WOCHENENDE - Neue Zürcher Zeitung

WOCHENENDE
Auf die Grille gekommen
. .
jwe. «Besichtigen dürfen Sie die Grillcnfartn nur mit verbundenen Augen», lautete die Begrüssung des Besitzers, des Exiltschechen Jiri Rotter. Es bedurfte meiner Beteuerung, dass ich
weit davon entfernt sei, ein Konkurrenzunternehmen aufziehen
zu wollen, und dass ich keiner Menschenseele genaue Angaben
über die Art der Anlage machen werde. Nun durfte ich einen
kurzen Blick in die ultraviolett bestrahlten, keimfreien, klimatisierten Räume tun. in denen es wimmelt, wibbelt und kribbelt.
Das genügte mir ohnehin, denn schon juckte es mich überall,
Meinung als die erste Instanz; es hob das Urteil auf und schützte
die Gegenklage. Schliesslich kam die Sache vors Bundesgericht.
Sein Urteil ist beachtenswert, und dessen Begründung ist eine
Sprachlektion, die nicht bloss von der unterlegenen Streitpartei
gehört und beherzigt zu werden verdient. Während das Obergericht nämlich die Meinung vertritt, rd e Versicherte hätte beim
Vertragsabschluss nach der Bedeutung des unverstandenen Wortes fragen müssen, hält das Bundesgericht die Versicherungsgesellschaft für verpflichtet, ihre Antragsformulare in einer
Sprache abzufassen, die jedermann versteht. Um eine Auslegung
hat sich der Versicherte, wenn nötig, nur zu bemühen, wenn es
sich um Ausdrücke handelt, die in weiten Kreisen bekannt sind
und auch im täglichen Leben gebraucht werden. Zu diesen Ausdrücken zählt das Bundesgericht, wie seine Rechtsprechung beweist, etwa Bronchitis, Tuberkulose, Rheuma, nicht aber Lumbago.
Entschieden ist der vorliegende Streitfall mit dem Bundesgerichtsurteil zwar noch nicht; er ist an die Vorinstanz zurückgewiesen. Diese hat zu untersuchen, ob rd e Versicherte den Ausdruck Lumbago tatsächlich nicht gekannt hat. Dabei wird nun
wohl der behandelnde Arzt in den Zeugenstand zu treten haben.
Mag rd e Prozess nun ausgehen, wie er will, jedenfalls haben
/
Grillen können in verschiedenen Grössen im Abonnement benelli
Heulen.
und der schrille Zirpton von Hunderttausenden von geschlechtsreifen Grillenmännchen liess mich die Ohren zuhalten. «Das
Zirpen ist, wenn man genau hinhört, melodisch», versicherte mein
Gastgeber. «Die Tiere zirpen in verschiedenen Rhythmen, auf
verschiedenen Frequenzen; meine Frau, ehemalige Kinderkrankenschwester, ausgebildete Bildhauerin und nun ebenfalls
Grillenfarmerin, kann mit ihrem feinen Musikgehör die
aussagen" enträtseln. Sie weiss, ob rd e Ton Werbung oder Aggressivität bedeutet.»
Jiri Rotter wurde es nicht an der Wiege gezirpt, dass er einmal einziger europäischer Grillenfarmer würde. Daheim in Prag
war er Radiojournalist, Spezialität: populärwissenschaftliche Sendungen, oft über Tiere. Kurze Zeit wirkte er als Zoodirektor.
