Kurs 4: - Landsberger Eltern-ABC

Informationen zum Baustein 6:
„Sprechen lernen leicht gemacht“
zusammengestellt von Referentin
Irene Labryga
staatlich geprüfte Logopädin
Die Fähigkeit zur Kommunikation ist ein elementares Grundbedürfnis. Sprache bietet die
Basis für ein selbständiges und erfülltes Leben. Es gibt keine „sprechfaulen“ Kinder, alle
Kinder wollen sich aus ihrem tiefsten Inneren mitteilen.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Der „Sprachbaum“ verdeutlicht, dass sich die Sprache
ihres Kindes (= die Baumkrone) mit ihren 3 Bereichen Artikulation/Aussprache, Wortschatz
und Grammatik nur dann entwickeln kann, wenn eine Reihe grundlegender Fähigkeiten
angemessen ausgebildet ist (= Wurzeln) und bereits Sprechmotivation und
Sprachverständnis vorliegen (= Stamm). Dabei entfaltet sich der Baum nur dann, wenn
genügend Licht und Wärme vorhanden sind (= Sonne) und das lebensnotwendige Wasser (=
Gießkanne; die täglichen Gespräche mit dem Kind) genügend Nährstoffe
(Sprachanregungen) enthält.
Das Kind verfügt nicht von Anfang an über „Sprache“. Sie entwickelt sich langsam und in
einer bestimmten Abfolge – wie eine kleine Pflanze, die zum Baum wird.
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Die Wurzeln
Zuerst müssen die Wurzeln wachsen und festen Halt im Boden finden:
1) Schreien:
Dient der Entfaltung der Stimme: Die Stimmbänder erhalten ihre Funktion als
„Tongeber“ und werden trainiert.
Zudem lernt der Säugling, dass sein Schreien bestimmte Reaktionen in der Umwelt
auslöst und er durch eine Äußerung seine Bedürfnisse befriedigt bekommt: Es
entwickelt sich zwischen Eltern und Kind die erste „stimmliche Kommunikation“ und
somit zwischenmenschliche Beziehung.
2) Lallen: Der Phase des Schreiens folgen die sogenannten „Lallphasen“, die
besonders lustbetont sind. Babys genießen es, sich an immer wieder neuen Stellen
im Mund mit der Zunge zu berühren und trainieren so ganz nebenbei die Laute.
3) Hören: Kinder können schon im Mutterleib hören (23.SSW), wenden ihren Kopf
oder Körper aber erst ab dem vierten Lebensmonat gezielt einer Schallquelle zu. Ab
dem siebten Lebensmonat beginnen sie die Fähigkeiten zu entwickeln, Laute über
das Hören nachzuahmen. (Schwerhörigkeit: Kinder hören hier auf zu lallen, oder
lallen sehr viel weniger, da sie jetzt über das Hören und nicht mehr über die
Berührungsreize lernen). Das Hören ist ab jetzt die notwendige Anregung für den
Fortgang der Sprachentwicklung.
4) Sehen: Babys gucken auf die Mundbilder der Erwachsenen und versuchen diese
nachzuahmen. Zudem erfassen sie die Welt mit allen Sinnen und können sich so ein
„Bild“ von den Dingen machen.
5) Tastsinn: Kinder begreifen ihre Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes und
können auf diese Weise den Bildern Spürerfahrungen zuordnen. Die vielfältigen
sinnlichen Erfahrungen mit den Dingen ihrer Umgebung befähigen die Babys dazu
„Begriffe“ in neuronalen Netzwerken zu anzulegen und zu
organisieren: Eine Grundvoraussetzung um Sprachverständnis und Wortschatz zu
erwerben.
Zudem lernen sie über den Tastsinn z.B., den kleinen Unterschied beim Bilden der
Laute „p“ und „b“ zu spüren, oder das Vibrieren der Lippen bei der Bildung des „w“.
6) Bewegung (Grob-/Feinmotorik): Zum Sprechen sind zielgerichtete Mund- und
Zungenbewegungen erforderlich, die geplant willentlich gesteuert werden müssen
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(Sprechmotorik). Voraussetzung hierfür ist die möglichst ungestörte Entwicklung der
Grob- und Feinmotorik.
