Den Presseartikel der Schwäbischen Zeitung vom 24.04.2015

Freitag, 24. April 2015
Schwäbische Zeitung
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Weniger Menschen fahren
mit dem Bus
Wegen der günstigen Benzinpreise steigen Pendler in
der Region vermehrt ins Auto ein
Von Annette Vincenz
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RAVENSBURG - „Die fetten Jahre im
Razzia am frühen Morgen: Die Polizei fand am Donnerstag in der Asylbewerberunterkunft an der Ravensburger Schützenstraße Drogen.
FOTO: FELIX KÄSTLE
Drogen in Asylbewerberheimen gefunden
Polizei entdeckt bei Razzia auch Diebesgut – Betreuerin spricht von brachialen Methoden
Von Annette Vincenz
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RAVENSBURG - Bei Razzien in den
Ravensburger Asylbewerberheimen
an der Schützenstraße und der Florianstraße hat die Polizei am Donnerstagmorgen Drogen gefunden. Acht
junge Männer stehen unter dringendem Tatverdacht, einer davon wurde
inhaftiert. Laut Betreuerin Barbara
Missalek vom Arbeitskreis Asyl seien die Beamten sehr brachial vorgegangen.
Polizei-Pressesprecher Markus
Sauter bestätigte die Drogenrazzia
auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir hatten einen Durchsuchungsbefehl von der Staatsanwaltschaft.“ Diese ermittelt laut Pressesprecher Karl-Josef Diehl bereits seit
Dezember 2014 gegen die Männer im
Alter von 21 bis 37 Jahren. „Sie sollen
in Ravensburg gewerbsmäßig dealen
und sogar an einen 13-Jährigen Drogen verkauft haben.“ Gefunden wurde Marihuana in schon für den Endverbraucher abgepackten Mengen,
harte Drogen haben die Beamten bei
der Razzia nicht entdeckt. Insgesamt
wurden 47 Männer kontrolliert. „Da
die Asylbewerber ja nicht in Einzelzimmern untergebracht sind, ist die
Zuordnung der Drogen gar nicht so
einfach“, erklärte Diehl, dass auch
viele Unbeteiligte betroffen waren.
Neben den Drogen hätten die Beamten „als Zufallsprodukt“ auch Diebesgut wie Bekleidungsstücke mit
Originaletiketten und original verpacktes Parfum gefunden, weswegen
gesonderte
Ermittlungsverfahren
wegen Verdachts der Hehlerei eingeleitet wurden. Zum Wert der Waren
konnte die Staatsanwaltschaft am
Abend noch keine Angaben machen.
Auf ihren Antrag hin erließ das
Amtsgericht Ravensburg gegen vier
der acht Männer Haftbefehle, drei
durften gegen Auflagen aber wieder
ins Asylbewerberheim. In Untersuchungshaft sitzt jetzt nur der Älteste
der Verdächtigen, ein 37-Jähriger.
heit der Asylbewerber nichts dafür,
dass es einige schwarze Schafe unter
ihnen gebe, die mit Drogen dealen
würden. „Das finden die auch nicht
gut, aber was sollen sie machen?“
Die Polizei dementiert, bei der
Razzia besonders hart vorgegangen
zu sein. „War die Dame selbst dabei?
Na eben“, meint Polizeipressesprecher Sauter. Im Landratsamt wusste
man nichts von der Polizeiaktion.
„Das war mit uns nicht abgestimmt,
aber das ist ja auch nachvollziehbar“,
sagte Pressesprecher Franz Hirth.
Neben den Asylbewerberheimen
in Ravensburg wurde auch eine Unterkunft in Leutkirch durchsucht,
dort hat die Polizei ebenfalls Marihuana gefunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt dort gegen vier Bewohner im Alter von 20, 24, 26 und 33
Jahren wegen des Verdachts auf Drogenhandel oder -besitz.
Vorwürfe gegen Polizei
Ist die Polizei unnötig martialisch
vorgegangen bei der Razzia? Diese
Auffassung vertritt Barbara Missalek, deren Schützlinge sie über die
Aktion informiert haben. 30 bis 40
Beamte sollen „in schwarzen Kampfanzügen“ eingedrungen sein und
sich nicht lange mit dem Klopfen an
Türen aufgehalten haben. „Sie haben
die Türen einfach eingetreten, und
das, obwohl viele Flüchtlinge traumatisiert sind, weil sie aus Kriegsgebieten kommen“, wirft Missalek der
Polizei mangelnde Sensibilität vor.
