18. Berliner Dialog

Realität und Chancen der Integrierten
Versorgung in der Kranken- und
Pflegeversicherung
18. Berliner Dialog, 23. April 2015
Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender KKH
Inhalt
1 Einführung
2 Entwicklung Integrierter Versorgung
3 Rahmenbedingungen und Fehlanreize
4 Künftige Herausforderungen in der Pflegeversicherung
5 Anforderungen an die Versorgung Pflegebedürftiger
2
Deutschland im Wandel – Herausforderungen für die
Versorgung
+
Positiv
 Höhere Lebenserwartung
 Steigende Überlebenschancen nach schwerwiegenden Erkrankungen
 Medizinisch-technischer
Fortschritt
 Spezialisierung der
Leistungserbringer
 Chancen für die Versorgung
durch digitale Vernetzung
–
Negativ
 Anstieg von (chronischen)
Alterserkrankungen und
Multimorbidität
 Zunahme der Komplexität
von Erkrankungen und ihrer
Behandlung
 Zusätzliche Finanzierungsbelastung der Jüngeren für
die Älteren
 Stark schrumpfende Bevölkerung in einigen Regionen,
mehr Singlehaushalte
Diese Entwicklungen berühren die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung.
Welche davon beeinflussen heute schon die Versorgung, welche Trends sind absehbar?
3
Risiken der Zukunft bewegen die Bevölkerung:
Gesundheitliche Probleme zählen zu den größten Sorgen
Risiken der Zukunft (in Prozent)
Missbrauch und unerlaubte Weitergabe von persönlichen…
Pflegebedürftigkeitim
imAlter,
Alter,Demenz
Demenz
Pflegebedürftigkeit
Datenbetrug im Internet, unerlaubter Zugriff auf Bankkonten
Inflation
Einkommensverlust
Naturkatastrophen
Computerviren
EC-Karten-Betrug mit manipulierten Bankautomaten
Nahrungsmittelskandale
Staatliche Überwachung von z.B. Internet- oder…
Terroranschläge
Gewaltverbrechen
Arbeitslosigkeit
Lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs
Diebstahl, Einbruch und ähnliche Delikte
Radioaktive Verstrahlung
Schwere ansteckende Krankheiten
Krieg bzw. militärische Auseinandersetzungen
Verwicklung in einen Verkehrsunfall
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Quelle: IfD Allensbach (2012); Fragestellung: „Hier auf diesen Karten stehen einige mögliche Risiken bzw. Gefahren für die Menschen in Deutschland. Welche dieser
Risiken werden in Zukunft zunehmen, von welchen wird eine größere Gefahr ausgehen als heute und welche Risiken werden zurückgehen, wo wird die Gefahr
geringer und bei welchen wird sich nicht viel ändern?”
4
Sorge ist nicht unberechtigt:
Sogenannte Alterserkrankungen schon jetzt auf dem Vormarsch
Entwicklung der Prävalenzen in Prozent
%
Erkrankungen
50
42,9 43
45
40
35
Risikofaktoren
38,4
34,7
33,2
31,2
30
27,8
26,6
28,4
31,7
29,5
28,3
27
23,2
25
19,7
20
16,7
15,9
15
12,8
8,7
10
5,4
9
6,8
16,2
12,5
9,8
7,7
6,9
6,8
5
0
Mann
Frau
Chronische
Erkrankungen
Mann
Frau
Diabetes
Mann
Frau
Koronare
Herzkrankheit
Mann
Frau
Arthrose
2003
Mann
Frau
Adipositas
Mann
Frau
Bluthochdruck
Mann
Frau
Erhöhte Blutfettwerte
2012
Zudem stellt bei älteren Menschen die Multimorbidität eine wachsende Herausforderung
dar. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen.
