extra Wohndesign auferstanden ●Raus aus dem Archiv, rein ins Wohnzimmer: Viele Möbel-Ikonen erhalten gerade ein neues Leben Fotos: Benne Ochs; Styling: Eva Marguerre Bowl chair Sessel von Lina Bo Bardi aus dem Jahr 1951. Auf 500 Stück limitiert. Arper, 5000 Euro 80 21.5.2015 Drop Stuhl mit dunkelgrauem Polster von Arne Jacobsen, 1958. Fritz Hansen, ca. 850 Euro serie 7 (1) Stuhl von Arne Jacobsen aus dem Jahr 1955. Zum 60. Geburtstag gibt es ihn in Rosa mit vergol deten Beinen (vorn) … Serie 7 (2) … sowie aus dunkel lackiertem Holz mit brünierten Beinen. Fritz Hansen, je ca. 610 Euro 4 S 830 Pinkfarbener Sessel mit Stahlrohrgestell von Emilia Becker. Thonet, ca. 1820 Euro 21.5.2015 81 extra Wohndesign kandem 831 Reedition einer Werkplatzleuchte von 1929. Ply, ca. 300 Euro tea trolley 901 Teewagen aus Birkenholz von Alvar Aalto, 1936, jetzt in neuen Farbtönen. Artek, ca. 1975 Euro pumpkin Sofa von Pierre Paulin, 1971. Ein Entwurf für Claude und Georges Pompidous Privaträume im Élysée-Palast. Ligne Roset, ca. 2100 Euro Rolf Benz 323 Sofa aus dunkelgrünem Samt aus dem Jahr 1990. Rolf Benz, ca. 2760 Euro „Alle, die in Schönheit gehn, werden in Schönheit AufersteHn.“ Rainer maria Rilke 82 21.5.2015 21.5.2015 83 extra Wohndesign twin table Beistelltisch mit zweifarbiger Platte nach Mogens Lassen. By Lassen, ca. 300 Euro fk12 forty forty Tische aus rotem bzw. blauem Metall von Ferdinand Kramer, 1945. E 15, je 352 Euro fk 04 Calvert Beistelltisch aus Eichenfurnier von Ferdinand Kramer, 1951. E 15, ca. 490 Euro kubus bowl Schale nach Mogens Lassen. By Lassen, ca. 230 Euro „Wer die Geometrie begreift, vermag in dieser Welt Alles zu verstehen.“ Galileo Galilei 84 21.5.2015 extra WOHNDESIGN D ie Möbelbranche hat ihre Vergangenheit zu ihrer Zukunft gemacht: Das De sign des 20. Jahrhunderts scheint sich prächtig zu verkaufen. Möbelhersteller durchforsten Jahr für Jahr ihre Archive, um noch einen Stuhl von Jean Prouvé oder Gio Ponti unter die Leute zu bringen. Was immer schon gut lief, wird in neuen Farben oder Materialien angeboten, um frisch zu bleiben. Jedes Jubiläum wird ge nutzt, wenn es um die Lancierung neuer Editionen geht: Arne Jacob sens Stuhl 3107 wird 60 Jahre alt? – Der Hersteller Fritz Hansen feiert das Ereignis mit einer Geburtstags edition in Rosa und Dunkelblau. Was passiert da? Sind uns im 21. Jahrhundert etwa die Formen aus gegangen? Wurde alles Gute schon einmal gedacht? Wollen die Her steller nur die Entwicklungskosten für neue Möbel sparen? Wollen wir leben wie unsere Großeltern? Oder ist Nostalgie die Antwort auf die mobile digitale Gesellschaft? Wer einen Sessel sucht und die Wahl hat zwischen aktuellen und al ten Entwürfen, entscheidet sich oft für einen Lounge Chair von Charles und Ray Eames. Bei einem Klassiker wie diesem kann man nichts falsch machen, der belegt guten Ge schmack, ist bequem, die Qualität verbürgt ein namhafter Hersteller – sofern man das Original kauft. Solch ein Sessel ist eine Anschaffung fürs Leben, da entscheidet man sich gern für bleibende Werte. Das Möbeldesign befindet sich in einer reifen Phase; ikonenhafte Ent würfe stammen aber meistens aus Zeiten des Auf- und Umbruchs. Als Marcel Breuer Mitte der 20er Jahre am Bauhaus arbeitete und – inspi riert von einem Fahrradlenker – einen Sessel aus Stahlrohr baute, veränderte er damit die Vorstellung vom Sitzen. Mit dem Material, das man bis dahin nur von Kranken hausbetten kannte, schuf er das Mö bel des Maschinenzeitalters: sitzen wie auf einer „elastischen Luftsäu le“ statt Plüsch und Polster. Zum Bestseller sollte der Sessel zwar erst ab den 60er Jahren