß dieser Tradition wird geregelt, „wie die zeitweise Aufnahme eines Fremden in eine bestimmte Gruppe aussehen soll“. In der Regel geschieht dies so, dass der Gastgeber den Gast vor den zahlreichen Gefahren schützt, denen er in seinem Status als „Fremder“ ausgesetzt ist, und er garantiert dem Gast für eine begrenzte Zeit den Lebensunterhalt. Der Gast wiederum nimmt die Gastfreundschaft entgegen, ohne den Gastgeber auszubeuten. Gastfreundschaft beruht auf Gegenseitigkeit und ist ein Beziehungsbegriff – insofern gehört ein Güteraustausch schon zu alten Zeiten zur Gastfreundschaft dazu. Der Gastgeber gewährt die Gastfreundschaft mit einem Gastmahl, der Gast seinerseits bedankt sich mit einem Geschenk. Obwohl die Sitten und Bräuche dazu in den verschiedenen Kulturen und Zeiten variabel sind, erscheinen diese zwei Elemente als konstant. Im religiösen Kontext sind die Gottesboten wie Wanderprediger, Bettelmönche oder auch die Pilger auf Gastfreundschaft besonders angewiesen. Oft bringt der Gast auch in besonderer Weise eine Botschaft von der Gottheit mit – so in vielen religionsgeschichtlichen Quellen. In allen Religionen spielt die Gastfreundschaft eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, wie und wodurch sich die Gottheit den Menschen offenbart. Aus: Rabbi Shmuel Avidor Hacohen, Ratlos war der Rabbi nie 2 2.1 In der Geschichte der Religionen 2.2 Im Alten Testament Wer die biblischen Texte unter der Perspektive der Gastfreundschaft liest, findet eine Fülle von Bezügen auf das Thema. Gastfreundschaft, so kann man vereinfacht sagen, hat ihre Wurzeln im nomadischen Leben und entspringt dem Bedürfnis des Fremden nach Schutz, insbesondere auf Reisen. Die biblischen Erzählungen von der Gastfreundschaft beginnen mit Abraham, der – ohne sie zu kennen – drei Fremden ein Mahl, Wasser und Rast anbietet (vgl. Gen 18, 1-8). Im biblischen Denken ist aber vor allem Gott der Gastgeber für Israel. Er versorgt die Israeliten in der Wüste mit Manna (Ex 16), er beschützt sie und gibt ihnen das verheißene Land (Lev 25, 23). Darum soll Israel den Fremden genauso Gastfreund3 schaft erweisen (Dtn 10, 17f u.ö.)! Taten der Gastfreundschaft sind an entscheidenden Wendepunkten der Geschichte Israels von Bedeutung: Laban heißt Jakob willkommen, und Abigail erweist David Gastfreundschaft. Allerdings kennt das Alte Testament auch Berichte über den Missbrauch von Gastfreundschaft (zB Ri 5 oder 1. Sam 25). Am Bekanntesten ist sicherlich das Bild aus dem 23. Psalm, wo es heißt: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde...“ Wieder ist es am Ende Gott, der dem treuen Glaubenden fortdauernde, ewige Gastfreundschaft gewährt. Was im Psalm Davids individuell gedacht ist, davon reden die Propheten im Blick auf ganz Israel (vgl. zB Jes 25): Israel wird nach überstandenem Gericht zu einem Fest ohne Ende eingeladen. Gott wird es sein, der am Ende allen den Tisch deckt. Es gehört zu den messianischen Erwartungen, die am Zion in Jerusalem haften, dass Gott sich einmal allen Völkern offenbaren wird und dabei den Menschen ein großes nie endendes Fest bereiten wird. 2.3 Im Neuen Testament Weil die Gottesherrschaft von Jesus selbst immer wieder (in Gleichnissen und Bildworten) als festliche Mahlgemeinschaft geschildert wird, was sich an die alttestamentlichen Verheißungen anschließt, heben auch die Evangelien Jesu Rolle als Gastgeber immer wieder stark hervor. Nicht nur bei der Speisung der 5000 oder beim letzten Abendmahl ist Jesus der Gastgeber – auch wenn er scheinbar als Gast auftritt wie zB bei der Hochzeit zu Kana oder in den Häusern der Pharisäer oder Zöllner. Er bringt Worte und Gaben Gottes mit und bleibt damit der wahre Gastgeber. Jesus feierte gerne, besonders auch mit denen, die am Rand der Gesellschaft standen. Bei einigen Gelegenheiten verknüpfte er sein Verhalten sogar mit dem zukünftigen königlichen Festmahl (zB Mt 8, 11 oder Mk 14, 25). Sein gesamtes öffentliches Auftreten erinnert an die Verheißung aus Jes 25 (s.o.). Im Johannes-Evangelium entdecken manche Ausleger sogar eine „Christologie der Gastfreundschaft“ (John Koenig), wenn Jesus sich selbst in den sog. Ich-bin-Worten als Tür, guter Hirte, wahrer Weinstock und schließlich als das Haus für die wahren Gläubigen bezeichnet (vgl. Joh 10 / 14 / 15 und Apk 3, 21). Nach den Berichten der Apostelgeschichte war die Urgemeinde in Jerusalem eine Festmahl-Gemeinschaft, die alle willkommen hieß (Apg 2, 4 42ff). In der Tat liest sich die Apostelgeschichte wie eine Reihe von Gastgeber-Gast-Ereignissen, durch die sich die junge Kirche ausbreitet (zB Lydia Apg 16, 11ff). Agape-Feier, Katakomben Auch die Briefe des Apostels Paulus weisen auf die Bedeutung der Gastfreundschaft für die Ausbreitung des Evangeliums hin (bes. Phil, Röm, 1, 16; 1. Tim 3, 2). Bei Paulus verbindet sich – wie auch sonst wohl in den ersten Gemeinden – die Praxis der Gastfreundschaft mit der Feier des Hl. Abendmahls, der Eucharistie, die (anders als heute im Protestantismus) noch ganz eng und organisch mit der Feier des Gottesdienstes verbunden war. Insgesamt bündelt sich der Gedanke, die Praxis und die Vision einer umfassenden Gastfreundschaft im Neuen Testament wohl am deutlichsten in der Mahnung des Apostels Paulus, wie er sie in Röm 15, 7 ausspricht: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“. 