Leseprobe - Petra Schier

Mila Roth
Codename E.L.I.A.S.
Kaltgestellt
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Mila Roth ist ein Pseudonym der Autorin Petra
Schier. Sie ist 1978 geboren und lebt mit ihrem
Mann und einem Deutschen Schäferhund in einer
kleinen Gemeinde in der Eifel, studierte Geschichte
und Literatur an der Fernuniversität Hagen, und
arbeitet seit 2003 als freie Autorin.
Unter ihrem Realnamen Petra Schier erscheinen
ihre sehr erfolgreichen historischen Romane im
Rowohlt Taschenbuch Verlag, ihre Weihnachtsromane bei Rütten & Loening und MIRA Taschenbuch.
Besuchen Sie die Autorin im Internet:
www.mila-roth.de
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Mila Roth
Codename E.L.I.A.S.
Kaltgestellt
Band 1
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Deutsche Erstausgabe
1. Auflage, April 2015
Copyright © 2015 by Mila Roth
Cover-Design: Judith Kühl
Cover-Abbildungen:
#60454691 - Downtown Los Angeles, California Cityscape
© SeanPavonePhoto www.fotolia.de
#48493476 - couple woman man detective secret agent
criminal silhouette © snaptitude www.fotolia.de
Lektorat: Barbara Lauer
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-734785-10-8
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit
schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.
Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind
frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder
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verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Allen Serienjunkies gewidmet.
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Personenverzeichnis
Hauptpersonen
Michael Cavenaugh: Spion für die CIA
Brianna Wagner:
Michaels Ex-Freundin
Hehlerin
Luke Tanner:
Ehemaliges Mitglied der
Special Forces
Kopfgeldjäger
Michaels Familie
Helen Cavenaugh:
Joe Cavenaugh:
Daniel Cavenaugh:
Michaels Mutter
Michaels Vater
Michaels jüngerer Bruder
Briannas Familie
Conrad Wagner:
Matt Wagner:
Briannas Vater
Briannas älterer Bruder
Sonstige Personen (alphabetisch)
Elliot Alster:
Gerrisson:
Anführer der Black Fence
Gang in Boyle Heights
Michaels Kontaktmann
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Personenverzeichnis
Sonstige Personen (alphabetisch)
Carl Hallway:
Edward Meyers:
Tylor McKenzie:
Jake Middleton:
Linda Montaine:
Nel:
Dr. Peterson:
Marco Santoz:
Ramón Santoz:
Geschäftsmann
Immobilienhai
Besitzer einer Autowerkstatt in Boyle Heights
Michaels Vorgesetzter bei
der CIA
Finanzdienstleisterin
Freundin von Elliot Alster
Arzt im Glendale Memorial
Hospital
Mitglied der Black Fence
Gang
Marcos jüngerer Bruder
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1. Kapitel
Es wurde Zeit. Michael Cavenaugh blickte zum
wiederholten Mal auf seine Armbanduhr, dann
an der beigefarbenen Fassade des dreistöckigen
Bürogebäudes in der South Vermont Avenue empor. Gerrisson, sein Kontaktmann, schien sich zu
verspäten, also würde er die Räume von Hallway
Incorporated wohl alleine durchsuchen müssen.
Beiläufig blickte er sich um und ging auf den
Eingang des Gebäudes zu. Seine Vorgesetzten in
Langley warteten auf Ergebnisse, da konnte er
nicht auf einen unzuverlässigen Kontaktmann
Rücksicht nehmen, der sowieso nur seinen Kofferträger zu spielen hatte. Michael strich die teure graue Anzugjacke von Armani glatt und richtete seine Krawatte, bevor er eintrat. Falls ihm jemand begegnete, war er durch seine Tarnung als
Investor bei Hallway gesichert. Daran hatte er
mehrere Wochen ebenso gearbeitet wie an seinem französischen Akzent. Jacques Richard war
ein stinkreicher Geschäftsmann, der den Terroristen dieser Welt alles lieferte, was ihnen das
Leben erleichterte, von Maschinengewehren über
Sprengstoffe bis hin zu satellitengesteuerten Raketensystemen. So hatte Michael sich mit Carl
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Hallway bekanntgemacht und eine Geschäftsbeziehung angebahnt, durch die es ihm nun möglich war, die terroristenfreundlichen Aktivitäten
des Hallway-Imperiums zu unterwandern und
bestenfalls zu beenden.
Da es bereits kurz nach siebzehn Uhr war, lag
der Empfangstresen wie erwartet verlassen da.
Vermutlich war die Empfangsdame gerade auf
dem Weg nach Downtown Los Angeles, um ein
schnelles Sushi zu sich zu nehmen und dann die
überfälligen Weihnachtseinkäufe zu erledigen.
Michael hatte ein wenig mit ihr geflirtet und ihr
die Gepflogenheiten der Firma mit Leichtigkeit
entlockt. Die beiden Sicherheitsbediensteten
hockten vermutlich irgendwo vor dem Fernseher
und sahen sich ein Footballspiel an.
