Character-Ausgabe 3

echtes. private. banking.
Ausgabe 3 — april 2014
Character im Porträt
Roman Niewodniczanski
Bitburger-Erbe wird Saar-Winzer
6 — 17
Kunststoff, der nachwächst
Die Erfindung zweier Tüftler könnte die Welt ein wenig
grüner machen
20 — 2 3
Tue Gutes fürs Kind und rede darüber
Stichwort Helikopter-Eltern
30 — 3 3
Gegenwart
2
Editorial
Character
3
Ausgabe 3 / 2 014
Liebe Leserin, lieber Leser,
die zukunft
soll man nicht
voraussehen wollen,
sondern möglich
machen.
Antoine de Saint-Exupéry
Zukunft und Leben – das sind die beiden Schlagworte
dieser neuen „Character“-Ausgabe. Beide Begriffe haben
ganz bestimmte Bedeutungen für uns: Die Zukunft wollen
wir gestalten, sie in die eigenen Hände nehmen und für
uns und andere ein wenig besser machen. Und das Leben
wollen wir genießen, wir wollen die Freude daran spüren,
auch wenn das bei allem Stress des Alltags zuweilen sehr
schwierig erscheint.
Geld ist immer nur
Mittel zum Zweck:
für ein gutes Leben
heute und in Zukunft,
für sich selbst
und die nächsten
Generationen.
Doch was hat das mit einer Privatbank zu tun? Ganz einfach: Wir verwalten und
gestalten Vermögen, das ist unsere Aufgabe. Dabei ist Geld immer nur Mittel zum
Zweck: für ein gutes Leben heute und in der Zukunft, für sich selbst und die nächsten
Generationen.
Roman Niewodniczanski, der „Character“ dieser Ausgabe, zeigt exemplarisch, wie die
Begriffe Zukunft und Leben miteinander in Verbindung stehen. Der Bitburger-Erbe lehnte
es ab, dem vorgezeichneten Weg zu folgen und die Brauerei seiner Familie weiterzuführen.
Er entschied sich für einen anderen Weg, für eine andere Zukunft: Niewodniczanski ist
heute ein erfolgreicher Winzer in der Saar-Region und lebt damit seinen Traum.
Die Themen Zukunft und Leben beschäftigen uns auch auf den übrigen Seiten des
Magazins. Zum Beispiel im Zusammenhang mit den sogenannten Helikopter-Eltern:
Eltern wünschen ihren Kindern eine glückliche Zukunft. Doch schießen heutige Eltern
vor lauter guten Absichten auch über das Ziel hinaus und bewirken das Gegenteil. Oder
unser Porträt des Unternehmens Kremer Pigmente. Geschäftsführer Georg Kremer
war sich vor Jahrzehnten bewusst, dass er in einer Branche ohne Zukunft tätig ist.
Doch war er zuversichtlich und hat seine Firma in eine erfolgreiche Zukunft geführt.
In die Zukunft zu denken und dabei die Gegenwart lebenswert zu machen, so ist das Ziel
von Tecnaro zu verstehen: Die Gründer Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer produzieren
mit ihrem schwäbischen Unternehmen Kunststoff – und zwar aus Holz. Dem Design
der Zukunft widmet sich unser Gastautor Professor Thomas Gerlach. Er berichtet,
wie Unternehmen schon heute die Dinge gestalten, die morgen Teil unseres Alltags sind.
Ist das auch Zukunft? Im Flieger telefonieren, ununterbrochene Kommunikation
selbst über den Wolken? Oder doch besser den Moment leben, einfach mal ein Buch lesen
oder die Augen zumachen und schlafen? Darum geht es in unserer Rubrik Hello / Goodbye.
Sie werden erleben, wie viele Seiten die Themen Zukunft und Leben besitzen. Und
wir würden uns freuen, wenn wir Ihnen zumindest einige neue Perspektiven auf diese
Schlagworte eröffnen können.
Bleiben wir im Dialog!
Aus dem Bethmannhof
grüßt Sie herzlich
horst schmidt
Vorstandsvorsitzender
der Bethmann Bank
Gegenwart
4
Inhalt
Character
tradition
Ausgabe 3 / 2 014
5
gegenwart
Zukunft
6 — 17
18 — 1 9
Character im Porträt
— Roman Niewodniczanski —
Bitburger-Erbe wird Saar-Winzer
Hello / Goodbye
— Über den Wolken —
Paketzustellung per Drohne
und das Ende der Ruhe im Flugzeug
20 — 2 3
Unternehmen der Zukunft
— Kunststoff, der nachwächst —
Die schwäbische Tecnaro bietet
Alternativen zum Plastik
24 — 2 5
Perspektivenwechsel
— Plötzlich Zeit! —
Kostbares Gut mit schnellem Verfallsdatum
26 — 2 7
12 ausgewählte Zitate
— von Roman Niewodniczanski —
28 — 29
30 — 3 3
34 — 3 5
Zahlen, bitte!
— Trüffel —
Das delikate Gold
Werte im Wandel
— Tue Gutes fürs Kind und rede darüber —
Helikopter-Eltern
Einplanen
— Durch das Jahr —
mit Roman Niewodniczanski
36 — 3 7
Ja / Nein
— Intelligenz en gros —
Eine Entscheidungshilfe für
bestimmte Fälle
6 — 17
Character im Porträt
Roman Niewodniczanski
Bitburger-Erbe wird
Saar-Winzer
38 — 4 3
44 — 4 5
Unternehmen mit Tradition
— Hier stimmt die Chemie —
Kremer Pigmente im Allgäu
stellt seltene Farbpigmente her
12 Dinge, die man tun sollte
— Von guten Weinen und der Schönheit unter Wasser —
46 — 4 9
26 — 2 7
34 — 3 5
44 — 4 5
Character
12 ausgewählte Zitate
Character
Einplanen
Character
12 Dinge, die man tun sollte
Für morgen
— Das ganz große Kopfkino —
Professor Thomas Gerlach über
das Design der Zukunft
50 — 5 1
Unterbewertet
— „Klein-Istanbul“ in der Kurpfalz —
Mannheim
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52 — 6 1
62
Panorama
— „Noch'n Drink?“ —
Mythos Bar
Impressum
Gegenwart
6
Porträt
Bitburger-Erbe wird Saar-Winzer
Roman
Niewodniczanski
Interview: DAGMAR DECKSTEIN Fotos: marc krause
Der Hausherr, als „Winzer des Jahres 2012“ preisgekrönt,
empfängt Besucher im Herrenzimmer von Van Volxem.
Das ehemals berühmte Weingut war in Schwierigkeiten geraten.
Doch Roman Niewodniczanski erwarb es vor 14 Jahren,
modernisierte es mit viel Liebe und Leidenschaft und kaufte
vielen Hundert Winzern in der umliegenden Saar-Gegend
ihre brachliegenden Steillagen ab. Er will wieder an die großen
Zeiten zu Anfang des 20. Jahrhunderts anknüpfen,
als die Weine aus der Region zu den begehrtesten
der Welt zählten.
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Character
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Ausgabe 3 / 2 014
Gegenwart
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Porträt
Character
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Als Winzer, der
überaus ehrgeizig ist,
möchte ich einen
der besten Weine der
Welt erzeugen.
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Ausgabe 3 / 2 014
Gegenwart
Herr Niewodniczanski, nach Verkostung Ihrer Weine kommt einem der
seinerzeitige SPD-Kanzlerkandidat
Peer Steinbrück in den Sinn. Hatte
er aus Ihrer Sicht damals, Ende 2012,
zumindest in einem nicht Recht?
Pinot Grigio!
Er hat gesagt, er würde keine Flasche Pinot
Grigio kaufen, die „nur“ fünf Euro koste.
Na ja, ich schätze Steinbrücks etwas bissige
Art, aber in diesem Fall hat er sich eher ungeschickt verhalten. Fakt ist nämlich, dass
der Durchschnittspreis einer in Deutschland
verkauften Flasche Wein unter zwei Euro
liegt. Dabei sind jedoch viele zu Discountpreisen angebotene Weine heute, zumindest
technisch gesehen, deutlich besser als früher.
Sie sind handwerklich in Ordnung. Auch
ich habe als Student so angefangen, Wein
zu entdecken. Wenn ich aber zwei Jahrzehnte
Weinerfahrung später diese Weine erneut
verkosten soll, dann verzichte ich lieber und
steige auf ein gutes Pils oder Mineralwasser
um.
Spiegeln sich die Güte und Qualität
eines Weins also nicht unbedingt im
Preis?
Bis zu einem gewissen Grad schon. Einen
naturnah erzeugten, möglichst bekömmlichen wie auch aromatisch ansprechenden
Wein zu einem Preis von unter fünf Euro
anzubieten, ist eigentlich kaum möglich.
Wer überdies einen handwerklich erzeugten
Wein genießen möchte, der auch noch den
Charakter einer bestimmten Herkunft, Bodenformation und weinbaulichen Tradition
widerspiegelt, der ein Erlebnis darstellt,
wird meiner Überzeugung nach eher einen
Betrag von mindestens zehn Euro anlegen
müssen. Trotz der extrem hohen Kosten
der Handarbeit vieler extrem fleißiger
Mitarbeiter in unseren Schiefersteillagen
bemühen wir uns auf Van Volxem, auch in
unserer ‚Einstiegsklasse‘ von gut zehn Euro
einen hervorragenden Gutswein anzubieten.
Ich messe die Güte eines Weinguts immer
auch an der Qualität seiner Einstiegsklasse.
10
Porträt
Ihr Nachbar Egon Müller nimmt aber
schon mal dreistellige Euro-Beträge
für die Flasche. Gibt es überhaupt objektivierbare Kriterien für die Qualität
eines Weines?
Wer daran zweifelt, ist herzlich eingeladen,
Van Volxem einmal in der Zeit der Lese zu
besuchen. Wenn wie bei uns 60 Erntehelfer
wie Gebirgsgämsen die Steillagen entlang
klettern und von Hand sorgfältig in mehreren Durchgängen einzelne Rosinen aus
den Reben picken, dann wird auch dem
Flachlandbewohner klar, dass Steillagenweinbau äußerst kostspielig ist. Ob teure
Weine unbedingt einen größeren Genuss
vermitteln als günstigere, ist letztlich subjektiv. Genauso subjektiv wie das Ablesen
der Uhrzeit von einer Schweizer Uhr.
Ein solch mechanisches Meisterwerk ist ein
‚Zeitablese-Erlebnis‘ der besonderen Art.
Und ein ebensolches Erlebnis bietet ein
großer Wein.
Wie entstand überhaupt Ihre Liebe
zum Wein?
Ich hatte mit Theobald Simon nicht nur einen
Großvater, der ein brillanter Firmenchef war –
er hat immerhin die Grundlagen für den
heutigen Wohlstand meiner Familie geschaffen.
Er war auch ein unglaublich kultivierter Mann.
Er war Brauer, Intellektueller, Sammler und
Mäzen. An großen Feiertagen trank er Moselwein – in einer Zeit, in der Moselweine ihr
großes Renommee bereits verloren hatten.
Das hat mich als Kind sehr geprägt. Seinen
Gesichtsausdruck, als er von diesem Wein
trank, ja, den habe ich bis heute vor Augen.
Dass die Mosel in den Zeiten meiner Jugend
ein eher katastrophales Ansehen hatte, hat
meine Neugierde dann nur noch mehr geweckt.
Und mein Studium historischer Dokumente
über diese kulturell wie landschaftlich so
außerordentlich reiche Region mündete dann
schließlich in Begeisterung. Interessante Weine
sind immer auch Spiegelbilder einer Kulturlandschaft, einer bestimmten Zeit und letztlich
auch Ausdruck einer bestimmten Winzerpersönlichkeit. Das alles fasziniert mich an Wein
und bereichert mein Leben täglich aufs Neue.
Sie wollen anknüpfen an die ersten
Jahre des 20. Jahrhunderts, da Saarweine als die teuersten der Welt
gehandelt wurden. Solche Aussichten
müssten doch den studierten Betriebswirt
Roman Niewodniczanski begeistern.
Da ich eine Vielzahl an Originaldokumenten historischer Preislisten und Getränkekarten besitze, bereitet es mir immer wieder
größte Freude, Sommeliers in New York,
Peking oder Singapur entsprechende Preisvergleiche eines Petrus, Lafite, Cheval Blanc
oder Montrachet gegenüber einem hiesigen
Scharzhofberger oder Wiltinger Kupp
vorzustellen. Insbesondere im Ausland
weckt dies zunächst einmal Neugierde und
Interesse für unsere Arbeit. Preislich sind
wir von der damaligen Situation ebenso
Lichtjahre entfernt wie von den Weinpreisen
vieler unserer geschätzten Kollegen in
Frankreich. Aber der qualitätsbewusste
Weinfreund wird in keinem Land der Welt
heute ein besseres Preis-Genuss-Verhältnis
finden als in Deutschland und ganz besonders bei Rieslingweinen von Mosel und
Saar.
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Wie hat es Ihre Familie, die seit vier
Generationen für die Bierbrauerei
Bitburger Verantwortung trägt, aufgenommen, dass sich ihr jüngster
Spross nun ausgerechnet dem Wein
verschrieben hat?
Ich hatte mich schon früh für den Weinbau
an der Mosel und ihren Nebentälern interessiert und engagiert. So hatte ich gemeinsam
mit ein paar guten Freunden Mitte der
1990er Jahre das damals rasch erfolgreiche
‚Wein & Gourmetfestival MSR‘ auf ehrenamtlicher Basis initiiert, um der aus meiner
Sicht so reichen Wein- und Kulturlandschaft
und ihren Erzeugern auf die Beine zu helfen.
Das hat meine Familie schon mal kritisch
gesehen. Als ich dann das Weingut Van
Volxem kaufte, erntete ich auch Spott, der
sich inzwischen aber gelegt hat.
Character
11
Interessante Weine
sind immer auch
Spiegelbilder einer
Kulturlandschaft,
einer bestimmten
Zeit und letztlich
auch Ausdruck einer
bestimmten Winzerpersönlichkeit.
Die Grundlage großer Rieslinge:
Der Schieferboden ist reich an Mineralien
und entstand über Millionen von Jahren aus
Meeresablagerungen.
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Gegenwart
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Porträt
Character
Meine Großmutter war damals übrigens
die Einzige in der ganzen Familie, die mich
rückhaltlos unterstützt und ermutigt hat.
Letztlich bin ich meiner Familie aber unendlich dankbar, dass sie es mir ermöglicht
hat, mir mit dem Kauf von Van Volxem
meinen Lebenstraum zu verwirklichen.
