PDF - Klaus Luger

LEBENS
VIELFALT
214
215
LEBENS
VIELFALT
Vielfalt ist ein Zustand. Und darum auch
ein Bedürfnis. Wir sind differenzierter,
individueller, eigenständiger geworden.
Also brauchen wir auch zusätzliche,
unterschiedliche und spezifische Angebote.
Linz kann sie ermöglichen.
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Verkehr
Verwaltung
Energie
Gesundheit
Partizipation
und Demokratie
217
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
EINE
STRECKE,
DREI
FAHRZEUGE.
Ein Rennen. Von einem Ende der Stadt zum anderen. Mit dem Rad, der Straßenbahn und dem Auto.
AUTO
Chevrolet Kalos, Baujahr 2005
Kaufpreis:
Kasko-Versicherung/Quartal:
Super-Benzin/Liter:
Service/Jahr:
Wartung/Jahr:
Reifen/Sommer & Winter:
Vignette/Jahr:
Tiefgarage Auwiesen/Monat:
Parkplatz Universität/Tag:
€ 11.800
€ 323,60
€ 1,07
€ 57
€ 200
€ 500
€ 84,40
€ 45
€2
FAHRRAD
40
MIN.
43
MIN.
Francesco Moser Rennrad, Baujahr 1986
Kaufpreis: (gebraucht 2011)
Instandsetzung˜+˜Umbau:
Wartungskosten pro Jahr:
€ 200
€ 150
€ 50
STRASSENBAHN
Bombardier Cityrunner, Baujahr 2008
Mega Ticket/Jahr:
€ 285
50
MIN.
17 MIN. FAHRZEIT 23 MIN. STAU
Reine Fahrzeit (mit Ampelhalten)
Stau Wiener Straße
Stau Lunzer Straße
Stau Voestknoten
Stau Voestbrücke
Stau Altenberger Straße
Parkplatzsuche Uni
Fußweg von Parkplatz
62‚% RADWEG
LINIE 1
17 Minuten
2 Minuten
3 Minuten
3 Minuten
4 Minuten
9 Minuten
2 Minuten
1 Minute
26 AMPELN
Auwiesenstraße – Angerholzweg
Salzburgerstraße – Blumauerstraße
Schubertstraße
Untere Donaulände
Eisenbahnbrücke
Donauradweg
Mostnystraße
J.W.-Klein Straße
Mengerstraße
13,9 KM
tw. kein Radweg
Radweg
kein Radweg
Radweg
rutschiger Radweg
Radweg
kein Radweg
Radweg
kein Radweg
35 HALTESTELLEN
Reine Fahrzeit (mit Haltestellen)
Fußweg zum Einstieg
Wartezeit Haltestelle
Fußweg von Ausstieg
13,7 KM
14,5 KM
41 Minuten
2 Minuten
5 Minuten
2 Minuten
2 Minuten PARKPLATZ-SUCHE
ZIEL
UNIVERSITÄT / Bibliothek
• Ampel ROT
• Ampel ROT
• Ampel ROT
9 Minuten STAU
1 Fahrscheinkontrolle
• KEIN Radweg
• ACHTUNG
kleine und rutschige Holzbrücken
1 Minute WARTEZEIT
(LKW blockiert Kreuzung)
schöner Radweg
4 Minuten STAU
Montag,
15. Dezember 2014
ABFAHRT:
• Ampel GRÜN
• Ampel GRÜN
• Ampel GRÜN
7.30 Uhr
• KEIN Radweg
3 Minuten Verzögerung 3
(Nadelöhr Landstraße)
ANKUNFT:
• Ampel ROT
• Ampel ROT
unterschiedlich
• Ampel ROT
• Ampel GRÜN
• Ampel ROT
• Ampel GRÜN
1 Minute WARTEZEIT 1
(Fahrgast blockiert Tür)
• Ampel ROT
• ENGER Radweg
• Ampel ROT
3 Minuten STAU
• Ampel ROT
• Ampel GRÜN
• Ampel ROT
• Ampel ROT
• Ampel ROT
ENGER Radweg •
• Ampel ROT
ACHTUNG bei Ampel •
(Schalter nicht ersichtlich)
• KEIN Radweg
ACHTUNG am Radweg •
(Hunde und Fußgeher)
schöner Radweg
• KEIN Radweg
• Ampel ROT, 3 Minuten STAU
• Ampel ROT
2 Minuten STAU
• Ampel GRÜN
• Ampel GRÜN
• Ampel ROT
5 Minuten WARTEZEIT auf Straßenbahn
KEIN Radweg •
START
AUWIESEN / Gabesstraße
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
DATUM:
• ACHTUNG
extrem rutschiger Radweg
VBGM.IN
KARIN HÖRZING
Vizebürgermeisterin,
Referentin für Verkehr
und SeniorInnen
• Betriebsrätin in der voestalpine
• SPÖ Bezirksfrauenvorsitzende Linz-Stadt
• Gemeinderätin der Stadt Linz
DI ERICH HAIDER
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Generaldirektor LINZ AG
Ressorts Konzernsteuerung
und Infrastruktur
Expertin für Mobilität und
Verkehrsinfrastruktur
• Studium der Informatik in Linz
• Landeshauptmann-Stellvertreter, Referent für Verkehr,
Wohnbau, Natur- und Tierschutz
• Seit September 2012 Ehrenpräsident des
Wissenschaftlichen Beirates der Europäischen
Gemeinwirtschaft
• Seit 1. Oktober 2014 Generaldirektor der LINZ AG
Experte für kommunalen und
überregionalen öffentlichen Verkehr
DR. JOSEF KINAST
Vorstand der Niederlassung
Linz, Siemens AG Österreich
• Studium der Rechtswissenschaften in Wien
• 30 Jahre Tätigkeit für Siemens in Wien, München
und Kalifornien
• Obmann-Stellvertreter der Sparte Industrie
in der Wirtschaftskammer Oberösterreich
Experte für Technologie und Innovation
in Verkehr und Infrastruktur
MAG. GERHARD PRIELER
Erwachsenenbildner, Trainer, Supervisor,
Coach, Moderator; Konsulent Land OÖ
• Studium der Pädagogik und Gruppendynamik in Klagenfurt
• Bereichsleiter für ganzheitliche und globale Bildung im Institut für Fort- und
Weiterbildung der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz; seit rund
20 Jahren ehrenamtlicher Vorsitzender bzw. stv. Vorsitzender der Radlobby OÖ
(vormals Initiative FahrRad OÖ)
Experte für Persönlichkeitsbildung und Prozesse partizipativer
Konzeptentwicklung sowie für sanfte Mobilität, speziell Radverkehr
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VERKEHR
Linz bewegt.
Zu Fuß, per Rad, in Bim
und Bus, mit dem Auto.
Die Verkehrsströme
schwellen stetig an.
Der zur Verfügung stehende
Raum wird aber nicht mehr.
So ist es kein Wunder, dass die Debatten um
Stau, Abgase und Parkplätze zu den am heißest
geführten zählen. Zu Themen wie Westring,
Ostumfahrung, Eisenbahnbrücke, Tiefgaragen,
Zweite Straßenbahnachse und vielem mehr hat
jede/r eine Meinung. So viel diskutiert wird, so viel
geschieht aber auch. In den letzten 25 Jahren hat
sich einiges fast verdoppelt. Das Streckennetz der
LINZ LINIEN etwa, die Zahl der von ihr beförderten
Personen. Aber auch das Radwegenetz.
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Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
KARIN HÖRZING
Zukunft
Blicken wir doch in die Zukunft und überlegen wir uns, wie Linz in einigen Jahren aus
verkehrstechnischer Sicht aussehen soll.
ERICH HAIDER
Intermodale Nutzung
Das Thema Verkehr ist eines, das sehr vielseitig ist. Verkehr macht an den Stadtgrenzen
nicht halt und berührt viele unterschiedliche Themenfelder – Mobilität, Technologie,
Wertschöpfung, Umwelt aber auch WorkLife-Balance, Gesundheit und Lebensqualität sowie die Partizipation der Menschen am
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben.
Verkehr hat enorme Bedeutung. Unsere Verkehrswege sind die „Lebensadern“ unserer
Gesellschaft, sie bewegen Menschen und
Güter und da unsere Lebens- und Arbeitswelt
immer diversifizierter wird, die Anforderungen
an die Mobilität der Menschen immer höher
und die Arbeitszeiten immer flexibler werden,
steigt auch das Verkehrsaufkommen stetig.
Die Gestaltung der Zukunft ist aus meiner Sicht
nur mit der Stärkung des öffentlichen Verkehrs
in all seinen Facetten möglich – und seiner
Anbindungsmöglichkeiten an den Individualverkehr: Stichwort „intermodale Nutzung“. Denn
eines ist klar: Der öffentliche Verkehr hat noch
enormes Potenzial. Hier sind wir gefragt: Wie
können wir den öffentlichen Verkehr in und um
Linz attraktiv gestalten? Und die Menschen
zum Umdenken im Kopf und zum „Umsteigen“
in ihrer täglichen Lebensrealität bewegen?
222
GERHARD PRIELER
Verkehrsvision 2025
Ich greife die Anregung von Frau Hörzing auf,
in die Zukunft zu schauen, wie Linz in einigen
Jahren aus verkehrstechnischer Sicht aussehen
soll. Hier meine Vision für Linz 2025: In diesem
Jahrzehnt ist es gelungen, eine Verkehrswende
zu schaffen und die auto-orientierte Verkehrspolitik zu überwinden. Ausgangspunkt war, dass
eine breite Mehrheit der ParteienvertreterInnen
sich in einem Visionsprozess auf konkrete
Ziele punkto Verkehrsverlagerung geeinigt
hatte. Unter Hintanstellung parteipolitischer
Gesichtspunkte gelang es, eine gute und kostengünstige Lösung für die Zweite Schienenachse
zu finden und den gesamten öffentlichen Verkehr zu attraktivieren. Selbstverständlich konnte
man auch Fahrräder in Öffis mitnehmen.
Mithilfe einer ExpertInnengruppe wuchs die
Erkenntnis bei den PolitikerInnen, dass der
Radverkehr einen wesentlichen Beitrag zur
Verkehrsentlastung und zu einer attraktiveren
und ökologischeren Stadt beitragen konnte. Die
Stadt startete eine groß angelegte Bewusstseinskampagne über mehrere Jahre, die viele
LinzerInnen zum Umstieg auf das Fahrrad
motivierte. Das Ziel, dem sich alle verpflichtet
fühlten, war die 2012 beschlossene Charta
von Brüssel mit einem Radverkehrs-Anteil
von 15 %. Entsprechend wurde auch das Radbudget auf 15 % des Verkehrsbudgets erhöht.
Eine wichtige Signalwirkung hatte die vorrangig
angegangene Verbreiterung der Nibelungenbrücke sowie eine radfreundliche Lösung
für die Waldeggstraße. Inzwischen gab es
auch einen florierenden Fahrradverleih, fünf
JOSEF KINAST
Radservicestationen, flächendeckende – teilweise überdachte – Abstellanlagen sowie Fahrradboxen, eine radfreundliche Pflasterung der
Landstraße und gute gemeindeübergreifende
Verbindungen. Und auch die PolitikerInnen
nutzten inzwischen das Rad für ihre Fahrten
in der Stadt, einerseits aus Vorbildwirkung,
andererseits um die Radinfrastruktur aus
eigener praktischer Erfahrung sowie die
Bedürfnisse der Radfahrenden zu kennen.
Ein wesentlicher Schritt: MobilitätsberaterInnen
konnten von den Betrieben angefordert
werden, welche die MitarbeiterInnen
bezüglich der günstigsten Routen mit
öffentlichen Verkehrsmitteln beziehungsweise Rad berieten. Schwachstellen konnten
gleich der Stadt rückgemeldet werden.
Im Zuge des Visionsprozesses war man auch
übereingekommen, dass zur Erreichung der
Verkehrswende Pull- und Push-Maßnahmen
erforderlich seien. Der erste symbolträchtige
Schritt war die Einführung des autofreien
Hauptplatzes. Hatte der Handel zuerst heftig
opponiert, machte man inzwischen die
Erfahrung, dass der Hauptplatz sowie die Landstraße sogar wesentlich attraktiver wurden.
Eine zweite symbolträchtige Maßnahme war
eine Parkraumbewirtschaftung zu marktüblichen Preisen am Urfahrmarktgelände.
Dafür gab es für PendlerInnen einen GratisFahrradverleih beziehungsweise vergünstigte
Karten für die öffentlichen Verkehrsmittel.
Aus dem Ziel heraus, die Anzahl von
motorisierten Individualverkehr-PendlerInnen
zu reduzieren, war man nach langer Diskussion zum Entschluss gekommen, eine
City-Maut einzuführen. Die Einnahmen
dienten dem Ausbau von öffentlichem Verkehr und Radverkehr. Beides wäre mit dem
normalen Budget nicht möglich gewesen.
ERICH HAIDER
Gemeinsame Mobilitätslösung
Ein Blick in die Zukunft? Gerne! Das Thema
Mobilität ist ja das Zukunftsthema schlechthin.
Das war es seit jeher: Es hat immer schon die
Entwicklung der Menschen begleitet, geprägt
und beschleunigt. Ich denke da nur an die
Erfindung des Rads oder an die Erfindung
der Dampflokomotive. Jetzt stehen wir wieder
vor einem großen Entwicklungsschub.
Die Verkehrsströme werden immer dichter,
vor allem in den Städten und im stadtnahen
Umland. Es braucht neue, vernetzte Lösungen,
intermodale Mobilität, die die Menschen als
echte Alternative zum eigenen Auto mit verschiedenen Verkehrsmitteln von Tür zu
Tür bringt: öffentlicher Verkehr, Rad, Taxis,
Car-Sharing etc. Wir alle müssen künftig
mehr über unseren Tellerrand schauen, um
gemeinsam ein tragfähiges Mobilitätskonzept für den Großraum Linz zu entwickeln.
Linz alleine kann das nicht erreichen.
223
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Die besten
Verkehrssysteme
sind die, die
es schaffen,
Menschen
möglichst schnell
und effizient an ihr
Ziel zu bringen.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Wenn ich in die Zukunft schaue, dann bin ich
zuversichtlich, dass uns das über Gemeindegrenzen hinweg gelingt: Dass die Verantwortlichen in der Politik und im öffentlichen Verkehr, in Stadt, Land und Bund, in der Wirtschaft
und in den Mobilitätsinitiativen gemeinsam
an einer Lösung für Linz und das Umland
arbeiten. Dazu braucht es natürlich ein
echtes politisches Commitment, nachhaltige
Finanzierungskonzepte und ein gemeinsames
Eintreten für ein Ziel: Den öffentlichen Verkehr
zum Hauptträger der Mobilität zu machen!
JOSEF KINAST
Analysen und Anregungen
Ich möchte gerne das Thema um weitere Aspekte
ergänzen, beziehungsweise bereits Geäußertes
verstärken. Zu Beginn möchte ich auf eine
aktuelle Studie von Siemens und dem britischen
Beratungsunternehmen Credo hinweisen, die
aufzeigt, welche Kosten durch wenig effiziente
Infrastrukturen entstehen und welche wirtschaftlichen Chancen sich bei gezielten Investitionen
in den Verkehr ergeben. Zwar werden dabei
Städte vom Kaliber wie New York, Istanbul oder
Shanghai untersucht, aber das Ergebnis gilt im
Prinzip genauso für kleinere Städte wie Linz: Die
besten Verkehrssysteme sind die, die es schaffen,
Menschen möglichst schnell und unkompliziert
an ihr Ziel zu bringen, die sich durch effiziente
Verkehrsnetze, moderne Infrastrukturen und Fahrzeuge auszeichnen sowie das einfache Umsteigen
zwischen verschiedenen Verkehrsträgern ermöglichen. Großstädte in der genannten Kategorie
können laut dieser Studie bis 2030 ihre Wirtschaftskraft durch Ausbau und Verbesserung
ihrer Verkehrsinfrastruktur um insgesamt
etwa 800 Milliarden US-$ pro Jahr erhöhen.
224
Auf dem Weg der ständigen Weiterentwicklung können für Linz folgende
Anregungen behilflich sein:
• Ausbau der intelligenten Verkehrssteuerung
(grüne Wellen etc.)
• Vermarktung der Oberleitungsbusse als
emissionsfreie und lärmreduzierende
Elektrobusse
• Vernetzungslösungen auf App-Basis – Plattform, die es ermöglicht, für jeden Weg und
Zeitpunkt die passenden Verkehrsmittel
zusammenzustellen und zu buchen (Vernetzung von verschiedenen Mobilitätsdienstleistern wie Car-Sharer, Verkehrsbetriebe, Taxis
oder Fahrradverleihe)
• Ausdehnung der ÖBB-Fahrzeiten in den
Nachtstunden für Musiktheater-BesucherInnen
• Mobilitätsangebot für Auto und Rad á la car2go
GERHARD PRIELER
Umweltverbund
Ich möchte der in meinen Augen eindimensionalen Sichtweise von Herrn Haider
widersprechen. Er sagt, die Lösung liege „im
gemeinsamen Eintreten für ein Ziel: den
öffentlichen Verkehr zum Hauptträger der Mobilität zu machen“. Dies ist eine verkürzte Sichtweise: es geht um die Förderung des gesamten
Umweltverbundes: öffentlicher Verkehr-RadFußgehen. Linz liegt trotz hohem öffentlichen
Verkehrs-Anteil beim Umweltverbund nur
an sechster Stelle der Landeshauptstädte!
Wir haben bereits jetzt bei den Binnenwegen
zwischen öffentlichem Verkehr und Radverkehr ein Verhältnis von ca. 3:1 (101.000 : 34.600
GERHARD PRIELER
tägliche Wege). Wenn wir das vom Gemeinderat beschlossene Ziel 15 % Radverkehrsanteil
erreichen, ergibt dies 68.000 Wege. Bei einer
Steigerung der öffentlichen Verkehrs-Wege
auf 130.000 kommen wir auf ein Verhältnis
von weniger als 2:1. Aber das Entscheidende
dabei: Dies ist beim Radverkehr mit einem
winzigen Bruchteil der im öffentlichen Verkehr nötigen Investitionen erreichbar. Bei
angenommenen Investitionskosten bis 2020
von 10 Millionen € für den Radverkehr und
von 500 Millionen € für den öffentlichen Verkehr ergibt dies spezifische Kosten pro täglichem Weg von 299 € beim Radverkehr und
von 17.260 € beim öffentlichen Verkehr.
Natürlich kann man über die genauen
Zahlen diskutieren, aber das Größenverhältnis spricht wohl für sich. Wenn man das
ernst nimmt, ergeben sich andere Prioritätensetzungen. Dazu noch eine Zahl: die
Gesamtausgaben im Großraum Linz von
1995 bis 2025 (mit den geplanten Projekten)
betragen motorisierter Individualverkehr 60 %,
öffentlicher Verkehr 40 %, Rad weniger als 1 %.
ERICH HAIDER
Bedürfnisse und Ideen
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn weitaus
mehr Menschen mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs wären, auch in Linz. Leider aber wollen
oder können das nur wenige – aus Zeitmangel,
aus Mangel an körperlicher Fitness, vielleicht
auch aus Komfortgründen oder aus Gewohnheit. Vor allem ältere Menschen steigen nur mehr
ungern aufs Fahrrad. Wir sollten die Menschen
dort abholen wo sie sind, in ihren Lebensrealitäten und Bedürfnissen. Und ein Bedürfnis der
meisten Menschen ist es, möglichst schnell
und unkompliziert von A nach B zu kommen.
Zeit ist hier ein ganz wesentlicher Faktor, wie
ich glaube. Die meisten Menschen haben immer
weniger Zeit zur Verfügung und sind immer
schnelllebiger unterwegs. Da müssen wir ein
attraktives Angebot schaffen. Das haben wir
innerstädtisch auch schon, aber leider nicht
darüber hinaus. Eines scheint mir dabei auch
wichtig: Wenn es uns gelingt, den öffentlichen
Verkehr als eine Möglichkeit zu positionieren,
Zeit zu gewinnen, die man nutzen kann – zum
Lesen, zum Arbeiten, zum Kommunizieren,
zum Entspannen oder wofür auch immer, dann
kommen wir einen großen Schritt weiter. Das
ist natürlich auch eine Imagefrage und da
braucht es eine attraktive Vermarktung. Da
sind wir noch zu bescheiden unterwegs.