2.4 In der Geschichte der Kirche Im frühen Christentum, so sagt es der Neutestamentler Gerd Theißen, war die Aufnahme von sog. „Wanderradikalen“ durch Ortsgemeinden eine Grundbedingung des christlichen Lebens. Da es beides gab, die Wanderprediger und die stabile Ortsgemeinde, waren letztlich beide Seiten aufeinander angewiesen. So waren zwischen den Gemeinden Kontakte möglich und ein Austausch fand regelmäßig statt, da es ja noch keine verfassten Zusammenschlüsse oder Kirchen gab. Gastfreundschaft war eine Grundbedingung der frühen Kirche, zu ihr waren in besonderer Weise Bischöfe (was sich bis heute im Blick auf Wohnungslose und Pilger so 5 erhalten hat, die am Pfarrhaus klingeln), Diakone und Witwen verpflichtet. Von der heidnischen Umwelt hob man sich dadurch ab, dass auf eine materielle Gegenleistung verzichtet wurde. Die anschwellenden Pilgerströme machten dann ab dem 4. Jh., v.a. im Hl. Land, aber auch sonst im Osten und in Rom die Errichtung von eigenen kostenlosen Pilgerunterkünften, sog. Xenodochien, nötig. Dazu kamen etwa zur selben Zeit Unterkünfte für Arme und Kranke, deren Erbauung sich demselben christlichen Motiv der Gastfreundschaft verdankt. In der Folgezeit und mit dem Beginn des Klosterwesens wurde dies in einigen Orden zur Hauptaufgabe, sodass Pilger, Arme, Kranke und Bedürftige hier Unterkunft fanden. Besonders die Regel des Hl. Benedikt misst der Gastfreundschaft eine zentrale Rolle zu. Das ganze Mittelalter hindurch blieb Gastfreundschaft eine zentrale Aufgabe der Kirche, wobei im Spätmittelalter bereits eine gewisse Kommerzialisierung eintrat, sodass Pilgerherberge und Spital mehr und mehr auseinander traten. Mit der Reformation (Wegfallen des Pilgerns) und der Säkularisation (Armenfürsorge in weltlicher Hand) geriet die Gastfreundschaft als Kernaufgabe der Kirche immer mehr in Vergessenheit. Erst mit der sozialen Frage im 19. Jh. und der Frage nach dem Dienst der Kirche an den Armen, Kranken, Wohnungslosen und Gestrandeten in einer industriellen Gesellschaft kam es zu neuen Impulsen, die sich letztlich dem Motiv der biblischen Gastfreundschaft verdanken. Die aktuellen Diskussionen um die Verantwortung der Christen für Asylbewerber (Stichwort: „Kirchenasyl“) und Flüchtlinge lassen sich auch unter dem Stichwort Gastfreundschaft kritisch hinterfragen. Eine Orientierung am Leitbild der Gastfreundschaft, wie es im Alten und Neuen Testament entfaltet wird, könnte auch hier neue und herausfordernde Impulse bringen. 2.5 Im Judentum und im Islam Für das Judentum in seiner Geschichte bis heute ist die biblische Gastfreundschaft nach wie vor aktuell. Als Leitfiguren gelten Abraham und Hiob, deren Haustüren nachts und tagsüber in allen Richtungen immer offen gewesen sein sollen. Dem Geist der Gastfreundschaft sind bes. im Mittelalter einige jüdische soziale Einrichtungen zu verdanken, so zB die „Gesellschaft der Gastfreundschaft“, sowie die jüd. Studentenherbergen, die wohl schon im 15. Jh. entstanden. 6 In der Welt des Islam musste bereits in vorislamischer Zeit das Oberhaupt eines arabischen Clans durchreisende Fremde ohne Rücksicht auf die Kosten gastfrei aufnehmen und ihnen den gleichen Schutz gewähren wie den eigenen Angehörigen. Der Koran betont, dass zu den Begünstigten der verpflichtenden Almosenabgabe auch durchreisende Fremde gehören (Sure 9, 60). Die alte Hochschätzung der Gastfreundschaft lebte in der städtischen wie der beduinischen islamischen Gesellschaft ungebrochen fort. Hier entstand in der Literatur und in zahlreichen Anekdoten auch der allseits bekannte Typus des Schmarotzers, der diese Ideale schamlos ausnutzt – dennoch bleibt das Ideal letztlich unangefochten bestehen. Das Thema der Gastfreundschaft spielt auch in der Literatur der Sufis eine große Rolle. Bei einem Gastmahl zu schlemmen und so den Gastgeber zufrieden zu stellen, wird dabei für wichtiger erachtet als die Wahrung eines etwaigen Fastengelübdes... 2.6 Gastfreundschaft – eine biblisch-theologische Verortung Der kurze Gang durch die biblischen wie religionsgeschichtlichen Quellen hat gezeigt, dass mit dem Motiv der Gastfreundschaft ein durchgehend roter Faden zu finden ist, der sich im Folgenden im Blick auf die Gestalt der Gemeinde Jesu Christi noch einmal im Detail entfalten lässt. Zentral ist dabei nicht nur die inhaltliche Nähe des Motivs Gastfreundschaft zur Theologie und Praxis des Abendmahls – jenem sich immer wieder neu ereignenden Mahl, das zur Vergebung der Sünden, zur Stärkung der Gemeinschaft und zur Ermutigung in der Hoffnung gefeiert wird – in den Anfängen täglich oder doch zumindest verbunden mit jedem Gemeindegottesdienst. Wolfgang Vorländer fasst diesen Aspekt so zusammen: „Gastfreundschaft heilt und befreit. Sie ist – wo sie gelingt – schön, und sie macht schön. Sie macht das Leben heller. Denn sie ist Abglanz der Schönheit Gottes.Wo sie gewährt und gelebt wird, da wird mir mein Dasein gegönnt, mein Sosein zugestanden, und ich muss mich nicht erklären. Ihre Schönheit empfängt Gastfreundschaft – theologisch gesprochen – aus der „Rechtfertigung des Sünders“: dem machtvollen, schöpferischen und beglückenden Freispruch Gottes. Darum befindet sich ihn der Mitte aller Gastfreundschaft der gastfreie Tisch des Herrn und das eucharistische Festmahl. Von dieser Mitte und von diesem Tisch her wird die Kirche zur Herberge und zur Gast-Stätte.“ 7 Zentral ist auch die Weite und Offenheit des Leitbildes der Gastfreundschaft im Blick auf Menschen, die den Weg zur Gemeinde (noch) nicht oder nicht mehr finden. Eine Praxis der Gastfreundschaft wird solche Menschen immer wieder einladen und dann gastfrei und absichtslos bewirten, ohne gleich mehr von ihnen zu erwarten. Gerade dieser zweckfreie Raum einer Gemeinde schafft Möglichkeiten zur echten segensvollen Begegnung, wo und wann Gott es will. Im Übrigen erscheint es mir aus evangelischer Perspektive spannend, das Modell der Gastfreundschaft – wie dies bereist durch den Begriff der sog. „eucharistischen Gastfreundschaft“ (s. Kp. 3.2.5) angezeigt wird – auch in ökumenischer Weite zu bedenken. Die Frage, welche Folgerungen sich daraus im Blick auf das Zusammenleben von Christen verschiedener Konfessionen ergeben könnten, weiter noch, welche Bezüge sich hier zwischen den Religionen herstellen lassen, ist m.W. noch gar nicht recht bearbeitet. Dass es immer – wie bei der Gastfreundschaft auch – um Fragen der eignen Identität und des Umgangs mit den bzw. dem „Fremden“ geht, könnte wegweisend sein in einer pluralistischen Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen nebeneinander leben, die den unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften angehören. Diese hier angedeuteten Aspekte des Themas sollen im Folgenden noch etwas genauer beleuchtet werden. 