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ao.Univ.Prof.Dr.Peter
Hilpold
DASPROJEKT
“BRÜCKENSCHLAG”–
VÖLKERRECHTLICHE
UND
VERFASSUNGSRECHT‐
LICHEASPEKTE
Stellungnahme zu einem Vorschlag über die Abänderung des Tiroler Naturschutzgesetzes 2005, der die Querung des Ruhegebiets „Kalkkögel“ mit einer Personenseilbahn ermöglichen würde – Prüfung der Vereinbarkeit dieses Vorschlags mit der Alpenkonvention 1991 (in Kraft seit 1995), dem Protokoll zur Durchführung der Alpenkonvention im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege 2000 (in Kraft seit 2002) sowie der österreichischen Verfassungsordnung Ergebnisse:
‐
Art. 11 Abs. 1 des Naturschutzprotokolls legt für bestehende Schutzgebiete kein
absolutes Eingriffsverbot fest. Eingriffe müssen aber stets den Schutzzweck des
betreffenden Gebiets wahren. Einmal getroffene Maßnahmen, Vorkehrungen und
Verbote zur Sicherstellung des Schutzzwecks von Schutzgebieten sind auch abänderbar,
soweit dadurch der Schutzzweck nicht verletzt wird.
‐
§ 11 Tiroler Naturschutzgesetz (TNSchG) will in Ruhegebieten in erster Linie die
„Abwesenheit von Lärm“ sicherstellen. Selbst das Lärmverbot ist aber nicht absolut, wie
insbesondere die Aufweichungen der betreffenden Regelung durch die jüngste Novelle
gezeigt haben. Eine absolute Naturbelassenheit der Ruhegebiete ist nicht vorgesehen.
‐
Die verschiedenen Ausnahmen, die über die Jahre zum Ruhegebot eingeführt worden
sind und die auch eine Teilerschließung der Ruhegebiete ermöglicht haben, sind von den
übrigen Parteien der Alpenkonvention sowie des Naturschutzprotokolls widerspruchslos
akzeptiert worden und können deshalb völkerrechtlich als spätere Vertragspraxis gemäß
Art. 31 Abs. 3 lit b) der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 gesehen werden.
‐
§ 11 Abs. 2 TNSchG verbietet die Errichtung von Seilbahnen für die
Personenbeförderung in Ruhegebieten. Aus dem Normzusammenhang sowie aus den
Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung geht deutlich hervor, dass dieses
Verbot darauf ausgerichtet war, erheblichen Lärm in den Ruhegebieten sowie eine
Erschließung dieser Gebiete zur Förderung des Massentourismus in diesen Bereichen zu
verhindern.
‐
Eine Abänderung des TNSchG im vorgeschlagenen Sinne, wonach Seilbahnen für die
Personenbeförderung zugelassen werden, soweit keine Stationsgebäude im Ruhegebiet
errichtet werden, lässt den Schutzzweck von § 11 zweifelsohne unberührt: Eine merkliche
(zusätzliche) Lärmbelästigung wird dadurch ebenso ausgeschlossen wie die Erschließung
des Ruhegebiets selbst. Völkerrechtlich erscheint damit eine solche Novelle als
unbedenklich.
‐
Verfassungsrechtliche Bedenken stellen sich bei diesem Novellierungsvorschlag von
vornherein nicht. Auch in Hinblick auf den vorherigen Vorschlag, wonach
Schigebietszusammenschlüsse vom Verbot der Errichtung von neuen Seilbahnanlagen
zur Personenbeförderung ausgenommen wären, wären verfassungsrechtliche Bedenken
1 auf jeden Fall auszuschließen gewesen, wenn gleichzeitig sichergestellt gewesen wäre, dass
im Zusammenschlussbereich eine Erschließung unterbleibt.
1. Sachverhalt
Es gibt in Tirol Bestrebungen, mittels einer Seilbahn zur Personenbeförderung die Schigebiete
Muttereralm, Axamer Lizum und Schlick 2000 zu verbinden, wobei diese Seilbahn durch das
Ruhegebiet „Kalkkögel“ führen würde. Dieses Projekt „Brückenschlag“ ist nicht mit dem
gegenwärtig in Kraft befindlichen Tiroler Naturschutzgesetz (TNSchG) vereinbar, da dieses in §
11 die Errichtung von Seilbahnen durch Ruhegebiete verbietet.
Vorgeschlagen wurde nun eine dahingehende Abänderung des TNSchGdass die Errichtung einer
entsprechenden Seilbahnverbindung möglich wird.
Die einschlägige Bestimmung in § 11 des TNSchG soll in folgender Form abgeändert werden:
„In Ruhegebieten sind verboten:
‐
Errichtung von Seilbahnen für die Personenbeförderung, sofern sich die Stationsgebäude und deren
unmittelbar betroffenes Umfeld im Ruhegebiet befinden. Die Errichtung von Schleppliften in
Ruhegebieten ist generell verboten.“
Es stellt sich die Frage, ob eine solche Gesetzesänderung mit der Alpenkonvention 1991 und im
Besonderen mit dem Protokoll zur Durchführung der Alpenkonvention von 1991 im Bereich
Naturschutz und Landschaftspflege und schließlich mit dem österreichischen Verfassungsrecht
vereinbar ist.