Wenn wir uns mit Modellen „neuer“ Mobilitätskombinationen beschäftigen und konkrete
Ideen für Linz und Umgebung diskutieren,
erscheint die kostenlose Jahresnetzkarte
auf den ersten Blick attraktiv und auch
durchaus in der Lage, neue NutzerInnen zu
gewinnen. In Graz läuft dazu gerade ein Pilotprojekt, allerdings nur in der Innenstadt.
Die Erfahrungen aus anderen europäischen
Städten zeigen allerdings, dass der Nulltarif für
Bus und Bim nicht unbedingt ein Erfolgsmodell
225
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Es geht um
die Förderung
des gesamten
Umweltverbundes:
öffentlicher
Verkehr-RadFußgehen.“
„Ich bin überzeugt, dass ein möglichst
frühzeitiger Umstieg von PendlerInnen
auf den öffentlichen Verkehr die
Verkehrssituation in Linz positiv
beeinflussen wird.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
KARIN HÖRZING
ist. Die Verkehrsmittelwahl ist von mehreren
Faktoren abhängig. Hier spielen beispielsweise die Gewohnheiten, die Einstellungen
der (potenziellen) NutzerInnen, das Angebot
und die Qualität der Dienstleistung neben
dem Preis eine wichtige Rolle. Die Beispiele
zeigen, dass bei einem Nulltarif vorwiegend
FußgängerInnen und RadfahrerInnen für Kurzstrecken auf den öffentlichen Personennahverkehr wechseln. Der Umstieg vom motorisierten
Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr findet nicht statt, wie die Beispiele
der Städte Templin und Hasselt zeigen.
Ein weiteres Problem sehe ich in der Entkoppelung der unternehmerischen Entscheidungen von öffentlichen VerkehrsUnternehmen von der Einnahmesituation.
Mehrleistungen führen somit nicht automatisch zur Steigerung von Fahrgastzahlen und damit zu Mehreinnahmen.
Die Umstiege zwischen den einzelnen
Nutzungsmöglichkeiten sollten möglichst „reibungsfrei“ sein. Das ist eine der
ganz zentralen Fragen: Wie können wir den
städtischen öffentlichen Verkehr attraktiv mit
Rad, Bahn, Car-Sharing, Taxi verbinden?
Gerne würde ich auch ein paar Ideen andenken,
die über das „Naheliegende“ hinausgehen:
• Park & Ride-Anlagen rund um die Stadt
• Der Transport auf dem Wasser, zwischen
Innenstadt und Hafen oder Industriegelände
beispielsweise. Oder gar von Ottensheim ins
Stadtzentrum?
• Eine Seilbahn quer über den Fluss?
226
• Eine „Uferbahn“ entlang der Donau?
• Ober-/unterirdische Laufbänder für
FußgängerInnen?
• Andere phantasievolle Vorschläge?
KARIN HÖRZING
Flexibilität
Ich möchte einige der Anregungen aufgreifen.
Über Park & Ride in den Umlandgemeinden
gibt es schon eine längere Diskussion. Auch ich
bin überzeugt, dass ein möglichst frühzeitiger
Umstieg von PendlerInnen auf den öffentlichen
Verkehr die Verkehrssituation in Linz positiv
beeinflussen wird. Je attraktiver diese Angebote
sind, desto eher werden die Menschen umsteigen.
Allerdings hat sich auch die Arbeitssituation
vielfach verändert. Die Arbeitszeiten sind
mittlerweile viel flexibler geworden – denken
wir nur an Teilzeitarbeit, aber auch an Gleitzeitregelungen in vielen Firmen. Das heißt,
dass der öffentliche Verkehr auf diese Flexibilität auch reagieren (können) muss, um den
Umstieg vom motorisierten Individualverkehr zu erleichtern. Auch ist immer mit zu
betrachten, welche zeitlichen Ersparnisse
diese Angebote bringen, beziehungsweise
welche Kosten den NutzerInnen entstehen.
Hier im „Gesamtpaket“ ein attraktives Angebot
zu finden, forciert wohl am ehesten den Umstieg
vom Auto auf den öffentlichen Verkehr. Auch
für die Palette der „phantasievollen Modelle“
gilt oben Gesagtes. Die Frage, die sich die
VerkehrsteilnehmerInnen wohl stellen, lautet: Wie
komme ich am schnellsten, sichersten, bequemsten,
JOSEF KINAST
Schwebende Gedanken
Ich beteilige mich gerne an den Phantasien
für Linz und will diese gleich auch mit ein paar
konkreten Anhaltspunkten ausschmücken. Das
Linz Tourismus-Motto „Linz erschweben“ (derzeit
in Form der Segwaytouren) möchte ich gerne um
zwei Aspekte bereichern. Schon mit dem Höhenrausch ist Linz im internationalen Maßstab hoch
hinausgekommen, aber es geht noch höher – und
zwar mit einer Seilbahn in der Stadt. Linz hätte
dadurch einen neuen USP und würde sich in die
Reihe von Metropolen wie London, Los Angeles,
New York, Rio oder Hongkong einordnen, in
denen es solche städtischen Seilbahnen gibt.
„Schweben über den Dächern von Linz: ohne
Lärm und Abgase“ – das könnte man nicht
nur touristisch nutzen, sondern auch als Entlastungsmaßnahme im Verkehrs- und Umweltbereich. Gerade im Hinblick auf die neue Linzer
Medizinuni erscheint mir eine Streckenführung
attraktiv, welche die zentralen Krankenhäuser
(AKH, Wagner-Jauregg, …) „anschwebt“ und
eine Verbindung über die Donau nach Urfahr
schafft. Österreich hat im eigenen Land – ein
schönes Stück westlich von Linz – eine ausgeprägte Seilbahnkompetenz, die auch international sehr erfolgreich ist, und so wäre auch
schon ein idealer Partner für eine Machbarkeitsstudie der Linzer Seilbahn gefunden.
Noch einmal zurück zum Streckenverlauf: Neben
der „medizinischen Achse“ in Verbindung mit
touristischen und infrastrukturellen Hotspots
(Hauptbahnhof, AEC, Schlossberg, …) könnte
auch eine Anbindung des Stadtentwicklungsgebiets Hafen eine interessante Variante sein.
Damit sind wir auch schon bei der zweiten
„schwebenden“ Fortbewegungsmöglichkeit – und zwar auf dem Wasser. Hier
könnte eine – möglichst auf Elektroantrieb
basierende – Schnellbootverbindung, etwa
Ottensheim–Steyregg, eine Entlastung der
Straßen durch den Pendlerverkehr bringen.
Wie bei der Seilbahn würde sich auch per
Schiff der Hafen in seiner zukünftigen, städtebaulich weiterentwickelten Form als fixe
Anlegestelle anbieten. Eine im Sinne der Entlastung der Straße bedeutende Haltestelle
der Bootsverbindung würde sicherlich auch
die Station „voestalpine an der Donau“ sein.
Pendler- und Touristenverkehr auf dem
Wasser und in der Luft – vielleicht lassen sich
einige der schwebenden Gedanken auf den
Boden der Realität bringen und umsetzen …
GERHARD PRIELER
Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs
Die Donau zwischen Ottensheim und Steyregg
für den Alltagsverkehr zu nutzen und auch die
Idee einer Seilbahn hat viel Charme. Einig sind
wir uns alle, dass es eine bessere Verzahnung
des Umweltverbundes öffentlicher VerkehrRad-Fußverkehr braucht. Ich frage mich aber,
warum es noch immer so wenige Park & RideAnlagen am Stadtrand von Linz gibt, warum
es noch immer keinen Fahrradverleih gibt …
227
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
(individuell) attraktivsten, günstigsten, … von
A nach B? Auch dahingehend werden alle verkehrstechnischen Ideen von der Erde über das
Wasser bis hin zum Luftraum abgeklopft.
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Für die Attraktivierung des öffentlichen
Verkehrs im Großraum Linz halte ich wie
viele VerkehrsexpertInnen ein Schnellbahnsystem, das es im Umkreis fast aller Landeshauptstädte gibt, für die effizienteste Lösung,
wesentlich attraktiver als eine Regio-Tram.
Doch bei aller noch so kreativen Attraktivierung
dürfen wir eines nicht vergessen: alle
Erfahrungen in anderen Städten zeigen, dass vor
allem durch eine gute Kombination von Pull- und
Push-Maßnahmen Umstiegseffekte in höherem
Ausmaß erzielt werden können. Markantes
Beispiel: so lange die Stadt Linz PendlerInnen
aus dem Mühlviertel einen Gratisparkplatz im
Zentrum der Stadt zur Verfügung stellt, wird
man sie schwer zum Umstieg auf die Mühlkreisbahn bewegen können. Solche Ansatzpunkte gilt
es zu nutzen: marktgerechte Parkraumbewirtschaftung, dafür bekommen PendlerInnen am
Urfahrmarkt gratis Leihräder zur Verfügung
beziehungsweise wahlweise vergünstigte
Karten für Bim und Bus. Oder etwas mutiger:
Einführung einer (tageszeitlich gestaffelten)
City-Maut, dafür großzügige Park & RideAnlagen vor den Toren der Stadt mit dichten
öffentlichen Verkehrs-Verbindungen in die City.
ERICH HAIDER
Herausforderungen
Ein funktionierender Fahrradverleih ist ein
gutes Ziel. Eine Schnellbootverbindung
zwischen Ottensheim und Steyregg hätte auch
Charme. Lassen Sie uns das weiterdenken:
Wo können wir genügend Parkmöglichkeiten
schaffen, damit möglichst viele PendlerInnen
den Umstieg auf das Wasser machen können?
Und wie bringen wir die Menschen am Hafen
228
„Es wird eine
der größten
Herausforderungen
der Zukunft dafür
zu sorgen, dass die
Visionen für ein
zukunfts­taugliches
­Verkehrskonzept
über das eigene
Unternehmen,
die eigene Partei
und die eigene
Gemeinde­grenze
hinausgehen.“
ERICH HAIDER
oder im voestalpine-Gelände an ihre jeweiligen
Arbeitsplätze? Auch eine „schwebende
Variante“ für Linz hat Potenzial – wenngleich
eine Seilbahn vielleicht eher ein touristisches
als ein „massentaugliches“ Transportmittel
sein würde. Gibt es hierzu Studien über die
möglichen Kapazitäten von Seilbahnen?
Bei unseren Visionen für künftige Verkehrslösungen für Linz und das Umland dürfen wir
auch unsere Straßenbahn nicht ganz außer Acht
lassen – die Neue Schienenachse Linz (NSL) wird
ja das Krankenhausviertel durchkreuzen. Wir
sind mittlerweile soweit, an eine Erweiterung
Richtung Westen zu denken. Über das WagnerJauregg Krankenhaus, Bindermichl und die Salzburger Straße nach Traun und zurück über Leonding könnte der Ring dann geschlossen werden.
KLAUS LUGER
Vernetzung unterschiedlicher Mobilitätsformen
als Alternative zur Eindimensionalität
Räumliche Mobilität in hoher Qualität ist
unabdingbar für eine moderne Gesellschaft.
Als Markenzeichen und erforderliche Voraussetzung führt sie dennoch oft zu Konflikten. Die
Abhängigkeit von funktionierenden Verkehrsabläufen und der Wunsch nach anderen Raumnutzungen konterkarieren sich oftmals. Diese
Kontroversen zu lösen, ist Aufgabe der Politik.
Der Bewegung von A nach B liegt ein komplexes
System von individuellen Entscheidungen
zugrunde, in denen unterschiedlich wichtige und
unwichtige dringliche Bedürfnisse der Mobilität
der Menschen zum Ausdruck kommen. Doch
eines haben diese individuellen Mobilitätsbedürfnisse gemeinsam: das notwendige Zeitbudget
für die Wegstrecke sollte so gering wie möglich
sein. Nur dann wird man das Fortbewegungsmittel – ob Fahrrad, Straßenbahn, Bus, Auto oder
zu Fuß – auch beim nächsten Mal wieder nutzen.
Das anhaltende Verkehrswachstum stellt uns
vor große Herausforderungen. Die Entwicklung
von durchdachten Gesamtverkehrskonzepten
hat dem urbanen Raum Rechnung zu tragen,
hat den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen und ihnen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für ihre täglichen Wegstrecken
zu bieten. Intermodalität von Verkehrssystemen,
das heißt eine mehrgliedrige Bewegungskette oder die Nutzung unterschiedlicher
Verkehrsmittel für eine Strecke, steht in der
kommunalen Verkehrs- und Mobilitätspolitik
ganz oben. Zukünftig wird es nicht primär
darum gehen, mit ein und demselben Verkehrsmittel von A nach B zu kommen, sondern eine
Kombination diverser Verkehrsmittel zu nutzen.
Im Großraum Linz werden täglich zwei Millionen
Wege zurückgelegt. Das entspricht der Hälfte
aller in Oberösterreich zurückgelegten Strecken.
Welche Verkehrsmittel dabei benutzt werden,
hängt nicht zuletzt von so genannten „last-milelinks“ ab. Darunter versteht man die Möglichkeiten der Bewältigung der „letzten Meile“, also
des letzten Teilstücks einer Reise. Diese Möglichkeiten beeinflussen die Verkehrsmittelwahl der
ganzen Reise, wobei das analog natürlich auch
für die „erste Meile“ gilt, also für den Zugang zu
229
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
Bezüglich Park & Ride-Anlagen und einer
besseren Verzahnung des Umweltverbundes ist
noch sehr viel zu tun. Bei diesen Themen gilt wie
bei einem überregionalen Schnellbahnsystem
auch: Das hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn
alle „Player“ gemeinsam an einem Strang ziehen.
Es wird eine der größten Herausforderungen der
Zukunft dafür zu sorgen, dass die Visionen für
ein zukunftstaugliches Verkehrskonzept über das
eigene Unternehmen, die eigene Partei und die
eigene Gemeindegrenze hinausgehen. Man sieht
es gut auch an unserer Diskussion hier, dass
wir alle – ich nehme mich da nicht aus – unsere
Lösungen vor unserem eigenen Erfahrungshintergrund entwerfen. Eine gute Abstimmung
und ein intensiver Austausch ist hier ein erster
Schritt. Dass es uns gelingt, künftig noch ein
wenig mehr über den eigenen Tellerrand zu
schauen und darauf zu vertrauen, dass auch die
anderen Verantwortlichen aus bestem Wissen
und Gewissen handeln, darauf baue ich.
„Die Nutzung unterschiedlicher
Verkehrsmittel für eine Strecke wird
in Zukunft selbstverständlich sein.
Intelligente Technologiesysteme
werden die Intermodalität unterstützen.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
KLAUS LUGER
Verkehrsmitteln für die Abreise. Ein Viertel jener
PendlerInnen, die hauptsächlich mit dem Auto
in die Arbeit fahren, nutzen neben dem Auto
auch ein anderes Verkehrsmittel. Gemeindegrenzen überschreitende Mobilitätskonzepte
sollen angedacht und umgesetzt werden. Hier
werden vor allem Park & Ride-Flächen und
deren Anbindung an attraktive öffentliche
Verkehrsmittel von großer Bedeutung sein.
Wenn wir uns mit dem Thema sanfte Mobilität beschäftigen, müssen wir uns auch mit
dem „last-mile-link“ in der Stadt selbst auseinandersetzen. Hier ist in der Vergangenheit bereits der richtige Weg eingeschlagen
worden: Konzentration auf den Ausbau und
die Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs,
Verbesserungen der Rahmenbedingungen
für RadfahrerInnen und FußgeherInnen. Für
die große Zahl an EinpendlerInnen ist zur
Bewältigung des letzten Teilstücks („last mile“)
zur Fahrt zum Arbeitsplatz gerade das Angebot
an öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stadt von
großer Bedeutung. Mit 24 % weist Linz unter
vergleichbaren Städten in Österreich bereits jetzt
den höchsten Anteil des öffentlichen Verkehrs
am Gesamtverkehrsaufkommen auf. Trotzdem
ist der Ausbau und die Attraktivierung des
Angebots der LINZ LINIEN besonders wichtig,
hier vor allem mit der Busbeschleunigung.
Mittlerweile gehört jeder vierte Straßenkilometer den RadfahrerInnen, an den Hauptverkehrsstraßen mit Tempo 50 km/h ist der
Vollausbau der Radwege beinahe erreicht. In
den kommenden drei bis fünf Jahren geht es
230
noch um den sukzessiven Radwegelückenschluss. Verkehrsberuhigte Zonen und die
neuen Begegnungszonen ermöglichen den
RadfahrerInnen bereits jetzt eine integrierte
Teilnahme am Verkehrsgeschehen. Mögliche
Verbesserungen können aber die Überarbeitung
des Beschilderungssystems der Radwege und
ein Radfahr-Stadtplan bringen. Sicher notwendig
sind neue Fahrrad-Abstellanlagen mit Vernetzung zum öffentlichen Verkehr. Eine Überlegung wert ist ein Konzept für Fahrradstraßen.
Die Entwicklung von Verkehrsprojekten stand
in den vergangenen Jahren in mehrerlei Hinsicht im Mittelpunkt. Es wurden die Weichen
für Projekte gestellt, die den weiteren Ausbau
des öffentlichen Verkehrs sowie des Individualverkehrs in der Landeshauptstadt und im Großraum Linz zum Ziel hatten. Von vier Millionen
Wegen, die täglich in Oberösterreich zurückgelegt werden, führen zwei Millionen Wege
durch Linz. Über 100.000 Menschen pendeln
täglich in die Stadt zu ihren Arbeitsplätzen,
weitere 30.000 bis 40.000 kommen aus anderen
Gründen nach Linz. Die Anbindung neuer
Wohngebiete und die Verlängerung über die
Stadtgrenze hinaus bringen zwar einerseits den
gewünschten Erfolg, dass mehr Menschen auf
das öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen.
Andererseits stößt die Schienenachse durch
Linz im neuralgischen Bereich zwischen Hauptbahnhof und Rudolfstraße zusehends an ihre
Kapazitätsgrenzen. Hinzu kommt, dass im Zuge
der Stadtentwicklung neue Wohngebiete entstanden sind, deren Anbindung an ein Straßenbahnnetz als sinnvolle Notwendigkeit erscheint.
Darum wurde das Projekt Zweite Schienenachse entwickelt. Mit einer Länge von 6,6 Kilometern und insgesamt 15 Haltestellen wird
die neue Schienenachse die Stadt künftig den
Osten von Linz erschließen und eine wesentliche Ergänzung zur bestehenden Straßenbahnführung sein. Einen wesentlichen Schritt
zur Realisierung dieses Verkehrsvorhabens
stellt der Neubau der Eisenbahnbrücke dar.
Mitte September 2014 hat eine 14-köpfige
Jury darüber entschieden, wie die Lösung
für eine neue Donaubrücke in Linz aussehen
soll. Diese Brücke ist für Linz von eminenter
Bedeutung, nicht nur als Verkehrsweg für
den Individualverkehr. Auch die Umsetzung
der Zweiten Schienenachse hängt davon ab.
Im Dezember 2014 gab es noch grünes Licht für
den Bau der Linzer Westumfahrung. Die Westspange ist noch immer das Verkehrsprojekt
mit der größten umweltpolitischen Relevanz
seit der Sanierung der Linzer Luft Mitte der
1980er Jahre. Es sind nicht weniger als 50.000
Menschen, die von einer verbesserten Luftsituation in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld
als Folge der reduzierten Verkehrsmengen neue
Lebensqualität gewinnen werden. Grünes Licht
für einen möglichst baldigen Baustart wäre
eine Anerkennung für den Industriestandort
Linz. Die vorgestellten Zeitpläne der ASFINAG
sehen einen Baubeginn noch 2015 sowie eine
Freigabe der 4. Linzer Donaubrücke 2018 vor.
