OLG Koblenz v. 25.03.2015 - Verg 11/14 Leitsatz: Sieht der

OLG Koblenz v. 25.03.2015 - Verg 11/14
Leitsatz:
Sieht der unterschriftsreife Vertragsentwurf zwischen einem Aufgabenträger und einem Verkehrsunternehmen über ÖPNV-Leistungen auf der Straße vor, dass der Auftragnehmer eine sich aus den Einnahmen (einschließlich Netzeffekte) und einem variablen Zuschuss des Auftraggebers zusammensetzende und von den vereinbarten
Fahrkilometern, nicht aber vom Fahrgastaufkommen abhängige Gesamtvergütung
erhalten soll, liegt ein Dienstleistungsauftrag und keine unter den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 fallende Dienstleistungskonzession vor.
Normen:
Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007
In dem Nachprüfungsverfahren
betreffend die geplante Direktvergabe des Auftrags „Stadtbusverkehr Idar-Oberstein in
Schwachlastzeiten“
Verfahrensbeteiligte:
…
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2015 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde der Auftraggeberin gegen den Beschluss der
1. Vergabekammer Rheinland Pfalz vom 17. November 2014 wird als
unbegründet verworfen.
2. Die Auftraggeberin trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen
Auslagen der Antragstellerin.
3. Die Beschwerdewert wird auf bis zu 550.000 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
1. Die Auftraggeberin ist eine im Landkreis Birkenfeld gelegene kreisangehörige
Stadt, die auf der Grundlage einer Zweckvereinbarung mit dem Landkreis als Aufgabenträgerin im Sinne der §§ 5 Abs. 2 NVG-RP, 8 Abs. 3 PBefG für den Stadtbusverkehr zuständig ist. Der Nahverkehrsplan der Auftraggeberin sieht 7 Buslinien und ein
Anruf-Sammel-Taxi zu bestimmten Zeiten vor. Der Stadtbusverkehr ist in den RheinNahe-Nahverkehrsverbund (RNN) integriert.
Die Beigeladene ist ein privates Verkehrsunternehmen, das seit dem Jahre 2002 den
Stadtbusverkehr eigenwirtschaftlich (d.h. ohne finanzielle Beteiligung des Aufgabenträgers) betreibt. Die entsprechenden Linienverkehrsgenehmigungen, die zuletzt im
Jahre 2007 erteilt wurden, enden am 30. Juni 2015.
Die Antragstellerin in ein … Busverkehrsunternehmen, das bereits im Landkreis Birkenfeld tätig ist.
2. Im Oktober 2012 teilte die Beigeladene der Auftraggeberin mit, sie sehe sich wegen geänderter Rahmenbedingungen (wie Bevölkerungsrückgang und rückläufige
Zuflüsse aus der Einnahmenverteilung des RNN) nicht in der Lage, den gesamten
Stadtbusverkehr auch ab dem 1. Juli 2015 auf Dauer eigenwirtschaftlich zu erbringen. Aus den in der Vergabeakte befindlichen Protokollen von Sitzungen verschiedener Gremien ergibt sich, dass sich die Stadt und die Beigeladene früh darüber einig waren, dass die bewährte Zusammenarbeit nach Möglichkeit fortgesetzt und
nach Wegen zur Erreichung dieses Ziel gesucht werden solle. Mit der Erarbeitung
einer rechtlich tragfähigen Lösung wurde auf Vorschlag und Kosten der Beigeladenen der jetzige Bevollmächtigte der Auftraggeberin betraut.
