Faltblatt zu dieser Veranstaltung

In Kooperation mit
Ein Projekt der
Mobilen Akademie
Berlin
Die Ewigkeit
Eine Konferenz mit praktischen Übungen
Die Ewigkeit ist streng genommen eine außerzeitliche Kategorie. Wir, die wir im Diesseits des
Ewigen wohnen und arbeiten, vertaktet und verortet in einer chronologischen Zeitlichkeit, müssen
rätseln: Wie nähert man sich der Ewigkeit am 24. April in Braunschweig?
Braunschweig und Ewigkeit sind Nachbarn. In der hiesigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
(PTB) sitzen die staatlichen Hüter der maßgebenden Zeit, hier steht die taktgebende Atomuhr.
In Braunschweig wird Zeit produziert: der Taktschlag, die amtliche Atomuhr-Zeit, auf die wir alle
vertrauen. Und zugleich ist auch eine nukleare Zeit von Relevanz, weil hier im Jahr 2022 Schacht
Konrad, das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe, in Betrieb genommen werden soll.
Die Ewigkeit ist keine feste Größe. Die Jahrhunderte häufen unterschiedliche Vorstellungen und
konkurrierende Modelle von Ewigkeit an: Sie könnte hinter oder jenseits der Zeit liegen, sie könnte
die unendliche Zeit sein oder ein Zustand ohne Anfang und Ende, eine ewige Wiederkehr des
Gleichen und Gewesenen oder das Aufgehobensein jeglicher Zeit in einer totalen Gegenwart.
Martin Donat ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg e.V. und Bürger der Republik Freies Wendland. Schon
1979 war er dabei, als 500 Trecker und 100.000 Menschen nach Hannover
zogen, um anlässlich des Atomunfalls in Harrisburg gegen die Pläne für ein
„nukleares Entsorgungszentrum“ in Gorleben zu demonstrieren. Der AntiAtom-Aktivist wohnt selbst mit seiner Familie seit 1983 in Lüchow-Dannenberg und ist Abgeordneter im dortigen Kreistag. Von 2007 an war er Mitglied
der Programmkommission zur Vorbereitung des Endlagersymposions, ab
2008 unter Umweltminister Sigmar Gabriel, danach bis 2010 Mitglied des
Forums Endlager-Dialog (FED). Hauptberuflich arbeitet der gelernte Gärtner
als Arbeitstherapeut in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch
erkrankte Menschen.
Petra Gehring studierte Philosophie, Politik- und Rechtswissenschaft in
Gießen, Marburg und Bochum. Sie ist Professorin für Philosophie an der TU
Darmstadt und forscht u.a. zur Geschichte von Tod und Leben, zu techniktheoretischen Problemen, zu Theorie und Kritik der Biowissenschaften, zu
Geschichte und Metaphysik des Lebensbegriffs sowie zum Konzept von
„Wirklichkeit“. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen u.a. „Theorien des
Todes zur Einführung“ (2010), „Traum und Wirklichkeit. Zur Geschichte einer
Unterscheidung“ (2008) und „Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften
Mehrwert des Lebens“ (2006). Mit der Frage nach dem Ewigen hat sie sich
seit Längerem befasst. Eine Vorlesungsreihe von Petra Gehring über
„Theorien der Zeit und der Zeitlichkeit“ findet sich als Audiofile im Netz:
https://openlearnware.tu-darmstadt.de
Kai van Eikels ist Philosoph, Theater- und Literaturwissenschaftler
und derzeit Privatdozent an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind dynamische Kollektivformen wie „Schwärme“ oder
„Smart Mobs“, Virtuosität und postfordistische Arbeitskulturen sowie
Politiken der Partizipation. In Projekten zu Ersetzbarkeit, Serialität
und Gleichheit fragt er gegenwärtig nach den ästhetischen, ethischen
und politischen Konsequenzen endlichen Lebens. Zusammen mit Gabriele
Brandstetter leitet er ein Forschungsprojekt zu Synchronisierung und
Choreographie, das die materiellen Bedingungen von Zeit in Tanz und
Performance erforscht. Aktuelle Publikation: „Die Kunst des Kollektiven.