werden, als er unter dem Namen „Wassily“ auf den 86 21.5.2015 cobra Tischleuchte von Greta M. Grossman, 1950. Gubi, ca. 345 Euro bestlite Leuchte aus Messing von Robert Dudley Best, 1930. Gubi, ca. 590 Euro ml 42 Dreibeiniger Hocker aus Eiche von Mogens Lassen, 1942. By Lassen, ca. 790 Euro Markt kam, aber er ist ein Schlüsselobjekt geworden für die Erfindung des modernen Wohnens. Ende der 40er Jahre entwickelte das Designer-Ehepaar Ray und Charles Eames den ersten Stuhl mit KunststoffSitzschale, die dem menschlichen Körper nachempfunden war und in Serie für einen Massenmarkt hergestellt werden konnte. Ihnen gelang das Kunststück, einen Stuhl zu kreieren, der bis heute modern wirkt und in Schlössern eine ebenso gute Figur macht wie in Häusern aus Glas und Stahl. Diese Art Erfindung ist leider nicht beliebig wiederholbar. Innovation findet heute eher in Algorithmen statt als in der Ge staltung. Ein anderer Grund, warum Reeditionen so beliebt sind: Sie passen gut zu unseren heutigen Bedürfnissen. In der Nachkriegszeit bemühten sich viele Gestalter um kleine, erschwingliche Möbel für die breiten Bevölkerungsschichten. Wenn das französische Unternehmen Ligne Roset heute einen schmalen Schreibtisch und ein filigranes Bücherregal von Pierre Paulin wieder auflegt oder wenn der dänische Hersteller Gubi mit einem eleganten Wandspiegel von Jacques Adnet aus den Fünfzigern einen Bestseller landet, dann liegt es auch daran, dass diese Entwürfe Antworten sind auf die Zwänge der Gegenwart. Wir ziehen heute öfter um als unsere Eltern, leben statistisch gesehen öfter allein, und in den Städten wird Wohnraum immer teurer und knapper. Design stellt eine Kulturleistung dar wie Literatur und Filmkunst – und Möbelstücke können den Geist ihrer Epoche so speichern wie Bücher und Filme. Der Schriftsteller Italo Calvino sagte einmal: „Ein Klassiker ist ein Buch, das nie aufhört, das zu sagen, was es zu sagen hat.“ Auch Möbelentwürfe haben uns etwas zu erzählen. Ein EamesStuhl verkörpert den Optimismus der amerikanischen Moderne. Seine Botschaft ist: „Die Kriege lie- 4 extra Wohndesign gen hinter uns! Wir dürfen wieder leben, genießen!“ Die Welt im Jahr 2015 sieht leider anders aus; wohl deswegen umgeben wir uns mit Dingen, die uns an eine bessere Welt erinnern. Mit dem Sitzsack, dem Flokatiteppich und dem geschwungenen Panton Chair ist es ähnlich – ihnen wohnen die Werte der Sechziger inne: Wir sitzen bodennah und kümmern uns nicht um Konventionen. Die großen Industrieleuchten, die wir über Esstische hängen, vermitteln ein Gefühl von Authentizität einer Arbeitswelt, die den digitalen Nomaden von heute längst verloren gegangen ist. Die Stahlrohrmöbel der Bauhauszeit sind in Rechtsanwaltskanzleien und Arztpraxen verbreitet, weil sie für Rationalität und Transparenz stehen – und für Kontinuität, denn ihre Entwürfe sind inzwischen um die 90 Jahre alt. Und wenn wir uns auf einem millionenfach verkauften Stuhl von Eames niederlassen, dann nicht nur, weil er erschwinglich, praktisch und bequem ist, sondern auch weil er uns das Gefühl vermittelt, selbst ein kleines bisschen so optimistisch, lässig und unvergleichlich innovativ zu werden wie einst seine Erfinder. Dorothea Sundergeld 2 88 21.5.2015 FOTOS: BENNE OCHS; FOTOASSISTENZ: WIKTOR GACPARSKI, PIOTR WINIARCZYK; STYLING: EVA MARGUERRE; STYLING-ASSISTENZ: KATHRIN MORAWIETZ; REDAKTION: CATHRIN WISSMANN; FOTOREDAKTION: STEPHANIE MAROSCHECK; KAROLIN SEINSCHE; LOCATION: LAPIDARIUM RUINE ZIONSKIRCHE double heart Wolldecke von Alexander Girard, 1971. Vitra, 363 Euro
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