02 März/April 2015 - Taubblinden-Info

taubblind
Zeitschrift für taubblinde u. hörsehbehinderte Menschen
Heft 2 März / April 2015
77. Jahrgang, erscheint zweimonatlich in Punktschrift,
Schwarzschrift und digital per E-Mail
Bezug für taubblinde und hörsehbehinderte Mitglieder
der DBSV - Landesvereine kostenlos
Herausgeber:
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.
Rungestr. 19, 10179 Berlin
Tel.: 030 / 28 53 87 - 0
Fax: 030 / 28 53 87 200
Abo-Verwaltung:
Petra Wolff (DBSV)
Tel.: 030 / 28 53 87 – 220
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Spendenkonto:
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.
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Redaktion:
Reiner Delgado (DBSV)
Tel.: 030 / 28 53 87 – 240
Mail: [email protected]
Blindenschriftdruck: Blindenhilfswerk Berlin
Rothenburgstraße 15, 12165 Berlin
Inhalt
Der Dunkle Wettkampf
Meine kleine Schwester und die Zuckerschale
Das Fest der Menschlichkeit
Gute Laune Tage zum Winterende
Termine und Infos
Tag der Offenen Tür im Deutschen Taubblindenwerk
4. Dunkle Wanderung 2015 Wiehl
Qualifizierung TaubblindenassistentInnen Hannover
Der Dunkle Wettkampf
von Mercedes Seidel
Über Bretter balancieren, um Hindernisse
herummanövrieren, eine Schnitzeljagd absolvieren –
und das alles, ohne hören und sehen zu können. Der 4.
Dunkle Wettkampf, der Mitte August 2014 in Kleve an
der niederländischen Grenze stattfand, hat den Teilnehmern einiges abverlangt. Mercedes Seidel erzählt
von ungewohnten Erfahrungen und großen Überraschungen.
Fünf Wettkämpfe sollten in den kommenden Tagen mein
Geschick, meine Konzentration und meinen Orientierungssinn herausfordern, mich an meine Grenzen bringen – und weit darüber hinaus. Ich habe von der Fachgruppe Taubblinde und Hörsehbehinderte der Blindenund Sehbehindertenvereine in Nordrhein-Westfalen vom
Dunklen Wettkampf erfahren und war neugierig darauf,
wie es ist, gar nicht mehr sehen und hören zu können.
Ich wollte einen Vorgeschmack darauf bekommen, was
noch möglich ist, falls mein Usher-Syndrom fortschreitet
und die betroffenen Sinne eines Tages vollständig ihren
Dienst versagen.
17 hörsehbehinderte und taubblinde Teilnehmer hatten
sich mit ihren Taubblindenassistenten und Begleitern
zum 4. Dunklen Wettkampf zusammengefunden. Wir
verständigten uns über das Lormen, über taktile Gebärden und auch über Lautsprache. Der selbst hörsehbehinderte Organisator, Georg Cloerkes, erklärte die Regeln des Wettkampfs. Alle hörsehbehinderten Teilnehmer konnten entscheiden, ob sie einen Gehörschutz, eine Augenbinde oder eine Simulationsbrille tragen woll-
ten. Je eingeschränkter das Hören und Sehen, desto
mehr Punkte gab es in der Wertung. Nur wer alle Stationen mit völliger Taubblindheit bewältigte, konnte den
Dunklen Wettkampf in der höchsten Kategorie, der AKlasse, gewinnen.
Alle waren ehrgeizig und haben sich für das Tragen von
Augenbinde und Gehörschutz entschieden. Die Umstellung war anstrengend. Mich beeindruckt es, wie taubblinde Menschen sich im Alltag zurechtfinden. Ich erkenne sonst noch neblig-trübe Umrisse und nehme mit
meinem Hörgerät zumindest Stimmen und Geräusche
wahr, je nachdem, wie laut die Umgebung ist. Nicht alle
hielten die Taubblindheit bei allen Aufgaben durch.
Der Wettkampf begann mit einem Domino-Spiel. Die
Spielsteine waren jeweils mit zwei Braille-Buchstaben
beschriftet und mussten so aneinandergelegt werden,
dass sich Städtenamen ergaben. Ich konnte nicht teilnehmen, da ich die Punktschrift nicht beherrsche, und
rutschte in der Wertung in die B-Klasse.
Für die zweite Aufgabe gingen wir auf den Spielplatz der
Jugendherberge, in der wir untergebracht waren. Dort
gab es eine Seilbahnanlage, also ein gespanntes Stahlseil in knapp drei Metern Höhe, an dem mit einer Kette
ein kleiner Sitz befestigt ist. Wir fuhren allerdings nicht
mit der Seilbahn, sondern nutzten sie als Leitlinie. Mit
meinem Langstock pendelte ich über den Boden, mit einem zweiten Langstock, den uns die Organisatoren gegeben hatten, tastete ich mich an dem gespannten Seil
über mir entlang. Es galt, vom Startpunkt bis zum Anschlag der Seilbahn zu gelangen und dabei Hindernissen auszuweichen. Mal lagen Holzstapel im Weg, mal
stand jemand aus dem Organisationsteam auf der Strecke. Das Seil war eine ungewöhnliche Orientierungshilfe. Ich musste mich sehr auf meine Bewegungen konzentrieren. Hilfreich war, dass man üben durfte, bevor
man an den Start ging.
Der nächste Wettkampf stellte nicht nur für mich eine
noch größere Herausforderung dar. Man musste von der
Jugendherberge bis zu einer Grillhütte finden. Über
Sandboden ging es einen Hang hinab, nur wenige Meter
des Weges waren gepflastert. Als Wegbegrenzung diente eine Böschung. Ich musste achtsam mit dem Langstock zwischen den Gräsern pendeln. Sobald ich an der
Hütte angekommen war, hob ich als Zeichen meinen
Arm. Es war schwierig, auf dem unebenen Untergrund
zu laufen und dabei ohne Streckenmarkierungen die
Orientierung zu behalten.
