npoR www.npoR.de Heft 1/2015 Seiten 1–88 ZEITSCHRIFT FÜR DAS RECHT DER NON PROFIT ORGANISATIONEN Herausgeber Prof. Dr. Birgit Weitemeyer (geschäftsführend), Dr. Wilhelm-Albrecht Achilles, Prof. Dr. Arnd Arnold, Prof. Dr. Michael Droege, Prof. Dr. Hans Fleisch, Prof. Dr. Stefan Geibel, Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Prof. Dr. Monika Jachmann, Prof. Dr. Dominique Jakob, Prof. Dr. Martin Nolte, Prof. Dr. Peter Rawert, Prof. em. Dr. Dieter Reuter, Dr. Andreas Richter, Prof. Dr. Stephan Schauhoff, Dr. Robert Schütz, Dr. Ulrich Segna, Dr. Thomas Wachter, Dr. Reinmar Wolff Aufsätze Gemeinnützige im Wettbewerb um staatliche Beihilfen und Aufträge im Gesundheitswesen – EU-Beihilferecht und Vergaberecht im Spiegel aktueller Rechtsprechung und Gesetzgebung (Dr. Alexander Hübner) S.1 Wohl gesprochen! Anmerkungen zum Erbschaftsteuer-Urteil des BVerfG (Dr. K. Jan Schiffer) S.4 Introduction to the law of English charities – part one: History, legal framework and recent developments in the third sector (Dr. Nina Christiane Lück) S.10 Praxisforum Ein Standard für wirkungsorientierte Berichterstattung – der Social Reporting Standard (Lena Maria Wörrlein, M.A.) S.14 Vereinsrecht kompakt Aktuelle vereinsrechtliche Rechtsprechung (Michael Röcken) S. 17 npoR-Report Steuerrecht und andere Rechtsgebiete (Elias Bornemann/Victor Klene/Dr. Frauke Rawert/Ruben Rehr/Kathrin Wrede) Rechtsprechung OLG Brandenburg: Kein öffentliches Interesse an Löschung aus Vereinsregister OLG Stuttgart: Nichtwirtschaftlicher Verein trotz Betrieb eines Waldorfkindergartens BGH: Inanspruchnahme eines Stiftungsvorstands durch die Stiftung selbst BFH: Einkommensbesteuerung der auf einem Vermächtnis beruhenden Leistungen einer Stiftung an Destinatäre Anmerkung Tim Maciejewski, LL.B. EuGH: Beauftragung ehrenamtlicher Organisationen für Krankentransportdienstleistungen gegen Kostenerstattung Verwaltungsanweisungen S.20 S. 26 S. 27 S. 28 S. 35 S.39 S. 41 BMF: Umsatzsteuerbefreiung von ehrenamtlichen Tätigkeiten nach § 4 Nummer 26 UStG; Informatorisches Gespräch am 10. Juni 2013 im BMF mit Anmerkung von Werner Hesse S.71 npoR Heft 1/2015 Seiten 1-88 7. Jahrgang 23.3.2015 ZEITSCHRIFT FÜR DAS RECHT DER NON PROFIT ORGANISATIONEN Herausgeber: Prof. Dr. Birgit Weitemeyer (geschäftsführend), Dr. Wilhelm-Albrecht Achilles, Prof. Dr. Arnd Arnold, Prof. Dr. Michael Droege, Prof. Dr. Hans Fleisch, Prof. Dr. Stefan Geibel, Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Prof. Dr. Monika Jachmann, Prof. Dr. Dominique Jakob, Prof. Dr. Martin Nolte, Prof. Dr. Peter Rawert, Prof. em. Dr. Dieter Reuter, Dr. Andreas Richter, Prof. Dr. Stephan Schauhoff, Dr. Ulrich Segna, Dr. Thomas Wachter, Dr. Reinmar Wolff Aufsätze Dr. Alexander Hübner* Gemeinnützige im Wettbewerb um staatliche Beihilfen und Aufträge im Gesundheitswesen – EU-Beihilferecht und Vergaberecht im Spiegel aktueller Rechtsprechung und Gesetzgebung Zugleich Anmerkung zu EuGH, Urteile vom 19.6.2014 (C-574/12) und 11.12.2014 (C-113/13), sowie OLG Stuttgart, Urteil vom 20.11.2014 – nicht rechtskräftig (2 U 11/14)1 1. Einleitung Eine gemeinnützige Einrichtung ist ein Unternehmen im Sinne des EU-Wettbewerbsrechts (Art. 101 ff. AEUV) bzw. Wirtschaftsteilnehmer im Sinne des EU-Vergaberechts2, wenn sie Marktteilnehmer ist, das heißt Leistungen im Wettbewerb mit anderen anbietet. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht der gemeinnützigen Einrichtung ändert an dieser Beurteilung zunächst nichts, denn aus dem marktbezogenen Blickwinkel der Europäischen Verträge kommt es allein auf die Marktfähigkeit der angebotenen Leistungen aus Sicht der Nachfrageseite und nicht auf die Motivation des Leistungserbringers an. Ausnahmen kommen für Dienstleistungen im Gesundheitssektor und rein soziale Tätigkeiten in Betracht, etwa bei Wohnheimen für Senioren, wenn die Leistungen unentgeltlich oder auf Basis reiner Kostendeckung erbracht werden. Im Übrigen kommt es für die europarechtliche Qualifizierung einer gemeinnützigen Einrichtung als Unternehmen oder Wirtschaftsteilnehmer nicht darauf an, ob Wettbewerber auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind oder nicht, und auch nicht, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind. Drei Entscheidungen des EuGH bzw. des OLG Stuttgart aus dem Jahr 20143 zum EU-Beihilferecht und Vergaberecht reflektieren diese Rechtsgrundsätze in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten im Gesundheitswesen und zeigen gleichzeitig Spielräume für gemeinnützige Einrichtungen auf, den Marktregeln zu entkommen. 2. Gemeinnützige im Bieterwettbewerb um öffentliche Aufträge im Gesundheitswesen Entgeltliche Aufträge, die öffentliche Auftraggeber in Deutschland zur Deckung eines Bedarfs an Dienstleistungen im Gesundheitsbereich erteilen möchten, müssen zuvor in einem förmlichen, transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren ausgeschrieben worden sein, das den * Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der überörtlichen Sozietät Haver & Mailänder, Stuttgart, und ad personam berufenes Mitglied des von der EU-Kommission eingerichteten Sachverständigenrates für das öffentliche Beschaffungswesen SEGPP Stakeholder Expert Group on Public Procurement, Brüssel. 1 In diesem Heft, S. 46, 41 und 53. 2 Das sind – auf der Grundlage der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschriebenen Grundfreiheiten der Art. 49 und 56 AEUV und der sich daraus ableitenden Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz – insbesondere die Vergaberichtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG sowie die bis zum Jahr 2016 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzenden Vergaberichtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU. 3 EuGH, Urt. v. 19.6.2014 – C-574/12 – und Urt. v. 11.12.2014 – C-113/13 – sowie OLG Stuttgart, Urt. v. 20.11.2014 – 2 U 11/14 – nicht rechtskräftig; Revision zum BGH anhängig unter Az. I ZR 263/14 (Fn. 2). 2 npoR Heft 1/2015 Aufsätze | Hübner ausgesprochen detaillierten Anforderungen des EU-Vergaberechts4 genügt, sobald der Wert des Dienstleistungsauftrags 207.000 Euro erreicht oder übersteigt und keine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht einschlägig ist (§§ 97 ff. GWB). Vornehmlich die öffentlichen Auftraggeber sind es, die an Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht interessiert sind, wenn sie entweder den verfahrensbedingten Aufwand scheuen, das nachweislich wirtschaftlichste Angebot am Markt zu ermitteln, oder mit Leistungen eigener Einrichtungen ihren Bedarf decken können. Um Zulässigkeit und Grenzen einer vergabefreien Direktvergabe an eine gemeinnützige Einrichtung geht es in dem portugiesischen Fall, den der EuGH am 19.6.2014 entschieden hat (dazu sogleich unter a). Für einen Anbieter von Dienstleistungen ist das Absehen von einem öffentlichen Vergabeverfahren hingegen nur dann interessant, wenn er davon profitiert, etwa weil er der ausgewählte Vertragspartner ist oder zu einem engen Bieterkreis zählt, auf den der öffentliche Auftraggeber ausnahmsweise seine Bieterauswahl ohne öffentlichen Bieterwettbewerb beschränken darf (dazu unten, unter b). a) Direktvergabe an gemeinnützigen Lieferanten von Krankenhausverpflegung? In dem vom EuGH am 19.6.2014 entschiedenen Fall5 der Auftragsvergabe über die Lieferung von Mahlzeiten an Krankenhauspatienten und -personal war ein portugiesisches Krankenhauszentrum der Auffassung, den Auftrag direkt, ohne ein förmliches Vergabeverfahren, an eine gemeinnützige Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht erteilen zu können, deren Mitglied das Krankenhauszentrum ist und deren weitere Mitglieder öffentliche und private Einrichtungen des sozialen Sektors sind, das heißt Sozialträger ohne