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Quelle: 4elevens – Fotolia.com
Nachweis des Niederschlags­
wasser­haushaltes in Siedlungsgebieten
Der Beitrag stellt ein einfaches Bilanzmodell für den lokalen Wasserhaushalt im Siedlungsbereich vor, mit
dessen Hilfe langjährige Wasserbilanzen von Baugebieten erstellt werden können. Das Wasserbilanzmodell
ist als Planungstool im Rahmen der Bauleitplanung konzipiert. Mit geringem Aufwand lassen sich standort­
gerechte Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung konzipieren, um die Zielvorstellungen zum lokalen
Wasserhaushalt bestmöglich umzusetzen.
von: Malte Henrichs, Julian Langner & Mathias Uhl (Institut für Wasser∙Ressourcen∙Umwelt – IWARU)
Im Vergleich zu unbebauten Gebieten ist der
Wasserhaushalt in Siedlungsgebieten erheblich
verändert. Der Oberflächenabfluss ist erhöht und
die Grundwasserneubildung sowie die Verdunstung sind verringert. Die Folgen betreffen das
hydrologische Regime, die Morphologie und die
Ökologie siedlungsgeprägter Gewässer, das
Grundwasser im Siedlungsbereich und das Stadtklima. Im DWA-Arbeitsblatt „Leitlinien der Integralen Siedlungsentwässerung“ [1] wird die
möglichst geringe Beeinträchtigung des lokalen
Wasserhaushaltes als übergeordnete Zielsetzung
formuliert. Das derzeit im Entwurf befindliche
DWA-Arbeitsblatt A 102 wird daher den Wasserhaushalt als neue Nachweisgröße enthalten.
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Ziel der Modellentwicklung war es, ein einfaches Bilanzmodell für den lokalen Niederschlagswasserhaushalt abzuleiten, mit dessen
Hilfe die Regenwasserbewirtschaftung im Zuge
der Bauleitplanung konzeptionell geplant werden kann. Im Gegensatz zu bisher verfügbaren
Bilanzierungstools sollte das vereinfachte Wasserbilanzmodell eine realitätsgerechtere Abbildung des lokalen Wasserhaushaltes ermöglichen, indem standortspezifische klimatische
Eingangsdaten berücksichtigt werden. Die
grundlegende Idee des Wasserbilanzmodells
war, den frühen Planungsprozess hinsichtlich
der Einhaltung der lokalen Wasserbilanz mit
geringem Datenaufwand zu unterstützen.
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Für die einzelnen Simulationsmodelle
werden in vorgegebenen Wertebereichen für die relevanten Modellparameter jeweils zufällig 1.000 Parameterkombinationen mittels Monte-Carlo-Methode oder Latin-Hypercube-Sampling
ausgespielt [3]. Anschließend wurden je
Fläche oder Bewirtschaftungsanlage
40.000 Simulationen für die Kombination Parameterwerte und Niederschlagsstationen durchgeführt und die Aufteilungsfaktoren a, g und v berechnet. Aus
diesem Datenpool wurden die Aufteilungsfunktionen für die Flächen und
Bewirtschaftungsanlagen mittels linearer und nichtlinearer multipler Regres-
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Softwaretool WABILA
Auf Basis der Geo-Koordinaten des Planungs- bzw. Siedlungsgebietes können
die Werte a, g und v für den unbebauten Zustand aus dem Hydrologischen
Atlas Deutschland ermittelt werden.
Diese dienen als Referenzzustand für
die Planung. Durch einen Vergleich der
Wasserbilanz des unbebauten mit dem
bebauten Zustand können Defizite im
lokalen Wasserhaushalt nach der Be-
Die Aufteilungsfunktionen des Wasserbilanzmodells wurden zur vereinfachten Anwendung in ein Softwaretool mit grafischer Benutzeroberfläche implementiert. In dem Softwaretool werden die mittlere jährliche
Niederschlagshöhe und die mittlere
jährliche potenzielle Evapotranspira-
1.750
1.500
1.250
1.000
750
500
250
0
-250
1
5
10
Niederschlag
15
20
25
30
35
Station
potenzielle Evapotranspiration klimatische Wasserbilanz
40
Quelle: IWARU
Die Flächen und Bewirtschaftungsanlagen wurden mit dem Simulationsmodell „Storm Water Management
Model“ (SWMM) der US EPA abgebildet [2]. SWMM simuliert den Abflussbildungsprozess auf befestigten Flächen mit einem Speicher und bildet
Gründächer und Versickerungsanlagen mittels Bodenfeuchtesimulation
ab. Die Niederschlags- und Verdunstungsdaten werden mittels gemessener Zeitreihen berücksichtigt.