Am Startpunkt der vierten Station musste ich eine Karte
ziehen, die mit taktilen Zeichen eine Himmelsrichtung
vorgab. Auf meiner Karte stand „Nordwest“. Den übergroßen, aus Pfählen gebauten Kompass, mit dem ich die
Richtung bestimmen konnte, musste ich jedoch erst finden. Der Weg zum Kompass war mit auf dem Boden installierten Kunststoffröhren markiert. Wieder mit zwei
Langstöcken ausgerüstet, arbeitete ich mich Stück für
Stück vor, bis ich an einem Pfahl ankam, der die Kompassmitte bildete. Um ihn herum wiesen weitere Pfähle
in die verschiedenen Himmelsrichtungen. Ich identifizierte Nordwesten, ging in die vorgegebene Richtung und
fand mich am Ziel wieder.
Beim letzten Wettbewerb war Geschicklichkeit gefragt.
Auf dem Boden lag ein etwa zehn Meter langes Holz-
brett. Darauf musste ich entlanglaufen, ohne das
Gleichgewicht zu verlieren. Beim ersten Durchgang
konnte man sich Zeit lassen, aber beim zweiten Lauf
wurde die Zeit gestoppt. Da ich sehr mit meinem Gleichgewicht zu kämpfen habe, dachte ich mir: „Augen zu und
durch!“ Aber zu meiner eigenen Überraschung habe ich
es geschafft.
Hungrig von den anstrengenden Aufgaben freuten wir
uns, dass wir am Abend grillen konnten – den Grillplatz
hatten wir schließlich alle gefunden! Wir saßen gemütlich beisammen, auch wenn das Wetter so gar nicht
sommerlich sein wollte.
Es folgte die Siegerehrung als Belohnung für unsere
Leistungen. Alle Teilnehmer bekamen eine Urkunde
überreicht. Der Sieger der A-Klasse war Oliver Ley aus
Engelskirchen. Als Sieger der B-Klasse wurde mein
Name verkündet. Damit hatte ich gar nicht gerechnet –
hatte ich doch nur zum Spaß teilgenommen! Mit großer
Begeisterung tanzten wir anschließend bis in die späten
Stunden den Fuchstanz – ein Tanz für taubblinde Menschen, bei dem man sich paarweise eingehakt im Kreis
zur Vibration einer großen Trommel dreht.
Der Dunkle Wettkampf war für alle eine tolle Erfahrung.
Wir hatten viel Spaß daran, unsere Fähigkeiten auf ungewohntem Terrain auszuprobieren und uns mit anderen
zu messen. Das Wichtigste aber war, dass wir uns
selbst beweisen konnten, was wir mit dem Langstock
und unserem Orientierungssinn ohne fremde Hilfe zu
leisten vermögen. Neben meiner Siegerurkunde habe
ich viel Selbstbewusstsein mit nach Hause genommen,
das mir auch im Alltag mehr Sicherheit geben wird. Ich
möchte anderen hörsehbehinderten und taubblinden
Menschen Mut machen, am Dunklen Wettkampf teilzunehmen. Ich jedenfalls nehme die Herausforderung gerne ein zweites Mal an!
Mercedes Seidel (53) arbeitet als Sachbearbeiterin in
der Qualitätssicherung im Bereich Maschinenbau und
lebt mit ihrem Mann in Bielefeld.
Kurzinfo: Der nächste 5. Dunkle Wettkampf ist vom 2.
bis 4. September 2016 in Blankenheim (Nordeifel, NRW)
geplant.
Mehr Infos bei Georg Cloerkes
E-Mail: [email protected]
Quelle: Die Gegenwart 2/2015
Meine kleine Schwester und die Zuckerschale
Geschichte von Theda:
Meine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof mit sechs
Kühen, fünf Schweinen, zwei Schafen, zehn Hühnern
und einem Ackergaul. Das Wohnhaus hatte noch ein
Strohdach, der Fußboden war aus Holz und mit dunkelroter Farbe gestrichen.
Wir waren zu Hause sechs Kinder. Meine kleine
Schwester Gerda war zwei Jahre jünger als ich. Der
Krieg war zu Ende. Meine Mutter musste nachmittags oft
am Spinnrad sitzen und das Garn noch selber spinnen.
Abends strickte sie dann für die ganze Familie.
Meine Schwester Gerda mochte so gerne Süßigkeiten.
Das war eine Hilfe, als sie laufen lernte. Ich vergesse
nie, wie sie zu laufen begann. Sie machte einen Schritt,
dann fing sie wieder an zu kriechen. Dabei schob sie
immer den linken Fuß voraus, den rechten Fuß zog sie
dann hinterher. Sie machte es wie ein Schimpanse.
Meine große Schwester wollte nachhelfen, und so ließ
sie sich etwas einfallen: Sie füllte eine Schale mit Zucker
und steckte auch einen kleinen Löffel hinein. Nun nahm
sie noch ein Meter Band und befestigte es an der Zuckerschale. Jetzt stellte sie die kleine Schwester an die
Zimmerwand und die Zuckerschale zwei Meter davor.
Gerda machte einen Schritt vorwärts und wollte dann
wieder kriechen. Aber die ältere Schwester zog die Zuckerschale langsam vor Gerda über den Fußboden.
Gerda wollte schnell an den Zucker kommen, und so
schaffte sie schon bald zehn Schritte. Als Belohnung bekam sie einen Löffel voll Zucker.
