LEBEN & KULTUR DONNERSTAG, 7. MAI 2015 | 15 Der Wunsch zu helfen packte die Region TZ bewegt – Ende 1990 unterstützte das damalige NTK den Verein „Rumänienhilfe“ bei einer groß angelegten Spendenaktion VON TZ-REDAKTEURIN EILEEN JACK TORGAU. Mit einem Kommentar auf der NTK-Titelseite am 17. November 1990 nahm die Geschichte ihren Lauf. Unter dem Titel „Was Ceausescu hinterließ“ berichtete die Heimatzeitung von einer Hilfsaktion, angekurbelt in Kaulsdorf, einer Berliner Kirchengemeinde, rief auf, zu unterstützen, Spenden zu sammeln. Die Initiatoren hatten rumänische Dörfer angeschrieben, Hilfe angeboten und geleistet. Schnell weitete sich die Aktion zur einer Welle der Hilfsbereitschaft aus. Auch der Torgauer Kirchenkreis sprang auf den Karren auf, sammelte finanzielle Mittel für eine Fahrt nach Rumänien. Das NTK schloss sich an, schickte einen Redakteur mit auf Reisen, der schließlich in einer ganzen Serie von seinen schier unbeschreiblichen Erlebnissen in Rumänien berichtete und damit eine weitere unfassbar intensive Hilfswelle auslöste. Bereits nach dem ersten Kommentar trafen fast täglich neue Hilfsgüter in der NTK-Redaktion ein. Letztendlich überstieg die Spendenbereitschaft der Torgauer die räumlichen Kapazitäten der Verlagsgesellschaft. Das DRK stellte schließlich Lagerflächen zur Verfügung. Am 23. November wurde dann in Potsdam ganz offiziell der Verein „Rumänienhilfe und andere bedürftige Länder“ gegründet. Auch Bürger aus Torgau nahmen teil, wollten sich fortan engagieren, helfen. Man einigte sich an diesem Tag, dass ein nächster Hilfskonvoi bereits An- fang Dezember nach Rumänien starten sollte. Für die Macher des NTK stand fest –„Da sind wir dabei“. Die zahlreichen Spenden der Leser sollten persönlich an ein Waisenheim für drei- bis siebenjährige Kinder in Lugoj, ein Kinderheim in Tirgu Muris, an eine ungarisch-reformierte Gemeinde und eine rumänisch-orthodoxe Kirche in Baia Mare übergeben aber auch nach Sibiu (Hermannstadt – Zentrum von Siebenbürgern) und nach Cincu gebracht werden. Den genauen Start der Reise da- tierten die Initiatoren schließlich auf den 6. Dezember, den Nikolaustag. Neben der Torgauer Verlagsgesellschaft und den vielen Bürgern unterstützten damals auch die Flachglas GmbH, das Speditionsunternehmen Winkler aus Bennewitz und die LPG Mehderitzsch das Unterfangen. Eine ganz besondere Überraschung steuerte das Unternehmen Kramers Agentur Großhandel aus Bockwitz bei, das kurzfristig Brot im Wert von 2399 D-Mark zur Verfügung stellte. Und dann war es soweit, der Kon- voi startete Richtung Rumänien. Eine Fahrt von über 1500 Kilometern lag vor den Helfern, um die rund vier Tonnen Hilfsgüter nach Rumänien zu bringen. Am Heiligen Abend 1990, am 24. Dezember also, fasste NTK-Redakteurin Cornelia Doberenz dann auf einer ganzen Seite der Heimatzeitung ihre Erlebnisse von der Rumänienfahrt zusammen, die sie bis heute nicht vergessen hat. Vor allem die strahlenden Gesichter der Kinder hinterließen bleibende Eindrücke bei allen Helfern. „Für mich war das ein Abenteuer“ Schlimme Eindrücke vom Kinderheim Gerd Heubaum fuhr am 6. Dezember 1990 für das NTK mit nach Rumänien Die ehemalige NTK-Reporterin Cornelia Doberenz erinnert sich an das Hilfsprojekt TORGAU. Auch heute knapp 25 Jahre später läuft Gerd Heubaum noch ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er über die Rumänienfahrt vom Dezember 