132. Ausgabe Betriebsseelsorge Stuttgart April 2015 Mitgefühl und Solidarität am 05. Januar 2015 gegen fremdenfeindliche Propaganda der PEGIDA und für eine Kultur des Willkommens der Bürgerkriegsopfer, der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Stuttgart ! antenne Flüchtlinge sind in Stuttgart willkommen Liebe Leserinnen und Leser, Es ist dem Verein ‚Die Anstifter’ und dem Kabarettisten Peter Grohmann zu verdanken, dass schon am 5. Januar in Stuttgart eine Anti-PEGIDA-Demonstration auf dem Stuttgarter Schlossplatz stattfand. Nach den ersten Gerüchten, dass ein Stuttgarter Ableger der PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) latente soziale Sorgen und Abstiegsbefürchtungen auch in Stuttgart in Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit umgießen will, riefen 140 Organisationen und auch die Stuttgarter Betriebsseelsorge zu einer gemeinsamen Kundgebung auf. 8000 Demonstranten zeigten, dass Bürgerkriegsflüchtlinge und Ausländer in Stuttgart willkommen sind. Anti-PEGIDA Demonstration (Bild:Graffiti-Foto) Die Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen, die vor Krieg und Terror in ihren Herkunftsländern fliehen, gilt es auch dann zu bewahren, wenn – wie Tage später in Paris – islamistischer Terror in europäische Städte getragen wird und uns Bürgerinnen und Bürger mit Angst und Schrecken erfüllt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Anschläge auf demokratische Einrichtungen, wie Presse und Medien, gilt es mit der Härte der Sicherheitsbehörden und des Rechts zu verfolgen; die Maske des frommen Anscheins islamistischer Mörder gilt es herunterzureißen und ihren menschenfeindlichen Hass zu brandmarken. Mit Recht reagieren wir mit Angst auf den Terror der IS und der Al-Kaida. Auf Terror antworten wir mit den wehrhaften demokratischen Mitteln des Rechtsstaates – nicht aber mit der Ablehnung der Opfer des Terrors, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Die Veranstaltung am Schlossplatz begann mit der Europahymne ‚Freude schöner Götterfunke’, in der es mit dem Text von Friedrich Schiller heißt „Alle Menschen werden Brüder“ und endete mit Gesang junger Syrer, die dem Bürgerkrieg in ihrem Land entkommen sind. Sie sind inzwischen Teil eines integrativen Theaterprojektes, die die Mozart Oper ‚Così fan tutte’ auf die Bühne bringt. In Stuttgart soll die PEGIDA-Bewegung mit ihrem hinter angeblichen Bürgerinteressen versteckten Rassismus keine Chance haben, ist die Meinung der Protestierenden. Oberbürgermeister Fritz Kuhn: „Wir betrachten alle Menschen, die zu uns kommen, als Stuttgarter und wir wollen sie hier so gut wie möglich aufnehmen.“ Ende 2015 werden 4000 Flüchtlinge in Stuttgart leben. Ich war als katholischer Betriebsseelsorger besonders erbost, dass PEGIDA-Demonstranten in Dresden vor der Jahreswende christliche Weihnachtslieder oder Trauerflor nach den Pariser Mordtaten zur ausländerfeindlichen Stimmungsmache benutzten. Dabei sind die Weihnachtslegenden eindeutig: Gott wird Mensch als Kind in einer Flüchtlingsfamilie. Gott sucht sichere Zuflucht unter uns Menschen, in dem ER sich unserem Mitgefühl und unserer Solidarität als hilfloses Kind anvertraut. DANKE für Ihre SPENDE Liebe Spenderinnen und Spender, dank Ihrer Förderung konnten wir mit dem Ausbau der Erwerbslosenseelsorge beginnen. Ihre Unterstützung fördert die Solidar- und Solidaritätsarbeit der Betriebsseelsorge Stuttgart. Ich danke für die Ermöglichung der Beratungsdienste für Menschen ohne und mit Erwerbsarbeit: Schuldner-; Berufs- und Rehabilitationsberatung; Bewerbungsberatung und Rechtsauskünfte in Arbeits- und Sozialrecht; Ämterbegleitung und den so wichtigen Dienst der Jobbörse mit den Zuverdienst-Möglichkeiten für Langzeit-Erwerbslose; Mobbing- und Burnoutberatung und auch viele seelsorgliche Gespräche. Unsere IBAN: DE 73 6005 0101 0002 4702 05 BIC: SOLADEST600 Guido Lorenz Betriebsseelsorger antenne 4/2015 132. Ausgabe 2 antenne Kreativität und Sport – Angebote für Flüchtlinge In Stuttgart in ‚Mercedesstraße’ und ‚Neckarpark’ angekommen uli.w Immer mehr Flüchtlinge und Asylbewerber kommen nach Stuttgart. Die Caritas betreut z.B. in Bad Cannstatt die Unterkünfte ‚Mercedesstraße’ und ‚Neckarpark’. Über den Aufruf der Betriebsseelsorge zur Begleitung neu ankommender Flüchtlinge stießen Ismail Cetin und Ulrich Weißer zum Freundeskreis der CaritasUnterkünfte. Während Ismail Cetin den Kontakt über den Sport suchte, half Ulrich Weißer bei Angeboten von Marima Spahic „In Bewegung“. Mit Arash Hafezi, Caritas-Mitarbeiter, und dem ehrenamtlichen Begleiter Ulrich Weißer kam so ein offenes und kreatives Angebot für alle interessierten Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte zustande. Für Marima Spahic kommen bei dem Projekt die Teilnehmer in Kontakt mit Sport, Tanz und Kunst. So 3 führte uns der Weg in eine Kampfsportschule und in eine Salza-Tanzschule. An einem warmen Herbsttag machten wir uns auf den Weg zur KampfSportschule. Wir befanden uns nach kurzer Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß in den SportRäumlichkeiten im Stuttgarter Westen. Wir, das waren drei Begleiter, 15 Kinder und ein Vater. Sie hatten sich bereit erklärt mitzumachen. Nach zögerlichem Anfang waren alle mit großem Eifer und Interesse 1½ Stunden voll dabei. Einige wollten auch künftig regelmäßig an Kursen teilnehmen. antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Leben in Furcht vor Assad Entwurzelt zwischen Stuttgart und Aleppo Nach Deutschland. Ich heiße Selma A. (Name geändert), bin heute 33 Jahre alt, mein Mann 39, mein jüngster Sohn ist 9, meine Tochter 10 und mein ältester Sohn ist 13. Mein Vater war gegen das Assad-Regime und er musste mit der ganzen Familie 1984 flüchten. Wir gingen nach Deutschland. Ich war damals 3 Jahre alt. Wir waren drei Geschwister. Meine Eltern konnten überhaupt kein Deutsch. Im Kindergarten haben wir schnell Deutsch gelernt. Zudem hatten wir ältere deutsche Damen als Nachbarn, mit denen ich mich immer gerne gesprochen habe. Zurück nach Syrien. Irgendwann wollte mein Vater wieder nach Syrien gehen. 