Fertigstellung der
Zweiten Schienenachse
und der neuen
Donauquerung
Schaffung von
Park & Ride-Flächen
Attraktivierung
der E-Mobilität
231
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
VISIONEN
FÜR LINZ
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
O. UNIV.­PROF. DI DR.
RICHARD HAGELAUER
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Rektor der Johannes
Kepler Universität Linz
• Studium der Elektrotechnik in Nürnberg
und Erlangen
• Abteilungsleiter der IC-Entwicklung am
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen
in Erlangen
• Universitätsprofessor für Komplexe Digitale
Schaltungen und Dekan der TechnischNaturwissenschaftlichen Fakultät an der
Johannes Kepler Universität Linz
Experte für Mikroelektronik
A. UNIV.­PROF. DR.
ROBERT M. BAUER
NORBERT HAUDUM
Landesvorsitzender und
Stv. Bundesvorsitzender
der Gewerkschaft der
GemeindebedienstetenKMSfB (Kunst, Medien,
Sport, freie Berufe)
• Ab 1989 Mitarbeiter in der Personalvertretung
der Bediensteten der Stadt Linz
• Ab Herbst 1989 Vorsitzender der
Personalvertretung der Bediensteten der Stadt Linz
und Vorsitzender der Bezirksgruppe Linz-Stadt der
Gewerkschaft der Gemeindebediensteten
• Ab Oktober 2006 Vorsitzender der Landesgruppe
Oberösterreich der Gewerkschaft der
Gemeindebediensteten-KMSfB
Experte für den Bereich der
Gemeindeverwaltungen, insbesondere das
Dienstrecht für oö. Gemeindebedienstete
Professor für Organisation und
Innovation
Institut für Organisation und
Globale Managementstudien,
Johannes Kepler Universität Linz
• Mehrjährige Lehr- und Forschungstätigkeit an der
Joseph L. Rotman School of Management der University
of Toronto als Erwin-Schrödinger Stipendiat (1998/1999)
und als Gastprofessor (2004–2006)
• Personenzentrierter Psychotherapeut
• Organisationsberater, Top-Management-Coach und
Vortragender in Europa, Nordamerika und China
Experte für inner-, zwischen- und
überbetriebliche Innovationsprozesse,
Netzwerkorganisationen,
Führungskräfteentwicklung und Philosophie
des Managements
DR.IN
JUTTA RINNER, MBA
Mitglied des Vorstandes
LINZ AG
• Leiterin des Kunststoff-Clusters OÖ bei der
Technologie- und Marketinggesellschaft mbH
• Leiterin des Bereiches Revision und
Organisation der LINZ AG
• Geschäftsführerin Managementservice Linz
GmbH
Expertin für Strategie- und
Organisationsentwicklung,
Konzernservices & Verkehr
234
VERWALTUNG
Schlanke Stadt.
Überbürokratisierung und
Beamtenmentalität sind
in Linz schon lange out.
Eine neue Magistratsreform
verspricht noch mehr Effizienz.
Der Weg zu einer bürgernahen Serviceorientierung
war spätestens mit der Reform 2004 unumkehrbar.
Durch die Umstrukturierung halbierte sich die
Anzahl der Dienststellen. Die Ausgliederung
wichtiger Aufgabengebiete in Tochtergesellschaften
erzielte höhere Flexibilität. Mit der Fusion von
ESG und SBL zur LINZ AG vier Jahre vorher
etablierte sich bereits ein starkes Unternehmen
für infrastrukturelle Leistungen. Nun sollen die
Zuständigkeiten und Abläufe in allen Betrieben der
Unternehmensgruppe Linz weiter optimiert werden.
235
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
ROBERT BAUER
Vier Fragenkomplexe
Die Basis des abendländischen Denkens seit
der griechischen Antike, meint der Philosoph
Gilles Deleuze, sei der Freund unter Freunden
– der Freund, der gleichzeitig Rivale ist, denn
Dialog/Denken brauche (Sprach-)gemeinschaft
und einfühlend wohlwollendes Verstehen ebenso
wie kritisches Hinterfragen und den überbietenden Anspruch auf das bessere Argument.
In diesem Sinne freue ich mich auf einen
freundschaftlich rivalisierenden Dialog
zum Thema „Verwaltung“. Zum Abstecken
des Themenfeldes möchte ich vier mögliche
Fragekomplexe formulieren, die spannend
und diskussionswürdig erscheinen.
1. Magistratsreform
Die Stadt Linz hat vor kurzem eine Reform des
Magistrats begonnen. Was dürfen und sollen
sich die LinzerInnen von einem reformierten
Magistrat erwarten? In welchen Bereichen
können Verbesserungen erzielt werden? Welche
aktuellen Stärken sollen bewahrt werden?
2. Regierung
„Verwaltung“ etwas breiter verstanden ist gleichbedeutend mit „Exekutive“ beziehungsweise
dem englischen Begriff „Administration“. Die
Frage nach der Rolle von Regierung scheint
mir daher wesentlich zu unserem Thema zu
gehören. Wenn Anthony Giddens recht hat
und moderne Staatsgefüge sowohl eine starke
Zentralregierung als auch freie Märkte und eine
aktive Zivilgesellschaft brauchen – was folgt
236
daraus für die Stadt Linz? Wieviel Regierung
braucht die Stadt? Was kann und soll von den
Märkten/der Wirtschaft übernommen werden?
Und was ist die Rolle der BürgerInnen?
3. Zukunft
Anknüpfend an obige zwei Fragen: Wie sieht
eine langfristige Zukunftsperspektive – als
Vision – für die Stadtverwaltung aus?
4. Digital Society
Wie beeinflusst und verändert die Digitalisierung
unserer Gesellschaft die Verwaltung der
Stadt – aber auch ihre Mit- und Gegenspieler
in Wirtschaft und Zivilgesellschaft?
NORBERT HAUDUM
Balance / Welche Verwaltung?
Ernst Ulrich von Weizsäcker, deutscher
Wissenschaftler, Nachhaltigkeits-Experte und
„Club of Rome“-Vizepräsident sagte im Juni
2014 in einem Interview mit den OÖ Nachrichten das Folgende: „Der Markt macht
alles und die öffentlichen Güter sind in der
schwächeren Position. Zu den öffentlichen
Gütern gehören auch Ruhe, Besinnung, der
Staat, die Solidarität. Der Markt diktiert den
Staat, das ist eine sehr ungesunde Situation,
wir müssen wieder eine Balance herstellen.“
Wenn das stimmt, ist Anthony Giddens’
Forderung nach einem modernen Staatsgefüge
mit einer starken Zentralregierung als auch
freien Märkten bereits in ein Ungleichgewicht
zugunsten der Märkte entschwunden. Für mich
NORBERT HAUDUM
ist dieses Herstellen der erforderlichen Balance
eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.
Vorerst sollten wir uns aber darüber klar werden,
was wir gemeinsam unter Verwaltung verstehen.
Meinen wir damit den gesamten Magistratsbereich mit all seinen Dienstleistungsbereichen
(z. B. Kinderbetreuung, Kulturbereich, Sozialverwaltung, städtische Straßenverwaltung, Gartenverwaltung)? Meinen wir jenen Bereich der
Verwaltung, der für die Vollziehung der Gesetze
und somit zum Schutze der Bürgerrechte (z. B.
Baurecht, Umweltschutzgesetze usw.) erforderlich ist? Oder meinen wir die Verwaltung, die
benötigt wird, um das städtische Eigentum oder
die städtischen Mitarbeiter administrativ zu
betreuen, um nur einige Bespiele zu nennen?
Das Thema der Betriebe im Eigentum der
Stadt ist dabei noch gar nicht angesprochen.
JUTTA RINNER
Bedingungen der Modernisierung
Bei der Frage der Begriffsverwendung könnte ein
interessanter Aspekt auch die Außenbetrachtung
sein. Was verbindet die Bevölkerung mit dem
Begriff der Verwaltung und gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung von Leistungen,
wenn der Begriff der Verwaltung oder der Begriff
des Services beziehungsweise der Dienstleistung
verwendet wird? Werden Maßnahmen, die
gestalterisch, kundenorientiert, vorausschauend,
kontrollierend etc. sind, gleich zugeordnet, oder
gibt es hier Unterschiede in der Wahrnehmung?
Wenn von der öffentlichen Verwaltung
zukünftig mehr, andere oder noch komplexere
Aufgaben zu bewältigen sein werden – ausgelöst zum Beispiel durch gesetzliche Rahmenbedingungen, den demografischen Wandel, die
Erwartungen der Wirtschaft an Schnelligkeit
und Effizienz, verändertes Kommunikationsverhalten der Bürger und Bürgerinnen etc. – wird
die inhaltliche und finanzielle Anpassung
für eine nachhaltige Modernisierung sowohl
des hoheitlichen Bereichs als auch der
Wirtschafts- und BürgerInnenservices neben
der gezielten Reduzierung von nicht mehr
benötigter Abläufen sowohl die Bereiche der
Organisation und Struktur als auch die Bereiche
Steuerung, Personal(-entwicklung) und IT
beziehungsweise E-Government betreffen?
Für ein umfassendes Konzept beziehungsweise eine Gesamtperspektive werden Themen
wie zum Beispiel breitere Aufgaben- und
Kompetenzfelder, prozess- und ergebnisorientiertes Arbeiten, ressortübergreifende
Zusammenarbeit und Vernetzung, standardisierbare Vorgänge etc. zu diskutieren sein. Die
technologische Entwicklung wird Möglichkeiten aufzeigen, diese für Strukturen und
Verfahren noch stärker zu nutzen, zum Beispiel für schnellere Zugriffe auf erforderliche
Informationen oder intensive Koordinations- und
Kommunikationsprozesse. Die Anpassung der
Organisation an die neuen Herausforderungen,
bedingt durch die gesellschaftlichen und
237
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Abläufe müssen
ständig hinterfragt
werden und sind
zu eliminieren,
wenn sie nicht
mehr benötigt
werden, um die
Ressourcen frei zu
bekommen.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
wirtschaftlichen Entwicklungen, wird auch
die Frage der Verwaltungskultur beinhalten
müssen. Begleitende Change ManagementProzesse zur Sicherung einer nachhaltigen
Modernisierung werden erforderlich sein.
NORBERT HAUDUM
Sicht der Bevölkerung / gesetzliche Vorgaben
Genau diese Außenbetrachtung habe ich
gemeint. Aufgrund meiner persönlichen als
auch beruflichen Erfahrung habe ich die
Gewissheit, dass die Bevölkerung keinesfalls
zwischen den durch die Stadt Linz angebotenen
Dienstleistungen und den Leistungen der
klassischen Verwaltung unterscheiden kann.
Schon gar nicht wird eine Unterscheidung
zwischen Beamten und Vertragsbediensteten
getroffen. Hier hat jedenfalls eine Aufklärung
zu erfolgen. Die Bevölkerung muss einfach wissen, dass der überwiegende Teil der
städtischen Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich tätig ist, diese Leistungen daher auch
zu erschwinglichen Preisen angeboten werden
können und dass das Linzer Philosophie ist.
Auch ich kann mich der Meinung anschließen,
dass Abläufe ständig hinterfragt werden
müssen und nicht mehr benötigte Abläufe zu
eliminieren sind, um die Ressourcen frei zu
bekommen. Wir dürfen bei unserer Diskussion
nämlich nicht übersehen, dass die gesetzlichen
Vorgaben laufend verändert und komplizierter
werden. Man denke nur an die Vielzahl der
Gesetze, welche durch die nationalen Parlamente beschlossen werden, aber auch durch
EU-Vorgaben zu beachten sind. Leider können
wir das nicht verändern. Hier ist eindeutig
die Politik in Land und Bund gefordert.
238
„Die Verwaltung
braucht eine
hybride
Organisation,
effiziente
Routineprozesse
für Services
und flexible
Strukturen für
Expertenbereiche.“
ROBERT BAUER
Selbstverständlich können die Bemühungen
Richtung E-Government und Change
Management weiter gesteigert werden. Ich
bin aber der festen Überzeugung, dass die
Linzer Stadtverwaltung – jedenfalls in Österreich – eine führende Position einnimmt.
ROBERT BAUER
Organisatorische Optimierungen
Zur Frage der Begrifflichkeiten: BürgerInnen
unterscheiden kaum oder gar nicht zwischen
den verschiedenen Funktionen der Verwaltung.
Die Differenzierung zwischen Hoheitsverwaltung einerseits sowie Besteller und Hersteller
von Services für BürgerInnen und Wirtschaft
andererseits, hat für unsere Diskussion nur insofern Bedeutung, als unterschiedliche Strukturen
für diese Bereiche benötigt werden. Für mich
hängt das eng mit der Frage zusammen, ob
bestimmte Bereiche normiert werden können,
beziehungsweise ob sie mit geringeren Verwaltungskompetenzen das Auslangen finden.
Ich möchte noch eine dritte Funktion des
Magistrats ansprechen: Er muss meines
Erachtens auch die Expertise für die politischen
Entscheidungsträger zur Verfügung stellen.
Ich würde den Magistrat in einer ähnlichen
Think-Tank-Funktion für die Stadtentwicklung
sehen, wie es die Kammern für Arbeitgeberund Arbeitnehmerfragen sind. Zusammengenommen bedeutet das, dass die Verwaltung
eine hybride Organisation, effiziente Routineprozesse für Services und flexible Strukturen
für Expertenbereiche braucht. Die Kammern
setzen sich mit dieser Frage schon länger – und
wie mir scheint – erfolgreich auseinander.
Abschließend noch ein Gedanke zur Frage der
Gesamt-Holding: Ich tendiere dazu, Zusammengehöriges zu bündeln und Unterschiedliches
auseinanderzuhalten. Die verschiedenen
Zuständigkeiten für Straßen, Parks, Brunnen
etc. bieten sich meines Erachtens für eine
Bündelung an – analog zum Grazer Beispiel
der zusammengeführten Kompetenz für „Stadtraum“. Mit der Bündelung von Schulerhaltung,
Kindergärten, Horte, VHS etc. in einem Bereich
„Bildung“ könnte sich die Stadt als wichtige
Akteurin in Bildungsfragen etablieren. Ohne
eine Ferndiagnose riskieren zu wollen, schiene
mir auch eine gemeinsame Holding für die
führenden Kultureinrichtungen (AEC, LIVA,
Museen …) erwägenswert, weil diese Einrichtungen gut aufeinander abgestimmt agieren
müssen. Bei einer Gesamtholding wäre für
mich sehr genau zu prüfen, wie viel an Effizienz
und Wirksamkeit dadurch gewonnen und wie
sehr zu Unterschiedliches über eine Kamm
geschoren beziehungsweise welcher zusätzliche Verwaltungsaufwand durch eine zusätzliche Organisationsebene geschaffen würde.
Mir ist klar, dass meine Bündelungsüberlegungen auf eine möglichst wirksame
Organisation abzielen und zunächst nicht
berücksichtigen, dass die Auffächerung
von Kompetenzen auch dem politischen
Interessensausgleich dienen könnte. Für
mich, aus dem Feld „Organisation“ kommend,
scheint Zersplitterung von Kompetenzen
eine teure Form des Interessensausgleichs
zu sein, weil dadurch größere Initiativen
leicht verhinderbar beziehungsweise
schwer durchsetzbar werden. Ich wäre
interessiert, wie Sie das sehen: Gefährden
schlagkräftigere und folglich mächtigere
Verwaltungseinheiten den politischen
Interessensausgleich, beziehungsweise
könnte dieser anderweitig erreicht werden?
239
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
Mir fehlt die Detailkenntnis, um einzelne
Bereiche herausgreifen zu können, ich denke aber,
dass in der öffentlichen Verwaltung die Prozesse
für routinemäßige Abwicklung und strittige
Fragen grundsätzlich ähnlich sind. Besser wäre
ein vereinfachtes, schnelles, kostengünstiges
Verfahren für die Routineangelegenheiten, das
den BürgerInnen die Möglichkeit gibt, falls sie
mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind, dann
das ausführliche, qualifizierte aber eben auch
langsamere und teurere Verfahren zu fordern.
Die Polizei hat das bei der Anonymverfügung
gut umgesetzt: eine rasche, für alle Beteiligten
billigere Abwicklung – und wenn ich mich als
Bürger ungerecht behandelt fühle, kann ich das
rechtstaatlich gesicherte, komplette Verfahren
mit Anzeige, Lenkererhebung etc. beanspruchen.
Das „Prinzip Anonymverfügung“ könnte ich
mir auch für ein systematisches Hinterfragen
der Abläufe im Magistrat gut vorstellen.
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
RICHARD HAGELAUER
Drei Aspekte
Ich darf mich zu drei Aspekten der Verwaltung äußern und halte diese für essentiell
in einer entsprechenden Betrachtung:
• Schlanke Strukturen
• Serviceorientierung
• Digitalisierung
Schlanke Strukturen
Ich erlaube mir, ein paar allgemein gehaltene,
grundsätzliche Gedanken zum – zugegeben
schon recht stark bemühten – Begriff der
„schlanken Verwaltung“ einzubringen: Verwaltung – sei es auf universitärer, kommunaler,
staatlicher oder auch anders gearteter
Ebene – soll in meinen Augen die Menschen
beziehungsweise die Gesellschaft unterstützen, in größtmöglicher Eigenverantwortlichkeit und Autonomie agieren zu können.
Verhandlungen und Interessenskonflikte
werden mehr moderiert als kontrolliert. Alteingesessener Ballast wird abgeworfen, um
neue Aufgaben adäquat aufgreifen und wahrnehmen zu können. Es geht weniger um
Hierarchie als vielmehr um Kollegialität,
weniger um Restriktivität als vielmehr um
Unterstützung (im Rahmen des Möglichen).
Serviceorientierung
Für mich ist der Gedanke der Serviceorientierung von administrativen Units ganz
wesentlich. Als Beispiel: An der JKU haben wir
vor kurzem ein Projekt „Serviceorientierung“ in
unseren Verwaltungsabteilungen aufgesetzt, um
240
diese – obwohl passabel aufgestellt – noch besser
zu machen. Denn dies ist auch der Anspruch der
heutigen Zeit: sich ständig weiterzuentwickeln
und nicht in Stagnation zu verfallen. Wir halten
uns vor Augen, wer unsere „KundInnen“ sind
(Studierende, Forschende, KollegInnen, externe
PartnerInnen etc.) und definieren den Begriff
„Serviceorientierung“ für uns: Attribute wie
lösungsorientiert, kompetent, improvisationsfähig, empathisch und kommunikativ tauchen
etwa dabei auf (und natürlich können es viel
mehr sein). Zuletzt suchen wir gemeinsam
Beweggründe für eine stark serviceorientiert
geprägte Vorgehensweise (MitarbeiterInnen
sind die Visitenkarte einer Organisation; das
Arbeitsklima wird verbessert; die Fluktuation
von Arbeitsplätzen verringert; der interne
Kommunikationsaufwand nimmt ab; etc.), um
die MitarbeiterInnen über die intrinsische
Motivation abzuholen. Sie müssen selbst den
Wert dieses Assets – denn nicht weniger ist
es – verstehen, dann werden sie es auch noch
besser in ihre tägliche Arbeit integrieren und
umsetzen. Ich bin der Meinung, dass es für jede
Organisation lohnend ist, sich mit diesem Aspekt
von Verwaltung intensiv auseinanderzusetzen.
Digitalisierung
Unsere Gesellschaft ist heute auf jeder Ebene
enormen Transformationsprozessen in einer
rasanten Geschwindigkeit unterworfen. Für
uns alle stellt dies eine wesentliche Herausforderung dar. Damit nimmt die Häufigkeit,
mit der technologische Innovationen die tägliche Arbeit in der Verwaltung beeinflussen,
sukzessive zu. Ich bin der Ansicht, dass die hiermit einhergehenden Chancen (Vereinfachung,
Verschlankung, Effizienzsteigerung etc.) und
„Verwaltung soll in meinen Augen
die Menschen beziehungsweise
die Gesellschaft unterstützen, in
größtmöglicher Eigenverantwortlichkeit
und Autonomie agieren zu können.“
Risiken (Unübersichtlichkeit, Überforderung,
Datenfriedhof etc.) gut betrachtet und eingehend
diskutiert werden müssen, damit uns der Zug der
Zeit nicht überrollt. Letztlich müssen technischer
Fortschritt und menschliche Leistungsfähigkeit
miteinander Schritt halten können. Stichworte
meinerseits sind hier analytische Bestandsaufnahme, profunde Strategiebildung, effiziente
E-Governance, durchdachtes Akzeptanz- und
Kommunikationsmanagement in der Umsetzung.