1990 spricht. Die Erinnerungen laufen vor seinem inneren Auge ab wie ein Film, einer, der Eindruck machte, der unvergesslich bleibt. „Ich habe schon ein bisschen darauf gewartet, dass ein Bericht über die Aktion damals kommt“, sagt Gerd Heubaum. Ganz genau hat er die Serie anlässlich des 25. Geburtstages der Heimatzeitung, „TZ bewegt“ verfolgt und gehofft, dass auch die Spendenaktion für Rumänien darin Erwähnung findet. Umso mehr freute er sich schließlich über den Anruf von TZ mit der Bitte über die damaligen Ereignisse zu berichtet. RUMÄNIEN. NTK-Redakteurin Cornelia Doberenz begleitete im Dezember 1990 den Tross nach Rumänien und schilderte ihre Eindrücke auf einer ganzen Seite des damaligen Kreisblattes. Heute gut 25 Jahre später sind die Erinnerungen ein wenig verblasst, aber immer noch soweit vorhanden, dass die heute in Norwegen lebende Ex-Torgauerin sie für Torgauer Zeitung aufgeschrieben hat: Soweit ich mich erinnere habe ich im Sommer, ich glaube es war Juli oder August 1990, beim damaligen NTK angefangen. Gleich nachdem ich mein Studium an der Martin-Luther-Universität in Halle abgeschlossen hatte. Bereits im Herbst muss es dann den ersten Kontakt des Vereins Rumänienhilfe zur Zeitung gegeben haben. Ich war nicht von Anfang an involviert, sondern ein anderer Kollege. Es wurde über den Verein und sein Anliegen berichtet. Im Laufe des Herbstes entwickelte sich die Idee einer Zusammenarbeit zwischen dem NTK und dem Verein. In der Zeitung wurden die Spendenaufrufe veröffentlicht und gleichzeitig wurde geplant einen Redakteur des NTK bei der nächsten Aktion mitzuschicken, um später berichten zu können, was aus den Spenden geworden war und wer die Empfänger waren. Soweit die Vorgeschichte. Fahrt ins Ungewisse Gerd Heubaum kann sich noch sehr gut erinnern. Sein Schwager arbeitete Ende 1990 in der Vertriebsabteilung des Neuen Torgauer Kreisblattes und erzählte von der Suche nach einem Fahrer für den Rumänienkonvoi. „Ich war sofort begeistert, wollte die Sache übernehmen, wusste aber nicht, ob ich frei bekomme“, erzählt der Torgauer und strahlt. Nachdem er all seine Überredungskünste spielen ließ, nickte der Chef die Reise ab. „Für mich war das ganze ein absolutes Abenteuer, eine Fahrt ins Ungewisse und dass für einen guten Zweck“, sagt Gerd Heubaum heute. Am 6. Dezember 1990 wurde schließlich der Transporter in Torgau beladen und dabei jeder freie Platz im Fahrzeug ausgenutzt. Nach einem Zwischenstopp in Torfhaus ging es weiter nach Potsdam. Dort trafen Gerd Heubaum und NTK-Reporterin Cornelia Doberenz auf die anderen Mitfahrer. Am Ende bestand der Konvoi aus acht Fahrzeugen, angefan- Über die Brücke dirigiert Regelrecht ins Heubaumsche Gehirn eingebrannt hat sich die Begebenheit an einer rumänischen Brücke. „Die bestand nur aus zwei Balken, auf die ein paar Bretter genagelt waren. Und daneben ging es tief runter. Mir war Angst und Bange. Dann sind erst einmal zwei Leute zu Fuß über die Brücke gegangen und haben von der anderen Seite dirigiert“, sagt Gerd Heubaum. Unvergessen bleibt auch die Übernachtungen auf einem rumänischen milien. Oft aufgeteilt auf mehrere Häuser. So hatten wir einen Schlafplatz, bevor wir uns auf den Weg zum nächsten geplanten Ziel machten. Rumänien ist ein großes Land und es war ein Rennen gegen die knappe Zeit bei winterlichen Straßenverhältnissen. Aber die Gastfreundschaft und