1988/89 ist mein Opa in Syrien verstorben. Also gingen wir nach Syrien, obwohl mein Vater Probleme in Syrien hatte. Wir blieben wegen der Oma sieben Monate. Aber wir konnten dort nicht mehr leben. Syrien war ganz anders geworden in den drei Jahren, in denen wir in Deutschland gelebt hatten. Mein Vater konnte nicht mehr seine alte Arbeit aufnehmen und hat halt nur irgendwas gearbeitet, um Geld zu verdienen. Meine Mutter hat einen kleinen Laden aufgemacht. Wir lebten in einem kleinen Dorf namens Achtarim ca. eine halbe Stunde von Aleppo entfernt. Dort waren wir ca. ein Jahr. Mein Vater hatte keine Papiere und so sind wir wieder über die Grenze geflohen. Wir gingen durch Berge, Seen, schliefen mal im Hotel, bis wir in Deutschland angekommen sind. Zurück nach Deutschland. Erst Aufnahmestation in Karlsruhe. Dort blieben wir nur ein paar Monate und kamen dann nach Böblingen. Dort lief alles sehr gut. Ich habe die Schule besucht. Mein Vater hat sich als Automechaniker selbständig gemacht. Wir zogen in größere Wohnungen und landeten dann 1990 in Althengstett in der Nähe von Calw. Da habe ich die Hauptschule besucht. Danach lernte ich Friseurin und besuchte die Berufsschule. Meinen Mann kennengelernt. Ich war inzwischen 17 oder 18 Jahre alt. Wir bekamen einen Anruf von einem Bekannten meines Vaters. Er hat ihm gesagt, dass ein Freund nach Deutschland kommt und ob mein Vater Arbeit in seiner Werkstatt für ihn hätte. Mein Vater hat zugesagt. So habe ich meinen späteren Mann kennengelernt. Am 3. März 2000 haben wir geheiratet. Ich brach meine Lehre ab und habe gleich Geld verdient, denn das brauchten wir. Mein Mann konnte ja die Sprache nicht und hatte keine Aufenthaltserlaubnis. Ich habe dann bei Motoren Dürr in Gechingen Leiterplatten montiert. Da habe ich etwa ein Jahr gearbeitet und sehr gut verdient. Damals hieß es, sobald wir ein Kind hätten, kriegt mein Mann schneller die Aufenthaltserlaubnis. Am 9. April 2001 habe ich meinen Sohn zur Welt gebracht. Ich war 20 Jahre alt. Dann blieb antenne 4/2015 132. Ausgabe ich erst mal zu Hause. Mein Mann hatte bei meinem Vater einen Mini-Job mit 500 Mark. Er lernte zu Hause Deutsch und ging dann zu Zeitfirmen. Er fing mit Mini-Jobs an und da er die Sprache recht gut konnte, wurde er fest angestellt. Er arbeitete im Lager bei einer Tochterfirma von Daimler. Es lief sehr gut. Ich war zu Hause. Nach drei Jahren kamen meine Tochter und dann ein Jahr später mein zweiter Sohn zur Welt. Zurück nach Syrien. Als wir frisch verheiratet waren, konnten wir uns nichts leisten. Mit der Zeit, als er dann besser verdient hat, haben wir uns ein paar Sachen gekauft. Mein Mann hat damals ca. 3000 Mark verdient. Die Miete war teuer. Dann wollte mein Mann den LKWFührerschein machen. Das Arbeitsamt zahlte etwas dazu. Er hat seine Arbeit abgebrochen und das Arbeitsamt zahlte ihn in der Zeit, in der er den Führerschein machte. Nach 3-4 Monaten hatte er seinen Führerschein. 2010 wurde er selbständig. Er kaufte einen LKW und machte ein ImportExport Geschäft auf. Meine Schwiegereltern in Syrien haben auch so eine Firma. Sie handelten mit Lebensmittel und mein Mann wollte die Waren von Syrien nach Deutschland bringen. Er nahm einen Kredit von der Bank. Es lief sehr gut. Ich wollte dann mit den Kindern für 1-2 Jahre nach Syrien gehen, damit wir hier etwas Geld sparen und er den Kredit schneller zurückzahlen konnte. Ich wollte zu meinen Schwiegereltern ins Haus ziehen. Ich musste Papiere ausfüllen, damit ich mit den Kindern ins Ausland gehen durfte. Ich und unsere Kinder sind ja Deutsche. 2010 ging ich dann mit den Kindern nach Syrien. Mein Mann blieb hier und kam nach 1-2 Monaten hinterher. Er hat uns die Wohnung renoviert und Möbel gekauft. Das war in Albab, einer großen Stadt. Dort kennen sich die Leute. Die Kinder gingen in die Schule. 2011 syrische Revolution. Nach sechs Monaten fingen die Leute an ‚Freiheit’ zu rufen. Die Familie meiner Schwiegereltern war dafür bekannt, dass sie schon immer gegen Assad war. Wenn bei uns in Syrien jemand gegen Assad ist, dann kommen sie in eine Computerliste. Sie dürfen nicht auf einem Amt oder als Lehrer arbeiten. Ich überlegte, wie lange ich mit den Kindern noch in Syrien bleiben soll. Bei uns war noch alles ruhig. Dann habe ich gehört, in Homs werden schon Kinder von den Polizisten abgeschleppt. Es werden Männer mitgenommen und verhaftet. Irgendwann klopften Polizisten bei uns am Haus. Meine Schwiegermutter machte die Tür auf und sie nahmen meinen Schwager mit. Er war nicht mal 22 Jahre alt. Am Abend kam er zurück. Er war blau geschlagen. Sie wollten wissen, ob seine Familie was gegen Assad hat. Er sagte, er hat damit nichts zu tun und wurde frei gelassen. 4 antenne Syrische Flüchtlinge Verhaftungen. Erpressungen. Folter. Da mein Mann immer noch Transporte nach Deutschland machte, sagte er, er wolle für uns wieder eine Wohnung in Deutschland suchen. Zwei Monate später wurde ein anderer Schwager von der Polizei abgeholt und in Aleppo eingesperrt. Um ihn frei zu bekommen, muss man Geld bezahlen und zwar 4000 bis 5000 Euro. So viel Geld hatten meine Schwiegereltern nicht. Mein Mann hat Geld überwiesen, damit man den Bruder freikaufen konnte. Drei Monate später haben sie einen anderen Bruder geholt. Mein Mann kam nach Syrien. Jeden Freitag nach dem Freitagsgebet demonstrierten die Leute. Mein Mann wollte, dass wir wieder nach Deutschland gehen. Er wollte mit dem LKW zurück nach Deutschland und ich würde mit den Kindern mit dem Flugzeug nachkommen. Ihm wurde gesagt, er muss an der Grenze aufpassen wegen unserem verdächtigen Familiennamen. Er hat den LKW an der syrisch/türkischen Grenze stehen gelassen und ging über die Grenze. An der syrischen Grenze hat einer gearbeitet, der ein Auge zugedrückt hat. Er hat wohl den Namen gelesen und wusste, dass mein Mann festgenommen 5 (Bild: Stoyan Nenov, Reuters) werden sollte, aber er tat so, als ob er es nicht sieht und hat ihn durchgelassen. In der Türkei kam mein Mann normal durch. Nur weg aus Syrien. Nach zwei Tagen bekamen meine Schwiegereltern einen anonymen Anruf, jemand hatte nach mir gefragt. Dieser jemand, der an der Grenze arbeitet, wollte mir Bescheid geben, dass mein Mann auf keinen Fall mehr nach Syrien kommen soll. Er würde auf jeden Fall verhaftet werden. Eigentlich aber wollte mein Mann in zwei Monaten nochmals kommen und uns rausholen. Da wollte ich mit den Kindern weg. Doch es hieß, ihr seid schon länger als zehn Monate in Syrien, dann dürfen die Kinder nicht ohne den Vater aus Syrien ausreisen. Ich sagte, ich bin die Mutter. Ich bin Deutsche, die Kinder sind deutsch. Wir wollen wieder nach Deutschland. Sie: Der Vater muss nach Syrien und mit seinem Einverständnis die Kinder rausholen. Ich habe überlegt, wie ich das hinkriegen soll. Manchmal kamen meine Kinder weinend aus der Schule gerannt, weil Polizisten die älteren Kinder mit Stöcken geschlagen antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne haben, damit sie keine Demos machen. Die Kinder hatten Angst. Mein jüngster Sohn hatte Angst und wollte nach Deutschland. Er konnte nachts nicht mehr schlafen. Ich habe mit meinem Mann gesprochen, dass er kommt und uns rausholt. Er sagte, er kommt in die Türkei, kommt an die Grenze, aber nicht nach Syrien rein. Wenn wir es nicht schaffen da rauszukommen, dann will er mit den türkischen Beamten reden, dass man uns da rausholt. Mit dem Taxi an die Grenze. An einem Freitag wollten wir von der Türkei aus zurückfliegen. Mein Mann hatte den Flug bereits gebucht. Ich hatte alles zusammengepackt und mich von meinen Schwiegereltern verabschiedet. Ich bestellte ein Taxi. Nach Aleppo dauert die Fahrt eine halbe Stunde. Ich bekam richtig Angst. Von Aleppo an die syrische Grenze sind es nochmals 20 Minuten. Als wir da entlang fuhren, merkte man, alles ruhig, keine Autos, niemand. An der syrischen Grenze sah man Polizisten hinter Sandsäcken mit Schützengewehren. Die syrische Grenze war zu. Es kam keiner rein und keiner raus. Der Taxifahrer fragte: warum ist die Grenze zu? Die Frau will in die Türkei und hat ein Flugticket. Er bekam zur Antwort, ja wisst ihr nicht, dass wir im Krieg sind. Sie haben uns dann die Tore aufgemacht. Wir fuhren in die Grenze rein. Da waren nur schwarz gekleidete Männer und ich dachte, oh Gott, wo bin ich bloß gelandet. Es war schrecklich. Ich war froh, dass dieser Taxifahrer da war. Er sagte zu mir: Bleiben Sie in der Nähe ihrer Kinder und lassen Sie sie nicht aus den Augen. Er ging mit unseren Ausweisen in das syrische Grenzbüro rein und wir blieben im Taxi sitzen. Irgendwann kam ein Beamter und schrie auf Arabisch: Steigt aus! Wo wollt ihr hin? Ich: Nach Deutschland, wir wollen wieder zurück. Er: Wo ist der Vater? Ich konnte ihm nicht sagen, dass mein Mann auf der anderen Seite der Grenze steht. Ich sagte: Er ist nicht da und ich will mit den Kindern in die Türkei. Ich und die Kinder sind deutsch. Er sagte, im Islam hat der Vater die Verantwortung für die Kinder. Ich sagte: In Deutschland habe ich als Mutter auch ein Recht auf die Kinder. Er hat mich nur noch angeschrien. Ich: Mein Mann wartet auf uns in der Türkei, damit wir wieder nach Deutschland können. Er: Er soll reinkommen nach Syrien, unterschreiben, dass er die Kinder mitnimmt und dann können wir reisen. Ich aber wusste schon, dass es ein Spiel war… Zu dem Zeitpunkt kamen die ‚Freiheitskämpfer’, die gegen Assad sind, von der anderen Seite und haben zu schießen angefangen. Ich bin mit den Kindern direkt in das Gebäude reingelaufen und wir haben uns hinter Tischen versteckt. Irgendwann hat die Schießerei nachgelassen… Da kam der Beamte wieder und war wütend. Er zu mir: Jetzt muss dein Mann hier rein. Er hat mich gezwungen, bei meinem Mann anzurufen. Ich sah Schützen auf den Dächern. Er solle nur ans Grenztor kommen und schreien, dass er der Vater ist. Ich dachte, dann wird er erschossen. Ich musste auf Arabisch mit meinem Mann reden. Bevor ich auflegte, rief ich auf Deutsch: Komm nicht rein, die warten auf dich. Der antenne 4/2015 132. Ausgabe Beamte wurde dann aggressiver, weil ich deutsch gesprochen habe. Er hat uns gedroht. Es wurde gefährlich. Geld und Vollmacht. Ich habe den Taxifahrer gebeten, er soll meinem Mann Bescheid sagen, was hier passiert. Er ging zur Seite und hat heimlich meinen Mann angerufen. Er sagte ihm, wenn er reinkommt, wird er verhaftet und wir kommen nicht raus. Nach dem Gespräch fuhr der Taxifahrer Richtung Türkei. Mein Mann gab ihm Geld und eine Vollmacht für den Taxifahrer, dass er uns mit rausnehmen darf. Der syrische Beamte aber ist vor Wut gesprungen. Da kam ein anderer Beamter, der sagte mir, ich soll zu meinen Schwiegereltern zurückgehen. Er kann mich nicht rauslassen. Ich wollte nur weg. Ich musste ein anderes Taxi bestellen, das mich zurück zu meinen Schwiegereltern brachte. Ich war mit den Nerven am Ende. Dem anderen Taxifahrer sagte ich, er soll meinem Mann Bescheid sagen, dass ich zurückgehe und wir fuhren zurück zu den Schwiegereltern. Die türkischen Beamten aber wollten meinem Mann helfen. Er hat sie angefleht, dass die türkischen Beamten ihn nach Syrien reinbringen, damit ihm die Polizisten nichts tun können. Die Türken haben mit den Syrern gesprochen, dass meinem Mann nichts getan wird, da er ja nur seine Familie holen will. Doch die syrischen Polizisten brachten ihn ins Gefängnis nach Aleppo. Ich wusste gar nichts davon. Ich fragte mich, was ist mit meinem Mann passiert. Er müsste eigentlich wieder in Deutschland sein. Ich versuchte ihn telefonisch zu erreichen. Ich rief den Taxifahrer an. Er erzählte, er wisse es nicht, ob mein Mann zurückgeflogen ist. Am nächsten Tag rief ich meinen Bruder in Deutschland an und fragte, ob er meinen Mann am Flughafen abgeholt hat. Mein Bruder sagte, er kam nicht an. Erst nach zwei Tagen erfuhr ich, dass er in Damaskus im Gefängnis ist. Verhör in Damaskus. Es wurde nicht gefragt, wer mein Mann ist und woher er kommt. Man hat ihm die Augen verbunden und in Unterwäsche gelassen. Er wurde gefoltert, ohne dass er erzählen konnte, was eigentlich los ist. Er blieb ca. zwei Wochen in Damaskus. Meine Schwiegereltern fragten nach, was los ist, und es hieß: wenn sie Geld schicken, können sie vielleicht mit ihm sprechen. Sie bekamen ihn nicht ans Telefon, mussten aber weiter Geld fürs Essen schicken. Mein Mann wurde mit einem Silikonschlauch geschlagen. Irgendwann schrie er: Aufhören! Ich komme aus Deutschland. Jeden Tag kamen andere Leute, die ihn gefoltert haben. Einer von denen hat dann endlich zugehört. Mein Mann konnte seine ganze Geschichte erzählen. Danach haben sie ihn nach Aleppo ins Gefängnis gebracht. Drei Wochen lang ging das so und wir wussten: je schneller wir Geld bezahlen, umso schneller kommt er raus. Wir haben von Verwandten und Nachbarn Geld geliehen. Das waren so große Summen, dafür kann man in Syrien Häuser kaufen. Als wir das Geld 6 antenne zusammen hatten, ging ein Freund von ihm ins Gefängnis und hat das Geld abgegeben, damit er raus kam. In dieser Zeit habe ich mich mit den Kindern in einem Dorf, aus dem mein Vater kommt, versteckt. Ich hatte Angst: wenn sie meinen Mann haben, holen sie auch mich und die Kinder. Freigekauft aus dem Gefängnis. Als mein Mann wieder zu seinen Eltern kam, sah er anders aus. Bart, Kleidung musste er gleich im Bad ablegen und sich erst mal mit Gas oder Benzin abduschen, um die ganzen Läuse und Viecher abzuwaschen. Aber er hatte im Gefängnis ein Schreiben vom Richter bekommen, dass die Familie deutsch ist und wir das Land mit ihm verlassen dürfen. Als er uns abholte, er sah krank und fertig aus. Er erzählte nicht, wie es ihm erging, sondern nur: Sobald wir einen Flug bekommen, fliegen wir von Aleppo nach Deutschland. Nur weg nach Deutschland. Mein Mann bat Freunde, die Flugtickets für uns zu kaufen. Die Tickets haben wieder jede Menge Geld gekostet. Einen Teil haben wir in Syrien zusammengekriegt, einen Teil hat mein Bruder aus Deutschland geschickt. Zwei Wochen hat es gedauert, bis wir einen Flug hatten. In dieser Zeit blieben wir nur im Hause. Wir konnten uns nicht bewegen. Draußen war immer was los. Die Polizisten waren immer am rennen. Man wusste nicht, wer wird heute mitgenommen. Und wir hatten kein Geld mehr. Dann ging’s zum Flughafen nach Aleppo. Die Fahrt war anstrengend, denn überall waren Polizisten. Auch am Flughafen sah es aus wie im Krieg. Man konnte sich nicht normal bewegen. Alles wurde kontrolliert. Überall Polizisten, überall Gewehre. Wir hatten richtig Angst. Die Freunde meines Mannes brachten uns zum Flughafen und verabschiedeten sich. In einer Stunde sollten wir fliegen. Am Schalter zeigte mein Mann unsere Tickets. Da hieß es: nichts gebucht, die Tickets sind nicht richtig. Unsere Namen stehen nicht auf der Passagierliste. Ich zu meinem Mann: Die wollen bestimmt Geld. Syrische Beamte und Polizisten wollen nur Geld. Mein Mann ging zum Schalter und fragte, wenn er Geld bezahlt, ob es dann noch Plätze für uns gibt. Antwort: Das wäre vielleicht machbar. Sie wollten 1000 Euro. Mein Mann hatte noch 200 Euro in der