Gewinnerzielungsabsicht einschließlich Stellen portugiesischer Ministerien. In Fortführung seiner Rechtsprechung zur Zulässigkeit der so genannten In-House-Vergabe, also zu den Umständen, unter denen ein öffentlicher Auftrag ausnahmsweise ohne vorherige Bekanntmachung und Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens geschlossen werden darf, tritt der EuGH dieser Auffassung entgegen: Weil die privatrechtlichen Mitglieder der direkt beauftragten Lieferantin, ungeachtet dessen, dass es sich um Sozialträger handelt, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, Zielsetzungen haben, die anderer Art sind als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des öffentlichen Auftraggebers (Krankenhauszentrum), kann keine Rede davon sein, dass der öffentliche Auftraggeber über die direkt beauftragte Lieferantin eine „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ hat.6 Eine solche Kontrolle aber ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH erforderlich, damit eine öffentliche Ausschreibung entbehrlich ist. Denn dann liegt bei funktionaler Betrachtung kein öffentlicher Auftrag vor, weil der öffentliche Auftraggeber letztlich auf eine Einrichtung zugreift, die ihm selbst gehört.7 Auch gemeinnützige Einrichtungen können nach Maßgabe der „In-House“-Rechtsprechung des EuGH daher nur dann ohne vorausgehendes Vergabeverfahren direkt beauftragt werden, wenn zu ihren (auch nur potentiellen)8 Mitgliedern (oder Inhabern) keine privaten Einrichtungen zählen, so gering deren Beteiligung an der gemeinnützigen Einrichtung auch sein mag9 und ohne dass es darauf ankommt, ob diese privaten Mitglieder oder Teilhaber ihrerseits gemeinnützige Zwecke ohne Gewinnerzielungsabsicht verfolgen. b) Beschränkung des Bieterkreises auf soziale Freiwilligenorganisationen? In dem vom EuGH am 11.12.2014 entschiedenen Fall10 der Vergabe von Aufträgen über Krankentransporte in der italienischen Region Ligurien an Freiwilligenorganisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht war streitig, ob der öffentliche Auftraggeber zulässigerweise Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht vom Vergabeverfahren ausschließen und deshalb auf eine vorherige Bekanntmachung des Vergabeverfahrens verzichten darf. Der EuGH bestätigt die Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens unter den konkreten Umständen des zu beurteilenden Sachverhalts aufgrund der Besonderheiten der italienischen Gesetzgebung. Zwar stehe jedenfalls dann, wenn der Wert des zu beurteilenden Auftrags die EU-Schwellenwerte erreicht oder aus anderen Gründen ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag eindeutig zu bejahen ist, ein derartiges Vorgehen dem EU-Vergaberecht11 im Ausgangspunkt entgegen. Das Unionsrecht lässt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, auf die der Gerichtshof im Urteil vom 11.12.2014 verweist, die Befugnis eines jeden Mitgliedstaats zur Ausgestaltung seines Gesundheitswesens und Systems der sozialen Sicherheit unberührt.12 Jedem Mitgliedstaat steht danach bei der Entscheidung, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit gewährleisten und sein System der sozialen Sicherheit gestalten will, ein so weites Ermessen zu, dass er auch die Auffassung vertreten kann, dass ein Rückgriff auf Freiwilligenorganisationen dem sozialen Zweck der dringenden Krankentransportdienste entspricht. Dazu müssen die Freiwilligenorganisationen, und das ist das Neue im Urteil vom 11.12.2014, die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen (i) ausschließlich eine soziale Zweckbindung haben, die Ziele (ii) der Solidarität und (iii) der Haushaltseffizienz verfolgen, dürfen (iv) mit ihren Leistungen keinen Gewinn erzielen – unbeschadet der Erstattung der variablen, festen und ständigen Kosten, die zur Erbringung der erbrachten Leistungen erforderlich sind – und (v) ihren Mitgliedern keine