Programmheft - 1. Loh-Konzert

1. Loh-Konzert
1. Loh-Konzert
27. Mai 2015, 20.00 Uhr, Achteckhaus Sondershausen
PROGRAMM
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Michael Ellis Ingram stammt aus den USA. Er wurde 1985 in Columbia, Missouri,
geboren und absolvierte dort sein Abitur. 2003–2008 studierte er am Gordon
College in Boston, Massachusetts, Oboe, Klavier und Dirigieren und lernte im
Nebenfach Deutsch. Nach dem Bachelor wechselte er an die University of Maryland
School of Music, Washington. 2010 schloss er dort mit einem Master im Fach Orchesterdirigieren ab. Im gleichen Jahr kam Ingram für ein Meisterklassestudium an
der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig nach
Deutschland. Unmittelbar nach seinem Abschluss dort folgte sein Erstengagement
an der Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH als 1. Kapellmeister. Neben einer umfangreichen Lehrtätigkeit, u. a. an der University of Maryland
School of Music oder am The Salzburg Institute, dirigierte Ingram zahlreiche größere und kleinere Ensembles in seinem Heimatland und in Deutschland. So war er
2008–2010 Künstlerischer Leiter des University of Maryland Repertoire Orchestra
und trat beim Impuls Festival für Neue Musik in Sachsen Anhalt als Dirigent auf.
Jean Françaix (1912–1997)
Ouverture anacréontique
Komponiert 1978 als Auftragswerk für das Westfälische Sinfonieorchester in Recklinghausen,
Uraufführung am 22. Februar 1981 in Recklinghausen.
Edvard Grieg (1843–1907)
Norwegische Tänze op. 35
I. Allegro marcato
II. Allegretto tranquillo e grazioso
III.Allegro moderato alla Marcia – Tranquillo
IV. Allegro molto – Presto e con brio – Poco meno mosso e tranquillamente – Coda: Meno presto
Fassung für Klavier zu vier Händen komponiert 1881, Orchestrierung durch Hans Sitt 1891.
– Pause –
Robert Schumann (1810–1856)
1. Sinfonie B-Dur op. 38 („Frühlingssinfonie“)
I. Andante un poco maestoso – Allegro molto vivace
II.Larghetto
III.Scherzo. Molto vivace
IV.Finale. Allegro animato e grazioso
Komponiert Januar/Februar 1841, Uraufführung am 31. März 1841 in Leipzig durch
Felix Mendelssohn Bartholdy.
Michael Ellis Ingram
Loh-Orchester Sondershausen
Musikalische Leitung: Michael Ellis Ingram
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MUSIK ZUM VERGNÜGEN
von Juliane Hirschmann
„,Anacréontique: leicht, anmutig, bacchisch, im Stile des griechischen Dichters Anakreon‘. So lautet die Definition
dieses Adjektivs im Lexikon. Und so ist
auch der Charakter der ,Ouvertüre‘ über
eine Traumwelt, in der alles in Ordnung
ist, ohne Kriege, ohne behördliche
Schikanen, und in der jeder bereit ist,
jedem, der es hören möchte, von seiner
Liebe zu erzählen. Diesem poetischen
Thema, das von Jean de La Fontaine mit
unglaublichem Feingefühl behandelt
worden ist, möchte man ein Zitat von
Sacha Guitry hinzufügen: ,Rivarol hat
geschrieben: Ce qui n’est pas clair n’est
pas francais (was nicht klar ist, ist nicht
französisch)‘; ich meinerseits möchte
hinzufügen: ,Ce qui n’est pas clair n’est
pas de Françaix (was nicht klar ist, ist
nicht Françaix…)‘“.
Das Werk, das hier der Komponist Jean
Françaix selbst erläuterte, entstand
1978 als Auftragskomposition für das
Westfälische Sinfonieorchester in
Recklinghausen, das es 1981 auch zur
Uraufführung brachte. Das Interesse
an der Musik des Franzosen, der den
Spielarten des Neoklassizismus’, eines
Komponierens, das meist unter Einbeziehung moderner Techniken, ältere
Stilrichtungen aufgreift und nach 1920
als Abkehr vom romantischen „Schwulst“
an Bedeutung gewann, stets treu blieb,
nahm seit Mitte der 70er Jahre sogar
zu. Und das, obwohl er innerhalb der
zeitgenössischen Avantgarde eher als
rückständig betrachtet wurde. An seiner
Musik gefiel – und gefällt auch heute
noch – die Mischung aus kompositorischer Meisterschaft, Verständlichkeit
und viel Witz. „Musique pour faire plaisir“, Musik zu schreiben, die vor allem
NORWEGISCHE TÄNZE
von Juliane Hirschmann
Jean Françaix
Freude macht, war sein erklärtes Ziel.
