Lippe: Entwicklung, Visionen Nutzungen der Lippe und ihrer Aue Jürgen Ruppert Im Folgenden werden die Nutzungen der Lippe und ihrer Aue aufgeführt – hier einmal bewusst in ihrer historisch nacheinander entstandenen Folge seit der letzten Eiszeit. Die Nutzungen werden nur kurz angesprochen, sie werden hier nicht untereinander gewichtet; auch soll nicht ihr etwaiges An- und Abschwellen während der Zeiten nachvollzogen werden. Schließlich werden Zahlen bewusst vermieden. Dabei mag beiläufig ein wenig Kulturgeschichte anklingen und deutlich werden, dass wir uns nicht im unberührten Naturraum bewegen, sondern in einer seit langer Zeit entstandenen Kulturlandschaft. Dazu enthält der geschichtliche Beitrag im Anhang Vertiefendes. Unterschieden werden hier Funktionen, also Aufgaben, die gleichsam von Natur aus bestehen, und Nutzungen, also menschliches Einwirken. Dies soll beispielhaft an zwei Funktionen verdeutlicht werden: – Funktion: Vorflut Fließgewässer sind Teile des Wasserkreislaufes, die aufgrund der natürlichen Schwerkraft den Weg des Wassers auf der Erdoberfläche bilden; das Abführen des Wassers ist seit jeher Aufgabe jedes Fließgewässers, ohne dass der Mensch eingegriffen hat. – Funktion: Lebensraum Nach der Eiszeit entwickelte die Natur schrittweise aus der Tundra allmählich Urwald, oft sumpfig, mit offeneren Flächen durchsetzt. Gerade die Gewässerauen mit ihren unterschiedlich feuchten Standorten wurden durch vielfältiges Pflanzen- und Tierleben geprägt - auch dies ohne menschliches Eingreifen. Hingegen sind Nutzungen von menschlichem Handeln geprägt. Zu jeder Nutzung werden hier jeweils in der Überschrift genannt: – Nutzungsstichwort – wo die Nutzung stattfindet (Fluss, Aue, oder in/an beidem) – Zeitraum der Nutzung Nutzungen haben immer auch Belastungen als Nebenwirkungen, deshalb sind diese hier im Titel gar nicht mehr besonders genannt. NUA-Seminarbericht Band 9 Freizeit und Erholung (Fluss/Aue) [Steinzeit – jetzt] Dieser moderne Begriff passt kaum zu den streifenden Jägern und Sammlern der Steinzeit, er soll hier nur mit einheitlichem Begriff das Tummeln im Auenbereich umschreiben. Selbstverständlich waren die Ziele der Menschen damals und heute grundverschieden. Damals war das Decken des Lebensunterhaltes vordringlich. Hier und dort wird auch der Jäger schon im Fluss gebadet haben, so wie es heute noch stellenweise im Osten des Gebietes vorkommt. Hinzugekommen sind inzwischen: – Kanusport – Erholung in freier Landschaft – Camping – auch Wandern und Radfahren kommen bis in die Aue vor, doch bemerkenswert und wichtig: fast nirgendwo gibt es durchgehende Wanderwege am Lippeufer entlang. Fischerei (Fluss) [Steinzeit – jetzt] Jagd auf Fische wird schon in der Steinzeit betrieben worden sein, nachdem der umherstreifende Mensch etwa Bären beim Fischfang beobachtet hatte. In Zeiten mit Arbeitsteilung hat sich hieraus später auch an der Lippe Berufsfischerei entwickelt. Aus dem 19. Jahrhundert weisen einige schriftliche Angaben auf offenbar vielfältiges Fischleben hin. Hier brachten die ersten Verschmutzungen um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen Rückgang, stärker noch infolge erheblicher Zunahme der 27 Ruppert: Nutzungen der Lippe und ihrer Aue Verschmutzung, insbesondere mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach 1950. Doch zeichnet sich seit etwa 1970 eine deutliche Trendwende ab: In den letzten Jahrzehnten treffen wir wieder zahlreiche Fischarten an, auch einige, die seit Jahrzehnten verschollen waren wie Meerforellen und Flussneunaugen, sogar einzelne Lachse. Freilich wird Fischerei seit Jahren nur noch als Sport betrieben. Landwirtschaft (Aue/Fluss) [Bronzezeit – jetzt) In der Jungsteinzeit setzen sich Viehzucht und danach auch Ackerbau auf offenen Flächen und Rodungsinseln durch, wobei römische Quellen darauf hindeuten, dass die Germanen keine ausgeprägten Ackerbauer gewesen sein dürften. Allmählich wurden die Rodungsinseln erweitert, auch Holz und Wald wurden genutzt. Die Besiedlung des Landes fand in der Region nördlich der Lippe vielfach in Einzelhöfen, hier und dort wohl auch in Hausgruppen und später in Dörfern statt, wie es bis heute im ländlichen Westfalen typisch ist. Zunehmend wird auch die Gewässeraue landwirtschaftlich genutzt, auch durch Ackerbau. Erst in jüngerer Vergangenheit wirkt die Landwirtschaft auch merklich auf den Fluss ein: Dünge- und Pflanzenbehandlungsmittel Abbildung 1: Angler an der Lippe. 28 Foto: Lippeverband Abbildung 2: Bauernhof an der Lippe. Foto: Lippeverband gelangen nicht selten von den behandelten Flächen diffus in die Gewässer. Schifffahrt (Fluss) [12 v. Chr. – 1850 bis jetzt] Die Lippe wird früh aktenkundig als Transportweg für den Nachschub der zu Land marschierenden römischen Truppen bei dem Versuch, Germanien bis zur Elbe zu unterwerfen. Hierfür eignet sie sich als Flachlandfluss mit relativ starker und gleichbleibender Quellschüttung aus ergiebigen Karstquellen vorzüglich. Sie ist für die vorkommenden kleinen Schiffe gut befahrbar, Transporte sind auf diese Weise Jahrhunderte lang viel leichter möglich als über die bis zum 19. Jahrhundert oft grundlosen Straßen. Die Schiffe werden durch Segeln, Staken, aufwärts vor allem auch durch Treideln bewegt. Störend wirken sich infolge Bildung mehrerer kleiner Territorien besonders die Zollgrenzen aus, freilich seit dem Mittelalter auch die Mühlenstaue. 1815 wird der Fluss in ganzer Länge preußisch, und die Schifffahrt beginnt einen lang ersehnten Aufschwung: 1820 bis 1830 werden Schiffsschleusen an allen Wehren zwischen Vogelsang und Lippstadt errichtet. Doch: für die wachsenden Schiffsgrößen hat der Fluss zu viele Sandbänke und zeitweise zu wenig Wasser. Zudem wächst in kurzer Frist das Eisenbahnnetz der Region, und die Dampfkraft wechselt nach nur wenigen Jahren vom Wasser auf die Schiene. Erst der Massengutverkehr um 1900 führt dann auf das Wasser zurück: Seitenkanäle werden in zwei NUA-Seminarbericht Band 9 Lippe: Entwicklung, Visionen Abbildung 3: Schleuse Uentrop. Foto: Lippeverband Abschnitten südlich der Lippe gebaut anstatt den Fluss zu kanalisieren, wie zunächst geplant. Bis heute zeigt sich dies als unschätzbarer Vorteil: Im Vergleich zu anderen Flüssen hat die Lippe relativ wenige Begradigungen erfahren, viele ihrer Windungen sind noch erhalten. Trotz der Verlagerung des Schiffsverkehrs auf die Kanäle hat auch heute die Lippe indirekt noch eine hohe Bedeutung für die Schifffahrt: Sie speist die Kanäle. Baugrund (Aue) [1185 – jetzt] Als plakatives Datum mag hier mit 1185 die Gründung von Lippstadt als erste planmäßige Stadtgründung Westfalens stehen, andere Stadtgründungen oder -rechtsverleihungen folgen in dichtem Abstand. Auch in der Aue werden in den weiteren Jahrhunderten u.a. Gebäude, Fabrikationsanlagen, Sportplätze, Luftsportanlagen, Halden/Ablagerungen, Kläranlagen, Wasserversorgungsanlagen u.v.m. errichtet. Straßen und Eisenbahnanlagen finden sich bis heute aber nur am Rande der Aue. Immerhin queren sie diese nicht selten, denn die Städte waren ja an alten Handelswegen und zum Schutz der Flussübergänge gegründet worden. Wasserkraftgewinnung (Fluss) [etwa 1200 – jetzt] Trotz des ausgeprägten Flachlandcharakters der Lippeaue stoßen einige Mergelschwellen durch den leh- NUA-Seminarbericht Band 9 Abbildung 4: Lippe in Lünen. Foto: Lippeverband mig-sandigen Untergrund hindurch und bewirken Aufstau und natürliche Stromschnellen. An diesen Stellen sind Wehre teils schon im Mittelalter gebaut worden, um den Aufstau zu verstärken und mittels Wasserrädern als Antrieb zu nutzen. Mühlen, später Papierfabriken (19. Jht.) oder Anlagen zur Stromerzeugung entstehen. 