Performance zwischen Theater, Politik und Sozio-Ökonomie“ (2013).
Rainer Gruber promovierte in Quantenfeldtheorie und war die letzten
20 Jahre seines Berufslebens am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische
Physik in Garching b. München tätig. Seit 2001 hält er zahlreiche KongressVorträge und veröffentlicht zu Themen, die sich entlang der Schnittstellen
von Naturwissenschaften, Theater-, Tanz- und Bildwissenschaften bewegen
und um die Verhältnisse von Raum und Zeit kreisen. In seiner jüngsten
Publikation beschäftigt er sich mit der Frage nach unterschiedlichen
Wirklichkeitsbegriffen in der Geschichte der westlichen Philosophie und
Physik und setzt diese in den Kontext chinesischer Konzepte von Zeit und
Raum.
In ihren installativen Arbeiten setzt Ivana Franke Kunst und Neurowissenschaften, Mathematik und Optik, Kinetik und Architektur in einen
Dialog. Die Künstlerin betrachtet das menschliche Gehirn als Medium der
Kunst und Bühne zur Selbsterforschung, auf der wir Wahrnehmungen
und Wirklichkeitskonstruktionen ausprobieren können. Ivana Franke vertrat
Kroatien auf der 9. Architekturbiennale in Venedig (2004) und auf der 52.
Biennale in Venedig (2007). Sie hat an zahlreichen Einzel-und Gruppenausstellungen teilgenommen, u.a. MoMA PS 1, New York; Museum of
Contemporary Art, Zagreb; Manifesta 7, Trentino-Alto Adige/Südtirol;
Reykjavik Art Museum; Museum of Modern and Contemporary Art, Rijeka;
Peggy Guggenheim Collection, Venedig.
Edit Kaldor wurde in Budapest geboren. Als Kind immigrierte sie in
die Vereinigten Staaten, wo sie zehn Jahre lang lebte, bevor sie zurück nach
Europa zog. Sie studierte Englische Literatur- und Theaterwissenschaft
an der Columbia University in New York sowie am University College in
London. Heute lebt sie in Amsterdam. Seit vielen Jahren arbeitet sie als
Dramaturgin und Videokünstlerin. Ihre Theateraufführungen wurden an
Theatern und auf Festivals sowohl in Europa als auch in Nord- und
Südamerika, Asien und Ägypten gezeigt. In ihren Arbeiten verbindet Kaldor
Dokumentation und Fiktion. Ihr Stück „One Hour“ (2012) führt die
Zuschauer an die physischen und mentalen Prozesse des Sterbens heran
und lädt sie ein, probeweise den eigenen Tod zu erfahren.
Es ist ein altes und schönes Rätsel und zum Glück besteht bei der Beantwortung keinerlei Eile,
denn wer braucht heute eigentlich noch die Verheißung einer Ewigkeit? Die Religionen halten sie
weiterhin als existenzielle Lösung im Angebot, aber gerade für den, der ohne religiöse Ewigkeitsversprechen auskommt und kein Bedürfnis nach Transzendenzerfahrung hat, bleibt die Ewigkeit ein
interessantes Phänomen und Rätsel: Als jener Zustand, in den man mit dem Tod eintreten wird.
Und als ein Denkmodell, das dazu provoziert, sich eine entzeitlichte Zeit, jenseits von jeder Chronologie vorzustellen. Die Ewigkeit schafft Raum für Spekulationen und Imaginationen abseits der
verordneten Zeitregime, in denen sich Effizienzsteigerung und die Angst vor der Sterblichkeit
verzahnen.
Ogutu Muraya ist kenianischer Schriftsteller, Theatermacher und
Geschichtenerzähler. Seine Erzählungen basieren auf historischen und persönlichen Erinnerungen. Er ist Creative Director von The Theatre Company
of Kenya und arbeitete mit dem Redaktionsteam des Literatur-Netzwerks
Kwani Trust. Als Dramatiker hat er mehrere Theaterstücke geschrieben, die
in Kenia sowie auf internationalen Festivals in Zimbabwe, New York, Buenos
Aires und Europa gezeigt wurden. Im Jahr 2012 übersetzte Ogutu Muraya
William Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ als „Wanawake wa
wa Heri Windsor“ ins Swahili. Die Adaption wurde im Shakespeare’s Globe
Theatre London beim Globe to Globe Festival uraufgeführt und tourte
später durch Indien und Ostafrika. Er studiert in Amsterdam.