Zu dieser Frage liegt ein Gutachten von Prof. Gerhard Loibl und von Prof. Gerhard Hafner vom
25. Februar 2015 vor, die diese Frage verneinen. Ein weiteres Gutachten von Prof. Anna Gamper
v. 7.1.2015 bezieht sich strikt auf den verfassungsrechtlichen Kontext.
Das Loibl/Hafner-Gutachten behauptet im Kern, dass das Verbot der Errichtung von
Seilbahnen für die Personenbeförderung Ausdruck des Schutzzwecks der Ruhezonen gemäß § 11
TNSCHG sei und damit sei eine Novellierung des TNSchG zur Aufhebung dieses Verbots
2 unzulässig, da mit Art. 11 Abs. 1 des Protokolls zur Durchführung der Alpenkonvention von
1991 im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege (Naturschutzprotokoll) unvereinbar.1
Das Gamper-Gutachten beschäftigt sich überwiegend mit einem speziellen, früheren Vorschlag
der „Brückenschlag“-Proponenten, wonach das TNSchG dahingehend geändert werden sollte,
dass in Schutzgebieten Seilbahnen für die Personenbeförderung zwar weiterhin generell verboten
bleiben sollten, wobei aber Schigebietszusammenschlüsse von diesem Verbot ausgenommen
werden sollten. Dieser Vorschlag ist aber, wie es scheint, nicht mehr aktuell und deshalb können
die entsprechenden Überlegungen von Frau
verfassungswidrige,
weil
gleichheitswidrige
Prof. Gamper (sie sieht darin eine
Differenzierung;
es
sei
kein
besonderer
wirtschaftlicher Nutzen im Vergleich zur Errichtung von anderen Seilbahnen für die
Personenbeförderung erkennbar) auch allein kursorisch abgehandelt werden.
Im Mittelpunkt der Diskussion muss also die Frage stehen, ob die Alpenkonvention 1991 bzw.
das dazugehörige Naturschutzprotokoll 2002 eine Abänderung des TNSchG erlaubt, wodurch
eine Seilbahnverbindung über das Ruhegebiet „Kalkkögel“ möglich wird.2 Nach der hier
vertretenen Auffassung ist eine solche Abänderung – und insbesondere auf der Grundlage des
neuen, oben präsentierten Vorschlags – rechtlich sehr wohl zulässig. Die in den genannten
Gutachten geäußerten Bedenken können ohne weiteres entkräftet werden.
2. Das „Ruhegebiet“ laut TNSchG im Lichte des Naturschutzprotokolls
§ 11 TNSchG 2005, LGBl 2005/26 idF LGBl 2013/1301, lautete bis zur Novelle durch LGBl.
Nr. 14/2015 wie folgt:
„Ruhegebiete
§ 11. (1) Die Landesregierung kann außerhalb geschlossener Ortschaften gelegene Gebiete, die für
die Erholung in
der freien Natur dadurch besonders geeignet sind, dass sie sich wegen des Fehlens von
lärmerregenden Betrieben,
von Seilbahnen für die Personenbeförderung sowie von Straßen mit öffentlichem Verkehr durch
weitgehende Ruhe
Das Naturschutzprotokoll wurde von Österreich am 31. Oktober 2000 unterzeichnet und am 14. August 2002
ratifiziert. Es trat am 18. Dezember 2002 in Kraft. Diesem Vertrag gehören gegenwärtig außer Österreich
Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco und Slowenien an.
2 Das Ruhegebiet „Kalkkögel“ wurde mit Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 26. Juli 1983 eingerichtet.
1
3 auszeichnen, durch Verordnung zu Ruhegebieten erklären, wenn die Erhaltung dieser Gebiete
für die Erholung
von besonderer Bedeutung ist oder voraussichtlich sein wird.
(2) In Ruhegebieten sind verboten:
a) die Errichtung von lärmerregenden Betrieben;
b) die Errichtung von Seilbahnen für die Personenbeförderung;
c) der Neubau von Straßen mit öffentlichem Verkehr;
d) jede erhebliche Lärmentwicklung;
e) die Durchführung von Außenlandungen und Außenabflügen mit motorbetriebenen
Luftfahrzeugen; davon
ausgenommen sind Außenlandungen und Außenabflüge im Rahmen der Wildfütterung, der
Viehbergung und der
Versorgung von Vieh in Notzeiten, der Ver- oder Entsorgung von Schutzhütten und
Gastgewerbebetrieben, für
wissenschaftliche Zwecke, zur Sanierung von Schutzwäldern, im Rahmen der Wildbach- und
Lawinenverbauung,
der Instandhaltung oder Instandsetzung von Rundfunk- und Fernmeldeeinrichtungen und von
Einrichtungen der
Elektrizitätsversorgungsunternehmen, sofern der angestrebte Zweck auf eine andere Weise nicht
oder nur mit einem
unverhältnismäßig großen Aufwand erreicht werden könnte.