Quelle: GEDA 2012, Robert-Koch-Institut (2014)
5
Politik reagiert – Aber: Kostendämpfung und Wettbewerbsorientierung stehen in der GKV stärker im Fokus als Qualität
1975 bis 1992
Traditionelle Kostendämpfungspolitik
 Stärkung Position der Kassen gegenüber
Leistungserbringer
 Eingrenzung medizinisch nicht induzierter
Leistungsangebote
 Privatisierung von Behandlungskosten
1992 bis heute
Strukturreformen mit wettbewerbs- und
qualitätszentrierten Elementen
 Einführung der freien Kassenwahl
 Erhöhung von Zuzahlungen
 Einführung Fallpauschalensystem (DRG)
 Weiterentwicklung des Ausgleichs zwischen
den Kassen zum Morbi-RSA
 Möglichkeit zum Angebot von Wahltarifen
und Satzungsleistungen
Seit 2000
Einführung neuer Versorgungsformen wie
 Integrierte Versorgung, DMP und Modellvorhaben
 Ambulante spezialfachärztliche Versorgung
Wie können wir damit den Herausforderungen begegnen? Werden vorhandene
Instrumente wie die Integrierte Versorgung schon heute ausreichend genutzt?
Quelle: Gerlinger, Schönwälder (2012)
6
Inhalt
1 Einführung
2 Entwicklung Integrierter Versorgung
3 Rahmenbedingungen und Fehlanreize
4 Künftige Herausforderungen in der Pflegeversicherung
5 Anforderungen an die Versorgung Pflegebedürftiger
7
Gesundheitsreformen greifen Versorgungsdefizite auf
Politische Ziele
 Weiterentwickeln des Versorgungsstandards bei steigender Multimorbidität und Komplexität
der Krankheitsbilder
 Verbesserung der Qualität und damit der Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Lösungsansatz Integrierte Versorgung
Potenzial für eine effektivere und
effizientere Versorgung heben durch:
 stärkere Vernetzung der Sektoren
 Ausbau der Kooperationen zwischen
einzelnen Leistungsbereichen
 Koordination des Behandlungsablaufs
Erwartete Effekte
 partieller Ersatz der Regelversorgung
 Kostensenkungspotenzial
 Versorgungsrelevanz
 wettbewerbliche Differenzierung
 Kundenbindung
 Prozessinnovation
 Versorgungsqualität
8
Rahmenbedingungen der IV erheblich verändert
2000
…
2004
Gesundheitsreformgesetz
 Verträge zur IV
werden möglich
 Mitwirkung der
KVn war
erforderlich
 Einschränkungen
hinsichtlich der
Vertragspartner
Folge:
Kaum Vertragsabschlüsse
…
GKV-Modernisierungsgesetz
 Gewährung einer
Anschubfinanzierung (zunächst
befristet bis 31.12.2006)
 KVn als Vertragspartner sind
ausgeschlossen
 Kreis potenzieller
Vertragspartner
erweitert (weitere
2008
2009
…
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
 Veränderte
Rahmenbedingungen durch
Einführung von
Gesundheitsfonds und
Morbi-RSA
folgen 2007 und 2011)
Wegfall der Anschubfinanzierung
2012
…
Versorgungsstrukturgesetz
 Vorlagepflicht
bei zuständiger Kassenaufsicht
 Zusätzlich bei
bundesunmittelbaren
Kassen:
Vorlagepflicht
bei jeweiliger
Landesaufsicht
2015
...
Versorgungsstärkungsgesetz
 Wegfall der Vorlagepflicht bei
der zuständigen
Kassenaufsicht
 Wirtschaftlichkeitsnachweis
nach 4 Jahren
 Zusammenführung aller Arten
von Selektivverträgen in einem
Paragraphen
 Einführung eines
Innovationsfonds
Mit dem geplanten Versorgungsstärkungsgesetz sollen die
Rahmenbedingungen für Selektivverträge deutlich verbessert werden.
Wird der Abschluss von IV-Verträgen damit ausreichend gefördert?
9
KKH setzt weiter auf Managed-Care-Ansätze wie IV
Entwicklung der Integrierten Versorgung (IV) bei der KKH
Teilnehmer
Verträge
7.000
Wegfall Anschubfinanzierung
140
*
6.000
120
5.000
100
4.000
80
3.000
60
2.000
40
1.000
20
0
0
2004
2005
2006
2007
2008
2009
Anzahl Teilnehmer pro Jahr
2010
2011
2012
2013
2014
Anzahl Verträge
 Seit 2009 hat die KKH die IV weiter ausgebaut.
 Wirtschaftlichkeit von IV-Verträgen hat dabei zusehends an Bedeutung gewonnen.