Schließlich könne die große Mehr-
ÖPNV sind vorbei. Wahrscheinlich
steht uns eine Dürreperiode bevor.“
So kommentierte Bernd Hasenfratz,
der stellvertretende Geschäftsführer
des Verkehrsverbunds Bodo, die negative Fahrgastentwicklung im Jahr
2014 im Werksausschuss des Ravensburger Gemeinderates. Erstmals seit
Jahren gingen die Zahlen zurück –
um 2,1 Prozent.
„Nach stetigem Wachstum sind
wir in der Realität angekommen“,
glaubt der Verkehrsexperte. 719 000
Fahrgäste weniger nutzten in den
Kreisen Ravensburg und Bodensee
die Busverbindungen des gemeinsamen Verkehrsverbundes. Zum Teil,
weil die Schülerzahlen wegen der
demografischen Entwicklung zurückgegangen sind. Zum Teil aber
auch, weil Benzin im vergangenen
Jahr vergleichsweise billig war. Dennoch stieg der Gewinn von Bodo um
1,6 Prozent oder 519 000 Euro. Grund
waren die Preiserhöhungen zum Jahresbeginn 2014.
Entmutigen lassen sich die Verantwortlichen in dem Verkehrsbetrieb von den sinkenden Zahlen nach
eigenem Bekunden nicht. Derzeit arbeiten sie an drei großen Projekten:
der länderübergreifenden Integration des bayerischen Landkreises Lindau, einer elektronischen Chipkarte,
die das Lösen von Einzelfahrscheinen überflüssig macht, und einer
„Echt Bodensee Card“, die Touristen
die kostenlose Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ermöglicht. Hasenfratz: „Das wird ein
Leuchtturm im Tourismus.“ Was in
einigen ländlichen Modellgemeinden (Eriskirch und Deggenhausertal) bereits läuft, ist ein Versuch zur
Integration von Elektroautos, die bei
Bedarf über eine App angefordert
werden können und als Anschluss an
Bus und Bahn dienen.
Apropos Bahn: Die BodenseeOberschwabenbahn (BOB, im Volksmund
auch
„Geißbockbahn“)
schrieb im vergangenen Jahr erst-
mals seit 2002/2003 rote Zahlen.
Trotz um 0,5 Prozent leicht gestiegener Fahrgastzahlen in den Nahverkehrszügen zwischen Friedrichshafen und Aulendorf machte die BOB
im abgelaufenen Geschäftsjahr (bis
30. September 2014) 288 000 Euro
Minus. Damit liege das Ergebnis 1,3
Millionen Euro unter Plan, sagte
BOB-Geschäftsführer Manfred Foss.
Hauptgründe für das schlechte Ergebnis seien Rost an Fahrzeugen und
Neubeschaffungen von Triebwagen
gewesen.
Der CDU-Politiker August Schuler fand die Entwicklungen im
ÖPNV „nicht so dramatisch“. „Natürlich werden die Schülerzahlen
leicht abnehmen, aber dann müssen
wir dafür sorgen, dass der Berufsverkehr attraktiver wird.“ Schuler nannte es „sensationell, wenn wir über die
Landesgrenzen hinausgehen, das
würde die Verkehrsinfrastruktur
deutlich verbessern“.
Politiker bleiben gelassen
Maria Weithmann (Grüne) hofft,
dass sich der ÖPNV und die E-Mobilität besser durchsetzen werden. Sie
begrüßt vor allem die Verknüpfung
von beidem, weil gerade ländliche
Gemeinden nicht optimal ans Busnetz angeschlossen seien. Jochen
Fischinger (Freie Wähler) lobte vor
allem das Projekt „Echt Bodensee
Card“ als sinnvolle Tourismusförderung. Roland Dieterich (FDP)
schlug vor, die regionalen Flughäfen
(neben Friedrichshafen auch Memmingen) besser an den ÖPNV anzuschließen.
Unklar ist bislang, welche Auswirkungen die Elektrifizierung der
Südbahn auf die BOB haben wird.