Gewinne einbringen. Im Übrigen ist (vi) der Rückgriff auf Erwerbstätige zwar zulässig, weil diese Organisationen sonst in vielen Bereichen, in denen der Grundsatz der Solidarität selbstverständlich zur Anwendung kommen kann, praktisch nicht wirksam handeln könnten, doch müssen sich die genannten Organisationen bei ihrer Tätigkeit streng an die in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Anforderungen halten.13 Die Tätigkeit der Freiwilligenorganisationen darf aber nur (vii) in dem Maße von Erwerbstätigen ausgeübt werden, wie es für ihren geregelten Betrieb erforderlich ist, und (viii) bei der Erstattung der Kosten ist darauf zu achten, dass nicht etwa unter dem Vorwand einer Freiwilligentätigkeit ein Erwerbszweck, und sei es nur indirekt, verfolgt wird und dass dem Freiwilligen (ix) lediglich die Kosten erstattet werden können, die er für die geleistete Tätigkeit tatsächlich aufgewandt hat. Schließlich darf Kostenerstattung nur (x) im Rahmen vorab festgelegter Grenzen erfolgen.14 4 Nachweise in Fn. 3. 5 Fundstellennachweis in Fn. 2. 6 EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 36. 7 EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 35. 8 EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 43. 9 EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 42. 10Fundstellennachweis in Fn. 2. 11Nachweise in Fn. 3. 12EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 55 ff. 13EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 60 f. 14EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 62. npoR Heft 1/2015 Was bedeutet das EuGH-Urteil vom 11.12.2014 für die Vergabe von Aufträgen über Krankentransporte in Deutschland? Nur aufgrund einer gesetzlichen Sonderregelung wie dem vom EuGH überprüften italienischen Regionalgesetz war es öffentlichen Auftraggebern in der Region Ligurien möglich, das auch für die Ausschreibung von Kranken- und Notfalltransporten geltende EU-Vergaberecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht unberücksichtigt zu lassen und Aufträge direkt an Freiwilligenorganisationen zu erteilen, die die vorgenannten Anforderungen (i)-(x) erfüllen. Das deutsche Vergaberecht sieht eine derartige Ausnahme zugunsten von Freiwilligenorganisationen nicht vor. Das EuGH-Urteil zeigt, in welcher Weise das deutsche Vergaberecht ohne Verstoß gegen das Unionsrecht geändert werden könnte, um Anbieter von Krankentransportleistungen mit Gewinnerzielungsabsicht aus dem Bieterwettbewerb fernzuhalten. Auch nach der bis 2016 in deutsches Recht umzusetzenden Vergaberichtlinie 2014/24/EU sind Aufträge über den Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung – vorbehaltlich einer gesetzlichen Ausnahmeregelung wie anhand des italienischen Regionalgesetzes beschrieben – nicht vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgeschlossen.15 Allerdings müssen solche Aufträge dann erst ab einem geschätzten Wert von 750.000 Euro EU-weit ausgeschrieben werden. Vergaben anderer Dienstleistungen, die von gemeinnützigen Einrichtungen erbracht werden, zum Beispiel Feuerwehr- oder Rettungsdienste, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie 2014/24, müssen aber dennoch den Grundsätzen des AEUV16 genügen, wenn an ihnen grenzüberschreitendes Interesse besteht. Die Vergaberichtlinie stellt weiterhin eine Ausnahme zugunsten bestimmter Anbieter in das Regelungsermessen jedes Mitgliedstaates, ohne diese Ausnahme europarechtlich zwingend vorzuschreiben: Mitgliedstaatliches Vergaberecht darf ab 2016 unter den in der Vergaberichtlinie 2014/24/EU genannten Voraussetzungen, die teilweise strenger, teilweise weniger streng sind als die vom EuGH im Urteil vom 11.12.2014 genannten Voraussetzungen, vorsehen, dass nur Organisationen, die nach dem Prinzip der Mitarbeiterbeteiligung oder der aktiven Mitbestimmung der Belegschaft an der Führung der Organisation oder genossenschaftlich