- Deutscher Städtetag

Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist: Redebeginn
Rede von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly,
Präsident des Deutschen Städtetages,
anlässlich der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages
am 10. Juni 2015 in Dresden
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor zwei Jahren haben Sie mich mit dem Amt des Präsidenten des Deutschen Städtetages
„ausgestattet“.
Das waren einerseits zwei schnelle Jahre in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen
scheint, andererseits zwei lange Jahre mit einigen „Großkampfthemen“, die uns weiter beschäftigen werden:
1. Gemeindefinanzierung: Hier besonders die Schere zwischen arm und reich – wie es
ja auch im Motto dieser Tagung deutlich wird - sowie die Unterfinanzierung der Infrastruktur.
2. Vollzug der Energiewende: wenig Klarheit, viele Fragezeichen.
3. TTIP: Selten gab es zu einem Thema so viele kommunale Resolutionen.
4. Wohnungsbau: Mangel an vielen Orten, aber nicht überall.
5. Asyl- und Flüchtlingsfragen: Ein Thema, über das jeder und jede von uns aus dem
Stegreif stundenlang referieren könnte – da reicht der Bogen von der Krisenfestigkeit
unserer Verwaltungen bis zu den Stimmungen in der Stadtgesellschaft. Und beim
Thema der sog. Armutsflüchtlinge mussten wir einerseits das Problem auf die Agenda bringen, andererseits gegen Hysterisierung und Skandalisierung eintreten.
6. Recht auf Kinderkrippenplatz: Hier ist - wir hatten das immer gesagt - die Klageflut
ausgeblieben und die kommunale Familie hat ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis
gestellt.
Vor zwei Jahren hatte ich auch gesagt, es gehe nicht immer nur um Geld, sondern auch um
Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung.
Wenn Bund und Länder sogenannte Asylgipfel abhalten und dort ein Thema behandeln,
dessen operative Zuständigkeit überwiegend bei uns liegt - schließlich wird über Wohl und
Wehe der Integration in den Städten und Gemeinden entschieden -, wenn die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen - bei der wir dabei
wären - nicht einberufen wird, sondern stattdessen in verschiedenen Zirkeln - natürlich ohne
uns - gesprochen wird, dann fehlt es an genau diesem Respekt.
Und der verfassungsrechtliche Hinweis, die Länder würden ja die kommunalen Interessen
vertreten, wird durch häufiges Wiederholen auch nicht wahrer. Aktuell gibt es nun wenigstens einen Lichtblick, der uns freut: Wir sind eingeladen, morgen an einer Besprechung der
Bundeskanzlerin mit den Ländern zur Asyl- und Flüchtlingspolitik teilzunehmen.
Trotz z.T. schon spürbarer Zusatzbelastung - ich hatte nebenher ja auch noch Wahl - bleibt
mein Fazit der beiden Jahre: Es hat Spaß gemacht, für Sie den Kopf wahlweise hin- oder
auch vor die Kameras gehalten zu haben, nur ein Freund von Morgenmagazin-Auftritten
werde ich definitiv nicht mehr…
Lassen Sie mich auf die Themen im Einzelnen eingehen:
1 1.
August 2013, Recht auf Kinderkrippenplatz tritt in Kraft
Eine multi-mediale Lehrstunde: Begleitet von der Gänsehaut der Vorfreude auf das öffentliche Scheitern der deutschen Kommunen machte sich fast ein wenig Enttäuschung breit,
dass die Klageflut dann ausblieb, was wir schon immer genauso vorhergesagt haben.
Der Grund ist schlicht, dass wir „wie die Blöden“ gebaut haben. Das war - von der Öffentlichkeit kaum gewürdigt - ein wunderbarer Beweis unserer Leistungsfähigkeit, wenn es darauf
ankommt.
Die zweite Frage aller Fragen, nämlich bei wie viel Prozent die Vollversorgung erreicht ist,
habe ich immer so beantwortet: Wenn für das letzte Kind, das einen Platz braucht, dieser
vorhanden ist.