Herzlichkeit die wir dort erleben durften war so spontan und hat uns alle sehr berührt, vor allem dann, wenn diese Menschen begannen, uns von dem wenigen, was sie selber hatten, noch etwas abzugeben. Ein echtes Abenteuer Schlimme Eindrücke hinterließ das Kinderheim. Die Kleinsten wurden aufbewahrt, in Gitterbettchen, in einem großen Raum, dicht an dicht. Der Geruch deutete darauf hin, dass Windeln nicht so oft gewechselt wurden, wie sie eigentlich sollten. Die Kleinen hatten weder Spielzeug noch Kuscheltiere – gar nichts. Sie wirkten apathisch, emotional und intellektuell stark vernachlässigt. Es war sehr trist und die Angestellten zeigten nicht unbedingt das, was man warm und voller Empathie nennen würde. Unvorstellbar, dass in dieser Umgebung Kinder ohne seelische Schäden heranwachsen konnten. Dieses Kin- Einige aus der Gruppe waren Berufskraftfahrer, die anderen zumindest erfahrene Autofahrer, während ich gerade ein paar Wochen meinen Führerschein hatte. Rückblickend kann ich sagen, dass ich auf dieser Fahrt richtig Autofahren gelernt habe und die ganze Fahrt sehr abenteuerlich war. Vor Ort angekommen war ich sehr schockiert über die Lebensumstände der Menschen in Rumänien. Auf so etwas war ich nicht wirklich vorbereitet. Es gestaltete sich fast wie eine Schock im Kinderheim Chance genutzt Gerd Heubaum: „Wir haben geholfen, auch wenn die Aktion natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein war“ gen von einem Lada, über den Wartburg bis hin zum B 1000. Jedes wurde mit CBFunk ausgestattet, um in Verbindung bleiben zu können. „Da wir mehrere Tage unterwegs waren, haben wir auch zwei oder drei Mal im Auto geschlafen bei nur fünf Grad Außentemperatur und ohne jegliche Waschgelegenheit“, beschreibt Gerd Heubaum die schwierigen Bedingungen. Die Fahrt durch die rumänischen Orte beschreibt der Torgauer als eine Wahnsinnsgefühl. Überall standen Kinder, die bettelten und schließlich Bonbons bekamen. Die Fahrt fand in der Adventszeit statt und die Spendenbereitschaft der Zeitungsleser war sehr groß. Die Spender verließen sich darauf zu erfahren wohin ihre Spenden gingen. Diese Berichterstattung war dann also meine Aufgabe. Damals konnte der Verein einen Konvoi aus Transportern und privaten Pkws mit Anhängern zusammenstellen. Von den Mitfahrenden – wir waren 14 oder 15 –war ich die einzige Frau. Da die Vereinsmitglieder die Fahrten in ihrer Freizeit realisierten, wurde sich beim Fahren abgewechselt, um auf dieser langen Strecke so effektiv wie möglich zu sein. Gerd Heubaum bekommt beim Blick ins Neue Torgauer Kreisblatt vom Dezember 1990 regelrecht Gänsehaut. Foto: TZ/Jack Drei-Seiten-Hof. Hier gab es nur ein sogenanntes Plumpsklo, unter dem sich ein tiefes Tal auftat. „Am nächsten Morgen gab es ein reichhaltiges Führstück für uns alle. Unsere Gastgeber hatten eine Tafel gestellt mit Kaffee und allem, was man sich für ein Frühstück nur wünschen konnte. Dann kam der Opa mit einer großen Flasche Schnaps und wollte mit uns anstoßen. Erst im Nachhinein haben wir erfahren, dass sich die Familie das Essen im ganzen Dorf zusammen geborgt hat. Das war beeindruckend“, erzählt der Torgauer und schwärmt von der enormen Herzlichkeit der Rumänen. Von der konnten sich die Helfer schließlich auch in den Einrichtungen überzeugen, denen sie die in Deutschland gesammelten Spenden überbrachten, und das, obwohl die Menschen in Verhältnissen