Laurenburg Kurzbrief Nr. 52

Laurenburg - Kurzbrief Nr. 52, Mai 2015
Liebe Laurenburger,
es gab schon immer „Solche und Solche“ in Laurenburg – natürlich auch sonst überall.
Hier soll von zwei Laurenburger Soldaten in Nassauischen Diensten die Rede sein, die beide am
Anfang des 19. Jahrhunderts auf sehr unterschiedliche Weise dienten, ebenso divers aus ihrem
Dienst ausschieden und auch sehr verschieden ihr weiteres Leben gestalteten bzw. gestalten
mussten. Es handelt sich um:
1. Carl Hartmann, *1792 wahrscheinlich in Halle, wohnte ab 1794 in Laurenburg; er nahm als
nassauischer Soldat unter Napoleon an den Spanienkämpfen (1808 - 1814) teil, desertierte
zweimal, wurde steckbrieflich gesucht als Deserteur und Räuberhauptmann, verbrachte fünf
Jahre im Diezer Zuchthaus in Ketten und ist nach 1821 spurlos verschwunden.
2. Johann Philipp Bauer, *1.4.1796 in Laurenburg, er kämpfte 1815 als nassauischer Soldat in
der Schlacht bei Waterloo gegen Napoleon, wurde schwer verwundet und starb 26.7.1867 in
Laurenburg.
Beide waren miteinander verschwägert und wohnten um 1800 im gleichen Haus, heute Hauptstraße Nr. 25.
Zu 1. Carl Hartmanns Vorväter waren seit Anfang des 18. Jahrhunderts herrschaftlich-schaumburgische Jäger und Förster und wohnten in Horhausen und Dörnberg. Sein Vater Johann Peter
war Soldat und als Corporal in Halle stationiert, wo wohl Carl 1792 geboren wurde; doch wurde
er 1805 in Holzappel konfirmiert. Spätestens ab 1794 wohnte die Familie Hartmann in Laurenburg. Carl Hartmann wurde am 24. August 1811 gemustert und als nassauischer Soldat zum
Spaniencorps eingezogen, mit welchem Napoleon die aufständischen Spanier bekämpfte. Am
19. August 1814 ist Carl aus dem Arrest geflohen – sein Vergehen ist nicht überliefert.
Die Art seiner Rückkehr zum Militär am 18. September 1814 steht ebenfalls nicht in den Akten
des Wiesbadener Archivs. Doch bereits am 19. März 1815 desertiert er zum zweiten Mal aus
einem Hospital. Seine nun folgenden kriminellen Betätigungen erfahren wir aus dem Heimatjahrbuch des Rheinlahnkreises 2003. Hierin schreibt J. Kläser den interessanten Artikel „Ein Dahlheimer wird Opfer der Schinderhanneshysterie“ aus dem ich einen Absatz übernehme: ...Für wie
notwendig Streifzüge angesehen wurden (im Nassauer Land), ergibt sich aus einer Benachrichtigung der Landesregierung an die Amtmänner im Gebiet zwischen Westerwald und Taunus vom
3. Januar 1816.
Der Regierung war bekannt geworden, dass sich in den Ämtern Katzenelnbogen und Nassau
eine Räuberbande aufgehalten hatte, die nun einen Wirkungsbereich im Amt Diez suchte. Unter
Anführung des Karl Hartmann von Laurenburg, einen aus dem Gefängnis entwichenen ehemaligen Spanienkämpfer, machten er und seine Spießgesellen Schmidt von Isselbach, Häusner
von Dausenau, Bleid von Höhr(-Grenzhausen) und ein vom Militär desertierter Ortsbewohner von
Görgeshausen die Gegend unsicher. Nach amtlichem Sprachgebrauch galten sie als „gefährliche
Sicherheitsstörer“.
Im Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden befindet sich die Nachlassakte der Eltern von Carl
Hartmann, aus denen hervorgeht, dass Carl auf sein Erbe verzichtet. Nach einer Aufrechnung
hatte die Familie sowieso nur Schulden. Die Familie wusste nicht genau, wo sich Carl aufhält; es
wird Wallau / St. Goar angegeben (wahrscheinlich ist Werlau gemeint). Weiterhin liegt ein
Suchbericht des königlichen Gerichts von Werl (ähnlich Werlau !) in Westfalen in der Akte, die
jedoch besagt, dass er dort nicht ist – er wird „der Entwichene“ oder „Deserteur“ genannt. Ein
Jahr später hat man ihn aber gefasst, er wird am 1. Mai 1816 zu 10 Jahren Zuchthaus „in
Ketten“ verurteilt und verbüßt seine auf 5 Jahre gemilderte Strafe im Diezer Zuchthaus.
