Raus aus dem Archiv, rein ins Wohnzimmer: Viele Möbel

extra
Wohndesign
auferstanden
●Raus aus dem Archiv, rein ins
Wohnzimmer: Viele Möbel-Ikonen
erhalten gerade ein neues Leben
Fotos: Benne Ochs; Styling: Eva Marguerre
Bowl chair
Sessel von Lina
Bo Bardi aus
dem Jahr 1951.
Auf 500 Stück
limitiert. Arper,
5000 Euro
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Drop
Stuhl mit
dunkelgrauem
Polster von Arne
Jacobsen, 1958.
Fritz Hansen,
ca. 850 Euro
serie 7 (1)
Stuhl von Arne
Jacobsen aus dem
Jahr 1955. Zum 60.
Geburtstag gibt es
ihn in Rosa mit vergol­
deten Beinen (vorn) …
Serie 7 (2)
… sowie aus
dunkel lackiertem
Holz mit brünierten Beinen.
Fritz Hansen,
je ca. 610 Euro
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S 830
Pinkfarbener
Sessel mit
Stahlrohrgestell
von Emilia
Becker. Thonet,
ca. 1820 Euro
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kandem 831
Reedition einer
Werkplatzleuchte
von 1929. Ply,
ca. 300 Euro
tea trolley 901
Teewagen aus
­Birkenholz von
­Alvar Aalto, 1936,
jetzt in neuen
Farbtönen. Artek,
ca. 1975 Euro
pumpkin
Sofa von Pierre
Paulin, 1971.
Ein Entwurf für
Claude und
Georges Pompidous ­Privaträume
im Élysée-Palast.
­Ligne Roset,
ca. 2100 Euro
Rolf Benz 323
Sofa aus dunkelgrünem Samt
aus dem Jahr
1990. Rolf Benz,
ca. 2760 Euro
„Alle, die in Schönheit gehn,
­werden in Schönheit AufersteHn.“
Rainer maria Rilke
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twin table
Beistelltisch
mit zweifarbiger
Platte nach
Mogens Lassen.
By Lassen,
ca. 300 Euro
fk12 forty
forty
Tische aus rotem
bzw. blauem
Metall von Ferdinand Kramer, 1945.
E 15, je 352 Euro
fk 04 Calvert
Beistelltisch aus
Eichenfurnier
von Ferdinand
Kramer, 1951.
E 15, ca. 490 Euro
kubus bowl
Schale nach
Mogens Lassen.
By Lassen,
ca. 230 Euro
„Wer die Geometrie begreift,
vermag in dieser Welt Alles zu verstehen.“
Galileo Galilei
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ie Möbelbranche hat ihre
Vergangenheit zu ihrer
Zukunft gemacht: Das De­
sign des 20. Jahrhunderts
scheint sich prächtig zu
verkaufen. Möbelhersteller
durchforsten Jahr für Jahr ihre
Archive, um noch einen Stuhl von
Jean Prouvé oder Gio Ponti unter die
Leute zu bringen. Was immer schon
gut lief, wird in neuen Farben oder
Materialien angeboten, um frisch
zu bleiben. Jedes Jubiläum wird ge­
nutzt, wenn es um die Lancierung
neuer Editionen geht: Arne Jacob­
sens Stuhl 3107 wird 60 Jahre alt? –
Der Hersteller Fritz Hansen feiert
das Ereignis mit einer Geburtstags­
edition in Rosa und Dunkelblau.
Was passiert da? Sind uns im
21. Jahrhundert etwa die Formen aus­
gegangen? Wurde alles Gute schon
einmal gedacht? Wollen die Her­
steller nur die Entwicklungs­kosten
für neue Möbel sparen? Wollen wir
leben wie unsere Großeltern? Oder
ist Nostalgie die Antwort auf die
­mobile digitale Gesellschaft?
Wer einen Sessel sucht und die
Wahl hat zwischen aktuellen und al­
ten Entwürfen, entscheidet sich oft
für einen Lounge Chair von Charles
und Ray Eames. Bei einem Klassiker
wie diesem kann man nichts falsch
machen, der belegt guten Ge­
schmack, ist bequem, die Qualität
verbürgt ein namhafter Hersteller –
sofern man das Original kauft. Solch
ein Sessel ist eine Anschaffung fürs
Leben, da entscheidet man sich gern
für bleibende Werte.
Das Möbeldesign befindet sich in
einer reifen Phase; ikonenhafte Ent­
würfe stammen aber meistens aus
Zeiten des Auf- und Umbruchs. Als
Marcel Breuer Mitte der 20er Jahre
am Bauhaus arbeitete und – inspi­
riert von einem Fahrradlenker –
einen Sessel aus Stahlrohr baute,
veränderte er damit die Vorstellung
vom Sitzen. Mit dem Material, das
man bis dahin nur von Kranken­
hausbetten kannte, schuf er das Mö­
bel des Maschinenzeitalters: sitzen
wie auf einer „elastischen Luftsäu­
le“ statt Plüsch und Polster. Zum
Bestseller sollte der Sessel zwar erst
ab den 60er Jahren werden, als er
unter dem Namen „Wassily“ auf den
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cobra
Tischleuchte
von Greta M.