3 Gastfreundschaft – und die Frage nach der Gestalt der Gemeinde Jesu Christi heute 3.1 Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde – ein Leitbild für die Gemeinde (Wolfgang Vorländer) Es ist ohne Frage das Verdienst von Wolfgang Vorländer, das Leitbild der „Gastfreundschaft“ für die Gemeindearbeit im 21. Jahrhundert neu in den Blick gerückt zu haben. In seinem Buch „Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde“ entfaltet Vorländer in verschiedenen Schritten den biblisch-theologischen Befund und fragt nach der Gestalt der Kirchengemeinde vor Ort, wie sie sich heute mit ihren Mitteln und Möglichkeiten, aber auch ihren Begrenzungen und Veränderungen im Wandel der Zeit auf einem immer größer werdenden religiösen Markt darstellt. Auch er geht – entlang der biblischen Befunde – von Abraham aus, einem, „der Gott den Tisch deckt“. Vorländer betont: Hier „erweist sich Gastfreundschaft als eine Möglichkeit, Gott zu begegnen. Dabei betont die alte Erzählung, dass Gott inkognito kommt: Drei Männer nähern sich dem Zelt Abrahams. Und Abraham hat keine Ahnung, wer ihm in diesen Fremden begegnet. Er beugt sich vor ihnen zur Erde, als begrüße er Gott in ihnen, ohne es auch nur zu ahnen. Seine Gastfreundschaft geschieht absichtslos, sie ist kein Mittel zum Zweck. Aber als Speisen aufgetragen werden, sitzt Gott als Gast zu Tisch und erfährt die Gastfreundlichkeit dieses Menschen. Eine umgekehrte Eucharistiefeier: Gott schmeckt und sieht, wie freundlich Abraham ist!“ (Vorländer, Gastfreundschaft S. 24). Brot für anglikanische Kommunion Altar 8 9 Die Linie der Gastfreundschaft wird bei Wolfgang Vorländer dann auch weiter entwickelt. Neben den Bezügen zu den alttestamentlichen Verheißungen, deren umfassende Bedeutung er hervorhebt (bis hinein in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des weltweiten Friedens, des Shalom) geht er vor allem auf Jesu Praxis der Gastfreundschaft ein. Er zeigt auf, dass Jesu Wirken selbst durchzogen ist von jenem Wort, das wir aus der Liturgie des Abendmahls kennen: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ Der Neutestamentler Klaus Berger sagt zu dieser Praxis Jesu, die ja die Mahlgemeinschaft und den Genuss von Wein einschloss, Jesus ehre damit „die hungrigen, korrupten Gestalten mit messianischem Wein, dem Realsymbol des Messias. [...] Seitdem wird das Mahl für immer zur Mitte all derer, die sich auf Jesus berufen, ... die Mitte alles Christlichen“, das Erkennungszeichen schlechthin für das, was Nachfolge heißt. Nimmt man dies ernst, so müssen sich vor allem die Protestanten fragen lassen, ob eine Wiederentdeckung des Abendmahls, der Eucharistie in allen ihren Aspekten (Vergebung, Gemeinschaft, Hoffnung, Gerechtigkeit usw.) nicht längst überfällig ist. Bei Wolfgang Vorländer entfaltet sich das Motiv der Gastfreundschaft für die Gemeinde dann – aufbauend auf Jesu Praxis – in den Bereichen Besuchsdienst („Die gastfreie als die besuchende Gemeinde“), Gemeindeaufbau („Gastfreundschaft und missionarischer Gemeindeaufbau“), dem Bereich Gottesdienst („Der Gottesdienst als Fest“) und einem Ausblick auf die Rolle von Leitbildern für die Gemeinde sowie die „Sprache unserer Räume“. Im vorliegenden Heft können diese Facetten des Themas nicht weiter entfaltet werden, im Literaturverzeichnis finden sich neben Vorländers Buch weitere nützliche Buchtipps. 3.2 Gottes Gastfreundschaft und die Folgen für die Gemeinde Jesu Christi An einigen ausgewählten Punkten möchte ich die Folgen der gelebten Gastfreundschaft in der Gemeinde Jesu Christi aufzeigen. 3.2.1 Die volkskirchliche Taufpraxis Es würde den Rahmen dieses Heftes sprengen, wenn an dieser Stelle eine 10 grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Praxis der Kindertaufe stünde. Vielmehr soll es darum gehen, die volkskirchliche Taufpraxis unter dem Gesichtspunkt der Gastfreundschaft zu bedenken. Wenn die Kirche Kinder tauft, dann tut sie dies im Gehorsam und im Vertrauen auf den dreieinigen Gott.Wo Säuglinge und Kleinkinder getauft werden, gilt – wie im übrigen auch für die Menschen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt taufen lassen: Sie sollen immer wieder neu die Einladung hören, die ihnen als „Zuspruch“ von Gott her gilt: Du bist mein geliebtes Kind. Mit diesem Zuspruch sollen sie zugleich Gottes kräftigen „Anspruch“ auf ihr Leben (Barmer Theologische Erklärung, These 2) neu hören: dass sie als Christen auch gemäß ihrer Taufe leben. Die Tauferinnerung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie gestaltet sich als Einladung an den gedeckten Tisch in der Hoffnung, die Getauften mögen diese Einladung wahrnehmen und sich durch die Erinnerung an ihre eigene Taufe neu ermutigen lassen, in der Nachfolge Jesu Christi zu leben. Eine offene volkskirchliche Taufpraxis braucht darum Formen und Anlässe, durch die Menschen neu in die Nachfolge gerufen werden. Entsprechende Angebote des Unterrichts in Schule und Gemeinde sowie ansprechende Kinder- und Jugendarbeitsformen (s.u. 3.2.3) werden dabei immer wieder solche Elemente der Tauferinnerung beinhalten. Gastfreundschaft entfaltet sich hier als Feier einer Gemeinschaft, die außerhalb von uns selbst ihren tragenden Grund hat. 3.2.2 Die Kinder und das Abendmahl Seit dem Synodenbeschluss unserer Landeskirche sind im Abendmahl unterwiesene Kinder zur Feier zugelassen und eingeladen.Viele Gemeinde, auch unsere Kirchengemeinde, hat darin sehr positive Erfahrungen gemacht: Durch das thematische kindgerechte Hinführen und Vorbereiten der Abendmahlsfeier und vor allem durch die Feier von Familiengottesdiensten mit Abendmahl hat die ganze Gemeinde, Jung und Alt, in ganz neuer Weise Gastfreundschaft erfahren und