1970 scheint diese Zeit beendet, doch in den letzten Jahren sind einzelne Anlagen wieder in Betrieb genommen oder neu errichtet worden. Bewässerung (Fluss) [1850 – 1970] Im westlichen Teil des Lippegebietes war diese Nutzung weithin ohne Bedeutung (freilich soll nicht vergessen werden, dass früher die natürlichen Überflu- 29 Ruppert: Nutzungen der Lippe und ihrer Aue – bei Leven – westlich Dorsten – südlich der Lippemündung Abwasserableitung (Fluss) [ca. 1870 – jetzt] Städtische Kanalisationen mit Einleitungen in Gewässer kommen etwa um 1870 auf. Kläranlagen werden insbesondere gebaut, seit 1926 der Lippeverband tätig wird (Verwiesen sei hier auf die Darstellung von Teichgräber et al. im Anschluss). Letztlich gelangt all das seit langem biologisch gereinigte Abwasser all dieser Anlagen in die Lippe. Speisung von Kanälen (Fluss) Abbildung 5: Wasserverteilungsanlage in Hamm. Foto: Lippeverband tungen der Aue mit ihrem wässernden und düngenden Einfluss geschätzt wurden – doch war dies ja eben keine menschliche Nutzung in dem oben genannten aktiven Sinne). Im Osten zwischen Paderborn und Lippstadt u. a. in der Boker Heide fand jedoch früher eine ausgedehnte Berieselung statt: der 34 km lange Boker Kanal ermöglichte seit 1853 in den dortigen Ausläufern der sandigen Senne erst eine lohnende Landwirtschaft. Mittlerweile ist diese Flößbewässerung seit etwa 1970 durchweg eingestellt. Sand- und Kiesgewinnung (Fluss/Aue) [1850 – 1950 – jetzt] Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es hier und dort Sandbaggereien im Fluss, um Baustoff zu gewinnen und die Schifffahrt zu erleichtern. Seit etwa 1950 werden Sand und Kies nur noch in der Aue abgegraben: – westlich Paderborn (Sande) – bei Hamm-Haaren 30 [1899 – jetzt] Wir kommen noch einmal zur Schifffahrt zurück. 1899 war als erster Schifffahrtskanal im Gebiet der Dortmund-Ems-Kanal in Betrieb gegangen. Er wurde durch ein Pumpwerk in Olfen aus der Lippe gespeist. Seit 1914 wurde mit Inbetriebnahme des Datteln-Hamm-Kanals diese Speisung nach Hamm verlegt und mit freiem Gefälle vorgenommen. Wasser benötigen die Schifffahrtskanäle für den Schleusenbetrieb, als Ausgleich für Verdunstung und Versickerung sowie als Brauchwasser für Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft (s.u.). Wasserversorgung (Fluss) [etwa 1900 – 1970 – jetzt] Schon die bronzezeitliche Hausfrau wird aus dem Fluss geschöpft haben, Spuren davon finden sich bis heute im Wasserrecht: das „Schöpfen mit Handgefäßen“ zählt als Gemeingebrauch, auch wenn es heute nicht eben oft ausgenutzt wird. Zur Wasserversorgung liegen verschiedene Wasserwerke zwar in der Lippeaue, diese entnehmen aber im Wesentlichen zuströmendes Grundwasser aus dem nördlichen und südlichen Einzugsgebiet (u.a. Halterner Sande, Uefter Mark). Aus der Lippeaue wird bisher wenig Uferfiltrat wie etwa im Ruhrtal gewonnen; das östliche Gebiet wäre hierzu durchaus geeignet, wird aber noch nicht genutzt; im Westen ist der Salzgehalt dafür zu hoch. Ein zweiter Aspekt der Wasserversorgung ist die Brauchwassernutzung: Lippewasser in den westdeutschen Kanälen kommt unterschiedlichen Nut- NUA-Seminarbericht Band 9 Lippe: Entwicklung, Visionen Abbildung 6: Wasserversorgung aus den westdeutschen Schifffahrtskanälen. zern zugute. Sogar die Halterner Talsperren können im Bedarfsfall so angereichert werden. Seit 1970 ist Brauchwasserversorgung