7) Geistige Entwicklung / Hirnreifung: Mit dem Wachstum reift von Monat zu
Monat das Gehirn; die geistigen Fähigkeiten entfalten sich zunehmend, z.B.
wahrgenommene Dinge wiederzuerkennen, sich an sie zu erinnern, ähnliche Dinge
zu unterscheiden, bestimmte Dinge bestimmten Begriffen zuzuordnen oder
Bedeutungen von Mienen und Gesten zu erfassen.
8) Sozialemotionale Entwicklung: „Sprechen“ bedeutet immer, Beziehungen zu
anderen Menschen eingehen zu können und sich aktiv der Umwelt zuzuwenden.
Hierfür braucht man Urvertrauen.
9) Sensorische Integration: Erst wenn alle Fähigkeiten und
Entwicklungsprozesse, die hier bislang einzeln aufgeführt wurden, miteinander in
Beziehung gesetzt werden können, erst wenn das Kind die zunächst einzeln
trainierten Sinnesbereiche mit seinen Bewegungsmöglichkeiten und seinem Denken
verknüpfen kann um z.B. zweckgerichtet zu handeln, erst wenn die sensomotorische
Integration stattgefunden hat, ist das Kind in der Lage, Sprache störungsfrei zu
erwerben.
Der Baumstamm
Sprechfreude: Kinder sind neugierig und unternehmungslustig. Sie versuchen nicht
nur alle Dinge in den Mund zu nehmen, sie nehmen auch unsere Wörter und Laute in
den Mund, versuchen sie nachzuahmen, plappern drauflos, noch ohne die Wörter
oder Silben zu verstehen („echolalieren“). Dies ist in den ersten zwei Lebensjahren
ein wesentlicher Schritt zum Sprechenlernen. Die Kommunikationsfähigkeit des
Kindes entwickelt sich rapide, wenn seine Sprechversuche Erfolg haben, wenn sich
Eltern und andere wichtige Bezugspersonen auf das kindliche Bemühen einlassen
und die Sprechabsichten – und seien sie noch so unvollkommen – freudig aufgreifen.
Sprachverständnis: Beim Kind ist die Fähigkeit, Sprache zu verstehen, viel eher
ausgebildet als die Fähigkeit, selbst zu sprechen. Es entwickelt sich beim Kind, indem
es Neugier und Interesse an seiner Umwelt zeigt und indem sich seine Mitmenschen
ihm im Kontakt zuwenden.
Die Baumkrone
Um das erste Lebensjahr herum passiert etwas ganz Besonderes:
Die ersten Worte werden gesprochen. Diese müssen nicht unbedingt korrekt
artikuliert werden – es sind Lautkombinationen, die fest mit einem Begriff verknüpft
sind. Voraussetzung hierfür sind die sogenannte „Triangulation“ (Ich – du –
Gegenstand beachten) und die sogenannte „Objektpermanenz“ (um die Präsenz von
Gegenständen oder Personen außerhalb des Blickfeldes wissen).
Für einige Zeit sind diese ersten Einzelworte auch gleichzeitig Sätze (z.B. „Mama“
meint „Mama, ich habe Hunger“), sogenannte „Einwortsätze“. Die Bedeutung dieser
Einwortsätze entnehmen wir dem Stimmklang, der Mimik und Gestik sowie der
Situation, in der sie gesagt werden. In der weiteren Sprachentwicklung bildet das
Kind immer mehr Laute und immer längere Sätze, wie „Mama, komm“ oder „Mama,
Milch haben“. Bis zum 2. Lebensjahr haben Kinder die „magische 50“ an
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gesprochenen Wörtern erreicht und sprechen Zweiwortsätze, ansonsten werden sie
als „Late Talker“ bezeichnet. Anschließend startet dann die sogenannte
„Wortschatzexplosion“. Bis ca. zum dritten Lebensjahr lernt das Kind Pronomen zu
bilden, z.B. „Ich“, so dass Sätze gebildet werden können, die mit „Ich will...“
beginnen.
Die kindliche Sprachentwicklung
Alter
Sprachentwicklung
Hinweise für die Eltern
Lassen Sie sich
beraten,wenn:
Geburt bis 6.