3. Als Ergebnis der Prüfungen und Beratungen beschloss die Auftraggeberin, den
Stadtbusverkehr ab dem 1. Juli 2015 in einen eigenwirtschaftlichen, von der Beigela-
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denen zu betreibenden Verkehr in den Hauptverkehrszeiten (HVZ) und in einen gemeinwirtschaftlichen Betrieb in Zeiten mit schwachem Verkehrsaufkommen (SVZ)
aufzuteilen, wobei die Aufteilung wie nachfolgend dargestellt erfolgen soll:
Montag - Freitag
Samstag, Sonntag, Feiertag
05:00 - 05:59 Uhr
SVZ
SVZ
06:00 - 08:59 Uhr
HVZ
SVZ
09:00 - 10:59 Uhr
SVZ
SVZ
11:00 - 16:59 Uhr
HVZ
SVZ
17:00 - 24:00 Uhr
SVZ
SVZ
Hinsichtlich der Beauftragung des SVZ-Verkehrs mit einer geplanten Jahresbeförderungsleistung von 250.222 km und einem Auftragsvolumen > 1 Mio. €/a geht die Auftraggeberin von der Vergabe einer Dienstleistungskonzession aus. Deshalb hat sie
im Wege der Vorabbekanntmachung im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Union vom 11. Juni 2014 angekündigt, diese Leistungen gemäß Art. 5 Abs. 4
Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 direkt an die Beigeladene vergeben zu wollen.
In dem Entwurf eines Betrauungsvertrages heißt es in § 2:
„(1) Die zuständige Behörde gewährt dem Unternehmen ab dem Jahr 2016 (sofern
keine neue Einnahmenaufteilung vorliegt) bei einer durchschnittlichen Beförderungsleistung von 250.222 km in Schwachverkehrszeiten und einem Vergütungssatz von €
... je km (Planwert für 2016, basierend auf der fortgeschriebenen Grundlage des Jahresabschlusses 2013) eine Ausgleichsleistung in nicht umsatzsteuerbarer Weise,
sofern die Gesamtvergütung nicht ausgeglichen wird durch
- die Einnahmen aus Tarifentgelten, die bei der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen
Verpflichtung entstehen, und
- positive finanzielle Auswirkungen, die innerhalb des Netzes entstehen, das im
Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung betrieben wird.
(2) Die Berechnung der Ausgleichsleistung ergibt sich aus der Kalkulation des finanziellen Nettoeffekts entsprechend der Verordnung zu § 9 des Gesetzes über den
Ausgleich von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im Ausbildungsverkehr
(LAGV)1 in Anlage 2.1 bis 2.3. Bei Veränderungen der Beförderungsleistungen gemäß Absatz 1 sind die Anlagen 1, 2.1 und 2.2 entsprechend anzupassen.
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Anm. des Senats: Dieses Gesetz gibt es nicht. Nachdem die Kommission einen so bezeichneten Gesetzesentwurf aus dem
Jahre 2011 geprüft und Anfang 2014 für mit dem EU-Beihilferecht vereinbar angesehen hatte, trat im August 2014 – rückwirkend zum 1. Januar 2014 – das Landesgesetz über den Ausgleich von Preisermäßigungen bei der Beförderung von Personen
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(3) Die Ausgleichsleistung wird in 12 Raten, fällig jeweils am 10. eines Monats, ausbezahlt. Die voraussichtlich zu zahlenden Raten werden durch das Unternehmen bis
spätestens 31.10. des Vorjahres mitgeteilt, damit diese in die Haushaltsplanung der
zuständigen Behörde einfließen können. Sofern die Spitzabrechnung nach Jahresabschluss eine darüber hinausgehende Ausgleichsleistung ergibt, kann diese erst mit
Inkrafttreten des Haushaltsplanes für das Folgejahr fällig gestellt werden.
(4) Bei Kostensteigerungen wird die Ausgleichsleistung angepasst. Anpassungen der
Ausgleichsleistung sind begrenzt auf das Maß der Kostenveränderungen, welches
sich in Anwendung der gewichteten Kostenelementeklausel in Anlage 3 ergibt.
(5) Die Gewährung der Ausgleichsleistung erfolgt unter der Bedingung, dass das Unternehmen seine Verpflichtungen aus dem „Eckpunktepapier Stadtverkehr IdarOberstein“ vom 23.05.2007 erfüllt.“
Grundlage der Ermittlung der Gesamtvergütung sind die fortgeschriebenen betriebswirtschaftlichen Zahlen der Beigeladenen aus dem Jahre 2013. Allen Kalkulationen
liegt die Annahme zugrunde, dass die Beigeladene auch künftig den gesamten
Stadtbusbetrieb übernehmen wird.