So lernte meine Schwester Gerda schneller das Laufen.
Wenn ich auch jetzt wieder mal daran denke, dann höre
ich noch immer die Zuckerschale über den Fußboden
rattern.
Das Fest der Menschlichkeit
Taubblinder Diakon Peter Hepp besucht das zweite europäische Festival der Taubblinden in Plovdiv in Bulgarien.
Vom 14. bis 22. September 2014 fand in Plovdiv, der
zweitgrößten Stadt Bulgariens das „2. Europäische Festival der spezifischen Möglichkeiten der Taubblinden
2014“ statt. Diese außergewöhnliche Veranstaltung wurde vom Internationalen Sportverband der Taubblinden
(ISFDB) in Kooperation mit dem nationalen Taubblindenverband Bulgariens (NADBB) organisiert und geleitet. Von den ca. 180 Teilnehmern kamen ca. 70 Personen aus Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark,
Deutschland, Spanien und Italien.
Schon vier Tage heftiger Regen ohne Pause! So etwas
gab es nie in Bulgarien! Schlimmes Unwetter, begrüßte
uns der Chauffeur in gebrochenem Englisch und bekreuzigte sich bevor er losfuhr. Nach über drei Stunden,
in denen unser Auto des Öfteren schwamm statt fuhr,
kam ich mit meinen beiden Assistentinnen, Rauia
Toama und Yara Toama, heil im Hotel an.
Im Jahr 1997 verwirklichte Dimitar Parapanov seine Idee
von der Vereinigung von Taubblinden und Blinden mit
zunehmendem Hörverlust indem er den „Nationalen
Taubblindenverband Bulgarien (NADDB)“ ins Leben rief.
Er selbst ist taubblind, in seinem Fall blind von einer
fortschreitenden Schwerhörigkeit betroffen. Diese Neugründung erfolgte zunächst gegen den Widerstand des
bulgarischen Blindenverbandes, der um einen Mitglieder- und Kompetenzverlust fürchtete. Heute zählt der
NADDB ca. 600 taubblinde Mitglieder, von denen ca.
100 ganz taubblind sind also nichts sehen und nichts hören. Der NADDB gibt seine Zeitschrift „Klang und Licht“
monatlich heraus. Für alle veranstaltet der NADBB einmal jährlich ein großes Fest. Der NADDB gründete im
Jahr 2004 in Plovdiv das „Helen-Keller-Zentrum“ mit Dimitar Parapanov als Direktor.
In den Jahren zwischen 2004 und 2014 erhielten dort 81
Taubblinde die Rehabilitation. Außerdem machten 18
Personen dort eine Ausbildung als professionelle Assistenten bzw. Dolmetscher. Nebenbei können Studenten
der Sonder- und Sozialpädagogik ein mehrmonatiges
Praktikum machen. Auch Angehörige, Freunde, Freiwillige können dort spezielle Kurse belegen. Eines der
Hauptziele ist „die Rehabilitation und Integration von
taubblinden Menschen, ihre Gleichsetzung und vollständige Inklusion in die Gesellschaft“. Neben den üblichen
Reha-Maßnahmen wie Erlernen von taktilen Kommunikationsformen, Lebenspraktischen Fertigkeiten, Mobilitätstraining, werden dort auch Kurse für Stricken und
Makramee, Gedächtnistrainingsspiele, Unterhaltungstherapie und Sport angeboten.
Zur Eröffnung des Festivals begrüßte uns Dimitar
Parapanov mit den Worten: „Dieses Festival ist nicht nur
ein Sportwettbewerb, sondern auch ein Fest der
Menschlichkeit. Ich hoffe, dass es künftig noch mehr
Möglichkeiten wie diese Veranstaltung geben wird, auf
der sich taubblinde Menschen aus der ganzen Welt treffen können, in einer Welt, in der es für uns viel zu kämpfen gibt und in der wir uns durch unser Miteinander gegen unmenschliche Isolation wehren, denn wir sind nicht
nur Menschen, sondern auch Brüder und Schwestern!“
Eine Art „Paralympics für taubblinde Menschen“ mit den
Sportdisziplinen Leichtathletik, Armdrücken, Bowling
aber auch neue unerprobte Wettkampfarten wie Backgammon, das ist wahrlich neu und konnte auch ich mir
vor dieser Reise nur schwer vorstellen. Taubblinde Menschen jeder Art, ob nun ganz taubblind, ganz taub mit
Sehrest, ganz blind mit Hörrest unter 50 Jahren oder gar
weit über 70, Männer oder Frauen – sie alle kämpften
um den europäischen Meistertitel.
Geir Jensen (72), Präsident des norwegischen Taubblindenverbandes: „Die Herausforderung besteht darin,
gute Dolmetscher und Assistenten zu haben, denn wenn
dem so ist, können Taubblinde mit anderen Kontakt aufnehmen und an den Aktivitäten teilnehmen. Das wichtigste ist die Begegnung und dass taubblinde Menschen
aus Bulgarien Taubblinde aus ganz Europa treffen können. Auf diese Weise lernen wir uns kennen und wir lernen auch voneinander. Sie können Informationen austauschen über ihr Leben zuhause.“
Geir sprach beim Interview norwegisch. Er ist blind und
trägt seit einigen Jahren ein CI. Seine Assistentin dolmetscht lautsprachlich von Norwegisch auf Englisch,
meine Assistentin lormte mir die Äußerungen auf
Deutsch.
