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Österreich: G 10.80 I Schweiz: sfr 19,60 I GeNelux: Gl 1.25 I Icalien/Sponien/Portugo.1 (cont.)/Slowenlen: e 12,75
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Weltstars des Designs | Internationale Architektur
Poetische Accessoires | Shenzhen Terminal 3
Le Corbusier Architekturfarben Revolution Tower
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Die Renaissance eines Hauses im
Handwerkerviertel
Passau, am Zusammenfluss von Donau, Inn und Hz gelegen,
ist die Stadt der drei Flüsse, aber auch die Stadt mit dem barocken Stephansdom und der größten Domorgel der Welt. So
idyllisch die Landschaft ringsum, so schwierig ist manchmal
der Kampf gegen Naturgewalten und Hochwasser. Im historischen Handwerkerviertel am Inn beginnt in der Lederergasse
mit dem Haus Nummer zwei ein Ensemble von Handwerkerhäusern, die die Wasserkraft des Inns nutzten. In Reihe
gestellt bilden sie heute das städtebauliche Gegenüber zur
sonnigen Innpromenade mit dem Dom im Rücken. Das hier
beschriebene Haus Nr. 2 ist eines der wenigen frei stehenden
Häuser der Altstadt. Es liegt direkt am Vorplatz der Kirche St.
Gertraud im Sanierungsgebiet „Passau-Innstadt".
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ERSTE ERWÄHNUNGEN DES OBJEKTES AUF STICHEN SIND UM 1800 ZU FINDEN RESTE DER
HISTORISCHEN STADTMAUER UM DIE URSIEDLUNG „BIOTRUM" FINDEN SICH IM INNEREN
DES GEBÄUDES. DIE UNTERSCHIEDLICH VERSETZTEN RAUMHÖHEN LASSEN DIE VERMUTUNG AUFKOMMEN, DASS IM LAUFE DER JAHRHUNDERTE ZWEI AUTARKE HAUSER
ZUSAMMENGEWACHSEN SIND, ABER DAS 1ST NICHT MEHR VOLLSTÄNDIG NACHWEISBAR,
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Das Haus musste kernsaniert werden, der
historische Baubestand sollte weitgehend
erhalten bleiben. Zum Beispiel die alten
Holzböden, die zwar sanierungsbedürltig
waren, aber unter den entfernten PVC- und
Teppichbodenbelägen im guten Zustand
zum Vorschein kamen. Auch Fenster unterschiedlichsten Alters, Kastenfenster, Passauer Fenster, 60er-Jahre-Holzfenster verteilt
über das ganze Objekt. Der Dachstuhl hing
stark durch, dazu gehörten zwei
ungedämmte Räume mit Raumhöhen von
1,70 Meter. Bäder gab es nicht, in den Küchen standen Einzelraumduschen, Toiletten
lagen zum Teil außerhalb der Wohnungen
im Flurbereich.
Die bestehenden Wohnungen im Erdgeschoss werden durch schmale Durchgänge
miteinander verbunden: Die alten Strukturen sollten so spürbar bleiben und um den
Kern des Treppenhauses so fließende Raumsequenzen entstehen. Man durchschreitet
Raum für Raum und spürt den Charme des
Alten, und doch verbindet sich Alt und
Neu zu einer neuen Einheit. Die alte Raumaufteilung präsentiert sich in einer kernsanierten Nutzung zwar neu und ist doch
historisch geblieben.
Zwei zugemauerte Fenster, eines zum Kirchenplatz hin und ein weiteres zum im
Westen vorgelagerten Altan, einem abgestützten Austritt eines Balkons ähnlich,
werden frei gelegt und geben den Räumen
authentische und imposante Ausblicke. Die
Fenster zum Inn hin werden auf die historische Größe erweitert, was sie mit den
Gesamtproportionen der Fassade in Einklang bringt. Die sogenannten Kastenfenster, die fest im Bestand des Hauses verankert sind, wurden in Eigenleistung aufgearbeitet und an drei Fassadenseiten um eine
weitere Schicht, nach außen aufschlagende
Passauer Fenster, erweitert, die kleine dunkel abgesetzte Lüftungsflügel aufnehmen.
Alte Holzdielenböden werden restauriert
und wenn nötig ergänzt. Die umfassenden
und zum Teil stark fliehenden Außenwände
sind innen wie außen reinweiß, alle Innenwände, zum Kern des Treppenhauses mattschwarz, treten zurück, lassen die raumbegrenzenden Außenmauern spüren.