neue Abendmahlsfreude gewonnen. Während die Konfirmandinnen und Konfirmanden oft kichernd am Altar stehen, bringen die kleineren Kinder eine große Ehrfurcht und Freude mit, wenn sie am Abendmahl teilnehmen dürfen. Für unsere Kirchengemeinde ist dies ein großer Gewinn, nicht nur für die Kinder, sondern auch für alle Erwachsenen, die dadurch zu einem neuen Verständnis des Abendmahls gelangen können: der rein kognitive Zugang zum Abend11 mahl wird abgelöst durch einen umfassenden, alle Sinne ansprechenden Ansatz, das Abendmahl zu feiern. Es ist nicht nur das Mahl zur Vergebung der Sünden, es ist auch das Gemeinschaftsmahl, und es weist auch über unsere Enge hinaus auf das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit: es erinnert uns an den eschatologische Horizont unseres Glaubens. Alle Aspekte des Abendmahls sind durch die Einladung an die Kinder in einem breit angelegten Prozess in den Gemeinden neu entdeckt worden – diese Form der „Gastfreundschaft“ gegenüber den Kindern hat sich als wegweisend für die ganze Gemeinde erwiesen. Abendmahlsgeschirr 3.2.3 Der Besuchsdienst Am Beispiel des Besuchsdienstes zeigt Wolfgang Vorländer, wie sich praktizierte Gastfreundschaft konkret auf die Beziehungen in einer Gemeinde auswirkt. Meines Erachtens ist hier ein zentraler Aspekt des Modells berührt, darum will ich Vorländers Konzept an dieser Stelle noch einmal ausführlicher darstellen. Der Besuch ist für ihn (1) ein Zeichen des nahe gekommenen Gottesreiches. Rudolf Bohren hat einst über die Aufgaben des Pfarrers gesagt: „Der Hausbesuch ist ein Sakrament des Reiches Gottes“. Nach dem Vorbild Jesu sollen nicht nur die Hauptamtlichen, sondern die ganze Gemeinde in diese Bewegung hinein genommen werden. Die Gastfreundschaft fängt mit dem „zu Gast sein“ an. Sich auf den Weg machen, die Menschen aufsuchen und freundlich und unaufdringlich Zeit und Kraft und Liebe verschenken – darin kommt das Reich Gottes idealer weise unter die Menschen. Der Besuch ist (2) „herrschaftsfreie Mission“, d.h. hier kommt es zu echten Begegnungen, bei der die Besuchenden von ihrem Auftrag her, von ihrer Sendung her („Missio“ = Sendung) etwas mitbringen, was auf einen anderen hinweist, den einen, von dem alles herkommt. Der Besuch ist schließlich (3) segnende Anteilnahme. Nichts wird in unserer Zeit mehr gebraucht als Menschen, die wirklich zu solcher Anteilnahme fähig sind, die mit Zuhören beginnt, mit Begleitung weitergeht und im Segen und segnenden Handeln einen Höhepunkt hat, das durchaus auch in einem Gebet münden kann. 12 3.2.4 Exkurs: „Eucharistische Gastfreundschaft“ in der Ökumene Die aktuelle theologische Diskussion über die Möglichkeit der Abendmahlsgemeinschaft besonders zwischen evangelischen und römischkatholischen Christen wird unter dem Begriff der „eucharistischen Gastfreundschaft“ bzw. „Gastbereitschaft“ geführt. Evangelische und auch einige katholische Theologen plädieren für diese Gastfreundschaft beim Abendmahl bzw. der Eucharistiefeier, da es letztendlich Christus selbst sei, der alle Christen einlade. Die offizielle Position der römisch-katholischen Kirche ist hingegen, Kommunion dass es keine „allgemeine eucharistische Gastfreundschaft“ geben könne, solange keine Kirchengemeinschaft besteht. Besonders dringlich stellt sich die Frage nach der „eucharistischen Gastfreundschaft“ für Ehepaare, in denen ein Partner der römisch-katholischen Kirche angehört. An dieser Stelle sollen nun einige Thesen zum Thema „Eucharistische Gastfreundschaft“ stehen, die auf den weiteren Zusammenhang des Leitbildes von der Gastfreundschaft hinweisen, über die Ortsgemeinde hinaus. Die ökumenischen Institute in Straßburg, Bensheim und Tübingen haben dazu ein bemerkenswertes Positionspapier herausgebracht unter dem Titel: „Abendmahlsgemeinschaft ist möglich“, das in seiner 1. These klar macht: „Nicht die Zulassung getaufter Christen zum gemeinsamen Abendmahl, sondern deren Verweigerung ist begründungsbedürftig.“ Und in These 4 liest man dort: „Die Taufe ist das Tor zur Gemeinschaft der Kirche, dem Leib Christi, der im Abendmahl je neu konstituiert wird.“ Dazu wird erläutert: „Die Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes verbindet die Getauften mit Christus und gliedert sie in den Leib Christi ein. Im Abendmahl wird der Leib Christi »für euch gegeben«; durch die Teilhabe an ihm sind die Vielen ein Leib (1 Kor 10,17). Darum ist es angemessen, die Taufe als Voraussetzung für den Zugang zum Abendmahl zu 13 verstehen. In der Taufe wie im Abendmahl geht es um den Leib Christi, wenn auch in verschiedener Weise: in der Taufe um das einmalige Eingefügtwerden in den Leib Christi, im Abendmahl darum, dass der auferstandene Gekreuzigte durch seine Selbstgabe im Heiligen Geist den Leib Christi immer wieder neu schafft, erhält und wachsen lässt.“ Schließlich heißt es in These 5: „Jesus Christus lädt zum Abendmahl ein. Er ist Geber und Gabe. Allein in seinem Namen und Auftrag spricht die Kirche die Einladung aus. Dies kann nicht unterschiedslos geschehen, sondern muss dem Willen Jesu Christi entsprechen.“ Die Konsequenzen daraus formuliert das Plädoyer u.a. so: „Eucharistische Gastfreundschaft ist möglich, ohne dass zuvor eine vollständige Übereinstimmung im Eucharistie- sowie Amts- und Kirchenverständnis erreicht sein muss.“ Und: „Wo Gemeinschaft möglich ist, soll Gemeinschaft auch praktiziert werden. Unterschiede müssen nicht trennen, sie können vielmehr bereichern, zumal keine Kirche für sich die Fülle der Katholizität zum Ausdruck bringen kann.“ Das bedeutet dann auch: „Für den Empfang des Abendmahls/der Eucharistie in der gastgebenden Kirche sollen nicht andere Bedingungen gestellt werden, als sie für die Angehörigen der eigenen Kirche gelten.