In welchem Zustand haben Sie das
Weingut um die Jahrtausendwende
übernommen?
Es war schon ziemlich heruntergekommen,
teilweise haben wir Ruinen vorgefunden.
Vier Generationen lang war das Gut von
der Familie Van Volxem bewirtschaftet worden – die übrigens einer belgischen Brauereidynastie entstammt. Damit schließt sich
mit mir wieder der Bier-Kreis.
Dem Vernehmen nach haben Sie einen
mittleren Millionenbetrag investiert.
Hat sich das für Sie schon ausgezahlt?
In finanzieller Hinsicht freut es mich, dass
das Weingut nach den enormen Investitionen
der Anfangsjahre inzwischen wirtschaftlich
auf soliden Beinen steht. Wir sind schon
jetzt in der Lage, vom Weingut leben zu
können. Aber die finanzielle Rendite stand
Dank der seit einigen
Jahren tollen
Nachfrage müssen
wir uns kaum um den
Verkauf kümmern
und können entscheiden, welcher Weinfachhändler welche
Anzahl Flaschen
erhält.
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für mich nie im Vordergrund meines unternehmerischen Engagements.
Sondern vielmehr was?
Langfristigkeit und generationenübergreifende Nachhaltigkeit. Wie jede Krise bot
mir auch die Krise des Mosel-Saar-RuwerAnbaugebiets die Gelegenheit, in einer
bestehenden Branche neu erfolgreich sein
zu können. Ich habe als Student auch etwas
gezockt mit Derivaten und anderen Finanzprodukten, aber dabei habe ich gelernt, dass
es sich viel mehr lohnt, in echte Werte langfristig zu investieren und dabei preußische
Tugenden an den Tag zu legen.
Viele Altersgenossen meiner Generation
sind auf kurzfristige Gewinnerzielung
ausgerichtet und haben den Blick auf die
Schaffung nichtmonetärer, echter Werte
verloren.
Nun lehrte ja gerade die letzte Finanzkrise viele Anleger, wieder in reale
Werte wie Boden und Rohstoffe zu
investieren.
Davor kann ich nur alle warnen, die nicht
ganz persönlich für Landwirtschaft oder
Weinbau brennen. Es braucht fundiertes
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Wissen und großes persönliches Engagement, um langfristig erfolgreich sein zu
können.
Wie viele Flaschen Wein produziert
Van Volxem inzwischen pro Jahr und
wie organisieren Sie Marketing und
Vertrieb?
Die auf Van Volxem erzeugte Anzahl Flaschen
schwankt schon klimatisch bedingt recht stark,
es sind zwischen 250.000 und 350.000
Flaschen pro Jahr. Im Durchschnitt ist dies
etwas weniger als eine Flasche je Rebe, was
dem Niveau französischer Grand Crus entspricht. Dank der seit einigen Jahren tollen
Nachfrage müssen wir uns kaum um den
Verkauf kümmern und können entscheiden,
welcher Weinfachhändler welche Anzahl
Flaschen erhält. Webshop, Vertriebsagenturen oder Verkaufsmitarbeiter haben und
wollen wir nicht. Schwerpunktmäßig beliefern
wir die ambitionierte Gastronomie im Inund Ausland, aber wir verscheuchen auch
keinen privaten Weinliebhaber, der nach
vorheriger Terminvereinbarung an der Tür
des Weinguts klingelt.
Gegenwart
14
Porträt
Character
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Während ich bei
allen anderen Dingen
des täglichen
Konsums recht
sparsam bin, verlässt
mich diese Sparsamkeit beim Anblick
einer hundert Jahre
alten Flasche leider.
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Glorreiche Vergangenheit:
Roman Niewodniczanski besitzt viele
historische Dokumente etwa aus der
Kaiserzeit, die von dem einstigen
hohen Ansehen der Saarweine zeugen.
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Gegenwart
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Porträt
Character
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vom bier zum wein
Roman Niewodniczanski, 45, ist der Ururenkel des Gründers
Johann Peter Wallenborn, der 1817 die Bitburger-Brauerei
in der Eifel gründete. Sein Vater Thomas Niewodniczanski war
lange Jahre Geschäftsführer der Brauerei, heute haben Roman
Niewodniczanskis ältere Brüder Jan und Matthäus zwei der vier
Bitburger Vorstandsposten inne. Manchmal schon hat sich der
Neu-Winzer aus der Bitburger-Dynastie als „schwarzes Schaf“
der Familie bezeichnet, weil er eher dem Wein als dem familien-
Ausgabe 3 / 2 014
können, auf die ich mich freue wie ein kleines
Kind. Wir sind also immer noch in diesem
dynamischen Aufbauprozess begriffen.
Da fällt es mir sehr schwer, zu sagen, wo wir
in 20 Jahren stehen werden. Ich weiß, dass
ich heute mit meinen fast 46 Jahren den
Höhepunkt dessen erlebe, was ich erreichen
kann. Als Winzer, der überaus ehrgeizig ist,
möchte ich einen der besten Weine der Welt
erzeugen. Auch wenn ich dieses Ziel nie
erreichen könnte, es ist der Charme und das
Ziel meines Berufs.
traditionellen Bier zugeneigt war. Er studierte Betriebswirtschaft
und Wirtschaftsgeografie, war einige Jahre in der Unternehmensberatung tätig – und fällte dann die Entscheidung seines Lebens:
Er ließ sich zum Winzer ausbilden, bereiste Weingüter von Südafrika und Kalifornien bis nach Neuseeland – immer auf der Suche
nach dem passenden Weingut. In Wiltingen an der Saar wurde er
dann 1999 endlich fündig – und übernahm ein mittlerweile marodes
Weingut, das 100 Jahre zuvor zu den besten der Welt gehörte.
Dort will er auch wieder hin, der im positiven Sinne ehrgeizige, für
seine Mission „brennende“ Winzer aus der Bierbrauer-Dynastie.
Viele deutsche Winzer beklagen, dass
sich heute kaum noch einheimische
Beschäftigte für die Arbeit an den Reben
gewinnen ließen. Wie und woher rekrutieren Sie Ihre bis zu 55 Arbeiter?
Das ist schwer, wir haben einen dramatischen Fachkräftemangel in der Branche.
Hochmotivierte Mitarbeiter, die hoffentlich
auch unternehmerisch denken, sind wie bei
so vielen anderen Unternehmen auch unsere
Achillesferse. Ich habe hier ein sehr gutes
Team beisammen, aber das ist ein hartes
Stück Arbeit gewesen. Nur wer seine wie bei
uns bienenfleißigen und qualitätsbegeisterten
Mitarbeiter gut behandelt, fair bezahlt und
ihnen erklärt, warum und wieso welche
Arbeiten welche Konsequenzen haben, wird
letztlich auch seine unternehmerischen Ziele
erreichen. Schwerpunktmäßig kommen
unsere überwiegend fest angestellten Kräfte
aus Osteuropa.
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Zu Ihrem Erfolg trägt ja auch Ihr
Kellermeister Dominik Völk bei.
Wie kamen Sie auf ihn?
Ganz einfach durch eine Anzeige:
„Aufstrebendes Moselgut sucht qualitätsbesessenen Kellermeister.“ Dominik kommt
aus Würzburg und hat als eines von neun
Winzerkindern schon mit 16 gelernt, den
väterlichen Betrieb zu leiten. Er war damals –
vor elf Jahren – 20, als er zu uns kam. Und
er ist derjenige, der mir hilft, mich nicht zu
ruinieren. Weil ich gerne sehr schnell und
emotional handle.
Wo sehen Sie sich, wo sehen Sie Van
Volxem in zehn Jahren, in 20 Jahren?
Das Weingut Van Volxem ist immer noch
ein Weingut i. G., also „in Gründung“, auch
heute im 15. Jahr nach der Wiedergründung.
Ich habe erst kürzlich wieder ein paar
traumhafte Weinberg-Parzellen dazukaufen
Es heißt, Sie hätten als passionierter
Sammler großer Weine 12.000
Flaschen in Ihrem Keller versammelt.
Wer soll die denn wann trinken?
Ich stamme aus einer Familie passionierter
Sammler, und diese Leidenschaft ist sicherlich
auch Bestandteil meines Erbguts. Während
ich bei allen anderen Dingen des täglichen
Konsums recht sparsam bin, verlässt mich
diese Sparsamkeit beim Anblick einer hundert
Jahre alten Flasche leider. Die Folge ist ein gut
sortierter Weinkeller, der mir aber ein sehr
beruhigendes Gefühl gibt.
Einer Ihrer bekanntesten Mit-Weinbauern heißt Günther Jauch, der das
Weingut von Othegraven gekauft hat.
Kann man so ein Weingut eigentlich
im Nebenerwerb betreiben?
Das ist schon toll, den renommiertesten Fernsehmoderator Deutschlands zum Nachbarn zu
haben. Ich fühlte mich nicht zuletzt in meinem
eigenen Entschluss bestätigt, als Günther Jauch
beschloss, auch ein Weingut an der Saar zu
erwerben. Wir tauschen uns intensiv aus, wir
haben ein sehr gutes, kollegiales Verhältnis,
was eher unüblich ist in der Winzerbranche.
Wir trinken immer mal wieder Wein zusammen, genießen die Abende und sprechen
natürlich auch übers Winzergeschäft. Günther
Jauch und seine Frau Thea engagieren sich
sehr. Beide träumen nicht nur wie ich von
einem erfolgreichen und starken Weingut,
sondern gehen ganz bewusst auch die erforderlichen Schritte ein. Bewundernswert!
Zukunft
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Hello / Goodbye
Character
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HELLO / GOODBYE
Über den Wolken
Der Fortschritt macht auch vor dem Himmel nicht halt: Während es
bei der Paketzustellung per unbemanntem Flugobjekt noch die ein oder
andere Hürde zu überwinden gilt, fallen in der bemannten „Flugfahrt“
langsam die letzten Schranken. Immer weiter werden die Regeln gelockert,
was den Gebrauch elektronischer Geräte an Bord betrifft – nicht immer
im Interesse der Passagiere.
hello goodbye
Pakete
Per Drohne
Ruhezone
Flugzeug
Mit großem Hallo stellte Amazon Ende 2013 in einem
Werbevideo die Paketzustellung der Zukunft vor:
Ein unbemannter Flugkörper mit vier Rotoren pickt ein
Paket auf und wirft es – stabil verpackt – aus niedriger
Höhe über dem Garten des Empfängers ab. Einziger Nachteil: Amazon durfte nicht einmal das Werbevideo in den
USA drehen, da dort der Einsatz von Drohnen durch die
Flugaufsichtsbehörde FAA stark eingeschränkt ist.
Sowohl in den USA als auch in Europa ist es Passagieren
demnächst erlaubt, ihre Mobiltelefone und andere elektronische Geräte bei Start und Landung angeschaltet zu
lassen. Bei Telefonen oder Tablets muss jedoch der sogenannte Flugmodus aktiviert sein, das heißt: Man kann
Filme ansehen, spielen oder E-Books lesen – Telefonate oder
das Surfen im Internet werden im Flugzeug noch nicht
möglich sein.
Deutlich leiser (dafür schon einige Schritte weiter) ist
dagegen die Deutsche Post, die etwa zeitgleich zu Amazons
PR-Stunt bereits die ersten Zustelltests ausführte: Der sogenannte Paketkopter stellte ferngesteuert Medikamente
aus einer Apotheke zu. Solche Sondereinsätze könnten auch
der erste Bereich sein, in dem die Drohnenzustellung Realität wird. Im Regeldienst soll sie auf absehbare Zeit noch
nicht zum Einsatz kommen.
Doch auch das könnte sich ändern, denn sowohl die amerikanische Behörde FCC als auch die Europäische Agentur für
Flugsicherheit (EASA) prüfen gerade, ob die Funksignale
der Handys wirklich den Funkverkehr oder die Instrumente
der Piloten stören könnten, was bislang stets als Begründung für das Verbot galt.
Denn auch in Deutschland ist der Flugverkehr natürlich
reguliert – so muss eine Drohne beispielsweise immer von
einem Menschen auf Sicht gesteuert werden. Ab einem
Gewicht von fünf Kilo wird außerdem für jeden einzelnen
Start eine Einzelfallerlaubnis benötigt. Und selbst wenn
das irgendwann anders sein sollte, bleibt das theoretische
Risiko von Drohnenwilderern, die sich in der Nähe von
Amazon- oder Postpaketzentren postieren und sich mit
einer Schrotflinte ein paar Pakete vom Himmel schießen.
Die Passagiere scheinen indes gar nicht so wild auf die
möglichen neuen Freiheiten zu sein. In Umfragen sprechen
sich die meisten immer noch für telefonatfreie Flüge aus. Zu
abschreckend erscheint die Vorstellung, auf engstem Raum
zwischen lauter mitteilsamen Menschen gefangen zu sein, die
jede Turbulenz, jedes Duty-Free-Angebot und unzählige andere
Nichtigkeiten sofort lautstark in die Heimat durchgeben.
Auch EU-Verkehrskommissar Siim Kallas, der für die
Lockerung der Regelung mitverantwortlich ist, merkte in
einem Interview an: „Das Flugzeug ist der letzte ruhige Ort
der Welt, wo die Leute nicht telefonieren.“ Noch nicht.
Text: Christoph Koch
Hightech in der Luft: Während künftig Pakete
per Drohne zugestellt werden könnten,
wird auch die Benutzung von Computern und
Smartphones in Flugzeugen diskutiert.
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Zukunft
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Unternehmen der Zukunft
Character
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UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT
Kunststoff,
der nachwächst
Die Erfindung zweier
Tüftler könnte die Welt
ein wenig grüner machen
Die schwäbische Tecnaro hat einen Holzstoff entwickelt, der wie Plastik verarbeitet
werden kann. Bis die Industrie von ihrer Erfindung Notiz nahm, vergingen Jahre.
Doch nun läuft das Geschäft prächtig. Denn Erdöl, der Stoff, aus dem herkömmliche Kunststoffe produziert werden, wird immer knapper.
Der Weg in die Zukunft der Kunststoffe führt
über eine alte knarrende Holztreppe – hinauf
bis unter das Dach eines kleinen Hauses in
Ilsfeld im Großraum Stuttgart. Die Stiege
ist eng, und wer groß ist, muss ein wenig
den Kopf einziehen, um nicht anzustoßen.
Früher haben hier die Mitarbeiter des benachbarten Betonwerks Büroarbeiten erledigt.
Aber das ist schon ein paar Jahre her; den
Betrieb gibt es nicht mehr. Heute heißen die
Hausherren Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer.
Chemieingenieur der eine, Maschinenbautechniker der andere. Zwei Tüftler – und zwei
Unternehmer. Gründer und geschäftsführende
Gesellschafter der Tecnaro GmbH.
