Urteil zur Beschneidung von Jungen: Schnitt und Schmerz

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Urteil zur Beschneidung von Jungen: Schnitt und Schmerz
BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN
Urteil zur Beschneidung von Jungen
Schnitt und Schmerz
Die Juden in Deutschland sind nach dem Kölner Urteil irritiert. Fest steht für
den Zentralrat nur: Ein Beschneidungsverbot ist nicht akzeptabel. Man könne
diese jahrtausendealte Tradition nicht aufgeben.
27.06.2012, von HANS RIEBSAMEN, FRANKFURT
© WONGE BERGMANN
Dieter Graumann und Salomon Korn: „Das Leben besteht nicht nur aus Juristerei“
en Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter
Graumann, haben am Mittwoch zahlreiche Anrufe auch aus dem
Ausland erreicht. Was sei denn in Deutschland los, fragte mancher
besorgt, nachdem ein Kölner Gericht die Beschneidung eines
muslimischen Jungen für strafbar erklärt hatte. Was jüdische Eltern
mit einem neugeborenen Jungen nun tun sollten, wollten andere
wissen. Das Kölner Urteil könnte durchaus schon recht kurzfristig
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Auswirkungen haben auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland schließlich gibt es im Judentum das Gebot, männliche Nachkommen
in den ersten acht Tagen nach ihrer Geburt zu beschneiden.
Autor: Hans Riebsamen, Redakteur in
der Rhein-Main-Zeitung.
Folgen:
Für Graumanns
Zentralratskollegen
Salomon Korn, der in
Frankfurt der Jüdischen
Gemeinde vorsteht, ist die Sache klar: „Die jüdische Gemeinschaft in
Deutschland wird ein Verbot von Beschneidungen nicht akzeptieren.“
Man könne diese jahrtausendealte Tradition nicht aufgeben. Juristisch
möge das Kölner Urteil mit seiner Berufung auf das im Grundgesetz
garantierte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit womöglich eine
gewisse Fundiertheit besitzen, doch: „Das Leben besteht nicht nur aus
Juristerei.“ Mit der Lebenswirklichkeit habe dieser Richterspruch
wenig zu tun. Korn wies darauf hin, dass aller medizinischen
Erkenntnis zufolge das Schmerzempfinden von Babys in den ersten
drei Lebensmonaten kaum ausgeprägt sei. Die Kinder würden also
unter dem Eingriff nicht leiden.
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Weitere Kritik an Kölner BeschneidungsUrteil: „Unzulässiger Eingriff“
Graumann wies darauf hin,
dass eine Beschneidung
eine elementare
Voraussetzung für die
Zugehörigkeit zum
Kommentar: Credo des Rechtsstaates
Judentum sei. Nach
Beschneidung von Jungen aus religiösen
jüdischem Glauben kommt
Gründen strafbar
in der Tat der Bund mit
Gott erst durch die
Beschneidung zustande. Sie wird angesehen als Zeichen und
Verpflichtung des Bundes zwischen dem Volk Abrahams und Gott.
Beschneidung: Eine dauerhafte und
irreparable Veränderung
Mit der Beschneidung erhält das Kind auch seinen jüdischen Namen.
Ohne Beschneidung ist man dagegen kein Jude. Überall in der Welt
werde diese Praxis akzeptiert, sagte Graumann. Würde sie in
Deutschland verboten, würde dies ein jüdisches Leben hier unmöglich
machen. Das könne nicht im Interesse eines Landes sein, dessen
Politik sich immer erfreut darüber geäußert habe, dass die jüdischen
Gemeinden in den vergangenen Jahren endlich wieder gewachsen
seien.
Nach dem Kölner Urteil benötige die jüdischen Gemeinschaft
unbedingt Rechtssicherheit, sagte Graumann. Am liebsten sei es ihm,
wenn die Frage der Beschneidung gesetzlich geregelt werde. Der
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Zentralrat fasse ins Auge,
sich deswegen an die
Bundesregierung zu
wenden. Im Kölner Fall
sind der Zentralrat und die
jüdischen Gemeinden
allerdings nicht Partei,
© DPA
Chirugische Instrumente für eine jüdische
Beschneidungs-Zeremonie: Ein harmloser Eingriff?
deshalb könnten sie das
Urteil auch nicht anfechten.