In den Anlagen 2.1 und 2.2 sind die voraussichtlichen „Plankosten“ bzw. „Planeinnahmen“ für den gesamten Stadtbusbetrieb für das „Planjahr 2016“, deren Aufteilung
in HVZ-Betrieb und SVZ-Betrieb sowie der kalkulatorische Gewinn dargestellt. Für
den SVZ-Betrieb ist ein sechsstelliger Betrag unter „sonstige Einnahmen (Netzeffekt)“ verbucht.
In einer dem Vertragsentwurf beigefügten Protokollnotiz werden die „in den Anlagen
2.1 -2.3 ersichtlichen Parameter … zur Vereinfachung noch einmal zusammengefasst und erläutert“; der Leser wird kurz darüber informiert, wie das Zahlenwerk zustande gekommen war. Unter Punkt 5 heißt es: „Der Netzeffekt zugunsten der SVZ
(Nutzung der Zeitkarten in der HVZ und SVZ) wurde sachgerecht mit … T € einvernehmlich festgelegt.“
Die Anlage zu § 2 Abs. 4 enthält eine Aufteilung der Gesamtkosten in mehrere Kostenblöcke wie Personalkosten (…%) und Treibstoffkosten (…%). Anpassungsgrundlagen sind die in Rheinland-Pfalz geltenden Tarifverträge für das private Omnibusgewerbe (Personalkosten) und Indizes des Statistischen Bundesamtes.
mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs (AVerkAusglG RP) in Kraft. Die zugehörige Durchführungsverordnung steht
noch aus.
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Nach § 3 Abs. 1 u. 2 des Vertragsentwurfs ist das betraute Unternehmen verpflichtet,
für den gemeinschaftlichen Verkehr eine Trennrechnung einzurichten, die Regeln der
Nrn. 1 - 6 des Anhangs zur VO (EG) Nr. 1370/2007 zu beachten und deren Einhaltung jährlich durch die Bestätigung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers
nachzuweisen.
§ 3 Abs. 4 lautet:
„Der Anreiz zur Aufrechterhaltung oder Entwicklung einer wirtschaftlichen Geschäftsführung gemäß Nr. 7 Anstr. 1 des Anhangs zur VO (EG) Nr. 1370/2007 ergibt sich
daraus, dass das Unternehmen das überwiegende Marktrisiko trägt, und keine Ansprüche auf einen Verlustausgleich im Nachhinein hat.“
Der Vertrag soll eine Grundlaufzeit von 7 Jahren haben, eine (auch mehrmalige) Verlängerung bis längstens zum 30. Juni 2025 ist möglich.
II.
1.
Wann der Antragstellerin die Vorabbekanntmachung vom 11. Juni 2014 zur
Kenntnis gelangte, ist unbekannt; auch die Auftraggeberin behauptet keine Kenntnisnahme an einem bestimmten Tag. Mit Schreiben vom 14. Juli 2015 an die Auftraggeberin machte die Antragstellerin geltend, die geplante Aufteilung sei eine Umgehung der Ausschreibungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007.
Zudem sei die angekündigte Direktvergabe unzulässig, da keine Dienstleistungskonzession, sondern ein nach der VOL/A auszuschreibender Dienstleistungsauftrag
i.e.S. vorliege.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2014 wies die Auftraggeberin die Rügen sowohl als verspätet (§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB) als auch als unbegründet zurück. Daraufhin
stellte die Antragstellerin innerhalb der Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB einen Nachprüfungsantrag, in dem sie ihre Rügen wiederholte und vertiefte.
In der späteren mündlichen Verhandlung beantragte sie,
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1. der Antragsgegnerin die im EU-Amtsblatt vom 11. Juni 2014 unter der Vergabe-Nr. 2014/S 110-193400 bekannt gemachte Direktvergabe des Stadtverkehrs Idar-Oberstein in Schwachlastzeiten an die Beigeladene zu untersagen,
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Stadtverkehr Idar-Oberstein bei fortbestehender Vergabeabsicht insgesamt im wettbewerblichen Vergabeverfahren gemäß § 8b PBefG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 VO Nr. 1370/2007 zu vergeben,
hilfsweise,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Stadtverkehr Idar-Oberstein in
Schwachlastzeiten bei fortbestehender Vergabeabsicht in einem förmlichen
Vergabeverfahren gemäß §§ 97 ff. GWB i.V.m. dem 2. Abschnitt der VOL/A zu
vergeben.