Grossman,
1950. Gubi, ca.
345 Euro
bestlite
Leuchte aus
Messing von
Robert Dudley
Best, 1930. Gubi,
ca. 590 Euro
ml 42
Dreibeiniger
Hocker aus Eiche
von Mogens
Lassen, 1942.
By Lassen,
ca. 790 Euro
Markt kam, aber er ist ein Schlüsselobjekt geworden für die Erfindung
des modernen Wohnens. Ende der
40er Jahre entwickelte das Designer-Ehepaar Ray und Charles Eames
den ersten Stuhl mit KunststoffSitzschale, die dem menschlichen
Körper nachempfunden war und in
Serie für einen Massenmarkt hergestellt werden konnte. Ihnen gelang
das Kunststück, einen Stuhl zu kreieren, der bis heute modern wirkt
und in Schlössern eine ebenso gute
Figur macht wie in Häusern aus Glas
und Stahl. Diese Art Erfindung ist
leider nicht beliebig wiederholbar.
Innovation findet heute eher in
Algorithmen statt als in der Ge­
staltung.
Ein anderer Grund, warum Reeditionen so beliebt sind: Sie passen gut
zu unseren heutigen Bedürfnissen.
In der Nachkriegszeit bemühten
sich viele Gestalter um kleine, erschwingliche Möbel für die breiten
Bevölkerungsschichten. Wenn das
französische Unternehmen ­Ligne
Roset heute einen schmalen Schreibtisch und ein filigranes Bücherregal
von Pierre Paulin wieder auflegt oder
wenn der dänische Hersteller Gubi
mit einem eleganten Wandspiegel
von Jacques Adnet aus den Fünfzigern einen Bestseller landet, dann
liegt es auch daran, dass diese Entwürfe Antworten sind auf die Zwänge der Gegenwart. Wir ziehen heute
öfter um als unsere Eltern, leben statistisch gesehen öfter allein, und in
den Städten wird Wohnraum immer
teurer und knapper.
Design stellt eine Kulturleistung
dar wie Literatur und Filmkunst –
und Möbelstücke können den Geist
ihrer Epoche so speichern wie
­Bücher und Filme. Der Schriftsteller Italo Calvino sagte einmal: „Ein
Klassiker ist ein Buch, das nie aufhört, das zu sagen, was es zu sagen
hat.“ Auch Möbelentwürfe haben
uns etwas zu erzählen. Ein EamesStuhl verkörpert den Optimismus
der amerikanischen Moderne. Seine Botschaft ist: „Die Kriege lie-
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gen hinter uns! Wir dürfen wieder
leben, genießen!“ Die Welt im Jahr
2015 sieht leider anders aus; wohl
deswegen umgeben wir uns mit
Dingen, die uns an eine bessere
Welt erinnern. Mit dem Sitzsack,
dem Flokatiteppich und dem geschwungenen Panton Chair ist es
ähnlich – ihnen wohnen die Werte
der Sechziger inne: Wir sitzen bodennah und kümmern uns nicht
um Konventionen. Die großen Industrieleuchten, die wir über Esstische hängen, vermitteln ein Gefühl
von Authentizität einer Arbeitswelt,
die den digitalen Nomaden von
heute längst verloren gegangen ist.
Die Stahlrohrmöbel der Bauhauszeit sind in Rechtsanwaltskanzleien und Arztpraxen verbreitet, weil
sie für Rationalität und Transparenz
stehen – und für Kontinuität, denn
ihre Entwürfe sind inzwischen um
die 90 Jahre alt. Und wenn wir uns
auf einem millionenfach verkauften Stuhl von Eames niederlassen,
dann nicht nur, weil er erschwinglich, praktisch und bequem ist, sondern auch weil er uns das Gefühl
vermittelt, selbst ein kleines bisschen so optimistisch, lässig und unvergleichlich innovativ zu werden
wie einst seine Erfinder.
Dorothea Sundergeld
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FOTOS: BENNE OCHS; FOTOASSISTENZ: WIKTOR GACPARSKI, PIOTR WINIARCZYK; STYLING: EVA MARGUERRE; STYLING-ASSISTENZ: KATHRIN MORAWIETZ;
REDAKTION: CATHRIN WISSMANN; FOTOREDAKTION: STEPHANIE MAROSCHECK; KAROLIN SEINSCHE; LOCATION: LAPIDARIUM RUINE ZIONSKIRCHE
double heart
Wolldecke
von Alexander
Girard, 1971.
Vitra, 363 Euro