Indirektes Licht zeigt die lebendigen
Putzstrukturen, so bleibt das Alter des
Hauses ablesbar.
Im Obergeschoss werden durch einen
schmalen Durchgang die beiden kleinen
Wohnungen zu einer größeren zusammengefasst. Nicht nur wechselnde Atmosphären und warme Farben, auch sichtbare
Kupferrohr-Installationen der Heizung,
aufgearbeitete Türen aus altem Bestand
sowie weiße Türstöcke, die in den ruhigen
dunklen Flächen hervorgehoben werden,
verleihen dem Wohnen an jedem Ort im
Haus einen eigenen Charakter. Auch Holzöfen und unbehandelte Holzdielenböden
sorgen für das entsprechende Ambiente.
Ein kleiner Balkon nach Westen öffnet den
Wohnraum zum Inn hin und bleibt
zugleich in der Proportion und Ausbildung
untergeordnet.
Die klare Form des hoch ansteigenden Hauses wird nicht verfälscht, trotzdem gewinnt
die Lebens- und Wohnqualität dazu. Der
alte Dachstuhl musste wegen mangelnder
Tragfähigkeit komplett abgetragen werden.
Ein neuer Dachstuhl wurde aufgesetzt: er
besteht aus in Reihe gesetzten Dreiecksrahmen, die ihre gesamte Last auf die Außenwände stützen und einen freien Dachraum
bilden. Die alten Walmgiebel wurden wiederhergestellt, und der gesamte Rahmen
mit Holzfasern in einer Stärke von 30 cm
gedämmt. Die Walmgiebel bilden im Inneren jetzt einen langen freien Raum. Das
Dach, wie ein umgestülpter Schiffsrumpf,
bietet Luft, klare Strukturen, einen Ausblick
auf die Dominsel und die Geborgenheit
und Wärme, die man sich von Dachwohnungen wünscht. Die Dacheindeckung
erfolgte mit dunklen Biberschwanzziegeln
DIE ARCHITEKTEN REGINA SCHIENEIS UND STEFAN HIENDL KAUFTEN DAS OBJEKT 1950, NACHDEM DIE EIGENTÜMERIN,
DIE ETWA 50 JAHRE LANG DAS ERSTE OBERGESCHOSS DES HAUSES BEWOHNT HATTE, IN EIN STADTISCHES ALTERSSTIFT
UMGESIEDELT WAR DAS HAUS WAR IN EINEM VERFALLENEN ZUSTAND, ES WURDE IN DEN LETZTEN JAHREN NUR
MÄSSIGWENN ÜBERHAUPT RENOVIERT DIE INSGESAMT SECFIS WEITEREN KLEINEN WOHNEINHEITEN WAREN AN STUDENTEN VERMIETET DIE ES SICH AUCH IN DEM KLEINEN GARTEN, DER ZUM INN HIN GELEGEN 1ST, GEMÜTLICH MACHEN
KONNTEN
orchitGktur
Liebe zum Detail, original restaurierte Dielenböden und Fenster, teilweise abgesetzte Stuckdecken, liebevoll restaurierte Solitäre: All dies
vermittelt ein Gefühl der Geborgenheit, man kann förmlich die Wände
reden hören«.
im Gradschnitt, die sich in das Giebelensemble
der Häuser zum Inn mit gleicher dunkler Farbge-j
bung zurücktretend einreihen.
Der Dachüberstand wurde rückgebaut, die un- I
schöne Gefällerinne unsichtbar hinter die Trauf-1
wand gelegt und das Thema Wasserführung von!
vertikal zu horizontal mit einem weich geformte*
Rinnenkessel neu interpretiert.
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Das Objekt erscheint nun als weiße nach oben
gerichtete Skulptur, die Fläche spielt mit Schatterl
und Licht, die wiederhergestellten Flächen um d|
bündig sitzenden Fenster, das feine Detail der
Vordächer über den Fenstern geben zusätzliche I
Tiefe, ohne den ruhigen Gesamteindruck zu bre-l
chen. Die Fassade ist als Ganzes instandgesetzt, [
der alte lose Putz abgetragen, zum Teil ergänzt
und mit einem glatten Modelierputz überzogen.