(3) In Verordnungen nach Abs. 1 sind, soweit dies zur Erhaltung des Ruhegebietes erforderlich
ist, entweder für
den gesamten Bereich des Ruhegebietes oder für Teile davon an eine naturschutzrechtliche
Bewilligung zu binden:
a) die Errichtung, Aufstellung und Anbringung aller oder bestimmter Arten von Anlagen,
soweit sie nicht unter
Abs. 2 lit. a oder b fallen, sowie die Änderung von Anlagen, sofern die Interessen des
Naturschutzes nach § 1
Abs. 1 berührt werden;
b) der Neubau, der Ausbau und die Verlegung von Straßen und Wegen, soweit sie nicht unter
Abs. 2 lit. c fallen;
4 c) die Errichtung von oberirdischen elektrischen Leitungsanlagen mit einer Spannung von 36
kV und darüber
sowie von Luftkabelleitungen;
d) Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter
Grundstücke;
e) die Verwendung von Kraftfahrzeugen.“
(Hervorhebungen durch den Autor).
Im Rahmen der jüngsten Novelle durch LGBl. Nr. 14/2015 wurde zudem in § 11 Abs. 2 lit. d
TNSchG das absolute Verbot einer erheblichen Lärmentwicklung für Vorhaben der
Energiewende aufgehoben:
d) jede erhebliche Lärmentwicklung; jedenfalls nicht als erhebliche Lärmentwicklung im Sinn dieser Bestimmung
gilt der mit der Ausführung von Vorhaben der Energiewende, für die eine naturschutzrechtliche Bewilligung
vorliegt oder nicht erforderlich ist, verbundene Baulärm im hierfür notwendigen Ausmaß;
Die Realisierung des Projektes Brückenschlag würde also die Novellierung vor allem von § 11 (2)
b) bedingen, etwa im Sinne des aktuell vorliegenden Vorschlags mit folgendem Wortlaut:
„In Ruhegebieten sind verboten:
‐
Errichtung von Seilbahnen für die Personenbeförderung, sofern sich die Stationsgebäude und deren
unmittelbar betroffenes Umfeld im Ruhegebiet befinden. Die Errichtung von Schleppliften in
Ruhegebieten ist generell verboten.“
Wäre eine solche Novellierung mit Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll vereinbar? Diese
Bestimmung lautet folgendermaßen:
„Die Vertragsparteien verpflichten sich, bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutzzwecks
zu erhalten, zu pflegen und, wo erforderlich, zu erweitern sowie nach Möglichkeit neue
5 Schutzgebiete auszuweisen. Sie treffen alle geeigneten Maßnahmen, um Beeinträchtigungen oder Zerstörungen dieser
Schutzgebiete zu vermeiden.“
Das Ruhegebiet „Kalkkögel“ ist ein „bestehendes Schutzgebiet“ einer Vertragspartei des
Naturschutzprotokolls. Abänderungen an der Regelung zu diesem Schutzgebiet sind somit nur
dann zulässig, wenn dadurch der Schutzzweck erhalten bleibt.
Loibl/Hafner sind der Auffassung, dass das Projekt „Brückenschlag“ die Aufrechterhaltung des
Schutzzwecks dieses Ruhegebietes verunmöglichen würde und sohin vertragswidrig wäre.
Loibl/Hafner gehen bei der Interpretation des Schutzzwecks von § 11 TNSchG von einem sehr
hohen Anspruch aus, wobei sie dem Begriff der „Ruhe“ einen nahezu absoluten Charakter
beimessen.
Sie verstehen darunter nämlich nicht allein die „Abwesenheit von Lärm“, sondern auch von
„Bewegung“.3 Nun ist der Begriff „Ruhe“ tatsächlich sehr vielschichtig, wie ein Blick in
verschiedene Bedeutungswörterbücher belegt.4 Es ist wenig plausibel anzunehmen, dass der
Gesetzgeber mit der Einführung des Konzepts des „Ruhegebietes“ die gesamte Spannbreite an
Bedeutungen des Begriffs der Ruhe abdecken wollte und eine solche in dem betreffenden Gebiet
umfassend sicherstellen wollte. Beispielhaft sei hier die Definition des Begriffs „Ruhe“ gemäß
„Brockhaus Wahrig“ wiedergegeben:5
1. „Durch keinerlei Lärm, Bewegung, Treiben gestörter Zustand, Schweigen, Stille;
2. Durch keinerlei Unfrieden, Streit, Zank, Aufruhr, äußere Aufregung und Bedrängnis
gestörter Zustand, Zustand der Ordnung, der (öffentlichen) Sicherheit;
3. Durch Unterbrechung einer Tätigkeit, Arbeit, Nachlassen einer Anstrengung
hervorgerufener Zustand der Erholung, der wohltuenden Entspannung, Behaglichkeit,
das Ausruhen, Schlaf, Pause, Rast;
4. Zustand innerer Ausgeglichenheit, das Fehlen quälender Gedanken, Leidenschaften oä.,
Gleichmut Fassung;
5. Stillstehen, Unbeweglichkeit, Stillstand.“
Abs. 34, S. 13 des Loibl/Hafner-Gutachtens v. 25.2.2015.
Siehe nur Duden, Bd. 10, Bedeutungswörterbuch, 2010, S. 775; Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1893, S.