tion als klimatische Eingangsdaten
benötigt. Die unterschiedlichen Flächentypen eines Baugebietes können zeilenweise eingegeben werden
(Abb. 2), sodass die Wasserbilanz in
Form von Aufteilungsfaktoren für a, g
und v berechnet wird.
Abb. 1: Niederschlags- und Verdunstungshöhen sowie klimatische Wasserbilanzen (KWB) der 40 Stationen
Quelle: IWARU
Für die gebräuchlichen Flächen und
Anlagen zur Regenwasserbewirtschaftung wurde die Aufteilung des langjährigen Jahresniederschlages in die
Komponenten Oberflächenabfluss,
Versickerung und Verdunstung untersucht. Die Anteile der Komponenten
am Jahresniederschlag sind durch die
Aufteilungswerte a (Oberflächenabfluss), g (Grundwasserneubildung)
und v (Verdunstung) beschreibbar.
Datengrundlage für die Untersuchung
waren Zeitreihen von 40 über das Bundesgebiet verteilten Niederschlagsstationen (505 bis 1692 mm/a) mit einer
Dauer zwischen 6 und 20 Jahren. Aus
den Klimadaten nahegelegener Stationen des DWD wurde die zugehörige
potenzielle Evapotranspiration (FAOGrasreferenzverdunstung) verwendet
(461 bis 752 mm/a). Die klimatische
Wasserbilanz KWB an den 40 Standorten betrug zwischen -247 mm/a und
1185 mm/a (Abb. 1).
sion bestimmt. Sie beschreiben die Aufteilungswerte a, g und v als Funktion der
örtlichen meteorologischen Daten und
Kenngrößen der Flächen und Anlagen.
Anhand von Literaturangaben erfolgte
eine Validierung bzw. Plausibilitätsprüfung der Berechnungsergebnisse.
mittlerer Jahreswert
Methoden
Abb. 2: Screenshot des Softwaretools WABILA
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0,36
konzipieren, um die Zielvorstellungen
zum lokalen Wasserhaushalt bestmöglich umzusetzen. Mit vergleichsweise
geringem Aufwand lässt sich der Wasserhaushalt unterschiedlicher Planungsvarianten bestimmen und iterativ eine Vorzugslösung entwickeln.
■ Oberflächenabfluss ■ Grundwasserneubildung ■ Verdunstung ■ Entnahme
0,3
0,22
0,2
0,1
0,1
0,12
0,03
0
-0,06
-0,1
-0,12
-0,16
-0,2
-0,3
-0,24
bebaut
-0,25
Versickerung
Variante
optimiert
Abb. 3: Absolute Abweichungen vom unbebauten Zustand der Planungsvarianten für die Aufteilungswerte
bauung quantifiziert werden. Durch
den Einsatz von Anlagen zur Regenwasserbewirtschaftung erfolgt eine Annäherung der Wasserbilanz des bebauten
an den unbebauten Zustand.
Alle Flächen und Maßnahmen sind
mit empfohlenen Werten vorparametrisiert (Flächen von Versickerungsanlagen werden über den k f-Wert grob
abgeschätzt). Diese Parameter können
jedoch bei genauerem Kenntnisstand
verändert und angepasst werden. Zur
Optimierung der Planung kann der
Planer verschiedene Planungsvarianten anlegen und vergleichen.
Mit dem Tool WABILA hat der Planer
ein einfaches Werkzeug zur Bestimmung des lokalen Wasserhauhalts in
Siedlungsgebieten, mit welchen die
Wasserbilanz als operable Größe in
den Planungsprozess eingebunden
werden kann.
