Berkersheim - Senioren Zeitschrift Frankfurt

Frankfurt und seine Stadtteile / Serie
Berkersheim
Das vergessene Dorf
Im Ortskern existieren nur ein
kleiner Nahkauf und Wolffs Lädchen, in dem Zeitungen, Zigaretten,
frischer Kaffee und Backwaren angeboten werden. Im Hofladen von
Landwirt Volker Illig gibt es Eier,
Kartoffeln und Äpfel. Für größere
Einkäufe indes müssen die Berkersheimer in die Bahn oder ins Auto
steigen. Wer nicht mehr so mobil ist,
ist oft auf die Hilfe von Angehörigen
oder Nachbarn angewiesen.
Man kennt sich
In Berkersheim finden sich noch Streuobstwiesen.
ine Ampel braucht Berkersheim nicht. Darin sind sich die
meisten der rund 3.690 Einwohner einig. Überall herrscht
rechts vor links, überall dürfen nur
30 Stundenkilometer gefahren werden. In den Straßen spielen Kinder
Ball und Fangen, ziehen täglich die
Leute mit ihren Pferden durch die
Gassen zu den vielen Koppeln, die
das Viertel am nördlichen Stadtrand
umgeben.
E
„Das ist einzigartig“, findet Rechtsanwältin Hannelore Otto, die sich
jahrelang gegen den Ausbau der
nahe liegenden Main-Weser-Strecke
und für das Wohl der Berkersheimer
im Bürgerverein eingesetzt hat. „Wo
gibt es einen Stadtteil in Frankfurt,
der so in der Natur und so nah an der
Innenstadt liegt?“, fragt sich die 64Jährige, wenn sie mit ihrem Hund
hier im Frankfurter Grüngürtel spazieren geht.
Natur, frische Luft und dörfliches
Idyll prägen Frankfurts drittkleinsten
Stadtteil. Soweit das Auge reicht breiten sich Äcker und Streuobstwiesen
aus, ziehen Traktoren ihre Bahnen.
Am Fuße Berkersheims schlängelt
sich die Nidda entlang. Schmucke
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Fotos (2): Oeser
Häuser schmiegen sich an den Nordhang des Berger Rückens. Vom Turm
der Michaeliskirche hoch oben im
Ort schweift der Blick über das
Niddatal bis zum Taunus – und das
alles nur sieben Kilometer von der
Innenstadt entfernt.
Mit der S6 sind die Berkersheimer
vom S-Bahnhof in knapp 20 Minuten
an der Hauptwache oder in nur vier
Minuten in Bad Vilbel. Mit den
Buslinien 25, 27, 39, 63, 66 kommen
sie in die angrenzenden Stadtteile
Preungesheim, Harheim, Bonames,
Frankfurter Berg bis nach Eschersheim. Mit dem Auto ist man schnell
auf der A661 und der B3a.
Die gute Verkehrsanbindung ist
für viele unverzichtbar. Denn das
ländliche Zuhause hat Schattenseiten: Es gibt keinen Bankautomaten,
keine Poststelle, keinen Metzger,
keine Sporthalle – und seit drei
Jahren auch keinen Arzt mehr. Wer
krank wird, muss nach Preungesheim, Bad Vilbel oder noch weiter
fahren, wenn die Ärzte im Umfeld
ausgelastet sind. „Manchmal kommen wir uns hier wie das vergessene
Dorf vor“, sagt Dieter Wolff, 57,
Vorsitzender des Bürgervereins.
Nur gut, dass die Menschen in diesem Stadtteil zusammenhalten. „Das
Miteinander ist einzigartig“, lobt
Volker Gilbert, Ehrenvorsitzender des
TSV Berkersheim. „Man kennt sich,
jeder hilft jedem.“ Seine Frau Angelika Gilbert bietet zweimal die Woche
Seniorensport im Vereinshaus an,
bei dem bis zu 70 Ältere mitmachen:
„Wenn da einer zweimal fehlt, fragt
meine Frau nach, was los ist.“ Eine
Gemeinschaft, die viele zu schätzen
wissen – auch die vielen jungen Familien, die es nach Berkersheim zieht.
„Man ist hier überall integriert“, sagt
Hannelore Otto. Neun Vereine hat
der kleine Stadtteil, manch einer ist
in mehreren aktiv. Abends trifft
man sich im Gasthaus „Zum Lemp“,
der einzigen Gaststätte am Ort, die
neben dem neuesten Dorftratsch
Theater und Lesungen bietet. Sehr
beliebt ist auch die Berkersheimer
Grundschule, die mit 100 Kindern in
Frankfurt die kleinste ist und schon
jetzt aus allen Nähten platzt. In den
umliegenden Kitas liegen lange
Wartelisten aus.
Idyll in Gefahr
„Wie soll das werden, wenn die
Stadt hier Berkersheim-Ost baut?“
fragen sich daher viele Bewohner,
die um ihr Dorfidyll bangen. Felder,
Pferdekoppeln, Obstbäume und wich-
Naturnah wohnen – Ausritt inklusive.
tige Kaltluftschneisen würden verschwinden, stattdessen ein Viertel mit
220 Wohnungen für 500 Menschen
entstehen. Schon jetzt leiden die Berkersheimer unter den vielen Pendlern, die aus dem Osten Frankfurts
über die Straße Am Dachsberg in den
Ort reinfahren. Hinzu kommt der
geplante Ausbau der S-Bahn-Strecke
von zwei auf vier Gleise, für künftig
viel mehr Fahrten, auch Güterverkehr. Vom zunehmenden Lärm von
Autobahn, Bundesstraße und S-Bahn
ganz zu schweigen.