Monat
Das Baby reagiert auf Geräusche,
es bewegt seine Augen oder
seinen Kopf in die Richtung der
Klangquelle.
Es lallt, erzeugt Geräusche.
Es verstummt – insbesondere
ab dem 7. Monat.
Es auf Geräusche nicht
reagiert.
Es keinen Blickkontakt
aufnimmt.
Ab dem 12.
Monat
Das Kind versteht einfache
Aufträge.
Es sagt „Mama“ und „Papa“.
Es reagiert auf seinen Namen.
Ab dem 18.
Monat
Das Kind versteht einfache Sätze
und Aufgaben.
Es benennt bekannte Dinge.
Der Wortschatz wächst.
Sprechen Sie mit Ihrem Kind ruhig und
freundlich.
Spielen, singen und lachen Sie mit ihm.
Erzählen Sie ihm in einfachen Worten,
was Sie gerade tun.
Benennen Sie die Menschen und Dinge
in seiner Umgebung sowie die
Geräusche, die es hört.
„Spielen“ Sie mit Ihrer Stimme:
Sprachmelodie hilft, Sprache besser zu
verstehen.
Wecken Sie bei Ihrem Kind die Freude
zur Kommunikation.
Fördern Sie jede Art der Verständigung
(Lachen, Schauen, ... etc.).
Zeigen Sie ihm, wie vielfältig man (auch
ohne zu sprechen) kommunizieren kann.
Sprechen Sie in einfachen Sätzen (nicht
in Babysprache) mit ihrem Kind.
Schauen Sie sich mit ihrem Kind
geeignete Bücher an.
Ab dem 24.
Monat
Das Kind versteht längere Sätze.
Es sagt seinen Namen.
Es bildet 2-3 Wortsätze.
Erweitern Sie seinen Wortschatz, indem
Sie ihm neue Begriffe anbieten.
Wiederholen Sie korrekt, was es sagt,
ohne es aufzufordern, dies zu
wiederholen (Bsp.: Kind „Ato da.“
Erwachsener: „Ja, da fährt ein Bus.“).
Üben Sie nicht mit Ihrem Kind!
Ab dem 36.
Monat
Das Kind versteht einfache
Geschichten.
Es bildet Sätze.
Es stellt Fragen.
Hören Sie Ihrem Kind aufmerksam zu.
Helfen Sie ihm so, seine Gedanken und
Gefühle zu ordnen und auszudrücken.
Ermutigen Sie es, Schnuller und Nuckel
aufzugeben.
Ab dem 48.
Monat
Das Kind kann Sätze wie
Erwachsene bilden.
Lesen Sie Geschichten vor.
Wechseln Sie sich mit dem Kind beim
Erzählen ab.
Der Wortschatz Ihres Kindes
außer „Mama“ und „Papa“ nur
wenige Wörter umfasst.
Das Kind meistens
unverständlich spricht.
Das Kind keine 2-Wortsätze
bildet („Mama da“).
Sie das Gefühl haben, Ihr
Kind versteht Sie nicht.
Das Kind für Fremde
unverständlich spricht.
Es wenige Tätigkeitswörter,
keine Artikel oder
Eigenschaftswörter (z.B.
„groß“) benutzt.
Es noch nicht beginnt, die
Mehrzahl zu bilden.
Es noch keine einfachen Sätze
bildet.
Es dem Kind schwer fällt,
Sätze zu bilden.
Es grammatikalisch falsche
Sätze bildet.
Es nicht immer verständlich
spricht. Es nicht einfache
Inhalte wiedergeben kann.
Ihr Kind keine ersten Worte
spricht.
Ihr Kind nur mit Gestik und
Mimik versucht zu
kommunizieren.
Sich die Sprache
verschlechtert oder nicht
mehr weiterentwickelt.
Ihr Kind aufhört zu sprechen.
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Die Gießkanne
Kinder lernen Sprechen, weil Erwachsene mit ihnen reden. Erst
durch die tägliche Kommunikation mit dem Kind kann sich
dessen Sprache entwickeln. Die Gießkanne mit ihrem Wasser
soll als Symbol für ein sprachförderndes Verhalten der Eltern
gelten.