Ihre Erfindung könnte die Welt ein wenig
grüner machen, ohne dass sie deshalb gleich
hässlicher sein muss. Wie das gehen kann,
zeigen Nägele und Pfitzer in der kleinen Dachkammer mit den holzgetäfelten Schrägen. Aus
Schränken und Regalen kramen sie allerlei
vermeintlich höchst unterschiedliche Dinge
hervor: Kleiderbügel, Lautsprecherboxen,
Flöten, Urnen, Tupper-Dosen, Spielzeugfi-
guren. Und ein Paar Pumps, entworfen von
Gucci-Stardesigner Sergio Rossi. „Das ist
alles aus unserem Holz“, sagt Pfitzer. Ein
wenig Triumph klingt in seiner Stimme mit.
Kein Wunder. Denn die Produkte sind der
Beleg dafür, dass der von ihm und seinem
Geschäftspartner entwickelte Werkstoff
das Zeug hat, auf einem Milliardenmarkt
mitzumischen: im Geschäft mit Kunststoffen.
Nägeles und Pfitzers Idee kann herkömmliche, also aus Erdöl hergestellte Kunststoffe
in vielen Bereichen ersetzen. Ressourcenschonend, umweltfreundlich und zu einem
vergleichbaren Preis.
Mehr als 2.500 Rezepturen für
alle Anwendungsbereiche
Entdeckt haben die beiden Unternehmer den
Bio-Kunststoff bereits Mitte der neunziger
Jahre. Damals arbeiteten sie am FraunhoferInstitut. Inspiriert vom Geist des Erdgipfels
in Rio de Janeiro 1992 machten sie sich auf
die Suche nach einem Werkstoff aus nachwachsendem Material. Dabei stießen sie auf
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Lignin, ein Polymer, das in jedem Baum und
jedem Busch vorkommt und zur Verholzung
führt. Kaum eine andere natürliche Ressource
ist so verfügbar. In der Papierindustrie fällt
Lignin massenhaft als Abfall an – weltweit
sind es 60 Millionen Tonnen pro Jahr.
Auf die Idee daraus Kunststoff zu entwickeln
war vor Nägele und Pfitzer noch niemand
gekommen. Sie mischen das pulverförmige
Lignin mit feinen Naturfasern aus Hanf und
Flachs, mengen Bienenwachs oder Harz dazu.
Erhitzen, kühlen und portionieren die so
entstandene Masse, bis ein Granulat entsteht. Das kann später erneut erhitzt und als
gleichsam flüssiges Holz weiterverarbeitet
werden – etwa im Spritzgussverfahren, so
wie herkömmlicher Kunststoff. Arboform
nennen sie ihren Werkstoff, in Anlehnung
an das lateinische Wort für Baum: arbo. Je
nach Bedarf passen die Tecnaro-Chefs die
Mischung ihres Holzstoffs an, von dem sie in
jedem Jahr bis zu 10.000 Tonnen produzieren.
Zwei Unternehmer – zwei Tüftler: Die
Tecnaro-Gründer Helmut Nägele (l.) und
Jürgen Pfitzer vor ihrer Werkshalle.
Ausgabe 3 / 2 014
Zukunft
„Wir haben mehr als 2.500 Rezepturen“,
erzählt Nägele. Damit lassen sich nach seiner Überzeugung nahezu alle Eigenschaften
abdecken, über die herkömmliche Kunststoffe verfügen. Abgesehen vielleicht von
der Widerstandsfähigkeit besonderer Hochleistungsmaterialen, die Temperaturen von
mehr als 300 Grad aushalten müssen. Auch
kann Arboform für Produkte verwendet
werden, die heute aus Holz gefertigt werden –
Mundstücke für Flöten beispielsweise oder
Krippenfiguren.
22
Wir haben vier
bis fünf Jahre Vorsprung gegenüber
jedem, der jetzt an
den Start geht.
Der Erfolg lieSS lange auf
sich warten
Mehr als 15 Jahre ist es her, dass Nägele
und Pfitzer Arboform entwickelten. Sie
haben dafür bereits viele wichtige Erfinderpreise abgeräumt, darunter den European
Inventor Award, gestiftet von der Europäischen Kommission und dem Europäischen
Patentamt für außergewöhnliche Ideen.
In hohe Umsätze haben die Tüftler diese
Auszeichnungen lange Zeit nicht umsetzen
können. Erst jetzt kommt das Geschäft mit
dem Bio-Kunststoff kräftig in Schwung.
Tecnaro hat Kunden in der Autoindustrie,
beliefert Hersteller von Büroartikeln, Musikinstrumenten und Spielzeug. Und seit einiger
Zeit auch Tupper, einen der weltgrößten Her-
Unternehmen der Zukunft
steller von Haushaltswaren. „Die Nachfrage ist riesig“, freut sich Nägele. Warum
der Erfolg so lange auf sich warten ließ?
„Vielleicht“, so meint Pfitzer, „weil wir Unternehmersein nicht gelernt haben und auch
in der Familie kein Unternehmer war, den
wir hätten fragen können.“ Aber es braucht
eben auch Zeit, einen so neuen Werkstoff
wie Arboform zu vermarkten. Wer bisher
herkömmlichen Kunststoff verwendet hat,
wird vielleicht die Produktion von ein, zwei
Artikeln aus seinem Sortiment umstellen. Um
dann zunächst intensiv zu testen, zu prüfen und
zu beobachten. Darüber können Monate,
wenn nicht Jahre vergehen. „Natürliche Reifezeit“, sagt Nägele dazu. Und betont dann
auch: „Wenn wir zehn oder 20 Millionen
Euro zusätzlich zur Verfügung hätten, würde
uns das nicht schneller machen.“
Das Geld. Anfangs hatten die Unternehmer
alle verfügbaren Finanzquellen anzapfen
müssen, um ihre Idee voranzutreiben.
Character
Ausgabe 3 / 2 014
23
Banken, Familie, Förderinstitute. Trotzdem
hatte es 2003 so ausgesehen, als würde es
nicht reichen. Ein großer Kunde hatte die
Rechnung nicht bezahlt, Rücklagen gab
es keine, die Firmenkasse war leer. Die
Tecnaro-Chefs mussten ihren damals fünf
Mitarbeitern gestehen, dass sie sie nicht
bezahlen konnten. „Trotzdem sind alle am
nächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen,
weil sie von der Idee überzeugt waren“, sagt
Pfitzer. Heute beschäftigt Tecnaro mehr als
30 Mitarbeiter – und stellt weiter kräftig
ein. Die Idee, Plastik durch einen nachwachsenden Kunststoff abzulösen, fasziniert
viele. Der Leiter der Forschungsabteilung
beispielsweise hat eine führende Position
am Fraunhofer-Institut gekündigt, um bei
Tecnaro mitzumachen. Andere haben ihren
Beamtenstatus aufgegeben und bei Nägele
und Pfitzer angeheuert.
Fünf Jahre Vorsprung vor
möglichen Nachahmern
Bio-Kunststoffe sind auf dem Vormarsch
Das Jahr 2035 könnte den Wendepunkt markieren: Dann ist nach Schätzung der
Internationalen Energieagentur (IEA) die maximale Erdölförderung erreicht.
Nach 2035 wird Jahr für Jahr weniger von diesem Rohstoff auf den Markt
kommen. Denn die globalen Erdölvorkommen sind begrenzt, irgendwann sind
die Reserven erschöpft.
Der Bio-Kunststoff in der Prüfung:
Hier wird die Wärmeformbeständigkeit des
innovativen Werkstoffs gemessen.
Den vielfältigen Verlockungen von Investoren
und Chemieunternehmen, die bei Tecnaro
einsteigen wollten, haben die Firmengründer bisher stets widerstanden. Weil sie „ihr
Baby“, wie sie Tecnaro nennen, nicht alleine
lassen wollten. Und weil ihnen Geld, auch
viel Geld, nicht so wichtig ist, wie eine Sache
voranzubringen, von der sie überzeugt sind.
Angst vor Nachahmern haben Nägele und
Pfitzer nicht: „Wir haben vier bis fünf Jahre
Vorsprung gegenüber jedem, der jetzt an den
Start geht.“ Geschäftszahlen sind geheime
Kommandosache. Aber klar ist: Es läuft gut
für Tecnaro. Die beiden Chefs beschäftigen
sich mit Umzugsplänen, wollen raus aus
dem angemieteten Gelände des ehemaligen
Betonwerks. Größer, moderner soll das neue
Firmengebäude sein. Dann ist sicher auch
Platz für Vitrinen, in denen all die Produkte
ausgestellt werden, die aus Arboform gefertigt sind. Nur groß sollten diese Glasschränke
sein. Denn die Erfindung der beiden ehemaligen Tüftler des Fraunhofer-Instituts beginnt
gerade erst, Kreise zu ziehen.
www.bethmannbank.de
Text: Stefan Weber
Das ist ein Problem für alle Hersteller, deren Produkte ganz oder teilweise aus
Kunststoffen bestehen. Schließlich werden die meisten Kunststoffe aus
Erdöl hergestellt; etwa vier Prozent der weltweit geförderten Mengen werden
dafür genutzt. So setzen viele Branchen vermehrt auf Kunststoffe aus
nachwachsenden Rohstoffen.
Noch spielen diese Bio-Kunststoffe auf dem Weltmarkt keine nennenswerte
Rolle. Der Grund: Sie sind oft vergleichsweise teuer und decken nur ein schmales
Spektrum an Eigenschaften ab. Zum Einsatz kommen sie derzeit vor allem im
Verpackungsbereich. Folien für Lebensmittel oder Plastiktüten werden
zunehmend aus biologisch abbaubaren Kunststoffen produziert. Cateringprodukte wie Bestecke und Essschalen oder Gartenartikel wie Pflanztöpfe oder
Mulchfolien bestehen oft aus biologisch schnell abbaubaren Materialien.
Auch in der Spielzeugindustrie ist die Umstellung auf Bio-Plastik ein Thema.
Experten sind sicher: Den Durchbruch werden Bio-Kunststoffe erst schaffen,
wenn sie ähnlich kratzfest und widerstandsfähig gegen Hitze und UV-Strahlen
sind wie viele auf Erdölbasis gefertigten technischen Kunststoffe. Ein Modetrend, der irgendwann abebbt, sind Materialen aus nachwachsenden Rohstoffen
freilich nicht. Es ist notwendig, sich mit ihnen zu beschäftigen, denn so wie
bisher – mit der Fertigung aus Erdöl – geht es nicht mehr lange weiter.
Gegenwart
24
Perspektivenwechsel
Character
Ausgabe 3 / 2 014
25
PERSPEKTIVENWECHSEL
Plötzlich Zeit!
Kostbares Gut
mit schnellem
Verfallsdatum
Wie füllt jemand drei Stunden, die er unverhofft für sich hat?
Ein Bauer, der täglich zwölf Stunden auf den Beinen ist,
sehnt sich nach Ruhe. Eine Managerin, die durch die Welt
jettet, tauscht den Konferenzraum gegen Kultur.
Die Präferenzen sind unterschiedlich, doch eins haben
beide gemeinsam: keine Langeweile.
Carolin Barth-Kollmer, 40
Leiterin internationales Marketing
bei einem Pharmakonzern in Basel
logie. Dort nehme ich häufig an Vorträgen
teil und vermarkte natürlich die von mir
verantworteten Medikamente. Das ist mein
Kontakt zu unseren Kunden. Daher fliege
ich im Durchschnitt alle zwei Wochen auf
Geschäftsreise, mindestens vier Mal pro
Jahr bin ich in New York.
Drei Stunden Zeit für mich sind ein
seltenes, aber gern genommenes Geschenk.
Denn mein Standardarbeitstag besteht aus
zehn bis zwölf Stunden, die zu 90 Prozent
bereits im Vorfeld durchgeplant sind. Mehr
als die Hälfte meiner Arbeitszeit investiere
ich in Meetings und Telefonkonferenzen mit
Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten.
Mein Marketingteam verteilt sich auf den
Hauptsitz Basel und die Niederlassungen
New York und Hyderabad in Indien.
Wie ich diese drei Stunden verbringe, hängt
also tatsächlich davon ab, wann ich gerade
wo bin. So habe ich es trotz der Tatsache,
dass ich bestimmt schon zehn Mal in
Bangkok war, dort noch nie ins Nationalmuseum geschafft. In New York würde ich
eine Abteilung des Whitney Museum of
American Art anschauen, die ich noch nicht
kenne, beispielsweise die Installationen der
deutschstämmigen Künstlerin Eva Hesse.
Für mich ist es sehr wichtig, meine Mitarbeiter regelmäßig zu sehen. Dazu kommen
wichtige Ärztekongresse des von mir
betreuten Therapiebereichs der Dermato-
In Basel habe ich schon öfter spontan die
Vortragsstunden der Schüler der Musik
Akademie Basel besucht. Sie dauern oft
nur eine Stunde, sind hervorragend, und
www.bethmannbank.de
es ist schön, junge Künstler zu erleben.
Kultur ist mir sehr wichtig, und der Genuss
von Bildender Kunst als auch klassischer
Musik ist für mich ein guter Ausgleich
zu meinem sonst sehr auf Effizienz und
Ergebnis geprägten Beruf. Sollten sich die
drei Stunden tatsächlich zu einem freien
Tag mit guter Wetterprognose ausweiten,
dann ist die Entscheidung klar: Dann packe
ich meinen Rucksack, setze mich in den
Zug und unternehme eine Wanderung im
Berner Oberland oder im nah gelegenen
Jura. Zuletzt war ich auf dem Schilthorn,
wo einst der James Bond-Film „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ gedreht wurde. Dort
genoss ich den Blick auf Eiger, Mönch und
Jungfrau bei Sonnenschein. Frische Luft,
Bewegung und Bergpanorama machen
meinen Kopf frei.
Andreas Bachthaler, 39
Milchbauer in Inzlingen
bei Basel
Ganz ehrlich: Drei Stunden Zeit für mich
alleine? Das gibt es praktisch nie. Auf
einem Bauernhof ist immer etwas zu tun.
Ich habe eine 80-Stunden-Woche: Morgens
um 5.15 Uhr aufstehen, um 6.30 Uhr stehe
ich bereits im Stall, auch sonntags, und
melke zusammen mit meinem Bruder Jonas
und meinem Vater unsere 170 Milchkühe.
Das dauert mit der Melkmaschine etwa bis
8 Uhr. Derweil versorgen meine Frau und
meine Mutter die 50 Kälber. Danach gehe
ich aufs Feld: Die Gülle muss weg, ein Teil
des Futters wie Mais und Gras baue ich
selbst an, es ist ein natürlicher Kreislauf.