Grundsätzlich haben die Berkersheimer nichts gegen neue Nachbarn.
„Wir sagen ja nicht, dass gar nicht
gebaut werden soll“, so Angelika
Gilbert. Aber bevor man an neue
Wohnungen denken könnte, müssten erst die vielen Defizite und
Mängel, die der Stadtteil aufweist,
beseitigt und die Straße Am Dachsberg beruhigt werden. Gilbert
spricht für die Interessengemeinschaft Berkersheim Ost. 600 Unterschriften nur aus Berkersheim hat sie
bisher für ihre Forderungen gesammelt. Auch der Bürgerverein unterstützt den Protest.“ Judith Gratza
Daten & Fakten
In Berkersheim leben 3.688 Einwohner, es ist nach dem Flughafen
und dem Bahnhofsviertel der drittkleinste Stadtteil Frankfurts. Laut
Statistischem Jahrbuch 2013 der
Stadt ist Berkersheim mit einem
Durchschnittsalter von 39,1 Jahren
ein eher jüngerer Stadtteil im Vergleich zum Alter der Frankfurter Gesamtbevölkerung (41,2 Jahre). Rund
24 Prozent sind unter 18 Jahren, 61
Prozent zwischen 18 und 64 Jahren,
15 Prozent 65 Jahre und älter. Berkersheim ist knapp 318 Hektar groß,
rund 220 Hektar davon sind Landwirtschaftsflächen.
Urkundlich erwähnt wurde Berkersheim erstmals 795, damals als
„Berchgisisheim im Niddagau“. Der
Name stammt vermutlich vom Ortsgründer. Dieser soll ein Franke namens Berthgisil gewesen sein, was
so viel wie prächtiger Junker bedeutet. Im Mittelalter gehörte Berkersheim den Schelmen von Bergen und
dem Deutschherrenorden an. Im 15.
Jahrhundert bekamen die Berkersheimer das Burgrecht in der Stadt
Frankfurt. Bei Gefahr konnten sie
sich hinter die Stadtmauern zurückziehen. Kirchlich gehörte das Dorf
zur Pfarrei Preungesheim. Berkersheim wird auch gerne Bad Berkersheim genannt, weil hier die AzurQuelle sprudelt, deren Quellwasser
abgefüllt und als Mineralwasser verkauft wird. Eingemeindet wurde der
Stadtteil nach Frankfurt im Jahr
1910.
gra
Vereine, Feste & Veranstaltungen
Berkersheim hat neun Vereine, darunter Reitvereine,
Kerbevereinigungen, ein Fußballverein und die Freiwillige Feuerwehr. Ältester Verein ist der TSV Berkersheim,
der sich 1910 gegründet hat und vor allem im Floorball,
auch Unihockey genannt, deutschlandweit bekannt ist.
Älteren bietet der Verein dienstags und donnerstags
von 9 bis 11 Uhr Seniorensport im Hellmuth-WollenbergHaus, Am Herrenhof 16, an. Auskunft zum Übungsplan
gibt Angelika Gilbert unter Telefon 0 69 / 54 60 31.
Tradition hat auch der Bürgerverein, der die Interessen der Berkersheimer seit ihrer Eingemeindung gegenüber der Stadt Frankfurt vertritt. Er richtet die
Zeltkerb aus, die in diesem Jahr zum 249. Mal stattfindet – wie immer am letzten Septemberwochenende.
Der Weihnachtsmarkt des Bürgervereins rund um die
Michaeliskirche findet alle zwei Jahre statt. Nächster
Termin: Dezember 2016.
Der Reit- und Fahrverein Niddatal lädt jährlich zum
großen Reitturnier und zum Tag der offenen Tür ein.
Jeweils am 1. Mai, auf dem Gelände, Am Hohlacker 30,
Telefon 0 69 / 7 55 45 79.
Neue Theatergruppe „Lempenfieber” probt in
der Traditionsgaststätte „Zum
Lemp".
Foto: Oeser
Das Theater Lempenfieber zeigt Komödien in der Gaststätte Zum Lemp, Berkersheimer Obergasse 12, Telefon 0 69/95 41 16 16. Im April sind das „Machen Sie sich
frei“ (17., 18., 19.) sowie „Ich bring ihn um“ (23., 25., 26.).
Karten für 17, ermäßigt drei Euro, gibt es unter Telefon
01 52 / 06 35 44 89. Der Spielplan ist unter www.lempenfieber.de nachzulesen.
Die Michaelis-Gemeinde, Am Herrenhof 42, Telefon
0 69 / 54 43 85, bietet Senioren jeden ersten Dienstag im
Monat um 12.30 Uhr einen Mittagstisch an, zudem gibt
es einen Bibelgesprächskreis alle 14 Tage donnerstags
ab 15 Uhr. Aktuelle Termine sind im Michaelisboten
unter www.michaelis-ffm.de abrufbar.
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