Allein der Zuwachs der betreuten Kinder unter drei Jahren um 60% und der Zuwachs des
entsprechend eingesetzten Personals um ca. 30% in den vergangenen 5 Jahren machen
deutlich, dass dieser Quantensprung in der frühkindlichen Bildung auch bezahlt werden
muss. Der Bund hat sich hier zwar schon stark eingebracht. Aber wenn nun nach dem quantitativen Ausbau über Qualitätsverbesserungen gesprochen wird, was richtig ist, werden weitere Mittel von Bund und Ländern nötig sein.
2.
Herbst 2013: Erste Berichte über Armutsflüchtlinge und sog. „Problemhäuser“
tauchen auf
Wir sind es gewesen, die das Thema – nicht zuletzt mit einem Positionspapier des Deutschen Städtetages – auf die Tagesordnung gesetzt haben. Danach folgten: Sozialministerkonferenz, Innenministerkonferenz, Staatssekretärsausschuss der neuen Bundesregierung.
Mediale Problemkonjunktur: Problemaufbauschung, danach politische Skandalisierung
(„Wer betrügt, der fliegt“), dann flächendeckende Versachlichung zu den Fragen, wie wehrhaft das deutsche Sozialsystem gegen Missbrauch ist, wie die soziale Transferbilanz von
Rumänen und Bulgaren ist, wo Rechtsansprüche bestehen und was tatsächlich echter Missbrauch ist.
Ich finde, dass der öffentliche Diskurs hier nach anfänglichen Eruptionen eine hohe zivilgesellschaftliche Reife erreicht hat, nicht zuletzt auch durch uns.
Das Problem ist noch nicht vom Tisch, aber es läuft mit dem Maßnahmenpaket in die richtige
Richtung. Und es bleibt dabei, dass die EU in den Herkunftsländern so konkrete Hilfsleistungen erbringen muss, dass weniger Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren.
3.
Flüchtlinge - gesamtgesellschaftliche Aufgabe bedarf gesamtstaatlicher Verantwortung
Viel Hektik gab und gibt es um den Zuwachs von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Mancher
von uns ist lang, für meinen Geschmack zu lang, im Krisenmodus gelaufen.
Dass derzeit Bund-Länder-Gespräche laufen, um das Thema in föderaler Kooperation besser zu sortieren, über mehr Geld vom Bund, aber auch mehr Geld von den Bundesländern,
die ihre Gemeinden heute nur unzureichend unterstützen, ist gut.
2 Wenn wir nun einbezogen werden, ist es dafür höchste Zeit. Wie bereits angesprochen, geht
es schließlich um die Integration der Menschen in den Städten und Gemeinden.
Bevor ich über Geld rede, drei Vorbemerkungen:
a. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur gesamtstaatlichen Verantwortung und damit
auch gesamtstaatlichen Bearbeitung für das Thema Asyl.
b. Die öffentliche Debatte in Deutschland konzentriert sich auf die Vorgänge rund um
die Erstaufnahme bis zum Bescheid durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das BAMF, also auf das statistisch gesehen erste halbe Jahr. Tatsache ist
aber, dass die eigentliche Integrationsarbeit erst hinterher beginnt.
Wir können das, wir haben das millionenfach mit Gastarbeitern und Spätaussiedlern
unter Beweis gestellt. Und wir begreifen Zuwanderung auch als Chance für die
Stadtentwicklung. Aber erfolgreiche Integration gibt es eben nicht zum Nulltarif.
c. Weil mehr als die Hälfte der Asylantragsteller aus Europa, überwiegend aus dem
Westbalkan, kommen, und diese Menschen kaum Aussicht auf Anerkennung im
Rechtskreis Asyl haben, ist es richtig, wenn sich um diese Menschen Bund und
Länder im Rahmen ihrer Erstaufnahmeeinrichtungen kümmern und sie nicht dezentral untergebracht werden. Dann könnten wir uns auf die Menschen konzentrieren,
die mutmaßlich lange bei uns bleiben, da sie als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt
oder zumindest per Abschiebeschutz geduldet werden. Die zivilgesellschaftliche Integrationskraft ließe sich so zielgerichteter und effizienter mobilisieren und einsetzen.