Stefan Lorenz Sorgner ist Direktor und Mitbegründer des Beyond
Humanism Network und Fellow am Institute for Ethics and Emerging
Technologies (IEET). Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, unter
anderem „Menschenwürde nach Nietzsche“ (2010). Er ist ein weltweit
gefragter Vortragender (z.B. TEDx; World Humanities Forum) und ein
regelmäßiger Ansprechpartner nationaler sowie internationaler Medien.
Seine Hauptarbeitsgebiete und Forschungsinteressen sind die Philosophie
Friedrich Wilhelm Nietzsches, Musikphilosophie, Bioethik und der Meta-,
Post- und Transhumanismus.
Wladimir Velminski, geboren in Duschende/UdSSR, ist Kunst- und
Wissenschaftshistoriker. Studium der Mathematik, Physik, Slawistik und
Kulturwissenschaft in Berlin und Moskau. In seiner Forschung beschäftigt er
sich mit den Techniken der Beeinflussung in Russland und der Sowjetunion,
von ihrer Gründung bis zum Zusammenbruch. Als Dilthey-Fellow an der
ETH Zürich untersucht er Theorien und Praktiken, die dem sowjetischen
Staatsapparat die Möglichkeit diverser Mechanismen zur Gedankenkontrolle, sowohl innen- wie auch außenpolitisch, eröffneten. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Kulturgeschichte Osteuropas, u.a.
„Diagnose: Krim. Kunst und Gewandtheit der Politik“ (2014); „Maschinentheorien/Theoriemaschinen“ (2012); „Gehirnprothesen. Praktiken des
Neuen Denkens“ (2012).
Christine Wank ist Trainerin, systemische Organisationsberaterin und
Facilitator. Sie berät Organisationen aus dem öffentlichen, privaten und
gemeinnützigen Sektor. Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in der Gestaltung
von Innovations- und Strategieprozessen in Organisationen, ko-kreativen
Dialogprozessen mit Teams und Großgruppen sowie werte- und sinnorientiertem Leadership Development. Dabei stehen vor allem auch die inneren
Ressourcen und Qualitäten von Aufmerksamkeit, Präsenz und Sinn als
zentrale Erfolgsfaktoren für tiefgreifenden Wandel und Innovation im Fokus
ihrer Arbeit. Sie ist Mitglied im Kernteam des Presencing Institutes und
entwickelt dort praktische Ansätze für die schöpferische Potentialentfaltung
und Kreativität von Menschen und Organisationen.
Dorothee Wenner ist Kuratorin, Autorin und Filmemacherin. Sie ist im
Auswahl-Komitee der Berlinale (Internationales Forum des jungen Films)
und Ko-Kuratorin für das Internationale Film Festival in Dubai. Sie schrieb
den ersten deutschen Bollywood Roman („Fearless Nadia“; 1999). Seit 2009
ist sie Mitglied der AMAA Jury – der African Movie Academy in Lagos, wo
auch ihr letzter Dokumentarfilm gedreht wurde: „DramaConsult“ ist eine
filmische Intervention in die Sphäre nigerianisch-deutscher Wirtschaftsbeziehungen und zugleich eine cinematographisch motivierte kapitalistische
Abenteuerreise. Weitere Dokumentarfilme von Dorothee Wenner sind:
„Hollywood Killed Me“ (1988), „Unser Ausland“ (2002), „Star Biz“ (2005),
„Shanti Plus“ (2006), „Peace Mission“ (2008); „Family Affairs/Living
Archive“ (2013).
Die Konferenz stellt in mehreren Vorträgen die aufregendsten Ewigkeitsmodelle und Endlosigkeitskonzepte aus Philosophiegeschichte, Kulturtheorie und den Naturwissenschaften vor. Parallel
dazu werden praktische Übungen aus unterschiedlichen Disziplinen angeboten – der Kunst, dem
professionellen Coaching, der Performance Art, dem Transhumanismus und der Literatur. Mit den
Mitteln der Zerdehnung, der seriellen Wiederholung, des Stillstellens und des Leugnens von Zeit
werden augenblickliche Annäherungen an die Ewigkeit ermöglicht. Zudem stellen wir Techniken vor,
sich in schicksalsloser Endlichkeit zu üben. Wir garantieren: Der Blick in die rotierende Trommel
der Waschmaschine wird nie mehr derselbe sein.