Und eben all das kennzeichnet auch die
Ouvertüre „Anacréontique“. Sie ist –
Françaix hat es in dem oben aufgeführten Zitat selbst beschrieben – ebenso
fröhlich-verspielt und ganz den schönen
Seiten des Lebens zugetan wie die titelgebende Stilrichtung der europäischen
Dichtung des 18. Jahrhunderts.
Der erste Teil der Ouvertüre gehört den
Streichern, die einen ruhigen, geradezu lieblich anmutenden Klangteppich
entfalten. Ihm folgt ein von den Bläsern
beherrschtes verspieltes Allegro, das
wie Zirkusmusik anmutet. Bevor am
Ende der Ouvertüre innerhalb weniger
Takte eine Reminiszenz zunächst vom
ruhigen Beginn und dann von der Zirkusmusik erklingt, entfaltet Françaix
ein rhythmisches Spiel, denn die
Streicher auf der einen und die Bläser
auf der anderen Seite ergehen sich
in vollkommen gegenläufigen rhythmischen Figuren.
hymne: „Es fiel mir wie Schuppen von
meinen Augen; erst durch ihn lernte ich
die nordischen Volkslieder und meine
Im Jahr 1905 gab eine überwältigende
eigene Natur kennen. Wir verschworen
Mehrheit der norwegischen Bevölkeuns gegen den durch Mendelssohn
rung ihre Zustimmung zu der Unabverweichlichten Skandinavismus und
hängigkeitserklärung des Parlaments.
schlugen mit Begeisterung den neuen
Norwegen wurde ein souveräner Staat. Weg ein, auf welchem sich noch heute
Nach langer Fremdherrschaft, erst
die nordische Schule befindet.“
durch Dänemark, bis 1905 Schweden,
Wichtige Inspirationsquelle für Grieg
ein kaum zu beschreibendes großes
und andere zeitgenössische KompoEreignis für die anderthalb Millionen
nistenkollegen waren die norwegische
Einwohner des Landes. Das Erstarken
Volksmusik und Natur: „Norwegische
eines nationalen Selbstbewusstseins
Natur zu malen, norwegisches Volksund die Suche nach einer nationalen
leben, norwegische Geschichte und
Identität hatten bereits während des
norwegische Volkspoesie – dies scheint
19. Jahrhundert produktive Kräfte in
mir als etwas, wo ich etwas ausrichten
allen Künsten geweckt, die sich den
kann“, schrieb Grieg 1875 an den Dichkulturellen Wurzeln und Errungenschaf- ter Bjørnsternje Bjørnson, ebenfalls
ten des Landes zuwandten. So strebten ein glühender Nationalist. Grieg bezog
auch Komponisten in der Musik nach
jedoch nicht nur landestypische Meloeiner als typisch „norwegisch“ empfun- dien und Rhythmen als folkloristische
den Musik, inspiriert von der einheimi- Elemente in seine Kompositionen ein,
schen Volksmusik und von Eindrücken
sondern schuf daraus einen speziaus der norwegischen Natur.
fischen Tonfall, der ihn in ganz Europa
Einer der leidenschaftlichsten Kämpfer als typischen Vertreter seiner Heimat
für eine solche „norwegische“ Musik
berühmt machte.
war Edvard Grieg, den 1905 die poli1881 komponierte Grieg die „Norwetische Unabhängigkeit seines Landes
gischen Tänze“ für Klavier zu vier
schier überwältigte: „Mein lieber
Händen und schöpfte dabei aus Ludvig
Freund!“, schrieb er an seinen niederMathias Lindemans Sammlung „Alte
ländischen Freund, den Komponisten
und neue Bergmelodien“, die 1853 im
Julius Röntgen, „heute muss ich Egoist, Zuge der patriotischen Bestrebungen
ein norwegischer Egoist sein, das heißt,
von dem gestrigen großen Tag anfangen. Es war großartig. Das Hauptresultat liegt schon vor. Ich glaube, das wird
Europa die Wahrheit sagen.“
Entscheidend für sein Bestreben, eine
„norwegische“ Musik zu schaffen,
war Griegs Studienzeit in Dänemark.