Mit federnden Schritten stieg Michael die Stufen der geschwungenen Treppe in den ersten
Stock hinauf und strebte der zweiten Tür auf der
rechten Seite des Korridors zu. Prüfend sah er
sich um. Im Gebäude war es ruhig. Zu ruhig? Er
bezweifelte, dass um diese Zeit tatsächlich schon
allen Angestellten Feierabend gewährt worden
war. Doch nirgendwo war das übliche Klappern
von Tastaturen oder das Surren von Druckern
oder Kopierern zu vernehmen. Auch keine Stimmen oder sonst irgendein Hinweis darauf, dass
hier jemand arbeitete.
Bei dieser Erkenntnis schrillten in Michaels
Kopf sämtliche Alarmglocken und er ging in
Habachtstellung, eine Hand an der 38er, die er in
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einem Holster unter dem Jackett versteckt trug.
Mit der anderen Hand zog er die gefälschte
Keycard hervor, mit der sich die Tür zu den
Räumen des Geschäftsführers öffnen ließ. Er
lauschte noch einmal und zog die Karte über den
Scanner. Es piepste, die Tür sprang auf.
Das kleine, mit modernen Möbeln aus Chrom,
schwarzem Holz und Leder eingerichtete Empfangszimmer lag verlassen da. So weit, so gut.
Zielstrebig wandte Michael sich nach rechts. Hinter einer Milchglastür lag Hallways Büro, das es
sowohl zu durchsuchen als auch zu verwanzen
galt.
Die Abhörgeräte waren schnell an strategisch
günstigen Stellen angebracht, das Vorhängeschloss am Aktenschrank ebenso rasch mit einem
einfachen Dietrich geöffnet. Innerlich schüttelte
Michael den Kopf über das sinnlose Vertrauen,
dass die Leute in solche Schlösser setzten.
Schnell blätterte er sich durch die Akten in der
oberen Lade, als ein leises Schleifen ihn innehalten ließ. Er richtete sich auf, griff nach seiner
Waffe und entsicherte sie, so leise es ging. Angestrengt horchend näherte er sich der Tür, die
nach nebenan zu einem weiteren Büroraum führte. Er konnte nicht mit Sicherheit orten, woher
genau das Geräusch gekommen war.
Vorsichtig drückte er die Klinke, stieß die Tür
sanft auf und wartete einen Atemzug lang.
Schließlich betrat er den anderen Raum.
Seine Augen weiteten sich eine Spur, als er
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Gerrisson am Boden liegen sah, in einer dunkelroten Blutlache. Gleichzeitig hörte er, wie hinter
ihm eine Pistole entsichert wurde. Eine dunkle
Stimme erklang: »Eine falsche Bewegung und Sie
leisten Ihrem Kollegen im Jenseits Gesellschaft,
Monsieur Richard, oder wie auch immer Sie heißen mögen.«
Michael erstarrte für eine Sekunde, dann setzte er rasch ein gewinnendes Lächeln auf und
drehte sich zu Hallway um, der mit einer 45er auf
ihn zielte und dabei die Zähne fletschte. Seine
blendend weißen Zähne bildeten einen scharfen
Kontrast zu seiner tiefdunklen Hautfarbe. Natürlich war er nicht allein, sondern wurde von zwei
ebenfalls dunkelhäutigen Schlägern flankiert. Auf
einen Wink ihres Chefs packten die beiden Michael und entwaffneten ihn im Handumdrehen.
Michael bemühte sich, das Lächeln beizubehalten. »’ier scheint es sisch um ein Missverständnis zu ’andeln«, sagte er mit seinem besten
französischen Akzent.
»Das scheint es tatsächlich.« Hallway strich
sich übers Kinn. »Sie vergaßen, mir mitzuteilen,
dass Sie ein Spion der CIA sind. Sie werden verstehen, dass unsere Zusammenarbeit unter diesen Umständen hinfällig geworden ist.« Wieder
gab er den beiden Gorillas einen Wink. Michael
biss die Zähne zusammen und spannte alle Muskeln an, um der Wucht der ersten Schläge etwas
entgegensetzen zu können. Dennoch krümmte er
sich keuchend zusammen, als die Faust des einen
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Schlägers ihn in der Magengrube traf. Der
Schmerz breitete sich explosionsartig aus und
vervielfachte sich, als Fausthieb um Fausthieb
folgte. Bald schon lag er am Boden, krümmte sich
zusammen und versuchte, wenigstens so weit
einen klaren Kopf zu bewahren, dass ihm eine
Fluchtmöglichkeit einfiel.