Arne Pirkola, 24, aus Finnland: „Viermal wöchentlich gehe ich ins Fitnessstudio, dann treffe ich mich mit einem
Freund zum Tandemfahren. Im Winter schwimme ich im
Hallenbad, und im Sommer laufe ich. Beim Trainieren ist
immer ein Dolmetscher mit dabei. Und außerdem haben
wir Anspruch auf einen persönlichen Assistenten. Ich
war überrascht über meine vielen Medaillen. Bevor ich
herkam, hatte ich niemals dran gedacht, überhaupt etwas zu gewinnen. War schön dabei zu sein. Die Gewinne waren zusätzliche angenehme Überraschung. Ich
hoffe, dass beim nächsten Festival das Schwimmen als
weitere Disziplin hinzukommt.“
Arne Pirkola ist ganz taubblind. Er kommuniziert über
taktile Gebärden, die Dolmetscherin übersetzte seine
Gebärden in Englische Lautsprache, meine Assistentin
wiederum lormte mir in deutscher Sprache.
Bei der Generalversammlung des Internationalen Sportverbandes der Taubblinden (ISFDB) wurden Spanien
und Italien als neue Mitglieder zu den drei bereits vorhandenen Mitgliedern Bulgarien, Finnland und Norwegen mit aufgenommen.
Oskar Nielson gilt mit seinen 80 Jahren als ältester aktiver Sportler. Gehörlos geboren verlor er in seiner Jugend sein linkes Auge durch einen Arbeitsunfall im Boot.
Er war fast 50 Jahre berufstätig im Lebensmittelgroßhandel, ist sechsfacher Großvater, erfolgreicher Sportler
(vier Weltrekorde!) und Skilehrer im Gehörlosensport:
„Zu Hause hängt alles voll mit Urkunden, Medaillen, Pokalen, so dass gar kein Platz mehr ist! Ich bin Hochleistungssport und Weltrekorde gewöhnt. Früher kam es mir
sehr auf Höchstleistung an. Heute war das irgendwie ei-
ne andere Erfahrung. Beim Bowling-Wettkampf war ich
ein bisschen enttäuscht, weil da so viele Bulgaren waren, die wirklich nicht wissen, wie man spielt. Ich mag
den Wettkampf. Die Bulgaren sowie jedes andere Land
hätten einfach nur ihre besten Spieler nehmen sollen
und sich dann aneinander messen.“
Plovdiv, die zweitgrößte Stadt Bulgariens, ist auf mehreren Hügeln gebaut. Hindurch fließt der Fluss Mariza, der
ins Schwarze Meer mündet. Dank dieser MeerFlussverbindung ist Plovdiv schon seit mehr als 2000
Jahren ein wichtiger Ort für Handel und Handwerk. Noch
im 19. Jahrhundert war Plovdiv größte und reichste
Stadt Bulgariens, allerdings bis dahin ständig unter
fremder Herrschaft: Griechen, Römer, Osmanen und
sogar Russen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde
Bulgarien unabhängiger Staat.
Viele Sehenswürdigkeiten - Zeugen der Geschichte der
wechselnden Herrscher - gibt es dort. Die Moschee, ein
römisches Stadion, ein römisches Theater, viele schöne
orthodoxe Kirchen, eine katholische Kirche St. Ludwig,
und eine evangelische Kirche. Bei unseren Besuchen in
Kirchen und Klöstern in Plovdiv und an anderen Orten
fiel uns eine Besonderheit orthodoxer Volksfrömmigkeit
auf: Vor jedem Eingangsportal aller orthodoxer Kirchen
stand eine Urne, die aussah wie ein Briefkasten, worauf
ein großes Foto geklebt war, das das Gesicht eines
Priesters zeigte. Die Leute warfen Briefe in die Urne,
standen kurz und still betend davor und gingen dann in
die Kirche. Warum? Dieser Priester ist Mitte September
in Sofia gestorben. Er war sehr beliebt und gilt als Heiliger.
Ich und meine beiden Assistentinnen, Rauia und Yara,
waren tief beeindruckt und berührt, über das große Verständnis für Nähe und Berührung zwischen Menschen
innerhalb des Festivals und außerhalb in der bulgarischen Öffentlichkeit. Ich durfte so vieles ertasten, wertvolle Gegenstände, aber auch „das Heilige“ in den Kirchen mit den Händen berühren. Oft und wie ganz
selbstverständlich wurden mir die landestypischen Dinge
wie Rosenprodukte und Weihrauchkörner zum Riechen
in meine Hände gegeben.
Erstmalig in der ganzen Weltgeschichte der Taubblinden
ist dem ISFDB erfolgreich gelungen, innerhalb einer
Woche Europameisterschaften für Schach, Backgammon, Bowling, Kugelstoßen, Diskuswerfen, Weitsprung,
60 Meter Lauf, 200 Meter Gehen, Armdrücken und Dart,
durchzuführen. Als erfolgreichster Sportler wurde der
Finne Arne geehrt. Bulgarien wurde als erfolgreichste
Nation mit Pokal gewürdigt. Mit viel Tanzmusik wurde
das Festival am späten Abend des Sonntags, dem 21.
September 2014, offiziell beendet mit einer feierlichen
Vorankündigung: „Das 3. Europäische Festival der Möglichkeiten von Taubblinden findet im Jahr 2017 in Finnland statt!“
Gute Laune Tage zum Winterende
So war der Begegnungsaufenthalt im Aura-Hotel in
Saulgrub für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen vom Deutschen Katholischen Blindenwerk vom
28. Februar bis 8. März ausgeschrieben. Es waren für
die Teilnehmenden nicht nur Tage der guten Laune,
auch des Wohlfühlens, des reichen Erlebens, und der
Zeiten des Innehaltens.