Die Begleitung eines solchen Prozesses durch
professionelle und externe Change Agents wurde
schon thematisiert, dieser Zugang erscheint auch
mir sinnvoll und auf jeden Fall überlegenswert.
Ich möchte resümierend festhalten, dass Verwaltung nie Selbstzweck sein darf. Die Grundidee ist doch jene, dass ein Verwaltungsapparat
besteht, um dem Zusammenleben von Menschen
Ordnung und Struktur zu verleihen. Ein einheitliches – somit für alle Personen im gleichen
Maße gültiges und dadurch faires – Regelwerk
und Berechenbarkeit beziehungsweise Verlässlichkeit sollen dadurch gegeben sein. Weitergedacht bedeutet dies, dass Bürgerinnen und
Bürger in ihren Fragen und Anliegen Hilfe und
Unterstützung, aber natürlich auch gesetzlich
vorgegebene Richtlinien erhalten. Sie sollen
dabei so autonom wie möglich und so geführt
wie nötig agieren können beziehungsweise
müssen. Eine moderne Verwaltung muss einerseits eine schlanke, beweglich bleibende Struktur
aufweisen und sich andererseits allem voran
als serviceorientierte Dienstleistung an der
Gesellschaft begreifen. Diese beiden Prämissen
berücksichtigend wird einer potentiellen Überbürokratisierung und Verkomplizierung –
der vielzitierte „Amtsschimmel“ – in vielen
Fällen erst gar kein Nährboden geboten.
ROBERT BAUER
Drei kurze Punkte
1. Handlungsfähigkeit
Es ist weder Zufall noch Irrtum, dass die
öffentliche Verwaltung eine Bürokratie ist. Sie
wurde bewusst so konzipiert, nicht zuletzt weil
es ihre Aufgabe war, die aristokratisch geprägte,
von den BürgerInnen als willkürlich wahrgenommene Staatsmacht in die Schranken zu
weisen und gegen die Eigeninteressen nicht
demokratisch legitimierter Regierender Verfahrensgerechtigkeit für alle zu sichern. Unsere
Situation heute ist aber eine ganz andere: Wir
leben in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat
und im Zeitalter der (medialen) Transparenz – für
Kontrolle ist da gesorgt. Verwaltung soll daher
nicht mehr Politik kontrollieren, beziehungsweise
als Puffer zwischen Politik und Bevölkerung
stehen, sondern sie soll unsere demokratisch
gewählten VertreterInnen ermächtigen und
handlungsfähig machen, denn – abgesehen
vom krassen Mangel an Meinungsvielfalt in
den Medien – schadet unserer Demokratie
nichts so sehr wie machtlose PolitikerInnen
und institutionelle Agonie. Demokratien
müssen in der Lage sein, große Vorhaben
durchzusetzen und die öffentliche Verwaltung
kann dazu an vorderster Front beitragen.
241
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
RICHARD HAGELAUER
„Unbestritten sollte sein,
dass E-Government als Chance
für ein modernes digitales Service
zur Kundenorientierung
im Verwaltungsbereich genutzt
werden muss.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
JUTTA RINNER
2. Service
Ich teile unseren Konsens betreffend der
Wichtigkeit der Dienstleistungsorientierung in
einer schlanken, schnellen Verwaltung. Hinzufügen möchte ich, dass es nicht ausreicht,
„alles für das Volk, aber nichts durch das Volk“
zu tun. Zukunftsfähige Dienstleistung muss
Initiativen von BürgerInnen ermöglichen, unterstützen und ermächtigen. Die Wirtschaft hat
die enorme Bedeutung von Co-Creation, das
heißt gemeinsames Erzeugen von Wert durch
ProduzentInnen und KonsumentInnen, längst
erkannt. Die Co-Creation der Commons, der
öffentlichen Güter, scheint mir dagegen noch
ausbaufähig – und äußerst zukunftsträchtig.
3. Digitale Technologien mit menschlichem
Antlitz
Linz steht ebenso für Industrie und Technologie
wie für soziale Werte. Die Verwaltung kann
Stadtentwicklung in diese Richtung unterstützen,
ja sogar Vorreiter sein. WLAN Hotspots, Open
Commons Region, „Schau auf Linz“ oder Internet in der „Bim“ sind großartige Beispiele und
– wie ich hoffe – nur der Anfang. Ich wünsche
mir und der Stadt Linz eine Verwaltung, die
Pionierprojekte im Bereich E-Government und
Digitalisierung der Stadt(-gesellschaft) wagt.
242
JUTTA RINNER
Magistratsreform
Der Gedanke der organisatorischen Bündelung,
der Ausrichtung von Prozessen für schlankere
Strukturen und der Aufgabenerledigungen
ohne Doppelgleisigkeiten wurde laut den veröffentlichten Zielen und Informationen über
die Magistratsreform bereits im Herbst 2014 in
den Arbeitsgruppen beziehungsweise Projektgruppen untersucht. Dieses Themenfeld wurde
damit einer professionellen Untersuchung und
Betrachtung zugeführt und zielt dabei – davon
sollte man ausgehen – mit Sicherheit auch auf
Effizienz und Wirksamkeit der Aufgaben und
Abläufe ab. Ein wichtiges Element in der Frage
von vereinfachten, schnellen, kostengünstigen
Verfahren ist somit auf den Weg gebracht.
Wichtig und gleichzeitig schwierig wird dabei
sein, dass sich wirklich alle Beteiligten der Veränderungsnotwendigkeit bewusst sind. Nämlich,
dass die bereits angesprochenen gesellschaftlichen, technologischen, finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen die Verwaltung
vor neue, große Herausforderungen stellen
und sie darauf – in welcher Art und Weise auch
immer – reagieren muss. Ein bloßes Abbilden
des Bestehenden würde hier zu kurz greifen,
man wird sich bewusst und offen der Veränderung stellen müssen. Dabei sollte Qualität
in den Diskussionen und Entscheidungen im
Vordergrund stehen, ebenso mit dem Ziel, die
aktuellen Anforderungen auch nach den Reformentscheidungen und -umsetzungen laufend
den zukünftigen Anforderungen anzupassen.
Bei der Frage der Serviceorientierung könnte
auch ein Blick auf die Wirtschaft riskiert
werden, auch wenn Position, Produkt und
Dienstleistung natürlich nicht unmittelbar
vergleichbar sind. Aber was sind unter anderem
Parameter, die Dynamik, Erfolg/gewünschtes
Ergebnis bringen, um hier Verwaltung auch
in ihrer Weiterentwicklung zu denken und
zu gestalten? Die Vernetzung und der Austausch der Verwaltungsebenen (Bund, Länder,
Stadt/Gemeinden) untereinander müssen ein
zusammenhängendes Betrachtungsbild ergeben.
Unbestritten sollte sein, dass E-Government als
Chance für ein modernes digitales Service zur
Kundenorientierung im Verwaltungsbereich
genutzt werden muss. Die ersten Rahmenbedingungen sind hier schon gesetzt, für die
Akzeptanz von Anbietern und AnwenderInnen
müssen hier aber auch die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie zum Beispiel die umfassende Vernetzung der BürgerInnen
beziehungsweise die Schaffung der digitalen
Zugänge, um diese Angebote auch nutzen zu
können. Dazu braucht es auch eine durchdachte
Vorgehensstrategie bei Angebot und Nachfrage.
Stichwort Bürokratie: Wie Verwaltung abläuft,
ist eine Frage, die auf alle Fälle weiterbehandelt
und nicht nur diskutiert werden sollte. Dass Verwaltung aber einmalige Aufgaben hat, die für
unser „geordnetes“ Zusammenleben nicht nur
wichtig sind, sondern es auch erst ermöglichen,
braucht nicht in Frage gestellt werden. Hier kann
die Verwaltung mit Selbstbewusstsein auftreten.
KLAUS LUGER
Standortfaktor Bürger-Verwaltung, Controlling
als wesentliches Steuerungsinstrument
Die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger
hängt maßgeblich von der Quantität sowie
der Qualität gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen ab. Vielfältige Sozialleistungen beeinflussen das tägliche Leben der Bevölkerung.
Dazu zählen die Angebote für Kinderbetreuung
ebenso wie jene für SeniorInnen, auch die
Unterstützungen für in Not geratene Menschen
oder auch Aufgaben, welche die Verwaltung
als Behörde abwickelt (Baubewilligungen,
Melderegister, gewerbebehördliche Anliegen).
Diese Leistungen unterliegen einem ständigen
Wandel. Daher ist es gerechtfertigt, diese einer
kontinuierlichen Überprüfung und Anpassung
zu unterwerfen. Wir verfolgen dabei als oberstes
Ziel, die Angebote und Dienstleistungen
zugänglich und erschwinglich zu gestalten.
In der Vergangenheit haben sich öffentliche
Verwaltungen an einer bürokratischen Aufgabenerledigung orientiert. Zunehmend setzt
sich die Erkenntnis durch, dass moderne
Managementmethoden auch für öffentliche Verwaltungen unabdingbar sind. Modernisierung
bedeutet in diesem Sinn nicht Privatisierung.
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
sollen möglichst bürgernah organisiert und
geregelt sein, dadurch kommt den lokalen
Behörden auch eine dementsprechende
Bedeutung zu. Aus meiner Sicht liegt das Einsparungspotenzial in der öffentlichen Leistungserbringung in einer effizienten Gestaltung
der Prozesse und nicht in einer Reduktion
des Leistungsangebotes. Durch eine Neuorganisation abseits der bestehenden Strukturen
243
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
Dies wird Mobilität über die Körperschaften
hinweg und lebenslanges Lernen bei allen
Beteiligten – auch bei den BürgerInnen im Sinne
einer digitalisierten Verwaltung – erfordern.
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
„Mit wenigen Mausklicks
Verwaltungsformalitäten von zu Hause
aus zu erledigen, sollte in Zukunft
Realität werden. Eine neue Mentalität
des Magistrats als Bürger-Verwaltung
wäre gut für die Wirtschaft und die
Bevölkerung.“
KLAUS LUGER
können sowohl Einsparungsziele als auch eine
bessere BürgerInnennähe erzielt werden.
Eine moderne öffentliche Verwaltung gilt
als Standortfaktor im wirtschaftlichen Wettbewerb. Je moderner unsere Verwaltung, desto
leistungsfähiger kann sie auf gesellschaftliche
Veränderung reagieren und sie sogar aktiv mitgestalten. Daher ist es unabdingbar, Mut zur
Veränderung aufzubringen. Trotz finanzieller
Einschränkungen der Kommunen sollten wir
für die Zukunft die BürgerInnen- und Dienstleistungsorientierung erhöhen. Eine leitungsfähige und moderne Verwaltung kann die
Qualität einer Stadt als Unternehmensstandort
erhöhen. Städte auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite stehen in einem
wechselseitigen Verhältnis zueinander. Städte
brauchen die Wirtschaftstreibenden als wichtige
Grundlage der Daseinssicherung (beispielsweise
Arbeitsplätze, Kommunalsteuer, Kaufkraft).
Und damit auch als Basis für die Zukunftschancen der Bevölkerung. Die Betriebe sind
wiederum aufgrund ihres unternehmerischen
Handelns auf die Städte angewiesen, die durch
wesentliche Rahmenbedingungen (Infrastrukturmaßnahmen, Bildungseinrichtungen)
ihr unternehmerisches Tun fördern. Deshalb
sollen BürgerInnen, Wirtschaft und Behörden
weitgehend von bürokratischen Pflichten
und Lasten entbunden werden. Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt meines Erachtens
auf der Vereinfachung und Optimierung
von Geschäftsprozessen und Abläufen.
244
Knappe finanzielle Spielräume und das Vorhaben, den Haushalt mittelfristig auszugleichen, erfordern neue Lösungen. Ich bemühe
mich mit aller Kraft um eine strukturelle und
substantielle Reform des Magistrates und
unserer Töchterbetriebe, um effizientere Arbeitsabläufe, um weniger Overhead, um mehr Verantwortung in den einzelnen Abteilungen, um
eine verbesserte KundInnenorientierung sowie
um die Nutzung von Synergiepotenzialen.
Zusammen mit einer Aufgabenoptimierung
und einem effektiven Controlling bringt eine
Neustrukturierung ein Rationalisierungsund Einsparungspotenzial von mindestens
zwei Millionen € jährlich. Gleichzeitig hat
eine straffere Verwaltungsstruktur eine
Steigerung der KundInnenorientierung und
BürgerInnennähe zur Folge. Obwohl ein Großteil der städtischen Leistungen im Dienstleistungsbereich liegt, arbeitet man in vielen
Bereichen noch nach den Regeln der klassischen
Verwaltung. Einfachere Arbeitsabläufe sparen
nicht nur Zeit, sie sparen auch Geld. Und sie
sorgen für höhere Arbeitszufriedenheit der
Beschäftigten, die mehr direkte Verantwortung
erhalten. Das alles kann zu einer tiefgreifenden
Mentalitätsveränderung, einer Bürger-Verwaltung führen. Gleichzeitig ist kontinuerlich
zu hinterfragen, ob Leistungen noch zeitgemäß
und von Nutzen für die LinzerInnen sind.
Zudem werden wir neue Technologien vermehrt
einsetzen. Der Ausbau von E-GovernmentStrukturen ist in einem Zeitalter der
selbstverständlichen Nutzung des Internets
unabdingbar. Der Einsatz neuer Steuerungsmodelle zur Gestaltung der Beziehungen
zwischen Verwaltung und deren PartnerInnen
wie den BürgerInnen, der Wirtschaft, aber
auch zu den MitarbeiterInnen ist höchst an
der Zeit. BürgerInnen sollten einen direkten
Zugriff auf Verwaltungsdienstleistungen via
Onlineverbindungen besitzen. Durch den
schnelleren und einfachen Zugang lässt sich
die KundInnen- und Serviceorientierung
entscheidend steigern. Bei manchen Dienstleistungen, wie etwa der Ausstellung einer
BewohnerInnen-Parkkarte, ist dies heute bereits
möglich. Wir sollten in Zukunft vermehrt darauf
setzen, BürgerInnenfreundlichkeit auf diesem
neuartigen Niveau umzusetzen. Mit wenigen
Mausklicks wären dann Verwaltungsformalitäten
von zu Hause aus erledigt. Die großflächige
Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen durch Online-Selbstbedienung
rückt somit erstmals in greifbare Nähe.
Öffentliche Verwaltungen benötigen als Dienstleistungsorganisationen zeitnahe Steuerungsinstrumente. Es liegt somit nahe, die für die
Wirtschaft entwickelten Controllingsysteme
auch auf die öffentliche Verwaltung zu übertragen. Die öffentliche Hand unterliegt zu Recht der
Pflicht zur Rechtfertigung ihrer Haushaltsmittel.
Gefordert wird auch hier die sparsame Mittelerbringung bei effektiver Leistungserbringung.
Der Einsatz von Controlling-Systemen, die die
Planung und Steuerung von Unternehmenszielen messbar und somit vergleichbar machen,
ist zwingend erforderlich. Die Implementierung eines Controlling-Systems stellt eine
unabdingbare Notwendigkeit für eine neue
Verwaltungsorganisation der Stadt Linz dar.
Entbürokratisierung
von Geschäftsprozessen
und Abläufen – moderne
Verwaltung als erheblicher
Standortfaktor
Umsetzung einer
umfassenden
Verwaltungsreform
Ausbau von
E-Government-Strukturen
Neue Mentalität einer
Bürger-Verwaltung
245
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
VISIONEN
FÜR LINZ
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
inspiriert vom Leitungsnetz der LINZAG
STROM
ERDGAS
FERNWÄRME
2.636 km
Netzlänge
690 km
Netzlänge
257 km
Netzlänge
2.280 GWh
Maximalkapazität
38.679
Gasanschlüsse
1.800 GWh
Maximalkapazität
73,859 Mio. m 3
Gasabgabe
966,9 GWh
Fernwäremabsatz
1.220 GWh
Stromverbrauch
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„ENERGIE“
DI WOLFGANG DOPF,
MBA
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Vorstandsdirektor Ressort
Energie der LINZ AG,
Geschäftsführer von Linz
Strom GmbH und Linz
Gas/Wärme GmbH
• Studium des Wirtschaftsingenieurwesens im
Maschinenbau, Fachrichtung Dampf- und
Wärmetechnik in Graz
• Beschäftigungen bei Hills Industries Ltd. Adelaide
Australien, Investkredit AG Wien,
Steyrermühl Papier AG
• Leiter der Energieerzeugung der LINZ AG
Experte für Energiewirtschaft
DR. ANDREAS KOLAR
Finanzvorstand der Energie AG
Oberösterreich
• Studium der Betriebswirtschaftslehre in Linz
• Leiter des Controllings der Ennskraftwerke AG Steyr und
Geschäftsführer des Abwasserverbandes Gaflenz
• Leiter Treasury & Accounting der Energie AG Oberösterreich
Experte für Finanzen und Rechnungswesen
in der Energiewirtschaft
O. UNIV.­PROF. MAG. DR. DDR. H.C.
NIYAZI SERDAR SARIÇIFTÇI
Vorstand des Linzer Instituts für
Organische Solarzellen (LIOS) sowie des
Instituts für Physikalische Chemie an
der Johannes Kepler Universität Linz
• Studium der Physik an der Universität Wien
• Gründer des weltweit führenden Linzer Instituts für
Organische Solarzellen (LIOS)
• Viele internationale Anerkennungen und Auszeichnungen wie
Österreicher des Jahres 2008 (Kategorie Wissenschaft),
nationaler Wissenschaftspreis der Türkei (2006), Kardinal
Innitzer Preis (2010), ÖGUT Umweltpreis Österreich (2010),
Wittgensteinpreis (2012) und seit 2014 Mitglied der
Österrreichischen Akademie der Wissenschaften
Experte in der Umwandlung der Sonnenenergie
in elektrische Energie sowie deren chemische
Speicherung mit Hilfe des CO2-Recyclings in
künstliche Brennstoffe
248
ENERGIE
Linz ist wie ein Organismus.
Auch die Stadt braucht Bahnen, die sie
mit Energie versorgen, Kreisläufe,
die ihre Antriebsmittel transportieren:
Strom, Gas und Wärme.
Verteilung ist das eine, aber die LINZ AG
produziert auch Energie. Da ihre Kraftwerke in
Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden, liefern
sie Strom und Fernwärme gleichermaßen.
Mit dem Effekt, dass sich in den letzten 25 Jahren
die Gasabgabe im Stadtgebiet fast halbiert, der
Absatz der Fernwärme dagegen verdreifacht hat.
Das war auch für die Linzer Luft gut – gehört
der Hausbrand damit doch so gut wie der
Vergangenheit an. Und Fernwärme punktet als
soziale Beheizungsart mit den niedrigsten Preisen
für die LinzerInnen.
249
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
WOLFGANG DOPF
Energie für Linz
Energie ist ein wesentlicher Baustein für
Lebensqualität. In der LINZ AG haben
wir eine Vision zur Sicherung der Lebensqualität, die mit innovativen Technologien und „smarten“ Energiedienstleistungen aus drei Bausteinen besteht:
• Versorgungssicherheit
• Umwelt, Nachhaltigkeit
• Wettbewerbsfähigkeit, Leistbarkeit
In der Öffentlichkeit wird der Preis oft als das
alleinige für die Menschen wichtige Kriterium
für Energie aufgeführt, bei genauerer Nachfrage ist es dann aber immer die verlässliche
Verfügbarkeit, gefolgt von der Herkunft, also
der Frage, woraus Energie gemacht wird.
