Sachsysteme

07.04.2015
Methoden der computergestützten
Produktion und Logistik
7. Sachsysteme
Prof. Dr.-Ing. habil. Wilhelm Dangelmaier
Modul W 2336
SS 2015
Sachsysteme
Vom Menschen hergestellte und planmäßig nutzbare gegenständliche Gebilde heißen
Sachsysteme. Mit dem Systembegriff, der die formalen Merkmale des verwendeten Modells
impliziert, verbinden wir bei diesem Terminus den Begriff der Sache in der von H. Linde
(1972, 11 f) vorgeschlagenen Präzisierung: „Als Sachen bezeichnen wir ... im Unterschied
zu naturgegebenen Dingen ... alle Gegenstände, die Produkte menschlicher Absicht und
Arbeit sind“ (zur „Sache“ siehe auch §90 BGB). (Baum, F.: Lehrbuch des Sachenrechts. 2.
Aufl., S. 10. München, Berlin: C. H. Beck‘sche Verlagsbuchhandlung 1963)
Beispiele für Sachsysteme: Fahrrad Nirwana, Fotoapparat Vakublitz, Telefongerät
Säuselphon, Füllfederhalter, Thermostatventil.
Definition 33:
Es sei S eine Menge von Attributen Ai, S eine Menge von naturgesetzlich realisierbaren
Funktionen Fj, S eine Menge von künstlichen konkreten Subsystemen SSk und S eine
Menge von Relationen Pm (bzw. eine Struktur), dann heißt das Quadrupel dieser Mengen
ein Sachsystem SS.
SS = (S, S, S, S)
mit S = {Ai}; S = {Fj }; S = {S‘Sk}; S = {Pm}
und i  I; j  J; k  K; m  M (I, J, M ~N)
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Definition 33 unterscheidet sich formal von Definition 1 überhaupt nicht. Inhaltlich sind
jedoch zwei Einschränkungen zu beachten: Erstens besteht ein Sachsystem aus künstlichen
konkreten Subsystemen und ist somit auch als ganzes künstlich und konkret, d. h. vom
Menschen gemacht und in der empirischen Realität als greifbarer Gegenstand existent;
daraus ergibt sich sogleich die zweite Einschränkung, in der festgehalten wird, dass die
Funktionen eines Sachsystems naturgesetzlich realisierbar sind.
Fügestruktur als Ordnungsrelation
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Definition 34: Attribute eines Sachsystems
Es seien gemäß Definition 4 x eine Inputmenge, y eine Outputmenge und z eine
Zustandsmenge, die als Attribute Ai die materiellen Attribute Mi, die energetischen Attribute
Ei, die informationellen Attribute Ii, Raumkoordinaten R und Zeitmengen T umfassen. Dann
ist die Attributenmenge eines bestimmten Sachsystems eine Teilmenge daraus.
 S  {Mxi, E xi,Ixi, R x , Tx }  {Myi, E yi,Iyi, R y , Ty }  {Mzi, Ezi,Izi, R z , Tz }
Während die Funktionen eines Sachsystems nach Physik, Chemie und Biologie (und
weiteren (?) naturwissenschaftlichen Disziplinen) gegliedert werden können, lassen sich die
Inputs und die Outputs sowie die Zustandsmenge nach Materie, Energie und Information
einteilen, also das, was in diesen Funktionen verarbeitet und erzeugt werden kann; die
naturgesetzliche Basis technischer Funktionen impliziert, dass auch die Attribute, über
denen sie definiert sind, physikalisch, chemisch oder biologisch beobachtbar und messbar
sein müssen.
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Definition 35: Funktionsmenge eines Sachsystems
Es sei  = {FW, FT, FS, FÄ, FE} eine Menge möglicher Funktionen. Die Funktionsmenge S
eines Sachsystems enthält mindestens eine dieser Funktionen aus .
S    
Definition 36: Wandlung
Es seien Ai ein materielles, energetisches oder informationelles Attribut gemäß Definition 34,
R die Raumkoordinaten und T Zeitmenge. Dann heißt eine Ergebnisfunktion gemäß
Definition 7 Wandlung FW, wenn in
FW : A xi  R x  Tx  A yi  R y  Ty
gilt: a xin  a yin; t xn  t yn
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Definition 37: Transport
Für Attribute wie in Definition 34 heißt eine Ergebnisfunktion Transport FT, wenn in
FT : A xi  R x  Tx  A yi  R y  Ty
gilt:
a xin  a yin; rxn  ryn; t xn  t yn
Definition 38: Speicherung
Für Attribute wie in Definition 34 heißt eine Ergebnisfunktion Speicherung FS, wenn in
FS : A xi  R x  Tx  A yi  R y  Ty
gilt: a xin  a yin; rxn  ryn; t xn  t yn
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Definition 39: Zustandserhaltung
Für Attribute wie in Definition 34 heißt eine Überführungsfunktion Zustandserhaltung FE,
wenn in
FE : A zi  A xi  Tz  A zi  Tz
für beliebige axi gilt: azin = const. Ein Sachsystem mit FE  S heißt stationär.
Definition 40: Zustandsveränderung
Es seien Ai ein materielles, energetisches oder informationelles Attribut oder
Raumkoordinaten und T Zeitmengen, dann heißt eine Überführungsfunktion gemäß
Definition 7 Zustandsveränderung FÄ, wenn in
FÄ : A zi  A xi  Tz  A zi  Tz
gilt: azin  const. Ein Sachsystem mit FÄ  S heißt instationär.