Die Auftraggeberin hielt ihre Verfahrensweise für rechtmäßig und beantragte, den
Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 17. November 2014 hat die Vergabekammer entschieden:
1. Es wird festgestellt, dass der beabsichtigte Betrauungsvertrag zwischen der
Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen vergaberechtliche Vorschriften
verstößt und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
2. Der Antragsgegnerin wird die im EU-Amtsblatt vom 11. Juni 2014 unter der
Vergabe-Nr. 2014/S 110-193400 bekannt gemachte Direktvergabe des Stadtverkehrs Idar-Oberstein in Schwachlastzeiten an die Beigeladene untersagt.
3. Die Antragsgegnerin wird für den Fall, dass sie an dem Beschaffungsvorhaben festhält, verpflichtet, die gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen nur im
Wege eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften der VOL/A
zu vergeben.
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Die Vergabekammer hat eine Dienstleistungskonzession verneint, weil der Beigeladenen im Falle eines Vertragsschlusses mit dem Betrag, der sich aus der festgelegten Jahresbeförderungsleistung von 250.222 km und dem Festbetrag je Beförderungskilometer errechne, eine sichere Gesamteinnahme zustehe, die insbesondere
unabhängig vom Fahrgastaufkommen sei. Betriebswirtschaftlich betrachtet komme
sie immer auf 100 % des vereinbarten Betrages; es sei lebensfremd davon auszugehen, dass sie ihre Kostenberechnung inkl. Gewinn nicht wirtschaftlich auskömmlich
kalkuliert haben könnte. Das für eine Dienstleistungskonzession typische Risiko des
Konzessionärs bei der Verwertung des übertragenen Nutzungsrechts fehle bei der
Beigeladenen völlig.
2. Gegen den Beschluss der Vergabekammer wendet sich nur die Auftraggeberin
mit der sofortigen Beschwerde. Sie ist nach wie vor der Meinung, die geplante Betrauung der Beigeladenen sei rechtlich als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren, weshalb eine Direktvergabe zulässig sei. In der mündlichen Verhandlung hat sie
vorgetragen, die Einnahmeposition „sonstige Einnahmen (Netzeffekt)“ in der Anlage
2.2 sei, anders als die anderen Positionen, eine unveränderliche Größe. Den dort
eingesetzten Betrag müsse sich die Beigeladene bei der Ermittlung des Ausgleichsbetrags auch dann anrechnen lassen, wenn der tatsächlich eintretende Netzeffekt betragsmäßig dahinter zurückbleibe. Deshalb trage die Beigeladene insoweit
auch ein Einnahmerisiko.
Deshalb beantragt sie,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, das Rechtmittel als unbegründet zu verwerfen.
III.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
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1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur die Frage, wie die nach Aufteilung
der Gesamtleistung gemeinwirtschaftlich zu erbringenden SVZ-Leistungen zu vergeben sind. Über die Zulässigkeit der Aufteilung selbst hat der Senat nicht zu befinden.
a) Eine sofortige Beschwerde ist nur zulässig, wenn und soweit der Rechtsmittelführer beschwert ist. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt der Beschwerdeführer mit
seiner Beschwerdeschrift (§ 117 Abs. 2 GWB) den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens. Die Auftraggeberin, zugleich einziger Rechtsmittelführer, wendet sich nur
gegen die sie allein beschwerende Untersagung der Direktvergabe bzw. die Verpflichtung zur Ausschreibung der als gemeinwirtschaftlich qualifizierten SVZLeistungen.
