Unterlagen Expertenforum Dr. Mechtild Fuchs

SINGEN IN DER GRUNDSCHULE –
DIDAKTISCHE ASPEKTE UND
BEISPIELE FÜR DEN UNTERRICHT
Expertenforum am Vorarlberger
Landeskonservatorium, 19. März 2015
Referentin: Prof. Dr. Mechtild Fuchs
3 überholte Theorien zum Singen:
1. Das Kind lernt zuerst sprechen, dann singen.
Dazu Tom, 1 Jahr 2 Monate alt:
2. Kinder lernen das Singen in einer bestimmte Intervallfolge,
die von der Rufterz ausgeht.
Dazu Ulla, 1 Jahr 8 Monate:
3. Singfähigkeiten entwickeln sich mit dem Alter.
Dazu Anne, 6 Jahre:
Vgl. Stefanie Stadler Elmer (2000): Spiel und Nachahmung
Gliederung
Einleitung
• 2 überholte Theorien zum Singen
I. Befunde zum Singen in der Grundschule
• Singfähigkeiten
• Gendereffekte
• Liedauswahl
• Musikalische Präferenzen
II. Didaktische Aspekte des Singens
• Das Modell des Aufbauenden Musikunterrichts
• Was können Kinder beim Singen lernen?
• Audiation
• Das Stufenmodell von Edwin E. Gordon
• Aufbau melodisch-harmonischer Fähigkeiten
I. Befunde zum Singen in der Grundschule
Singfähigkeiten von Viertklässlern
• Sprechsänger: 11,7%
• Sprechsänger mit gelegentlichen Tonhöhen: 17%
• Sänger mit eingeschränktem Umfang: 7,7%
• Unbeständige Sänger: 35,7%
• Gute Sänger: 28%
Studie von Regina Bojack-Weber (2012) zu den Singfähigkeiten von
Viertklässlern (mit 346 Kindern durchgeführt)
Liedauswahl
von 2 Dritteln akzeptiert, von 1 Drittel kritisch beurteilt:
• „langweilig“, „uninteressant“, „öde“
• „weil wir lauter Kinderlieder singen“, „weil wir Babylieder
lernen“
• „weil es immer die Lehrer aussuchen, was die Kinder
singen sollen. Kinder möchten auch aussuchen welches
Lied“
• „Außerhalb der Schule tu ich halt nicht genau das singen
(…). Nach der Schule kann ich singen was ich mag.“
Studie von Markus Gaul (2009): Musikunterricht aus Schülersicht
Gendereffekte
„Singen ist Mädchensache.“
„Ich bin doch nicht schwul!“
Musikpräferenzen 3. / 4. Klasse
• 2005:
Lieblingslieder aus dem Klassenrepertoire: 19,3%,
aus medial vermittelten Liedern (Pop, Rap): 43,3%
• 2007:
Lieblingslieder aus dem Klassenrepertoire: 15,4%,
aus medial vermittelten Liedern (Pop, Rap): 58,4%
• Lieblingslieder/-stile:
Nr. 1 Ganster-Rap (2007), Dancehall (2010)
Nr. 2 Deutscher Pop
Nr. 3 I like the flowers / Ich lieb den Frühling und deutscher Pop
Studie von Kerstin Wilke (2012): Bushido oder Bunt sind schon die
Wälder?
Konsequenzen, z.B.:
• die stilistische Breite des Lied- und Songrepertoires
überprüfen,
• das Liedangebot dem jeweiligen Entwicklungs- und
musikalischen Leistungsstand der Kinder anpassen,
• musikalische Präferenzen und Vorschläge der Kinder
einbeziehen,
• auf die Bedürfnisse beiderlei Geschlechter eingehen.
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II. Didaktische Aspekte des Singens im
Aufbauenden Musikunterricht
Musikalisches
Gestalten
Musikalische Fähigkeiten aufbauen
Musikalische
Unterrichtsvorhaben
Erschließen
von Kulturen
Kleine Schwalbe – xiáo yàn zi
(Kinderlied aus China)
Kleine Schwalbe, du trägst ein buntes Federkleid.
Jedes Frühjahr kommst du hierher geflogen.