Deshalb - und jetzt bin ich doch beim Geld - müssen Bund und Länder die Kosten der Erstaufnahme ohne kommunale Beteiligung tragen. Die Integrationsarbeit tragen wir dann schon,
aber bitteschön unterstützt von Bund und Ländern in den Fragen Wohnungsbau, Sprachund Integrationskurse, Gesundheitsversorgung, Kita- und Schulversorgung sowie Arbeitsvermittlung.
Am 18. Juni soll die Ministerpräsidentenkonferenz zusammen mit Kanzlerin Merkel Beschlüsse dazu fassen. Wir gehen fest davon aus, dass die Beschlüsse mit Finanzmitteln hinterlegt werden.
Gar nicht banal ist das Thema der zivilgesellschaftlichen Stimmungslage. Wir konstatieren
eine Art „emotionaler Polarisierung“: Einerseits gibt es Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen wie selten zuvor, andererseits - und das muss gerade hier in Dresden gesagt werden gibt es viele Ängste. Ich komme später auf dieses Thema noch einmal zurück.
4.
Wohnungsmangel und Leerstand: Bundesdeutsche Realität 2015 und Perspektiven
In Bremerhaven und München hatten wir im Hauptausschuss ausführlich über Wohnungspolitik diskutiert, um am Ende festzustellen, dass auch hier die Schere innerhalb Deutschlands
weit auseinandergeht.
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die Bundesregierung die mietordnungsrechtlichen
Forderungen des Städtetages weitgehend umgesetzt hat: Mietpreisbremse und hoffentlich
bald auch andere Berechnungsgrundlagen für die Modernisierungsumlage, die eine Ver3 drängung von Mietern durch überbordende Modernisierungsaktivitäten bewirken kann, stehen auf der Haben-Seite.
Die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung oder einer Investitionszulage könnte
meines Erachtens die Wohnungsmärkte in den Wachstumsregionen deutlich beleben; über
beide Instrumente sollten wir intensiver nachdenken.
Noch ganz am Anfang stehen wir im Umsteuern beim geförderten Wohnungsbau. Es gibt
das deutliche Missverhältnis aus 15,5 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft (KdU)
und Wohngeld einerseits und nur ca. 1,5 Milliarden Euro von Bund und Ländern für den geförderten Wohnungsbau andererseits. Hinzu kommen die kommunalen Eigenmittel, die jede
Stadt, die dazu in der Lage ist, zusammenkratzt, um für Menschen Wohnraum zu schaffen.
Entsprechend der Festlegungen in der Föderalismusreform ist der Ausstieg des Bundes aus
der sozialen Wohnraumförderung weiterhin beschlossene Sache. Meines Erachtens ein
weiteres Beispiel für Spätschäden der Föderalismusreform.
Verschärfen wird sich die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum durch die anhaltend hohe Zahl an Flüchtlingen schnell und auf längere Zeit.
Wenn wir vermeiden wollen, dass sozialer Sprengstoff selbstentzündlich wird, dann dürfen
wir nicht die alleinerziehende Mutter, die Geringverdienerfamilie mit vielen Kindern gegen die
Flüchtlingsfamilie um die letzte bezahlbare Wohnung in die Konkurrenz schicken.
Hier ist der Bund auch gefordert. Wir werden Wohnungsbauförderung, Städtebauförderung,
Investitionszulagen und gegebenenfalls Konzeptausschreibungen „poolen“ müssen, eventuell noch die degressive Abschreibung ergänzend einführen, um schnell und in ausreichender
Zahl zu bezahlbaren Wohnungen zu kommen. Möglicherweise müssen auch neue Instrumente entwickelt werden, um aus der Belegungsbindung fallende Wohnungen in genau dieser Bindung drin zuhalten – aber allein dafür bräuchten wir gegenüber heute den zwei- bis
dreifachen Mitteleinsatz.