b) Bereits aus dem Tenor der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die
Vergabekammer der Auftraggeberin lediglich die geplante Direktvergabe der als gemeinwirtschaftlich qualifizierten SVZ-Leistungen als Rechtsverletzung zum Nachteil
der Antragstellerin untersagen wollte, aber keine Bedenken gegen die von der Auftraggeberin vorgenommene Teilung der Gesamtleistung hatte. Zwar fehlt im Tenor
insoweit die Zurückweisung des weitergehenden Nachprüfungsantrags. Aus den zur
Auslegung des Tenors heranzuziehenden Entscheidungsgründen ergibt sich allerdings, dass dies nur ein Fehler bei der Tenorierung ist. Ausweislich der Entscheidungsgründe (S. 16) war sich die Vergabekammer bewusst, dass die grundsätzlich
personenbeförderungsrechtliche Frage, ob bzw. inwieweit der ÖPNV auf der Straße
eigenwirtschaftlich und/oder gemeinwirtschaftlich zu organisieren ist, insbesondere
dann auch von vergaberechtlicher Relevanz sein kann, wenn „Fragen zum Umgehungsverbot prüfungsrelevant werden“. Allerdings hatte die Vergabekammer keine
„vergaberechtlich durchgreifenden Bedenken“ gegen die „Unterteilung der gewünschten Verkehrsbedienung in Hauptverkehrszeiten und Schwachverkehrszeiten
und die damit einhergehende Aufteilung in die Beschaffung von zwei nach Zeiten
festgelegten Verkehrsvolumina“ (siehe S. 20). Insoweit wäre die Antragstellerin beschwert; sie hat aber kein (Anschluss-)Rechtsmittel eingelegt.
2. Gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
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a) Da unbekannt ist, wann die Antragstellerin die Vorabbekanntmachung der geplanten Direktvergabe zur Kenntnis nahm, lässt sich auch nicht feststellen, wann die –
nach Ansicht des Senats wegen Unionsrechtswidrigkeit ohnehin nicht mehr zu beachtende – Frist zur unverzüglichen Anbringung der Rügen begann.
b) Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt,
dass sie auch daran interessiert ist, nur den SVZ-Verkehr zu übernehmen. Sie betreibt derzeit Regiolinien mit (Start- bzw. End-)Haltestellen in Idar-Oberstein, verfügt
über die notwendigen Einrichtungen – wie ein Kundencenter am Bahnhof IdarOberstein – und Kapazitäten und hat ein Interesse daran, im Stadtbusverkehr – auch
zunächst beschränkt auf den SVZ-Verkehr – Fuß zu fassen.
3. Die Vergabekammer hat zu Recht das Vorliegen einer der Direktvergabe nach
Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 VO (EG) 1370/2007 zugänglichen Dienstleistungskonzession verneint und einen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 1370/2007 i.V.m. der Richtlinie 2004/18/EG und dem der Umsetzung dieser Richtlinie dienendem nationalen
Recht ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag i.e.S. angenommen.
a) Eine Dienstleistungskonzession im Sinn von Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18 unterscheidet sich vom einem entgeltlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1
GWB nur dadurch, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen
entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem
Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Während in Fällen, in denen der
öffentliche Auftraggeber lediglich das Nutzungsrechts überträgt, in aller Regel eine
Dienstleistungskonzession vorliegt, weil das wirtschaftliche Risiko allein bei dem
Leistungserbringer (Auftragnehmer) liegt, kommt es bei Mischformen auf die Umstände des Einzelfalles an. Erforderlich für die Annahme einer Dienstleistungskonzession ist, dass der Leistungserbringer das Nutzungsrisiko ganz oder zu einem erheblichen Teil übernimmt, weil er den Unwägbarkeiten des Marktes mit dem Risiko
eines Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage ausgesetzt ist, seine Einnahmen wesentlich davon abhängen, ob und inwieweit die angebotene Leistung von
Dritten in Anspruch genommen und bezahlt wird und er letztlich Gefahr laufen kann,
dass die gesamten Einnahmen einschließlich der Zuzahlung des Auftraggebers noch
nicht einmal kostendeckend sind. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Leistungser-
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bringer das überwiegende Risiko trägt, aber es muss ein wesentlicher Teil des an
sich beim Auftraggeber liegenden Risikos übernommen werden (BGH v. 08.02.2011
- X ZB 4/10 - VergabeR 2011, 452; EuGH v. 10.11.2011 - C-348/10 - VergabeR
2012, 164).