Ich frage dich, Schwalbe, warum kommst du hierher?
Die Schwalbe sagt: Hier ist der Frühling so schön!
Liedauswahl
• Auf den Anlass bezogen
• Auf die Vorlieben der Kinder bezogen
• Auf den Erwerb musikalischer Kompetenz bezogen
Singbezogene Kompetenzen:
• Stimmliche Fähigkeiten
• Liedrepertoire (Vielfalt, Interkulturalität)
• Liedvortrag (Ausdruck, Begleitung, Umsetzung)
• Liedwahrnehmung und Reflexion
• Melodisch-harmonische Fähigkeiten, Audiation
Vgl. Standards der Landesfachschaft Musik der Pädagogischen
Hochschulen Baden-Württembergs von 2006
Audiation
Wenn man der Sprache zuhört, so gibt man dem
Gesprochenen Bedeutung durch die Erinnerung und den
Vergleich mit früher Gehörtem. Gleichzeitig nimmt man
vorweg, was gleich zu hören sein wird, gestützt auf
Erfahrung und Verständnis. Ebenso verhält es sich beim
Musikhören: Man gibt dem eben Gehörten Bedeutung
durch die Erinnerung an das, was man schon früher gehört
hat. Gleichzeitig nimmt man vorweg, was man gleich hören
wird, gestützt auf die eigenen musikalischen Erfahrungen.“
aus: Edwin E. Gordon (1997): Learning Sequences in Music, S. 5
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Sequenzielles Lernmodell
(nach Edwin E. Gordon)
Musik aneignen und unterscheiden
als gleich – ähnlich – verschieden
Musik anwenden – improvisieren –
variieren – komponieren
V. Musik in größere
Zusammenhänge einordnen
IV. Theoretische Grundlagen erkennen,
Theorien anwenden
III. Symbole verwenden:
Noten lesen und schreiben
II. Strukturen benennen: Patterns mit
Silbensprache assoziieren
I. Mit dem Körper lernen: Koordination, Stimmbildung,
Rhythmen und Melodien hören, imitieren
Aufbau tonaler Fähigkeiten
Stufe I: Mit dem Körper lernen –
Stimmbildung, Erwerb eines tonalen Repertoires
• Die Stimme finden, Töne treffen, höher- tiefer – gleich
•
•
•
•
•
unterscheiden
Grundtöne wahrnehmen, ergänzen
Melodien und Lieder in Dur und Moll, Pentatonik und
anderen Tonarten singen
Melodien mit Grundtönen begleiten
Melodien fortsetzen, eigene Melodien erfinden
Melodien audiieren (z.B. Radiospiel)
Aufbau tonaler Fähigkeiten
Stufe II: Strukturen mit Tonsilben benennen,
erste Regeln bilden
• Einführung der Tonsilben
• Mit Patterns zur Melodie von Liedern hinführen
• Mit Patterns die harmonische Struktur verstehen und
erste Regeln bilden
• Mehrstimmig singen
• Lieder erfinden
Workshop I
Kawuras (moll/dur, 7/8-Takt)
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Einführung der Solmisation mit dem „Donnerlied“:
aus: The Sound of Music, Rodgers/Hammerstein,
1959, dt.Text: M. Fuchs
Guido von Arezzo: Erfindung der Solmisation
„Auf dass die Schüler mit lockeren Stimmbändern mögen zum Klingen bringen die
Wunder deiner Taten, löse die Schuld der befleckten Lippe, heiliger Johannes“ – eine
Anspielung auf Zacharias, der nach dem Bericht des Lukasevangeliums stumm
geworden war und dem bei der Geburt seines Sohnes Johannes die Zunge wieder
gelöst wurde.
Üben mit den
Tonsilben
do
ti
la
so
fa
mi
re
do
Ach bittrer Winter
Patterns:
Die Vogelhochzeit
Patterns:
Tonika 1. St.
Töne
Dominante 5. St.