In der Hauptstadt Kopenhagen lernte
Grieg 1863 seinen Landsmann Rikard
Nordraak kennen, den Komponisten
„Am Fjordufer“, Gemälde des norwegischen Landschafts- und Genremalers Hans Dahl (1849–1937)
der späteren norwegischen National-
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SINFONIE IM GLÜCKSRAUSCH
von Guido Fischer
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Edvard Grieg auf einer Fotografie aus dem Jahr 1905
veröffentlicht worden waren. Auf Wunsch seines Leipziger Verlegers Peters
überführte 1891 der tschechische Dirigent, Komponist und Bratschist Hans
Sitt die Tänze in eine bunt instrumentierte Orchesterfassung.
Alle vier Tänze sind dreiteilig. Dem
ersten Tanz liegt das Lied „Sinclairs
Marsch“ zugrunde, das aus dem Bergland im Norden Norwegens stammt.
Die furiosen, rhythmisch markanten
Außenteile stehen im Kontrast zum
lyrischen, von Oboe und Streichern
angeführten Mittelteil. Der zweite Tanz
mit seinem eingängigen Thema in der
Oboe wurde eines der beliebtesten
Werke Griegs. Wie im ersten Tanz folgt
auch im dritten einem marschartigen
ersten ein lyrischer zweiter Teil. Der
letzte Tanz ist einem Halling, einem
norwegischen Springtanz über Quintbässen aus dem norwegischen Hallingdal, nachempfunden. In seiner ausgedehnten Coda schließt er mit einem
furiosen Prestissimo.
Zwischen dem 23. und dem 26. Januar
1841 hatte Robert Schumann endlich
den Schlüssel gefunden, um seiner ersten Sinfonie die lang ersehnte Gestalt
zu geben. In einem Brief an E. F. Wenzel
schreibt er: „Ich hab’ in den vorigen
Tagen eine Arbeit vollendet (wenigstens
in den Umrissen), über die ich ganz
selig gewesen, die mich aber auch ganz
erschöpft. Denken Sie, eine ganze Sinfonie – und obendrein eine Frühlingssinfonie (B-Dur) – ich kann kaum selber es
glauben, dass sie fertig ist. Doch fehlt
noch die Ausführung der Partitur.“ Ist
hier Schumanns Zufriedenheit mit den
Händen zu greifen, so lag die Initialzündung für diesen erneuten sinfonischen
Schaffensprozess bereits mehr als ein
Jahr zurück. Es war die Entdeckung von
Franz Schuberts großer C-Dur-Sinfonie,
in der für ihn das romantische Wesen in
aller Perfektion und Komplexität zu erleben war. Während eines Wien-Aufenthaltes im Winter 1838/1839 war er bei
Schuberts Bruder Ferdinand auf eine
Abschrift der Sinfonie gestoßen und
übergab sofort seinem Freund Mendels„Ich glaube, das Beste ist, er componiert
für Orchester, seine Phantasie kann sich
auf dem Clavier nicht genug ausbreiten (…). Seine Compositionen sind alle
orchestermäßig, und ich glaube, daher
dem Publicum so unverständlich, indem
sich die Melodien und Figuren so durchkreuzen, daß viel dazu gehört, um die
Schönheiten herauszufinden (…). Mein
höchster Wunsch ist, daß er für Orchester
componiert – da ist sein Feld! – Möchte es
mir doch gelingen, ihn dazu zu bringen.“
(Clara Wieck 1839 in einem Tagebucheintrag)
sohn die Partitur für die Erstaufführung
im Leipziger Gewandhaus.
Und zu welchem künstlerischen
Erweckungserlebnis dieses Werk für
Schumann werden sollte, dokumentiert nicht nur seine überschwängliche
Rezension aus dem Jahr 1840. Am 11.
Dezember 1839 schrieb ein glückstrunkener Schumann seiner Verlobten
Clara: „Clara, heute war ich selig. In
der Probe wurde eine Sinfonie von
Franz Schubert gespielt. Wärst Du da
gewesen! Die ist Dir nicht zu beschreiben; das sind Menschenstimmen, alle
Instrumente, und geistreich über die
Maßen, und diese Instrumentation trotz
Beethoven – und diese Länge, diese
himmlische Länge, wie ein Roman in
vier Bänden, länger als die 9te Symphonie. Ich war ganz glücklich, und
wünschte nichts, als Du wärest meine
Frau und ich könnte auch solche Sinfonien schreiben.“ Diese beiden Wünsche
sollten sich sodann bald erfüllen. Am
12. September 1840 k<am es nach heftigen Querelen mit Claras Vater zur Heirat. Und mit der Sinfonie Nr. 1 B-Dur op.
38 Frühlings-Sinfonie bestand er auch
dank der von Mendelssohn geleiteten
Uraufführung in Leipzig die Feuertaufe
als Sinfoniker.