Am Sonntag bestand das Angebot, in die Wieskirche
zum Gottesdienst zu fahren. Vom Priester wurden unsere Teilnehmer begrüßt. Die Gebärdensprachdolmetscherinnen konnten den Gottesdienst für unsere gehörlosen
Kirchenbesucher gebärden. Am Nachmittag waren die
Wanderer eingeladen, die Umgebung zu beschnuppern.
Abends war die Möglichkeit zum Innehalten mit einigen
Gedanken über das Licht, das wir im Herzen tragen und
an andere Menschen weitergeben können. Außerdem
lernten sich alle Teilnehmer in der Vorstellungsrunde
kennen.
Montag war unser Ziel Innsbruck mit dem Berg Isel. Dort
konnten wir von der Höhe aus einen Eindruck gewinnen,
wie die Skispringer über den 90 m langen Schanzentisch
in den Hang springen.
Der Dienstag war bei herrlichem Sonnenschein der Landeshauptstadt München gewidmet. Das Schloss Nymphenburg war vormittags unser Ziel. Zu bestaunen waren außer den Prunkräumen auch die
Schönheitengalerie König Ludwig I., die er sich malen
ließ, damit sie für ihn stets gegenwärtig waren. Der riesige Park präsentierte sich uns im schönsten Winterkleid.
Der Nachmittag war einer kleinen Altstadtführung vorbehalten oder frei zum Bummeln.
Am Mittwoch tauschten wir uns aus biblischer und gegenwärtiger Sicht über das „Fasten“ aus. Nachmittags
stand die reizvoll am Rande der Alpen gelegene Barockstadt Murnau mit einer kleinen Stadtführung auf dem
Programm.
Am Donnerstag befassten wir uns mit dem „Warten“, jeweils aus biblischer und unserer Sicht. Der Nachmittag
führte uns ins Kloster Ettal. Bei der Kirchenführung in
der 12-eckigen Wallfahrtskirche konnten wir erfahren,
dass die riesige Kuppel aus dem 18. Jahrhundert auf
den Außenmauern der Vorgängerkirche aus dem 14.
Jahrhundert ruht. Anschließend durften wir in der
Destillerie des Klosters vom „Frater Destillateur“ (Berufsbezeichnung für den Mönch, der durch Studienabschluss befähigt ist, Schnäpse und Liköre zu brennen)
einige Geheimnisse der Ingredienzien (Zutaten) und der
Herstellung der Klosterbrände erfahren. Zu den Gewürzen zählt u. a. auch „Manna“ (gestockter Pflanzensaft),
das wir kosten konnten.
Bei einer Führung im Schloss Neuschwanstein - mit
hunderten von Stufen - wurde uns über das Märchenschloss König Ludwig II. berichtet. Der 1868 begonnene
Schlossbau, in überwiegend romanischen Stil, wurde nie
vollendet. Am Nachmittag konnten wir am romantisch
gelegenen und noch zugefrorenen Alatsee die Sonne
genießen.
Samstagnachmittag besuchten wir die Kirche in
Unterammergau zur Kirchenführung und zum Taubblin-
dengottesdienst. Anschließend feierten wir mit einigen
Gästen in einer Alm am Skihang unseren Abschlussabend.
Am Sonntagnachmittag konnten wir noch einer spannenden Beschreibung von Sonnenuhren in Bad
Bayersoien lauschen, gelormt bekommen oder in Gebärdensprache aufnehmen. Dabei wurden noch viele interessante Fragen gestellt und beantwortet. Dem Erarbeiten und Aufstellen einer Sonnenuhr müssen genaue
Berechnungen über die Erdachse und die Längen- und
Breitengrade vorausgehen.
Am Montagmorgen hieß es dann wieder Abschied nehmen.
Sprache des Herzens – Text zum Film –Teil 2
„taubblind“ druckt in 10 Folgen eine Textfassung zum
Film. So können taubblinde Menschen den Film wahrnehmen, die ihn nicht hören oder sehen können. Grundlage des Textes sind die Untertitel und der Text der Audiodeskription bearbeitet und ergänzt von Torsten Resa.
Wir danken für die Erlaubnis, die Texte zu verwenden
und zu veröffentlichen.
Marguerite tastet sich leicht orientierungslos durch den
Kräutergarten und versucht so, die Welt von Marie zu
begreifen. Sie läuft eine Treppe hinunter. Erschrocken
stürzt Raphaëlle ihr nach. Marguerite vor einem Springbrunnen. Raphaëlle stellt sich dazwischen, Marguerite
läuft weiter, die Dunkelhaarige plumpst rücklings ins
Wasser und rudert mit den Armen.
Oberin: Ich habe nein gesagt.
Enttäuscht steht Marguerite vor dem Schreibtisch der
Oberin.
Marguerite: Ich entschied mich nicht für Erziehung und
das Handwerk liegt mir mehr, aber seit unserer Begegnung auf dem Baum denke ich nur noch an sie.
Oberin: Ihnen fehlt Erfahrung mit Tauben.
Marguerite: Ich spreche ihre Sprache.
Oberin: Aber sie aus der Stille zu holen, ist etwas ganz
anderes. Und sie ist blind.
Marguerite flüstert: Ich möchte es versuchen. Ich hatte
eine Eingebung.
Oberin: Eine Eingebung?
Marguerite: Nun, keine Eingebung, aber... so eine Idee,
nur eine Idee. Ich denke, es ist meine Aufgabe, mich um
Marie zu kümmern. Ihr eine Sprache zu geben, damit sie
ein Teil der Welt wird.
Marguerite macht eine kleine Verbeugung, wendet sich
zum Gehen und dreht sich abrupt wieder um.
Oberin: Nein.
Marguerite: Aber...
Oberin: Ich habe zugehört. Sie haben gefragt und ich
sage nein.