1418 ff.; Herrmann Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Auflage 2002, S. 811; Brockhaus Wahrig, Deutsches
Wörterbuch, Bd. 5, 1983, S. 439 f.; Duden Deutsches Universalwörterbuch, 2011, S. 475 f.; Duden, Das große
Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 7, 1999.
5 Ibid., S. 439 f.
3
4
6 Die normative Bedeutung des Begriffs „Ruhe“ muss sich somit aus dem Rechtsakt selbst
erschließen, der diesen angestrebten bzw. zu schützenden Zustand regelt, hier insbesondere aus §
11 Abs. 2 TNSchG und den darin geregelten Verbotstatbeständen.
Aus diesen Verbotstatbeständen wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Begriff der „Ruhe“
weitgehend als Gegensatzbegriff zu „Lärm“ sieht. Indem er „Ruhe“ gebietet, will er Aktivitäten
untersagen, die „Lärm“ verursachen. Dass hier „Bewegung“ an sich verboten werden sollte, wie
Loibl/Hafner behaupten, ist nicht erkennbar.
Dies wird schon in Pkt. 2 a) deutlich: In Ruhegebieten verboten ist „die Errichtung von
lärmerzeugenden Betrieben“ (also nicht von Betrieben an sich: der „Lärm“ ist die
verbotsgenerierende Komponente).
Nicht die „Bewegung“ ist entscheidend und erst recht nicht wird auf ein Verbot der lärmfreien
Bewegung abgestellt. Dies wird besonders deutlich in lit e) von § 11 Abs. 2 TNSchG: Danach ist
die Durchführung von Außenlandungen und Außenabflügen nur mit „motorbetriebenen
Luftfahrzeugen“ untersagt. Es kommt also deutlich darauf an, „Lärm“ zu verhindern und nicht
„Bewegung“.
Die wohl bedeutendste Bestimmung in diesem Zusammenhang dürfte aber in lit d) zu finden
sein. Danach ist grundsätzlich „jede erhebliche Lärmentwicklung“ verboten.
Damit wird deutlich, dass für das Ruhegebiet die „Abwesenheit von Lärm“ und insbesondere
von „erheblichem Lärm“ von ganz zentraler Relevanz ist. Interessanterweise wurden aber aktuell
2015 auch dazu Ausnahmen eingeführt, und zwar für den mit Baumaßnahmen verbundenen
Baulärm in „Ausführung von Vorhaben der Energiewende (Stromerzeugung aus Wasserkraft,
Windkraft, Photovoltaik)“, „für die eine naturschutzrechtliche Bewilligung vorliegt oder nicht
erforderlich ist. Zudem waren bereits vor der jüngsten Novelle in lit. e für die Durchführung von
Außenlandungen und Außenabflügen mit motorbetriebenen Luftfahrzeugen Ausnahmen für die
Versorgung von Einrichtungen der Elektrizitätsversorgungsunternehmen vorgesehen.
Diesbezüglich ist also Folgendes festzuhalten:
‐
Das TNSchG will in „Ruhegebieten“ in erster Linie Lärm vermeiden, vor allem
„erheblichen Lärm“.
‐
Der Aspekt der Bewegung spielt, anders als in dem genannten Gutachten vorgetragen,
keine erkennbare eigenständige Bedeutung.
‐
Selbst das Lärmverbot ist nicht absolut, soweit es sich um Baumaßnahmen im Bereich der
„Energiewende“ handelt.
‐
Der Betrieb solcher Einrichtungen der „Energiewende“ wird überhaupt nicht
angesprochen und offenkundig implizit als uneingeschränkt vereinbar mit dem TNSchG
angesehen. Nun geht aber bekanntlich von solchen Einrichtung (Stromerzeugung aus
7 Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik) eine erhebliche Belastung für die Umwelt aus. Der
angeblich vom TNSchG bedingte absolute und über die gesamte Wortbedeutung des
Begriffs „Ruhe“ reichende Ruheschutz ist also keineswegs gewährleistet.
‐
Ebenso wenig ist es zutreffend, dass das TNSchG eine absolute Naturbelassenheit der
Ruhegebiete verlangen würde, also jegliche Verfremdung der Natur durch Technik
verbieten würde. Gerade die genannten Einrichtungen der „Energiewende“ stellen
Errungenschaften der modernsten Technik dar und stellen geradezu einen Gegenpol zu
einer naturbelassenen Landschaft dar.
‐
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass § 11 TNSchG zwar nach einem
qualifizierten Schutz für Ruhegebiete strebt, und zwar insbesondere Schutz vor
erheblichem Lärm garantieren möchte. Gleichzeitig strebt diese Bestimmung auch einen
Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie an und lässt erhebliche Ausnahmen vom
qualifizierten Lärmschutz zu.