Do
Ti
La
So
So
Fa
Mi
Mi
Re
Do
Fa
Re
Do
Ti
Ti
La
So
So
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Musikalische „Freundeskreise“:
Die Tonika-Dominante-Regel
• Alle Patterns, die do - mi – so enthalten,
gehören zur Tonika (1. Stufe)
• Alle Patterns, die so – ti – re (- fa) enthalten,
gehören zur Dominante (5. Stufe)
Workshop II
Kumbayah: Mehrstimmigkeit durch Unterterzen und
Grundtonmelodie
2. Someone‘s crying, Lord, Kumbayah!
3. Someone‘s singing, Lord, Kumbayah!
4. Someone‘s praying, Lord, Kumbayah!
Drunken Sailor, dorisch
Patterns:
Harmonieschema:
la
la
la
so
fa
re
so
fa
fa
mi mi
re
do
fa
mi
re
la
so so
fa
mi
la
re
do
re
do do
Auf Tonsilben üben, dann auf Text singen:
Hoo- ray,
hoo-
ray,
hoo-
ray,
hoo-ray, hoo!
The Lion Sleeps Tonight: Kadenzbegleitung
Intro: Wee dee dee…
1. In the jungle, the mighty jungle, the lion sleeps tonight. Wee…
2. Near the village, the peaceful village, the lion sleeps tonight. Wee…
3. Hush my darling, don’t fear my darling, the lion sleeps tonight. Wee…
Outro: Wee dee dee…
fa
mi
mi
re
do
do
do
ti
la
so
so
do
so
do
so
la
Liederarbeitung durch Szenische Interpretation
2. Wuchsen einst fünf junge Birken grün und frisch am Bachesrand.
Sing, sing, was geschah? Keine in Blüten stand.
3. Zogen einst fünf junge Burschen stolz und kühn zum Kampf hinaus.
Sing, sing, was geschah? Keiner kehrt nach Haus.
4. Wuchsen einst fünf junge Mädchen schlank und schön am Memelstrand.
Sing, sing, was geschah? Keines den Brautkranz wand.
Arbeit mit Rollenkarten:
• Je eine Kleingruppe erhält eine Rollenkarte in mehrfacher
Ausfertigung.
• Jeder TN liest seine Karte halblaut durch und verwandelt
die Du- in Ich-Form.
• Die Gruppe überlegt gemeinsam eine passende Geh-,
Steh- und Singhaltung für ihre Rolle.
• Die Gruppen treten nacheinander in der verabredeten
Haltung auf und singen eine Strophe im passenden
Gestus.
Schlusslied: Wenn ich nicht in der Schule wär‘
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Polizist: Halt! Komm her! Und geh auf dem Fußweg!
Sportler: Eins, zwei, drei, vier, runter, rauf.
Maler: Pinsel rein, Farbe rühr‘n und streich damit die Wand.
Zimmermann: Sechs mal vier, den Nagel in die Wand, peng!
Wäscherin: Wasch das Hemd, wring es aus und häng es auf
die Leine.
Literatur:
• Arnold-Joppich, Heike / Baumann, Lars / Simon, Stefan / Tiemann, Wolfgang
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(Hrsg.) (2011): Singen in der Grundschule. Ein Lehr- und Übungsbuch für die
Praxis, Rum/Innsbruck, Esslingen: Helbling.
Bojack-Weber, Regina (2012): Singen in der Grundschule. Eine
Untersuchung zur Singfähigkeit und zum Singverhalten von
Grundschulkindern, Augsburg: Wißner.
Fuchs, Mechtild (2010): Musik in der Grundschule neu denken – neu
gestalten. Theorie und Praxis eines aufbauenden Musikunterrichts,
Rum/Innsbruck, Esslingen.
Gaul, Markus (2009): Musikunterricht aus Schülersicht. Eine empirische
Studie an Grundschulen, Mainz: Schott.
Schnitzer, Ralf (2008): Singen ist Klasse, Lehrerband, Mainz: Schott.
Stadler Elmer, Stefanie (2000): Spiel und Nachahmung, CH-Aarau:
Schneider.
Wilke, Kerstin (2012): Bushido oder Bunt sind schon die Wälder?
Musikpräferenzen von Kindern in der Grundschule = Theorie und Praxis der
Musikvermittlung Bd. 12, hg. von Maria Luise Schulten, Berlin: LIT VERLAG
Dr. W. Hopf.