Marguerite murmelt leise: Danke ehrwürdige Mutter.
Marguerite dreht sich weg und geht Richtung Tür. Dort
bleibt sie stehen, sieht zur Oberin und hebt ihren Zeigefinger: Aber man kann Marie nicht so eingesperrt lassen.
Jemand muss sie sprechen lehren.
Oberin: Und wie?
Marguerite: Mit Gebärdensprache.
Oberin: Sie ist aber auch blind!
Marguerite: Ich zeichne in ihre Hand.
Oberin: Es ist angeboren. Ihre Intelligenz muss gelitten
haben.
Marguerite: Ist sie aber intakt, dann leidet sie in diesem
Zustand. Sollte die Chance noch so klein sein...
Oberin: Das ist eine große Aufgabe. Und bei Ihrer Gesundheit...
Marguerite: Meine Lunge ist mein Tod, aber bis dahin...
Oberin: Es ist ein Wunder, dass Sie noch leben. - Nein,
kein Wunder, aber... (sie befeuchtet ein Tuch mit etwas
Spucke und tupft Blut unter Marguerites Nase ab). Die
kleinste Überanstrengung kann tödlich sein.
Marguerite: Ich könnte ebenso gut allein in einer Kammer sterben. Dann lieber sofort.
Oberin: Bin ich die Oberin dieses Klosters?
Marguerite: Ja, ehrwürdige Mutter.
Mutter Oberin: Schulden Sie mir Gehorsam?
Marguerite: Sicher.
Oberin: Sage ich nein, müssen Sie das akzeptieren, ohne Diskussion!
Bestimmt sieht die Oberin Marguerite in die Augen, die
dreht sich weg und geht Richtung Tür. Dort bleibt sie
stehen, sieht zur Oberin und hebt ihren Zeigefinger. Resigniert blickt die Oberin sie an.
Marguerite schreibt: 27. Mai. Ich bin unterwegs, um die
kleine Marie abzuholen und ich bin fast genau so aufgeregt, wie an dem Tag, als ich mein Gelübde abgelegt
habe.
Mit resoluten Schritten geht Marguerite eine kleine Anhöhe hinauf. Sie trägt ihre blaue Nonnentracht. In der
Hand hat sie eine kleine Reisetasche. Marguerite läuft
einen schmalen Weg. Zu ihrer Rechten ein Zaun, dahinter Obstbäume. Zu ihrer Linken eine Böschung. Sie steht
vor einem Haus und geht auf die Tür zu. Marguerite
klopft an und drückt die Holztür auf.
Marguerite: Ist da jemand?
Marguerite kommt in das Haus und stellt ihre Reisetasche auf dem Boden ab. Spärliches Licht fällt in einen
kargen Raum. In der Mitte steht ein Tisch mit Stühlen,
darauf eine halbvolle Weinflasche, ein Krug und zwei
Teller mit Besteck. Daneben liegt ein Laib Brot auf einem Tuch. Ernst schaut Marguerite in das schummrige
Licht. Eine kleine Hand tastet von unten nach einem Taschenmesser auf dem Tisch. Marguerite schaut unter
den Tisch und kniet sich daneben. Das Mädchen, Marie,
sitzt zusammengekauert auf dem Boden, den Kopf auf
den Knien. Marguerite krabbelt ein Stück näher an sie
heran. Langsam streckt Marguerite ihre Hand nach dem
Kind aus. Ihre Fingerspitzen berühren sacht das Knie
des Mädchens. Das stößt sie weg.
Marguerite: Ich bin es.
Fluchtartig entfernt sich Marie von ihr, Marguerite setzt
ihr nach. Sie bekommt das Kind zu fassen, schlingt die
Arme um seinen Körper und hält es fest.
Marguerite: Hab keine Angst!
Marie reißt metallenes Geschirr aus einem Regal. Sie
befreit sich aus Marguerites Umklammerung und stürmt
die Stufen einer kleinen Treppe hoch. Marguerite hält sie
an ihren nackten Beinen fest und zieht sie am Kittel zurück. Sie flüchtet sich in eine Ecke unter dem Fenster.
Marguerite: Ganz ruhig!
Mehl stiebt auf. Eine schlanke Frau, Maries Mutter, tritt
durch die Tür. Dahinter der Vater.
Mutter: Aber wer sind Sie denn?
Marie kauert sich in eine Ecke.
Marguerite: Ich bin hier, um ihnen zu helfen.
Der Vater läuft mit Marie auf den Schultern über eine
Wiese. Dahinter Marguerite und die schlanke Frau.
Marguerite: Aber hat sie denn keine Schuhe?
Mutter: Ihr welche anzuziehen, haben wir nie geschafft,
auch nicht sie zu kämmen oder ihr ein Kleid überzuziehen.“
Marguerite nickt. Sie geht weiter.
Mutter: Moment! Fast hätte ich es vergessen. (Sie hält
Marguerite ihre geschlossene Hand hin.) Dieses kleine
Messer (sie öffnet die Hand) es gibt nichts, was sie lieber mag. Sie hat es lieber als Puppen.
Die beiden Frauen lächeln einander an. Marguerite
nimmt das kleine Taschenmesser. Sie dreht es zwischen
ihren Fingern. Herzlich umarmt Marguerite die Mutter
von Marie. Die Mutter lächelt verlegen. Zögernd legt sie
ihre Hände auf Marguerites Rücken. Marguerite löst sich
von ihr, blickt sie warmherzig an, nimmt die Tasche hoch
und geht. Die Mutter sieht ihr hinterher, lächelt verhalten
und hebt kurz die Hand zum Gruß. Sie trägt ein türkisfarbenes, sommerliches Kleid, ihre dunkelblonden Haare
sind hochgesteckt.