Tasche. Er rief wieder seine Freunde an, die bereits zu Hause waren. Sie legten das Geld zusammen und kamen mit 1000 Euro, die wir hintenrum zahlen mussten. Dann waren Plätze frei. Und kurze Zeit später saßen wir Gott sei Dank im Flieger. Ich war froh, dort raus-zukommen, egal wie viel wir bezahlt hatten. Ein Verwandter von uns hatte sein Haus verkauft, weil er Geld für uns und die ganze Familie brauchte. Er zog dann zu einem anderen Bruder. Da leben heute zwei Familien in einem Haus. Es hieß, unser Flug geht nach Deutschland. Irgendwann hieß es dann, wir landen in Frankreich, da Passagiere für Frankreich mit im Flugzeug saßen. Also gab es doch Plätze. Danach flogen wir weiter bis Frankfurt und dort holten uns zwei meiner Brüder ab. Im Mai 2012 waren wir wieder hier in Deutschland. Frau und Kind warten auf Ablug aus Syrien (Bild: Khaled al-Hariri, Reuters) 7 antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Leben in Deutschland. Mein Mann hatte keine Wohnung für uns als Familie gefunden. So wohnten wir in einer 1-Zimmer-Wohnung. Wir waren hoch verschuldet. Meine Brüder hatten uns ja ständig Geld geschickt. Wir waren mit den Nerven am Ende. Ich hatte 10 Kilo abgenommen. Man hat es uns angesehen, dass es uns in Syrien nicht gut ging. Mein Mann im syrischen Gefängnis war mit 50 Männern in einem Raum. Viele waren krank, hatten Läuse. Wenn man schlafen wollte, musste man sich an einen anderen lehnen. Es waren Leute schon 4 oder 5 Monate drin. Man bekam nur schmutziges Wasser, verfaultes Brot. Mein Mann hat nichts zu sich genommen, weil er Angst hatte, dass ihm etwas passiert. Von diesen Erlebnissen mussten wir uns erst erholen. Ich wohnte dann drei Monate bei meinen Eltern. Aber auch das war zu eng. Mein Mann hatte seine 1-Zimmer-Wohnung. Dann wurde er krank. Er hatte Leberprobleme und war drei Monate krank. Wir suchten wie verrückt nach einer Wohnung. Ich ging zum Jobcenter. Ich habe alles erzählt, aber niemand hat uns geholfen. Ich bekam eine Liste für Wohnungssuchende. Das ging vier Monate so. Mein Vater war ein Jahr vorher gestorben und meiner Mutter ging es auch nicht gut. Der Vermieter der 1-Zimmer-Wohnung meines Mannes hat uns dann eine 2-Zimmer-Wohnung in Zuffenhausen vorgeschlagen, damit ich mit den Kindern hinziehen kann. Ich war froh. Die Kinder mussten zur Schule. Ich bin mit den Kindern nach Zuffenhausen gezogen, hab mich angemeldet und mein Mann blieb in Böblingen. Nachrichten aus Syrien Im August 2012 wurde ein jüngerer Bruder meines Mannes in Aleppo erschossen. Er wurde damals als erster mitgenommen. Drei Monate später wurden zwei Cousinen, die Nichte und ihr Mann durch die Explosion eines Gebäudes getötet. Wir haben an einem Tag vier Personen verloren. Die eine Cousine hatte fünf Kinder, die andere zwei Kinder und die Nichte hatte zwei Söhne. Alle Kinder haben es überlebt. Doch das alles war ein Horror. Zur Schuldnerberatung der Betriebsseelsorge. Mein Mann konnte zunächst nicht arbeiten. Wir aber haben Schulden und finden keine Wohnung. Ich ging zur Schuldnerberatung, weil ich mir Hilfe gesucht habe. Ich wollte zuerst nur reden. Ich ging auch zum Jobcenter, aber mit denen kann man nicht reden. Ich muss sehen, dass ich die Schulden in Griff bekomme. Wir stehen in der Schufa mit unseren Schulden und deshalb bekommen wir auch keine Wohnung, trotz Wohnberechtigungsschein. Gott sei Dank arbeitet mein Mann seit zwei Monaten wieder. Er ist bei mir in Stuttgart angemeldet, wohnt aber nicht bei mir, sondern in Böblingen. Und bis heute finden wir keine Wohnung, in die wir als Familie zusammenziehen können. Warten auf Abflug aus Syrien antenne 4/2015 132. Ausgabe (Bild: Khaled al-Hariri, Reuters) 8 antenne BW Post-Tochter: Bernd K. muss bleiben! Protest gegen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden g.l. Vor zwei Jahren versuchte die BW-Post ihrer Betriebsratsvorsitzende zu kündigen. Ver.di und die Betriebsseelsorge reagierten mit Aktionen unter dem Motto ‚Branka muss bleiben‘. Im Januar nun versucht die BW-PostTochter PS 12 – Zustellgesellschaft mit einer fristlosen Kündigung den aktiven Gewerkschafter Bernd Kleinschmidt loszuwerden. Mahnwache, Flugblattverteilung und Kundgebung auf dem Marienplatz – damit unterstützten ver.di und der Betriebsseelsorger Guido Lorenz den mit arbeitsrechtlichen Mitteln bekämpften Betriebsratsvorsitzenden. „Mobbing gegen einen kündigungsgeschützten Betriebsrat“ nennt den Vorgang der Betriebsseelsorger Lorenz. Mit Hilfe von ver.di war 2012 ein Betriebsrat zustande gekommen, der sich seitdem für die ca. 150 KollegInnen, die täglich Post und Zeitungen zustellen, einsetzt; ohne Tarifvertrag und Mindestlohn. Deshalb ist es notwendig! ‚Bernd K. muss bleiben!‘ DiePoschtischda Praktikant Lorenz als Zusteller in Weinstadt unterwegs g.l. Auf einer Betriebsversammlung bei der Deutschen Post, hatte sich Guido Lorenz als Betriebsseelsorger angeboten, ein paar Wochen als Briefzusteller zu arbeiten. Mit Hilfe des Betriebsrates wurde das Anliegen zumindest ein eintägiges Hineinschnuppern am 4. November 2014, Postpackstation Waiblingen, ein Zustellbezirk in Beutelsbach. 9 Morgens in Waiblingen: Die Briefe, Werbekataloge, Einschreiben und kleinen Päckchen wurden zunächst per Hand für die spätere Zustellung sortiert; hinzu kamen die maschinell sortierten Briefe vom Briefverteilzentrum. Es war 7.30 Uhr und mit Hilfe meiner ausgesprochen freundlichen Einlernerin Geli war meine Verwirrung über die vielen, oft geteilten Straßen im Sortierregal halb so antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne schlimm. Nur eine blaue Postkarte fiel ihr auf. „DiePoschtischda“ stand drauf; auch zur Belustigung der Kolleginnen. Ich konnte mich erinnern, dass ich zwei Tage vorher meine Freunde mit solch blauen Postkarten zu einem Fest eingeladen hatte. Was für ein Zufall! „Ein, zwei Wochen muss man schon lernen, bis man Sortieren und Zustellen einigermaßen kann.“, war Gelis Aussage, wenn ich wieder einmal verwirrt eine Straße oder die passende Hausnummer suchte. Seit sie 18 ist, also seit 34 Jahren arbeitet Geli bei der Deutschen Post. „Ein guter Arbeitgeber!“, darauf besteht sie. „Obwohl – seit die Post privatisiert ist, ist der Druck riesig. So war es früher nicht.“ – „Die Zustellbezirke sind größer geworden. Und immer wieder muss man Werbung in jeden Briefkasten werfen, wenn dies nicht ausdrücklich als unerwünscht gekennzeichnet ist. Und nächsten Samstag kommt die BILD. Ausgabe zu ‚25 Jahre Mauerfall’ – kostenlos in jeden Briefkasten. – Dann bin ich fertig. Ein Bad zur Entspannung. – Aber eigentlich wollten wir am Wochenende zu einer Taufe gehen. Ob ich das überhaupt schaffe?