Die Fassade nach Westen, mit Altan und Balkon,]
spielt mit den unterschiedlichen Öffnungen aus I
allen Zeiten: dem neuen Eingang mit schmaler I
Fassung, dem historischen Granitfries, flächenbü»
digen, nach außen öffnenden neuen Holzfensterra
Passauer Fenstern, Kastenfenstern, die zurückspringen, dazu kommt ein vorgelegter Steg mit
Blick zum Inn.
Die Fassade zum Inn ist jetzt wieder in ihrer ursprünglichen Proportion erlebbar, der eingeschosj
ge Schuppenanbau im Garten wurde abgebro-J
chen, ersetzt durch eine Terrasse mit zwei Ebe- I
nen, die den Übergang zum Garten bildet. Der I
Abgang in den Garten ist begehbar: ein weicher I
hölzerner Weg ohne Stufen nach unten. Die
Räume unter dem Steg werden als Holzlege neul
genutzt, der Blick ist fokussiert durch die liegen^
Holzverkleidung, schwarz gestrichen, Richtung
Inn. Von dort aus wurde das kleine Atelier
erschlossen, das dem Lunihochwasser komplett
zum Opfer gefallen war und jetzt neu mit hoch-
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EINIGE BADER WURDEN DIREKT IN DIE DACHSCHRÄGE EINGEBAUT, SEHR HOCHWERTIG AUSGESTATTET MIT FREI STEHENDEN EDELSTAHLARMATUREN. WANNE UND DUSCHE MIT GROSSER KOPFBRAUSE. DIE EINBAUSCHRÄNKE WURDEN MASSGEFERTrGT. EIN SPIEL MIT DEN FARBEN: IM GANZEN HAUS
WURDE FARBE SO EINGESETZT, UM RÄUME OPTISCH ZU VERÄNDERN, WOBEI IM WESENTLICHEN
DARAUF GEACHTET A" IRDE, NATURFARBEN SOWIE TEILWEISE HISTORISCH VERBRIEFTE FARBEN, DIE
MAN IM OBJEKT VORLAND. EINZUSETZEN
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inspiration-design, eu
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orchitektur
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wassertauglichem aktiviertem Betonboden
ausgegossen und geschliffen wurde. Er
wirkt wie ein heller Steinboden, monolithisch und ruhig, erwärmt durch die Fußbodenheizung und zusätzliche Wandheizungen. Der historische Deckenbogen
wurde frei gelegt, man spürt förmlich das
Gewölbe. In beiden Räumen wurden die
Wände weiß gekalkt, mit Kalk, der das
Wasser aus dem Fels und dem Granit
durchlässt und die Wände atmen lässt, um
der Fäulnis vorzubeugen.
Das Haus in der Lederergasse Nummer
zwei steckt nun im neuen weißen Gewände der Anbauten und Umbauten und ist
von den vielen Bausünden aus vergangenen Zeiten befreit. Es ist inmitten des En-
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sembles der Häuser der Altstadt zum Juwel
geworden: Es steht im Dialog mit dem
gegenüberliegenden ebenfalls neu restaurierten Dom, klar und ohne Kompromisse,
um das historische Haus mit neuem Leben
zu erfüllen. Respektvoll wurde das Alte um
das Neue ergänzt: Eine starke Inszenierung
in der Passauer Altstadt mit Sicht auf den
Inn. Schade, dass es nicht öfters städtische
Verantwortliche gibt, die Dorf- und Altstadtkerne bewahren wollen und bereit
sind, für deren Erhaltung Gelder zu bewilligen oder sich dafür einzusetzen!
Text I Jürgen Brandenburger
Fotograf I Eckhart Matthäus
ARCHITEKTEN HIENDL„SCHINEIS,
WWW HIENDLSCHINEIS. COM
FORDERUNGEN
BAYERISCHES LANDESAMT FUR DENKMALPFLEGE, DEUTSCHE STIFTUNG
DENKMALSCHUTZ, REGIERUNG VON
NIEDERBAYERN, STADT PASSAU
BAUWERK:
FLACHEN GESAMT RUND 350 Mz,
KUBATUR RUND 1000 M3
BETREUT VOR ORT VON:
DR. KUPFERSCHMIDT LANDESAMT
FUR DENKMALPFLEGE, FRAU WENZEL,
UNTERE
DENKMALBEHORDE, PASSAU
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