 Erfüllen Verträge die Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit nicht oder treten Fehlentwicklungen auf (z. B. Mengenausweitungen bei ambulanten OPs), werden diese eingestellt.
 Eine Versorgungsrelevanz wurde weder bei der KKH noch GKV-weit erreicht.
 Logik Gesundheitsfonds ist gegen die IV.
Quelle: KKH, Sachverständigenrat (2012)
*Rückgang aufgrund von Kündigungen von Verträgen zum ambulanten Operieren
10
IV ermöglicht gute Lösungen für konkrete Versorgungsprobleme
Potenzial der IV am Beispiel von Depressionen
 Ca. 180.000 Versicherte der KKH leiden an Depressionen. Allein in Berlin stieg die Anzahl
von psychischen Erkrankungen* von 2006 bis 2010 um ca. 20 %.
Häufige Defizite in der Versorgung
 Diagnostik erfolgt zu spät
 Lange Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz
 Therapeutischer Ansatz passt nicht zum Problem des Versicherten
 „Drehtüreffekt“ durch fehlende Nachsorge nach stationärer Behandlung
 Suboptimale Vernetzung der an der Behandlung Beteiligten
 Eingeschränkte Compliance der Betroffenen und ungünstige Lebensbedingungen
Folgen
 Erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität für den Betroffenen
 Hohe Kosten für die Kassen durch Krankenhausaufenthalte und Krankengeldzahlungen
* Berücksichtigte Diagnosen: F32, F33, F34, F41, F43, F48, Z56, Z73
11
Beispiel der KKH - „NetzWerkPlus“ für Versicherte mit akuten
psychischen Erkrankungen, insbesondere Depression
Ansatzpunkte
Vorteile für die Versicherten
 Schnelle Klärung von Diagnose
und Unterstützungsbedarf
 Kurzfristige Termine
 Unverzügliche Bereitstellung der
notwendigen Maßnahmen
Vertragspartner
 Berlin:
 Region Braunschweig-Hannover:
 Aufklärung zur Erkrankung und zu den
Unterstützungsmöglichkeiten
 Zügige Einleitung verschiedener
Maßnahmen, die individuell auf die
Bedürfnisse der Teilnehmer/innen
zugeschnitten sind
 Module beinhalten Maßnahmen zur
Stärkung der Arbeitsfähigkeit z. B.
Kompetenztraining, Jobcoaching oder
Psychotherapie
Ziel: Ganzheitliche Betrachtung des Versicherten und seiner Kontextfaktoren,
die zu einem besseren Behandlungsergebnis führt und ökonomisch sinnvoll ist.
12
Versorgung folgt einem klaren Prozess
KKH
 Aktive Ansprache der Versicherten
 Einholung der Einwilligung zur Weitergabe der Kontaktdaten an
den Vertragspartner
 Überleitung zu Pinel zur Organisation der Versorgung




Vertragspartner Pinel
Einholung der Teilnahmeerklärung
Assessment: Einschätzung von Art und Dringlichkeit des
Problems durch ein interdisziplinäres Team
Triagierung: Zuordnung zur passgenauen Versorgung für den
individuellen Bedarf
Koordinierung des Versorgungsprozesses
Zusammenarbeit mit der Deutschen Rentenversicherung
 Bei Bedarf Überleitung mit schnellerem Zugang zur Reha
13
Versicherte sind mit dem NetzWerkPlus sehr zufrieden
„Mir war (in der Zeit vor NiG) gar nicht klar,
wieviel Gutes auch in meinem Leben passiert."
"Ich hätte mich alleine nie getraut, mit meinem
Chef zu sprechen. Danke, dass Sie (NiG) das mit
mir gemeinsam gemacht haben."
"Durch die Arbeitsblätter aus der Gruppe "Krise als
Chance", konnte ich endlich mit meinem Mann über meine
Depression sprechen, ihm meine Krankheit erklären."
"Ich bin meiner Krankenkasse dankbar,
dass sie mir so schnelle und professionelle
Hilfe durch NiG angeboten hat."
Erfahrungen sind positiv
 Der Austausch mit Experten hat ergeben, dass in vielen Fällen bereits die Unterstützung
und die angebotene Psychotherapie von 8 - 10 Std. ausreichen.