arbeiten, an Ausschreibungen über bestimmte Gesundheits- und Sozialleistungen wie etwa Krankentransporte teilnehmen dürfen.17 3. Gemeinnützige im Wettbewerb um staatliche Zuwendungen im Gesundheitswesen Staatliche Ausgleichsleistungen für den Betrieb gemeinnütziger Kreiskrankenhäuser in Baden-Württemberg waren Gegenstand des – nicht rechtskräftigen – Urteils des OLG Stuttgart vom 20.11.2014, mit dem die Klage eines Bundesverbandes privater Kliniken zurückgewiesen wurde, dass der Ausgleich der Jahresfehlbeträge sowie die Gewährung von Investitionszuschüssen zugunsten der Kreiskliniken zu unterbleiben habe.18 Das OLG Stuttgart stellt auf der Grundlage ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fest, dass (private) Kliniken, die in einem Wettbewerb zu (staatlichen, gemeinnützigen) Krankenhäusern um stationäre Medizindienstleistungen für die Öffentlichkeit stehen, einen Anspruch auf Unterlassung einer staatlichen Förderung zugunsten der (staatlichen, gemeinnützigen) Krankenhäuser haben können, wenn die Förderung gewährt wird, obwohl sie eine staatliche Beihilfe darstellt, für die ein Durchführungsverbot nach Art. 108 Hübner | Aufsätze 3 AEUV besteht, weil keine Notifizierung der Beihilfe zur EUKommission erfolgt ist. Auf die Prüfung, ob es sich bei den angegriffenen Zuwendungen des Krankenhausträgers zugunsten seiner Kreiskrankenhäuser um staatliche Beihilfen i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt, meinte das OLG Stuttgart verzichten zu können. Denn selbst dann, wenn es sich um staatliche Beihilfen handelte (wofür sehr viel spricht), erfüllten die Zuwendungen, so das OLG Stuttgart, jedenfalls die Voraussetzungen der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG der Kommission vom 28.11.2005 über Ausgleichsleistungen zugunsten von Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse (DAWI) erbringen.19 Richtig ist, dass dann, wenn die Voraussetzungen der Freistellungsentscheidung erfüllt sind, die vom Bundesverband privater Kliniken angegriffenen Zuwendungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar gelten, die Zuwendungen von der Pflicht zur Notifizierung bei der Kommission freigestellt sind und daher keinem Durchführungsverbot unterliegen. Problematisch knapp ist die Begründung des OLG Stuttgart, dass die Anforderungen, die die Freistellungsentscheidung 2005/842/EG an die ex-ante Transparenz der Parameter für die Berechnung und Überwachung von Ausgleichszahlungen stellt, gewahrt seien. Ohne Kenntnis des Inhalts der beiden individuellen Betrauungsakte, auf die sich das OLG Stuttgart in diesem Zusammenhang bezieht, ohne allerdings die konkreten Regelungen der genannten Parameter darin im Urteil wiederzugeben, lässt sich die Richtigkeit des vom OLG Stuttgart getroffenen Urteils nicht überprüfen. Problematisch ist auch, dass das Gericht meint, die Frage eines etwaigen Verstoßes des Betrauungsaktes gegen Transparenzerfordernisse der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG offenlassen zu können. Allerdings ist die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission im Jahr 2010 bei ihrer wettbewerbsrechtlichen Prüfung der deutschen Praxis, dass Träger öffentlicher Krankenhäuser ihren Krankenhäusern einen Verlustausgleich für die Erfüllung der DAWI „Sicherstellungsauftrag“ gewähren, zu dem vorläufigen Ergebnis gelangt, dass die Vereinbarkeit der damit gewährten Beihilfe mit dem Binnenmarkt nicht in Frage gestellt würde, sollte im Einzelfall ein Betrauungsakt nicht alle Transparenzerfordernisse im Sinne der Freistellungsentscheidung der Kommission erfüllen.20 Die Kommission begründete diese Einzelfallentscheidung jedoch mit den konkreten Umständen des von ihr geprüften Sachverhalts, nämlich dass ex post keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlägen, die die Notwendigkeit der gewährten Beihilfen zur Sicherstellung der Versorgungsleistungen in Zweifel ziehen würden. Ob aber – und gegebenenfalls welche – derartigen Anhaltspunkte von der Klägerin in dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Sachverhalt vorgetragen wurden, lässt das Urteil nicht erkennen. Für (gemeinnützige) Krankenhäuser, die in einer anderen Fallgestaltung möglicherweise gegen Ausgleichszahlungen an (private oder staatliche, gemeinnützige oder nicht gemeinnützige) Krankenhäuser vorgehen wollten, ergeben sich aus dem Urteil des OLG Stuttgart folgende Hinweise. 