Bindungspersonen, andere Erwachsene und Kinder sind intuitiv in der Lage, ihre
Sprache und ihr Sprachverhalten den Bedürfnissen eines Kleinkindes anzupassen. Sie
kennen wahrscheinlich die Situation, in der Sie sich über einen Kinderwagen beugen
und augenblicklich ganz anders mit dem Baby
sprechen, als Sie es mit Erwachsenen tun würden. Wissenschaftler haben diese und
ähnliche Situationen näher untersucht und herausgefunden, dass diese speziell ans
Kind gerichtete Sprache durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet ist und die
Sprachentwicklung maßgeblich unterstützt (vgl. Szagun 2000, S. 209):
- Klar erkennbare Segmentation, d. h. Gliederung und Betonung der Sprache
- Sprechen in höherer Tonlage mit größerer Modulation
- Langsamere Sprechgeschwindigkeit
- Inhaltliche und grammatikalische Vereinfachungen der Äußerungen (kurze, weniger
komplexe Sätze);
- Wenn Sie ihr Kind sprachlich fördern wollen, sollten Sie es weder über- noch
unterfordern; versuchen Sie in Ihrem sprachlichen Angebot Ihrem Kind häufig eine
Stufe, aber auch nur genau eine Stufe voraus zu sein;
- Wiederholen Sie selbst korrekt, was Ihr Kind nicht richtig gesagt hat:
Beispiel: Kind: Bah.
Vater: Du suchst den Ball?
Kind: Weg.
Vater: Der ist weg. Vielleicht liegt er in der Kiste.
Kind: Miti weh tan.
Mutter: Oh, Mietzi hat dir weh getan?
Kind: Ja! (krümmt die Finger und zeigt die Zähne)
Mutter: Auweia, hat gefaucht und die Krallen gezeigt?
Kind: Ja, Hand haut.
Mutter: Sie hat dir auf die Hand geschlagen, mit ihren Krallen?
Kind: (nickt) Butet doll!
Mutter: Oh, Du Arme! Da ist das Blut zu sehen. Komm, wir machen
ein Pflaster drauf.
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Beispiele für Störfaktoren
Man spricht in der Sprachentwicklungsforschung von der sogenannten „sensitiven
Periode“, in welcher das menschliche Gehirn (genauer das zentrale auditorische
System) maximal plastisch ist. Sie reicht von 8-9 Monaten bis etwa 3,5 Jahre.
Anschließend nimmt diese Plastizität ab, nach dem Alter von 7 Jahren wird sie stark
reduziert. Treten in dieser Zeit z.B. häufig wiederkehrend Mittelohrentzündungen auf,
so kann sich evtl. eine Artikulationsstörung oder eine sogenannte
Sprachentwicklungsverzögerung daraus entwickeln, die dann z.B. über eine
logopädische Therapie behandelt werden sollte.
Muskelfunktionsstörungen im Bereich der Lippen- und Zungenmuskulatur
(sogenannte „orofaziale Dysfunktionen“) und Zahnfehlstellungen können sich
ebenfalls negativ auf die Artikulation auswirken.
Bei mangelnder sprachlicher Stimulation (funktioniert nicht über Medienkonsum) wird
sich das neuronale Wachstum hinsichtlich Sprache eher in Grenzen halten, das Kind
wird sich sprachlich eher reduziert entwickeln.
Die Sonne
Das Symbol von Licht und Wärme verdeutlicht, dass ein Baum, auch wenn er die
Anlage zu einem wahren Prachtexemplar in sich trüge, nie allein aus sich heraus
wachsen würde. Ein Kind braucht Liebe und Zuneigung – und Spaß, - um sich
entfalten zu können.
Die beste Sprachförderung ist eine gute Beziehung zum Kind und das gemeinsame
Spielen der Eltern mit dem Kind!
Quellen:
- Wendlandt, Wolfgang, „Sprachstörungen im Kindesalter“, Herausgeber: Luise Springer, Dietlinde
Schrey-Dern, Verlag: Georg Thieme Verlag
- dbl Deutscher Bundesverband für Logopäden e.V., Publikation „Wie spricht mein Kind“
- Szagun, Gisela, „Sprachentwicklung beim Kind“, Verlag: BELTZ
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