 Sollte darüber hinaus eine Psychotherapie notwendig sein, kann die Wartezeit bis zum
Beginn der regulären Psychotherapie damit überbrückt werden.
 Durch die IV wird eine Reduzierung der Ausgaben für Krankengeld und Krankenhausaufenthalte um 30 % erwartet.
 Eine Erfolgsmessung ist für das 2. Halbjahr 2015 geplant.
Seit dem Start des Versorgungsangebotes im November 2012
wurden im NetzWerkPlus 649 Teilnehmer betreut.
14
Zwischenfazit: Gute Ansätze – aber noch zu wenige
 IV ist insgesamt betrachtet nach 10 Jahren hinter den Erwartungen zurückgeblieben und
weist nur eine geringe Versorgungsrelevanz auf.
 Punktuell liefert sie jedoch wertvolle Ansätze, die für die Steigerung der Versorgungsqualität
unverzichtbar sind.
 Innovative Versorgungsangebote führen zum Erfolg, wenn
– sie an den jeweiligen Bedürfnissen und Lebensumständen der Versicherten ausgerichtet
sind und sie allen Beteiligten die richtigen Anreize bietet,
– niedrigschwellige Angebote einbezogen werden und in neuen Strukturen gedacht wird,
– die ökonomischen Anforderungen der Kostenträger ausreichend berücksichtigt werden.
Eine besondere Bedeutung kommt den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu.
15
Inhalt
1 Einführung
2 Entwicklung Integrierter Versorgung
3 Rahmenbedingungen und Fehlanreize
4 Künftige Herausforderungen in der Pflegeversicherung
5 Anforderungen an die Versorgung Pflegebedürftiger
16
Trotz verbesserter Rahmenbedingungen bleiben Fehlanreize
Geplante Änderungen durch das Versorgungsstärkungsgesetz
Positiv
+ Abbau bestehender
Überregulierung
durch das geplante GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
– Wegfall der Vorabprüfung bei der
zuständigen Aufsicht
– Wirtschaftlichkeitsnachweis ist künftig
erst nach 4 Jahren zu erbringen
– Geplante Einführung eines Innovationsfonds, Erfolg wird aber von seiner
Ausgestaltung abhängen
–
Negativ
 Finanzierung
– Kassen müssen für die IV unter den
gegebenen Rahmenbedingungen in
Vorleistung treten (inkl. Verwaltungskosten)
– Erfolg der IV ist risikobehaftet.
Budgetbereinigung ist künftig
verpflichtend und sehr aufwändig.
 Fehlanreize
Die von der Politik intendierte Preisfokussierung zwingt die Krankenkassen,
ihr Engagement für Versorgungsangebote zurückzufahren.
 Diagnose: Damit wird künftig wahrscheinlich noch weniger in IV investiert.
17
Versorgung im Spannungsfeld zwischen Preis und Leistung
Preis !
Qualität !
Politik
delegiert
Staat
Krankenkassen
Umsetzung
Leistung/
Qualität
Preis/
Beitrag
„Attraktiver
Beitrag“
Balance
„Top
Versorgung“
Aufgabe, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes, „die Gesundheit der Versicherten
zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren
Gesundheitszustand zu bessern“.
Gemäß ihrer vom Staat übertragenen Aufgabe müssen die Kassen eine angemessene
Gesundheitsversorgung ermöglichen, zugleich aber wirtschaftlich und preisattraktiv arbeiten.
Dieses Spannungsfeld hat die Politik immer mehr zugunsten des Preises verändert.
18
Handlungsrahmen des Kassenmanagements
Kriterium
Zielgruppe
Image der Kasse
Medien
Politischer Rahmen
Leistung
Beitrag / Preis
IV z. B. Migräne:
1.000 - 3.000 Versicherte
alle Mitglieder
wirkt nur auf Betroffene
„wirtschaftliche vs.
unwirtschaftliche Kasse“
kein Interesse
an (echten)
Versorgungsthemen
ständige Berichterstattung
über TOP-Kassen:
günstigster Preis…
Keine Unterstützung für z. B. IV;
Einführung
Preisinformationspflicht +
Verwaltungskosten belasten
zusätzlich.