Ob Schumanns künstlerischer Knoten
auch deshalb geplatzt ist, weil er – wie
der Musikwissenschaftler Martin Geck
vermutet – mit der sinfonischen Form
eine weitere Einnahmequelle gefunden
hatte, um als Ehemann jetzt für die
Familie sorgen zu können, mag dahin
gestellt bleiben. Auf jeden Fall hat das
private Familienglück seinen Niederschlag in den vier Sätzen gefunden, die
ursprünglich mit „Frühlingsbeginn“,
„Abend“, „Frohe Gespielen“ und
„Voller Frühling“ betitelt worden waren.
Gleichzeitig ließ Schumann sich von
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Robert und Clara Schumann, Lithographie von
Eduard Kaiser aus dem Jahr 1847
einem kurzen Gedicht von Adolph Böttger inspirieren, dessen Schlussverse
gleichsam als Motto über der Sinfonie
stehen könnten: „Im Tal blüht der
Frühling auf!“ Gleich die langsame Einleitung (Andante un poco maestoso),
deren Thema das Fundament für das
nachfolgende Allegro molto vivace bildet, erinnert einerseits an den Beginn
von Schuberts C-Dur-Sinfonie. Andererseits verwandelt sich das fast stürmerische Drängen in dieser Introduktion
in ein frühlingshaft schwärmerisches
Stimmungsgemälde, für das Schumann
alle Orchesterfarben aufblühen lässt.
Mit weit geschwungenen Kantilenen
und erhabenem Pathos schmückt
Schumann das Larghetto aus. Es ist
durchaus als lyrische Liebeserklärung
an Clara zu hören. Die Posaunen am
Ende des Satzes kündigen schließlich
das Scherzo (Molto vivace) an, in dem
es kontrastreich schroff und leidenschaftlich zugeht – bevor der Finalsatz
(Allegro animato e grazioso) sich in
eine jugendliche Spontaneität und
munteren Überschwang hineinsteigert.
VORSCHAU
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LOH-KONZERTE
jeweils 20.00 Uhr, Achteckhaus Sondershausen
2. LOH-KONZERT | 3. Juni 2015
Erich Wolfgang Korngold, Suite aus der Musik zu Shakespeares
„Viel Lärm um nichts“ für Kammerorchester op. 11
Carl Maria von Weber, Konzert für Fagott und Orchester F-Dur op. 75
Anton Eberl, Sinfonie Es-Dur op. 33 (1803)
Frank Forst Fagott
Musikalische Leitung Markus L. Frank
3. LOH-KONZERT | 10. Juni 2015
Abschlusskonzert des Sondershäuser Meisterkurses mit dem
Cellisten Peter Bruns
Musikalische Leitung Markus L. Frank
4. LOH-KONZERT | 1. Juli 2015
Georges Bizet, aus den L’Arlésienne-Suiten 1 und 2
Camille Saint-Saëns, 3. Violinkonzert h-Moll op. 61
Darius Milhaud, Suite Française
David Castro-Balbi Violine
Musikalische Leitung Markus L. Frank
Bildquellen:
Jean Françaix, auf: http://oe1.orf.at/programm/338747; Edvard Grieg, auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Edvard_Grieg#/media/File:Edvard_Grieg_by_Perscheid_1905.jpg; Hans Dahl, Fjordufer, auf: http://commons.
wikimedia.org/wiki/Category:Paintings_by_Hans_Dahl?uselang=de#/media/File:Hans_Dahl_-_On_the_
banks_of_the_Fjord.jpg;Robert und Clara Schumann, Lithographie von Eduard Kaiser aus dem Jahr 1847, auf:
http://www.zeno.org/Musik/M/Abert,+Hermann/Robert+Schumann/Abbildungen
Textquellen:
Guido Fischer, Sinfonie im Glücksrausch, in: Programmheft zum Konzert des Orchestre des Champs-Élysées
im Konzerthaus Dortmund am 30.11.2006, S. 12/13.
Alle anderen Texte sind Originalbeiträge von Juliane Hirschmann für dieses Programmheft.
Impressum:
Herausgeber: Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH,
Intendant: Lars Tietje, Käthe-Kollwitz-Straße 15, 99734 Nordhausen,
Tel. (0 36 31) 62 60-0, Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann
Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, Nordhausen.
Konzert-Programmheft Nr. 10 der Spielzeit 2014/2015.