Training für die Endlichkeit
Ein Parcours in sechs Stationen
Station a: Serielle Wiederholung und ewige Wiederkehr
des Immergleichen
Dieser Zustand kann ein Horrorszenario sein: Alles muss
immer wieder als Ein und Dasselbe erlebt werden. Oder als
ein Segen der Langeweile: Das Zeiterleben erlischt, alles
bleibt beim Alten, ohne Zweck und ohne Ende. Und das ist
gut so. (John Cage, Kai van Eikels, Petra Gehring, Rainer
Gruber)
Station d: Apparate der Ewigkeit
Eine künstlich konstruierte Ewigkeit skizzierte bereits
Leonardo da Vinci: Seine Unendlichkeitsmaschine ist ein
mechanisches Getriebe, das die Bewegung ins nahezu
Unendliche verlangsamt, aber den Stillstand nie erreicht.
(Übertragung des Orgelstücks Organ2/ASLSP von John
Cage mit der Tempovorschrift „As SLow aS Possible“ aus
der Burchardikirche in Halberstadt, Wladimir Velminski)
Station b: Das Anhalten der Zeit im Rausch (oder im
Schock)
Der köstliche Moment, in dem Vorher und Nachher, Innen
und Außen verschwinden, ein Riss im zeitlichen Kontinuum.
Das nüchterne Wissen um die Endlichkeit dieses Moments
steigert, wenn möglich, noch den Genuss. (Ivana Franke,
Petra Gehring)
Station e: Die Buddha-Methode
Der beste Ausgangspunkt für eine Annäherung an die
Ewigkeit sind nicht die Vergangenheit oder die Zukunft,
sondern die Gegenwart. Die Gegenwart ist ein ungeklärter
Ort, ein Nicht-mehr und Noch-nicht, eingeklemmt
zwischen Vergangenem und Zukünftigem. Könnte man das
Jetzt erleben, die unmittelbare Gegenwart, man könnte
in ihr einen Funken Ewigkeit spüren. (Ivana Franke, Rainer
Gruber, Christine Wank)
Station c: Aufbewahren und Archivieren im Gedächtnis
(Ars Memoria) oder in Behältern
Die Tiefkühl-Container in Arizona: Die Kryoniker glauben,
dass die physische Unsterblichkeit des Menschen durch
technisches Enhancement machbar ist (auch ein Braunschweiger Bestattungsunternehmen bietet den Transport
von schockgefrorenen Körpern nach Arizona an). Eine
Container-Deponie bei Braunschweig: Die Fässer im
Schacht Konrad werden demnächst nuklearen Restmüll
verwahren, der mehr als 100.000.000 Jahre strahlt. (Martin
Donat, Petra Gehring, Stefan Lorenz Sorgner, Dorothee
Wenner / Hannah Hurtzig)
Station f: Die Gegenübung
Vergegenwärtigung des Endlichen, Einübung in den letzten
Moment. Eine dynamische Meditationsübung, die den
Übergang vom lebenden Menschen in die Bildwerdung des
Verstorbenen anschaulich macht. Eine Generalprobe der
eigenen Sterblichkeit. (Hannah Hurtzig / Susanne Sachsse,
Edit Kaldor / Ogutu Muraya)
Credits
Die Ewigkeit. Eine Konferenz mit praktischen Übungen
Ein Projekt der Mobilen Akademie Berlin,
in Kooperation mit dem Kulturinstitut der Stadt Braunschweig
und dem Haus der Wissenschaft Braunschweig
Team Mobile Akademie Berlin: Konzept & Raum: Hannah Hurtzig,
Produktion & Recherche: Stefan Aue, Ausstattung & Grafik: Florian
Stirnemann, technische Beratung: Philipp Hochleichter, Kontakt:
[email protected]
Herausgeber: Stadt Braunschweig, Kulturinstitut
Schlossplatz 1, 38100 Braunschweig, [email protected]
Informationen unter Tel.: 0531 470-4810 und 470-4843