Sonderkündigungsrecht
Wir fragen:
Wie wird sich das Kassenmanagement in puncto Versorgung angesichts dieser
Rahmenbedingungen künftig verhalten?
19
Investition in Versorgungsangebote, die sich kurzfristig rentieren
ca. 80 % der Versicherten
beanspruchen nur selten Leistungen
ca. 20 % der Versicherten
nehmen viele Leistungen in Anspruch und
benötigen z. T. spezielle Versorgungsangebote
Leistungsorientiert
Preissensibel
Ausrichtung
der Kassen
Folge: Unter diesen Rahmenbedingungen werden die Kassen noch stärker
beitragsorientiert agieren.
Quelle: KKH
20
Politisches Fazit: Noch stottert der IV-Motor erheblich!
 Erst seit die Kassen Selektivverträge und insbesondere IVVerträge abschließen können, sind Prozessinnovation und
Qualität ein Thema.
 Verbesserungen in diesen Bereichen sind wesentlich auf
das Engagement der Kassen zurückzuführen.
 10 Jahre IV zeigen, dass die Erfolgsaussichten stark von
den politischen Rahmenbedingungen abhängen.
 Dies ist auch der Grund dafür, dass in bestimmten
Bereichen wie z. B. der sozialen Pflegeversicherung die
IV trotz zunehmenden Bedarfs noch keine Fahrt
aufgenommen hat.
 Dennoch gibt es für die IV riesige Potenziale.
Solange die Rahmenbedingungen nicht weiter verbessert werden und nicht alle Akteure
den Nutzen erkennen, kommt der Motor der IV nicht voll zum Laufen.
21
Inhalt
1 Einführung
2 Entwicklung Integrierter Versorgung
3 Rahmenbedingungen und Fehlanreize
4 Künftige Herausforderungen in der Pflegeversicherung
5 Anforderungen an die Versorgung Pflegebedürftiger
22
Demografischer Wandel stellt Kranken- und Pflegekassen
vor große Herausforderungen
Entwicklung Pflegeleistungsfälle bei der KKH in 1.000
70
In ca. 30 Jahren wird sich
die Anzahl verdreifachen
60
50
40
30
20
10
0
1996
2001
2006
2011
2014
….
2030
Geschätzt*
ambulant
stationär
Schätzungen zufolge steigt mit zunehmendem Anteil älterer Menschen auch die Anzahl der
Pflegebedürftigen bis 2030 von 2,5 auf 3,4 Mio. an. In den nächsten 15 Jahren sind daher
allein für die KKH-Pflegekasse Ausgabenzuwächse um weitere 20 Prozent* zu erwarten.
Quelle: KKH, Statistisches Bundesamt (2009, 2010)
* Ohne Berücksichtigung der Altersstruktur des Versichertenbestands der KKH
23
1 Versicherter – 2 Systeme
Prävention
GKV
Krankenversorgung
IV
PV
Pflegerische Versorgung
Krankenversicherung:
 Kassen stehen im Wettbewerb zueinander.
 Entwickeln individuelle Versorgungsangebote durch IV oder andere Modelle.
 Investitionen der Kassen kommen ihnen
selbst zugute.
 Prävention ist fester Bestandteil der GKVLeistungen.
Pflegeversicherung:
 Ist eine Einheitskasse.
 Pflegekassen können Verträge zur IV mit
Pflegeeinrichtungen und Kassen schließen.
 Pflegekassen dürfen keine Leistungen
finanzieren, von denen auch die Kasse
profitiert.
 Bisher keine präventiven Leistungen in der
Pflegeversicherung.
Ein optimales Ineinandergreifen der Versorgung
zur Verzahnung „beider Welten“ fehlt!
24
(Wachsendes) Potenzial erfordert Handlungsbedarf
Potenzial der IV
Versorgungsbedarf
Eintritt Pflegebedürftigkeit
Pflegebedürftige
 sind häufig
– vielfältig körperlich eingeschränkt
immobil
– chronisch erkrankt
– psychisch beeinträchtigt oder erkrankt
– multimorbide
 benötigen in hohem Maß pflegerische
Unterstützung und Versorgung.
Pflegevers.
Krankenvers.