“ Nach Beutelsbach fuhren wir mit dem Privat-PKW, luden den Zustellwagen aus, behängten ihn mit den gefüllten Zustelltaschen und zogen los. Ein herrlicher Spätherbsttag war es: Nicht zu warm, nicht zu kalt, trocken. Mit dem Ausblick auf einen 12 km langen Wandertag füllten wir die ersten Briefkästen und ich schwärmte über das angenehme Wetter. Nicht, dass mir Geli widersprach, aber sie meinte, ich hätte irgendwelche himmlischen Verbindungen spielen lassen, denn morgen, wenn ich nicht mehr dabei wäre, würde es regnen und erheblich kälter sein. Und schon fielen ihr die kalten Zustelltage ein, wo einem trotz Handschuhen die Fingerspitzen gefroren; und an denen sich trotz Wollsocken nach den ersten Stunden die Kälte durch die dicksten Klamotten fraß. O.K. ich hatte verstanden und merkte schon bald, dass ich auch schon länger keine 12 km mehr gelaufen war. Am nächsten Tag hatte ich Muskelkater. Ich hätte Dehnungsübungen machen sollen – doch darauf hatte mich Geli nicht hingewiesen. die Billigpost, wie die BW-Post, deren Zusteller häufig nur Minijobs mit Mini-Löhnen haben. Aber schon ging die Zustellung weiter. Nach fünf Stunden gab’s dann eine Pause an einem Mäuerchen, das sich Geli seit längerem ausgesucht hatte. Danach der Rest der Zustellung; schließlich Rückfahrt nach Waiblingen; Abschlussarbeiten für Briefe, Päckchen und Einschreiben, die nicht zugestellt werden konnten. Es war 16.30 Uhr und endlich Feierabend; die meisten Kolleginnen waren noch nicht zurück. Nach 9 Stunden und 12 km Zustellweg durch Beutelsbach bedankte ich mich bei meiner heutigen Kollegin und entwickelte eine Ahnung, was es heißt, ein Arbeitsleben lang Zustellerin zu sein, besonders nachdem die Post privatisiert worden ist. Am nächsten Morgen saß ich im wohl temperierten Büro der Betriebsseelsorge – und draußen ein Regenschauer nach dem anderen. Da fiel mir meine gestrige Kollegin Geli ein. Wie machte sie die Zustellung bloß bei Regen? Immer wieder die schweren Poststapel in der linken Hand, während sie von Haustür zu Haustür eilt und aufpassen muss, dass die Post nicht durchnässt und sie selber bei dem pitschnassen Wetter nicht krank wird. Postzustellung ist eine bedeutende öffentliche Dienstleistung, die nicht in die Hände privater Unternehmen gehört und ordentlich entlohnt werden müsste. An der Stuttgarter Straße entdeckte ich die Wohnung von zwei meiner Freunden und Geli drücke mir sofort die Post für die entsprechenden Häuser in die Hand. Also Briefe und Werbung hinein, auch in den Briefkasten der Freunde. Und da kam sie zum Vorschein: Die blaue Karte mit dem Aufdruck „DiePoschtischda“. Hoppla – die kannte ich doch. Und tatsächlich: ich hatte sie zwei Tage zuvor in einen Briefkasten in Schorndorf geworfen. Nun war ich Postkunde und Postzusteller meiner eigenen Post geworden. Klar – die Post ist eine wichtige öffentliche Dienstleistung; auch wenn inzwischen die Deutsche Post privatisiert ist, sie die Lohnschraube anzieht und auch prekäre Beschäftigungsformen einführt. Schließlich gibt es politisch gewollt antenne 4/2015 132. Ausgabe 10 antenne Menschenfreundliche Arbeit Arbeitnehmerempfang 2014 g.l. Am Freitag, den 14. November 2014 fand der Arbeitnehmer-Empfang in die Betriebsseelsorge statt. Betriebsseelsorger Guido Lorenz begrüßte die anwesenden BetriebsrätInnen, Bürger und Erwerbslosen, die sich in den bescheidenen Räumlichkeiten drängten. ‚Partners in Rhyme’, Alain an der Gitarre und Ebbe an den Drums, verbreiteten eine angenehme Atmosphäre. Gastredner war Frank Iwer, Sekretär IG Metall Bezirk Baden Württemberg. Heute verbringt ein normaler Beschäftigter 40 Jahre seines Lebens in der Arbeit und er macht das mit Engagement, zumindest wenn die Arbeit interessant ist. Doch in der Arbeit ist vieles nicht gut. Das muss wieder stärker zum Markenzeichen für Gewerkschaften in Betrieben werden. Damit meine ich nicht, dass wir uns nicht auch um Gesellschaftspolitik kümmern müssen. Wir brauchen natürlich Frank Iwer: Wir haben im letzten Jahr mittels einer Beschäftigtenbefragung versucht herauszufinden, was die Themen sind, die um den Begriff Arbeit kreisen und den Beschäftigten unter den Nägeln brennen. 560.000 Kolleginnen und Kollegen haben bundesweit mitgemacht. Dabei ist eines deutlich geworden: In den Betrieben ist längst nicht alles gut. Es gibt Themen, wo wir in den letzten 1520 Jahren weggeguckt haben. Ich habe überspitzt gesagt den Eindruck, wir, die IG Metall, haben uns mit den Erfahrungen aus der Krise 1993/1994 eigentlich neben der Frage Entgeltentwicklung nur noch um das Thema gekümmert, wie Beschäftigte aus dem Erwerbsleben rauskommen. Wir haben uns um die Frühverrentung gekümmert, um Alterteilzeit, um Beschäftigung- und Qualifizierungsgesellschaften. Das sind Handlungsfelder, die alle wichtig und richtig waren. Aber es ging immer um die Frage, wie kommt der Arbeitnehmer aus dem Betrieb raus. Guido Lorenz Betriebsseelsorger auch eine entsprechende Sozialgesetzgebung. Wir brauchen entsprechende Arbeitsgesetzgebung. Wir brauchen entsprechende Rentensysteme und Bildungssysteme. Aber Kernjob von Gewerkschaften und Betriebsräten ist nun einmal, sich um das Arbeitsleben der Menschen zu kümmern. In der Befragung haben 40 % der Beschäftigten gesagt, dass der Arbeitgeber regelmäßig in massiver Form in ihre Arbeitszeitgestaltung eingreift. In vielen hundert Betrieben haben wir heute ‚Arbeit auf Abruf’. Da haben wir die Situation, dass der Arbeitgeber sagen kann: 14 Uhr, ich hab kein Material mehr, geh mal nach Hause, es kostet dich ja nichts, denn du hast ja noch Zeit auf dem Arbeitszeitkonto. Das ist aber Enteignung, was da passiert, denn die Zeit auf dem Arbeitszeitkonto gehört dem Beschäftigten. Und der Planungsfehler des Materials ist Verschulden des Arbeitgebers. Frank Iwer Sekretär IG Metall 11 Nun haben wir im IG Metall Bezirk beschlossen, ein Projekt zu starten. Das heißt BEAT. Bei den Themenkomplexen Arbeitszeitflexibilisierung, Arbeits- und Leistungsbedingungen, Qualifizierung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Altersübergänge wollen wir die Arbeitsbedingungen wieder verbessern. Wenn wir dieses Projekt gut machen, können wir das dann im Jahr 2015 bilanzieren. In Baden Württemberg könnten wir dann in 50 Betrieben die Leistungsvereinbarung zu Gunsten der Kollegen verbessern. antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Ebbe und Alain: Partners in Rhyme Wir könnten in 100 Betrieben die Altersübergänge besser geregelt haben, wir könnten in 100 Betrieben dafür gesorgt haben, dass Arbeit auf Abruf der Vergangenheit angehört. Das zweite, was wir versuchen werden. Wir wollen aus den Themen der Befragung Aspekte für unsere Tarifpolitik aufgreifen. Neben dem, dass wir mehr Geld rausholen wollen, wollen wir das Thema Altersteilzeit deutlich verbessern und das Thema Bildungsteilzeit als neues Instrument einführen. Das Thema Bildung ist in den Betrieben nicht besonders beliebt. Es gibt Widerstände. Es reicht nicht einfach Betriebsvereinbarungen zu schreiben, wo drinsteht, du darfst dich 10 Tage im Jahr weiterbilden. Das Stück Papier bewirkt gar nichts. Man muss den Einzelnen gewinnen und ermutigen, sich das zuzutrauen. Manche haben Angst davor, weil vielleicht eine Lern-, Lese-, Schreib- oder Rechenschwäche zum Vorschein tritt. Aber das größere Problem ist, Bildungs-ansprüche auch mal gegen den Arbeitgeber durchzusetzen. Der Betriebsrat sollt da mitentscheiden, wer in die persönliche Weiterbildung gehen darf. Es geht nicht um den Computerkurs, den der Unternehmer braucht, nicht um den CNC-Kurs, sondern um Kurse, bei denen Kollegen sagen, das brauche ich für mich selber. Und das Gleiche gilt für die Frage der Altersteilzeit. Die Arbeitgeber, unsere Tarifpartner, werden hierbei von ihrer eigenen Ideologie aufgefressen. Sie haben uns gesagt, antenne 4/2015 132. Ausgabe Altersteilzeit brauchen wir auch in Zukunft, aber die bekommt nur der, der nicht mehr kriechen kann. In Altersteilzeit darf nur noch der, der eigentlich gesundheitlich so angeschlagen ist, dass er keinen Tag mehr ganz arbeiten kann. Wir sind aber der Meinung: Ein Mensch muss sich selber für seine Altersteilzeit entscheiden können. Und wir wollen, dass die Beschäftigten mit geradem Rücken und ohne soziale Not zu leiden, vorgezogen in Rente gehen können. 