In einem dichten Wald auf einem schmalen Pfad. Marie
sitzt auf den Schultern ihres Vaters und breitet die Arme
nach vorne aus. Marguerite läuft zwei Schritte hinter
dem Vater.
Marguerite: …sie jetzt mir überlassen.
Am Waldrand bleiben sie stehen. Der Vater dreht sich zu
Marguerite um. Marie fasst ihm an den Mund.
Vater: Ich weiß.
Marguerite stellt ihre Tasche ab. Der Vater greift nach
oben, zieht Marie behutsam von seinen Schultern und
stellt sie auf den Boden. Marie schmiegt sich an ihn und
tastet über seine Brust. Er holt einen Lederriemen aus
seiner Hosentasche. An jedem Ende ist eine Schnalle
befestigt. Er formt damit zwei Schlaufen und steckt eine
Hand seiner Tochter durch eine hindurch. Das Mädchen
verzieht unwillig das Gesicht. Die Schlaufe am anderen
Ende des Riemens legt er um Marguerites Hand. Marguerite sieht den Vater ernst an. Marie klammert sich an
seinen Arm. Sanft gibt er ihr einen Kuss auf die Haare
und streichelt ihre Hand.
Marguerite: Gehen Sie jetzt, na los!
Er zieht seinen Arm aus der Umklammerung des Mädchens und geht. Marie will ihm nach. Marguerite hält sie
fest. Der Vater bleibt mit dem Rücken zu ihnen stehen.
Marguerite: Gehen Sie, gehen Sie endlich.
Entschlossen läuft er los. Marguerite zieht Marie am Lederriemen zu sich heran.
Marie und Marguerite laufen über dichtes Gras eine kleine Anhöhe hinauf. Die Hände der beiden dicht nebeneinander, mit dem Riemen um ihre Handgelenke. Die
Sonne scheint. Marguerite zieht Marie mit sich. Oben auf
die Anhöhe. Widerstrebend folgt das Kind Marguerite,
die läuft leicht vornüber gebeugt und zieht es angestrengt hinter sich her.
Marguerite sitzt an einem Bach und hält einen Fuß ins
seichte Wasser. Sie nimmt ihn heraus und streift das
Wasser ab. Sie schaut hoch, ihr Blick fällt auf Marie. Die
liegt in einiger Entfernung auf dem Bauch und robbt
dicht ans Ufer heran. Sie streckt beide Arme aus und berührt vorsichtig die Wasseroberfläche. Marie taucht ihre
Hände hinein. Marguerite beobachtet sie. Auf dem
Bauch liegend spritzt sie fröhlich mit dem Wasser und
bewegt dazu ihre Beine.
Marguerite tippt mit Maries Zeigefinger auf die Brust des
Mädchens: Du, du.
... und dann auf ihre eigene: Ich. Wir beide.
Sie führt die Hand des Kindes zwischen beiden hin und
her: Zusammen.
Maries Blick ist ins Leere gerichtet. Sie ist schlank, hat
schulterlange, braune, struppige Haare, ein rundes Gesicht, braune Augen und volle Lippen. Sie sitzt reglos da.
Marguerite greift in die Tasche ihres Gewandes und holt
das Taschenmesser hervor. Sie dreht es in ihren Händen, nimmt Maries Hand und legt das Taschenmesser
hinein. Behutsam schließt sie Maries Finger um das
Messer. Marie führt es an ihr Gesicht und reibt es
mehrmals unter ihrer Nase hin und her und über ihre
Lippen. Marguerite beobachtet sie lächelnd.
Es donnert. Ein Unwetter. Marguerite öffnet eine Stalltür
und steckt den Kopf herein. Vorsichtig betritt sie den
Stall und zieht Marie nach. Die hält die Arme vorgestreckt. Stroh liegt auf dem Boden. Marie gibt einen Laut
von sich. Marguerite hält Marie den Mund zu. Sie hat einen Arm um Marie gelegt und sieht sich im dunklen Stall
um. Die beiden sitzen nebeneinander. Marie wippt vor
und zurück, hat die Knie angezogen und eine Hand um
ihre nackten Beine gelegt, mit der anderen fährt sie sich
über Hals und Mund. Schon bald schlafen beide.
Vogelzwitschern. Sonnenlicht fällt in den Stall. Marguerite liegt in einer Ecke des Stalls auf dem Stroh und
schläft, die Reisetasche neben sich. Mit geschlossenen
Augen tastet sie über das Stroh, öffnet erschrocken die
Augen und richtet sich auf. Suchend blickt sie sich um.
Weit hinten im Stall steht eine braun-weiß gefleckte Kuh.
Zwei Hände streicheln darüber, Maries brauner Haarschopf taucht hinter dem Kuhrücken auf. Marguerite lächelt. Marie hat den Kopf an den Rücken des Tieres geschmiegt und befühlt das Fell. Marguerite stellt sich neben sie. Behutsam nähert sie ihre Hand der Hand des
Mädchens, nimmt sie sacht und führt sie mit der Handinnenfläche über den runden Bauch der Kuh. Marguerite
zieht Maries Hände sanft an ihren Kopf heran. Sie formt
mit ihren eigenen Händen Hörner nach. Dabei ruhen die
Hände des Mädchens auf Marguerites Handrücken.
Marguerite: Kuh, Kuh.
Marie wendet sich ab und streichelt die Kuh. Marguerite
greift erneut nach Maries Händen: Kuh! … und führt sie
wieder an ihre Schläfen: Das ist eine Kuh.
Marie schmiegt ihr Gesicht an das Fell und streichelt es.