“ Am Ende schreiben die Verfasser: „In pastoraler Hinsicht treten wir dafür ein, dass unter den Bedingungen gelebter ökumenischer Gemeinschaft die Kirchen die öffentliche Einladung - und nicht nur Zulassung oder Duldung - an den Tisch des Herrn aussprechen. Die begrenzte Zulassung, wie sie in einigen Diözesen bereits praktiziert wird, ist ein erster Schritt zur eucharistischen Gastfreundschaft. Ökumenisches Gebot der Stunde ist eine gemeinsame Umkehr und Besinnung, die es Menschen möglich macht, die Eucharistie als Zeichen der Gemeinschaft und Quelle des persönlichen spirituellen Lebens zu erfahren.Wir halten es theologisch jetzt für möglich und pastoral für geboten, eucharistische Gastfreundschaft zu praktizieren und dadurch auf dem Weg zur vollen Kirchengemeinschaft konsequent und mutig voranzuschreiten.“ 14 3.3 Gottes Gastfreundschaft – ein Ausblick Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde – das Modell, das Wolfgang Vorländer entwickelt und entfaltet hat, zieht Kreise und hat sich zB auch in der Evang. Kirchengemeinde Wössingen in deren Leitbild ausgewirkt (vgl. Kp. 5). Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde zu entdecken und weiterzuentwickeln, ist in der Tat eine lohenden und verheißungsvolle Aufgabe, weil sie „Sammlung und Sendung“ im Gemeindeaufbau zusammenhält: Die in die Welt Gesandten sie die, die sich am Tisch des Herrn immer wieder neu stärken lassen. Die als Besuchende in die Häuser gehen, sind diejenigen, die zuvor selbst auf die Stille gehört haben. Die anderen durch ihre Zeit und ihre verschiedenen Formen und Angebote Gastfreundschaft gewähren, sind zugleich diejenigen, denen Gott selbst den Tisch deckt – in der Feier des Hl. Abendmahls. Was sich so als heilsam auswirkt in der Gemeinde vor Ort, das wirkt auch weiter in die Gemeinden eines Bezirks, das wirkt hinein in die ökumenischen Beziehung, und das strahlt aus über den eigenen Kirchturm hinweg in die Regionen hinein. Vor allem liegt die Stärke dieses Leitbildes in der Gelassenheit und Lebensfreude, die das Bild von der Gastfreundschaft vermittelt: Wir sind eingeladen. So schließt sich der Kreis und das Fest kann beginnen. Die Feier des Lebens, mit allen Höhen und Tiefen. Eine Stärke dieses Leitbildes könnte schließlich darin liegen, dass, wo sich eine Gemeinde an diesem Bild der Gastfreundschaft orientiert, sie selbst das lebt und praktiziert, was ihr gut tut. Wenn der Satz stimmt: „ecclesia semper reformanda“ – die Kirche der Reformation muss sich beständig reformieren, dann macht es keinen Sinn, wie gegenwärtig oft zu lesen oder zu hören ist, zu fragen: Was muss die Kirche tun, damit sie andere Menschen wieder erreicht? Was können wir tun, damit „ankommt“, was wir tun? Viel stimmiger ist es, wenn wir danach fragen, was wir brauchen, damit wir uns in unserer Kirche beheimatet fühlen. Das Leitbild der Gastfreundschaft fängt bei uns an, und hört aber nicht bei uns allein auf. Wolfgang Vorländer schreibt dazu: „Die Devise lautet schlicht und einfach: Tun, was uns selber gut tut. [...] Was uns selber nicht belebt, anrührt und Freude macht, kann niemals Lebendiges, Anrührendes und Erfreuendes hervorbringen. Wo wir indes anfangen, bei unserer Arbeit die Bedürfnisse unserer eigenen Seele zu beachten, entstehen von innen heraus Lebensräume, in denen auch andere atmen können ....“ 15 Wo immer das Leitbild der Gastfreundschaft gelebt wird, da entsteht auf organische Weise Gemeinschaft, die ihre Mitte aus Christus hat – wie am Tisch des Herrn, um den sich die Gemeinde sonntäglich versammelt. Keiner ist näher dran, keiner hat eine weiße Weste. Aber auch, wie es bei der Einladung zum Abendmahl oft heißt: „Keiner fühle sich genötigt, keiner fühle sich ausgeschlossen. Christus selbst lädt ein. Darum kommt, es ist alles bereit! Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn traut!“ Und noch etwas: Solche gelebte Gastfreundschaft vergewissert uns darin, wer wir sind Und sie macht uns zugleich fähig, auf andere, auf Fremde zuzugehen. Ich denke, dass es an der Zeit ist, dass wir nicht nur Menschen anderer Konfessionen, sondern auch Menschen anderer Religionen in unserer Nachbarschaft freundlich begegnen, uns für sie interessieren und vielleicht sogar etwas von ihnen lernen – so wie der Gastgeber immer auch vom Gast etwas lernt über dessen Welt, Leben und Glauben. Das gilt für Menschen, die aus der Türkei kommen genauso wie für Menschen aus der ehem. Sowjetunion oder aus Schwarzafrika. Abendmahl, Simon Ushakov, 1685 4 „Tentatis [=Angefochtenen] soll man gut essen und trin ken geben“ – Ein Exkurs zu Gastfreundschaft und prakti scher Seelsorge bei Martin Luther Im Folgenden möchte ich am Beispiel von Martin Luthers Seelsorgepraxis aufzeigen, welche Rolle das Feiern, das Essen und Trinken, die Praxis der Gastfreundschaft für den Reformator selbst, seine Familie und vor allem seine Freunde gespielt, wenn es darum ging, Glaubenszweifeln, von ihm „Anfechtungen“ genannt, recht zu begegnen. 4.1 Anfechtung bei Martin Luther Martin Luther war es, der das deutsche Wort „Anfechtung“ prägte. Es entstammt semantisch dem Bereich der Kriegssprache: Der Mensch befindet sich in einem Gefecht, in dem er sich gegen einen (oder mehrere) Feind(e) im Kampf verteidigen muss. Es kommt „zum Treffen“ (so Luther in einer Tischrede), wie beim Zweikampf der Ritter, d.h. es geht um Leben oder Tod. Einer „muss dran glauben“, wie wir heute vielleicht sagen würden. Damit füllt Luther das lateinische Wort tentatio, das traditionell für die Anfechtung steht, völlig neu. Der Begriff entstammt der ars morienda, der „Kunst des Sterbens“ des Spätmittelalters, jener Gattung der Trostliteratur, die aufgrund der Todesfurcht des mittelalterlichen Menschen reichlich blühte, und dem Menschen die Todesangst nehmen sollte. Der eigentliche Ort der Anfechtung bei Luther ist das Innere des Menschen, besonders das Gewissen, in dem sich böse Gedanken, Sorgen, Ängste und Zweifel ausbreiten, nicht nur - wie bei der ars morienda - aus Angst vor der Todesstunde, sondern bei Luther vor allem in der Praxis des normalen alltäglichen Glaubenslebens. Dabei geht es nicht nur um Luthers Zentralfrage nach dem gnädigen Gott, die manche heute für überholt halten. Es geht bei den Anfechtungen auch immer um mich in meiner Beziehung zu Gott, zu meinen Mitmenschen, und zu mir selbst. Das berühmt gewordene Gedicht Bonhoeffers, „Wer bin ich?