Zum Preis bin ich fester Ansicht, dass Energie
in unserer Zeit vergleichsweise leistbar ist
und aufgrund dieser breiten Verfügbarkeit
unseren heutigen Komfort ermöglicht. Für
einen Haushalt kostet Strom ca. 700 € im
Jahr. Eine ähnliche Größenordnung ist der
finanzielle Aufwand für das Heizen, in Summe
zwei bis drei Prozent der Haushaltsausgaben.
Bei Energiearmut – vielfach ein prominentes
Thema – geht’s generell nicht um die fehlende
Energie, sondern ums fehlende Geld.
Aus meiner Sicht geht es um Versorgungssicherheit und nachhaltige Lösungen. In
Linz haben wir mit der Fernwärme, mit der
Kraft-Wärme-Kopplung, mit der Nutzung
von Biomasse und Reststoff als Energieträger und mit einem guten Leitungsnetz
ein effizientes, hoch verfügbares System.
250
Als besondere Energiesituation in Linz sehe
ich den Status von Linz als Industriestadt.
Die im Industriebereich – im speziellen in der
voestalpine – eingesetzten und verwendeten
Energiemengen übertreffen bei weitem den
Bedarf der Stadt selbst. Klar ist auch, dass sich
Linz im Stadtgebiet nicht selbst mit erneuerbarer
Energie – die immer irgendwo auf Sonne zurückgeht – wie Biomasse, Wind, Photovoltaik, Wasserkraft versorgen können wird und daher immer
Energie antransportieren muss. Ein energieautarkes Linz ist daher kurzfristig nicht möglich. Dem Thema Energieeffizienz – sprich der
intelligenten Nutzung bei weniger Verbrauch –
kommt daher eine spezielle Bedeutung zu.
SERDAR SARIÇIFTÇI
Alternative Energiemodelle
Die Investitionen in Solarenergie sind viel
günstiger geworden. Heute gibt es Modelle
wie Build Lease Transfer (BLT), nach denen die
Stadt Linz ihre Bäder, Schulen, Amtsgebäude
und Parkplätze mit Solarpaneelen ausstatten
könnte, ohne die Investitionen dafür selber
tätigen zu müssen. Die Energie, die diese Solarpaneele erzeugen, würde mit den heutigen
Endverbraucher-Preisen abgenommen werden
und zur Rückzahlung dienen. Nach etwa zehn
bis fünfzehn Jahren – das ergibt sich aus den
jeweiligen Standortbedingungen – könnte
die Anlage dann vollständig abbezahlt sein,
was die zukünftigen Energiekosten dieser
Anteile auf fast Null – bis auf die Maintenance
Costs – reduzieren würde. Wenn die Stadt
die Investitionen selbst trüge, würden diese
Wartezeiten selbstverständlich entfallen.
WOLFGANG DOPF
Dies könnte ein interessantes Modell für unsere
LINZ AG sein. Dieses Modell ist für den Weiterverkauf der gewonnenen Energie zwar nicht
rentabel, da die Steuern etc. dazukommen. Aber
die Endverbraucherpreise von 19 Eurocent/kWh –
soviel zahle ich in etwa persönlich – sind heute
vollständig im Bereich des Break-Even-Points.
Deswegen ist dieses Modell für alle Energieverbraucher als Endkunden von Interesse.
Die Umwandlung von Überschussenergie
aus erneuerbaren Quellen in chemische
Energie sollten wir auch in Linz forcieren.
Das würde in etwa so funktionieren, wie
wenn man ein Pumpspeicherkraftwerk in der
Stadt hätte. Unter bestimmten Bedingungen
ist ein solches chemisches Speicherkraftwerk vielleicht heute schon rentabel.
ANDREAS KOLAR
Diskussions-Ziel
Um das Thema lösungsorientiert und
strukturiert diskutieren zu können, ist es
mir ein Anliegen, bevor wir in komplexe
Lösungsvorschläge wie Smart Grids/Meter,
HGÜ Netze, Brennstoffzellentechnologie,
chemische Energiespeicher, Wasserstoff,
erneuerbares Methan, solarthermische Kraftwerke etc. eintauchen, unsere gemeinsame
Zielsetzung für diese Diskussion festzuhalten:
Ist es Ziel, eine breite Debatte zu dem Thema zu
führen oder konkreteren Mehrwert zu schaffen,
indem am Ende ein Energiekonzept für die Stadt
Linz 2030 und darüber hinaus entstanden ist?
WOLFGANG DOPF
Zukunftsinvestitionen
Fokus der Energiediskussion muss Linz
im regionalen Umfeld und ein Zeithorizont
von nicht viel länger als zehn bis fünfzehn
Jahre sein. Darüber hinaus ist viel möglich, aber eben sehr viel unbekannt.
Die derzeitige Energieinfrastruktur existiert
noch mehr als zehn Jahre. Aber worin
investieren wir in der Zukunft, beziehungsweise worin nicht? Will Linz eine eigene
Solarstromerzeugung in Südländern haben?
Offshore Wind in der Nordsee? Wieviel ist
uns Vor-Ort-Erzeugung beziehungsweise
Speicherung wert? Wollen wir uns auf Effizienz
251
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Klar ist, dass sich Linz im
Stadtgebiet nicht selbst mit
erneuerbarer Energie wie Biomasse,
Wind, Photovoltaik, Wasserkraft
versorgen können wird und immer
Energie antransportieren muss.
Energieeffizienz hat daher höchste
Bedeutung. Ein energieautarkes
Linz ist kurzfristig nicht möglich.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
„Meine Frage ist, ob man das KraftWärme-Kopplung-System in Linz
mit weiteren Pufferspeichern noch
optimieren kann. Das würde den
KWK-Anlagen ermöglichen, sich in
der gekoppelten Erzeugung stärker am
Strommarkt zu orientieren.“
ANDREAS KOLAR
konzentrieren? Die Technologien werden da
sein, aber treibt uns die Umweltfreundlichkeit, der Preis und damit die Wettbewerbsfähigkeit oder die Versorgungssicherheit?
Zur Photovoltaik auf den Linzer Dächern:
Machbar wäre es, derzeit ist aber es noch
wenig wirtschaftlich, am ehesten noch für
den Eigenbedarf. Die LINZ AG hat dazu
bereits umfassend Dächer evaluiert. Bei entsprechender Förderung wären entsprechende
Projekte sofort umsetzbar, zuletzt konnten aber
keine Förderverträge lukriert werden. Langfristig ist die Wirtschaftlichkeit sicher besser
einzuschätzen, trotzdem wird Photovoltaik
in Hinblick auf die erforderliche GesamtEnergiemenge nur ein kleiner Baustein sein.
SERDAR SARIÇIFTÇI
Wirtschaftlichkeit
Ich möchte meine Bedenken äußern, dass die
Versorgungssicherheit von Erdgas weiterhin
einfach und kostengünstig gegeben sein wird.
In der letzten Zeit haben die Beziehungen der
EU zu Russland stark gelitten. Wenn es den
Versorgern gelingt, einen eventuellen Totalausfall von russischem Gas kostengünstig zu
substituieren, dann ist es unbedenklich. Aber
ich bezweifle dies stark. Es werden im CrashFall sicherlich große staatliche Hilfen benötigt
werden, um Krisenlösungen installieren zu
252
können. Solche Krisenlösungen sind meistens
absurd teuer, wenn man nicht vorbereitet ist.
Ich möchte aber in einem solchen Fall dieselben
Wirtschaftlichkeitskriterien im Spiel sehen.
Es heißt immer: „Solarenergie braucht Subventionen.“ Ja, sicherlich. Aber die anderen
Energieformen brauchen oft viel mehr Subventionen, die aber politisch verschwiegen oder
absichtlich versteckt werden – man denke nur an
Kohlesubventionen und das Euroatomprojekt.
Deswegen habe ich ebenso große Abneigung
wie Unglauben, wenn Vertreter der Energiefirmen nur der Solarenergie Unwirtschaftlichkeit ankreiden und die anderen fossilen
Energieformen als „versorgungssicher“ oder gar
„effizient“ bezeichnen. Hier soll man zumindest
in der Diskussionsrunde Wahrheiten ansprechen
dürfen. Danach können ja die Energiefirmen
weiterhin ihre fossilen Strategien fahren, was
sie sowieso tun. In 10 bis 20 Jahren werden wir
uns an diese Diskussionen hoffentlich noch
erinnern. Danach werden wir oder unsere Kinder
hoffentlich die richtigen Entscheidungen treffen.
WOLFGANG DOPF
Solarenergie
Es scheint, dass Herr Sarıçiftçi den Eindruck
hat, dass ich gegen Solarenergie eingestellt bin.
Dem ist nicht so. Nur ist das Potenzial in Linz
Die Diskussion um Versorgungssicherheit mit
Erdgas ist nicht allein für Linz zu sehen – eine
Abhängigkeit existiert und wird bleiben. Immerhin hat jedenfalls im Fernwärmenetz 40 % der
Wärme ihren Ursprung weder in Erdgas noch
anderen fossilen Energieträgern. Hier liegt auch
der Vorteil der Fernwärme – warmes Wasser,
erhitzt, womit auch immer – kann die Gebäude
beheizen. Waren es früher Kohle und Öl, sind
es jetzt Abwärme aus der Stromproduktion
(aus Erdgas), Biomasse (auch Solarenergie) und
Reststoff. Zukünftig könnte auch hier solare
Warmwasser-Energie transportiert werden,
entsprechend große Jahresspeicher vorausgesetzt. Die LINZ AG arbeitet an einem solchen
Speicher – vorläufig auf wissenschaftlicher Ebene
in Kooperation mit universitären Partnern.
ANDREAS KOLAR
Kraft-Wärme-Kopplung
Die Stadt Linz setzt ja stark auf Versorgung
mit Fernwärme, es finden meines Wissens
auch weitere Netzverdichtungen statt,
sodass davon auszugehen ist, dass diese
Art der Versorgung in den kommenden
10 bis 15 Jahren weiter Priorität hat.
In Österreich ist die Förderung von Strom aus
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, die mit konventionellen Brennstoffen betrieben werden,
ausgelaufen. Eine Ausnahme stellt die Abgabenbefreiung der reinen Stromerzeugung nach
dem österreichischen Erdgasabgabegesetz dar.
Nun soll zwar 2015 das KWK-Punktegesetz
wirksam werden, die Geltungsdauer ist jedoch
auf vier Jahre begrenzt und die Auswirkungen
auf die Wirtschaftlichkeit der KWK-Anlagen
sind bei einem derartig niedrigen Strompreis überschaubar. Meine Frage ist jetzt, ob
man das System in Linz mit weiteren Pufferspeichern noch optimieren kann. Das würde
den KWK-Anlagen ermöglichen, sich in der
gekoppelten Erzeugung stärker am Strommarkt
zu orientieren. Gleiches gilt für das Thema Power
To Heat, wo der für Stromanwendungen nicht
benötigte Überschussstrom aus erneuerbaren
Energien den Einsatz von Primärenergieträgern
in KWK-Anlagen reduzieren könnte und ein
positives Momentum für die CO2-Bilanz hätte.
SERDAR SARIÇIFTÇI
Erneuerbare Energie
Meiner Meinung nach ist es wichtig, die neuen
Strategien der Energieversorgung in der
Stadt Linz sowie im Umfeld mehr und mehr
auf erneuerbare Energien aufzubauen. Die
politische Entscheidung wird sicherlich von
Bürgermeister, Stadtsenat und Gemeinderat
getroffen, aber in einer solcher Debatte wie
dieser kann und soll jeder Teilnehmer seine
Meinung äußern. So lauteten auch die Mission
und die Einladung dazu. Demnach respektiere
253
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
dafür limitiert – auch bei Vernachlässigung von
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Der Solarkataster der Stadt weist eine brutto-mögliche
Photovoltaik-Fläche von 6,9 Millionen Quadratmetern aus. Dachneigung, Eignungsgrad etc.
grob kalkuliert landet man bei ca. 300 MWp –
wenn weitgehend alle Dächer zugebaut sind.
Das ergibt eine Jahresproduktion von ca.
300.000 MWh. Der Bedarf in Linz liegt aber
bei 1.300.000 MWh – ohne Industrie! Daher
habe ich auch die Frage gestellt, ob Linz in
Photovoltaik-Anlagen außerhalb von Linz
beziehungsweise von Österreich investieren soll.
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
ich andere Vorschläge, aber ich stimme nicht
überein, dass wir „business as usual“ weitermachen sollen. Auch die US-amerikanische
Version des Schiefergas-Booms stößt sicherlich
weder bei mir persönlich noch bei einem Großteil der Linzer Bevölkerung auf Akzeptanz.
Solarenergie hat in Linz Potenzial, auch
wenn man nur die Dachflächen betrachtet.
Warum also nicht eine „1000 Solardächer
Aktion“ starten, wie der Einbau von Aufzügen
in Altbauten mit Hilfe der Stadt realisiert
wurde? Die Energie dieser Dächer soll die
LINZ AG im Netz aufnehmen und verteilen.
Somit wäre Linz wieder einmal Vorreiter.
Wenn man diese Solaranlagen bei heutigen
Energiepreisen mit Preisen für Solarpaneele
gegenrechnet, kann ich mir gut vorstellen,
dass sie auch fremdfinanziert werden könnten,
also der Stadt Linz keine Investitionskosten
verursachen. Umgekehrt hätte man nach
Abbezahlen der Anlagen mit dem erzeugten
Solarstrom nach zehn Jahren eine sehr
günstige Energiequelle. Denn bekanntlich
schickt Gott keine Rechnung für die Sonne,
Putin für seine Gaslieferungen aber schon.
254
„Meiner Meinung
nach ist es wichtig,
die neuen
Strategien der
Energieversorgung
in der Stadt Linz
sowie im Umfeld
mehr und mehr
auf erneuerbare
Energien
aufzubauen.“
SERDAR SARIÇIFTÇI
Eine nachhaltige, sichere und leistbare Versorgung bildet die Voraussetzung für Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit einer
Stadt. Die Versorgung mit Energie ist jedoch
komplexer als es auf den ersten Blick erscheint.
Einige Faktoren der Energiepolitik sind nicht
beeinflussbar, sie werden von außen diktiert. So
wie beispielsweise weltweite Klimaabkommen
oder Energiepreise an der Börse. Eine Stadt kann
trotzdem im eigenen Bereich Akzente setzen. Vor
allem, wenn es darum geht, wie das Gesamtbild
einer nachhaltigen Energieversorgung in einer
Stadt aussieht und welche zukunftsträchtigen
Entwicklungen vorangetrieben werden. Neue
Technologien und alternative Energiequellen
wie Solarenergie, Wasser- und Windkraft können
aufgrund eines begrenzten Raumes nur unter
schwierigen Bedingungen beziehungsweise
mit kreativen Umsetzungsstrategien verwendet
werden. Dennoch sollte man darauf setzen, mit
Weitblick zu handeln und eine Pionierrolle einzunehmen. Die Definition, Fernwärme in Linz
als vorrangiges Heizsystem zu etablieren, stellte
eine richtungsweisende Entscheidung dar.
Die Fernwärme der LINZ AG versorgt die
LinzerInnen mit sauberer, sicherer und kostengünstiger Wärme. Als soziale Beheizungsart
steht für mich der Ausbau des Fernwärmenetzes
an oberster Stelle. In den Ausbau und die Verdichtung des Fernwärmenetzes in Linz fließen
etwa 2015 rund 12 Millionen €. Somit können
3.000 neue Wohnungen in der Landeshauptstadt
an das Fernwärmenetz angeschlossen werden.
Das Ziel, insgesamt 70.000 Wohnungen mit
Fernwärme zu versorgen, wäre somit erreicht.
Als Zukunftsvision über das Jahr 2015 hinaus
wäre ein Ausbau auf 90.000 (von insgesamt
108.000) Linzer Wohnungen vorgesehen. Damit
gilt Linz auch in Zukunft als „Fernwärmehauptstadt“ in Österreich. Dieser Erfolg hat
aber auch einen Grund: Österreichweit hat Linz
dank eines schlüssigen Gesamtkonzepts mit
Abstand die niedrigsten Fernwärmepreise.
Im Dezember 2005 nahm Linz als erste Landeshauptstadt in Österreich ein Biomasseheizkraftwerk in Betrieb. Aus naturbelassenen Brennstoffen gewinnen wir Strom und Fernwärme.
Linz war damit die erste Landeshauptstadt, die
Strom und Fernwärme aus nachwachsenden
Rohstoffen erzeugte und leistet damit auch
einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der
CO2-Emissionen. Ein wichtiger Schritt zur
nachhaltigen Sicherung und zur Vollversorgung war der Ausbau des bestehenden Gasund Dampfturbinenkraftwerks Linz-Mitte.
Mit der Errichtung des Reststoff-Heizkraftwerks
setzt die LINZ AG einen weiteren Meilenstein
für eine nachhaltige Energieversorgung sowie
für eine kostengünstige und umweltfreundliche Abfallwirtschaft. Das Reststoff-Heizkraftwerk ermöglicht wesentliche Synergien bei der
Abfall- und Abwasserentsorgung sowie bei der
Fernwärme- und Stromerzeugung. Es ergänzt
die bereits realisierten Innovationen wie Biomasse-Kraftwerk oder die neue Anlage mit
Kraft-Wärme-Kopplung im Fernheizkraftwerk
Linz-Mitte. Diese Investition zeigt, dass Linz
nachdrücklich auf umweltfreundliche Technologien setzt. Perspektivisch werden wir darauf
bauen, erneuerbare Energiekonzepte umzusetzen. Die im Dialog mehrfach angesprochene
255
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
KLAUS LUGER
Fernwärmehauptstadt, erneuerbare
Energiekonzepte, Energieeffizienz
„Linz kann sich mit diesem hohen
Versorgungsgrad bereits jetzt mit Recht
als ‚Fernwärmehauptstadt‘ bezeichnen.
In Zukunft liegt unser Augenmerk auf
Energieeffizienz und Erzeugung von
Solarenergie.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
KLAUS LUGER
Solarenergie stellt meines Erachtens für Linz
ein Potenzial dar. Vor allem die Nutzung
von Dächern und Fassaden für diese Art der
Energieerzeugung und auch die bereits von
der LINZ AG durchgeführten umfassenden
Evaluierungen zeigen, dass der Weg umweltfreundlicher Energieerzeugung auch in
Linz bereits in den Köpfen verankert ist.
Bei den Diskussionen über unterschiedliche
Formen der Energieerzeugung sollten wir uns
darüber Gedanken machen, energieeffizienter
zu leben. Steigender Energiebedarf und höhere
Energiekosten erfordern von Unternehmen wie
von Privathaushalten einen besseren Überblick über den Energieverbrauch sowie einen
schonenden Umgang mit Ressourcen. Oft verursachen versteckte Energiefresser unnötige
Kosten. Vielfältige Einsparpotenziale sind
vorhanden, meist sind sie aber nicht auf Anhieb
sichtbar oder bewertbar. EnergienutzerInnen
sollten aus meiner Sicht angeregt und unterstützt werden, ihr Handeln und ihren Energieverbrauch zu optimieren. Web-Technologien und
Smartphones ermöglichen individuelle Energieinformation auf verständliche Art und setzen
so Anreize zum Energiesparen im Haushalt.