Marguerite läuft durch hohes Gras. Sie trägt Marie huckepack. In einer Hand hat sie ihre Reisetasche. Vor einer verlassenen Scheune entdeckt sie eine Schubkarre.
Marguerite setzt Marie hinein, im Laufschritt schiebt
Marguerite die Schubkarre eine Anhöhe herunter. Marie
reckt ausgelassen ihre Arme nach oben, zwischen ihren
Beinen steht die Reisetasche. Beide lachen fröhlich.
Marguerite geht die Allee entlang auf das Kloster zu.
Durch ein hohes Tor kommt sie in den Hof. Drei Schülerinnen in hellblauen Kleidern reden miteinander in Gebärdensprache und entdecken Marie und Marguerite.
Die Schülerinnen gebärden: Schau! - Ihre Haare!
Raphaëlle und eine andere Nonne winken Marguerite
zu. Marie hat die Augen geschlossen. Kleine Mädchen
toben um beide herum und berühren Maries Haare.
Marguerites Nonnentracht ist stark verschmutzt.
Aufgereiht stehen ein Dutzend Nonnen im Hof:
Marguerite führt Marie die Reihe entlang. Marie berührt
die Gesichter der einzelnen Frauen. Marie umfasst den
Kopf von Raphaëlle und streichelt mit Nase und Hand
über ihr Gesicht. Daneben steht eine Nonne mit roten
Wangen. Die lächelt freundlich. Marie befühlt ihre Augen
und kuschelt sich an sie. Die Nonne drückt sie an sich.
Marie steht vor der rundlichen Nonne und packt sie vergnügt an der Nase. Die Rundliche schmunzelt gutmütig.
Die Nonnen in der Reihe beugen sich vor und lachen.
Am Schluss der Reihe steht die Mutter Oberin, die alles
mürrisch beobachtet. Marie geht zur Oberin und hält der
Oberin die Hand vor das Gesicht. Die weicht zurück.
Grob drückt Marie ihr die Hand direkt auf Wange und
Nase. Marie gibt einen Laut von sich. Die Oberin blickt
ungerührt Marie an, die anderen Nonnen kichern hinter
vorgehaltener Hand. Streng sieht die Oberin zu ihnen
rüber.
Im Schlafsaal. Marguerite geht mit Marie einen Mittelgang entlang, rechts und links stehen Betten mit vorgezogenen Vorhängen.
Marguerite bleibt am Ende des Schlafsaals vor einem
Bett stehen: Das ist dein Bett, hier schläfst du.
Marguerite drückt Maries Hand auf die Matratze: Ich bin
gleich wieder da.
Marguerite stellt sich in den Gang und gebärdet zu den
anderen Mädchen: Ich hole Bettwäsche.
Die Mädchen nicken.
Marguerite gebärdet: Sie ist neu hier. Seid nett zu ihr.
Sie deutet auf eins der Mädchen und gebärdet: Du passt
auf sie auf. Ich bin gleich wieder da.
Marguerite geht aus dem Schlafsaal. Die Mädchen, alle
in weißen Nachthemden, sehen ihr nach. Sie klettern
aus ihren Betten und schieben neugierig ihre Vorhänge
beiseite. Mit vorsichtigen Schritten nähern sie sich dem
Bett von Marie. Die sitzt steif auf ihrer Matratze. Die
Mädchen umringen sie von allen Seiten. Sie berühren
sie, tippen auf ihre Arme und ziehen an ihren wilden
Haaren. Marie schlägt um sich und schiebt die vielen
Hände weg. Die Mädchen stehen im Kreis um Marie
herum und schubsen sie von einer zur anderen. Marie
wehrt sich heftig. Die anderen werden immer zudringlicher. Marie schlägt verzweifelt um sich.
Marguerite kommt mit dem Bettzeug angerannt. Sie wirft
es beiseite, stürzt auf die Mädchen zu und treibt sie
auseinander: Ins Bett!
Marie hockt am Boden, die Knie angezogen, die Hände
schützend über dem Kopf.
Aufgebracht gebärdet Marguerite: Hört auf mit dem Unsinn! Ich habe euch vertraut! Ihr seid alle böse. Ich sage
es der ehrwürdigen Mutter, ihr werdet schon sehen, ich
bin enttäuscht.
Sie hockt sich zu Marie. Die stößt sie von sich und
schlägt auf Marguerites Hände ein.
Marguerite: Ich bin es. Ich bin‘s.
Sie führt Maries Hand in ihr Gesicht: Da, genau.
Termine und Infos
Tag der Offenen Tür im Deutschen Taubblindenwerk
14.06.2015, von 11 bis 17 Uhr
Buntes Programm mit Musik, verschiedenen Aktionen,
Führungen durch das Taubblindenwerk
www.taubblindenwerk.de
4. Dunkle Wanderung 2015 Wiehl
Veranstaltet von: Fachgruppe Taubblinde und Hörsehbehinderte BSV NRW
28. - 30.08.2015 bei Wiehl im Bergischen Land in
Nordrhein-Westfalen, mit Wettlauf, Labyrinthspiel, Besuch und viele Informationen in einer Tropfsteinhöhle
Infos und Anmeldung:
Georg Cloerkes
Mittelweg 2c, 50859 Köln
Fax 02234 943017
E-Mail: [email protected]
Qualifizierung TaubblindenassistentInnen Hannover
Das Land Niedersachsen fördert eine neue Qualifizierung von TaubblindenassistentInnen in Hannover.
Infos:
Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e. V.
Beratungsstelle für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen
Simone Amacher
Kühnsstraße 18, 30559 Hannover
Tel.: 0511/5104-282, Fax : 0511/5104-283
E-Mail: [email protected]
Web: www.blindenverband.de