Das Diezer Zuchthaus, im ehemaligen Grafenschloß. Die „Zuchthäusler“ haben eine Kette
mit beschwerender Eisenkugel an einem Bein, die sie in der Hand tragen oder hinter sich
herziehen.
Zu 2. Johann Philipp Bauer ist bereits im Stammbaum Bauer (Laurenburg-Kurzbrief Nr. 41) mit
seiner Familie aufgeführt, von ihm sind in Laurenburg keine Nachkommen mehr
wohnhaft. Sein gleichnamiger Vater war Landmann, Fährmann und Leineweber. Als Johann
Philipps älterer Bruder Philipp Anton um 1813/14 zum nassauischen Militär eingezogen werden
sollte – dieser war wahrscheinlich als ältester Sohn bereits in den Gewerken seines Vaters
angelernt und tätig – meldete sich der noch junge Johann Philipp freiwillig für seinen Bruder
zum Wehrdienst im „französischen Befreiungskrieg 1813 – 1815“. Man konnte damals den
Wehrdienst mit jemand, der eingezogen werden sollte, tauschen; ebenso konnte man sich
freikaufen - wenn man dafür genug Geld hatte. Dies hatte natürlich zur Folge, dass meist nur
die Ärmsten zum Militär gezogen wurden.
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Nach dem Befreiungskrieg erscheint Johann Philipp Bauer im Holzappeler Kirchenbuch
erstmals wieder bei seiner Hochzeit 1825 mit der Sophie Elisabethe Hartmann, der Schwester
von Carl Hartmann, mit der er von Kindesbeinen an unter dem kleinen Dach des Hauses
Nr. 25 wohnte. Die Kirchenbücher erzählen uns in Kurzform das Vorgenannte und auch das
weitere Schicksal des „Befreiungskämpfers“. In der Schlacht bei Waterloo hatte er ein Bein
„verloren“ und wird
4 bei seiner Heirat sowie den Geburtseintragungen seiner fünf Kinder immer
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als „Pensionär“
genannt, was darauf hindeutet,
dass er für seine schwere Kriegsverletzung eine
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„Pension“ bekam.
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Diese „Waterloo-Medaille“ wurde vom Herzoglichen KriegsCollegium am 2.3.1816 an Johann Philipp Bauer verliehen;
gedient hatte er im 1. Regiment, Landwehr-Bataillon, 3. JägerKompanie
Um die krassen Gegensätze und unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Laurenburger
aus dem gleichen Wohnhaus und aus der gleichen Zeit zu erahnen, soll die Historie über die
Laurenburger Grenzen hinaus etwas beleuchtet werden.
Napoleons Werdegang während der Französischen Revolution (1789 – 1799) war ein steiler
Aufstieg in der Armee. Er nannte sich 1804 bereits als 35-Jähriger: Kaiser von Frankreich und
beherrschte direkt und indirekt ein Großteil Mitteleuropas. Er reformierte und expandierte
ständig, hatte die deutsch-französische Grenze bereits an den Rhein gedrückt und drängte im
Jahre 1806 sechzehn süd- und westdeutsche Fürstentümer in den Rheinbund, dessen Protektor er war. Dieser Rheinbund war ein militärisches Bündnis, aus welchem er für seine
Zwecke Soldaten rekrutieren konnte.
Zu diesem Rheinbund gehörte auch das von ihm neu geformte Herzogtum Nassau. Bereits vor
dem Rheinbund tobten die ersten beiden Revolutionskriege (1792 – 1802), in denen sich
französische und österreichische Truppen in unserem heimatlichen Gebiet bekämpften. Die
Holzappeler Kirchenbücher berichten, dass viele Beerdigungen in den Jahren 1794 bis 1801,
besonders 1796 und 1797, wegen „den Kriegsunruhen in aller Stille“ stattgefunden haben. Sehr
deutlich wird die Intensität des Krieges im hiesigen Raum durch die Tatsache, dass beide
Kriegsparteien hier Lazarette betrieben haben, die Franzosen in der Kirche St. Peter, Altendiez
und die Österreicher im Kloster Arnstein; daran erinnert noch der Österreicher-Friedhof im
Jammertal mit 200 Soldatengräbern aus dieser schlimmen Zeit.