256
Solarenergieerzeugung
auf Dächern und Fassaden
Kontinuierlicher Ausbau
des Fernwärmenetzes
Aufbau von
Web-Applikationen
zur persönlichen
Energieverbrauchs­
gestaltung
257
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
VISIONEN
FÜR LINZ
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
DR. HARALD SCHÖFFL
Facharzt für Unfallchirurgie
und Sporttraumatologie,
Spezialist für Handchirurgie,
Geschäftsführer BioMed-zet
Life Science GmbH
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
• Studium der Medizin in Wien und Innsbruck
• Oberarzt an der Unfallchirurgie des AKh Linz,
Leiter der Handambulanz
• Gründer des maz – Mikrochirurgisches
Ausbildungs- und Forschungszentrums und
Vorsitzender der Geschäftsführung der Biomed-zet
Life Science GmbH
Experte für Handchirurgie und
gemeinnütziges medizinisches
Forschungsmanagement
DR. HEINZ BROCK,
MBA, MPH
Medizinischer Direktor und
Geschäftsführer des Allgemeinen
Krankenhauses Linz
Designierter medizinischer
Geschäftsleiter der Kepler
Universitätsklinikum GmbH
• Studium der Medizin in Innsbruck
• Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin
• Leitender Oberarzt der Operativen Intensivstationen
des AKh Linz
Experte für Krankenhausmanagement und
Gesundheitswirtschaft
MAG.A DR.IN ANDREA WESENAUER
Direktorin der Oberösterreichischen
Gebietskrankenkasse
Universitätsrätin an der Johannes Kepler
Universität Linz
Obfrau der österreichischen Gesellschaft
für Care- und Casemanagement
• Studium der Betriebswirtschaftslehre in Linz und
Gruppendynamik und Organisationsentwicklung in Klagenfurt
• Ressortdirektorin für Kundenservice und medizinische
Einrichtungen der OÖGKK
• Managerin der Controllingruppe der österreichischen
Sozialversicherung
Expertin für Controlling, Innovationsmanagement,
Systemsteuerung, Balanced Score Card
und soziale Verteilungsgerechtigkeit von
Gesundheitsleistungen
260
GESUNDHEIT
Linz bekommt eine Medizin-Uni.
Zur Krönung ihres guten
Gesundheitssystems werden in der
Stadt nun auch Oberösterreichs
ÄrztInnen der Zukunft ausgebildet.
Mehr StudentInnen, bessere MedizinerInnen,
optimale Synergien und vor allem viele
Kooperationschancen in der medizinischen
Forschung und Technik sind Versprechen, für
die die Stadt in Kauf nimmt, nicht mehr alleinige
Eigentümerin des AKh zu sein. Linz macht
einen weiteren Schritt in der Entwicklung des
universitären Ausbildungsangebots.
Und einen Riesensprung bei den Bemühungen, die
Standortregion soweit aufzuwerten, dass sie den
Herausforderungen der Zukunft begegnen kann.
261
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
HARALD SCHÖFFL
Universitätsklinikum
Aus meiner Sicht – der eines Krankenhausarztes – ist das Thema „Schaffung der Universitätskrankenanstalt“ wohl eines der
brennendsten Themen im städtischen Gesundheitskontext. Wie gelingt es uns, die hohe
Versorgungsqualität des AKH Linz, die hohe
Effizienz – im Vergleich zu anderen Kliniken
dieser Größe – bei gleichzeitiger Übernahme
neuer Aufgaben wie Forschung und Lehre aufrecht zu erhalten? Wie schaffen wir, die ärztlichen und nicht-ärztlichen MitarbeiterInnen
bei diesem Projekt an Bord zu holen und
an Bord zu halten? Wie schaffen wir einen
Mehrwert, wie heben wir Synergien und
wie gehen wir mit den Ängsten um?
Ich halte die intensive, positive und zukunftsorientierte Einbindung des ärztlichen Mittelbaus
für ganz entscheidend für den Erfolg dieses
wahrscheinlich bedeutendsten medizinischen
Schritts der Weiterentwicklung des Standortes
Linz. Unsere Stadt ist ein technologielastiger
universitärer Standort, daher werden viele
Synergien mit technischen Instituten der JKU
zu heben sein (Stichwort: Medical Valley).
Wir sollten auch über die Verflachung von
Hierarchien nachdenken: Primarius/Ordinarius
als Klinikgötter versus Consultant Team.
Die Durchlässigkeit zwischen interner und
externer Tätigkeit müsste größer werden.
Hier sehe ich ein großes Potential zur
Motivierung von angestellten FachärztInnen.
Ebenso muss es gelingen, eine Durchlässigkeit zwischen akademischer Tätigkeit, Klinik-Lehre-Forschung und ärztlicher
262
Versorgungstätigkeit zu schaffen. Nur wenn
die positiven Perspektiven überwiegen, wird
die große Gruppe der versorgungswirksamen
ÄrztInnen diese große Chance erkennen und
nicht die Flucht in die gelobte Praxis anstreben.
ANDREA WESENAUER
Chancen der Medizin-Fakultät
In meiner Funktion bin ich letztendlich für
die Gesundheitsversorgung von 1,2 Millionen
Menschen verantwortlich. Aus diesem Blickwinkel ist das Thema Medizin-Fakultät für mich
ein sehr zentrales, mit folgenden Chancen:
1. Die Neuausrichtung der MedizinerInnenAusbildung, um den inhaltlichen Bedarf der
Zukunft und auch jene Themengebiete abzudecken, die derzeit zu wenig oder gar keine
Berücksichtigung finden (vor allem Altersmedizin, Versorgungsforschung, Public Health).
2. Es wird dadurch möglich, sowohl inhaltlich
als auch mengenmäßig jene MedizinerInnen
auszubilden, die nötig sind, um den Bedarf
der Zukunft in Oberösterreich zu decken.
3. Im Zusammenwirken mit der OÖGKK
als zentrale Gesundheitsversorgerin (80 %
der oberösterreichischen Bevölkerung sind
hier versichert) und den übrigen Finanziers
kann mit diesen ÄrztInnen eine zukunftsweisende Versorgung in Oberösterreich
sichergestellt werden, welche nicht nur Rücksicht auf Gesundheitsförderung und Prävention in der nötigen Weise nimmt, sondern
auch strukturierte Betreuungsprogramme,
interdisziplinäre Zusammenarbeit und dergleichen im nötigen Umfang ermöglicht.
HEINZ BROCK
Letztendlich wird dadurch ein mehrfacher
Nutzen gehoben:
• nach dem Stand der Wissenschaft ausgebildete
MedizinerInnen
• eine weitere Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Oberösterreich mit noch besseren
Outcomes = mehr Gesundheit = mehr Lebensqualität für die Menschen
• das bedeutet in letzter Auswirkung auch
entsprechende „Humanressourcen“ = nachhaltige Absicherung des Wirtschaftsstandortes
Oberösterreich
Projekt mit sehr großem Veränderungspotenzial für die Stadt Linz, die Universität
und die Krankenhäuser in Linz und Oberösterreich. Welche Auswirkungen dieses
Projekt auf die Gesundheitsversorgung oder
letztlich auf den Gesundheitszustand der
Bevölkerung haben wird, ist aber noch keineswegs klar. Ausbildung, Forschung, Vernetzung
und die definierten inhaltlichen Schwerpunkte sind gute und richtige Konzepte – ob
sie die gewünschten Effekte zeigen, wird
sich erst in vielen Jahren beweisen lassen.
Zusätzlich können sich große Chancen für die
JKU ergeben. Das Thema Medizin in Verbindung
mit den übrigen Fakultäten – Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Jus und Technik – birgt
großes Potenzial in allen Bereichen. Eine schwerpunktmäßige Vernetzung in diesem Bereich
gibt es im deutschsprachigen Bereich nirgends,
was bedeutet, dass eine Differenzierung zu
bestehenden Standorten in Österreich möglich
wird und dass die strategische Positionierung
auch internationale Chancen bieten könnte.
Eine andere Frage von hoher Aktualität
betrifft die Aufrechterhaltung des sozialen
Charakters und der Niederschwelligkeit
unserer Gesundheitsversorgung. Gerade in
Linz haben wir diesbezüglich ein soziales
Vorzeige-Modell. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist bestens ausgestattet und
qualitativ auf höchstem Level. Durch eine
tendenziell zunehmende Privatisierung der
Gesundheits-Dienstleistungs-Anbieter könnte
dieses Modell gefährdet werden. Welche Ideen
gibt es, diesem Trend entgegenzuwirken?
HEINZ BROCK
Soziale Gesundheitsversorgung
Das Thema Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum ist derzeit natürlich das
dominante, und nicht wenige von uns werden
davon neben ihren beruflichen Aufgaben erheblich in Anspruch genommen. Es ist ja auch
ein herausforderndes und chancenreiches
HARALD SCHÖFFL
Private vs. öffentliche Medizinleistungen
Zusammenfassend zur Medizin-Fakultät
möchte ich festhalten – und dies deckt sich
mit meiner persönlichen Wahrnehmung:
Das Führungspersonal sieht überwiegend
Chancen, Möglichkeiten und Potenzial. Die
263
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Die öffentliche Gesundheitsversorgung
ist bestens ausgestattet und qualitativ
auf höchstem Level. Durch eine
tendenziell zunehmende Privatisierung
der Gesundheits-DienstleistungsAnbieter könnte dieses Modell
gefährdet werden.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
MitarbeiterInnen – ärztliche wie nicht-ärztliche – fühlen sich unwohl, scheuen die Veränderung und fürchten die Gefahren. Vor allem
überwiegt die Angst vor weiterer Zunahme
der Aufgaben bei sinkenden Einkommen.
Ich gebe Heinz Brock völlig recht: Unser Gesundheitswesen ist absolut niederschwellig und
gerade in Linz sehr gut aufgestellt, dies wird
jedoch nicht immer so vermittelt oder so wahrgenommen. Gerade die zunehmenden privaten
Anbieter medizinischer Leistung vermitteln
oft – etwa über bezahlte Gesundheitsbeilagen in
den Medien – das Gefühl, dass das öffentliche
Gesundheitswesen nicht die „besten Verfahren“
bieten würde, sondern diese eben privat bezahlt
werden müssen oder nur von „besonderen
Spezialisten“ – die scheinbar über geheimes
Wissen verfügen – gegen Bares erbracht werden.
Ich halte die finanz-getriggerte Indikationsstellung zu Eingriffen/medizinischen Handlungen aber für höchst problematisch, und
hier fehlen auch Regulationsmechanismen
und Rückkopplungs-Schleifen, da sie eben
von mehr oder weniger begabten Marketingleuten als Einzelpersonen erbracht werden. Wie
gelingt es uns, das absolute Topniveau, das
unser öffentliches Gesundheitswesen bietet,
auch als solches eindeutig zu positionieren?
Die Kammer wird das zwar anders
sehen, aber ich denke, dass das Einzelkämpfertum ein Auslaufmodell ist.
264
HEINZ BROCK
Umbrüche und Herausforderungen
In den vergangenen Monaten sind im österreichischen Gesundheitssystem entscheidende
Weichenstellungen passiert, welche unmittelbare Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Linzer Bevölkerung haben werden.
Erstens hat die bereits erwähnte Medizinische
Fakultät in Linz inzwischen deutliche Gestalt
angenommen und eröffnet hinsichtlich Ausbildung und Wissenschaft neue Perspektiven
für die Stadt und die Region. Die Vision der
JKU, mit innovativen Inhalten des Curriculums
Ärztinnen und Ärzte „Linzer Prägung“ heranzubilden, die auf die Bedürfnisse unserer
Bevölkerung zeitgemäß vorbereitet sind, könnte
zum Alleinstellungsmerkmal der Linzer Universität werden und den aufgeschlossenen
Charakter dieser Stadt widerspiegeln. In
jedem Fall ist aber ein kräftiger Impuls für die
Forschung und in weiterer Folge auch für die
Wirtschaft am Standort zu erwarten, wenn
der Aufbau der Medizinischen Fakultät planmäßig erfolgen und das Universitätsklinikum
die gesetzten Erwartungen erfüllen kann.
Der Erfolg der Jahrhundert-Projekte
Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum
ist aber keineswegs mühelos zu erreichen oder
mit risikofreier Garantie ausgestattet. Die zweite
wesentliche Entwicklung im österreichischen
Gesundheitswesen spielt sich nämlich mit
derzeit zunehmender Dramatik im Personalsektor ab. Speziell bei Ärzten spitzt sich der
Nachwuchsmangel zu und droht sich auf die
Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität
auszuwirken. Die im letzten Jahrzehnt realisierte
HARALD SCHÖFFL
Reduktion der Studienplätze an den Medizinuniversitäten und die gleichzeitige Verringerung
der Ärzte-Arbeitszeiten in den Spitälern sind
für den derzeitigen Personalmangel hauptsächlich verantwortlich. Die neuen Aufgaben und
Anforderungen der Forschung und Lehre in der
Fakultät und im Klinikum werden aber nur mit
zusätzlichem Personal zu bewältigen sein. Der
Wettbewerb um die qualifizierten Mitarbeiter
wird letztlich zum entscheidenden Erfolgsfaktor der neuen medizinischen Versorgungsstruktur in Linz werden. Die Attraktivität des
Arbeitsplatzes und die gebotenen beruflichen
Perspektiven werden wohl die wichtigsten
Argumente in diesem Wettbewerb sein.
Als dritte immer stärker wahrnehmbare Entwicklung im Gesundheitswesen Österreichs
sehe ich die wachsende Unzufriedenheit der
Ärzteschaft mit ihrer beruflichen und sozialen
Situation. Für viele andere Gesellschaftsgruppen unverständlich, wähnt sich der Ärztestand nicht ausreichend wertgeschätzt und
honoriert. Die noch immer gegebene soziale
Spitzenposition droht verlustig zu gehen und
dies hauptsächlich durch leistungsbedingte
Einkommensreduktionen und regulatorisch
erzwungenen Einbußen der Autonomie. Mit der
nachvollziehbaren Forderung der „Generation Y“
nach einer anderen, Berufsgruppen vergleichbaren Work-Life-Balance schwindet allerdings
auch das Anrecht der Ärzteschaft auf ihre
traditionelle soziale Sonderstellung. Die
Forderungen der Interessensvertretung nach
einer weit überproportionalen Anhebung der
Gehälter müssen bei deren Befriedigung zwangsweise in gesellschaftliche Konflikte und Entsolidarisierung münden. Das aktuelle Dilemma,
in welchem das Gesundheitswesen gefangen
ist, kann vereinfacht so beschrieben werden:
Setzt die Interessensvertretung des Ärztestandes aufgrund ihrer starken Verhandlungsposition die Forderungen nach gravierenden
Lohnerhöhungen durch, werden andere Berufsgruppen des Gesundheitssystems, beispielsweise die Pflege, aber auch Berufsgruppen
anderer Branchen ebenfalls zu Kampfmaßnahmen greifen. Werden die Erwartungen der
Ärzteschaft hingegen nicht in zuträglichem
Maße erfüllt und nimmt die Unzufriedenheit
der ärztlichen Beschäftigten im öffentlichen
Dienst weiter zu, werden diese vermehrt in
privatwirtschaftliche Anbieterstrukturen ausweichen und somit den Weg zu einer echten
Zweiklassenmedizin unumkehrbar machen.
Szenarien wie die eben aufgezeigten gefährden
die qualitativ erstklassige und sozial faire
Gesundheitsversorgung der Stadt Linz akut.
Trotz dieser geschilderten Umbrüche und
Herausforderungen, mit welchen sich das
Gesundheitssystem derzeit und in nächster
Zukunft konfrontiert sieht, gibt es ausreichend
Potenziale in der Stadt Linz, diese anstehenden
Probleme besser als andere Kommunen zu
meistern. Die Chancen, den Standort attraktiv
265
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Wir wollen
einen weiterhin
niederschwelligen
Zugang zum
Gesundheitswesen
mit hoher
Versorgungsqualität.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
aufzuwerten, welche sich durch die Medizinische
Fakultät und das Universitätsklinikum auftun, können kreativ und produktiv genutzt
werden, wenn das soziale Klima intakt bleibt.
Der solidarische und maßvolle Blick auf das
Umfeld darf bei künftigen Einkommensdebatten dabei nicht verloren gehen.
Zusätzlich wird eine Umverteilung der Versorgungsaufgaben auf nicht-ärztliche Berufsgruppen dringend geboten sein. Letzteres könnte
im Einflussbereich der Stadt Linz beispielgebend
für andere Städte konkret umgesetzt werden.
HARALD SCHÖFFL
Veränderungen
Zusammenfassend möchte ich die zurzeit wichtigsten Themenfelder der
Medizinischen Versorgung skizzieren:
Wir wollen einen weiterhin niederschwelligen
Zugang zum Gesundheitswesen mit hoher
Versorgungsqualität. Gleichzeitig fehlt es
an ärztlichem Nachwuchs, da einerseits die
AbsolventInnenzahlen zu niedrig sind und
andererseits junge KollegInnen ins besser
bezahlte Ausland wechseln. Derzeit fehlen in
Österreichs Spitälern so viele ÄrztInnen, dass
diese offenen Stellen durch AbsolventInnen
nicht besetzbar sind. Gleichzeitig ist der Unmut
der angestellten ÄrztInnen so groß wie schon
sehr lange nicht mehr. Appelle an Solidarität,
Loyalität und soziale Verantwortung werden
nicht ausreichen, um das Stimmungstief zu überwinden, denn zu lange haben alle Träger sich
mit Wertschätzung zu sehr zurückgehalten. Das
versorgungswirksame Rückgrat der Spitäler sind
die angestellten Fach- und OberärztInnen und
266
die gilt es wieder ins Boot zu holen. Dabei sind
adäquate und faire Besoldungsschemata genauso
wichtig wie die Verflachung von Hierarchien und
die Schaffung von Verteilungsgerechtigkeit.
Auch ein Umbau der medizinischen Landschaft
wird wohl in den nächsten Jahren notwendig
sein. Periphere Facharztzentren mit Tagesklinik
könnten die Basisversorgung in vielen Bereichen
effizienter abdecken als ein Krankenhaus mit
inkompletter Fachbereichsstruktur. Die Umverteilung von Versorgungs- und Verwaltungsaufgaben auf nichtärztliche Berufsgruppen ist eine
weitere Möglichkeit der Effizienzsteigerung
und Optimierung von Versorgungsstrukturen.
Ein wesentlicher Beitrag zur Optimierung
hierarchischer Strukturen wäre die regelmäßige Evaluierung der Leitungspositionen
in Spitälern. Während sich in Wirtschaftsunternehmen die Führungskräfte – vom
Vorstand über die Geschäftsführung bis
zu den AbteilungsleiterInnen – regelmäßigen Überprüfungen stellen müssen,
gilt in der Medizin: einmal Primar, immer
Primar – bis auf krasse Einzelfälle.
Die Zunahme von psychischen Belastungserkrankungen als gesellschaftliches Phänomen
zeigt auch im medizinischen Bereich, dass wir
Handlungsbedarf haben und in einem intensiven
interdisziplinären Dialog an Konzepten für die
Zukunft arbeiten müssen. Dieser Dialog darf
aber nicht von Einzelinteressen getrieben sein,
sondern muss auf eine ausgewogene und faire
Auseinandersetzung mit den multifaktoriellen
Ursachen der Probleme eingehen. In diesem
Sinne wünsche ich mir viele Veränderungen,
die auf Fairness und Wertschätzung beruhen.
ANDREA WESENAUER
ANDREA WESENAUER
Ganzheitliche Gesundheitsversorgung
Eine Lebensstadt Linz ist undenkbar ohne
Gesundheit. Aber wie ermöglichen wir den
Menschen mehr Gesundheit – wo wird Gesundheit also „produziert“, und was sind die
Faktoren, die unsere Gesundheit schwächen?
Die Wissenschaft sagt uns, dass es vor allem
die Lebensumstände sind – also Arbeit,
Wohnen, Bildung, sozialer Status und so
weiter –, die wesentlich unsere Chancen auf
ein langes, gesundes Leben beeinflussen.
Spätestens hier wird klar, dass die oft zu
beobachtende Gleichsetzung von „Gesundheit“ und „Gesundheitssystem“ zu kurz
greift oder gar am Thema vorbeigeht. Die
medizinische und pflegerische Versorgung
von kranken Menschen – aller kranken
Menschen! – ist eine der wichtigsten Aufgaben
in einer solidarischen Gesellschaft, und auch
die beste Prävention kann diese Versorgung
nicht überflüssig machen. Der Anteil des
Krankenversorgungssystems an der Verbesserung der Gesundheit der
Gesamtbevölkerung wird aber meist weit überschätzt. Wissenschaftliche Schätzungen gehen
für die reichen Länder von einem Einfluss
der Medizin von lediglich 10 bis 30 % aus.