weit unter der Armutsgrenze lebten. „Im Kinderheim zum Beispiel war ein kleiner Junge, den ich auf den Arm genommen hatte. Er wollte mich einfach nicht wieder gehen lassen“, erzählt Gerd Heubaum und beschreibt das große Elend der Steppkes in diesen Einrichtungen aber auch die unbändige Freude beim Besuch der Deutschen. „Sicher konnten wir damals an der schlimmen Situation nichts ändern. Aber wir haben geholfen, auch wenn die Aktion natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein war“, sagt Gerd Heubaum, der gern mehr geholfen hätte. Geplant war also ursprünglich, dass ein anderer Kollege mitreisen sollte. Das NTK wollte sich zudem mit einem großen Transporter samt Fahrer an dem Transport der Hilfsgüter beteiligen. Als dann das Datum der Fahrt feststand, war es dem Kollegen nicht möglich den Hilfstransport zu begleiten. Ich bekam die Möglichkeit einzuspringen und sagte ja. Die Hilfsgüter sollten unter anderem in ein Heim für Kleinkinder im Alter von null bis vier Jahren, aber auch in Dörfer der deutschsprachigen MinderCornelia Doberenz über ihren Besuch im rumänischen Kinderheim: „Unvorstellbar, dass in dieser Umgebung Kinder ohne seelische Schäden heranwachsen konnten.“ heiten in Rumänien, sowie zu einer jüdischen Gemeinde und anderen christlichen Gemeinden, zu denen Mitglieder des Vereins bereits vorher Kontakt hatten, gebracht werden. (Generell hatte der Verein auch Kontakt zu einer Strafanstalt für Jugendliche und zu Familien beziehungsweise Heimen mit behinderten Kindern/Jugendlichen, die damals vor der Gesellschaft versteckt gehalten wurden.) In regelmäßigen Abständen informierte das Neue Torgauer Kreisblatt von Herbst bis Winter 1990 über die Sammlungen für den Verein Rumänienhilfe und abschließend natürlich auch über den Transport. Repros: TZ Zeitreise. Pferdewagen auf Straßen, die eher Feldwegen glichen, keine Beleuchtung auf den Straßen sowie sichtbar und spürbar große Not und Armut. Da ich vorher noch nie in Rumänien, war hinterließen diese Bilder Eindrücke, die bis heute nachwirken. Gleichzeitig ist die Natur des Landes atemberaubend schön und war damals weitestgehend unberührt. Dies verschärfte den Kontrast zu den sozialen Verhältnissen besonders. Andererseits war die Freude und Dankbarkeit mit der die Menschen die gespendeten Sachen entgegennahmen so ehrlich und spontan, dass es zuweilen schon peinlich berührte, wie wenig nötig war, um zu helfen. Wir übernachteten während der Fahrt bei Fa- derheim wurde später immer wieder aufgesucht und mit Hilfsgütern für die Kleinen bedacht. Aber es erfolgte auch eine Kontrolle, ob die Hilfsgüter wirklich im Heim genutzt wurden oder aber in den Taschen der Erzieher beziehungsweise Betreuer landeten. Damit konnte die Situation für die Kinder zumindest etwas erleichtert werden. Diejenigen, die zuvor schon öfter Hilfstransporte nach Rumänien gebracht hatten, waren vorbereitet und hatten sich auch privat mit Süßigkeiten eingedeckt. Diese wurden dann unter anderem an Roma-Kinder verteilt, die überall an den Straßen in Rumänien standen, und die sich darüber immer sehr freuten. Anzeige Am Sonntag, 10. Mai 2015, Die Ausbildungsmesse im Dreiländereck von 10 bis 14 Uhr. präsentieren sich und ihre Angebote zu • Ausbildung • Praktika • Ferienjobs Die Ausbildungsmesse im Dreiländereck. WO? Im Kulturhaus Torgau. 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