in der Region sicherer geworden: auf der Grundlage eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Land von 1968 hat der Wasserverband Westdeutsche Kanäle ein Rückpumpsystem finanziert, mit dem Wasser aus der unteren Ruhr oder sogar aus dem Rhein ergänzend herangeführt werden kann, wenn das Wasser aus der Lippe nicht reicht; der Fluss kann auf diese Weise in Hamm sogar nennenswert angereichert werden. Nicht vergessen werden soll dabei: Auch das Emschergebiet hat diesen Vorteil über den RheinHerne-Kanal, ebenso das Emsgebiet über den Dortmund-Ems-Kanal bis hin zur Grundwasseranreicherung mit dem Ziel einer sicheren Trinkwassergewinnung im Stadtbereich von Münster. Grubenwasserableitung (Fluss) [ca. 1900 – jetzt] Das erste Bergwerk an der Lippe ist um etwa 1890 abgeteuft worden. Bergbau ist in der Region nur möglich, wenn das in den flözführenden Schichten zuströmende Grubenwasser abgeführt wird. Dieses ist aus geologischen Gründen salzhaltig (besonders Chloride und Sulfate). In den letzten Jahren sind die Einleitungen von Grubenwasser von Nebengewässern her auf die Lippe hin konzentriert und zusam- NUA-Seminarbericht Band 9 Abbildung 7: Kraftwerk Lünen. Foto: Lippeverband mengefasst worden. Bedacht werden sollte in diesem Zusammenhang, dass der Fluss von Natur aus einen gewissen Salzgehalt aufweist (vgl. Solequellen und Badeorte am Nordrand des Haarstranges). Wärmeableitung (Fluss) [1916 – jetzt] Als erstes Wärmekraftwerk an der Lippe, welches Wasser als Wärmeträger und zum Kühlen brauchte, entstand 1916 das Gersteinwerk in Stockum. Mittlerweile stehen entlang der Lippe 5 Kraftwerke; 4 Planungen wurden nicht verwirklicht, 1 Kraftwerk ist inzwischen abgerissen. Arbeiteten die ersten Kraftwerke noch mit Durchlaufkühlung und leiteten ihre gesamte Abwärme in den Fluss, so hat die Lippe für heutige große Kraftwerksblöcke nicht genug Wasser. Deshalb wird heute überwiegend Kühlwasser im Kreislauf über Kühltürme geführt. Hier muss im 31 Ruppert: Nutzungen der Lippe und ihrer Aue Abbildung 8: Nutzungen an der Lippe (blau), in ihrer Aue (grün) und an Fluss und Aue (blaugrün). Wesentlichen nur noch das Kühlturmzusatzwasser hinzugeführt werden, was überwiegend aus dem Datteln-Hamm- und Wesel-Datteln-Kanal erfolgt. Zahlreiche Kraftwerke in Lippenähe bedeuten also nicht, dass alle direkt aus der Lippe ihr Kühlwasser entnehmen. Zusammenschau der Nutzungen 13 Nutzungen von Fluss und Aue wurden vorstehend angesprochen. Stellt man die Zeitbalken dieser Nutzungen in einem gemeinsamen Schaubild dar, so zeigt sich: – die überwiegende Zahl der Nutzungen ist in den letzten Jahrzehnten entstanden – fast alle Nutzungen erfolgen noch weiterhin – eine Nutzung wird nur noch indirekt ausgeübt (Schifffahrt) – eine Nutzung ist im Wesentlichen aufgegeben (Bewässerung seit 1970). Es zeigt sich so auch ohne unterstreichende Zahlenangaben, dass die Lippe auch im Hinblick auf ihre geringe Größe ein besonders intensiv genutzter Fluss ist. Eine Karte, die alle Nutzungen mit Symbolen 32 aufzeigen würde, wäre zumindest in der als Veröffentlichung möglichen Größe kaum übersichtlich. Trotz dieser vielfältigen Nutzungen sehen wir die Entwicklung der Lippe auf gutem Wege zu einem nachhaltig gesunden Gewässer. Zur weiteren einvernehmlichen und nachhaltigen Entwicklung soll auch diese Konferenz dienen. Wir vom Lippeverband wollen daran nach Kräften mitarbeiten. Anschrift des Verfassers Dr.-Ing. Jürgen Ruppert Lippeverband Königswall 29 44137 Dortmund Literatur KRAKHECKEN, M. (1939): Die Lippe. (Dissertation) Universitätsbuchhandlung Coppenrath, Münster. NUA-Seminarbericht Band 9
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