15Art. 10 Buchst. h Richtlinie 2014/24/EU. 16Fn. 3. 17Art. 74 ff. Richtlinie 2014/24/EU. 18OLG Stuttgart, a.a.O. (Fn. 2). 19Aufgehoben und ersetzt durch den Beschluss der Kommission Nr. 2012/21/EU vom 20.12.2011. 20Vorläufige Ergebnisse der wettbewerbsrechtlichen Prüfung der GD Wettbewerb der Kommission vom 25.8.2010 – CP 6/2003. 4 Aufsätze | Schiffer Zu Recht vertieft prüft das OLG Stuttgart, ob die Anforderungen an den Betrauungsakt, mit dem der DAWI-Dienstleister die Erfüllung der DAWI auferlegt bekommt, erfüllt sind. Für den Betrieb von Krankenhäusern ergibt sich der Betrauungsakt typischerweise aus der Aufnahme des bezuschussten Krankenhauses in den Krankenhausplan in Verbindung mit individuellen Betrauungsakten auf der Grundlage des Krankenhausplans. Um aus einer Mehrzahl von Krankenhäusern, die für die Aufnahme in den Krankenhausplan in Betracht kommen, dann auch ausgewählt zu werden, bedarf es einer Ausgestaltung des Krankenhausplans, die so qualifizierte Anforderungen an das Leistungsniveau der zu fördernden Krankenhäuser stellt, dass möglichst kein anderes Krankenhaus als das die Aufnahme in den Krankenhausplan beantragende Krankenhaus in Betracht kommt. Für die Praxis ist zu beachten, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung21 das weite Ermessen der Mitgliedstaaten bestätigt, das Qualitätsniveau von DAWI zu bestimmen. Eine andere – soweit erkennbar bislang nicht gerichtlich geklärte – Frage ist, ob sich das Auswahlermessen auf eine Pflicht zur Aufnahme in den Krankenhausplan und damit zur Gewährung von Ausgleichsleistungen reduziert, wenn ein (nicht-öffentliches, gegebenenfalls gemeinnütziges) Krankenhaus die typischerweise vom Sicherstellungsauftrag der öffentlichen (Kreis-)Krankenhäuser umfassten Leistungen wie defizitäre medizinische Behandlungsbereiche (etwa infolge npoR Heft 1/2015 geringer Patientenzahlen) oder die Vorhaltung von Spezialabteilungen leistungsseitig uneingeschränkt anbieten kann, jedoch zu nachweislich geringeren Kosten als die im selben Markt tätigen öffentlichen Krankenhäuser. Der Hinweis des OLG Stuttgart, dass es unter Geltung der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG nicht auf die Notwendigkeit der auszugleichenden Kosten für die Erbringung der DAWI ankam,22 ist zutreffend. Ob die gesetzliche Pflichtträgerschaft der Stadt- und Landkreise zur Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern und die damit verbundene Ausgleichspflicht aber dem EU-wettbewerbsrechtlichen Maßstab des Art. 106 Abs. 2 AEUV standhält, wenn ein nicht-öffentlicher Wettbewerber nachweist, dasselbe Leistungsniveau günstiger erbringen zu können, wird in Zeiten knapper kommunaler Kassen noch zu klären sein. Der Hinweis des EuGH im Urteil vom 11.12.2014, dass ungeachtet der Befugnis jedes Mitgliedstaates zur Ausgestaltung seines Gesundheitssystems der Kostenerstattungsanspruch eines Dienstleisters im Gesundheitssektor auf diejenigen Kosten beschränkt ist, „die zur Erbringung dieser Leistungen erforderlich sind“,23 könnte ein belebendes Argument in dieser Diskussion sein. 21Zuletzt EuGH, Urt. v. 8.5.2013, verb. Rs. C 197/11 und C 203/11. 22Gleiches gilt nach dem aktuellen Freistellungsbeschluss der Kommission Nr. 2012/21/EU vom 20.12.2011. 23EuGH, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 61.
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