“, zeigt die bleibende Aktualität des Themas für uns heute. Luther hat in einer Predigt über Gen 3223-33 - Jakobs Kampf am Jabbok - in geradezu klassischer Weise den „Kampf“ der „Anfechtung“ beschrieben. Wird dort, so Luther, Jakob durch Gott selbst angefochten, so ist dagegen häufiger der Teufel der Angreifer, der den Menschen 16 17 in Versuchung führt. Zu den schwersten Anfechtungen jedoch zählt, „da man nicht weiß, ob Gott Teufel oder Teufel Gott ist“ (so Luther in einer anderen Tischrede). Ist der Teufel der Feind, so gilt es, vor dem spiritus tristitiae, dem Geist der Traurigkeit zu fliehen, und sich ganz unter die Macht des Evangeliums zu stellen, mit dem der Teufel verspottet und ausgelacht wird. Auch hier ist die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium die einzige Hilfe. Ist es Gott, der den Menschen anficht, so gilt es, wie im Falle Jakobs am Jabbok, trotz allem zum gnädigen Gott zu fliehen. Für die Frage, woher in der Anfechtung Hilfe kommt, gibt es bei Luther kein gleichbleibendes ‚Rezept‘, vielmehr finden sich eine Vielzahl von Ratschlägen und Hinweisen. Letztlich zeigt sich die Hilfe immer wieder als Vertrauen auf das gnädige Wort Gottes, was die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erfordert. Im ersten Gebot sieht Luther beides ins rechte Licht gerückt, sodass er sich daran immer wieder klammert, weil er es auf Christus deutet. In der Prädestinationsanfechtung z.B. ist das „Du sollst!“ des ersten Gebots geradezu konstitutiv für den Glauben. Daneben ist es Gott in seiner Schöpfermacht, der ex nihilo schaffen kann, dass die Anfechtung ein Ende hat. Im Gegensatz zur spätmittelalterlichen ars morienda, die dem Menschen als Heilmittel gegen die Todesfurcht eigene Werke und geistliche Übungen zur Vorbereitung auf den Tod empfohlen hatte, ist für Luther die Erkenntnis des solus Christus allein maßgeblich, weil er auch in der Anfechtung dem Menschen Recht schaffen und gnädig begegnen will. Die Erkentnisse, die sich im Rückblick aus der Sicht des ‚Überwinders‘ einstellen, können vielfältig sein. Sie lassen sich zusammenfassen unter dem Begriff ‚Gotteserkenntnis‘, die sowohl persönliche Reifung und Wachstum einschließt, als auch Theologie und Schriftauslegung betrifft. Der Blick zurück lässt einen erkennen, dass die Anfechtung gut war, weil sie von Gott kommt. Luther bezeichnet es im Übrigen als größte Anfechtung, keine Anfechtung zu haben! 18 4.2 Konkrete Beispiele der Seelsorge Luthers in Briefen und Tischreden Neben den theologischen Ratschlägen und Besinnungen zum Thema äußert sich Luther immer wieder in Briefen und Tischreden darüber, wie einem angefochtenen Menschen geholfen werden soll. Hier zeigt sich der Reformator in jederlei Hinsicht als praxisnah, lebensbezogen und menschenfreundlich. Hier setzt er um, was er theologisch durchdacht hat, und in großer evangelischer Freiheit übt er vorbildlich Seelsorge, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Einige ausgewählte Beispiele sollen das zeigen. Sie kommen in der Regel in voller Länge zur Sprache, weil es Spaß macht, Luther zuzuhören, und die Texte außerdem schwer zugänglich sind. Die Briefe an Hiernonymus Weller von 1530 sind ein erstes Beispiel für Luthers Seelsorge-Praxis. In einem ersten Brief schreibt er ihm: Es habe ihm der „Magister Veit angezeigt, daß du bisweilen von dem Geist der Traurigkeit [= spiritus tristitiae] geplagt zu werden pflegtest. Diese Anfechtung schadet am meisten jungen Leuten, wie die Schrift sagt [Prov 1722]: ‚Ein betrübter Muth vertrocknet das Gebeine‘ [...]“. Neben den geistlichen Ratschlägen kennt Luther aber auch allgemeine Weisheitsworte: „Siehe zu, mein lieber Hiernonymus, daß du diese Gedanken nicht in deinem Herzen einnisten lassest. So antwortete ein gewisser weiser Mann einem damit Angefochtenen, der da sagte: ‚Wie fallen mir so böse Gedanken ein!‘ Jener sprach: ‚So laß sie wieder ausfallen.‘ Dieser lehrte durch einen sehr guten Ausspruch.“ Und Luther schließt noch einmal theologisch: „Die Traurigkeit wegen der Sünden ist kurz und zugleich angenehm durch die Verheißung der Gnade und der Vergebung der Sünden, jene aber ist vom Teufel und ohne Verheißung, sondern eine bloße Bekümmernis über unnütze und unmögliche Dinge, die Gott betreffen.[...] Der Geist Christi tröste und erfreue dein Herz. Amen.“ Nur wenige Wochen später muss er Hiernonymus Weller wiederum schreiben, und nun wird er noch konkreter. Offensichtlich haben alle „geistlichen“ Worte nicht gefruchtet. 19 „Mein teurer Hiernonymus, du musst fest dafürhalten, daß deine Anfechtung vom Teufel sei, und daß du deshalb so geplagt werdest, weil du an Christum glaubst. [...] Die Einsamkeit musst du auf jede Weise fliehen, denn dann sucht er dich vornehmlich zu fangen und stellt dir nach, wenn du allein bist. Durch Verspotten und Verachten wird der Teufel überwunden, nicht durch Widerstehen und Disputiren. Daher musst du Scherz und Spiele anstellen mit meiner Frau und den anderen, damit du diese teuflischen Gedanken zunichte machest, und sei darauf bedacht, daß du guten Mutes seiest. [...] Und so oft der Teufel dich mit diesen Gedanken plagt, suche sofort die Unterredung mit Menschen, oder trinke etwas reichlicher, oder treibe Scherz und Possen, oder thue irgend etwas anderes Heiteres. Bisweilen muss man reichlicher trinken, spielen, scherzen, und sogar irgend eine kleine Sünde thun aus Haß und Verachtung gegen den Teufel, damit wir ihm keine Gelegenheit lassen, uns wegen der allergeringsten Dinge Gewissen zu machen; sonst werden wir besiegt, wenn wir allzu ängstlich Sorge tragen, wir möchten in etwas sündigen. Darum, wenn der Teufel einmal sagen sollte: Trinke ja nicht; sollst du ihm so antworten: Aber vornehmlich um deswillen will ich trinken, weil du es verbietest, und sogar reichlich trinken. [...] Was für eine andere Ursache meinst du, daß ich dafür habe, daß ich [den Wein] so unvermischt trinke, ganz frei schwatze, öfter esse, als daß ich den Teufel verspotte und plage, der sich angeschickt hatte, mich zu plagen und zu verspotten?