Die finnische EU-Ratspräsidentschaft 2006
stand daher unter dem Motto: „health in all
policies“ – also dem Gedanken, dass alle Politikfelder dazu beitragen können und müssen, die
Gesundheit der Menschen zu stärken: Von der
Ernährungs- über die Wohnbau- und Sozial- bis
zur Verkehrspolitik. Eine Stadtpolitik, die sich
wie in Linz zentral an der Lebensqualität in
einem urbanen Umfeld orientiert, steht dieser
„health in all policies“ Philosophie sehr nahe.
Im Gesundheitssystem selbst stehen in Österreich große Herausforderungen und wohl auch
Umbrüche bevor. Dabei kommt der Ausbildung
der Gesundheitsberufe und hier besonders der
Ärztinnen und Ärzte der Zukunft natürlich eine
Schlüsselrolle zu. Österreich verfügt über eine
der weltweit höchsten Ärztedichten – aber wir
267
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„‚Health in all policies‘ meint, dass
alle Politikfelder dazu beitragen
können und müssen, die Gesundheit
der Menschen zu stärken. Von der
Ernährungs- über die Wohnbau- und
Sozial- bis zur Verkehrspolitik. Eine
Stadtpolitik wie in Linz steht dieser
Philosophie sehr nahe.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
haben auch ein Versorgungssystem, das extrem
viele Ärzte benötigt, vor allem im Spitalssektor.
In der Primärversorgung fehlt es teilweise an
wirksamen Versorgungsprogrammen für die
großen Volkskrankheiten, da Verbindlichkeit,
etwa konkrete Versorgungsaufträge, dem österreichischen Versorgungssystem ebenso fremd
sind wie definierte Leitlinien für Patienten.
Primary Health Care – also eine über die Primärversorgung hinausgehende Gesundheitsversorgung, die auch die Laienmedizin, die Unterstützung der familiären Gesundheitsversorgung
von Kindern oder auch chronisch Kranken
zu Hause sowie die Gesundheitsförderung
umfasst, ist in Österreich ebenso bisher nur in
Konzepten vorhanden. All das erfordert nicht
nur ein neues ärztliches Berufsbild, sondern
auch andere Ausbildungskonzepte. Während
heute die Ausbildung vor allem am „intensivmedizinischen“ Ende der Skala orientiert ist,
brauchen wir in Zukunft Ärztinnen und Ärzte,
die im Team und auf Augenhöhe mit anderen
Gesundheitsberufen vor allem in der Primärversorgung wirksam werden. Und: Wir werden wohl
in Zukunft mit etwas weniger Ärztinnen und
Ärzten auskommen müssen als heute – womit wir
immer noch weit jenseits aller internationalen
Schnitte liegen werden, aber dennoch nicht ohne
substanzielle Veränderungen an Versorgungsprozessen und Strukturen auskommen werden.
Linz hat sich als vierter öffentlicher Studienstandort Österreichs in diesem Zusammenhang
hervorragend positioniert. Anstelle „mehr vom
Gleichen“ entsteht hier ein Ausbildungskonzept,
das sich vor allem an den Bedürfnissen der
PatientInnen orientiert und dabei die jungen
MedizinerInnen für ihre immer komplexeren
268
Aufgaben – etwa in der Kommunikation mit
den PatientInnen oder in der Zusammenarbeit
mit anderen BehandlerInnen – optimal vorbereitet. Ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin,
für Versorgungsforschung, die wegweisende
Kooperation mit den anderen Fakultäten etwa
im Bereich der Gesundheitssoziologie und
-ökonomie oder mathematischer Grundlagenforschung für modernste bildgebende Diagnostik
sind klare Zeichen eines modernen, vernetzten
und ganzheitlichen Verständnisses von Gesundheitsversorgung. Auch als OÖGKK können wir
viel in die Kooperation mit der neuen Fakultät
und der Universitätsklinik einbringen, sei es
als wesentliche „Arbeitgeberin“ für niedergelassene ÄrztInnen, als Lieferantin wertvoller Daten und Analysen für die Forschung,
etwa über die Wirksamkeit von Versorgung
bis hin zum gesundheitsökonomischen
und Gesundheitsförderungs-Know-how.
Im Projekt der Medizinfakultät Linz greifen
also ganz wesentliche Gedanken der aktuellen
Gesundheitsreform nahtlos ineinander.
Gesundheit zählt zu den wichtigsten Grundbedürfnissen der Menschen. Das Credo „Gesundheit für alle“ steht für mich im Mittelpunkt.
Mit großem Engagement setzt sich die Stadt
für die Verbesserung des Gesundheitswesens
in Linz ein. Dabei wird großes Augenmerk auf
eine moderne Infrastruktur und ein dichtes
Netz an Präventionsangeboten gelegt. Wir
erfüllen als zentrales Kompetenzzentrum für
Gesundheit eine tragende Rolle bei der Versorgung der oberösterreichischen Bevölkerung.
Neben dem AKh Linz als medizinisches
Exzellenzzentrum und zentraler Krankenanstalt der künftigen Universitätsklinik sorgt
ein umfassendes Gesundheitsnetzwerk mit
zahlreichen Institutionen, Organisationen und
Vereinen für ein seriöses Fundament einer
qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Gemeinsam mit anderen TrägerInnen
des Gesundheitswesens bildet Linz das
kommunale Netzwerk „Gesunde Stadt“. Seit
1991 zählt unsere Stadt zu den Gründungsmitgliedern dieses Netzwerkes und setzt in diesem
Rahmen zahlreiche Förderungsaktivitäten.
Orientierungspunkte der Linzer Gesundheitspolitik sind die im Jahr 2012 vom Linzer
Gemeinderat beschlossenen zehn Gesundheitsziele. Ausgearbeitet wurde das Konzept
in Kooperation mit dem Institut für Gesundheitsplanung, der Gebietskrankenkasse, der
Ärztekammer sowie dem Land Oberösterreich.
Linz bietet in der schulischen Gesundheitsförderung ein breites und auf unterschiedliche
Altersklassen abgestimmtes Informations- und
Beratungsangebot, zum Beispiel die Projekte
„Gesunde Schuljause“, „Gesunde Bewegung“, „Fit
im Schulalltag“. Derzeit sind in Linz acht Schulen
mit dem Zertifikat „Gesunde Schule“ ausgezeichnet. Ziel ist es, diese Zahl bis zum Jahr
2020 auf mindestens 30 Linzer Schulen, das
entspricht 20 %, auszuweiten. Die Ernährungssituation in den ersten Lebensjahren wirkt
sich ebenso auf die Gesundheit des gesamten
späteren Lebens aus. Junge Eltern erhalten in
14 städtischen Eltern-Mutterberatungs-Stellen
zum Thema Ernährung professionelle Unterstützung. Jährlich finden 14.700 Beratungen
statt. Hohe Qualitätsstandards für ein ausgewogenes und gesundes Mittagessen setzt
die Stadt Linz in ihren Krabbelstuben und
Kindergärten um. In den nächsten Jahren
soll das bedarfsgerechte Informationsangebot für Eltern weiter ausgebaut werden.
Die Stadt Linz setzt eine Reihe von Anreizen,
die zur Steigerung der körperlichen Aktivitäten von Jugendlichen führen sollen. Einerseits bietet Linz wie kaum eine andere Landeshauptstadt mit ihren zahlreichen Sport- und
Freizeitflächen eine vielfältige Infrastruktur
für Bewegung. Andererseits geht die Stadt mit
pädagogischen Projekten wie „Bewegungsdino“
oder „Fit im Schulalltag“ aktiv auf Kinder und
Jugendliche zu. Seit 2012 laufen auch mehrere
Kooperationsprojekte zwischen Sportvereinen
und Schulen. Ziel der Stadt Linz ist es, den
Anteil der 11-19-Jährigen, die einmal täglich eine
Stunde sportlich aktiv sind, auf mindestens 25 %
zu heben. Die „tägliche Bewegungsstunde“ im
Regelunterricht wird dieses Ziel unterstützen.
269
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
KLAUS LUGER
Gesundheitsförderung, Prävention
und Spitzenmedizin
„Der Zugang zur Spitzenmedizin für die
gesamte Bevölkerung wird durch die
Kepler Universitätsklinik nochmals
verbessert. Wir sollten uns zudem ganz
besonders der Vorbeugung widmen.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
KLAUS LUGER
Die Stadt Linz fördert die zahlreichen Aktivitäten des Instituts für Suchtprävention und
von Vereinen, die in diesem Bereich aktiv sind.
Derzeit sind in Linz ca. 1.000 MultiplikatorInnen
zur Suchtprävention aktiv, die jährlich
31.000 Personen mit Aktivitäten, wie Workshops in Schulen oder Impulsvorträgen
erreichen. Bis 2020 soll die Anzahl der
erreichten LinzerInnen auf 40.000 erhöht
werden. Besonders sollen alkoholgefährdete
Jugendliche angesprochen werden.
Die gestiegenen Anforderungen im beruflichen und privaten Alltag der Menschen
erfordern ein stabiles psychisches Fundament,
das bereits in jungen Jahren gelegt wird. Das
Bündnis für psychische Gesundheit (EXITsozial, Landesnervenklinik Wagner-Jauregg,
Notfallseelsorge, Telefonseelsorge, pro mente,
pro homine, Rotes Kreuz) arbeitet derzeit an
Modellprojekten und Umsetzungsstrategien.
Ziel bis zum Jahr 2020 ist die Umsetzung und
Evaluierung zielgruppengerechter Projekte.
Effiziente Lösungen erfordern das
Zusammenspiel vieler AkteurInnen unterschiedlicher Disziplinen (Medizin, Soziologie, Trägerorganisationen). Ziel sollte
es sein, die bestehenden Vernetzungen
konzentrierter für themenorientierte
Lösungsansätze zu nutzen. Bis 2020 sollen
spezielle Pilotprojekte umgesetzt werden.
Mehr als 200.000 PatientInnen werden pro Jahr
in den Linzer Krankenhäusern von mehr als
1.500 ÄrztInnen behandelt. 6 von 10 stationären
PatientInnen in den Linzer Spitälern kommen
270
aus dem restlichen Oberösterreich oder anderen
Bundesländern. Durch die neue Medizinische
Fakultät wird die Zahl der ÄrztInnen in der Universitätsklinik um rund 160 steigen. Die neue
Universitätsklinik – bestehend aus dem AKh
Linz, der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg
sowie der Landes-Frauen- und Kinderklinik
Linz – wird künftig nicht nur zur zentralen
Drehschreibe für Spitzenmedizin in Oberösterreich, sondern bringt zudem eine Aufwertung der Fachhochschul-Studiengänge
für Sozial- und Gesundheitsberufe sowie der
Medizintechnik. Seit Herbst 2010 sorgt die
Fachhochschule für Gesundheitsberufe – eine
Kooperation zwischen der OÖ. Spitalsholding
„gespag“, dem AKh Linz sowie den OÖ. Ordensspitälern – für eine Bündelung und Vertiefung
der Kompetenzen. So entstehen neue Chancen
und Potenziale sowie eine wertvolle Ergänzung
zu den geplanten Schwerpunkten „Klinische
Altersforschung“ und „Versorgungsforschung“
im neuen Medizin-Studium. Der AKh-Campus
in Linz ist dabei zentraler Standort für vier der
sieben Bachelor-Studiengänge: Biomedizinische
Analytik, Logopädie, Physiotherapie und Radiologietechnologie. Die künftige Universitätsklinik als das neue medizinische Kompetenzzentrum Oberösterreichs bündelt nicht nur
Wissenschaft, Ausbildung und Praxis, sondern
leistet darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Spitzenmedizin in Oberösterreich.
Das städtische Krankenhaus liefert in vielen
Bereichen medizinische Exzellenz und sorgt
so für einen Zugang zu spitzenmedizinischen
Leistungen für die Bevölkerung von Linz
und ganz Oberösterreich. In einem aktuellen
Ranking, das auf einer österreichweiten
Befragung von 500 ÄrztInnen beruht, liegt das
AKh Linz in der Kardiologie/Herz-Chirurgie
und Augenheilkunde auf dem 1. Platz. Mit
dem größten „Notfallsystem aus einer Hand“
(ärztliche Leitung für 4 Notfalleinsatzfahrzeuge) in ganz Oberösterreich besitzt das AKh
Linz ein weiteres Alleinstellungsmerkmal
in der heimischen Krankenhauslandschaft.
Auch andere Auszeichnungen erhielt das
AKh Linz in den letzten Jahren mehrfach für
seine hervorragenden Leistungen. Darunter
fallen beispielsweise ISO-Zertifizierungen des
Qualitätsmanagements, eine Auszeichnung
als „patientenfreundlichstes Krankenhaus“
sowie ausgezeichnete Bewertungen durch die
„Gastromed“ und „Quality Austria“ für die
Krankenhausküche. Eine wichtige Neuerung im
Kontakt zwischen ÄrztInnen und PatientInnen
bildet der seit 2013 im AKh Linz verfügbare
Video-Dolmetschdienst. Damit erhöht sich
die Behandlungsqualität für PatientInnen mit
nicht-deutscher Muttersprache deutlich.
Stärkere Vernetzung
der bestehenden
Gesundheitsinstitutionen
Aufbau des Kepler
UniversitätsKlinikums zum
Exzellenz-Krankenhaus
Verstärkte
Gesundheitsprävention
im Kindesalter
271
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
VISIONEN
FÜR LINZ
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
DR.IN
CHARLOTTE HERMAN
Präsidentin der
Israelitischen
Kultusgemeinde Linz (IKG)
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
• Zahnmedizinstudium abgeschlossen 1985 in
Tel Aviv
• 1992 Vorstandsmitglied der IKG Linz
• April 2013 Präsidentin der IKG Linz
Expertin für Judentum
im traditionellen Bereich
PETER BINDER
Landesparteigeschäftsführer
der SPÖ Oberösterreich
• Studium der Politischen Kommunikation in
Krems
• Mediensprecher und Büroleiter von
Landeshauptmann-Stv. Josef Ackerl
• Mediensprecher von Bürgermeister Klaus Luger
Experte für Kommunikation und
Öffentlichkeitsarbeit
UNIV.­PROF. MAG. DR.
MEINHARD LUKAS
Dekan der
Rechtswissenschaftlichen
Fakultät der Johannes
Kepler Universität Linz
• Studium der Rechtswissenschaften in Linz und der
Betriebswirtschaftslehre in Wien
• Universitätsprofessor für Zivilrecht in Salzburg und
Linz
• Leiter der Abteilung für Grundlagenforschung an
der Johannes Kepler Universität
Experte für Vertrags-, Leistungsstörungsund Schadenersatzrecht sowie
internationales Wirtschaftsrecht
274
PARTIZIPATION
UND
DEMOKRATIE
Linz macht mit.
Mit dem Selbstbewusstsein der
BürgerInnen steigt das Interesse,
an der Gestaltung von Umfeld und
Zusammenleben mitzuwirken.
Bürgermitbestimmung und direkte Demokratie
können nicht nur Schlagworte sein. Sie verdienen
es, ernst genommen zu werden. Linz hat sich
dafür entschieden. Die Einbringung des eigenen
Standpunktes ist auf immer mehr Ebenen nicht
nur möglich sondern auch erwünscht. Von
Mieterbeiräten über die Internet-Plattform „Schau
auf Linz“ bis hin zu Bürgerinitiativen wächst das
Angebot zur Teilnahme an der öffentlichen Debatte.
Linz wird so demokratischer, als es jemals war.
275
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
PETER BINDER
Zum Nachdenken
2000, USA: Obwohl Al Gore rund 500.000
Stimmen mehr erhält als sein Gegenkandidat
George W. Bush, wird doch letzterer Präsident.
CHARLOTTE HERMAN
Tücken der Demokratie
2000, Oberösterreich: Beinahe 60 % sprechen
sich bei einer Volksbefragung gegen das Musiktheater (im Berg?) aus. Konsequenz: Das Musiktheater wird trotzdem gebaut, wenn auch an
einem anderen Standort. Der Landtag beschließt
mehrheitlich, die Quoren zur Einleitung
direkt-demokratischer Elemente zu erhöhen.
Demokratie ist etwas sehr Wertvolles, wird
manchmal aber als zu selbstverständlich
empfunden. Dass Demokratie auch persönliches Engagement bedeutet, ignorieren viele.
Für mich beginnt die Demokratie nicht in
der Politik, sondern schon im ganz kleinen
Rahmen, zum Beispiel in der Familie.
2010, Österreich: „Kann dieser seelenlose
Ziegelstein mehr Freunde haben als H.C.
Strache?“ Mit beinahe 190.000 virtuellen
FreundInnen hat ein Ziegelstein auf facebook
mehr FreundInnen als der Bundesparteiobmann
der FPÖ. Dem Aufruf, dies nicht nur im Netz,
sondern auch öffentlich auf der Straße zu zeigen,
folgten allerdings nur wenige 100 Menschen.
Als Frau und Mutter erlaube ich mir, ein absichtlich extrem vereinfachtes Beispiel zu nennen.
Wenn man Kinder und Mann fragt, was sie
denn zum Essen haben wollen, bekommt man
oft als Antwort: „Ist egal. Mach was Du willst“.
Nach einiger Zeit aber kann man dann hören:
„Schon wieder das!“ Also Unzufriedenheit.
Genauso ist es mit der Politik in der Demokratie.
2014, Linz: Tausende „likes“ auf facebook
schaffen den Eindruck einer virtuellen Mehrheit für einen Donau-Sandstrand in Linz.
Der Gemeinderat folgt dem Begehren.
Die Menschen werden aufgefordert zu wählen
und sind einerseits oft doch zu bequem, zur
Wahl zu gehen. Andererseits sind sie frustriert,
weil sie – etwa durch die Nichteinhaltung von
Wahlversprechen – enttäuscht wurden, obwohl
vielleicht sogar die von ihnen gewünschte
Partei an der Spitze war. Das Resultat sind
dann Wahlergebnisse wie zum Beispiel bei der
EU-Wahl 2014 in Frankreich, die dann einen
Aufschrei und Unverständnis provozieren.
2014, Europa: Erstmals, so hieß es, sei der
Ausgang einer Wahl auch entscheidend für
den Vorsitz der EU-Kommission. Entgegen
den Ankündigungen hakt es dann doch bei
der Bestellung des Spitzenkandidaten der
siegreichen Konservativen Jean-Claude
Juncker zum Kommissionspräsidenten.
2014, Linz: Geschäftsleute, eine Tageszeitung
sowie „besorgte BürgerInnen“ kampagnisieren
276
gegen die angeblich ausufernde „Bettlerflut“ in
der Linzer Innenstadt und erzwingen, dass die
Politik Schritte gegen das Betteln überlegt.
Die Geschichte lehrt uns, dass einer der größten
Verbrecher der Geschichte – Adolf Hitler – im
Prinzip demokratisch gewählt wurde. Wenn
Rahmenbedingungen wie Wirtschaftskrisen
CHARLOTTE HERMAN
und Arbeitslosigkeit existieren, so muss sich
die Politik umso mehr anstrengen, auf diese
Probleme einzugehen und Lösungen zu finden,
ansonsten ist eine Katastrophe unabwendbar.
Die Zeichen der Unzufriedenheit einer breiten
Masse sind derzeit unverkennbar. Wachsamkeit und Handeln ist daher unbedingt nötig.
Die Schweiz ist ein Musterbeispiel für
Partizipation und Demokratie – für fast alle
wichtigen Themen gibt es Volksabstimmungen,
die auch bindend sind. Dank dieser Legitimation
kann keiner sagen, das Volk wurde nicht
gefragt, nur die Politiker würden entscheiden.
Würde man dieses Prinzip auf eine Stadt wie
Linz übertragen, würde für mich das gleiche
gelten müssen: Volksbefragungen müssten
bindend, also eigentlich Volksabstimmungen
sein. Die Bevölkerung darf nicht ausgetrickst
werden, indem eine etwas andere Variante
als die in der Befragung gewählt wird.