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Beispiel: Fahrrad Nirwana
Zustandsveränderung
Zustand „Neues Fahrrad“ + Input „Starker Regen über 6 Wochen“ -> Zustand „verrostetes
Fahrrad“
Zustandserhaltung
Zustand „Neues Fahrrad“ + Input „Starker Regen über 6 Wochen“ + Input „Tägliche Pflege“
+ Input „Schutzwachs“ -> Zustand „Neues Fahrrad“
Zustandsveränderung formal
SNirwana = (Nirwana, Nirwana, Nirwana, Nirwana )
x = {Mx, Ex, Ix, Rx, Tx}
Axm:
starker Regen
Axe :
Tretbewegung
Axi : Lenkbewegung
AW : Energie über Tretbewegung -> Vorwärtsbewegung
TT : Wilhelm Dangelmaier/Ort 1 -> Wilhelm Dangelmaier Ort 2
Az1 :neues Fahrrad
Az2 :verrostetes Fahrrad
FÄ : Neues Fahrrad + starker Regen -> verrostetes Fahrrad
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Analog kann ein Zustand über einen Output erhalten oder gezielt verändert werden:
Definition 41: Zustandserhaltung
FE : A zi  A yi  Tz  A zi  Tz ; a zin  const.
Definition 42: Zustandsveränderung
FÄ : A zi  A yi  Tz  A zi  Tz ; a zin  const.
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Erfolgt die Veränderung eines Systemzustandes über entsprechende Informationen/Befehle,
dann ist das System steuerbar.
Definition: Steuerbarkeit
Ein instationäres Sachsystem gemäß Definition 34, dessen Input Befehlsinformation IB
repräsentiert, Axi = IB heißt steuerbar.
Beispiel Thermostatventil: Der aktuelle Zustand eines Thermostatventils kann z. B.
„Stellung auf heiß, Durchflussmenge maximal“ lauten. Zur Veränderung auf „Stellung auf
warm, Durchflussmenge 50 % von maximal“ ist ein Vorgang „Verstellen des Einstellknopfes“
erforderlich. Auf einer detaillierten Diskursebene kann dieser Zustand über den aktuellen
Zustand der einzelnen Subsysteme beschrieben werden.
Beispiel Thermostatventil: Das Thermostatventil ist ein Übertragungsglied mit den
Inputgrößen Lufttemperatur und eingestellte Temperatur sowie der Outputgröße
Durchlassöffnung des Heizwasserstroms. Wird das Thermostatventil in einer WarmwasserRaumheizung eingesetzt, so bildet es den Regler; Regelstrecke ist der Raum mit
Heizkörper. Es handelt sich also um einen Regelkreis mit den Parametern Führungsgröße
[eingestellte Temperatur], Regelgröße [Lufttemperatur], Stellgröße [Heizwasserstrom] und
Störgrößen [z.B. Wärmeabflüsse durch Wände, Fenster und Türen].
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Definition 44: Subsystem
Ein Subsystem S‘Sk ist ein Sachsystem gemäß Definition 33.
S'Sk  ('Sk , 'Sk , 'Sk , 'Sk )
Beispiel: Thermostatventil
Subsysteme: Ventil, Rückstellfeder, Übertragsstift, Überwurfmutter, Ausdehnungselement,
Einstellknopf.
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Definition 45: Struktur eines Sachsystems
Die Struktur eines Sachsystems besteht aus materiellen, energetischen und informationellen
Kopplungen sowie räumlichen und zeitlichen Relationen.
S = {PKMm}  {PKEm}  {PKlm}  {PRm}  {PTm}
Die Teilmenge SR = {PRm} heißt Gebildestruktur. Die Teilmenge ST = {PTm}  S
Prozessstruktur.
Unter den Relationen zwischen den Sachsubsystemen herrscht die Kopplung vor. Wo immer
andere als Identitätsrelationen auftreten, sorgen zwischengekoppelte Subsysteme für
angleichende Umwandlung (siehe bspw. Handhabung und Rüsten). Hinzu treten freilich bei
konkreten Realisationen die räumlichen und zeitlichen Relationen, die, als Teilstrukturen, die
Gebilde- und die Prozessstruktur des Sachsystems ausmachen.
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Definition 46: Sachumgebung
Es sei S eine nicht-leere Menge von künstlichen konkreten Gegebenheiten, welche die
Menge S  S der Subsysteme als Teilmenge enthält. Dann heißt die Differenzmenge
zwischen der Menge S und der Subsystemmenge S Sachumgebung S   S =  S / S.
Beispiel Thermostatventil: Zu der Umwelt des Systems Thermostatventil gehören die
Systeme Heizungsrohre, Heizkörper, Umgebungsluft, Bediener, Monteur etc. Diese Liste ist
selbstverständlich nicht vollständig, vermutlich kann sie auch gar nicht vollständig angelegt
werden, da sich nicht alle einwirkenden Systeme aufzählen lassen. Das liegt vor allem an
der Vielzahl der möglichen Diskurswelten. So kann z.B. jedes Molekül als eigenes System
betrachtet oder die gesamte Umwelt nur anhand des Merkmals Temperatur beschrieben
werden. Beides macht aus der Sicht der Systemgestaltung keinen Sinn. Zur Klärung der
Funktion des Systems Thermostatventil reicht die Kenntnis der Lufttemperatur nicht aus, da
auch die durchströmende Flüssigkeit einen Einfluss auf die Lufttemperatur hat. Eine
Beschreibung der Umwelt sollte also die Systeme Raum und Zentralheizung ausreichend
genau erfassen. Andererseits aber nicht zu detailliert, da eine Betrachtung auf der
Diskursebene Moleküle im Haus nicht mehr handhabbar ist.
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