12 antenne Karstadt Stuttgart – Unter die Räuber gefallen „Rene Benko“: Immobilien-Millionär in Stuttgart gesichtet g.l. Im Oktober 2014 erhielten die oft schon seit Jahrzehnten beschäftigten MitarbeiterInnen der KarstadtFiliale den Bescheid, dass ihre Filiale zur Jahresmitte 2015 geschlossen und die Immobilie Königstraße/Schulstraße ertragreicher vermietet werden soll. Hatte der Investor Nicolas Berggrün einst den insolventen Karstadt-Konzern für 1 € erworben und über den Konzern-Namen Profite herausgezogen. So verkaufte Bergruen nun den Konzern an den österreichischen 37-jährigen Immobilienunternehmer Renè Benko. Benko versucht aus Stuttgart Profit zu schlagen, nicht aus der schwarze Zahlen schreibenden Stuttgarter KarstadtFiliale, sondern aus der Vermietung, vermutlich an Primark. Um ihre ohnmächtige Wut auszudrücken, unterbrachen über 60 KarstadtBeschäftigte am 6. Februar 2015 ihre Betriebsversammlung und machen ihrer Empörung vor den Türen der Stuttgarter Filiale Luft. Sie wollten, dass der örtliche Betriebsrat über den Interessensausgleich und den Sozialplan verhandeln kann, damit auch die Möglichkeit einer Transfer-Gesellschaft für die Beschäftigten vereinbart wird, d.h. ein leichterer Übergang in eine neue Beschäftigung. Zu aller Überraschung erschien der Immobilienbesitzer Renè Benko höchstpersönlich. Betriebsseelsorger Guido Lorenz hatte sich als Räuber verkleidet und rühmte sich als Renè Benko, der immerhin zu den 50 reichsten Österreichern gehört. Benko: „Immobilien mach ich zu Silber und Kaufhäuser zu Gold. Ihm schallte ein lauter Protest der Karstadt-MitarbeiterInnen entgegen: „Renè Benko macht unser Kaufhaus platt. Drum sagen wir’s laut: Dich haben wir satt!“ 13 antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Hallo Glück – Wo bist du? Seminar am Rand des Meteoritenkraters Nördlinger Ries Musik Verwendung findet. Und schon spielte er Weisen von Mikis Theodorakis. Da konnte sich der Spanier Enrique nicht zurück-halten. Mit seiner markanten, kräftigen Stimme stimmte er spanische Liebes- und Widerstands-lieder an und fügte eigene Kompositionen hinzu. Die Holländerin José fand im Nu Volks- und Kinderlieder und sang zum wachsenden Vergnügen aller. Andere hatten noch Strophen von deutschen Arbeiterliedern in Erinnerung, denn „Die Gedanken sind frei“. Katharina schien wie aus dem Steh-greif eine lange Ballade zu rezitieren, dass keiner erahnen konnte, wieviel Arbeit dahinter steckte. g.l. Keiner hatte sich vorher gedacht, welche ungeahnten Fähigkeiten das technische Versagen bei der Vorführung des Films „Hektors Reise und die Suche nach dem Glück“ oder des Films „Anleitung zum Unglücklichsein“ hervorbrachte. Die Rhythmen des Tanzes aus dem Film Alexis Sorbas rissen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Tanzfläche und schon bewegten sie sich zum Sirtaki. Sicher hatte die Wanderung zum Ipf, dem Hausberg von Bopfingen, die Lust an Bewegung, an Gespräch und Begegnung gefördert. Der Ipf ist ein 668 m hoher Zeugenberg der östlichen Schwäbischen Alb. Auf dem Gipfelplateau befinden sich mächtige vorgeschichtliche Befestigungsanlagen, die bereits in der Spätbronzezeit ab dem 12. Jahrhundert v. Chr. angelegt wurden. Nach der Wanderung wurden unter der fachlichen Anleitung der Teamerin Mirjam Kretschmer Glückskraniche gefaltet; nach japanischer Tradition der Weg zu einem Glücksversprechen, wenn man 1000 Kraniche gefaltet hat. Am Abend dann die Überraschung: Alexander, selbst Grieche und vor Jahrzehnten als Arbeitsmigrant nach Stuttgart gekommen, holte aus seinem Hotelzimmer eine griechische Gitarre. Diese Bouzouki (griechisch:- µπουζούκι) ist ein Lauteninstrument, das hauptsächlich in der griechischen So vergaßen die Teilnehmer am Samstag, den 25. Oktober 14, in Kirchheim/Ries schnell den technisch verpatzten Abend. Man hatte sich ja zum Glücksseminar der Betriebsseelsorge im Hotel Oßwald getroffen. Wir hatten schon die eigenen Assoziationen zum Glücksbegriff gesucht; das Buch vom Betriebsseelsorger Guido Lorenz „Wohin gingen am Abend die Maurer?“ als Medium benutzt, sich auf Lebensfragen einzulassen wie „Möchtest du wissen, was du schon alles vergessen hast?“ oder „Wie viel Geld möchtest du besitzen? Ab welcher Vermögenshöhe beginnst du zu teilen?“ oder „Ist unser Leben dazu da, die Erde mit Besitzrechten zu überziehen und als Handelsware zu vermarkten?“ Die Kooperation der „Stummen Maler“ führte gewiss dazu, dass die Teilnehmer sichtliche Freude an der „Glücksdusche“ am Sonntagmorgen empfanden. ‚Was einem am anderen gut gefällt, durfte man den anderen Seminarteilnehmern auf ein Blatt am Rücken schreiben. „Inge hat viele Kunden!“ meinte Reza, weil er bei ihr für seine Botschaft lange anstehen musste. Während des Gottesdienstes erschloss sich allen schnell die biblische Botschaft von der ‚Stillung des Sturmes‘. Im Vertrauen auf Gott lässt sich auch in aufgeregten Zeiten immer wieder Freude und in Gemeinschaft großes Glück finden. antenne 4/2015 132. Ausgabe 14 antenne Fachkräftemangel und Nicht-Übernahme der Azubis Die Belastungen sind hoch in Feuerbach g.l. Beim Oktobertreff des Feuerbacher Betriebsräte Treffs im Betriebsratsbüro des Aufzugherstellers Haushahn stellte sich die betriebliche Situationen der Betriebe ausgesprochen widersprüchlich dar. Während Haushahn mit massivem Fachkräftemangel kämpft, besonders im Bereich Allgäu und Bodensee, lehnt der Betriebsrat des Maschinenbauers Coperion die beantragte Mehrarbeit ab, weil die Firmenleitung die Azubis, die zukünftigen Fachkräfte, nicht unbefristet übernehmen will und ab 2015 eine Reduzierung der Ausbildung im gewerblichen Bereich plant. Die Belastungen sind hoch. „Manchen Kollegen muss man schon aus Gesundheitsgründen heimschicken!“ „Das Gesetz verlangt 11 Stunden ununterbrochene Ruhezeiten“ So froh die Betriebsräte bei Haushahn über die gute Auftragslage sind, so machen nun die Überlastungen der Mitarbeiter durch ausbleibende Neubesetzung Sorge. Gewiss haben Burnout, Herzinfarkt und Gehirnschlag vielfältige Ursachen, aber Arbeitsdruck, psychische Mehrfachbelastungen und unterbrechungslose Arbeit müssen im Blick der Geschäftsleitungen und Betriebsräte bleiben. „Wir werden eine Vereinbarung über eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung notfalls auch mit Hilfe einer Einigungsstelle durchsetzen!