Sowohl Loibl/Hafner als auch Gamper verweisen weiters auf die Erläuternden Bemerkungen
zum Tiroler Naturschutzgesetz, LGL 1975/15, in denen es heißt (Beilage 4 Sten. Ber. 27. Tagung
28.11.1974, VII. Periode, S. 17 f.):
„Es ist vordringlich geworden, der weitgehenden und vielfach planlosen Erschließung der Gebirgslandschaft durch
Straßen und mechanische Aufstiegshilfen rechtzeitig dadurch entgegenzuwirken, daß Gebiete gesichert werden, die
keine über das Bestehen von Wanderwegen und alpinen Unterkünften hinausgehende technische
Erschließung aufweisen. Diesen durch Naturbelassenheit und Ruhe ausgezeichneten Gebieten wird in
Zukunft große Bedeutung für die Erholung in der freien, nicht durch die Technik verfremdeten Natur zukommen
[…] Besondere Bedeutung kommt in Ruhegebieten dem Umstand zu, daß sie nicht durch Seilbahnen für
die Personenbeförderung und durch Schlepplifte sowie durch Straßen mit öffentlichem Verkehr, also durch
Einrichtungen erschlossen sind, die den Massentourismus mit all seinen den Wert des Ruhegebietes
beeinträchtigenden Folgeerscheinungen fördern.“
Bedeutet dies, dass mit einer Abschaffung des Verbots zur Errichtung von Seilbahnen der
Schutzzweck der Norm über die „Ruhegebiet“ selbst in Gefahr sei und damit eine solche
Regelung nach Maßgabe von Art. 11 Abs. 1 des Naturschutzprotokolls (der die
Aufrechterhaltung des Schutzzwecks bestehender Schutzgebiete verlangt) unzulässig sei?
8 Das ist keineswegs der Fall. Die Erläuternden Bemerkungen hatten nämlich ganz klar die
Errichtung von Seilbahnen für die Personenbeförderung im Ruhegebiet zur Erschließung des
Ruhegebietes im Auge und wollten solche Anlagen mit dem TNSchG verbieten. Damit sollte
Massentourismus im Ruhegebiet verhindert werden.
Zur Definition des Begriffs der „Erschließung“ kann auf den Erläuterungsbericht zum
Raumordnungsprogramm betreffend Seilbahnen und skitechnische Erschließungen „Tiroler
Seilbahn- und Skigebietsprogramm 2005“ v. 11.1.2005 Bezug genommen. Darin findet sich auf S.
33 folgende Definition des Begriffs der „Neuerschließung“:
„a) die Erschließung von bisher nicht erschlossenen Geländekammern für Zwecke des Skisportes durch die
Errichtung von Seilbahnen vom Dauersiedlungsraum oder von öffentlichen Straßen (auch wenn sie sich außerhalb
des Dauersiedlungsraumes befinden) aus, und damit verbunden die Schaffung eines neuen organisierten Skiraumes.
Dies gilt auch dann, wenn die zur Neuerschließung vorgesehenen Geländekammern an bestehende Skigebiete
angrenzen.
b) die Errichtung von Zubringerbahnen zu bestehenden Skigebieten aus anderen Haupttälern als jenen, in denen
sich die Talstationen der bestehenden Zubringerbahnen befinden;
c) die vom Dauersiedlungsraum oder von öffentlichen Straßen ausgehende Errichtung von Seilbahnen für sonstige
Freizeit-, Sport- und Erholungszwecke zu bisher seilbahntechnisch unerschlossenen Zielpunkten;
d) die großräumige Erweiterung von bestehenden Kleinstskigebieten, die bisher nur über Aufstiegshilfen mit
maximal 200 Höhenmetern und/oder eine Transportkapazität von insgesamt maximal 500.000 Pers Hm/h
verfügen.
Eine Bestandsverlegung im Nahbereich (mit Abtragung des Altbestandes) in vergleichbarer Dimensionierung gilt
hingegen nicht als Neuerschließung.“6
6 Im Erläuterungsbericht 2005 wird darauf hingewiesen, dass die hier vorgenommene Definition des Begriffes
„Neuerschließung“ ausschließlich im Rahmen des Seilbahn- und Skigebietsprogrammes relevant ist. Sie ist mit der
Definition in anderen Rechtstexten (v.a. Anhang 1, Z. 12, lit. a-c UVP-Gesetz) nicht ident.
9 Das Projekt „Brückenschlag“ ist aber völlig anders gelagert. Das Ruhegebiet „Kalkkögel“ wird
damit nicht „erschlossen“, sondern nur überspannt. Es kommt hier nicht zur Schaffung eines
„neuen organisierten Schiraums“. Hier ist geplant, drei Schigebiete durch das Spannen von
„Drähten“ über eine Seilbahn zu verbinden, ohne dass dies eine touristische Nutzung des
Ruhegebiets, bspw. zum Schifahren, ermöglichen würde. Die Pisten in den damit verbundenen
Schigebieten bleiben nämlich getrennt. Die Talstationen sollen nicht im Ruhegebiet errichtet
werden. Es kommt weiters zu keiner Öffnung bislang seilbahntechnisch unerschlossener
Zielpunkte.
Das Projekt „Brückenschlag“ führt also nicht zur Erschließung des Ruhegebiets „Kalkkögel“.
Die „Drahtüberspannung“ wird keinen Massentourismus im Ruhegebiet zur Folge haben. Es
wird keine Ausstiegsmöglichkeit im Ruhegebiet geben.