Veranstalter: Kulturinstitut der Stadt Braunschweig
in Kooperation mit Haus der Wissenschaft Braunschweig,
Pockelsstraße 11, 38106 Braunschweig
Gestaltung: Waidmann/Post, Braunschweig
www.mobileacademy-berlin.com
www.braunschweig.de/die-ewigkeit
www.hausderwissenschaft.org
Abbildung Vorderseite: Terence Koh, Copycat Academy Toronto 2014,
Foto: Bruce LaBruce; Zeichnung Rückseite: Florian Stirnemann
Denkt man an die Ewigkeit, erinnert man den Tod. Er kann in vielerlei Gestalt
auftreten. Der Tod als Rückkehr ins Unbestimmte, vielleicht in den Kosmos,
vielleicht in einen Zustand vor unserer Geburt. Der Tod als die Auflösung
einer temporären stofflichen Einheit und eine befreiende Ablösung der Seele
vom Körper. Er wird beschrieben als Durchgangsstadium hinter dem uns die
Beurteilung unserer gesamten Lebensführung erwartet. Der Tod kann die
Ordnung der Welt wieder herstellen, denn der Einzelne geht im Kollektiv der
Toten auf und macht Platz für die Lebenden. Der Tod als Bewusstseinsübung, als ethische Lehre und Gestaltungschance für das Leben. Oder als
unakzeptable Zumutung, die es abzulehnen gilt. Todesmeditationen
sind eine uralte Technik, wo hingegen TV-Serien eine zeitgemäße Möglichkeit darstellen, sich mit der Vergänglichkeit zu beschäftigen.
Edit Kaldor / Ogutu Muraya, Übung (30 min.)
Edit Kaldor hat ihr Theaterstück „One Hour“ (2012) für Braunschweig
adaptiert. Mit dem Performer Ogutu Muraya erzählt sie einen Wachtraum,
ein Protokoll über die physiologischen Vorgänge des Sterbens, in dem
man sich einer Vorstellung des Endes annähern und unser Verhältnis zur
endlichen Zeit und Sterblichkeit proben kann.
Kai van Eikels, Vorträge (3x20 min.)
Das Begehren von uns europäisch erzogenen Menschen im 21. Jahrhundert
zielt keineswegs direkt auf das Ewige. Wir wünschen in einer Zeit zu leben,
in der das Ewige sich nur hier und da bemerkbar macht, darauf hindeutend,
dass es noch mehr gibt als das Hier. Der Roman, das Drama in Theater
und Spielfilm organisieren Zeit in diesem Sinne: Sie verleihen gewissen
Augenblicken eine schicksalhafte Qualität, lassen inmitten der Flüchtigkeit
allen Geschehens das Ewige aufblitzen. Das vielleicht einzige populäre
Format, das in Schicksalslosigkeit einübt, ist die Serie. Ob in Literatur,
Comic, TV, Theater oder Performance kann man mit der Serie die Erfahrung
einer Zeit machen, die tatsächlich nichts tut als weiterzugehen und
irgendwann aufhört. Die Lust an Serien speist, unter geeigneten Umständen,
einen Mut zum endlichen, vergänglichen und vergeblichen Leben.
Hannah Hurtzig / Susanne Sachsse, Übung (Video, 12 min.)
Das erste Portrait war der Leichnam. Der Blick in das Gesicht eines Toten
war das früheste Bild, das sich der Mensch vom Menschen machte.
Ein rätselhaftes Bild, denn die Leiche ist ein Doppelgänger, sie zeigt den
Verstorbenen, es ist sein/ihr Gesicht und gleichzeitig stellt sie dessen
Abwesenheit aus, das Gesicht des Todes. Das Video „Übung über den Tod“
ist Teil der Installation „Das Milieu der Toten“, die 2013 bei den Wiener
Festwochen gezeigt wurde.