Daneben hat er Bücher herausgegeben. Die wichtigsten: eines über
Warane und eines über Hunde und deren Funktion in rd e menschlichen Gesellschaft. Eben hatte sein Verlag ein Buch über Katzen
R u s s e in die Tschechoslowakei einbei ihm bestellt, als die n
marschierten und Jiri Rotter mit seiner Frau in die Schweiz
flüchtete. «Ich hätte sowieso nicht über Katzen schreiben wollen,
sondern über Frauen, und zwar vom Gesichtspunkt des Ethologen
lebt das Tier, womit ernährt es sich,
und Zoologen aus, also:
wie vermehrt es sich, wie ist sein soziales Verhalten?" Glauben
sie, dass Frauen ein solches Buch lesen möchten?» Ich konnte es
ihm nicht sagen. Hingegen interessierte mich, wie er auf seine
Grillen gekommen war. Dazu Jiri Rotter: «Zuerst arbeitete ich
in der Forschungsabteilung einer Basler chemischen Fabrik. Nach
und nach entdeckte ich eine Marktlücke, es gab viel zuwenig
lebendes Futter für Tiere in Gefangenschaft. Von meinen eigenen
Tieren (Rotter hält Reptilien und Amphibien, sein Liebling ist
das Krokodil) wusste ich, dass die Grille ein sehr gesundes Futter
ist. Von Grillen ernähren sich auch Hauskatzen und kleine
Affen.» Die Idee, in grossem Umfang zu zuchten, war somit geboren. Rotter liess sich von der Prager Universität 30 Tiere zweier
Gattungen senden, nämlich südeuropäische Feldgrillen und
Heimchen. Er erdachte eine Methode, die Insekten in verschiedenen Grössen auf Zahmheit und Fertilität zu züchten; er ernährt sie so, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Konsumenten gut gedeihen. «Meine Methode habe ich auf dieselbe
vorzugehen pflegte; ich
Weise erarbeitet, wie ich als Journalist
befragte Fachleute, und zwar einen Physiker, einen Veterinär,
einen Biologen und einen Spezialisten für Futtermittel.»
Heute kann, wer keine hat, sich auf Grillen abonnieren, und
die Rotters senden sie anhand ihrer Kartei so regelmässig ins
Haus, als sei es eine Zeitschrift. Kunden sind
ausser zoologivor allem wissenschen Gärten aus sechs europäischen Staaten
private
Tierhalter.
schaftliche Institute. Tierhändler und natürlich
Um die enorme Arbeit zu bewältigen, wurde automatisiert, wo es
möglich war, nämlich im Büro. Jiri Rotter erwägt den Kauf eines
Klcin-Computcrs. «Sonst leben wir wie die Bauern, müssen zeitig
aufstehen, füttern, tranken, die täglichen Versand rationen in
speziell von uns entwickelten Behältern bereitstellen. Ein Wochentag gehört der Generalreinigung. Den Kot sammeln wir, er ist ausgezeichneter Gartendünger.» Ferien kann sich nur immer einer
der beiden Rotters leisten. Wirklich freie Wochenenden existieren
kaum. «Vom Grillenzüchten wird man auch nicht reich, aber aufgeben können wir nicht mehr, denn wir sind inzwischen, wie ein
geworden.»
Zoodirektor meinte, zu m
e i n e Bedürfnis
die Weisen in Lausanne durch ihr Urteil einen Grundsatz juristisch untermauert, der zu den ersten Forderungen des guten
Sprachstils gehört: Wer spricht oder schreibt, hat sich in seinem
Ausdruck nicht nach dem eigenen Bildungsstand, sondern nach
dem rd e Angesprochenen zu richten. Eine Forderung übrigens, die
hier in andern Zusammenhängen oft genug erhoben worden ist.
Grimmige und andere Märchen
Das tapfere Schneiderlein
Seine Anfangserfolge waren beachtlich. Was Fliegen und Riesen
anbelangte, konnte ihm tatsächlich niemand so schnell etwas vormachen.
Das Schneiderlein war geachtet im Land, respektiert auch von
seinen Neidern und Nebenbuhlern. Bekanntlich gab ihm der
König seine Tochter zur Frau, die ihn allerdings belauschte, als
er im Schlafe redete. Sie ging sofort zu ihrem Vater und verriet
ihm die unstandesgemässe Herkunft des tapferen Schneiderleins.
Von Stund' an hatte es keine ruhige Minute mehr. Der König
wollte es loswerden und schickte es hierhin und dorthin, überall,
wo etwas faul war im Lande.