Nichtpflegebedürftige
Lebensalter Versicherte
Pflegebedürftigkeit stellt im Vergleich zu anderen Risiken noch komplexere Anforderungen
an die medizinische, pflegerische, hauswirtschaftliche und soziale Versorgung, deren Bandbreite weit über die der IV in der GKV hinausgeht. Reichen die bisherigen Maßnahmen aus?
Quelle: Kleina, Brause, Horn, Wingenfeld, Schaeffer (2012); SVR (2009)
25
Situation Pflegebedürftiger stellt besondere Ansprüche an
die Organisation der Versorgung
Integrierte Versorgung Nichtpflegebedürftiger
Integrierte Versorgung Pflegebedürftiger
Systematik der IV basiert auf mobilen Versicherten, die eigenständig Leistungserbringer
besuchen. Pflegebedürftige sind auf Unterstützung angewiesen oder müssen von den
Leistungserbringern aufgesucht werden, sonst sind die Leistungen für sie unerreichbar.
26
Ansätze in der stationären Pflege laufen ins Leere (1)
Maßnahmen
Status
Ärztliche Versorgung
 Pflegeeinrichtungen und niedergelassene Ärzte können Kooperationsvereinbarungen schließen. Kommt ein solcher Vertrag innerhalb von 6 Monaten
nicht zustande, kann eine Pflegeeinrichtung einen Arzt anstellen.
Diese Kann-Regelung soll demnächst in eine Soll-Regelung überführt werden.
 Versorgungsrelevanz: Noch zu wenig.


Zahnärztliche Versorgung
 Zusätzliche Vergütung für Heimbesuche durch die Zahnärzte geschaffen.
 Versorgungsrelevanz: Viele solcher Vereinbarungen wurden geschlossen.
 Aber: Abschluss solcher Vereinbarungen lohnt sich für die Zahnärzte, jedoch
fehlt der Anreiz für das Pflegepersonal, Zahnhygiene regelmäßig durchzuführen.


Therapeutischer Mehraufwand:
 Mehraufwand bei der therapeutischen Versorgung, z. B. für die Überprüfung der
verordneten Arzneimittel oder Bewegungsangebote wie „Fit für 100“ gibt es bisher
keinen Anreiz.

27
Ansätze in der stationären Pflege laufen ins Leere (2)
Maßnahmen
Status
Aktivierende, rehabilitative Pflege
 Anreiz durch die Bonuszahlung bei Rückstufung in eine niedrigere Pflegestufe
 Versorgungsrelevanz: Bonus wirkt nicht.
Nur für 14 von ca. 14.000 stationär Gepflegten hat die KKH-Pflegekasse in 2014
eine Bonuszahlung geleistet.


Prävention
Geplant im Präventionsgesetz:
 Pflegekassen sollen Prävention in Pflegeheimen finanziell fördern. Details dazu
sind noch nicht bekannt.
Aber: Prävention sollte zielgerichtet und nicht wie die zusätzlichen Betreuungsleistungen in der stationären Pflege ohne Nachweis über die Inanspruchnahme
erfolgen.
 Korrespondierende Regelung für die ambulante Pflege ist nicht vorgesehen.



28
Beispiel stationäre Pflege: Arztkontakte sind eine Seltenheit
Persönliche Kontakte der Pflegeheimbewohner zu Ärzten
Allgemeinmediziner
Neurologe
Zahnarzt
Gynäkologe
Augenarzt
Urologe
Internist
Dermatologe
Orthopäde
HNO-Arzt
Geriater und Gerontopsychiater
sonstige Fachärzte
Diabetologe
Kardiologe
Nephrologe
0%
einmal/mehrmals pro Quartal
10%
20%
30%
einmal in 6 Monaten
40%
50%
60%
einmal jährlich
70%
80%
90%
100%
seltener oder kein Kontakt
Obwohl viele Bewohner an Erkrankungen wie z. B. Demenz, Diabetes,
Koronare Herzkrankheit leiden oder Kontinenzprobleme haben,
besteht nur selten Kontakt zu dem entsprechenden Facharzt.
*nur weibliche Personen wurden in die Berechnung einbezogen
Quelle: Kleina, Brause, Horn, Wingenfeld, Schaeffer (2012).
29
Heimarzt als Lösung für eine bessere medizinische
Versorgung im Pflegeheim?