Es geht nicht darum, jetzt irgendwelche Behelfsheime im Nachkriegslook aus dem Boden zu
stampfen, sondern darum, auf die in unseren Städten knappen verfügbaren Flächen etwas
Ordentliches hinzustellen und dabei auch von Anfang an das Wohnumfeld mit zu denken.
In dieser Kombination, also Einsatz des Mietordnungsrechts, der Investitionszulage, der Abschreibung, neuer (und) alter Förderinstrumente mit mehr Geld ausgestattet und Verlängerung auslaufender Belegungsbindungen können wir die Mietentwicklung dämpfen.
Das sind aktuelle Forderungen und Konsequenzen für eine wirksame Wohnungspolitik. Aber
es gibt auch eine andere Seite: In der Debatte in Bremerhaven wurde einprägsam aufgezeigt, dass wir auch den Leerstand in manchen Städten nicht aus den Augen verlieren dürfen. Beide Herausforderungen müssen wir im Blick haben – Wachstum hier, Leerstand dort.
4 5.
TTIP, CETA und Co.: Selten gab es so viele kommunale Resolutionen
Hunderte von Stadträten haben Resolutionen beschlossen und uns zugeleitet. Das war keine
von oben gesteuerte Kampagne, sondern eine kommunale „Graswurzelbewegung“, getrieben von der Sorge um den kulturellen Geist der Daseinsvorsorge deutscher Prägung.
Ich denke, man darf ohne übertriebene Selbstbespiegelung konstatieren, dass die öffentliche
Aufmerksamkeit für das Thema die nicht-öffentlichen Verhandlungen gehörig „gestört“ hat.
Und das ist auch gut so.
Wir haben im Präsidium gesagt, der freie Handel ist nichts Schlechtes. Historisch und genau
betrachtet ist der Handel, auch der freie internationale Handel, ja durchaus konstitutiv und
prägend für die Entwicklung der europäischen Stadt gewesen.
Genauso alt ist allerdings das Stadtrecht, das die Handelsaktivitäten geordnet und in bestimmte Bahnen gelenkt hat. Freiheit im Handel braucht Regeln.
Und um diese Philosophie geht es für mich bei den Freihandelsabkommen. Wo bringt die
Freiheit des Handels am Ende Unfreiheit für Verbraucher, Arbeitnehmer, kleinteilige schützenswerte Strukturen mit sich?
Die Quintessenz unserer Forderungen:
‐
Positivliste statt Negativliste zum Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge, d.h., das
Abkommen gilt nur in den Bereichen, die im Abkommen genannt sind.
‐
Keine Abstriche bei sozialen, ökologischen, Verbraucherschutz- und Arbeitnehmerstandards.
‐
Keine privaten Schiedsgerichte: Dies war weitgehender Konsens bei zahlreichen weiteren gesellschaftlichen Organisationen.
Das Bundeswirtschaftsministerium teilt diese Bedenken der kommunalen Spitzenverbände
und des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Jetzt müssen die Forderungen nur
noch durchgesetzt werden.
6.
Vollzug der Energiewende – wenig Klarheit, viele Fragezeichen
Mit der Änderung der EEG-Regelungen hat die Bundesregierung den stark ansteigenden
Ausbau der erneuerbaren Energien verlangsamt.
Auf den Energiemärkten in Deutschland herrscht derzeit Überschuss. Atomkraftwerke laufen
ebenso wie Braun- und Steinkohlekraftwerke. Gaskraftwerke stehen still, weil sie u.a. angesichts der derzeitigen Strompreise nicht wirtschaftlich zu betreiben sind.
Was wollen wir?
Eine Stromwelt ohne Atomkraft mit einem starken Anteil an regenerativen Energien und als
Back up Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Gasbasis.