Pünktlich um 12 Uhr essen wir zu Mittag,
alle zusammen, meine Eltern, mein Bruder,
meine Frau, meine drei Kinder und auch
unser Auszubildender. Das ist ein fixer Termin für uns, an dem sich alle drei Generationen treffen und wir Wichtiges besprechen.
Danach geht es je nach Wetter ab 12.30 Uhr
oder 13 Uhr weiter mit der Feldarbeit. Um
17.30 Uhr müssen die Kühe wieder gemolken
werden, das dauert dann bis 19 Uhr. Spätestens um 22 Uhr falle ich ins Bett.
Wir wohnen landschaftlich idyllisch auf einem Hügel am Waldrand, sehr nah an der
Schweizer Grenze. Ich sehe öfter Leute hier
joggen und schüttle darüber nur den Kopf.
Sonntagnachmittags gönne ich mir einen
Mittagsschlaf, im Sommer unternehme ich
gerne etwas mit meiner Frau und meinen
Kindern. Leider bleibt dafür selten Zeit.
Spontan ins Schwimmbad gehen oder gar
in den Urlaub wegfahren – das ist bei uns
einfach nicht drin.
Ich bin ehrenamtlich Feuerwehrmann und
habe alle zwei Wochen montagabends von
20 bis 22 Uhr Übung, danach sitzen wir
noch zusammen. Das ist mein einziges Hobby, wenn man so will. Ich habe die Atemschutzausbildung absolviert, gehe also auch
in brennende Häuser oder Wohnungen mit
starker Rauchentwicklung. Vergangenes
Jahr hatten wir im Dorf einen Wohnungsbrand, da stand ich dann im Kinderzimmer
und habe vor lauter Rauch noch nicht
einmal das Kinderbett gesehen, vor dem
ich stand. Die Eltern und ihr dreijähriger
Sohn waren bereits in Sicherheit, trotzdem
hat mich allein der Gedanke geschockt,
dass darin hätte ein Kind liegen können. In
solchen Momenten weiß ich dann genau,
warum ich meine wenige Freizeit in dieses
Ehrenamt investiere.
Protokoll: Geraldine Friedrich
Gegenwart
26
12 ausgewählte Zitate*
Character
Di e Rebe li ebt di e Sonne,
aber no ch vi e l me hr
de n S chat te n i hre s H e rrn
www.bethmannbank.de
* von Roman Niewodniczanski
27
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Tradition
Zahlen, bitte!
28
Character
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29
ZAHLEN, BITTE!
Trüffel
das delikate Gold
Mit kaum einem Lebensmittel wird so viel betrogen wie mit Trüffel.
Grund: Der Kilopreis liegt je nach Art zwischen drei und 12.000 Euro.
Unseriöse Gastronomen tricksen Gäste aus, indem sie bei ihren Speisen
das chemisch hergestellte Trüffelöl mit der billigen China-Trüffel
kombinieren: Es sieht optisch nach Trüffel aus und schmeckt auch
nach Trüffel – nur enthält die Speise im Grunde keine der wohlschmeckenden Trüffelarten, die man als Gast erwarten sollte.
240
verschiedene Trüffelarten werden unterschieden. Die Trüffel gibt es nicht. Der Begriff „Trüffel“ bezeichnet umgangssprachlich
sämtliche unterirdischen Pilzarten.
Rund 86 Trüffelarten zählen weltweit zu
den echten Trüffeln, ihr botanischer Name
beginnt stets mit „Tuber“ (dt. Beule, Höcker),
davon wachsen etwa 25 Arten in Europa.
800
Tonnen China-Trüffel verlassen China jedes
Jahr, ihr Einkaufspreis liegt zwischen drei und
zehn Euro je Kilo, ihr Verkaufspreis zwischen
200 und 1.500 Euro, da sie oft fälschlicherweise als Périgord-Trüffel verkauft werden.
300 Tonnen der China-Trüffel landen in
Europa. Optisch ist die billige China-Trüffel
für Laien kaum von der edlen und viel teureren
Périgord-Trüffel zu unterscheiden.
0
Prozent Trüffel enthält das edel anmutende
Trüffelöl. Der Grund: Das Aroma entsteht
dank des chemisch hergestellten „naturidentischen Aromastoffs“ Bismethylthiomethan,
das aus Flüssiggas hergestellt wird und
Pflanzenöl zugesetzt wird. Die Stückchen, die
verkaufsträchtig in den Ölflaschen zu sehen
sind, sind in der Regel minderwertige Reste
getrockneter Trüffel, die keinerlei Einfluss
auf das Aroma haben. Trüffel schmecken nur
frisch, frische Trüffelstücke würden aber innerhalb kürzester Zeit schimmeln. Daher ist
echtes Trüffelöl im Handel nicht erhältlich.
Mindestens 35
Euro muss ein Pastagericht mit zehn
Gramm geriebener Alba-Trüffel in einem
Restaurant kosten, sonst sind es keine echten
Alba-Trüffel.
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Zu 70 bis 80
Prozent bestehen Trüffel aus Wasser.
220.000
Euro erzielte die 1,5 Kilogramm schwere
Alba-Trüffel, die der Bauer Cristiano Savini
2007 bei Pisa fand, bei einer Versteigerung.
Er spendete den Erlös für einen guten
Zweck.
Zu 99,9
Prozent sind es dressierte Hunde – und
nicht etwa die vielfach zitierten Trüffelschweine –, die bei der Trüffelsuche helfen.
Denn Schweine fressen die Trüffel am
liebsten sofort auf, während Hunde sich mit
einem Leckerli davon abhalten lassen. Insbesondere die Hunderasse Lagotto Romagnolo mit ihrem herausragenden Geruchssinn
eignet sich für die Suche.
7
in Europa heimische Arten haben kulinarischen Wert: die Alba-Trüffel (Tuber
magnatum), die Périgord-Trüffel (Tuber
melanosporum), die Burgunder-Trüffel
(Tuber uncinatum), die Wintertrüffel
(Tuber brumale), die Sommertrüffel (Tuber
aestivum), die Weiße Märztrüffel (Tuber
borchii) und die Knoblauchtrüffel (Tuber
macrosporum). Die botanischen Namen
sind wichtig, da nur sie eine Trüffelart
genau bezeichnen. Seriöse Gastronomen
schreiben daher auf eine Speisekarte nicht
nur „Trüffel“, sondern beschreiben botanisch
genau, welche Trüffelart sie servieren.
Die zweitteuerste Trüffel ist die schwarze
Périgord-Trüffel: Ein Kilo kostet zwischen
1.500 und 2.500 Euro.
Deutschland ist das Trüffelsammeln dagegen verboten – alle Arten stehen unter
Naturschutz.
3 bis 10
Jahre benötigen mit Trüffelsporen geimpfte
Bäume, damit an ihren Wurzeln Trüffel
wachsen. Vor allem in Chile, Spanien, Australien, Neuseeland, Italien und Frankreich
gibt es Trüffelplantagen, auf denen Bäume
mit Burgunder- und Périgord-Trüffelsporen
geimpft werden, damit man später die Pilze
ernten kann. Die teuren Alba-Trüffel wachsen dagegen nur wild.
46
scheint eine magische Grenze zu sein, denn
nördlich des 46. Breitengrades hat man
bislang noch nie die Königin der Trüffel, die
weiße Alba-Trüffel, gefunden. Dieser Breitengrad verläuft bei Genf. Bei den weißen
Trüffeln, die Pilzsammler in Deutschland
finden, handelt es sich um die kulinarisch
wertlose Mäandertrüffel.
2.500 bis 12.000
Euro kostet je nach Angebot das Kilo AlbaTrüffel. Sie wächst in Italien und in Kroatien und in geringer Menge in Frankreich.
1.500
ausgebildete Trüffelhunde gibt es in der
Schweiz, 650 Trüffelsucher sind dort
in einer offiziellen Liste eingetragen. In
Text: Geraldine Friedrich
Gegenwart
Werte im Wandel
30
WERTE IM WANDEL
Tue Gutes fürs Kind
und rede darüber
Eine neue Generation von Eltern ist herangewachsen. Eine Generation, die
alles richtig machen will – und daraus jedes Recht ableitet. Die sogenannten
Helikopter-Eltern nehmen ihren Erziehungsjob allzu ernst, nerven damit aber
oft ihr Umfeld und verwöhnen ihre Kinder mehr, als denen guttut.
Mal Hand aufs Herz: Was ist das Bemerkenswerte am Zähneputzen? Am Anziehen einer
Strumpfhose? Am – pardon! – abendlichen
Toilettengang? Genau! Eigentlich nichts!
Die banalen Herausforderungen des Alltags
erklimmen jedoch ganz neue Ebenen der
Bedeutsamkeit, wenn sie von den lieben
Kleinen gemeistert werden. Valentin Ole beim
Legobauen, Anna Teresa beim Zoobesuch,
Bastian Alexander auf dem Töpfchen: Stolze
Eltern, so mag man meinen, erleben die Welt
durch die Augen ihrer Kinder permanent
neu. Und sie reden permanent darüber. Im
Büro, im Restaurant, beim Sport, überall
werden die Episoden des häuslichen Alltags
detailliert ausgebreitet. Und wehe dem, der
angesichts eines fremden Kleinkindes nicht
augenblicklich in Verzückung gerät!
Um nicht falsch verstanden zu werden: Kinder
können viel Freude bereiten. Sie können auf
die erwachsene Bevölkerung geradezu ansteckend wirken – mit ihrer echten Freude, mit
ihrem unverstellten Blick auf die Welt und
natürlich mit dem großen Vertrauen, das sie
ihren Eltern entgegenbringen. Eltern verspüren diese einzigartige Faszination, wenn sie
beobachten, wie ihre Kinder heranwachsen
und sich zu vollständigen Charakteren
entwickeln. Nun ist das Leben mit Kindern
für Eltern auch anstrengend, zuweilen aufreibend. Wer einmal das Drama erlebt hat,
das sich beim Abendbrot entwickelt, nur weil
die Gurkenscheiben am falschen Platz liegen,
wird da pflichtschuldig zustimmen. Aber
das wird wohlwollend in Kauf genommen.
Schließlich vermitteln Kinder den Älteren
das beruhigende Gefühl, dass es irgendwie
weitergehen wird mit dieser Welt.
Die neue Art von Eltern
Nun sind das Erfahrungen, die jede Elterngeneration machen muss. Doch für eine
neue Art von Erziehungsberechtigten ist das
alles nicht mehr so einfach. Die Rede ist von
Helikopter-Eltern: Eltern, die permanent
um ihre Kinder kreisen. Die sich mit ihrem
Erziehungsjob – zumindest vordergründig –
deutlich mehr Mühe geben, als das noch
ihre Eltern taten oder deren Eltern. Sie
tauchen beim Babyschwimmen möglichst
früh mit ihren Säuglingen auf und auch ab.
Sie nehmen demonstrativ Elternzeiten und
ordnen soziale Kontakte grundsätzlich dem
familiären Stundenplan unter. Sie bereiten
jede Schulaufführung möglichst akribisch
vor und feuern ihren Nachwuchs auf dem
Fußballfeld am lautesten an. Sie unterziehen
die Freunde ihrer Kinder einem eingehenden
Check und überprüfen selbst die Berufe der
Eltern. Sie nehmen sich jedes Recht heraus,
natürlich nur zum Wohle des Kindes.
Helikopter-Eltern sind noch in der Unterzahl.
Aber sie machen sich mehr und mehr bemerkbar. Wer einmal beim Sonntagsbrunch
eine fidele Mütterrunde am Nebentisch erlebt hat, die unvermittelt ihre Babys herumreicht, um an den Windeln zu riechen und
den Wechsel gleich noch vor Ort auszuführen,
der kann ein Lied davon singen. Unappetit-
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lich? Aber es geht doch ums Kind! Weniger
harmlos sind dann schon die Eltern, die
ihre Kinder per Auto zur Schule bringen,
idealerweise per SUV oder S-Klasse. Inzwischen beklagen sich immer mehr Schulen
über ernsthafte Verkehrsprobleme, über
parkende Eltern-Taxis in zweiter Reihe und
gefährdete Kinder, die noch per pedes zum
Unterricht kommen. Manche Mütter sollen
es auf mehr als 40 Fahrtermine pro Woche
bringen – nicht nur zur Schule, sondern
selbst zur Bushaltestelle oder zur nahe
gelegenen Sporthalle. Und der Taxi-Dienst
endet nicht etwa mit der Kindheit, sogar
manch 16- oder 17-Jähriger nutzt gerne
noch die Fahrbereitschaft im Hotel Mama.
Aber wer will sein Kind schon alleine auf
den Weg schicken, wenn da draußen so viele
rücksichtslose Autofahrer unterwegs sind?
Der nächste Klassenkampf
In letzter Instanz führt das neue Selbstverständnis sogar zur gesellschaftlichen Frontenbildung. Denn wer leise Kritik am neuen
Tanz ums Kind wagt, wird allzu schnell
mit den Verdiensten der Erziehenden zum
Schweigen gebracht. Schließlich kämpfen
diese per Kinderzeugung wacker gegen den
demografischen Wandel. Sie sichern dem
nichtsnutzigen Rest die Solidarsysteme und
nehmen dafür nur zu gern Entbehrungen in
Kauf. Sowieso: Kinderlose sind doch ver-
Character
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Ausgabe 3 / 2 014
Gegenwart
32
Werte im Wandel
Character
antwortungslos, ja gefühllos. Hedonisten, die
wenigstens Sozialstunden leisten sollten! Das
ist übertrieben, gar polemisch? Keineswegs.
Denn das ist eine Auffassung, die im Von-derLeyen-Land eher noch gefördert wird. Wer
allerorten die „heilige Familie“ zelebriert und
das Ideal der Power-Mutter propagiert –
auch wenn er selbst die Hilfe von Kinderfrauen und Haushaltshilfen in Anspruch
nehmen konnte –, der schafft natürlich eine
Stimmung, die Menschen mit anderen
Lebensentwürfen automatisch abwertet.
Woher kommt dieses neue Selbstverständnis
der Eltern? Mit überzogener Ängstlichkeit
ist es kaum zu erklären, auch nicht mit einer
Überdosis des Elternhormons Oxytocin. Hat
eine Generation von Selbstdarstellern Kinder
bekommen, wie das Feuilleton vermutet? Reden
sich die Eltern ihre materielle Investition ins
Objekt Kind schön, wie Forscher in den USA
meinen? Plausibler klingt da ein anderer
Erklärungsansatz: Psychologen sagen, dass es
Eltern heute an Orientierung und Anerkennung fehlt, dass sie diesen Missstand durchs
Kind kompensieren. Und tatsächlich muss
man ihnen zugutehalten, dass die Anforderungen an die Erzieher eine neue Qualität
erreicht haben: Sie sollen Beruf mit Familie
in Einklang bringen, wird ihnen von Politik
und Medien souffliert. Und sie müssen einen
hochqualifizierten Nachwuchs heranziehen,
der fit ist für die globalisierte Welt.
