Was können wir von psychotischen Künstlern lernen, um kreative Therapieansätze in der Psychosenbehandlung zu verbessern? Peter Hartwich, Frankfurt a.M. 11:00 – 12:30 Psychiatrische Universitätsklinik Zürich am 24. April 2015 1. Vorfahren der Kunsttherapie bei Psychosen • • • • • • • • • • • • Diamond H W (1856) Lombroso C (1864, 1890) Tardieu (1872) Morgenthaler W (1921) Prinzhorn H (1922) Jung C G (1922) Volmat R (1956) Jakab I (1956) Rennert H (1962) Navratil L (1965) Bader A (1969, 1972) Benedetti (1979) 2. Benedetti (1999, S. 50). • „Die Kreativität ist nicht dort zu finden, wo sich der psychische Zerfall manifestiert sondern da, wo der Patient durch „ein Symptom seines Leidens einen Schritt nach vorn in der Überwindung dieses Leides vollzieht. • … Richtung gebend ist die transformatorische Kraft der Symptomgestalt, die aus einer Minus- eine Plussituation schafft, aus Energiemangel einen Energiefluss“ 3. Was • • • • • macht den kreativen Menschen aus? Guilford (1950): Entdecken, Entwerfen und Erfinden unstrukturiert Schöpferisches verbindet sich mit konstruktiv-ordnenden Eigenschaften Kommen beide Fähigkeiten in einem ausgewogenen Verhältnis zusammen, mache das den schöpferischen Menschen aus. C.G. Jung (1931) sieht im Schöpferischen eine Energie, die sich aus einem autonomen Komplex entfalte. Matussek (1976) Originalität, Erfindungsreichtum, Flexibilität, Entdeckung, Außergewöhnliches und das Neue. Navratil (1965), Matussek (1976) fast jeder Mensch sei kreativ, nicht nur besonders Begabte. Kandel (2012) Staunen und sich Entspannen nach starker Konzentration, damit verbundenen: Idee von Bahnung und Hemmung 4. Mögliche neurobiologische Korrelate der Kreativität nach E. Kandel (2012) • Hinweise: Aktivierung im rechten vorderen oberen Temporallappen und parietalen Kortex • Bei Lösungsaufgaben, die Kreativität verlangen: Verstärkung der Aktivität in dieser Region des rechten Temporallappens. • Kurz zuvor komme es in derselben Region zu einer plötzlichen Zunahme hochfrequenter Hirnaktivität. • Die Temporallappen seien Teile eines Netzwerks, das für das Aufspüren von neuartigen Reizen zuständig sei. • In dem Gleichgewicht zwischen Aktivität und Hemmung sei der Wegfall von Hemmung wichtig, wie man es auch bei maniformen Zuständen finde. • Dieses lege die Hypothese nahe, Kreativität gehe mit einer Aufhebung von Hemmung einher. 5. Dot Gori vor der Erkrankung 6. Dot Gori: Farben 7. Dot Gori: Hoch auf dem Berg 8. Caecilia Vor der Erkrankung Im dissoziativem Zustand 9. Tochter In der gesunden Zeit Im psychotischen Schub 10. Dot Gori: Vietnam 11. Dot Gori: Angst 12. Verzweiflung 13. Dot Gori: Rita Hayworth 14. Dot Gori. Woman 15. Das Unbekannte 16.Dot Gori: Wirbelsturm 17. Dot Gori: Tränen 18.Dot Gori: Hoffnung im Hospital 19. Was läßt sich übernehmen? • 1. Aggression: Autodestruktion – konstruktive Heteroaggression • 2. Farbgebrauch konkretistisch – symbolisch - Abmildern der Über-Besetzungsenergie - Kreative Bindungskraft gegen Fragmentierung - Loslassen von Symptomen • 3. Darstellung: individuell parasymbolisch - kollektiv - Das Unheimliche wird ins Bild gebannt - Verbinden mit überindividuellen Erfahrungen 20. Historie: Symptome als Gegenregulation • Ideler 1847: Wahnsinn als angestrengtes Arbeiten an der Reorganisation des Bewusstseins • Freud: Heilungs- und Rekonstruktionsversuch • Bleuler: mehr oder weniger missglückte Anpassungsversuche • Psychoanalyse: sog. unreife Abwehrmechanismen (z.B. Projektion, Spaltung, Verleugnung) • Scharfetter: autotherapeutische Anstrengungen • Benedetti: Rekompensations- und Rekonstruktionsversuche • Mentzos: Schutz- und Kompensationsmechanismen • Hartwich: Neuropsychodynamisch Parakonstruktion • Böker u. Northoff: Orbitofrontale kortikale Dysfunktion und „sensomotorische Regression“ 21. Parakonstruktion Bildung der Parakonstruktion (z.B. Konkretismus, Wahn) ist eine aktiver Vorgang, der vor weiterer Desintegration bzw. Selbstfragmentierung schützen soll, deswegen das starke, autistische, konkretistische Festhalten, vielleicht eine Fixierung neuronaler Synchronisationsmuster zur Verhinderung von zu viel Hyperkonnektivität der Mittellinienregionen? Die neuropsychodynamische Parakonstruktionsbildung ist eine kreative Leistung der Psyche und Neuronalem, um sich zu schützen; somit ist die Fixation am Symptom zu respektieren. Dieser Respekt führt zu einen Paradigmenwechsel des Therapeuten, wodurch sich die therapeutische Beziehung neu gestalten kann. 22. Symptombildung – Parakonstruktion - Kathexis Wechselwirkung – Beziehung Neuropsychodynamik (H Böker u. G Northoff) Einflüsse: Einflüsse: genetisch biologisch neuronal somatisch Psychodynamik Umwelt Traumata Abwehrmechanismen (unreif, primitiv) Wir fokussieren auf die Beziehung und Wechselwirkung der beiden EinflussSphären. In diesem Bereich gestalten sich die Symptome parakonstruktiv. Die Konstellationen der Gewichtungen unterscheiden sich und bilden vielfältige Muster, die sich in psychotischen Symptomen manifestieren. 23. Wechselwirkungsbereich: Gewichtungs-Muster der Komponenten Das eine Extrem: Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen bei Hebephrenie (mehr somatisch) Das andere Extrem: paranoide Überbedeutung in vertrauensvoller Umgebung hinterfragbar (mehr psychisch) Dazwischen Wechselnde Muster mit unterschiedlichen Besetzungsenergien (Kathexis) formen parakonstruktiv die Symptome vielleicht Synchronisationsmuster von Neuronen, die dynamisch wechseln? 24. Konzept – Fakt – Zirkularität • Nicht Kausalität von Seiten der neuronalen Synchronisationsmuster auf Psychopathologie und Psychodynamik - oder umgekehrt• Frage der Beziehung zwischen den beiden Bereichen • Nicht Kausalität durch die Hintertür, auch nicht einen rigides Parallellaufen der Korrelationen • Konzept der Parakonstruktion wird immer feiner abgestimmt auf Ergebnisse der experimentellen Beobachtungen aus den neuronalen Aktivierungsmustern – und umgekehrt. • Beziehung: Korrelation, die eng und konstant ist hinsichtlich der Beeinflussung von beiden Seiten. 25. Parakonstruktion und Kathexis Die Qualitäten der Varianten der Parakonstruktionen (= unterschiedliche psychotische Symptome) hängen von der Qualität der Besetzungsenergien (= Kathexis) ab: •Hyperkathexis: z.B. Dereistisches und autistisches Denken, Konkretismus bis hin zu übertrieben festen Wahnbildungen (Querulantenwahn, Othellosyndrom, Wahnsysteme etc.) • Hypokathexis: Ich-Grenzen werden geschwächt, z.B. äußere Objekte werden zu Anteilen des eigenen Icherlebens •oszillierende Kathexis: wechselde Teilbesetzung von Ich-Fragmenten, z. B. bei Hebephrenen •Dekathexis: z.B. postpartale Psychose mit Kernsymptom des mütterlichen Beziehungsverlusts zum Neugeborenen •Antikathexis: z.B. nihilistischer Wahn, Gegenteilassoziation •Parakathexis: z.B. beeinflussende Halluzinationen (optisch, akustisch, haptisch; Symptome des Gemachten) 26. Lösen der konkretistischen „Verklebung“ ist abhängig von: • • • • • Gegenwärtig notwendige Stärke des Konkretismus, der Parakonstruktion Schutz und Haltefunktion ist zu respektieren Kraft und Dynamik der Kreativität (Gestaltungskraft, transformatorische Kraft) ist Bindungskraft Bindungskraft als Schutz gegen psychotische Desintegration bzw. Selbstfragmentierung Loslassenkönnen vom Symptom
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