Vorteile
Hürden
 Heimarzt trägt die medizinische
Verantwortung für die Bewohner.
 Pflegepersonal hat festen ärztlichen
Ansprechpartner.
 Weniger ökonomische Effekte durch
kurzfristige Krankenhausaufenthalte
und Fahrtkosten.
 Niedergelassene Ärzte werden entlastet, freie Kapazitäten können
z. B. für die Versorgung ambulant
Gepflegter genutzt werden.
 Anstellung von Heimärzten findet
zurzeit in der Praxis nicht statt.
 Rechtliche Ausführungen zum
Verhältnis zwischen Kostenträgern
und kassenärztlichen Vereinigungen
sind ungeklärt, insbesondere
Fragen der Vergütung.
 Freie Arztwahl bleibt unberührt und
könnte Wirtschaftlichkeit eines
Heimarztes in Frage stellen.
Zu Berücksichtigen
 Auch bei angestellten Ärzten bleibt das Risiko von Krankenhauseinweisungen, weil ein Arzt
nicht 24 h vor Ort sein kann; ggf. ist ein Heimarzt nicht ausreichend.
 Zu seltene fachärztliche Versorgung wird nicht behoben.
Quelle: Kleina, Brause, Horn, Wingenfeld, Schaeffer (2012).
30
Inhalt
1
Einführung
2 Entwicklung Integrierter Versorgung
3 Rahmenbedingungen und Fehlanreize
4 Künftige Herausforderungen in der Pflegeversicherung
5 Anforderungen an die Versorgung Pflegebedürftiger
31
Stationäre Pflege: Patientenzentrierte Ausrichtung der
Versorgung an den Bedürfnissen der Pflegeheimbewohner
Individualebene
 Ermittlung des individuellen Bedarfs an Pflege-, Präventionsund Reha-Maßnahmen.
 Sicherstellung der
– Pflege nach Qualitätsanforderungen und Expertenstandards
– Erbringung niedrigschwelliger Maßnahmen wie
Gedächtnistraining, Spielen und Spazierengehen
– ärztlichen Versorgung an Wochenenden und Feiertagen.
Strukturebene
 Multidisziplinäre medizinische Versorgung.
 Arzneimittelmanagement zur Vermeidung unerwünschter
Wirkungen.
 Vernetzung aller an der Versorgung der pflegebedürftigen
Beteiligten und Kommunikation untereinander.
Neben den unterschiedlichen Akteuren aus dem medizinischen und pflegerischen Bereich
treffen auch unterschiedliche Kostenträger aufeinander. Schnittstellenprobleme zwischen
Kranken- und Pflegeversicherung konnten bisher nicht behoben werden.
32
Durch Vernetzung und Koordination in der Zukunft bestehen
Physiotherapie
Erhalt von
Beweglichkeit und
Mobilität
Vernetzte, leitliniengerechte Versorgung
sowie Sicherstellung
der Versorgung im
Pflegeheim.
Krankenhaus
Stationäre Versorgung
bei Bedarf
Pflegeheim
VersorgungsPflegekräfte
Zusätzl. Maßnahmen
 Gedächtnistraining
 Bewegungstraining
 Beckenbodengymnastik
 Überprüfung der
Medikation
 Qualifizierung der
Pflegekräfte
 …
Hausarzt
Weitere
Leistungen zur
Stabilisierung und
Verbesserung des
Gesundheitszustands.
koordinator
Fachärzte
Heimversorgende
Apotheke
Regelmäßige
Überprüfung der
Verordnungen auf
unerwünschte
Arzneimittelwirkungen




Weitere
Wundtherapeuten
Orthopädietechniker
Podologen
…
Leistungserbringer
33
Versorgungskoordinator in der Schlüsselposition
Aufgaben des Versorgungskoordinators im Pflegeheim
 Unterstützung bei der Ermittlung und Organisation des
pflegerischen und medizinischen Versorgungsbedarfes.
 Schnittstelle zu Pflegenden, Ärzten und anderen.
 Sicherstellen und Nachhalten der Inanspruchnahme zusätzlicher Maßnahmen, die im Rahmen einer IV erbracht werden.