Es sollte möglicherweise Arbeitsgruppen
für wichtige Themenbereiche geben, denen
auch Vertreter des „einfachen Volkes“
angehören. Auf diese Weise gäbe es eine echte
Partizipation und könnte eine gewählte Partei
auch ohne Probleme die gesamte Legislaturperiode über ihre Funktion ausüben.
Im EU-Parlament ist Partizipation vorgesehen
und zwar in Form der Interessensvertreter, die
jedoch unter dem Namen „Lobbyisten“ einen
eher negativen Eindruck hinterlassen, da sie,
wenn man die Bevölkerung befragt, doch nur
die Wirtschaft und nicht das einfache Volk
vertreten. Ein Gefühl, das nicht ganz falsch
ist. Daher muss dem gegengesteuert werden.
PETER BINDER
Fragestellungen
Was ist Demokratie? Was bedeutet Partizipation?
Reicht es, alle paar Jahre ein Kreuz bei einer
Partei zu machen und deren VertreterInnen
dann repräsentativ für sich handeln zu
lassen? Soll eine für eine Legislaturperiode
demokratisch legitimierte Mehrheit den
Kurs einer Stadt bestimmen können, oder
braucht es zwischendurch die Möglichkeit
von Kurskorrekturen ohne Neuwahlen, aber
durch direkt-demokratische Einbindung?
Heißt direkte Beteiligung wirklich mehr
Interesse an der Gesamtentwicklung einer Stadt,
oder geht es doch nur um temporäre Bedürfnisse einer Minderheit? Wie schaut die Stadt
aus, in der Menschen bereit sind, sowohl bei
Wahlen an demokratischen Prozessen verantwortungsbewusst teilzunehmen als auch
in der Zeit dazwischen das Gemeinwohl der
Stadtbevölkerung positiv mitzugestalten? Und
wie stellen wir sicher, dass diese Beteiligungsformen nicht wieder nur der Durchsetzung der
Interessen einer Elite dienen, nachdem über
Jahrhunderte das allgemeine, freie, gleiche und
geheime Wahlrecht erkämpft werden musste?
277
Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
„Städtische Volksbefragungen
müssten bindend, also eigentlich
Volksabstimmungen sein. Die
Bevölkerung darf nicht ausgetrickst
werden, indem eine etwas andere
Variante als die in der Befragung
gewählt wird.“
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
„Wie stellen wir sicher, dass direkte
Bürgerbeteiligung nicht wieder nur der
Durchsetzung der Interessen einer Elite
dient, nachdem über Jahrhunderte das
allgemeine, freie, gleiche und geheime
Wahlrecht erkämpft werden musste?“
PETER BINDER
CHARLOTTE HERMAN
Missbrauch
Bevor wir über neue Einbindungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in die Verwaltung und Gestaltung der Stadt diskutieren
können, müssen wir erst definieren, welchen
Stellenwert wir dieser Beteiligung beimessen.
Einerseits drängt sich bei mancher öffentlichen
Diskussion ja nahezu der Eindruck auf, das Volk
würde die Politik stören, wenn sich Bürgerinnen
und Bürger aktiv in Entscheidungsprozesse einbringen wollen. Andererseits werden einzelne
Instrumente der direkten Demokratie aber
geradezu von den etablierten Parteien missbraucht, die – wenn sie bei Wahlen für ein
Gremium keine Mehrheit errungen haben und
sich auch im politischen Diskurs innerhalb dieses
Gremiums für ihr Anliegen keine Mehrheit verschaffen können – oft den Weg über Bürgerbeteiligungselemente suchen, um ihren Anliegen
doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Wichtig sind also auf der einen Seite eine hohe
Verbindlichkeit, was die Anerkennung der Ergebnisse direkt-demokratischer Prozesse angeht,
um keine Unzufriedenheit aufkommen zu lassen,
auf der anderen Seite aber auch der Schutz durch
Missbrauch durch Eliten und Lobbyinggruppen.
278
PETER BINDER
Bedingungen
Also geht es darum, bei der demokratischen
Bürgerbeteiligung zwischen den Wahlen dafür
den Weg zu bereiten, dass möglichst viele
Menschen unter gleichen Bedingungen daran
teilhaben können und tatsächlich teilnehmen?
CHARLOTTE HERMAN
Bürgerbeiräte
Es gilt festzulegen, wann zwischen Wahlen
überhaupt eine stärkere Einbeziehung und
Zwischenbefragungen notwendig sind. Ich
halte wenig davon, jede x-beliebige Fragestellung den Bürgerinnen und Bürgern vorzulegen, denn immerhin haben wir bei Wahlen ja
einen bestimmten politischen Kurs gewählt, der
auch irgendwie zur Geltung kommen muss.
Außerdem gibt es meiner Meinung nach zudem
Fragen, die definitiv vom direkt-demokratischem
Verfahren ausgeschlossen bleiben sollten, so wie
man meines Wissens keine Volksabstimmung
etwa über die Todesstrafe machen kann. Fragen
des Zusammenlebens beispielsweise sollten nicht
zum Spielball der Populisten und Propagandisten
oder der jeweils besseren Kommunikationsagentur werden. Diese Ausnahmen zu definieren
Danach soll mit der direkt-demokratischen
Einbeziehung aber eine möglichst große Verbindlichkeit einhergehen. Die auf Landesebene möglicherweise neu beschlossenen
Rahmenbedingungen für direkte Demokratie sind dabei nur ein Teil. Ich komme
noch einmal auf meinen Vorschlag zurück, zu
bestimmten Politikbereichen Arbeitsgruppen
einzurichten, die durch weitere VertreterInnen
des „einfachen“ Volkes eine Beteiligung
am politischen Prozess ermöglichen.
Mir gefällt in diesem Zusammenhang das in
manchen deutschen Bundesländern gelebte
Modell der Bürgerbeiräte mit so genannten „fachkundigen“ Mitgliedern sehr. Diese Mitglieder
werden nicht wahllos ausgesucht, sondern
stellen Repräsentantinnen und Repräsentanten
bestimmter Berufs- und Bevölkerungsgruppen
dar, die von einem Projekt, das dem Bürgerbeteiligungsverfahren unterzogen werden
soll, besonders betroffen sind. Diese „fachkundigen Beiräte“ nehmen dann an den
jeweiligen Ausschusssitzungen als beratende
Mitglieder teil und sind so von Beginn bis
Ende am Entstehungs- und Umsetzungsprozess für das jeweilige Projekt beteiligt.
Danach wird der jeweilige Beirat aufgelöst.
PETER BINDER
Digitales Feedback
Eine bessere Beteiligung lässt sich ja vielleicht
schon durch die Nutzung der technischen
Errungenschaften erreichen. Die Plattform „Schau auf Linz“ ist zum Beispiel
eine einfache Möglichkeit, unter Nutzung
des Internets auf Missstände im Stadtbild,
etwa Verschmutzungen, kaputte Straßenbeleuchtungen etc. hinzuweisen. Ein einfacher
Knopfdruck am gleichnamigen App auf dem
Smartphone genügt, und schon weiß die Stadtverwaltung Bescheid, wo es etwas zu tun gibt.
Das erleichtert durchaus die Arbeitseinteilung
in den betroffenen Abteilungen des Magistrats.
Am Flughafen von Singapur beispielsweise kann
man an jeder Stelle sofort Feedback abgeben, ob
man mit der erbrachten Dienstleistung zufrieden
war. Das geht von der Passkontrolle über den
Kaffeeverkäufer bis zur Toilette und umfasst
Feedback für Bereiche wie Freundlichkeit, Qualität und Sauberkeit. Wäre so eine permanente
Einbeziehung in die Stadtentwicklung denkbar?
CHARLOTTE HERMAN
Informationen: Bringschuld
„Schau auf Linz“ kenne ich noch zu wenig,
aber ich halte das für eine sehr gute Idee. Mit
möglichst einfachen Meldungs- und Feedbackmöglichkeiten einen besseren Draht zur Stadtverwaltung und Politik zu schaffen, ist sicher ein
wichtiger erster Schritt. Diese Plattform könnte
man vielleicht weiterentwickeln, indem dort
nicht nur Schadensmeldungen eingehen, sondern
auch positives Feedback an die Stadt abgegeben
werden kann, ein „Gefällt mir“, damit wir uns
nicht nur auf der Negativschiene bewegen.
Eine permanente Mitentscheidungsmöglichkeit über alle möglichen Fragen würde aber
für viele Menschen heute noch eine Überforderung darstellen. Ich denke, das zeigt auch
die meist geringe Beteiligung an Formen der
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Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
wird mindestens ebenso wichtig sein, wie die
Wege zu einer besseren Beteiligung zu finden.
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
„Ich bin der Meinung,
dass Verantwortlichkeit und
Verbindlichkeit bei der Beteiligung am
Stadtgeschehen steigen,
wenn die Menschen auch Teile des
Budgets mit zu entscheiden haben.“
MEINHARD LUKAS
direkten Demokratie. Vielen Menschen fehlen
die Informationen, die sich Politikerinnen
und Politiker ja in einer Vielzahl von Stunden
in Ausschusssitzungen usw. erarbeiten. Da
müssten wir dringend auch daran arbeiten, dass
Informationen über die Stadtentwicklung und
wichtige Projekte noch mehr in die Bevölkerung
getragen werden. Internet und eine Stadtzeitung reichen da nicht aus. Information ist
auch eine Bringschuld der Politik und der Stadt.
MEINHARD LUKAS
Informationen: Holschuld
Information ist aber auch eine Holschuld. Und
möglicherweise wollen sich manche Bürgerinnen
und Bürger nicht mangels Information
nicht an Instrumenten der direkten Demokratie beteiligen, sondern weil sie auch das
Gefühl haben, nichts bewegen zu können.
Viele der Projekte, die heute einem Bürgerbeteiligungsverfahren unterzogen werden,
sind bereits durch das Budget vorbestimmt
oder in der Umsetzungsmöglichkeit eingeschränkt. Eine Möglichkeit, die Bürgerinnen
und Bürger zu mehr Mitbestimmung zu
motivieren, wäre das Modell des Bürgerhaushalts. In manchen Kommunen wird das bereits
praktiziert, dass zumindest bei einem Teil des
kommunalen Budgets die Bevölkerung entscheidet, wie es verwendet werden soll.
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CHARLOTTE HERMAN
Zugänge
Es wird notwendig sein, den Menschen möglichst
vielseitige Informations- und Interaktionszugänge
zu eröffnen, um sie zu aktiven Bürgerinnen und
Bürgern zu machen. Internet und gut erkennbare Einschaltungen in Tageszeitungen können
da eine Möglichkeit sein, es wäre aber auch
notwendig und sinnvoll, beispielsweise die
Volkshäuser dazu zu nutzen, um regelmäßig
über die Stadtentwicklung zu informieren.
Wenn etwa eine Gemeinderatssitzung ansteht
und die Tagesordnung feststeht, könnten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung zu festgelegten Terminen die
Angelegenheiten, die in der Gemeinderatssitzung erörtert und beschlossen werden sollen,
vor Ort erklären. Dann sind Nachfragen möglich, die Menschen haben auch einen analogen
Zugang zur Information über die Dinge, die in
der Stadtverwaltung geschehen. Und auf Antrag
einer bestimmten Zahl von Bürgerinnen und
Bürgern, beispielsweise 200, zum Beispiel einfach per Knopfdruck im Internet, könnten zu
bestimmten Themen solche Informationsveranstaltungen zusätzlich abgehalten werden.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit bei der Beteiligung
am Stadtgeschehen steigen, wenn die Menschen
auch Teile des Budgets mit zu entscheiden haben.
Gesetzlich festgelegte Ausgaben wären davon
auszunehmen, aber es gibt noch diese Spielräume, in denen sich Mitgestaltungsmöglichkeiten ergeben. Alle sechs Jahre würde dann
bei Gemeinderatswahlen die große Linie für
den Kurs der Stadtpolitik gewählt werden, jedes
Jahr könnte dieser Kurs über Teile des Budgets
aber gestärkt oder leicht korrigiert werden.
Die Kompetenz des Gemeinderats würde
dadurch nicht ausgehebelt, in der Praxis
sollten im Normalfall aber die Vorschläge aus
der Bürgerbeteiligung von der Politik übernommen werden. Das renommierte Zentrum
für Verwaltungsforschung hat dazu etwa
bereits im Jahr 2010 eine interessante Diskussionsveranstaltung abgehalten, die ergeben
hat, dass in Österreich dieses Modell noch
nicht sehr etabliert ist. In Deutschland gibt
es aber schon zahlreiche Erfahrungen. Dort
erfordert und ergibt die so genannte „Budgetorientierte Bürgerinvolvierung“ eine dauerhafte Kommunikation mit den Bürgerinnen und
Bürgern. Wichtig ist, dass relevante Budgetteile
gemeinsam mit der Politik festgelegt werden.
zurückziehen können und es zu einer Art Zufallsabstimmung kommt, in der dann Lobbyinggruppen die führende Rolle übernehmen.
CHARLOTTE HERMAN
Augenhöhe
Auch bei der „Budgetorientierten Bürgerinvolvierung“ würde wieder die transparente
und permanente Information eine wichtige Rolle
spielen. Ich glaube, dass wir jetzt noch nicht
so weit sind und noch nicht alle notwendigen
Rahmenbedingungen erfüllen, aber wir müssen
heute die ersten Schritte dafür setzen.
Werden die Bürgerinnen und Bürger auf vielfältige Art und Weise – im Internet über die
Homepage der Stadt, über die Zeitungen, auch
der stadteigenen und über Informationsveranstaltungen – über die Ursachen und Alternativen der vielseitigen Stadtentwicklungsmöglichkeiten in Kenntnis gesetzt, ist ihnen
eine Mitbestimmung auf Augenhöhe auch
möglich. Desinformation und Unverbindlichkeit führen dazu, dass Unzufriedenheit entsteht und Demagogen leichtes Spiel haben.
Der direkte Bezug zum Gemeindebudget zeigt,
dass die Einbeziehung der Bürgerinnen und
Bürger ernst gemeint ist. Der klar geregelte
Diskussionsprozess mit den politischen Entscheidungsträgerinnen und –trägern über diese
Teile des Budgets verhindert, dass diese sich
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Verkehr Verwaltung Energie Gesundheit Partizipation und Demokratie
MEINHARD LUKAS
Budgetorientierte Bürgerbeteiligung
Lebensräume Lebenschancen Lebensvielfalt Lebensnetze
„Die Stadt sollte in Zukunft verstärkt
neue Wege in der Kommunikation mit
ihren Bürgerinnen und Bürgern gehen.
Die Entwicklung weist klar in Richtung
stärkeren Ausbau der Online-Angebote.
Das ermöglicht vereinfachte Mitsprache
und Beteiligung ebenso wie die Stärkung
direkt-demokratischer Elemente.“
KLAUS LUGER
KLAUS LUGER
Direkte Demokratie, BürgerInnenräte,
Online-Beteiligung
Die Zugangsmöglichkeiten zu den bekannten
Instrumenten direkter demokratischer
Partizipation, Bürgerinitiative, Bürgerbefragung
und Bürgerabstimmung, wird der oberösterreichische Landtag auf unsere Initiative hin verbessern. Danach wird es jedenfalls einfacher, zu
einzelnen Fragestellungen im Wirkungsbereich
der Stadt die Einbeziehung der Linzerinnen
und Linzer zu initiieren oder zu ermöglichen.
Besonders spannend finde ich in diesem
Zusammenhang die mehrfach angesprochene
Bedeutung der Information über die Stadtentwicklung. Ich bin überzeugt, dass wir im
Rahmen der Magistratsreform Handlungsbedarf
für eine Weiterentwicklung der städtischen
Kommunikation haben. Eine Weiterentwicklung
der Kommunikationsschnittstelle „Schau auf
Linz“ sehe ich als notwendig. Generell halte
ich es für überlegenswert, eine Online-Plattform für eine regelmäßigere Einbeziehung
der Bürgerinnen und Bürger ins Leben zu
rufen. Mir gefällt der Gedanke, dass es über
die Web-Applikationen des Magistrats nicht
nur die Möglichkeit geben soll, Missstände an
die Verwaltung zu melden, sondern zu möglichst vielen Lebensbereichen der Stadt aktiv
Verbesserungsvorschläge machen zu können.
Ich stimme allerdings auch darin überein,
282
dass wir die derzeitigen Informationsangebote
über die Entwicklung der Stadt verbessern
müssen. Insbesondere dort, wo wir selbst über
die Breite und Form der Berichterstattung
bestimmen können, also bei den Medien der
Stadtkommunikation, müssen wir die Erreichbarkeit der Linzerinnen und Linzer optimieren.
Hier sehe ich großes Potenzial im Hinblick
auf die Abarbeitung der angesprochenen
„Bringschuld“ an Information. Wir dürfen aber
nicht vergessen, dass für bestimmte Gruppen
Zugangsprobleme für die Online-Nutzung
direktdemokratischer Instrumente bestehen. Die
eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit schließt
eine BürgerInnenbeteiligung von bestimmten
Zielgruppen aus. Die Beseitigung dieser Barriere
sollten wir uns daher zum Ziel setzen, wenn
wir von Partizipation und Teilhabe sprechen.
Beiräte, die mit Expertinnen und Experten
besetzt sind und den Gemeinderat beraten
beziehungsweise verbindliche Vorgaben
machen, gibt es in der Stadt bereits, ich denke
da an den Gestaltungs- oder den Kulturbeirat. Trotzdem möchte ich den Gedanken, ein
solches Modell auch temporär bei der Diskussion einzelner Stadtentwicklungsprojekte
einzuführen, forcieren. Überlegenswert wäre
auch eine regelmäßige Einladung mehrerer
Expertinnen und Experten zum Austausch über
verschiedene Bereiche der Stadtgestaltung,
so wie ich dies zu Fragen des Zusammenlebens der vielfältigen Kulturen in Linz als
„Dialogveranstaltungen“ initiiert habe. Ich kann
mir eine solche Form der Diskussion auch zu
anderen Fragen der Stadtgestaltung gut vorstellen. In gewisser Weise stellt dieses Buch
bereits einen Schritt in diese Richtung dar.
Schwieriger stelle ich mir eine Einbindung
der Bevölkerung in die Budgetgestaltung
vor, zumindest solange das derzeitige System
des oberösterreichischen Finanzausgleichs
zwischen Land und Stadt aufrecht ist. Der
städtische Haushalt ist zum überwiegenden
Teil durch gesetzliche oder langfristige vertragliche Verpflichtungen determiniert. Hinzu
kommt, dass einzelne Umlagen, etwa der Beitrag
der Gemeinden zur Finanzierung des Oberösterreichischen Chancengleichheitsgesetzes
für Menschen mit Beeinträchtigung, erst im
Nachhinein im vollständigen Ausmaß vorgeschrieben wird, wodurch sich die Planbarkeit
der finanziellen Lage der oberösterreichischen
Kommunen erschwert. 2014 sind die Vorschreibungen zum Chancengleichheitsgesetz um
über 13 % gestiegen, obwohl es eine Zusicherung
des Landes gibt, wonach die Steigerungen
nicht mehr als das Doppelte des Gehaltsabschlusses des Öffentlichen Dienstes betragen
sollten. Unter diesen Voraussetzungen ist es
schwierig, auch nur einen Teil der städtischen
Finanzen der direkten Mitbestimmung durch
die Bürgerinnen und Bürger zu unterziehen.
Hervorheben möchte ich an dieser Stelle aber,
dass wir gerade hinsichtlich der Transparenz im
Bereich der städtischen Finanzen eine Vorbildrolle einnehmen. Unter www.offenerhaushalt.at,
einer Plattform des Zentrums für Verwaltungsforschung (KDZ), findet sich eine genaue Aufschlüsselung und Bewertung der Linzer Budgetdaten. Viele Gemeinden sind mittlerweile diesem
Beispiel gefolgt und der Plattform beigetreten.
Ausbau der OnlineBeteiligungsmodelle
Einführung von
Bürgerräten als externe
Expertise bei der
Stadtgestaltung
Stärkung der direktdemokratischen
Instrumente
Bürgerinitiative,
Bürgerbefragung und
Bürgerabstimmung
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VISIONEN
FÜR LINZ