3. Die völkerrechtliche Perspektive
Wie gezeigt, stellt sich das Problem der Vereinbarkeit des „Brückenschlags“-Projekts auf der
Grundlage einer novellierten Fassung des TNSchG nicht. Der mit der Einrichtung von
„Ruhegebieten“ gemäß § 11 TNSchG verfolgte Schutzzweck ist bei weitem nicht so rigide zu
interpretieren,
wie
in
den
erwähnten
Gutachten
behauptet.
Seilbahnen
für
die
Personenbeförderung, die ein Schutzgebiet nur überspannen, müssen auf dieser Grundlage als
vereinbar mit dem Schutzzweck des TNSchG angesehen werden und dementsprechend ist auch
eine Novellierung dieses Gesetzes, die eine solche Überspannung explizit als zulässig erklärt, mit
dem Naturschutzprotokoll vereinbart.
Der kürzlich vorgelegte Novellierungsvorschlag:
„In Ruhegebieten sind verboten:
Errichtung von Seilbahnen für die Personenbeförderung, sofern sich die Stationsgebäude und deren unmittelbar
betroffenes Umfeld im Ruhegebiet befinden. Die Errichtung von Schleppliften in Ruhegebieten ist generell verboten“
scheint geradezu in idealer Form den hier angestellten Überlegungen gerecht zu werden. Es soll
damit auch jener Lärm ausgeschlossen werden, der erfahrungsgemäß von Talstationen ausgehen
kann. „Massentourismus“ gibt es damit im Ruhegebiet auch nicht einmal ansatzweise (nämlich
auch nicht im Wege des Zutritts zu und des Abgangs von Beförderungseinrichtungen).
10 Spielen wir aber gedanklich noch eine andere Hypothese durch, nämlich die (hier dezidiert
abgelehnte) Variante, dass § 11 TNSchG tatsächlich einen absoluten Bestandsschutz von
Ruhegebieten garantiert, so wie sie seit 1974 eingerichtet worden sind.
Dies würde – wie oben gezeigt – auch schon deshalb nicht als plausibel erscheinen, da § 11
zwischenzeitlich verschiedene Abänderungen und Abschwächungen erfahren hat (insbesondere
im Bereiche der Maßnahmen der „Energiewende“) und es ist wenig überzeugend zu behaupten,
diesen Maßnahmen würden den Schutzzweck nicht verletzen, ein Seilbahnüberspannung
hingegen schon.
Zu beachten ist auch, dass die bisherigen Novellierungen des TNSchG, die schon vor 2015
erhebliche Aufweichungen des Schutzniveaus mit sich gebracht haben, von den übrigen
Vertragsparteien des Naturschutzprotokolls anstandslos (stillschweigend) akzeptiert worden sind
und damit als spätere Vertragspraxis gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) der Wiener
Vertragsrechtskonvention
(WVK)
als
Auslegungskriterium
des
Naturschutzprotokolls
7
heranzuziehen sind. Die Novelle 2015 (in Kraft seit 30.1.2015) ist zwar noch zu rezent, um eine
rechtserhebliche Reaktion der übrigen Vertragsparteien erwarten zu lassen. Wäre aber der hier
gegenständliche Vorschlag für eine Abänderung des TNSchG mit dem Naturschutzprotokoll
unvereinbar, so gälte dies für die am 30.1.2015 in Kraft getretene Novelle umso mehr.
Dagegen könnte nun – schon auf den ersten Blick noch weniger überzeugend – vorgebracht
werden, dass diese Novellierungen den Schutzzweck nicht tangierten (zumindest nicht im
Kernbestand), während dies bei Personenseilbahnen sehr wohl der Fall sei.
Wie gezeigt, ist es kaum in nachvollziehbarerer Form zu erklären, weshalb eine
Seilbahnüberspannung eines Ruhegebiets mit dem Schutzzweck von § 11 TNSchG absolut
unvereinbar (und deshalb eine entsprechende Novellierung dieses Paragraphen nicht möglich)
sein soll.
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Alpenkonvention und Naturschutzprotokoll bemüht
sind, einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie zu finden, wobei zweifelsohne im
Konkurrenzfall der Ökologie der Vorrang zu gewähren ist. Die Grundphilosophie dieser
Instrumente ist aber sicherlich auch darauf ausgerichtet, ein (nachhaltiges) Wirtschaften im
Anwendungsbereich der Alpenkonvention zuzulassen. 8
Vgl. M.E. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2009, S. 431, Abs. 22.
Dieses Argument ist gerade im vorliegenden Fall sehr wichtig. Laut einer kürzlich vorgelegten Studie (S.