Konsequenzen für die Kinder?
Die Frage, die dabei schnell in den Hintergrund tritt, lautet: Welche Auswirkungen hat
die Helikopterei eigentlich für die Kinder? Ist
es wirklich zuträglich, wenn die Altvorderen
alle Wünsche erfüllen und alle Probleme
aus dem Weg räumen? Wenn sie den Eltern
der Freunde ungefragt Erziehungsratschläge
geben und den Elternabend sprengen, um
den Lehrern den Job zu erklären? Natürlich,
werden viele antworten. Schließlich ist ein
Helikopter-Paar noch immer besser als eine
alleinerziehende Mutti oder ein Vati, der
nur am Wochenende vorbeischauen darf.
Und natürlich wird es auch einen Anteil
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33
Frühere Elterngenerationen haben
ihren Job noch
anders gehandhabt.
Sie waren einfach
Eltern.
Heranwachsender geben, der dankbar ist für
eine umsorgte Kindheit und für die elterliche
Hilfestellung selbst noch bei der Jobsuche
nach der Uni.
Jedoch berichten Psychologen längst von
Überbehüteten und Verwöhnten, die genauso
verhaltensauffällig werden wie Vernachlässigte
und Misshandelte. Denn wer zu Hause seine
Launen ausleben kann, wird wenig Verständnis
dafür aufbringen, dass dieses Verhalten außerhalb der heimischen vier Wände nicht so
einfach fortgesetzt werden kann. Wer sich als
Partner seiner Eltern versteht und nicht den
Umgang mit Regeln erlernt, wird sich auch
„da draußen“ nicht an Regeln halten wollen.
Und wer nicht erfährt, dass es Anstrengungen
erfordert, um ans Ziel zu kommen, wird
später ein erhebliches Problem haben. Dabei
benötigen Kinder eigentlich feste Maßstäbe,
die durch die Eltern vorgegeben werden und
an denen sie sich orientieren – und auch reiben – können. Wer aber der Mittelpunkt der
Welt ist, der benötigt keine Orientierung.
Frühere Elterngenerationen haben ihren Job
noch anders gehandhabt. Sie waren einfach
Eltern. Ganz selbstverständlich. Sie hatten
es natürlich auch nicht leicht, und sie haben
noch eine Verteilung der Geschlechterrollen
praktiziert, die heute nicht mehr wünschens-
wert ist. Jedoch waren sie sich bewusst, dass
mit Kindern einfach nicht mehr so viel geht
wie noch zu Zeiten trauter Zweisamkeit.
Daheim die Kinder betüdeln, im Job dynamisch durchstarten, in der Freizeit möglichst
viel Unterhaltung genießen und abends
am liebsten noch mit dem minderjährigen
Nachwuchs auf ein Bier ins Lokal – ganz
einfach, weil sonst keine Zeit mehr dafür
bleibt: Das ist in modernen Helikopter-Zeiten
genauso unmöglich wie bei den eigenen
Eltern vor 30 Jahren.
Frühere Eltern waren sich bewusst, dass
nicht immer alles gehen muss – nicht
immer alles gehen kann. Sie haben nicht
gehadert, ob sie zu lieblos sind, wenn sie
ihren Kindern mal Grenzen setzen. Denn
das war zwingend notwendig, damit die
Familie funktionierte – und damit auch
Rücksicht auf die unmittelbare Umwelt geübt
wurde. Und sie haben keinen spürbaren
Frust geschoben und an ihren Mitmenschen
ausgelassen, weil die Verpflichtungen überhand nahmen und plötzlich keine Besuche
im Theater mehr möglich waren – sondern
sich guten Gewissens auch mal Freiräume
genommen. Und die Kinder? Haben sie
sich dadurch zurückgesetzt gefühlt?
Vernachlässigt?
Oder aber eingeengt?
Wohl kaum.
Entspannte Eltern –
entspannte Kinder
Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, überengagierte Eltern im Sinne ihrer Kinder –
und auch ihres genervten Umfelds – daran
zu erinnern, wieder etwas mehr Gelassenheit zu leben. Keineswegs sollen sie ihren
Kindern Disziplin und Gehorsam nach
altem preußischem Vorbild einbläuen. Aber
sie sollten sich auch nicht als Individuen
aufgeben und alles der selbst erwählten
Elternrolle opfern. Entspannte Eltern
bekommen entspannte Kinder – und ganz
nebenbei auch entspannte Mitmenschen.
Text: Frank Paschen
Zukunft
Einplanen
34
Character
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35
EINPLANEN
Foto: radamring.de
durch das jahr mit
Roman Niewodniczanski
Große Weine sind sein Lebensinhalt. Neben der zeitintensiven Arbeit im Weinberg bleibt
Roman Niewodniczanski nur wenig Raum für Kulturgenüsse. Aber das Jazzfestival
im Norden und die Opernfestspiele im Süden lässt sich der Musikliebhaber als persönliche
Jahres-Highlights nicht entgehen. Auch die Redaktion hält noch ein paar weitere TerminTipps für ein genussvolles Jahr 2014 parat.
11. – 13.07.2014
38. Internationales Oldtimermeeting, Baden-Baden
09. – 13.04.2014
Art Cologne – Kunstmarkt in Köln
Die ART COLOGNE ist die weltweit älteste Messe
für bildende Künste der letzten beiden Jahrhunderte.
Rund 200 internationale Galerien stellen in Köln
verschiedene Gemälde, Skulpturen, Multiples, Installationen, Videokunstwerke und einiges mehr aus.
25. – 27.07.2014
24 Stunden Radrennen auf dem Nürburgring
Blitzender Chrom, nostalgisches Flair und stilvolle
Kulisse: Die Besucher des 38. Oldtimer-Meetings
in Baden-Baden erleben eine Zeitreise durch die
Automobilgeschichte. Zu sehen sind mehr als 300
Oldtimer, ein Autokorso durch die Stadt und sogar
eine Modenschau.
APRIL
Nürburgring, Nordschleife: Das 24-Stunden-Rennen für Radfahrer
ist eine der Attraktionen auf dem Nürburgring. Bei Tag und in der
Nacht stellen sich die Fahrer – angetrieben nur durch Muskelkraft –
der Herausforderung in der „Grünen Hölle“.
Dabei müssen sie pro Nordschleifenrunde mehr als 500 Höhenmeter
und rund 23 Kilometer überwinden.
J
JUNI U
LI
AU G U S T
O K TO B E R
2014
2015
SEPT
MAI
www.bethmannbank.de
Die Münchner Opernfestspiele sind der Höhepunkt der
Opernsaison. Musikliebhaber aus ganz Europa zieht es in
die bayerische Hauptstadt, um in den historischen Gebäuden
der Stadt die großen Stimmen der Opernwelt zu hören.
Foto: Hoch Zwei
Das Pictoplasma Berlin beschäftigt
sich mit Figurendesign in Kunst und
Grafik. Es versteht sich als weltweit
führendes Festival des zeitgenössischen „Character Design“ und bietet
eine Konferenz mit Vorträgen von
mehr als 28 herausragenden Künstlern, Illustratoren und Designern.
Der Jazz, die Stimme des amerikanischen Südens, ist wild und intuitiv.
Zuhörer können sich ganz auf die
Musik einlassen und sie genießen. Das
North Sea Jazz Festival bietet die
perfekte Möglichkeit, die großen
Künstler dieser Musikrichtung live
zu erleben.
27. – 31.07.2014
Münchner Opernfestspiele
Foto: bayerische.staatsoper.de; Münchner Opernhaus
Foto: MR KAT, behance.net
30.04.–04.05.2014
Pictoplasma Festival,
Berlin
11. – 13.07.2014
North Sea Jazz Festival
Rotterdam
EMBER
27.09 – 05.10.2014
Surf World Cup Sylt
Ende September weht in Westerland auf
Sylt wieder ein weltmeisterlicher Wind.
Die besten Windsurfprofis liefern sich
dort einen spannenden Showdown.
www.windsurfworldcup.de
Zukunft
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Ja / Nein
Character
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37
JA / NEIN
Intelligenz en gros
Eine Entscheidungshilfe
für bestimmte Fälle
Das ganze Leben lang muss man sich entscheiden. Was studieren? Wo arbeiten?
Kaufen oder Mieten? Strand oder Berge? Entscheidungen können uns lähmen –
aber es gibt Tricks, wie wir sie beschleunigen, erleichtern und verbessern können.
Wir stellen in jeder Ausgabe eine Entscheidungstechnik vor, beschreiben, wie sie
funktioniert und wann man sie am besten einsetzt.
„Weisheit der Masse“? Das klingt zunächst
falsch. Ist die Masse nicht für gewöhnlich
nicht ziemlich, nun ja … beschränkt? Zahlreiche Experimente haben jedoch gezeigt,
dass unter bestimmten Voraussetzungen eine
große Gruppe von Menschen tatsächlich in
der Summe klüger ist als ihre klügsten
Individuen.
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Es ist paradox,
aber Gruppen sind
dann am klügsten,
wenn ihre Mitglieder
so individualistisch
handeln wie
möglich.
Ein Beispiel: Bittet man Menschen, abzuschätzen, wie viele Murmeln sich in einem
großen Glasbehälter befinden, liegen alle
daneben – manche knapp, manche deutlich.
Bildet man jedoch den Durchschnitt aus den
Schätzungen, ist dieser extrem nah an der
wahren Anzahl. Und fast immer präziser
als die beste Einzelschätzung. Auch bei der
Quizsendung „Wer wird Millionär?“ hat der
Publikumsjoker, bei dem das Studiopublikum
befragt wird, eine höhere Erfolgsquote als
der Telefonjoker, bei dem ein vorab vom
Quizkandidat ausgewählter Experte zu Rate
gezogen wird.
reich angewandt“, erklärt James Surowiecki.
Der Wirtschaftskolumnist des „New Yorker“
hat in seinem Buch „Wisdom of the Crowds“
genau analysiert, wann die Gruppe bessere
Entscheidungen trifft als das Individuum.
„Selbst bei der Suche nach einem verschollenen U-Boot und einer bei einem Flugzeugabsturz vor der Küste Spaniens versunkenen
Wasserstoffbombe wurde die Technik erfolg-
Wichtig sei vor allem, so Surowiecki, dass
alle Mitglieder der Gruppe unabhängig
voneinander ihren Tipp abgeben. „Es ist paradox, aber Gruppen sind dann am klügsten,
wenn ihre Mitglieder so individualistisch
handeln wie möglich.“ Es sei wichtig, dass
es sich um eher faktische und quantifizierbare Fragen handele, damit es möglich ist,
aus den Antworten einen Durchschnittswert
zu bilden. Weiterhin sei es vorteilhaft, wenn
sich die Mitglieder der Gruppe nicht zu
ähnlich seien, was ihren Hintergrund, ihre
Einstellung und ihre Expertise betrifft.
Bei der Suche nach dem U-Boot setzte sich
eine Gruppe zusammen „und jeder Einzelne,
vom Offizier bis zum Techniker, gab eine
Mutmaßung ab, was passiert sein könnte:
Wie schnell und weit das U-Boot in welche
Richtung gefahren sein müsste, wie hoch
oder wie tief es sich befinden könnte“, erklärt Surowiecki. „Einige Flaschen Whiskey
dienten als Wetteinsatz. Eine Person fasste
all diese Einzelaussagen zusammen und
ermittelte daraus einen Ort – und tatsächlich befand sich das U-Boot nur 200 Meter
davon entfernt. Das Interessante: Niemand
der Beteiligten hatte auf genau diesen Ort
getippt – es war nur die Summe ihrer Vermutungen.“
Text: Christoph Koch
Tradition
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Unternehmen mit
Tradition
Character
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UNTERNEHMEN MIT TRADITION
Hier stimmt die chemie
Das Unternehmen Kremer
Pigmente ist alten Farben
auf der Spur
In einem Dorf im Allgäu werden rare und teure Farbpigmente hergestellt. Die Zutaten
heißen Gallapfel, Juraperle oder Sepia. Doch was in Aichstetten vor sich geht, ist kein
Hexenwerk. Ein Besuch bei Georg Kremer, dem Firmengründer.
An diesem Blau kommt niemand vorbei.
Zwei Pfeiler begrenzen die Einfahrt der
Mühle aus dem 18. Jahrhundert. Gestrichen
sind sie in einer Farbe, die den Himmel über
dem Allgäuer Dorf Aichstetten selbst an
sonnigen Tagen blass wirken lässt: Smalte.
Smalte ist ein auf Kobalt basierendes
Pigment aus gemahlenem Glas. Ein giftiges,
überirdisches Blau, dessen Intensität sich
mit wechselndem Licht verändert. Schon die
Ägypter mischten daraus Farbe, um Sarkophage zu verzieren. Auch Titian, El Greco
und Jan Vermeer malten damit. Die Kunst
des 16. Jahrhunderts wäre ohne dieses
Pigment eine andere. Und doch verschwand
es Anfang des 20. Jahrhunderts vom internationalen Markt – bis ein Student aus
Baden-Württemberg 1974 die Rezeptur
wiederentdeckte.
Georg Kremer ist Chemiker. Womit er sich
noch auskennt: Kunstgeschichte, Literaturund Sprachwissenschaft, Philosophie,
Ethnologie, Ökonomie, Physik, Mathematik.
Unter anderem. Sein umfassendes Wissen
hat dem 67-Jährigen dabei geholfen, in
37 Jahren in der Provinz ein Unternehmen
aufzubauen, das heute mehr als 100.000
Kunden in der ganzen Welt mit Farbpigmenten beliefert. Anspruchsvolle Kunden.
Der Maler Sigmar Polke war einer. Auch
der Maler und Bildhauer Georg Baselitz
kauft bei Kremer ein. Viele internationale
Museen lassen sich Kremer Pigmente für
ihre Restauratoren liefern. Aber auch ambitionierte Malermeister oder Hobbykünstler
mischen sich ihre Farben mit den Rohstoffen
aus dem Sortiment an. Und natürlich die
Industrie.
Die teuerste Farbe der Welt
Einige der Töne sind so teuer, dass ihre Verwendung selbst die Medien eine Schlagzeile
wert ist: „Die teuerste Farbe der Welt“ heißt
es zum Beispiel über das Purpurpigment.