So reiste das tapfere Schneiderlein nach Süden, um mit seiner
spitzen Nadel einen Riss zu flicken, nach Norden, um ein tiefes
Loch zu stopfen, nach Westen, um eine Falte oder Schlimmeres
wieder auszubügeln, und nach Osten, um ein verheddertes Fadenknäucl zu entwirren. Aber trotz seiner Schlagfertigkeit vermehrten sich die Fliegen, lauerten wieder böse Wildschweine im Wald,
Lumbago
ein teures Wort
Der Leser erinnert sich vielleicht an das Referat des Bundesgerichtskorrespondenten in Nr. 112 dieser Zeitung: Ein VersicherAntragsformular gestellte Frage, ob er
ter hatte die auf dem
schon an Lumbago gelitten habe, verneint. Er hatte aber doch.
heraus,
als
der Versicherungsfall eintrat, worauf
Das stellte sich
Vertrag als aufgelöst betrachtete. Der um
die Gesellschaft den
Ansprüche
Gekommene lief zum Kadi und forderte sein
seine
Recht, indem er beteuerte, das Wort Lumbago sei ihm fremd
gewesen; er habe geglaubt, es handle sich dabei um eine ihm
Bezirksgericht
unbekannte Krankheit. Und er bekam recht: das
Bezahlung der VersicheMeilen verknurrte die Gesellschaft zur
Obergericht
angerufene
war anderer
Zürcher
rungssumme. Das
hinunterschritt, um von einem d
r e Grossen des betreffenden LanAber auch dieses Lächeln konnte
nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Instrument rd e Reisediplomatie stumpf geworden war. Als das tapfere Schneiderlein
gar von einem Staatsmann nicht einmal mehr empfangen wurde,
da brauten sich düstere Wolken zusammen. Der König forderte
gebieterisch Erfolge, und schon gab es einige mitzunehmende
Zeltungskommentatoren, die dem tapferen Schneiderlein dringend
ritten, sich aus der Politik auf einen Lehrstuhl für Aufschneiderei
des empfangen zu werden.
zurückzuziehen.
Es ist durchaus denkbar, dass das Schneiderlein
zu diesem
Zeitpunkt seine Landkarten hervorzog und verzweifelt nach einem
Staat Ausschau hielt, den es noch nicht besucht hatte. Es fand
auch im Herzen Europas ein stilles Land, das ihm bisher wenig
Scherereien bereitet hatte: das Land der Riesen auf den grünen
Wiesen. Es lud sich kurzerhand selber ein, womit es den Rat der
sieben Riesen in einige Verlegenheit brachte.
«Warum besinnt
es
sich jetzt plötzlich auf uns?» fragte der
erste Riese.
«Es wird doch nicht etwa im Jurakonflikt vermitteln wollen?»
brummte der zweite, der sich an diesem Konflikt vor kurzem die
Finger verbrannt hatte.
«Oder wegen rd e Frauenstimmrcchtssachc im Appenzell intervenieren?» vermutete der dritte.
«Das warn eine unerhörte Einmischung!» protestierte der
vierte.
«Jedenfalls werden wir seine Hotelspesen als Gegengeschäft
für geleistete Bären- und Tigerdienste abbuchen müssen», sagte
der für die Flugzeugbeschaffung zuständige Riese.
«Es wird auf jeden Fall Forderungen stellen >;, meinte der
sechste. «Oeffnung der Grenzen für die Uhren seines Landes oder
Schliessung der Devisenbörsen. Vielleicht sogar das Verbot rd e
Nummernkonti auf unseren Banken!»
«Es wird uns doch hoffentlich nicht ein Kernkraftwerk schenken wollen wie neulich Acgyptcn!» entsetzte sich der für Energie
zuständige Riese.
«Jedenfalls müssen wir dem tapferen Schneiderlein in irgendeiner Sache entgegenkommen», schloss der Riesenpräsident die
Debatte.
So kam es. dass das tapfere Schneiderlein seinem König schon
am ersten Tag der Visite bei den sieben Riesen triumphierend
nach Hause telegrafieren konnte:
«Der Riesenrat hat feierlich versichert, niemals, also praktisch
überhaupt nicht, jedenfalls iiicht in absehbarer Zukunft, eine
Koalitionsregierung mit den kommunistischen Zwergen einzuSchen!>;
Rumpelstilzchen
(j + y =
Wo andere Leute einen Kopf haben, sitzt er bei
Bernern.
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Gesichtsausschlag ohne Ende.
Abend, Morgen oder illustriert.
Ist wer?