Garbislander/S.D. Haigner/S. Jenewein, Brückenschlag Kalkkögel, WKO, Abteilung Wirtschaftspolitik und
Strategie, Jänner 2015) kann das Projekt „Brückenschlag“ einen gewichtigen Beitrag zur Belebung strukturschwacher
Regionen in Tirol erbringen, ohne gleichzeitig einem Massentourismus Vorschub zu leisten. Bei Realisierung dieses
7
8
11 Dies geht sehr deutlich aus Art. 2 lit a) der Alpenkonvention hervor, wonach eine „ganzheitliche
Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen“ „unter umsichtiger und nachhaltiger Nutzung
der Ressourcen“ angestrebt werde. In diesem Zusammenhang sollen u.a. geeignete Maßnahmen
zur „Achtung, Erhaltung und Förderung der kulturellen und gesellschaftlichen Eigenständigkeit
der ansässigen Bevölkerung und der Sicherstellung ihrer Lebensgrundlagen, namentlich der
umweltverträglichen Besiedelung und wirtschaftlichen Entwicklung“ getroffen werden (Art. 2
Abs. 2 lit a) der Alpenkonvention). Entsprechend der Natur einer Rahmenkonvention werden
Ziele und Instrumente eher pauschal und allgemein formuliert. Dennoch aber kommt der
Grundgedanke, die alpine Umwelt zu erhalten und bewahren, gleichzeitig aber auch die
wirtschaftlichen Lebensgrundlagen der ansässigen Bevölkerung zu sichern, sehr deutlich zum
Ausdruck. Präziser sind die Bestimmungen in den Protokollen (hier von besonderem Interesse:
das Naturschutzprotokoll). Das Naturschutzprotokoll hebt bereits in der ersten PräambelBestimmung hervor, dass mit diesem Abkommen auf der Grundlage der Alpenkonvention „eine
ganzheitliche Politik zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraums“ verfolgt
werde.
In Art. 2 betont das Naturschutzprotokoll, dass Schutz und Pflege der Natur im Alpenraum
„unter gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer ökologisch tragbaren Nutzung“ sicherzustellen seien.
Das Naturschutzprotokoll schließt Eingriffe in die Natur keineswegs aus, sondern setzt diesen
Grenzen, verlangt ein behutsames, verhältnismäßiges Vorgehen und gebietet, vermeidbare
Beeinträchtigungen zu unterlassen.
Gemäß Art. 11 sind bestehende Schutzgebiete zu erhalten, zu pflegen und, wo erforderlich, zu
erweitern. Auch diesbezüglich wird kein absolutes Eingriffsverbot normiert. Art. 11 ist also keine
lex specialis zu Art. 9, die für eine spezielle Kategorie von Gebieten jeglichen Eingriff verbieten
würde. Es ist allein der „Schutzzweck“ zu wahren. Wie gezeigt, führt die Überspannung des
Ruhegebiets „Kalkkögel“ zu keiner Beeinträchtigung des Schutzzwecks dieser Landschaft.
Wenn der Gesetzgeber des Jahres 1974 bestrebt gewesen sein sollte, Seilbahnen in Ruhegebieten
grundsätzlich und absolut zu verbieten, so wäre er damit über den eigentlichen Schutzzweck des
Ruhegebietes hinausgegangen. § 11 TNSchG enthält eine Palette an Maßnahmen, Regelungen
und Verboten, die sicherstellen sollen, dass ein Ruhegebiet insgesamt seinen Schutzzweck
erreichen kann. Art. 11 des Naturschutzprotokolls führt nun keineswegs – und dies scheint ein
grundlegender Denkfehler bei denjenigen zu sein, die eine Abänderung des TNSchG, welche das
Projekt „Brückenschlag“ ermöglichen würde, für völkerrechtswidrig erachten – zu einer
Projektes wird mit einem Gesamteffekt auf elf Jahre von real rund 188 Millionen € auf das Tiroler Regionalprodukt
gerechnet. Ibid., S. 35.
12 Versteinerung eines einmal gewählten Instrumentariums zur Verwirklichung des Schutzzwecks
der Ruhegebiete:
‐
Zum einen entwickelt sich die Technik fort. Seilbahnen von heute sind mit jenen zu
Beginn der 1970er Jahre nicht im Mindesten zu vergleichen. Das betrifft einmal die
Stützpfeilertechnik (im Kalkkögel-Gebiet wären jetzt nur mehr zwei Stützpfeiler
erforderlich, was 1974 undenkbar gewesen wäre, zum anderen aber die akustische Seite.
Die von solchen Einrichtungen ausgehenden Geräusche konnten in der Zwischenzeit
weitestgehend reduziert werden, so dass von „Lärm“ überhaupt nicht mehr gesprochen
werden kann.
‐
Zum anderen muss es dem Gesetzgeber der Vertragsparteien (bzw. in den
Vertragsparteien) vorbehalten bleiben, den geeigneten Mix an Instrumenten und
Vorkehrungen zu definieren, die insgesamt den Schutzzweck realisieren sollen. Der
Schutzzweck als solcher muss gewahrt bleiben; die Wahl des Wegs zu seiner Realisierung
bleibt den Vertragsparteien überlassen.
Ist der Schutzzweck für ein Schutzgebiet einmal sichergestellt, steht es dem nationalen
Gesetzgeber (und natürlich auch dem Bundesland in Österreich) frei, darüber hinausgehende
Gebote und Verbote vorzugeben. Die Schutzintensität kann in der Folge variieren (immer unter
der Voraussetzung, dass der Schutzzweck dadurch nicht beeinträchtigt wird). Diese Anpassungen
berühren die Verpflichtungen aus dem Naturschutzprotokoll nicht. Sie sind völkerrechtlich nicht
weiter relevant. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen reichen nur so weit, wie vom Wortlaut
und Ziel und Zweck der Bestimmungen der Alpenkonvention und des Naturschutzprotokolls in
ihrem Zusammenhang vorgegeben.9
Die Verpflichtung, ein bestimmtes einmal von einer Vertragspartei erreichtes Schutzniveau zu
garantieren, kann nur soweit reichen, wie die Schutzverpflichtung durch Naturschutzprotokoll
und Alpenkonvention insgesamt reicht. Wie gezeigt, sind diese beiden Dokumente von einer
gewissen Flexibilität gekennzeichnet, die auch die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der
ansässigen Bevölkerung im alpinen Raum sicherstellen soll. Das Projekt „Brückenschlag“
verwirklicht diese Vorgabe in geradezu idealer Weise.