Mit ihren alten Fahrzeugen kann sie
die Strecke dann nicht mehr bedienen und müsste sich im Verbund mit
anderen Verkehrsbetrieben an der
neuen Ausschreibung der Strecke
beteiligen. Trotzdem sei das kein
Grund, sich zu wünschen, dass sich
der Ausbau noch weiter verzögert,
meinte Oberbürgermeister Daniel
Rapp.
Reaktionen: Das Rutenfestabzeichen 2015 zeigt das Haus Seestraße 32: 1933 bis 1945 Parteizentrale der NSDAP
●
Das sagen die Vertreter der Politik
RAVENSBURG (sem) - Darf das ge-
plante Rutenfestabzeichen in diesem
Jahr gefertigt und unter die Leute gebracht werden? Es soll das Gebäude
Seestraße 32 zeigen, gebaut im 19.
Jahrhundert als Bürgervilla, dann
von 1933 bis 1945 NSDAP-Parteizentrale und Sitz von Kreisleiter Rudorf,
einem vehementen Nazi, – und bis
vor Kurzem Sitz der Ravensburger
Bauverwaltung. Kann das Haus als
Vorlage für das Festabzeichen dienen, trotz der belasteten Geschichte?
Die „Schwäbische Zeitung“ hörte
sich bei Ravensburger Kommunalpolitikern um.
Alfred Oswald, Pressesprecher
der Stadtverwaltung: „Es ist gute
Tradition, dass die Rutenfestabzeichen Türme, Tore und markante Gebäude der Stadt zeigen. Das stadtbildprägende Haus Seestraße 32 ist
hierfür in seiner sehr schönen Architektur natürlich geeignet. In den letzten Jahrzehnten war dieses Haus Sitz
der städtischen Bauverwaltung, so
wird es auch von der Bürgerschaft
wahrgenommen. Weil es in der Zeit
des Nationalsozialismus aber auch
als Parteizentrale der NSDAP diente,
hatte
Stadtarchivar
Andreas
Schmauder der Rutenfestkommission empfohlen, dieses Haus nicht als
Grundlage für das Abzeichen zu
wählen. Es war richtig, damit offen
umzugehen und dies zur Sprache zu
bringen. Da aus zeitlichen Gründen
so kurz vor dem Rutenfest aber keine
Änderung mehr möglich ist, ist es
wichtig, deutlich zu machen, dass
dieses Haus und damit auch das Rutenfestabzeichen 2015 gerade nicht
sinnbildlich für diese dunkle Zeit der
Stadtgeschichte stehen soll. Das wis-
●
sen die Ravensburgerinnen und Ravensburger auch.“
Wilfried Krauss, Gemeinderat der
Bürger für Ravensburg und als His-
●
„Dieses Haus nicht
auf die Nazi-Zeit
reduzieren“
August Schuler,
Fraktionsvorsitzender der CDU
toriker engagiert mit der deutschen
Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts befasst, reagiert zurückhaltend. „Das Haus hat schließlich auch
noch eine andere Geschichte vor
1933 und nach 1945. Und es ist ja ein
sehr schönes Gebäude“, sagt der Geschichtslehrer. Er gehe davon aus,
dass bei den Verantwortlichen der
Rutenfestkommission niemand gewusst habe, mit welcher braunen
Vergangenheit das Haus Seestraße
32 belastet ist. Und so sieht Krauss in
der Angelegenheit die Chance, zum
Nachdenken anzuregen und sich mit
der Geschichte Ravensburgs im Nationalsozialismus zu befassen.
● Maria Ballarin, bekannte Ravensburger Altstadtschützerin und einstige SPD-Kommunalpolitikerin, äußert sich ähnlich: „Dieses Haus hat
natürlich Geschichte.“ Und den dunklen Teil könne man natürlich nicht
verschweigen. Wichtig sei es aber, in
der Öffentlichkeit die ganze Geschichte darzustellen, denn zunächst
sei die schöne Villa in der Seestraße
als Bürgerhaus gebaut und zuletzt als
städtisches Bauamt genutzt worden.