Was tut das Bliimelein das Köpfchen? (2 Wörter)
Eine der wichtigsten Erfindungen.
Soldaten.
Die am Ellbogen wird für Injektionen gebraucht.
Guten Tag, Amerikaner!
Das schert mich keinen.
Steckt im Teddy.
Haben mehr vom Leben.
Beruhigungsmittel.
28 Bill Ramsey oder ein kleines
29 Der stärl j in Europa heisst Stroh.
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Giess ihn aus! (2 Wörter)
Papst oder Löwe?
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Ach, wie das musikalisch zittert!
Des andern Glück ist dessen Weh.
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Wirklich Madrid.
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What a this!
.'3
39 Gekonnt hätten
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wh. Fremdwörter seien Glückssache, heisst es mit Recht. Dass
sie aber sogar beträchtliche Kosten verursachen können, hat sich
kürzlich in einem nicht gerade alltäglichen Prozess vor Bundesgericht erwiesen. Zählt man nämlich die Streitbeträge von Klage
und Widerklage zusammen, so ergibt sich das nette Sümmchen
von 1? 480 Franken. Dabei ging es tatsächlich nur um ein einziges Wort, und nicht einmal um ein beleidigendes.
und nur Riesen, die sich vor dem tapferen Schneiderlein fürchteten, gab es immer weniger.
Bald kannte es die meisten Flughäfen dieser Erde wie seine
Aktentasche. Für die Journalisten lächelte es sein berühmtes
Sicben-aul-cincn-Sticich-Läehcln, wann immer es d'c Gangway
Waagrecht:
52
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Kreuzworträtsel Nr. 76
51
Sprachglosse
Stetic
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66
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schon, gemocht auch, aber dies!
Handbetrieb.
Drei Italiener.
Lieber Japaner, der ist auch nicht mehr viel wert!
(2 Wörter)
Grande oder Karneval.
Mitten in der Rebe.
Da ist immer Platz für Heuwagen, zum Dreschen,
oder so (2 Wörter).
Das erste Wort von 13 waagrecht.
Was bist du doch für einerl
Frühmorgens haben die Blumen ... den Kelchen (2 Wörter).
Fleissig, fleissig.
Ganz ganz dunkel (2 Wörter).
Wohin führt der gerade?
In Italien vor Gebrauch zu schütteln.
Quand rcviennent les hirondelles.
Und Etend.
Frankreichs Himmel ohne i.
Nun muss ich gehen. Sie nennen es auf ewig.
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Hamburg.
19 Sendet aus
20 Schon wieder taten sie es auf morgen.
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Der Schweizer Angeber hat aber einen.
Das werd' ich schon schaffen.
Auch dort wächst schwarzes Gold.
Unter O.
Was
für
eine Einöde!
26 So wurde
Sinkrieht:
3
Wahrhaft solche sind selten geworden (2 Wörter).
Kurze Truppeneinheit.
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43
King Edward in Italien genannt.
Stephan in Frankreich.
Aus dem Westen importierter Kraftausdruck.
Lieber Zweit-)
Die erste Silbe einer wilden Rotte.
verkürzte Zukunftsmusik?
Deutsche Soziale Union
Uralt und blaublütig.
Mit ihr gingen 1517 Menschen unter.
Welch winziges Tälchen!
-
geliebt.
Vielen mag man lieb sein, wer keinem das ist, fühlt sich nicht
gibt es in Luzern.
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An welchen deutschen Schlagersänger schreibst du denn?
Herr Wildsau.
War zusammen mit der Garbo in der freudlosen Gasse.
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Musst mir meine doch lassen stehn.
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Zwcidrittel von 19 senkrecht.
Wörter).
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(2 Wörter)
49 Verena kann man so verkürzen.
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Nicht früher, nicht bald.
Der zweitgrösste sowjetische Ostseehafen.
«Keine . . .7» So beginnt Shaws Heilige Johanna.
58 Ist sechsspaltig umbrochen.
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Die Hälfte vom Retter.
Mitte.
60 60 Waagrecht ohne
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... France.
{Aullösung in der nächsten Ausgabe der Beilage tWochcnende»)
Neue Zürcher Zeitung vom 29.05.1976