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Im Heimatbuch „Die Esterau“ beschreibt Willi Schmiedel zwei Überlieferungen aus den Revolutionskriegen:
- in Dörnberg sind am 9. August 1796 vier Reiter ins Dorf gekommen, haben 5 Karren voll Brot,
60 Rationen Hafer und Heu und eine Menge Fleisch gefordert, worauf man ihnen 60 Laiber Brot
und 3 Töpfe voll Butter gegeben habe. Danach verlangten die Reiter Geld, die Dörnberger hatten
aber keins. Daraufhin wurden einige misshandelt und das Haus der Familie Wenig angesteckt.
Als auch Wenigs Scheune brannte, ritten die 4 Reiter weiter.
- die Holzappeler Bevölkerung wurde in jenen Jahren hart getroffen durch Plünderungen und
Einquartierungen französischer Soldaten. Ihre „Mituntertanen“ aus dem Dorf Frose (SachsenAnhalt), im damaligen Fürstentum Anhalt-Bernburg-Schaumburg, erfuhren davon und sammelten
Geld, Leinentuch und Flachs und vermittelten ihre Spende über ihren gemeinsamen Schaumburger Fürsten. Nach der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland ist auf Grund dieser
Tatsache eine Ortspartnerschaft zwischen Holzappel und Frose gegründet worden.
Aus Laurenburg selbst sind keine schlimmen Kriegshandlungen aufgezeichnet worden. Das
damalige „Sackdorf“ Laurenburg war wohl zu abgelegen – die Lahnstraße nach Obernhof wurde
erst 1911 gebaut, die Rupbachstraße 1866 und die Scheidter Straße im Jahre 1876.
Ganz im Gegenteil: In diesen kriegerischen Jahren wurden hier vier stattliche Höfe errichtet,
Hauptstraße 7, 9, 11 und 15, die die große Baulücke zwischen Schloss und dem Hinterdorf
geschlossen haben.
In den napoleonischen Kriegszeiten sind nun unsere beiden Laurenburger auch zum Soldatendienst eingezogen worden:
Carl Hartmann wurde nach Bildung des Rheinbundes für Napoleons Spanienkämpfe (1808 1814) eingezogen, ist zweimal desertiert und wurde danach im heimischen Raum als Räuber
tätig. Am 1. Mai 1816 wurde er durch kriegsrechtliches Urteil zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt,
welches aber auf 5 Jahre herabgesetzt wurde. Nach seiner Entlassung im Jahre 1821 ist er
spurlos verschwunden. Die Tatsache, dass sein Zuchthausaufenthalt halbiert wurde, hängt
vielleicht damit zusammen, dass – nachdem das Herzogtum Nassau 1813 nach der Völkerschlacht bei Leipzig aus dem napoleonischen Rheinbund austrat – auch Carl Hartmann aus dem
napoleonischen Spaniencorps desertierte?
Der Spanienkrieg hat in unserer Gegend im wahrsten Sinne des Wortes aber auch „Früchte
getragen“, denn Hartmanns Mitkämpfer, Röpel von Altendiez, hat aus Spanien Kerne der
spanischen Graubirne nach Hause mitgebracht, ausgesät und aufgezogen. Aus diesen Birnen
machen die Altendiezer noch heute ihren berühmten „Bimbes“.
J. Philipp Bauer wurde erst nach dem Austritt des Herzogtums Nassau aus dem Rheinbund
eingezogen, um in den anschließenden Befreiungskriegen 1813 – 1815 gegen Napoleon zu
kämpfen. Über ihn haben wir unsere Kenntnisse hauptsächlich aus den Holzappeler Kirchenbüchern; im „Herzoglich Nassauischen Intelligenzblatt“ vom 23.12.1815 finden wir noch die
Meldung an alle Angehörigen daheim: im Jesuiten-Hospital zu Brüssel liegt noch Philipp Bauer in
Behandlung. Die Auszeichnung mit der Waterloo-Medaille ist in den Unterlagen des Hess.
Hauptstaatsarchiv aufgezeichnet, ebenso wird darin berichtet, dass noch ein zweiter Laurenburger dekoriert wurde: Corporal Christian Herpel.
Gerhard Gemmer
In eigener Sache:
Die Laurenburger Kurzbriefe von unserem Dorfschreiber Gerhard Gemmer erscheinen vierteljährlich und werden kostenlos an alle Haushalte verteilt.
Die Laurenburg-Briefe werden vom Förderverein „Freunde der Laurenburg e.V.“ herausgegeben
und erscheinen einmal jährlich im November. Mitglieder erhalten die Hefte kostenlos,
Interessierte können die Hefte für 2 Euro in der Geschäftsstelle, Turmbergstr. 12, erwerben.
Man kann die Publikationen aber auch unter der Internetadresse www.Laurenburg.de als
PDF.Datei herunterladen.
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