b) Prüfungsgrundlage ist allein der von der Auftraggeberin und der Beigeladenen mit
anwaltlicher Hilfe erarbeitete unterschriftsreife Entwurf des Betrauungsvertrages. Auf
dieser Grundlage hat die Vergabekammer zu Recht festgestellt, dass Vertragsinhalt
ein nach der VOL/A ausschreibungspflichtiger Dienstleistungsauftrag ist, für dessen
Erfüllung die Beigeladene eine „risikofreie“ Gesamtvergütung erhalten soll.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Beigeladene irgendein Risiko tragen soll, das über
das hinausgeht, was jede unternehmerische Betätigung mit sich bringt. Sie mag Risiken tragen, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder einer Fehlkalkulation bei der Ermittlung und Vereinbarung des Vergütungssatzes je Beförderungskilometer ergeben können. Diese (Kosten-)Risiken sind jedoch für die Einordnung eines
Vertrags als Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession unerheblich,
weil sie jeden Auftragnehmer unabhängig von der vereinbarten Vergütungsform treffen (EuGH v. 10.11.2011 - C-348/10 - VergabeR 2012, 164).
c) Die Behauptung, der in der Anlage 2.2 für den Netzeffekt eingesetzte Betrag sei
eine von den tatsächlichen Einnahmen aus dem Fahrgastaufkommen unabhängige
und unveränderliche Größe, weshalb die Beigeladene durchaus ein Einnahmerisiko
trage, findet weder in dem Wortlaut des Vertragsentwurfs selbst noch in der Anlage
2.2 noch in der Protokollnotiz eine Stütze. Eine derartige Festlegung wäre auch nicht
mit dem Regelungswerk der VO (EG) 1370/2007 zu vereinbaren, das wiederum Eingang in den Vertragsentwurf gefunden hat. Sie widerspricht zudem auch dem Vortrag
in der Beschwerdeschrift, wo auf S. 8 und 9 dargestellt ist, dass eine Veränderung
bei den Fahrgeldeinnahmen auch auf den Betrag für den Netzeffekt durchschlägt.
aa) Die vertragliche Regelungen in § 2 und § 3 tragen dem in Art. 4 Abs. 1 lit b), 6
Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 1370/2007 i.V.m. dem Anhang normierten und bei Direktvergaben von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsdienstleistungen zu beachtenden
Überkompensationsverbot Rechnung. Dieses Verbot besagt, dass der „Zuschuss“
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des Auftraggebers den quantifizierbaren Nachteil des Verkehrsunternehmens aus
dem gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbetrieb nicht übersteigen darf. Deshalb sieht Nr.
2 des Anhangs vor, dass zur Ermittlung dieses als finanzieller Nettoeffekt (= Nettomehrkosten aufgrund der gemeinwirtschaftlichen Tätigkeit) bezeichneten Nachteils
von den Kosten (zzgl. eines angemessenen Gewinns) neben den unmittelbaren Einnahmen aus dem Verkehrsbetrieb auch alle sonstigen positiven finanziellen Auswirkungen, die der Betrieb für den Verkehrsunternehmer mit sich bringt, abgezogen
werden. Die Differenz zwischen den Kosten (zzgl. Gewinn) und den realisierten Einnahmen (wie Tarifentgelte) wird also um quantifizierbare sonstige positive Auswirkungen der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsdienstleistungen bereinigt. Zu
diesen Auswirkungen gehören auch induzierte Netzeffekte (Vereinfachtes Beispiel:
Nach der Eröffnung der gemeinwirtschaftlichen Linie zwischen A und B steigt wegen
des Zubringereffekts auch der Fahrkartenverkauf für die Strecke zwischen B und C).
Die Beachtung des Überkompensationsverbots ist in der Regel gewährleistet, wenn
die Beteiligten „allen Auswirkungen der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auf die Nachfrage nach öffentlichen Personenverkehrsdiensten in dem
im Anhang enthaltenen Berechnungsmodell gebührend Rechnung tragen“ [EG 28
zur VO (EG) 1370/2007].
bb) Nach Nr. 4 des Anhangs zu Art. 6 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 1370/2007, der über
§ 3 Abs. 2 des Entwurfs Vertragsbestandteil werden soll, ist der finanzielle Nettoeffekt „anhand der geltenden Rechnungslegungs- und Steuervorschriften“ zu ermitteln.