“, so der Betriebsrat von Coperion. Beim Chemiekonzern AKZO Nobel werden im Bereich Performance Coatings und Verkaufsregionen die Verkaufsregionen von 70 auf ca. 30 reduziert. Das gibt den Betriebsräten vor Ort die Chancen der nahen Wege. Die Zahl der Azubis wurde in Stuttgart gesteigert. Man bildet nun wieder Chemikanten aus. Bei KBA MetalPrint ist die Auftragslage durchaus positiv. Der Personalaufbau hängt aber der Steigerung des Umsatzes hinterher. Dies, in Verbindung mit vielen von der Geschäftsleitung gleichzeitig angegangenen Projekten, überlastet viele Mitarbeiter, besonders auch in der mittleren Ebene, weil die betrieblichen Veränderungen zu zahlreichen offenen Baustellen führen, die zeitlich gar nicht bearbeitbar sind. Ein Veränderungsbedarf besteht jedoch, da z.B. die Fertigung durch ausgebliebene Investitionen in der Vergangenheit viel Nachholbedarf hat und ebenso auch die Prozesse im Unternehmen. Trotz Rekordgewinn Personalabbau Cannstatter Betriebsräte in Sorge g.l. Selbst im Stiftungsbetrieb Mahle kommt die Belegschaft nicht zur Ruhe. Das wurde beim Cannstatter Betriebsrätetreff am 21. November 2014 berichtet. Eigentlich wollten sich die Betriebsräte auf die Neuverhandlung der Standort- und Beschäftigungssicherung konzentrieren, da überbrachte der Vorstand die HiobsBotschaft ‚ 15% weniger Personalkosten’. Was will die Geschäftsleitung: 40 Stundenwoche? Kein Weihnachtsgeld? Mehr Leiharbeit? Urlaubsgeld streichen? Die Betriebsräte berichteten von einer sehr engagierten Betriebsversammlung ein paar Tage zuvor. Man hatte ja erst kürzlich beim Firmenzusammenschluss mit Behr eine brauchbaren Wegstrecke erreicht – und nun diese HiobsBotschaft, obwohl Mahle insbesondere durch die ehemaligen Behr-Betriebe ein Rekordergebnis eingefahren 15 hat. Doch immer wieder schlägt der Wettbewerbsdruck auf die Automobilzulieferer durch, den die Automobilindustrie erzeugt. Sich gegenseitig abstützende Verträge wie Preisnachlässe bei den Produkten und höhere Gewinnmargen bei den Entwicklungsaufträgen gibt es heute nicht mehr. Bei Foxboro Eckardt ist man nach dem Kauf durch den französischen Schneider-Konzern alarmiert. Da die EckardtProdukte nicht ins Konzern-Portfolio passen, könnte der benachbarte, wirtschaftlich expandierende Mahle-Betrieb Gebäude und Grundstücke kaufen wollen. Dann stände der Cannstatter Standort von Foxboro Eckardt auf der Kippe. Zudem haben innerbetriebliche Personalveränderungen dazu geführt, dass der örtliche Betriebsrat keinen antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Geschäftsführer als Ansprechpartner vor Ort mehr hat. Und den Betriebsräten ist klar: Wenn der Standort an Mahle verkauft wird, ist die Zukunft höchst ungewiss. Bei solchen Berichten aus der Industrie zeigten sich die Personalräte des LKA (Landeskriminalamt) betroffen. Die Arbeitsplatzsicherheit als Beamte ist den Beschäftigten schon sehr viel wert. Allerdings gibt es im LKA auch Tarifangestellte, die als Befristete auf Übernahme hoffen. Sie waren eingestellt worden, um persönliche Arbeitszeitreduzierungen wegen Kindererziehung oder Pflege auszugleichen. Das betriebliche Gesundheitsmanagement wird bei der Polizei derzeit ausgebaut. Die steigende Zahl der Krankheitstage und der hohe Anteil an LangzeitKranken stehen hierbei im Fokus. Betriebsratsbüro Mahle Damit der Erwebslosentreff gelingt Mittwochstreff – eine Einladung für Stuttgarter Langzeitarbeitslose g. l. Seit einen Jahr spielt unser Musikus Richard Hellbach höfische Tänze von Mozart oder flotten Rock und Jazz als Umrahmung des Mittagessens im Erwerbslosenkreis. Inzwischen ist seine Musik eine regelmäßige Bereicherung für unsere Gäste geworden, die als Langzeitarbeitslose, EU-Rentner oder als Rentner mit Aufstockung zu uns in die Betriebsseelsorge kommen. Norbert Miczek, ehemaliger Betriebsrat bei der Deutschen Post, kommt seit 15 Jahren immer um den 6. Dezember herum als St. Nikolaus in den Mittwochstreff. Regelmäßig erfreut er die TeilnehmerInnen mit seinen Legenden, die zum Ausdruck bringen: Niemand wird übersehen und vergessen. Häufig hat er noch Nudeln für das Mittagessen in unserem Erwerbslosentreff im Sack. HERAUSGEBER: Guido Lorenz – Kath. Betriebsseelsorger, Wiesbadener Str. 20 70372 Stuttgart, FON: 0711/56 10 84 FAX 56 10 85 Mail: [email protected] Web-Adresse: www.stuttgart.betriebsseelsorge.de Konto-Nr. BIC: SOLADEST 600 IBAN: DE73 6005 0101 0002 4702 05 g.l. = Guido Lorenz u.w.= Ute Weber uli.w.=Ulrich Weißer Bilder: Betriebsseelsorge, Reuters, Graffiti, antenne 4/2015 132. Ausgabe 16 antenne Ich wünschte, ich wäre tot! Geschlagen, vergewaltigt, entwürdigt … Haben die Opfer von Gewalt und Mord nur ‚Pech gehabt’? Und gibt es damit keine Hoffnung auf Gerechtigkeit? In unseren Tagen: Geschlachtet von Boko Haram in Nigeria oder als 10jähriges Mädchen zum Selbstmord-Attentat missbraucht! 1975-78 ermordet von den Roten Khmer in Kambodscha (2 Millionen Opfer)! 1994 während 100 Tage in Ruanda: 1 Million Tutsi hingemetzelt von der ethnischen Mehrheit der Hutu! In unseren Tagen: Gekreuzigt, vergewaltigt und geköpft – in Syrien von den 14 Jahre vom Rest getrennt und ihnen vor aller Augen in den Kopf geschossen. „Darunter waren auch mein Mann, mein Bruder, unser Vater und der Onkel.“ Die Frauen und Kinder wurden in ein Nachbardorf gebracht. Frauen, Jesidinnen, gelten der Terrororganisation IS als Ungläubige und damit als legitime Beute. In einem Saal wurden die Frauen und Mädchen feilgeboten, nach Alter und Schönheit für sechs bis zwölf Euro. Sie wurden getrennt, verkauft, geschlagen, bedroht, vergewaltigt … Jesidinnen mit ihren Kindern auf der Flucht IS-Terroristen und im Irak! 1941-45: Holocaust mit dem Ziel der vollständigen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa durch das nationalsozialistische Deutschland (5,6 - 6,3 Millionen Opfer). – Fassetten der Völkermorde. „Ich wünschte, ich wäre tot.“, erzählte Amscha mit monotoner Stimme. Die junge Jesidin wurde von den Milizen des Islamischen Staates (IS) verschleppt und in der Stadt Mosul wie ein Stück Vieh für umgerechnet 12 Euro weiterverkauft. Als sie das sagt, streichelt sie ihr Baby auf ihrem Schoß. „Das Kind und die Tatsache, dass ich ein weiteres in meinem Bauch habe, ist der einzige Grund, warum ich mich nicht umgebracht habe, denn ohne mich könnten sie nicht weiterleben.