Für ein Gramm wird der Drüsensaft von
10.000 neuseeländischen Schnecken benötigt.
Im Verkauf kostet es 2.500 Euro. Andere
der Pigmente, die in Aichstetten hergestellt
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werden.“ Also wandte er sich den rückläufigen
Märkten zu – und entschied sich für historische Farben. „Das Marktsegment war
1975 zum Sterben verurteilt.“ Doch Kremer
gründete seine Firma 1977.
Das Aufspüren seltener
Rezepturen.
Das Marktsegment
war 1975 zum
Sterben verurteilt.
Georg Kremer
werden, sind sonst nirgendwo auf der Welt
erhältlich. So wie einst die Smalte, mit der
alles begann. „Ein Bekannter benötigte das
Blau für die Restaurierung einer Londoner
Kirche“, sagt Kremer. „Doch seit 1910 wurde
Smalte nirgends mehr produziert. Also habe
ich nach einem Rezept gesucht.“ Mithilfe
einer Anleitung von 1820 machte er sich
schließlich in seinem Labor an die Arbeit.
Das Ergebnis überzeugte den Kirchenrestaurator. Kremer hatte seinen ersten
Kunden.
So, sagt er, sei die Idee entstanden, sich als
Hersteller seltener Pigmente selbstständig zu
machen. Doch das ist nur die eine Version
der Geschichte, die buntere. Die andere
ist weniger farbenfroh, dafür brillant. Der
Chemie-Student suchte nach einem Weg,
neben dem Studium Geld zu verdienen.
Forschung schloss er für sich aus: „Für eine
neue Erfindung braucht man viel Kapital.
Und sobald man erfolgreich ist, läuft man
Gefahr, von einem Konzern geschluckt zu
Im Verkaufsraum stehen Hunderte Glasfläschchen aufgereiht. Jedes ist gefüllt mit
Pigmenten einer Nuance: Nelkenfarbe,
Plossblau, Pyrit, Zuckerdolomit, Sepia. Es
gibt Erdfarben und Neonfarben. Glitzerpartikel, die für die Herstellung von Nagellack
oder Christbaumkugeln benutzt werden.
Pigmente für Geigenlacke. Nur etwa 250
der rund 1.500 angebotenen Partikel werden
in der Mühle hergestellt: „Wir produzieren
ausschließlich das, was wir nicht in besserer
Qualität einkaufen können.“
Die Spezialität des Firmenchefs ist jedoch
das Aufspüren seltener Rohstoffe und
Rezepturen. In den dreißiger Jahren hatte
die IG Farben, das seinerzeit größte Chemieunternehmen der Welt, damit begonnen,
die Farbenindustrie umzustrukturieren.
„Den Verbrauchern sollten nur noch fertige
Produkte angeboten werden“, sagt Kremer.
Zuvor hatten Maler ihre Farben aus
Pigmenten angemischt. Wer nicht genau
arbeitete oder das Produkt wechselte, bekam
kein einheitliches Ergebnis. Entsprechend
erfolgreich waren die pinselfertigen Farben
in Eimern und Tuben, die in den fünfziger
Jahren das Mischen überflüssig machten.
„Bis 1960 gab es in jeder Stadt einen Laden,
der Farbpartikel und Bindemittel anbot.
20 Jahre später waren nahezu alle diese
Läden verschwunden.“ Georg Kremer rechnete
also nach: Wenn es in jeder deutschen Stadt
fünf Menschen gäbe, die weiterhin Verwendung für die Rohstoffe hätten, wären das mehr
als 10.000 potenzielle Kunden. Ein guter
Anfang. Er begann, Pigmente aus Konkursmasse und Restbeständen aufzukaufen. Sein
erstes Sortiment.
Tradition
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Unternehmen mit
Tradition
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Wir produzieren
ausschlieSSlich das,
was wir nicht in
besserer qualität
einkaufen können.
Georg Kremer
Links: Auf dem Weg zum Blau:
Der Lapis-Stein wird in einer Mühle gemahlen und schließlich einem aufwendigen
Sieb- und Reinigungsverfahren unterzogen.
Die reinste Form des Lapislazuli ist
Fra Angelico Blau.
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Rechts: Herstellung der Farbe:
Kremer stellt nicht nur Pigmente, sondern
auch fertige Gebrauchsfarben her. Dazu
werden die Pigmente je nach gewünschtem
Produkt mit verschiedenen Bindemitteln
„angerieben“, also vermischt.
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Tradition
Unternehmen mit
Tradition
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Character
43
Kremer Pigmente – Besonderheiten
aus dem Sortiment
Pfirsichkernschwarz: Auf Wunsch eines Künstlers, der etwas über ein seltenes
Schwarz gelesen hatte, begann Georg Kremer mit getrockneten Pfirsichkernen
zu experimentieren. Anfangs mussten die Angestellten die Pfirsiche essen, damit
ihr Chef an die Kerne kam. Mittlerweile gehört die Farbe zum beständigen
Sortiment – die Kerne bezieht Kremer von einem Pfirsichspezialisten.
Fra Angelico Blau: Mit 200 Euro für 10 Gramm gehört Kremers Fra Angelico
Blau (Ultramarin) aus Lapislazuli zu den teuersten Pigmenten der Welt.
Dürer musste es einst mit Gold aufwiegen, sagt man. Der Edelstein für die Herstellung wird in Afghanistan gewonnen. Die dort lebenden Tadschiken handeln
mit ihm, um an Geld für Waffen und Medikamente zu kommen.
Handgefertigt:
Die Aquarellfarben von Kremer Pigmente.
Zinnober: Echter Zinnober ist eine rote Modifikation von Quecksilbersulfid
und nur bedingt lichtecht. Deswegen wird der Farbton heutzutage häufig
mit einem alternativen Pigment nachgestellt. Wenn jedoch ein Altarbild des
Renaissance-Malers Matthias Grünewald restauriert werden muss, bestellt der
Restaurator die Farbe in Aichstetten.
Kundensuche per Anschreiben
In dem Flügel der Mühle, der in Goldocker
gestrichen ist, steht Rudolf Fürgut im
Blaumann an einem Tisch und mahlt in
einem Mörser grüne Glaspartikel. Von Hand.
„Wenn sie zu gleichmäßig sind, verlieren sie
die Brillanz“, sagt er. 40 Angestellte arbeiten
in Herstellung, Versand, Lager, Büro und
Einkauf. Die meisten kommen aus dem Umland und mussten deswegen nicht von den
Vorteilen des Standorts überzeugt werden.
Auch für Georg Kremer lagen diese auf der
Hand: Arbeit und Familie lassen sich hier
gut vereinbaren. 1984 erwarb die Familie
die von Wiesen und alten Bäumen umgebene
Mühle. Es folgten aufwendige Renovierungsarbeiten. Seitdem bewohnt Kremer
mit seiner Frau und den Kindern einen Teil
des Firmensitzes. Hinter der Mühle fließt
die Aitrach vorbei und liefert den Strom für
die Produktion. Darüber hinaus bietet der
Standort günstige Lagerflächen. Und es gibt
nur wenige Nachbarn, die sich beschweren
könnten, wenn bei Kremer mal wieder Elfenbeinschwarz gebrannt wird und es in den
Straßen nach geröstetem Elefant riecht.
Obwohl es mittlerweile einen Autobahnanschluss gibt, ist das Dorf immer noch nicht
gut angebunden. Doch das stört den Chemiker
nicht. Sein Ziel ist ohnehin immer der
Versandhandel gewesen, sagt er. In den siebziger Jahren fand er seine Kunden, indem er
in Telefonbüchern blätterte. Kremer schrieb
jeden gelisteten Restaurator und Kunstmaler
an. „Ich verschickte 30 Briefe mit einer
Bestellliste, und es kamen drei Bestellungen
zurück.“ Viele Abnehmer habe er allein
durch Mundpropaganda gewonnen, sagt
Kremer. Später warb er in Kunstmagazinen.
Die Bestellliste im DIN-A-4-Format wurde
mit den Jahren länger. Heute verschickt das
Unternehmen Kataloge mit über 200 Seiten.
Seit 1995 gibt es eine Website, in deren Gestaltung viel Arbeit investiert wurde.
Zwei Jahre auf Suche
nach dem Grün
Die Kunden sind anspruchsvolle Ästheten.
Manche kommen extra nach Aichstetten,
um sich beraten zu lassen. Zweigniederlassungen gibt es nur in München und New
York. Kaufen kann man Kremer Pigmente
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jedoch fast überall auf der Welt, bei Händlern
in Litauen, Australien, Taiwan oder Mexiko.
Und natürlich im Online-Shop. Trotzdem
nimmt sich Georg Kremer weiterhin die Zeit,
um nach Rohstoffen zu suchen, die sonst
niemand hat. Ein bis zwei Monate im Jahr
ist er unterwegs. Sei es, um in Italien eigenhändig nach einer besonderen Veroneser
Grünen Erde zu graben – zwei Jahre hat ihn
die Suche nach dem Vorkommen gekostet –
oder um in Bibliotheken Rezepturen zu
recherchieren. So, wie er einst die Formel für
Smalte gesucht hat. Für die Farbe, die seitdem
nicht nur eine Londoner Kirche und die
Pfeiler am Eingang seiner Mühle schmückt,
sondern seit 2004 auch das Kreuz der
Dresdner Frauenkirche.
Weithin sichtbar. Überirdisch schön.
Text: Jessica Braun
Böhmische Grüne Erde: Nicht nur das Turmkreuz der Dresdner Frauenkirche
wurde mit Pigmenten aus Aichstetten bemalt. Auch das Grün im Inneren der
Kirche hat Georg Kremer geliefert. Es ist eine spezielle Böhmische Grüne Erde,
die dort vermalt wurde. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war dies eine weit
verbreitete Farbe. Mittlerweile sind die Fundorte von guter Qualität selten
geworden. Georg Kremer bezieht seine aus einem militärischen Sperrgebiet in
Tschechien. Woher genau, will er natürlich nicht verraten.
Titanweiß: Für das 6,5 Mio. Euro teure Gemälde, das der Künstler Miquel
Barceló im „Saal der Menschenrechte“ des Palais des Nations in Genf an der
Decke anbrachte, mussten die Mitarbeiter in Aichstetten die Produktion
gehörig ankurbeln. Viele Pigmente, darunter das Titanweiß, wurden tonnenweise bestellt. Mit Druckpistolen brachte der Künstler die Farben auf künstlich
geformten Zapfen an. Die fertig bemalte Decke ähnelt einer Tropfsteinhöhle
in allen denkbaren Schattierungen.
Ausgabe 3 / 2 014
Zukunft
12 Dinge,
die man tun sollte
44
12 dinge, die man tun sollte
Von guten Weinen
und der Schönheit
der UnterwasserWelt
Schon Goethe wusste, dass das Leben viel zu kurz ist, um schlechten Wein zu trinken.
An diese Devise hält sich auch Winzer Roman Niewodniczanski. Aber nicht nur
große Weine und andere schöne Dinge des Lebens begeistern ihn, er lässt sich auch
leidenschaftlich gerne beim Rennradeln den Fahrtwind um die Ohren pfeifen.
Das hilft beim Abschalten. Wie auch noch andere Dinge, die man im Leben keineswegs versäumen sollte, findet Roman Niewodniczanski.
12 Dinge, die man tun sollte
1.
Laut lachen
5.Sich tagtäglich bewusst
an den schönen Dingen
des Lebens erfreuen
9.
Beim Denken und
6.
Freunde trotz aller
10.Mit dem HeiSSluft-
Handeln ausgetretene
Pfade verlassen
2.
Mit dem Rennrad bei
Rückenwind in der
Abendsonne von
Havanna den Malecón
entlangsausen
Verpflichtungen nicht
vernachlässigen
ballon die wunderschöne Moselregion
erleben
3.Unter der Dusche
mit aller Inbrunst
singen
7.
Mal das Handy
ausschalten
11.
Mehr Zeit mit der
Familie verbringen
8.
Unter dem Meeres-
4.
Sich von schlechtem
Essen und miesen
Weinen fernhalten
spiegel die unendliche
Schönheit der Schöpfung bewundern
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12.Die Kostbarkeit eines
100 Jahre alten Weines
erleben
Character
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Ausgabe 3 / 2 014
Zukunft
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Für morgen
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Für Morgen
Das ganz
groSSe Kopfkino
Design der Zukunft
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, im Heute Produkte zu gestalten, die in der
Zukunft die Menschen begeistern und prägend für ihr Leben sein werden. Bereits Jahre im
Voraus müssen sie Antworten auf die Frage finden, was die Menschen zukünftig bewegt und
welche Produkte Zugang in ihr Leben finden werden. Das ist eine spannende Aufgabe. Doch
Unternehmer sollten sie nicht allein den Marktforschern überlassen.
Ein Gastbeitrag von Professor Thomas Gerlach
Formschön gestaltete Gegenstände bereichern
unser Leben. Wir haben Freude, sie zu betrachten, haptisch zu erleben, sie anzuwenden
und uns damit zu zeigen. Doch warum ist
das so? Mit dieser Frage beschäftigen wir
uns meist nicht. Etwas gefällt, und wir
genießen die schönen Gefühle, die wir dabei
erleben. Erfolgreiche Unternehmen treiben
die Antworten auf diese Frage jedoch an.
Denn sie sind entscheidend für das Design
der Zukunft – und damit letztlich für ihren
Erfolg.
Das Design beschäftigt sich mit diesen
Fragen. Ich bin davon überzeugt: Die Antworten sind die inneren Bilder, die schon
beim ersten Kontakt mit einem Produkt
in uns entstehen und die wir mit eigenen
Wünschen und Sehnsüchten abgleichen.
Ohne unser bewusstes Zutun visualisieren
wir Antworten auf die Frage: „Wie fühle
ich mich mit dem Produkt?“, „Wie wirke ich
damit auf andere?“ Unser Gehirn produziert
vielfältige und bunte Szenen, mit denen wir
unsere eigene Erlebniswelt gestalten. Wir
führen quasi unbewusst Regie über das
zukünftige Leben mit diesem Produkt: Der
Dreh für das ganz große Kopfkino beginnt.
Ob Menschen sich zum Kauf eines Produktes
entschließen, hängt natürlich entscheidend
davon ab, welche Bilder das Produkt in ihnen
entfesselt. Nur wenn sie sich vorstellen können,
damit ihre Träume und Hoffnungen zu erfüllen,
werden sie bereit sein, Geld dafür anzulegen.
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Marktforschung
und Big Data können
die inneren Vorstellungsbilder der
Menschen nicht entschlüsseln. Unternehmen sollten sich
ihnen vielmehr über
eine „kreative
Analyse“ nähern.