Vorträge, Erzählungen, Beratungen zur Unendlichkeit
Martin Donat: Das Endlager. Erzählung
Atommüll ist die materialisierte menschliche Hybris der Technologie des
20. Jahrhunderts. Was vor 70 Jahren mit dem infernalischen nationalsozialistischen Uranprojekt und den apokalyptischen Atombombenabwürfen von
Hiroshima und Nagasaki begann, mündet konsequent und fast zwangsläufig
in der maßlosen Selbstüberschätzung von sicherer „Endlagerung“ oder gar
menschengemachter „Transmutation“ der Elemente. Der Mensch, der das
Sonnenfeuer auf Erden entfachte, wähnt sich gottgleich und erhaben über
die Schöpfung. Weil er gerade einmal die Dimensionen des Ewigen erstmals
physikalisch-technisch zu erfassen vermag, obliegt er einem grandiosen
Irrtum. Denn in der Praxis erweist sich, dass die Werke der Sterblichen schon
innerhalb eines Menschenlebens wieder in die diesseitige Welt dringen…
Ivana Franke: Wir schließen die Augen und sehen einen Vogelschwarm.
Installation, Holzkonstruktion, Styropor, LED Lampen. Frequenzbereich
12 – 33 Hz, Dauer: 6’24’’
Man betritt die Röhre, setzt sich und schließt die Augen. Initiiert durch
eine Blitzlicht-Dramaturgie erscheinen Räume und Bilder in Bewegung,
die keinerlei Entsprechung in der Realität haben und die nicht aus der
Erinnerung abgerufen wurden. Wir sehen offenbar die Reaktionen unserer
neuronalen Struktur auf die Lichtstimulation - ein Phänomen, was auch die
Wissenschaft nicht exakt klären kann. Etwas wird sichtbar, das unsichtbar
ist. Helle Schatten unseres Gehirns. Die Grenzen zwischen Innen und
Außen scheinen sich aufzulösen, man erlebt einen Riss in der individuellen
Wahrnehmung, der uns in die Halluzination einer Gegenwartserfahrung
stürzt. Und die ist subjektiv, unvergleichbar und kann nicht bewiesen
werden.
Petra Gehring: Sieben mal die Ewigkeit. Vorträge (3x20 min.)
Die Philosophin beschreibt sieben Formen von Ewigkeit und die entsprechenden Sozialfiguren: 1. Die grenzenlose Zukunft, der unbegrenzte
Zeitfortlauf (z.B. Platon). Figur: Der unangefochtene Erwachsene //
2. Das Anhalten der Zeit in einem Moment der intensiven Erfahrung von
Gegenwart (z.B. Nietzsche). Figur: Der Verzauberte // 3. Fixierung des
Vergänglichen durch materielle Bewahrung (z.B. Stein, Marmor, Granit,
Gold, Platin). Figur: Der Wächter // 4. Die totale Präsenz von allem,
Allwissen und Allmacht Gottes (z.B. Augustinus). Figur: Der Weise //
5. Kreislauf und ewige Wiederkehr, Schicksal im tragischen Sinn (z.B.
Nietzsche). Figur: der Held // 6. Der Aufschub, dauerndes Streben (z.B.
Hegel). Figur: der Asket, der Gehetzte // 7. Variation des Gleichen, lähmende
Langeweile (z.B. Dracula, de Sade). Figur: der Dandy und der Zyniker.
Rainer Gruber: Urknall. Vorträge (3x20 min.)
Mit der speziellen Relativitätstheorie zersplitterte die eine, universale,
auf Ewigkeit ausgerichtete Zeit in Eigenzeiten; gleichzeitig verschmolzen
Raum und Zeit zur Raumzeit. Die aus der allgemeinen Relativitätstheorie
abgeleitete These des Urknalls ermöglichte es der Physik, der RaumZeit
einen Beginn und ein denkmögliches Ende zuzuschreiben. Ewigkeit als
Konzept aber ist in wesentlich tieferen Schichten der Physik eingelagert.
Es hat seine Wurzeln in der Faszination der Vorsokratiker am Beständigen,
an dem, was sich selbst gleich bleibt in aller Veränderung. Dies drückt sich
in den Erhaltungssätzen aus, die zur Geschäftsgrundlage der klassischen
Physik geworden sind und im Symmetriekonzept der Elementarteilchentheorie experimentelle Triumphe erzielt haben. Die Allgemeine Relativitätstheorie indes stellt dieses Konzept tiefgründig in Frage.