Zum Erreichen der Klimaziele wird dauerhaft ein Verzicht auf Braun- und Steinkohle in der
Energieerzeugung nicht zu vermeiden sein. Wenn wir diese Welt wollen, scheint es nicht
zwingend logisch, den Ausbau der regenerativen Energien zu verlangsamen und gleichzeitig
Gaskapazitäten vom Netz zu nehmen. Der Grund ist bekannt: Die EEG-Umlage hat die
Strompreise zu sehr getrieben, die Preise für CO2-Lizenzen üben keinerlei lenkende Funktion zwischen den Energieträgern Gas, Stein- und Braunkohle aus. Im Grünbuch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie wird das Marktkonzept des Energiemarktes 2.0
5 favorisiert. Das soll theoretisch so funktionieren: In der ersten Phase findet ein Abbau der
Überkapazitäten in der Erzeugung statt. Wenn dann die Atomkraftwerke Stück für Stück vom
Netz gehen, werden die Strompreise in der „knappsten“ Stunde, also der „dunklen Flaute“
bei hoher Nachfrage, spürbar steigen. Das soll dann Investitionsanreize für dezentrale und
flexible Gaskraftwerke auslösen, was zu der oben skizzierten „schönen, neuen Welt“ führt.
Das Modell könnte theoretisch funktionieren, birgt aber erhebliche Risiken und wirft viele
Fragen auf:
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Warum jetzt die Gaskraftwerke vom Netz gehen lassen, die später angeblich gebraucht
werden?
Ist es richtig, dass heute alte, abgeschriebene Braunkohlekraftwerke voll laufen, während Gas Verluste schreibt?
Wer sagt, dass ein steigender Preis in der Spitzenstunde tatsächlich ausreichende
Investitionsanreize für neue Gaskraftwerke auslöst?
Wo bleiben in dieser Marktutopie die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK), die als
wärme-geführte Anlagen nicht oder nur bedingt auf aktuelle Strompreisschwankungen
reagieren können?
Könnte es nicht sein, dass in der „schönen, neuen Welt“ der in Deutschland erzeugte
regenerative Strom durch z.B. polnischen Braunkohle- und französischen Atomstrom
ergänzt wird? Und wenn das passiert, wollen wir das?
Welche Risiken birgt dieses reine Marktmodell für die Stadtwerkelandschaft? Können
wir es uns leisten, uns die Stadtwerke nicht mehr leisten zu können?
Man sieht: Es gibt deutlich mehr Fragen als Antworten.
Für mich ist klar: Kaum ein Land in Europa hat so gut aufgestellte dezentrale Strukturen wie
wir. Die Energiemärkte der Zukunft werden dezentraler werden, wohl auch kleinteiliger. Es
wäre in höchstem Maße fahrlässig und eine inakzeptable Verschwendung volkswirtschaftlichen Vermögens, wenn wir genau die Strukturen – also unsere Stadtwerke -, von denen wir
wissen, dass wir sie später brauchen werden, heute gefährden würden.
Wer Stadtwerke stärken will, muss die KWK-Technologie besser fördern, das Strommarktdesign auf dezentrale Erzeugungsstrukturen besser ausrichten, die Modernisierung der Verteilernetze und die Konzessionsvergabe erleichtern sowie die Energieeffizienz vorantreiben!
7.
Bund- Länder- Finanzbeziehungen – eine unendliche Geschichte
Unglaublich, ärgerlich, grotesk – leider muss man das, was sich da seit der Abfassung des
Koalitionsvertrages abspielt, so qualifizieren. Da wird geschachert und gestritten, taktiert und
paktiert.
Die Verwendungszwecke etwaig zu verteilenden Geldes sind ja eigentlich leicht beschrieben:
a.
b.
c.
Alle wollen mehr für Deutschlands Infrastruktur ausgeben.
Die armen Länder und Gemeinden wollen Hilfe bei der Entschuldung.
Die reichen Zahlerländer wollen weniger in den horizontalen Finanzausgleich einzahlen.