Um ein erfolgreiches Produkt zu gestalten,
würde sich so mancher Unternehmer gerne
einer magischen Glaskugel bedienen, die ihm
die Zukunft abbildet. Das wäre ein echter Wettbewerbsvorteil. Da es diese Glaskugel nicht
gibt, investieren Unternehmen heute immense
Summen in wissenschaftliche Marktforschung
und das Sammeln großer Datenmengen.
Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen
wir jedoch, dass die Aussagekraft von „Big
Data“ meist überschätzt wird. Dabei lügen
weder die Daten noch die Kunden. Aber
die Daten erfassen eben nur das, was ist,
und nicht das, was sein wird. Und die
Kunden selbst? Sie sind sich der Motive ihres
Handelns meist nicht bewusst. Wie sollten
sie dann darüber Auskunft geben? Folglich
bildet „Big Data“ nur die Gegenwart ab.
Zukunft und Inspiration können Unternehmen davon nicht erwarten.
Wer erfolgreiche Produkte der Zukunft
gestalten will, geht besser hinaus in die Welt,
in die Zentren und Läden großer Innenstädte.
Er geht shoppen und beobachtet die Menschen
beim Einkauf. Er sollte sich nicht primär
dafür interessieren, was die Menschen kaufen,
sondern wie sie dies tun. Er sollte versuchen,
die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen
zu entdecken und das Kopfkino beim Betrachten der Produkte zu sehen. Dieses Vorgehen
ist recht archaisch: Erspüren. Wahrnehmen.
Erforschen. Nennen wir es „Kreative Analyse“.
Es erfordert empfindliche Antennen, die wahrnehmen, was da draußen los ist.
In der Geschäftswelt ist es nicht üblich, über
Gefühle zu sprechen. Die meisten Manager
trauen sich das nicht. Doch nur mit rationalen
Argumenten werden wir uns den Produkten
der Zukunft nicht nähern. Immer offensichtlicher wird, dass Erfolg nicht allein über den
Qualitätsaspekt entschieden wird. Die
Qualität der Produkte wird immer wertiger,
gleichzeitig werden sich die Produkte immer
ähnlicher. Eine Auswahl wird nur noch über
den Preis oder aber die Wirkungsfrage – das
Kopfkino – entschieden.
Zukunft
48
Das Design der
Zukunft ist nicht
beliebig, es entsteht
in einem definierten
Raum. Unternehmen
sollten bei sich bleiben und nicht jedem
Trend folgen.
Für morgen
Character
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49
Der Preis ist jedoch selten ein echter Wettbewerbsvorteil, denn meist findet sich in
kürzester Zeit jemand, der das Produkt noch
billiger herstellen und anbieten kann.
Vorstellungsbilder erreichen. Und letztlich
muss das Produkt auch zu den industriellen
Möglichkeiten oder dem Handwerk des
Unternehmens passen.
Und nicht zuletzt: In unseren entwickelten
Ländern haben die Menschen alles. Sie
brauchen nichts mehr. Sie werden deshalb
nur noch Dinge kaufen, mit denen sie etwas
Besonderes zum Ausdruck bringen können,
von denen sie erwarten, dass es sie verändert,
weiterentwickelt und ihr Leben „würzt“.
Die Zukunft wird im Konzert der unterschiedlichsten Produkte gestaltet. Das
Unternehmen muss sich deshalb vorstellen,
wie es mit einem neuen Produkt am Markt,
bei seinen Händlern und Kunden wirkt. Jedes
neue Produkt verändert auch die Marke. Es
gilt zu fragen: Will man diese Veränderung?
Passt das zu uns? Ein Unternehmen sollte
dabei konsequent bei sich bleiben und nicht
jedem Trend folgen. Es kann auch die bessere
Entscheidung sein, manches anderen zu
überlassen.
Für Unternehmen ist die Königsdisziplin, mit
der sie diese unterbewussten Erwartungen
ihrer Kunden erfüllen können, das Design.
Dem Design kommt die Aufgabe zu, die Wirkungs- und Haltungsfragen auf ein Produkt
zu projizieren und ihnen durch Form, Materie und Farbe Ausdruck zu verleihen. Der
Raum, in dem diese Projektion stattfinden
kann, ist definiert durch den „genetischen
Code“ einer Marke und eines Unternehmens.
Das Design muss adäquat darstellen, was
den Kern der Marke, des Produkts und des
Unternehmens ausmacht. Denn nur wenn
ein Unternehmen aus seiner eigenen Identität
heraus agiert, kann es auch seine Kunden
auf einer emotionalen Dimension über innere
Und wie sehen nun die Produkte der Zukunft
aus? Welche inneren Bilder der Menschen
sollte das Design der Zukunft beantworten?
Authentizität: Menschen streben nach
einer positiven Ausstrahlung. Neben der
Geltung nach außen – Wie wirke ich damit? –
wird auch die innere Erbauung eine immer
größere Rolle spielen: Wie fühle ich mich mit
dem Produkt? Entspricht es meinen Werten?
Bringt es mich weiter?
Interaktion: Menschen wollen sich in der
Gemeinschaft erfahren. Die Möglichkeit des
Miteinanders ist ein Schlüsselfaktor.
Das Echte: Nachahmer haben keine wirkliche Chance. Gesucht wird das Stilvolle,
Eindeutige, das Wertige und nicht zuletzt:
das Neue.
Zudem müssen wir erkennen, dass es den
großen „Supervernunftsschwenk“ beim Verbraucher noch nicht gibt. Wie sonst ist es zu
erklären, dass die Elektromobilität mit hohen
Subventionen zu den einzelnen Verbrauchern
getragen wird und dennoch der „mündige“
Kunde genau das Gegenteil davon macht: Er
fährt in Scharen im SUV mit Allrad durch
unsere Innenstädte. Dies zeigt, dass neue
Produktkonzepte durch ihre ganzheitliche
Ausstrahlung nicht zwingend das erwünschte
Kopfkino auslösen können. Der Schlüssel ist
vielmehr die bessere emotionale Wirkung
und Aufladung: Nur wenn sich die Benutzer
gut fühlen und gemäß ihrem Selbstbild auf
andere wirken, stellt sich langfristiger Erfolg
für nachhaltige Produkte ein. Das Design der
Zukunft muss diese Aufgabe erfüllen.
Professor Thomas Gerlach sieht seine Aufgabe als Designer seit mehr als drei Jahrzehnten darin, mit der Gestaltung von Marken und Produkten die Vorstellungsbilder der Kunden mit denen der Unternehmen in Einklang zu bringen. Seine
Karriere begann er als Chefdesigner, Geschäftsführer und Europapräsident von
frogdesign, das durch die Arbeiten für Apple, Sony und viele andere internationale
Konzerne Weltgeltung erlangte. 1992 wurde er Unternehmer und beriet bisher mit
via4 Design Unternehmen wie Acer, Deutsche Bank, Fissler, Hewlett Packard,
Mercedes-Benz, Samsung, Swarovski oder Villeroy & Boch. Darüber hinaus entwickelt und realisiert er eigene Unternehmenskonzepte. 2004 bekam er einen Ruf
an die Hochschule Pforzheim, wo er den international anerkannten Studiengang
Master of Arts in Creative Direction MACD aufbaute und bis heute leitet.
Professor Thomas Gerlach ist mit mehr als 70 Design- und Innovationspreisen
vielfach international ausgezeichnet.
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Gegenwart
Unterbewertet
50
Character
51
Ausgabe 3 / 2 014
unterbewertet
Mannheim
„Klein-Istanbul“ in
der Kurpfalz
Popakademie
Baden-Württemberg
GmbH
Hafenstr. 33
68159 Mannheim
Tel. 06 21/ 53 39 72 00
www.popakademie.de
Wo Neckar und Rhein sich küssen, liegt Mannheim. Die Industriestadt
zeigt ihren Charme erst auf den zweiten Blick: mit spannenden Museen,
Bädern und dem aufstrebenden Szenestadtteil Jungbusch.
Mannheim? Na klar, der Bahnhof! Egal ob
von Basel nach Berlin, von Stuttgart nach
Köln oder von Karlsruhe nach Hamburg –
Mannheim ist immer dabei. Im Vergleich
zu dem nur 20 Kilometer entfernten, von
Touristen überlaufenen Heidelberg zieht die
Industriestadt jedoch bislang wenig Privatreisende an. Ein Fehler, der sich beim nächsten
Umsteigen korrigieren lässt.
Gleich außerhalb des Bahnhofs rechts erhält
man bei der Tourist Info einen kostenlosen
Stadtplan. Inmitten der Architektur der
1960er und 1970er Jahre wirkt Mannheim
zunächst wenig einladend, eine Dönerbude
reiht sich an die andere, dazwischen Billigbäcker, die von Laufkundschaft profitieren.
Nur Insider stoppen auf der linken Straßenseite bei „Tokyo Sushi“ in L14, laut Einheimischen nicht nur das beste Sushi-Restaurant
der Stadt, sondern der ganzen Region.
L14? Die erste wichtige Lektion: Mannheims
gesamte Innenstadt verfügt über keine Straßennamen, sondern teilt sich recht pragmatisch in mit Buchstaben und Zahlen benannte
Quadrate auf. Der Besucher nehme sich die
zwei Minuten Zeit, schaue auf den Stadtplan,
mache sich kurz die Logik klar und wird sich
zurechtfinden.
Es gibt sie natürlich, die klassischen
Sehenswürdigkeiten: Vom Bahnhof aus
führt der stark befahrene Kaiserring zum
Wasserturm auf dem Friedrichsplatz, der
mit Wasserspielen und Rasen eine grüne
Oase inmitten doppelspuriger Straßen bildet.
Dort, direkt vor dem Kongresszentrum
Rosengarten, wirkt Mannheim mondän.
Gleich gegenüber befindet sich die Mannheimer Kunsthalle, die mit spektakulären
Ausstellungen um die Klassische Moderne
punktet. Inmitten der Quadrate liegen die
Reiss-Engelhorn-Museen, die mit ihren
historischen Ausstellungen Besucherströme
anlocken.
Mindestens genauso spannend sind für
Entdeckerseelen jedoch Orte wie das 1920
eröffnete Herschelbad in U3, einem von
dem gleichnamigen jüdischen Kaufmann
finanzierten Hallenbad, das frisch renoviert
nicht nur Sauna- und Schwimm-, sondern
auch Jugendstilfans anlockt. Im Sommer
lohnt sich die Abkühlung im Strandbad
Neckarau. Der Eintritt ist frei. Wer mag,
kann sich mit Neckarblick im Restaurant
„Strandbad“ stärken.
Wer von Mannheims Marktplatz in Richtung Nordwesten geht, taucht in eine andere
Welt ein. Hier beginnt „Klein-Istanbul“,
geprägt durch Geschäfte mit Goldschmuck,
der Hochzeitswährung Nummer eins,
Brautkleid-Studios und Moscheen in
Hinterhöfen. Das Stadtbild wirkt verändert,
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Höhe: 97 m ü. NN
Fläche: 144,96 km²
Einwohner: 294.627
(31.12.2012)
Bevölkerungsdichte:
2.033 Einwohner je km²
Kfz-Kennzeichen: MA
es kommt Kreuzberg-Atmosphäre auf. Hier
ist Mannheim Berlin im Miniformat, mit
knapp zehn Prozent der Einwohner.
Mannheims derzeit spannendstes Viertel
Jungbusch liegt dazu in direkter Nachbarschaft am Verbindungskanal zwischen
Neckar und Rhein. Das Arbeiterviertel ist
nicht nur Heimat Deutschlands einziger
Pop-Akademie und des dazu passenden
„Musik-Parks“, der Existenzgründern aus
der Kreativwirtschaft günstige Büroräume
bietet, sondern hat sich zum coolen Ausgehstadtteil mit Multikulti-Flair gewandelt. In
der Jungbuschstraße verströmen Kneipen mit
Namen wie „Onkel Otto Bar“, „Nelson“ und
„Kiets König“ St.-Pauli-Atmosphäre. In den
vergangenen zwei Jahren haben dort viele
neue Bars und Restaurants wie die Cocktailbar „Hagestolz“ oder das vegan-vegetarische
Restaurant „Kombüse“ eröffnet.
Wenige Meter neben der Popakademie
entstehen derzeit 90 „Wohn- und Geschäftseinheiten“, die als Lofts für 3.000 Euro je
Quadratmeter vermarktet werden. Direkt
gegenüber befinden sich noch alte Fabrikgebäude mit zersprungenen Fensterscheiben –
sie werden wohl nicht mehr lange existieren:
Die Veredelung, neudeutsch Gentrifizierung,
des Jungbusch hat begonnen.
Bundesland:
Baden-Württemberg
Text: Geraldine Friedrich
Gemeinschaftszentrum
Jungbusch
Jungbuschstr. 19
68159 Mannheim
Tel. 06 21/1 49 48
www.jungbuschzentrum.de
Strandbad
MannheimNeckarau
Strandbadweg 1
68199 Mannheim
Tel. 06 21/ 80 39 65 98
www.strandbad-mannheim.com
Musikpark
Mannheim
Tokyo-Sushi-Bar
L 14 11
68161 Mannheim
Tel. 06 21/ 3 97 28 09
Hafenstraße 49
68159 Mannheim
Tel. 06 21/ 39 74 69 42
www.musikpark-mannheim.de
Friedrichsplatz Mannheim
mit Wasserturm und Rosengarten
www.tokyo-sushi-bar.de
Tradition
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Panorama
Character
53
Panorama
„Noch’n Drink?“
Wohlfühloase der Businessclass, Ort der Selbstfindung, Bühne der
Sehnsucht: die klassische American Bar. Ihr Zauber, ihr Mythos.
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Schumann’s
Das Schumann’s am Münchner
Odeonsplatz wurde 1982 eröffnet und
entwickelte sich zum Treffpunkt von Autoren,
Künstlern – und der Schickeria. Gründer
Charles Schumann entwickelte zwei eigene
Serien von Bargläsern und zahlreiche
Cocktails wie den „Swimmingpool“ oder den
„French 68“.
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Funicular
Die Funicular Lounge Bar befindet sich
im Funicular Restaurant Complex in der
georgischen Hauptstadt Tiflis. Die Bar, die
sich höhenmäßig über allen anderen Bars
der Stadt befindet, bietet den Besuchern ein
besonderes Dekor: ein Fresco des Künstlers
Koka Ignatov aus den 1960ern namens
„Tribute to Pirosmani“.