“ Im letzten Brief schreibt Luther nochmals an den anhaltend angefochtenen und depressiven Weller unter anderem folgende prägnante und theologisch tiefsinnige Sätze: „Sei gewiß, daß du nicht allein dieses tragest, noch du allein leidest.Wir tragen alle mit dir, und leiden alle in dir. GOtt, der da geboten hat: ‚Du sollst nicht töten‘, der bezeugt gewißlich durch dies Gebot, daß er diese traurigen und todbringenden Gedanken nicht wolle, sondern lebendige und überaus fröhliche Gedanken...“ In einer Tischrede von 1531 erzählt Luther vom Rat eines Bischofs an seine angefochtene Schwester. Die Nachschrift der Tischrede, von Veit Dietrich notiert, soll in ganzer Länge zur Sprache kommen. 20 „Wie man wehren kann der Anfechtung. ‚Man sagt, und ist wahr: ubi caput melancholicum, ibi Diabolus habet paratum balneum. (Wo ein melancholischer und schwermütiger Kopf ist, der mit seinen eigenen und schweren Gedanken umgehet und damit sich frißt, da hat der Teufel ein zugericht Bad.)‘ Und sprach D. Luther: ‚Ich habe aus Erfahrung gelernt, wie man sich in Anfechtung halten soll. Nehmlich wer mit Traurigkeit, Verzweiflung oder anderm Herzeleid geplaget wird und einen Wurm im Gewissen hat, derselbige halte sich erstlich an den Trost des göttlichen Worts, darnach so esse und trinke er, und trachte nach Gesellschaft und Gespräch gottseliger und christlicher Leute, so wirds besser mit ihm werden.‘ Und erzählete darauf eine Historie von einem Bischofe, ‚der hatte eine Schwester in einem Kloster, die vom Geist der Traurigkeit und von bösen Träumen und Anfechtungen übel geängstigt ward und sich gar nicht wollte trösten lassen. Nun zog sie zum Bruder und klaget es ihm. Der Bruder ließ ein köstlich Abendmahl zurichten, und bat die Schwester zu Gast und vermahnte sie, daß sie flugs essen und trinken sollte. Das thäte nun die Nonne. Des morgens fragte sie der Bischof, wie sie geschlafen hätte, ob ihr auch Träume und Anfechtungen wären fürkommen des Nachts? „Nein“, sagte sie, „ich hab gar wohl geschlafen und keine Anfechtung gehabt“. Da sprach der Bischof: „Liebe Schwester, zieh wieder heim, und warte deines Leibes wol mit Essen und Trinken dem Teufel zum Verdrieß, so wirst du der bösen Träum und Anfechtung wol los werden.“ Darum, sagte D. Martin Luther, soll man traurige Leute mit Essen und Trinken erquicken. Aber allen möchte dies Remedium nicht nütze sein, sonderlich jungen Leuten. Mir alten Manne aber möchte ein starker Trunk vertreiben Anfechtung und einen Schlaf machen. Darüm hat S. Augustinus in seinen Regeln weislich geredet: Non omnia aequaliter omnibus, quia non aequaliter valetis omnes [Nicht alles auf gleiche Weise für alle, weil nicht alle gleich kräftig sind].“ In einer anderen Tischrede schließlich faßt Luther seine Erfahrungen so zusammen: „Tentatis [= Angefochtenen] sol man gut essen und trincken geben. Heut früh hielt der Teufel ein disputatio mit mir de Zwinglio, und ich erfuhr, das[s] caput repletum [= ein voller Kopf] mehr geschickt ist mit dem Teufel zu disputirn denn ieiunum [= ein nüchterner Kopf].“ 21 4.3 Leibliches Wort als „Rezept“ gegen Anfechtung: „Du sollst essen!“ So gibt Luther seine immer neuen „Rezepte“ gegen Anfechtungen praxisnah weiter. Wenn es hart auf hart geht, kann er durchaus auf große theologische Begriffe verzichten. Dagegen weiß er ganz konkrete Hilfe, die natürlich auch ihren tiefen theologischen Sinn hat. Denn sie ist – wie beim Abendmahl übrigens auch - sinnlich erfahrbar, betrifft uns als ganzen Menschen, mit Leib, Seele und Geist. Und das macht solche Hilfe so wertvoll. darin gewiss macht: Du bist willkommen, Du gehörst dazu, Du stehst unter Seinem Schutz! Das letzte Abendmahl von Jacopo Bassano Essen und Trinken, Spielen, Tanzen, Musik - all dies erinnert uns an den Schöpfer unseres Lebens und an das erstes Gebot des Dekalogs, das Luther immer eine große Hilfe war. Denn darin steckt ja – vor allem anderen – die Zusage: „Ich bin der Herr, dein Gott...“. Oswald Bayer hat in einem Aufsatz auf Johann Georg Hamann hingewiesen, der den Zusammenhang von Essen, göttlichem Gebot und Anfechtung prägnant zusammengefasst hat. Bayer schreibt: „Dass menschliches Handeln nicht mit sich selbst oder bei der Gabe der Aufgabe anfängt, sondern aus elementarer Vorgabe lebt, ist Inbegriff des christlichen Glaubens. Was mit der Güte der kategorischen Gabe, der Gabe schlechthin gemeint ist, hat Johann Georg Hamann 1784 so zum Ausdruck gebracht: ‚ Weh uns, wenn es auf uns ankommen sollte, erst Schöpfer, Erfinder und Schmiede unseres künftigen Glücks zu werden. Das erste Gebot heißt: Du sollst essen! und das letzte: Kommt, denn es ist alles bereit!‘ Diese biblisch-theologische Klammer von „Du sollst essen!“ (Gen 1) bis zu „Kommt, es ist alles bereit“ (Apk 21) ist einer der weiteren starken Belege dafür, dass Seelsorge in der Gemeinde immer auch Leibsorge sein wird, wenn sie ihren Auftrag ernst nimmt, der dem ganzen Menschen gilt: Neben der Theologie und der Verkündigung des Wortes Gottes sowie der Feier des Hl. Abendmahls wird es eben immer auch die erlebte Gemeinschaft und die Erfahrung einer gewährten Gastfreundschaft sein, die den Menschen umfassend tröstet, ermutigt und wider alle Anfechtung 22 23 5 Leitbild der Evang. Kirchengemeinde Wössingen (Thesen) „Gottes Gastfreundschaft als Grundlage unserer Gemeindearbeit“ erarbeitet von Gemeindebeirat und Kirchengemeinderat Wössingen 2004/2005 I. Im Zentrum unserer Gemeinde steht Jesus Christus. Er lädt alle Menschen zu sich ein. Diese Einladung gilt den Nahen und den Fernen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Leistung oder Frömmigkeit. 