Zudem ergibt sich aus § 2 Abs. 3 des Vertragsentwurfs die Verpflichtung zu einer
„Spitzabrechnung nach Jahresabschluss“, die, wie in dem im Vertragsentwurf angesprochenen Verordnungsentwurf vorgesehen, (auch) der jährlichen Überkompensationskontrolle dient. Dies schließt es aus, bei den Kosten oder Einnahmen mit einer
von den tatsächlichen Gegebenheiten unabhängigen Zahl zu arbeiten (siehe auch
Zuck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Auflage 2014, Anh. VO 1370 Rn. 7).
Ausweislich der Protokollnotiz soll sich der Netzeffekt (in erster Linie) aus dem Zeitkartenverkauf ergeben. Dieser ist aber keine feste Größe. Folglich könnte der Netzeffekt nicht nur hinter dem (für 2016 einvernehmlich) prognostizierten Betrag zurückbleiben, sondern diesen auch überschreiten – letzteres mit der Folge einer (u.U. auch
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beihilferechtlich relevanten) Überkompensation. Es widerspräche nicht nur der VO
(EG) 1370/2007, eine Variable unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten
betragsmäßig festzuschreiben. Der Vertragsentwurf ist ersichtlich von dem Bestreben betragen, den Vorgaben dieser Verordnung uneingeschränkt Rechnung zu tragen. Demzufolge wäre die Beigeladene im Falle einer Beauftragung verpflichtet, „die
Regeln der Nrn. 1-6 des Anhangs zur VO (EG) 1370/2007 einzuhalten.“ Diese Verpflichtung könnte sie aber nicht erfüllen, wenn tatsächliche Gegebenheiten ohne Einfluss auf den betragsmäßigen Ansatz der anrechenbaren induzierten Netzeffekte wären.
d) Trotz sprachlicher Abweichungen ist der Betrauungsvertrag im Ergebnis ein Bruttovertrag über die Erbringung einer Dienstleistung gegen Bezahlung: Der Auftragnehmer erhält ein Entgelt in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern und völlig
unabhängig davon, wie viele Fahrgäste das Leistungsangebot genutzt haben. Das
Einnahmerisiko, dass sich in der Höhe der Ausgleichleistung niederschlägt, trägt im
SVZ-Verkehr allein die Stadt Idar-Oberstein.
e) Daran ändern auch nichts, dass diese Differenz für das Jahr 2016 mit prognostizierten 18.000,00 € relativ niedrig und für die Folgejahre nicht absehbar ist. Zum einen hat dies nichts mit einem konzessionstypischen Risiko der Beigeladenen zu tun,
zum anderen wäre gegebenenfalls zu beachten, was das OLG München mit Beschluss vom 21. Mai 2008 (Verg 5/08) zutreffend entschieden hat: „Kann eine sichere
Aussage über die Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zum
Zeitpunkt der Ausschreibung nicht getroffen werden und besteht deshalb die Möglichkeit, dass das wirtschaftliche Risiko in nennenswertem Umfang beim Auftraggeber verbleibt, ist im Sinne eines fairen und transparenten Wettbewerbs von einem
Dienstleistungsauftrag auszugehen.“
f) Ebenso ist es unerheblich, ob, wie von der Auftraggeberin im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 15. März 2015 vorgetragen, „Einnahmenrückgänge in der Hauptverkehrszeit … überhaupt nicht ausgeglichen“ werden. Solche Einnahmerückgänge
wären zwar ein Problem des Beigeladenen, wegen der gewollten Teilung der Linien
aber nicht in dem hier allein relevanten gemeinwirtschaftlichen Teil. Möglicherweise
könnte man eines Tages über die Höhe einzelner Positionen und/oder deren Auftei-
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lung streiten; dies wäre aber eine Frage der Vertragsabwicklung und kein taugliches
Kriterien für die Abgrenzung Dienstleistungsauftrag – Dienstleistungskonzession.
Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch § 3 Abs. 4 des Vertragsentwurfs nicht geeignet ist, die Annahme einer Dienstleistungskonzession zu begründen.
IV.
Es entspricht der Billigkeit (§ 78 Satz 1 GWB), dass die Auftraggeberin als Unterlegene die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt. Die Beigeladene bleibt unberücksichtigt, weil sie sich nicht aktiv am
Verfahren beteiligt hat.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.