Stefan Lorenz Sorgner: Transhumanismus. Beratung
Die menschliche Unsterblichkeit ist eine Utopie, die im Kontext des
Transhumanismus häufig thematisiert wird. Man sollte die Unsterblichkeit
aber weniger als praktisch zu realisierende Eu-Topie (altgriech.: der gute Ort)
verstehen, als eine Ou-Topie (altgriech.: Nicht-Ort), eine nicht realistisch
zu erwartende menschliche Sehnsucht, die jedoch eine rhetorische Funktion
erfüllt. Wer von Unsterblichkeit spricht, bekommt öffentliche Aufmerksamkeit, da die menschliche Sterblichkeit für jeden von uns eine Herausforderung darstellt. Drei Varianten des Transhumanismus sind diesbezüglich
besonders relevant: 1. Kryonik, Mind-uploading und der siliziumbasierte
Transhumanismus; 2. Menschliche Evolution, Genetic Enhancement und der
kohlenstoffbasierte Transhumanismus; 3. Eine menschliche Weiterentwicklung hinsichtlich der Gesundheitsspanne.
Wladimir Velminski: Schauer der Ewigkeit. Erzählung
Die Premiere eines unveröffentlichten Hörspiels: Im Klang der elektromagnetischen Wellen begeben wir uns in das Jahr 8888 (dem Jahr der vier
umgedrehten Unendlichkeiten) und werden Zeuge einer mysteriösschicksalhaften Begegnung eines berühmten Architekten mit dem Herrscher
von Russland, dem Goldenen Kind. Es stellt sich die Frage, ob die Ewigkeit
ein Ort der Autorität ist, der sich der menschliche Blick nur im Akt der
Unterwerfung annähern kann und welche Rolle dabei dem ‚ewigen Organon‘
zukommt. Das Hörspiel basiert auf den Zeichnungen jener suprematistischen Zukunftsarchitekur, die der russische Künstler, Autor, Nomade und
Gründer der Künstlergruppe „Inspektion ‚Medizinische Hermeneutik‘“ Pavel
Pepperstein 2009 auf der Biennale in Venedig ausgestellt hat.
Christine Wank: Presencing. Beratung
Wie lösen wir uns von hinderlichen Strukturen der Vergangenheit oder auch
fixen Bildern der Zukunft? Das Konzept der „Theorie U“ (Otto Scharmer,
2009) setzt genau hier an, um entsprechende systemische Innovationen
und Veränderungen für Menschen und Organisationen erkennen und
umsetzen zu können. Eine Methode ist dabei das sogenannte „Presencing“,
ein spezifisches Training der Gegenwartswahrnehmung. Die Sessions mit
Christine Wank sind eine Einladung, sich die eigenen Zukunftsmöglichkeiten zu vergegenwärtigen und sie ins Hier und Jetzt zu bringen. Dies kann
sich sowohl auf eine konkrete aktuelle Herausforderung in Ihrem Leben
oder Ihrer Arbeit beziehen als auch auf allgemeine Fragen der eigenen
Lebensführung.
Dorothee Wenner / Hannah Hurtzig: Ars Memoria. Übung
Es scheint verbürgt, dass man in die Ewigkeit eintritt nur durch den eigenen
Tod. Danach erreicht man vielleicht die andere Seite oder einen Ort, den
Hades, den Orkus, das Inferno, Arkadien, das Paradies, oder man bleibt im
Limbus, in der Vorhölle, im Zwischenreich. Mal angenommen, es handelt
sich bei der Ewigkeit um einen Erinnerungsort, eine auratische Stelle im
Gedächtnis, ein sonderbares Gespinst aus Zeit und Raum an dem sich Nähe
und Ferne seltsam verbinden. Wie verbringt man an diesem Ort Ewigkeit?
Die Übung bietet eine spezielle Mnemotechnik für die Ewigkeit an. Ihr
dient ein Film zur Vorlage, einer der schönsten Filme, die je zum Thema des
Nachlebens gedreht wurden: „After Life“ des japanischen Regisseurs
Hirokazu Koreeda von 1989.