Beispiel
Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse der
Wasserhaushaltsberechnung für ein
1 ha großes Wohngebiet mit einem
mittleren jährlichen Niederschlag von
837 mm. Die Aufteilung der Flächen
kann Abbildung 2 entnommen werden. Für den unbebauten Zustand wurden Aufteilungswerte für den Abfluss a
von 0,2, für die Grundwasserneubildung g von 0,22 und für die Verdunstung v von 0,58 aus dem Hydrologi-
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schen Atlas Deutschland bestimmt [4].
Durch die Versiegelung der Fläche entsteht eine Abweichung der Wasserbilanz zum unbebauten Zustand von
0,36 (a), -0,12 (g) und -0,24 (v) (Abb. 3,
Variante „bebaut“). Durch die Versickerung der Dachabflüsse kann die Überschreitung des Aufteilungswertes a auf
0,03 reduziert werden (Variante „Versickerung“). Die Grundwasserneubildung des unbebauten Zustandes wird
hierdurch jedoch um 0,22 überschritten; die Abweichung des Aufteilungswertes v bleibt unverändert. Um den
Wasserhaushalt des Wohngebietes dem
des unbebauten Zustandes anzupassen,
werden für die Variante „optimiert“
Regenwassernutzungsanlagen für Betriebswasser und die Gartenbewässerung sowie eine Versickerung des Überlaufes der Zisterne vorgesehen. Um die
Verdunstung zu erhöhen, werden Gehwege, Stellplätze und Zufahrten mit
Porensteinen und Sickerpflaster erstellt. Durch diese Maßnahmen kann
die Abweichung der Versickerung auf
-0,16 reduziert werden. Durch die Regenwassernutzung als Brauchwasser
erfolgt eine Entnahme von 0,12.
Zusammenfassung
Das Wasserbilanzmodell ist Bestandteil
des in der Bearbeitung befindlichen
Arbeitsblattes DWA-A 102. Mit ihm lassen sich standortgerechte Maßnahmen
zur Regenwasserbewirtschaftung auf
der räumlichen Ebene von Baugebieten
Quelle: IWARU
absolute Abweichung des Aufteilungswertes
vom unbebauten Zustand
0,4
Anwender werden Fachplaner aus
Siedlungswasserwirtschaft, Freiraumplanung und Stadtplanung sein, die
bei der Bauleit- und Sanierungsplanung die maßgebenden Entscheidungen zum Konzept der Regenwasserbewirtschaftung zu treffen haben. Die
Ergebnisse gehen in die verbindliche
Bauleitplanung und Genehmigungsplanung ein. Die Dimensionierung der
einzelnen Anlagen erfolgt gemäß dem
technischen Regelwerk.
Danksagung
Die Arbeiten erfolgten im Rahmen des
vom BMBF geförderten Projektes „Die
Stadt als hydrologisches System im
Wandel – Schritte zu einem anpassungsfähigen Management des urbanen Wasserhaushalts (SaMuWa)“ (Förderkennzeichen 033L071J). Wir danken dem Mittelgeber für die Unterstützung der Arbeiten. W
Literatur:
[1] DWA-Arbeitsblatt 100, 2006.
[2] Rossman, L. A. (2010): Storm Water Management Model
User‘s Manual Version 5.0. Cincinnati, OH, USA, US EPA
– United States Environmental Protection Agency, 285 S.
[3] Helton, J. C. und Davis, F. J. (2003): Latin hypercube
sampling and the propagation of uncertainty in analyses
of complex systems. In: Reliability Engineering and System Safety, 81 (1), S. 23–69.
[4] Uhl, M., Langner, J. und Henrichs, M. (2013): Bilanzierung des Wasserhaushaltes in Siedlungen.Stuttgarter
Berichte zur Siedlungswasserwirtschaft. München:
Kommissionsverlag Oldenbourg Industrieverlag, ISBN
978-3-8356-3208-0, S. 91–118.
Kontakt
Malte Henrichs, M.Sc.
Institut für Wasser∙Ressourcen∙Umwelt
(IWARU)
Fachhochschule Münster
Corrensstr. 25
48149 Münster
Tel.: 0251 83-65286
E-Mail: [email protected]
Internet: www.fh-muenster.de/iwaru
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