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Panorama
Character
Links / rechts: Interior design by designLSM
Tradition
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Waterhouse
Die Waterhouse Bar & Terrace im Hilton
Brighton Metropole Hotel lädt die Gäste
zum Verweilen in komfortablen Sitzecken,
auf der Champagner- und Zigarren-Terrasse
oder direkt an der Bar. Neben einer Reihe
von Getränken wie dem unverkennbaren
Earl Grey Martini werden dort Meeresfrüchte
oder Scones mit Marmelade und Sahne
serviert.
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56
Panorama
Character
57
Die Bar –
Schule der
Einsamkeit.
Luis Bunuel
Red Dog Saloon
Der Red Dog Saloon versprüht uramerikanisches Flair mitten in London. So wird das
Barbecue dort zubereitet wie einst über
den Feuerstellen im Süden der USA, wobei
amerikanische Hölzer wie Hickory und Mesquite für den original rauchigen Geschmack
verwendet werden.
Interior design by designLSM
Tradition
Hagestolz
Die Hagestolz Bar in Mannheim wurde
erst im Jahr 2012 von drei Studenten mit
privatem Kapital gegründet. Die Jungunternehmer mixen ihre Getränke aber auf
einem zweckentfremdeten Verkaufstresen
von 1890. Der Begriff Hagestolz stammt
aus dem Mittelalter und bezeichnet einen
überzeugten Junggesellen.
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58
Panorama
Character
„Der Mensch“, sagt Woody Allen, „lebt
nicht vom Brot allein. Nach einer Weile
braucht er einen Drink.“ Zum Beispiel nach
Feierabend. Also: ab nach Hause! Und
dort? Post vom Finanzamt, Rechnungen im
Briefkasten, der Kühlschrank leer und die
Haushaltshilfe hat die Hemden verwaschen …
Aber auch wenn man kein Single ist, muss
es nicht immer lustig sein, nach Hause zu
kommen. Die Ehefrau ist vielleicht übel
gelaunt, weil der Gärtner nicht kam, die
schlechten Schulnoten der Kinder müssen
besprochen werden und der DVD-Player
hat den Geist aufgegeben. Alltag! Probleme!
Zeit also, einen Umweg zu machen. Zeit,
dorthin zu gehen, wo man ebenfalls zu
Hause ist, aber wo keine Probleme warten:
in eine Bar.
Die Bar als Ort der Inspiration
und des MüSSiggangs
Man muss dem
Leben immer um
mindestens einen
Whiskey voraus sein.
Bei Gimlets, Slings, Margaritas oder nur
beim ersten Bier des Abends gleitet man
hier hinüber vom Stress des Tages in die
Trägheit des Abends. Für viele sind diese
ersten Stunden in einer noch fast leeren Bar
die schönsten. Es ist die Zeit der „Happy
Hour“, die Zeit, den Tag Revue passieren zu
lassen, das Tempo aus sich selbst und der
Welt herauszunehmen.
Humphrey Bogart
Red Dog Saloon
www.bethmannbank.de
Interior design by designLSM
Tradition
In der Bar ist der Mensch zwar nicht daheim – aber doch irgendwie zu Hause. Hier
triumphieren Inspiration, Müßiggang und
die subtilen Spielarten der Kommunikation.
Alle Bars sind notwendige Höhlen in Großstädten, letzte tröstliche Refugien. Und auch
das verschlafenste Provinznest wird durch
die Existenz einer Hotelbar aufgewertet.
Für die einen ist die Bar ein Hort der kultivierten Einsamkeit, für die anderen eine
Bühne der kalkulierten Selbstdarstellung.
Immer gilt: Die Bar, lichtscheu wie sie ist,
lässt Hektik und Stress, Tempo und Härte
in Dämmerlicht und Dunkelheit versinken.
Leise klirren Gläser, Gesprächsfetzen vermischen sich und Errol-Garner- oder MilesDavis-Melodien driften schwerelos durch
den Raum.
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Die Bar ist eine Erfindung der angelsächsischen Kultur. Deshalb ihr Name: Ein Bar,
das sind im Englischen 110 Zentimeter –
und so hoch ist eine Bartheke. Und weil die
Bar in Amerika die kultiviertesten Blüten
trieb, etablierte sie sich als „American
Bar“. Da fällt einem Edward Hoppers Bild
„Nighthawks“ ein. Die Ikone aller Barbilder
erzählt von der Sehnsucht, die an diesem
Ort herrscht, und von der Möglichkeit, hier
gemeinsam einsam zu sein. Die Bar als kultivierte Bühne einsamer Menschen männlichen Geschlechts? Falsch! Nicht nur auf
Hoppers Bild von 1942 sitzt auch eine Frau
am Tresen. Längst haben Businessfrauen,
Wirtschaftslenkerinnen und Alphawölfinnen in einer American Bar nach Feierabend
das intensive Gespräch mit ihrer Freundin
entdeckt – und das dreht sich bei einem
Cocktail oder Glas Champagner meist nicht
um DAX oder Dolce.
Die berühmteste Bar gibt es nur im Film:
„Ricks Café Americaine“ in „Casablanca“.
Sie ist Archetyp, Quintessenz aller Bars.
Aber nicht nur in den Gralsstätten des
gepflegten Trinkens, in der „Oak Bar“ des
Plaza-Hotels in New York, in „Harry’s
New York Bar“ in Paris, im Münchner
„Schumann’s“ oder der winzigen „LoosBar“ in Wien werden die besten Drehbücher
des realen Lebens geschrieben. Auch alle anderen kleinen und großen, gestylten oder designten, berühmten oder unbekannten Bars
bieten die perfekte Bühne für jenes Kammerspiel, das Leben heißt. Warum? Weil der
Mensch sich hier selbst näher ist; weil er
sich in dieser Atmosphäre aus Gelassenheit
und Ruhe in seine Seele blicken lässt.
Die Bar: Traumhölle –
GroSSstadthöhle
Ob Hotelbars, 24-Stunden-Flughafen-Bars,
Cafébars, Strandbars, Schneebars oder
die komfortabler möblierten Lounges und
Clubs: Dieser Bereich der Gastronomie,
in dem – außer Oliven und Erdnüssen –
ausschließlich Flüssiges konsumiert werden
sollte, boomt. Hocker, Theke und ein Drink,
Ausgabe 3 / 2 014
das ist ein Minimalismus mit Zukunft.
Der Grund: Es ist in den kalten Zeiten
der Mensch auf der Suche nach Leben.
Auf dieser Suche gründet sich die Bar und
machte sie zum zeitweiligen Hauptwohnsitz
von Intellektuellen und Dichtern. James
Joyce trieb es hierher, Luis Bunuel beschrieb
seine Idealbar als „Schule der Einsamkeit“.
Sie müsse „ruhig sein, möglichst düster
und sehr bequem“, behauptete Ernest
Hemingway. In dieser „Traumhölle“, so
Heiner Müller, werden das Herz leicht
und die Gedanken frei. Melancholie lässt
sich hier inszenieren. In der holzgetäfelten
Bar mit dunklen Ledersesseln verdrängt
Weltschmerz den hippen Szenescherz, der
heute E-Commerce-Gambler, Net-Surfer,
Web-Designer und Art-Direktoren ebenso
wie Ärzte, Anwälte, Journalisten, Models
und Künstler in die „angesagteste Szene“Bar treibt. Deren Aura verhält sich zur
American Bar wie ein Smart zum Bentley.
Und doch geht es auch hier wieder um das
eine: um Kommunikation am Tresen. Verbal,
nonverbal, völlig egal!
Der ideale Barmann ist
Entertainer, Beichtvater
und Philosoph in einem
Das Zentrum der Bar und der Konversation – auch wenn Lounge und Club mit
Polstersesseln dagegen aufbegehren – bleibt
die Theke. Klassisch aus Mahagoni und
poliertem Messing, modern aus gehärtetem
Glas und kühlem Edelstahl. Manchmal
ist sie poppig gelb zur Aerodynamik
geformt wie bei Marc Newsons „Pod Bar“
in Tokio oder sie schmiegt sich weich in
einen Raum wie jene, von Philippe Starck
gestylte „Felix“-Bar im 28. Stock des Hotels
Peninsula in Hongkong. Immer aber bildet
der Bartresen eine Grenze! Hinter dieser
Grenze ist „sein“ Platz: Der Platz des in
makellosem Weiß uniformierten Barkeepers,
der mit silbern glänzenden Instrumenten
darauf wartet, den modernen Menschen zu
verarzten.
Panorama
60
Good Godfrey’s
Die Good Godfrey’s Bar and Lounge im
Waldorf Hilton im Londoner Covent Garden
trägt den Namen von Bandleader Howard
Godfrey, der mit den „Waldorfians“ große
Erfolge in den 1920ern feierte.
Zum Barmann muss man geboren sein! Ein
typischer Barmann ist Entertainer, Beichtvater und Philosoph in einem. Er hat die ruhige
Hand eines Chirurgen beim Griff nach
Flaschen und Gläsern. Diskretion, Perfektion,
Humor und Small Talk mit einer Portion
Tiefgang beherrscht er perfekt. Und nie
verliert er die Nerven! Auch nicht, wenn ein
Gast ihm – wie James Bond – alchemistische
Anweisungen gibt: „Ausgezeichnet“, sagt 007,
„aber wenn Sie dazu einen Wodka nehmen,
der nicht aus Kartoffeln, sondern aus Getreide hergestellt ist, werden Sie merken, dass er
noch besser schmeckt.“ Ein guter Barmann
drängt sich nicht auf; und nur Stammgäste
dürfen „ihn“ beim Vornamen nennen. Viele
Gäste beginnen mit ihm ein Gespräch über
Drinks, und am Ende kommt immer ein
Gespräch über Menschen heraus. Nicht nur
im Wein, auch im Drink liegt Wahrheit.
Apropos Wahrheit: Die American Bar ist
kein Ort der Prostitution oder des Exhibitio-
nismus. Deshalb muss der Barkeeper aufpassen, sonst wird er schnell zum Therapeuten
ohne Kassenzulassung. Fragt man einen
der berühmtesten Barmänner der Republik,
Charles Schumann in München, zu dem
Problem gesuchter und gewollter Nähe, gibt’s
eine klare Antwort: „Wenn Sie einem Gast
nur einmal das Gefühl geben, dass Sie sein
Beichtvater sind, werden Sie es ihr Leben lang
sein. Sie müssen Ihre Gäste zu Respekt und
Distanz erziehen, sonst werden Sie zum Sklaven. Entsetzlich sind diese Verbrüderungstypen. Diese Art von peinlicher Kameraderie
gehört in die Eckkneipe.“ Stimmt!
Und Cocktails bedeuten die hohe Kunst
des Mixens; wobei in der American Bar die
Kreationen des Barkeepers immer auf der
Basis harter Stoffe wie Scotch oder BourbonWhiskey, Gin oder Wodka kreiert werden.
Süßliche, grell farbige Crocodile Dundees,
Planter Punchs und Caipirinhas gehören eher
in vom Lifestyle angetrunkene Design- und
Szenebars. Passionierte Barflies greifen
ohnehin zu Klassikern: Cocktails nach klassischer Rezeptur, Martini, Malt-Whisky, Pils,
Champagner, basta! Sich mit solchen Drinks
in sich selbst zurückzuziehen und langsam
bei sich anzukommen, das ist es, was jene
Stunden in einer Bar so wertvoll macht.
Zauberwort: Cocktail
Und noch etwas unterscheidet die Bar von
den schnöden Nasszellen des Alkoholkonsums: „Barflies“ wissen genau, wann sie
den Abflug machen, denn nie sollte es hier
Ziel sein, den Promille-Gipfel zu erklimmen.
Deshalb heißt das Zauberwort „Cocktail“.
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Character
Links / rechts: Interior design by designLSM
Tradition
Der Barbesuch als Selbstfindung! Er wärmt
selbst coole Businessmen – von innen. Oder,
wie Billy Wilder behauptet: „Egal wie das
Wetter ist: Raus aus den nassen Klamotten
und rein in ’nen trockenen Martini.“
Text: Pascal Morché
61
Eine Bar muss ruhig
sein, möglichst
Düster und sehr
bequem.
Ernest Hemingway
Downstairs at Harrison’s
Das Downstairs at Harrison’s ist eine neue
Cocktailbar und Teil eines Restaurants
in Balham im Süden von London. Die
Gestaltung ist inspiriert von New Yorker
Untergrundbars und soll mit den Ledersitzen
und der Verwendung dunkler Hölzer an Bars
längst vergangener Tage erinnern.
Ausgabe 3 / 2 014
Gegenwart
HERAUSGEBER
Fotos
Bethmann Bank AG
Bethmannstraße 7–9
60311 Frankfurt am Main
www.bethmannbank.de
S. 6 –17
Feedback zum Heft:
[email protected]
Impressum
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Character
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Ausgabe 3 / 2 014
Autoren
Dieser Ausgabe
Character im Porträt
Marc Krause
S. 20 – 23 Unternehmen der Zukunft
Marc Krause
Jessica Braun, Dagmar Deckstein,
Geraldine Friedrich, Prof. Thomas Gerlach,
Christoph Koch, Pascal Morchè,
Frank Paschen, Stefan Weber
S. 24 – 25 Perspektivenwechsel
Daniel Zihlmann
druck
redaktion
Frank Elsner Kommunikation
für Unternehmen GmbH
Kirchstraße 15a
49492 Westerkappeln
[email protected]
Presserechtlich
verantwortlich
Jens Heinen
Bethmann Bank AG
Bethmannstraße 7–9
60311 Frankfurt am Main
www.bethmannbank.de
Design
S. 34 – 35 Einplanen
Nachweise auf der Seite
S. 38 – 43
S. 39
Unternehmen mit Tradition
Kremer Pigmente GmbH
& Co. KG
Jessica Braun
S. 46 – 49
S. 46 – 48
S. 48
S. 49
Für morgen
Fissler
Foto Pfleiderer GmbH
Foto Jaschke
S. 50 – 51 Unterbewertet
Best Blue Mode GmbH
S. 52 – 61
Panorama
DesignLSM
Schumann’s Bar
Hagestolz Bar
Hinckel-Druck GmbH
Obere Grüben 14
97877 Wertheim am Main
www.hinckel.de
papier
Der Umschlag des Magazins Character
wurde auf dem ökologischen Feinstpapier
Bagasse, die Inhaltsseiten auf
Munken Pure (FSC-zertifiziert) gedruckt.
Gibt das Leben dir
eine Zitrone, frag nach
Salz und
Tequila.
Sonstige:
Getty Images, Shutterstock, iStock
Biedermann und Brandstift
Creative Services GmbH, Frankfurt am Main
www.biedermannundbrandstift.com
Unbekannt
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