Nur weil die NSDAP dort ihren Sitz
hatte, sollte man nach Ansicht Ballarins für das kommende Rutenfest
„nicht die Abzeichen abblasen“. Ballarin: „Das Haus wurde ja nicht für
die NSDAP gebaut.“
August Schuler, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, findet
die Empörung überzeichnet: „Ich
finde, wir sollten dieses Haus nicht
auf wenige Jahre der Nazi-Zeit reduzieren. Dort war jahrelang das Baudezernat angesiedelt. Auch Mehlsack und Obertor haben die NS-Zeit
überlebt. Ein Haus kann man nicht
verantwortlich machen für die Gesinnung, die darin herrschte.“
●
Frank Walser, SPD-Fraktionsvorsitzender: „Auf der einen Seite glaube ich der Verwaltung, dass sie dies
jetzt erst erfahren hat. Ich glaube
aber auch der Rutenfestkommission,
dass sie von dieser Belastung des Gebäudes nichts wusste. Jetzt muss
man abwägen: Ist der RFK ein Rutenfest ohne die Einnahme durch dem
Verkauf des Festabzeichens zuzumuten? Ober ist es zumutbar, ein belastetes Abzeichen in Kauf zu nehmen?
Und dann entscheide ich mich für
das Letztere.“
●
Manfred Lucha, Grünen-Fraktionssprecher: „Ich bin dafür, dass man
auf dieses Rutenfestabzeichen verzichtet. Mein Vorschlag wäre, stattdessen eine Form zu nehmen, die
man als Rutenfestabzeichen schon
mal verwendet hat. Mir selbst war
bislang nicht bewusst, dass dort die
NSDAP-Zentrale war. Aber ab dem
Zeitpunkt, wo man das weiß, ist es als
Symbol einer ausgelassenen Festesfreude nicht geeignet.“
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Das sagen die Bürger
RAVENSBURG - In der Ravensburger
men“, äußert der
66-Jährige seine
Bedenken.
Bevölkerung gehen die Meinungen
auseinander, wie die Umfrage unseres Mitarbeiters Moritz Schuler
zeigt.
Elisabeth Blaser meint, dass beide
Seiten sich mit der Geschichte des
Gebäudes früher auseinandersetzen
hätten sollen. „Das Thema hat einen
Beigeschmack“, sagt die 53-jährige
Ravensburgerin.
●
Elisabeth Blaser
Till Schmid
Marie Fischer
● Helmut Sapper hat die NS-Zeit
noch selbst erlebt. Der in Ravensburg lebende Rentner ist gegen die
Verwendung des Gebäudes als Abzeichen. „Die alte Zeit war schlimm
genug“, meint der 78-Jährige.
Felix Stoppel
René Kilgus
● Dieser Meinung schließt sich der
49-jährige René Kius an. „Es täte dieser Stadt gut, wenn die braune Vergangenheit aufgearbeitet würde“, ist
er überzeugt.
Helmut Sapper
Joachim Kilgus
Heike Ader
Auch Marie Fischer sieht im diesjährigen Abzeichen eine Chance auf
Aufarbeitung. „Es wäre verklemmt
zu sagen: Das kann man nicht abbilden“, mahnt die Berlinerin, die hier
studiert, an.
Im Gegensatz dazu ist Heike Ader
der Ansicht, dass man zur Ravensburger Geschichte stehen sollte.
„Man darf das Thema nicht totschweigen“, findet die 52-jährige Ravensburgerin.
●
● Felix Stoppel, 21, nimmt die RFK in
die Pflicht: „Man hätte den geschichtlichen Hintergrund früher erkennen müssen und ein anderes Gebäude nehmen sollen.“
„Ich kann es
nicht verstehen,
so ein Gebäude zu
nehmen“, äußert
sich Joachim Kilgus. Der 44-Jährige kann jedoch
auch das Zeitproblem der RFK, die
eine neue Plakette
entwickeln
müsste, nachvollziehen.
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Hans-Jürgen Betz
● „Es ist ein Gebäude. Es hat eine interessante
Geschichte.
Wieso
nicht?“, findet Till Schmid. Der 21
Jahre alte Bad Waldseer regt an, so
über die Geschichte des Gebäudes
zu informieren.
● Die 33 Jahre alte
Alice
Ketterer
weiß außerdem,
dass die Seestraße 32 schon vor
der NS-Zeit genutzt wurde. „Das
Gebäude
kann
doch nichts dafür“, hakt die Ravensburgerin das
Thema ab.
FOTOS: SCHULER
●
Auch Hans-Jürgen Betz, ebenfalls
aus Ravensburg, teilt ihre Meinung,
dass die Villa nicht das einzige vorbelastete Gebäude in Ravensburg ist.
„Dann dürfte man vieles nicht neh-
●
Jetzt mitreden
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