 Stärkung des Qualitätsbewusstseins und Qualifizierung der
Mitarbeiter, Ermutigung zur Wahrnehmung von Auffälligkeiten.
 Überprüfung der Arzneimittelverordnungen gemeinsam mit der
heimversorgenden Apotheke auf unerwünschte Wirkungen.
Qualifikation
 Heimarzt
 Pflegefachkräfte mit medizinischer Weiterbildung
Für die Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen wäre die Unterstützung des
Versorgungskoordinators durch eine pharmazeutisch-technische Assistenz vorstellbar.
34
Anreize zur Mitwirkung
Anreize für das Pflegeheim
 Koordinator als fester Ansprechpartner motiviert und
entlastet Pflegepersonal;
Voraussetzung: Haftung
und Verantwortlichkeit sind
klar geregelt.
 Kooperationsnetzwerk ist
ein Qualitätsmerkmal im
Wettbewerb mit anderen
Einrichtungen.
 Vergütung für zusätzliche
Leistungen.
Rahmenbedingungen
 Spezielle Versorgungsangebote als hartes
Kriterium in den Pflegenoten verankern.
 Zulassung von Heimen
an Sicherstellung der
ärztlichen Versorgung
knüpfen*.
 Innovationsfonds mit klarer
Zielsetzung belegen, die
eine einfache Förderung
solcher Projekte erlauben.
Rolle der Kassen
 Bewerben Kooperationsnetze aktiv.
 Stellen Vergütung sicher,
wenn dafür mehr Qualität
gelebt wird.
 Engagieren sich in
kassenübergreifenden
Kooperationen.
Ähnliche Ansätze sind auch in der ambulanten Pflege denkbar,
allerdings ist die Versorgungssituation wesentlich komplexer.
*Nachweis innerhalb einer Übergangsfrist für bereits zugelassene Heime
35
Ambulante Pflege: Versorgungssituation noch komplexer
Diagnose
 Vielfältiges Leistungsangebot, das von
verschiedenen Leistungserbringern
erbracht wird.
 Anders als im Heim werden in der Regel
nicht mehrere Personen an einem Ort
gepflegt.
 Pflege erfolgt zu 2/3 mit oder durch
Angehörige, die den Bedarf an
notwendigen Pflegeleistungen nicht
einschätzen können und sich selbst erst
einmal mit der Situation vertraut
machen müssen.
 Keine Forschung zur ärztlichen
Versorgung von zu Hause Betreuten.
Therapieansatz
 Pflegeberatung der Kassen leistet einen
wichtigen Beitrag durch individuelle
Beratung und Unterstützung.
 Um einen Gesamtüberblick zur
Versorgungslage ambulant betreuter
Pflegebedürftiger zu erhalten, ist mehr
Versorgungsforschung notwendig.
 Hierfür bietet der Innovationsfonds,
dessen Mittel zu einem Viertel für
Versorgungsforschung eingesetzt
werden sollen, eine einmalige Chance,
die genutzt werden muss.
.
€€€
Optimierungs- und Koordinierungsbedarf ist auch in der ambulanten Pflege vorhanden.
Deshalb: Fokus zunächst auf Versorgungsoptimierung im Pflegeheim richten, anschließend
Übertragung dort gewonnener Erkenntnisse und Erfahrungen auf die ambulante Pflege.
36
Kein Gelingen ohne klare Voraussetzungen
 Politik rückt von der Beitragsfokussierung ab und stellt
Leistungsorientierung und
Qualität tatsächlich in den
Vordergrund.
 Schafft rechtliche Voraussetzungen für eine bessere Politik
Verzahnung von Pflege- und
Krankenversicherung.
 Sind offen gegenüber
den Kassen für IV und
erkennen darin einen
Nutzen für sich.
Leistungserbringer
 Statt höherer Vergütung
steht der Versicherte im
Vordergrund.
Pflegebedürftige
Kranken- und
Pflegekassen
 Krankenkassen sind bereit, sich kassenübergreifend für die
Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger einzusetzen.
 Gemeinsam mit den Pflegekassen suchen sie nach
effizienten Gestaltungsmöglichkeiten.
37
Es ist möglich, die Versorgung
zukunftsfest zu gestalten.
Diese Herausforderung
müssen wir annehmen!
www.kkh.de
38