6 d.
Die Städte wollen Entlastung bei den Sozialausgaben, eine Fortführung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) und Unterstützung für strukturschwache
Regionen.
Und außerdem braucht es noch weiterhin Hilfe für die Länder im Osten, wenn auch
vielleicht nicht mehr in bisheriger Höhe.
e.
Klar ist zur Stunde offensichtlich Folgendes:
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Manche wollen den Soli weiter erheben, manche ihn abschaffen.
Manche möchten den Gemeinden 5 Milliarden Euro über ein Bundesteilhabegesetz
für Menschen mit Behinderung geben, manche 5 Milliarden Euro über andere Wege.
Die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr werden um 1 Milliarde Euro erhöht
oder nur ein kleines bisschen aufgestockt.
Das GVFG geht ab 2019 unverändert weiter oder es hört auf oder es wird aufgestockt.
Der Umsatzsteuervorwegausgleich wird so geändert, dass Nordrhein-Westfalen mehr
Geld hat, dann hat aber auch Bayern mehr Geld und müsste noch mehr im Länderfinanzausgleich zahlen…
Für die gemeindliche Infrastruktur gibt es einmalig 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen, abzurechnen bis 2018. Das ist gut so. Nur: Wer davon wirklich
nachhaltige Infrastruktur für die Zukunft bauen kann, ist angesichts des Sanierungsbedarfes ein Zauberer.
Wenn alle gar nichts machen, enden 2019 der Soli, der Länderfinanzausgleich und
das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Außerdem fängt dann die Schuldenbremse bei den Ländern an.
Ich verhehle meine Sympathie für den frühzeitig lancierten Schäuble-Scholz-Vorschlag nicht.
Und zwar nicht deshalb, weil alles, was dort enthalten ist, toll ist, sondern weil es der Versuch war, die Summe und deren Aufteilung zu definieren: Für den Soli, also für 19 Milliarden
Euro, wird ein fester Teiler zwischen Bund und Ländern (halbe-halbe) eingeführt und innerhalb dieser Hälften wird klar gelegt, wer was davon tragen muss.
GVFG und Bundesteilhabegesetz blieben dabei „vor der Klammer“.
Ein „vernünftiger“ Vorschlag, der das Geschachere ersetzen sollte. Dass das nicht geklappt
hat, ist meines Erachtens äußerst bedauerlich.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einfach noch einmal klarstellen, worum es uns geht: Wir
kämpfen als Städte nicht um Steuereuros von Bund und Ländern nur um des Geldes willen,
sondern
wir gestalten

damit die Lebensqualität in unseren Städten.
Wir investieren

in für die deutsche Wirtschaft existenzielle Infrastruktur sowie

in Bildungsgerechtigkeit und soziale Teilhabe.
Wir nehmen

die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ernst.
Wir betreiben

den Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland.
7 Das alles gibt es nicht zum Nulltarif.
Und wenn wir diese existenziellen Bedürfnisse der Menschen nicht mehr befriedigen können,
dann ist das ein Brandbeschleuniger für die Pegidas dieser Welt.
Jeder Einzelne und jede Einzelne von uns hat in den vergangenen Monaten diese Debatten
geführt. Diskussionen mit Menschen, die Zukunftsängste haben und die Ängste auf andere
Bevölkerungsgruppen projizieren.
Wir machen uns diese Ängste nicht zu Eigen, aber wir müssen die Ursachen ernst nehmen,
denn:
Wer Angst hat, der verkennt das Wirkliche, vermeidet das Unangenehme und verpasst das
Mögliche.
Unser Job ist es, den Menschen so viele Möglichkeiten zu bieten, dass sie das Mögliche
nicht mehr verpassen müssen. Der Resonanzboden dafür ist unsere Stadt, egal ob groß oder klein, Nord-Süd-Ost-West, selbst egal, ob reich oder arm: Jede Stadt hat einen Möglichkeitenüberschuss und nicht einen Problemüberschuss.
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