“ Als die islamistischen Dschihadisten Anfang August 2014 ihr Dorf beschossen, flüchteten sie in ein 4 km entferntes Nachbardorf. Vor dem Dorf zwei Fahrzeuge der IS. Sie haben alle männlichen Flüchtlinge über 17 (Bild: REUTERS/Rodi Said) Amscha gelang die Flucht mit Hilfe eines alten sunnitischen Dorfbewohners. (vgl. St.N. 4.Okt.2014) Mitleid und Respekt! Wenn man von solchen Klagen unschuldiger Opfer der Geschichte erfährt, gibt es nur eins für uns: Hinschauen! Es muss Gerechtigkeit über diese Gewalttaten, diesen Mord und diesen Tod hinaus geben. Die Klagen dürfen nicht verhallen. Und die Täter, die diese Verbrechen begangen haben, dürfen nicht einfach entkommen. Ihre Schuld darf nicht juristisch verjähren oder geschichtlich vergessen werden. Die Welt muss mit unsrer Sehnsucht nach Gerechtigkeit rechnen! Denn wenn es keine Gerechtigkeit gibt, denn bliebe nur das zynische ‚Pech gehabt’. Gegen diesen Zynismus hoffe ich als Christ nicht nur auf weltliche Gerechtigkeit, sondern im religiösen Sinne auf das Letzte Gericht. antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Letztes Gericht: Die Vorstellung eines letztgültigen Gerichtsverfahrens gab es schon in der altägyptischen Religion und seitdem in vielen Religionen. Leider wurde sie immer wieder als Drohbotschaft bis ins Kinderzimmer und Schlafzimmer der Erwachsenen missbraucht. Doch gegen diesen Missbrauch ist festzuhalten: das Letzte Gericht ist im Christentum eine großartige Hoffnungsvorstellung der Liebe. In ihr heißt es: Kein zugefügtes Leid geht verloren! Kein Leid wird banal oder vergessen! Es geht nicht um irgendwelche Vorstellungen von Himmel und Hölle, die als Urteile drohen oder winken. Hier geht es um die Liebe angesichts des Guten und des Bösen. Es geht um den Respekt vor dem Leid und den Leidenden. Es geht um Mitleid mit den Opfern. Und es geht um das Böse: Die Grausamkeit der Täter. Gottes Wahrheitskommission: Wir Christen erhoffen ein Letzten Gericht. Wir ersehnen, dass uns Menschen darin die göttliche Liebe begegnet; nicht als göttliche Reset-Taste, als wäre nichts geschehen; sondern als Brennglas der Liebe in Sanftheit auf das Leid und in Gerechtigkeit auf die Grausamkeit. „Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen. … Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, kein Mühsal. Denn alles, was früher war, ist vergangen. … Seht, ich mache alles neu.“ (Off.21,2-5) Angesichts der Liebe Gottes werden das Leid aber auch die Schuld umso schärfer hervortreten. Wir Menschen werden mit Freude auf unser gutes Tun und mit abgrundtiefem Schmerz auf unsere Grausamkeit reagieren. Um diese Wahrheit und Gerechtig- keit geht es. Wir Menschen werden angesichts der unerschöpflichen Liebe Gottes in ihrem Herzen weich und menschlich. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission nach der Apartheid in Südafrika kann vielleicht erahnen lassen, was die christliche Vorstellung vom Letzten Gericht meint. Die Arbeit dieser Kommission war in Südafrika ein Weg, die Wahrheit vieler Verbrechen aufzuklären. Morde und Grausamkeiten kamen ans Licht der Öffentlichkeit. Dieser Weg musste zwar für die einzelnen Opfer und ihr Leid ungenügend bleiben. Und dieser Weg musste auch den Taten der Mörder und Gewaltverbrecher gegenüber nur ein unzureichender menschlicher Versuch sein. Aber immerhin: er war ein Versuch der Liebe. Erst eine Wahrheitskommission Gottes wird jedem Opfer und jedem Täter gerecht werden, weit mehr als was uns Menschen überhaupt möglich ist – dann: wenn Gottes Liebe den Menschen begegnet. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika war eine Einrichtung zur Untersuchung von politisch motivierten Verbrechen während der Apartheid. Sie ging auf eine Initiative des ANC im Jahr 1994 zurück und wurde im Januar 1996 durch Präsident Nelson Mandela eingesetzt. Vorsitzender war der schwarze Erzbischof Desmond Tutu. Die Psychologin Pumla Gobodo-Madikizela, selbst Mitglied der Kommission, meinte dazu: „Gerichte ermutigen Menschen, ihre Schuld zu bestreiten. Die Wahrheitskommission lädt sie ein, die Wahrheit zu sagen.“ Die Kommission hörte viele Opfer politischer Gewalt. Zahlreiche Morde und Terroranschläge aus der Zeit der Apartheid konnten aufgeklärt werden. In vielen Fällen erhielten Angehörige von Schwarzen, die einfach verschwunden waren, erstmals Auskunft über deren Schicksal bzw. die Todesumstände. Ostern: Angesichts der Welt wie sie auch mit ihren Verbrechen ist, ermutigt der christliche Glaube dazu, gegen alle Vernunft mit dem Letzten Gericht, mit der Kraft der Liebe zu rechnen. Und diese Ermutigung meint die Botschaft von Karfreitag und Ostern, von Kreuzigung und Auferstehung. Der Mensch kann wie Jesus von Nazareth die Verlassenheit am Kreuz erfahren: „Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“ Aber der Mensch kann auch die Geborgenheit und den göttlichen Frieden im vertrauensvollen Gebet erleben: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Wahrheitskommision an Präsident Mandela 29.10.98 Bild: REUTERS antenne 4/2015 132. Ausgabe 18 antenne Entzünden der Osterkerze. Bild: Limmer Friede … den hass macht er müde die übermüdeten bringt er zum atmen die zitternden zum schlafen die träumenden zum handeln die handelnden zum träumen aus: Dorothee Sölle, Wenn er wiederkommt Wir Christen setzen gegen den bestialischen Mord am Kreuz die Hoffnung auf die Liebe Gottes. Die Auferstehung nimmt die Sehnsucht der Menschen nach Gottes Gerechtigkeit für Opfer und Täter ernst. „Jesus lebt – Halleluja – Jesus lebt“ singen wir in der Osternacht. Die unschuldigen Opfer haben nicht Pech gehabt. Sie sind geborgen in Gottes Händen. Wir singen, nein wir schreien gegen das Unrecht und die Gewalt der Welt die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes herbei. Frohe Ostern! Du darfst leben! Guido Lorenz ● Betriebsseelsorger 19 antenne 4/2015 132. Ausgabe antenne Service Hilfe und Beratung Schuldnerberatung Bewerbungsberatung Berufliche Beratung Arbeits- und sozialrechtliche Auskünfte Ämterbegleitung Coaching Terminvereinbarung: Montag bis Freitag 9.00 bis 12.00 Uhr Telefon: 0711/561084 Mobbing-Telefon 0180 2 662 24 64 Mo. bis Fr. 8-22 Uhr Jobbörse Hallstr. 21 70376 Stuttgart Zuverdienst für Menschen ohne Arbeit Argumentationshilfen und Tipps zu Hartz IV Kontaktzeiten: Dienstag u. Donnerstag 9.30 - 13.30 Uhr Telefon: 0711/8826323 Seelsorgerliche Gespräche auch bei Burnout und Mobbing Gottesdienste 2015 18.03./ 10.06./ 21.10. und Bibelgespräche 2015 22.04./ 02.12. 18:00 Uhr G. Lorenz, Betriebsseelsorger Terminvereinbarung: Montag bis Freitag 9.00 bis 12.00 Uhr Telefon: 0711/561084 Gesucht für ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen Die Katholische Betriebsseelsorge Stuttgart sucht ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Cannstatter Unterkünften. Der Caritasverband für Stuttgart als begleitender Verband der Cannstatter Unterkünfte hat Freundeskreise gebildet. Hier werden die Flüchtlinge zu Ämtern begleitet, Hilfen beim Ausfüllen von Formularen angeboten, Orientierung beim SSBTicket-Verkauf gegeben und Übungsfelder für Alltagsdeutsch geschaffen. Für junge Erwachsene werden Sport- und Freizeitangebote angeboten; für Frauen gemeinsames Kochen und Nähen. Alles dient der freundlichen Aufnahme von Menschen in Stuttgart, die häufig eine lange, gefährliche Flucht hinter sich haben. Haben Sie Interesse? Dann melden Sie sich telefonisch unter 0711/561085 per mail unter [email protected] Guido Lorenz, Betriebsseelsorger antenne 4/2015 132. Ausgabe Syrische Flüchtlingsfamilie essen im Friedland (Bild REUTERS/Ina Fassbender) 20
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