In Revision gehen könnte
nur der betroffene Kölner Arzt. Doch da dieser persönlich
freigesprochen wurde, ist dies unwahrscheinlich.
Im Judentum nimmt traditionell mit dem Mohel ein Kultusbeamter,
also ein religiöser Amtsträger die Beschneidung vor. Solche
Beschneider machen eine aufwendige Ausbildung, Graumann hält sie
sowohl medizinisch wie auch religiös allesamt für gut geschult. Mohels
sind freilich keine von den jüdischen Gemeinden festangestellten
Amtsinhaber, die für eine bestimmte Region zuständig sind. Die Eltern
eines Knaben sind angehalten, sich irgendwo einen Beschneider zu
suchen. Nichtreligiöse Juden wählen dafür mittlerweile häufig einen
Mediziner, der die Beschneidungsgebote kennt und beachtet. Auch
säkulare Juden, die sich aus historischen oder kulturellen Gründen
zum Judentum zählen und die in Gemeinden wie Frankfurt einen
erheblichen Teil der Mitglieder stellen, lassen fast allesamt ihre Söhne
beschneiden.
In Israel die Regel, in Schweden geregelt
Ronit Tamir glaubt, dass es in Israel schon Zehntausende „Rebellen“ gibt. Sie gehört zu den
Gründerinnen von „Kahal“, einer israelischen Gruppe, die Eltern unterstützt, die sich mit dem
Gedanken tragen, ihre Söhne nicht beschneiden zu lassen. Kahal wurde im Jahr 2000 gegründet
und appelliert auf ihrer Internetseite an die Eltern: „Bildet euch selbst, bevor das Messer an
eurem Kleinkind ansetzt!“ Alle zwei Monate treffen sich rund zwanzig Eltern. Wie sehr sie dabei
an ein Tabu rühren, ist in der israelischen Presse zu beobachten. In einem ausführlicheren
Artikel zu dem Thema wollten vor kurzem in der Zeitung „Haaretz“ die meisten Eltern nur mit
ihrem Vornamen zitiert werden, um ihre Familien und ihre Söhne zu schützen. In Israel gibt es
keine verlässlichen Zahlen, wie viele Juden sich zu diesem Schritt entschließen. Nach
Schätzungen werden zwischen ein und zwei Prozent der Jungen nicht beschnitten. Eine
informelle Umfrage des israelischen Elternportals „Mamy“ ergab im Jahr 2006, dass rund ein
Drittel der Väter und Mütter am liebsten auf den Eingriff verzichten würden, sich aber – auch
wegen des sozialen und familiären Drucks – letztlich dafür entschieden. Die israelische
„Organisation gegen Genitalverstümmelung“ ging 1998 noch weiter als „Kahal“. Vergeblich
versuchte sie, mit einer Petition vor dem Obersten Gericht, Beschneidungen für illegal erklären
zu lassen. Nach Ansicht ihres Initiators handelt es sich dabei um eine Verletzung von Menschenund Kinderrechten, die nicht weniger schlimm ist als die Genitalverstümmelung afrikanischer
Mädchen.In Israel verfolgen nicht nur skeptische Eltern genau, was man im Ausland tut.
In Schweden wurde die rituelle Beschneidung von Jungen bereits vor einem Jahrzehnt gesetzlich
geregelt und eingeschränkt. Dort werden jedes Jahr etwa 3000 Jungen beschnitten, wenige
Dutzend davon sind Juden, die allermeisten Muslime. Seit 2001 nun dürfen Jungen ohne
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medizinische Notwendigkeit nur noch beschnitten werden, wenn sie jünger als zwei Monate sind.
Neben Ärzten dürfen die Beschneidungen auch weiterhin Laien vornehmen. Diese müssen jedoch
ihre Erfahrung nachweisen und eine Genehmigung der Sozialbehörde einholen. Zudem müssen
die Jungen ausreichend schmerzstillende Mittel erhalten. Die Debatte ist damit in Schweden noch
nicht beendet. Erst vor wenigen Monaten forderte die Vereinigung der Kinderärzte, die
Beschneidung aus religiösen Gründen zu verbieten. In San Francisco scheiterte im vergangenen
Jahr ein Referendum, das die Beschneidung von Jungen unter Strafe stellen sollte, die jünger als
18 Jahre sind. (hcr./mawy.)
Quelle: F.A.Z.
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