2. Wer die Einladung Gottes durch Jesus Christus annimmt, der erfährt Gottes Güte und Zuwendung – zeichenhaft und einmalig in der Taufe, wiederkehrend im Abendmahl am Tisch des Herrn. Durch diese beiden Sakramente und durch die Verkündigung des Wortes Gottes wird die Gemeinde Jesu gebaut und erhalten. 24 a. Wir werden zuerst selbst der Güte Gottes vergewissert und erfahren Gottes Gastfreundschaft als Stärkung für uns. Sinnlich erfahrbar werden wir in den Raum der Liebe Gottes gestellt. Gott deckt uns den Tisch. b. Zugleich werden andere immer wieder und grundsätzlich in Seine Nähe eingeladen und gerufen. „Sammlung“ und „Sendung“ fallen hier zusammen. Wir erfahren Gottes Zuwendung und Güte für uns selbst und wollen dies auch anderen weitergeben. 5. Wir wollen als Kirchengemeinde von dieser Mitte her, dem Tisch des Herrn, unser Leben in der Gemeinde gestalten: Gottes Gastfreundschaft soll mit allen Sinnen erfahren und gelebt werden. a. Das hat Auswirkungen auf die Gestaltung der Gebäude und Räume der Kirchengemeinde. Diese sollen dazu dienen, dass Menschen sich wohl fühlen und sich vom Gastgeber eingeladen wissen. 3. Jesu Leben und Handeln, wie es im Neuen Testament bezeugt wird, Jesu offene Praxis der Gastfreundschaft ist uns Vorbild für unser missionarisch-diakonisches Handeln. b. Auch der kirchenmusikalische Schwerpunkt unserer Kirchengemeinde dient diesem Ziel in hervorragender Weise.Wir verpflichten uns zugleich, auch diejenigen nicht aus den Augen zu verlieren, die sich nicht an diesem Schwerpunkt aktiv oder passiv beteiligen möchten bzw. können. a. Zur Praxis der Kindertaufe gehört für uns ganz bewusst die Verantwortung für unsere Kindertagesstätte „Oberlinhaus“, sowie einladende Kinder-, Konfirmanden- und Jugendarbeitsformen und offene Angebote für Suchende. All diese Formen der Begleitung und Förderung von Kindern und Jugendlichen sind zugleich Tauferinnerung bzw. bei noch nicht getauften Kindern Einladung zur Taufe. 6. Das Modell der Gastfreundschaft ermöglicht und erfordert eine Gemeinde, die sich als „Beziehungskirche“ versteht. „Events“ bauen nicht dauerhaft Gemeinde. Gemeinde wird vielmehr gebaut durch persönliche Beziehungen: Menschen begleiten, ihnen zuhören, den Weg mit ihnen gehen, Interesse für sie zeigen. b. Zur Praxis des Abendmahls als Ausdruck und Feier der Gastfreundschaft Gottes gehört für uns ganz bewusst die Einladung an (getaufte) Kinder sowie Christen anderer Konfessionen („eucharistische Gastfreundschaft“) zum Tisch des Herrn. 7. Um Beziehungen zu Gott und untereinander zu fördern, ist es notwendig, Prioritäten zu setzen, d.h. die bewährten und die neuen Formen des Gemeindelebens immer wieder kritisch zu befragen. 4. Gottes Gastfreundschaft konkretisiert sich immer wiederkehrend in der Feier des Abendmahls. Das bedeutet: a. Um Beziehungen untereinander zu fördern, ist es nötig, Menschen am Leben der Kirchengemeinde sinnvoll zu beteiligen: Beteiligung an der 25 Vorbereitung und Durchführung von Gottesdiensten, Festen, Aktionstagen, sowie regelmäßige Gemeindebeiratssitzungen und Gemeindeversammlungen. g. Regelmäßige Einkehrzeiten des Kirchengemeinderats, d.h. Klausurtag und Klausurwochenende jeweils 2-jährig im Wechsel, sowie „Angebote der Stille“ für die ganze Gemeinde. b. Um eine Vertiefung der Beziehung zu Gott zu fördern, wird die Kirchengemeinde auch die Zeiten der Stille und der Einkehr wichtig nehmen und Freiräume dafür schaffen. Wir sind als ganze Gemeinde eingeladen und aufgefordert, dieses Leitbild mit Leben zu füllen. Unser Gemeindeleben soll sich daran orientieren, und umgekehrt müssen sich diese Thesen auch in der Praxis bewähren. Möge uns dazu Jesu Zusage aus Joh 15 ermutigen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ 8. Das Hören auf das Wort Gottes, das Feiern des Abendmahls und die Bereitschaft, sich auf Gott im Gebet einzulassen, sind Voraussetzungen für das rechte Ringen der Gemeinde um die konkreten Schritte im Gemeindeaufbau. Für eine Kirchengemeinde kommt es bei aller Orientierung am Leitbild von „Gottes Gastfreundschaft“ darauf an, dem Geist Gottes Raum zu geben und um Weisheit zu bitten, den jeweils rechten Zeitpunkt einer Sache zu erkennen. 9. Konkrete Anliegen und Schritte auf diesem Weg sind: a. Die regelmäßige Einladung zu Gottesdienst und Abendgebet, insbesondere zur Feier des Abendmahls, sowie zu den Gruppen und Kreisen der Gemeinde. b. Besondere Gottesdienste für Zielgruppen, z.B. Jugendliche,Taufeltern, junge Familien, Trauernde, usw. c. Die regelmäßige Öffnung der Kirche zu Stille und Gebet am Sonntag. d. Regelmäßige und einmalige Angebote der Begegnung und des Miteinander-Feierns. e. Die Förderung, Begleitung und Intensivierung der Kinder- und Jugendarbeit. f. Der Ausbau des Besuchsdienstes, indem sich die Gemeinde als gastfreie Gemeinde erweist: Sie verschenkt Zeit und Zuwendung. 26 27 6 Gastfreundschaft – eine Literaturauswahl Art. „Gastfreundschaft“, in: RGG4, Bd. 3 (Tübingen 2000), Sp. 473-478. Oswald Bayer: „Kategorischer Imperativ oder kategorische Gabe“, in: ders., Freiheit als Antwort, Tübingen 1995, 13-19. Oswald Bayer, „Gottes Leiblichkeit: zum Leben und Werk Friedrich Christoph Oetingers“, in: ders., Leibliches Wort, Tübingen 1992, 94-104. Klaus Berger: Wer war Jesus wirklich? Stuttgart 1995. Rabbi Schmuel Avido Hacohen, Ratlos war der Rabbi nie, Gütersloh 1998. Wolfgang Vorländer: Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde, Stuttgart 1999. Wolfgang Vorländer: Vom Geheimnis der Gastfreundschaft. Einander Heimat geben in Familie, Gesellschaft und Kirche, Gießen 2007. Jörg Zink: Gastliches Haus am Weg – zum Verstehen des Abendmahls und der Eucharistie, Eschbach 2002. Abendmahlsgemeinschaft ist möglich: Thesen zur Eucharistischen Gastfreundschaft Frankfurt 2003. 28
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