9 Vgl. dazu Art. 31 WVK, der als Ausgangspunkt der Auslegung „die gewöhnliche Bedeutung der Bestimmungen in
ihrem Zusammenhang“ vorgibt.
13 Eine Auslegung von Alpenkonvention und Naturschutzprotokoll in dem Sinne, dass eine
Anpassung des TNSchG im vorgeschlagenen Sinne ausgeschlossen wäre, wäre aus vielerlei
Gründen gefährlich und abzulehnen:
‐
Eine solche Auslegung würde klar gegen Wortlaut und Ziel und Zweck der einschlägigen
Vertragsbestimmungen verstoßen.
‐
Sie würde zu einer Versteinerung einmal gewählter Schutzvorkehrungen führen. Gerade
jene Staaten, die eine Vorreiterrolle bei der Erprobung neuer Schutzregelungen
eingenommen haben, sähen dann ihre Hände gebunden. In der Folge würden die
Vertragsparteien bei der Übernahme neuer Natur- und Umweltschutzverpflichtungen
wohl eine noch kritischere Haltung einnehmen, da sie fürchten müssten, dass eine
Rücknahme von Vorkehrungen, die sich als wirtschaftlich nicht vertret- und verkraftbar
oder nach Maßgabe neuerer technologischer Entwicklungen als überholt erweisen, nicht
mehr möglich wäre.
‐
Eine solche Interpretation würde einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung des
Alpenraums entgegenstehen, die Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung im
Alpenraum gefährden und damit letztlich auch ökologisch abträgliche Wirkungen
zeitigen.
4. Die verfassungsrechtliche Perspektive
Wie erwähnt, bezieht sich das Gutachten von Frau Prof. Gamper auf einen Vorschlag von
Projekt-Befürwortern,
der
gegenwärtig
nicht
mehr
aktuell
ist.
Danach
hätten
Schigebietszusammenschlüsse von der Verbotsnorm in § 11 Abs. 2 lit b) TNSchG ausgenommen
werden sollen. Frau Prof. Gamper sieht darin eine unsachliche und damit verfassungswidrige
Differenzierung. Sie führt dazu aus:
„Es ist daher kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zwischen der Errichtung von
Seilbahnen für die Personenbeförderung im Zusammenhang von
Schigebietszusammenschlüssen und der Errichtung von anderen Seilbahnen für die
Personenbeförderung zu differenzieren. In beiden Fällen ginge es darum, Schigebiete
infrastrukturell zu erschließen, und in beiden Fällen könnte damit ein wirtschaftlicher
Nutzen verbunden sein.“
14 Diese
Kritik
ist
von
vornherein
unzutreffend,
wenn,
wie
im
vorliegenden
Fall,
Schigebietszusammenschlüsse im Zusammenschlussbereich gar nicht infrastrukturell erschlossen
werden. In einem solchen Fall, in dem zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte gegeben sind,
wäre eine Differenzierung verfassungsrechtlich sogar verpflichtend.
Selbst wenn eine solche Erschließung im Zusammenschlussbereich erfolgen würde, wäre die
Differenzierung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus sachlich und damit
verfassungskonform.
Das „argumentum ad absurdum“, dass Frau Prof. Gamper dem entgegenhält, überzeugt nämlich
nicht: „Denn ein wirtschaftlicher Nutzen wäre erst recht für jene Fälle anzunehmen, in denen überhaupt
erstmals Schigebiete geschaffen würden.“ Ob in einem solchen Fall der Neuerschließung der
wirtschaftliche Nutzen tatsächlich höher wäre, lässt sich schwer generell behaupten. Dagegen
wäre aber der Eingriff in die Naturlandschaft wohl in den allermeisten Fällen viel massiverer Art
und in einer Güterabwägung müsste somit dem Interesse an einer unberührten Natur wiederum
der Vorzug gegeben werden.
Somit erscheint selbst die ursprünglich vorgeschlagene Variante einer Novelle zum TNSchG
grundsätzlich verfassungskonform zu sein (wobei wiederum gesondert die Frage der Konformität
mit den Vorgaben des Naturschutzprotokolls zu prüfen wäre), wenngleich dem neuen Vorschlag,
der die Natur des Eingriffs klarer präzisiert, eine Lärmbelästigung ausschließt und einer
infrastrukturellen Erschließung des Zusammenschlussgebiets klar entgegensteht, auf jeden Fall
der Vorrang einzuräumen wäre, da in diesem Fall von vornherein die Konformität mit den
gegebenen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gesichert wäre.
Innsbruck, 16.03.2015
ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Hilpold 15