Die beiden Kraftprotze traten abwechselnd auf
ihn ein. Im Gürtel des einen sah Michael seine
eigene Pistole. Kurz bevor ihn eine Schuhspitze
am Kopf traf, warf er sich herum und trat dem
einen Mann gegen das Schienbein, sodass er ins
Straucheln geriet. Ein weiterer Tritt ließ ihn stürzen. Er schlug mit dem Kopf gegen die Schreibtischkante und blieb stöhnend liegen. Michael
hatte sich bereits aufgerappelt und warf sich auf
den zweiten Schläger, hoffend, dass Hallway in
dem Tumult nicht wild um sich schießen würde,
ohne Rücksicht darauf, wen er traf.
Ein Schuss knallte. Michael keuchte, rang sein
Gegenüber nieder und eroberte seine Waffe zurück. Mit einem kräftigen Kinnhaken schaltete er
den Schläger aus. Noch während er sich von ihm
wegdrehte, schoss er in Hallways Richtung. Der
hatte hinter dem Türblatt Deckung gesucht und
erwiderte das Feuer zweimal. Beide Kugeln
durchbrachen eine der großen Fensterscheiben,
die daraufhin teilweise splitterte. Kein besonders
gutes Sicherheitsglas, schoss es Michael durch
den Kopf. Aber vielleicht seine beste Fluchtmöglichkeit. Als ein weiterer Schuss abgefeuert wur13
de, warf er sich hinter einen Besuchersessel, linste daran vorbei und schoss ebenfalls. Dann
sprang er auf und suchte Deckung hinter dem
Betonpfeiler, der den Raum mittig teilte. Hallway
feuerte eine Salve aus seiner Pistole auf Michael
ab. Glücklicherweise trafen alle Kugeln den Pfeiler.
Hastig prüfte Michael die Entfernung zwischen seinem Standort und dem Fenster. Ein
Sprung aus dem ersten Stock war alles andere als
ungefährlich, konnte mit gestauchten oder gebrochenen Knochen enden. Immer noch besser,
als mit den Füßen voran hinausgetragen zu werden. Hallway schoss erneut, Michael erwiderte
das Feuer. Aus den Augenwinkeln bemerkte er
ein rotes Blinken. Als er genauer hinsah, erblickte er halb unter Gerrisson ein rechteckiges Päckchen C4, an dem ein Zeitzünder angebracht war.
Scheiße war alles, was Michael denken konnte.
Er lud mit fliegenden Fingern seine 38er nach
und feuerte dreimal in Hallways Richtung. Beinahe gleichzeitig sprang er auf und rannte auf
das Fenster zu. In dem Moment, als seine Schulter die gesplitterte Scheibe durchbrach, explodierte die Sprengladung. Die Druckwelle schleuderte ihn hinaus, und er sah noch den Bürgersteig rasend schnell auf sich zukommen. Dann
wurde es schwarz um ihn.
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2. Kapitel
Hin und her gerissen zwischen gerechtem Zorn
und Besorgnis, betrat Brianna Wagner das
Glendale Memorial Hospital und erkundigte sich
nach dem John Doe, dem namenlosen Patienten,
der am Vortag hier eingeliefert worden war. Vielleicht war es eine Verwechslung. Nach dreieinhalb Jahren hatte sie sowohl die Hoffnung längst
aufgegeben als auch den von Wut getriebenen
Wunsch nach einem erneuten Zusammentreffen
mit dem Mann, der sie während einer Geheimdienst-Operation in Deutschland von einer Minute auf die andere im Stich gelassen hatte. Gut, die
Wut nicht, aber das bedeutete noch lange nicht,
dass dieses widerliche Flattern in ihrer Magengrube ein Anflug von Hoffnung war.
Falls sie tatsächlich Glück hatte und der Unbekannte in Zimmer 23b Michael Cavenaugh
war, dann schuldete er ihr verdammt noch mal
eine Erklärung. Und falls er so schwer verletzt
war, dass es mit ihm zu Ende ging, wollte sie dabei sein, wenn er zur Hölle fuhr.
Die Tür zum Krankenzimmer stand ein Stück
weit offen; sie vernahm die Stimme eines Man15
nes, offenbar des Arztes. Danach eine weitere,
dunklere, die ihren Herzschlag unvermittelt beschleunigte. Entschlossen ignorierte sie das erneute Flattern in ihrer Magengrube und straffte
die Schultern, strich ihr kurzes korallenrotes
Kleid glatt und zählte langsam bis einhundert.
ЖЖЖ
»Schön, dass Sie endlich beschlossen haben aufzuwachen.« Ein schmaler blonder Mann mit Brille beugte sich halb über Michael, als der die Augen aufschlug und sich irritiert umblickte.
»Willkommen in der Welt der Lebenden.«
»Wo bin ich?« Zu hastig versuchte Michael,
sich aufzurichten, und bereute es sogleich, denn
seine Rippen schmerzten höllisch und auch der
Kopf und die rechte Schulter schienen bei seinem
unfreiwilligen Flug aus Hallways Bürofenster
etwas abbekommen zu haben.
»Hoppla, ganz ruhig.« Der Arzt drückte ihn
zurück ins Kissen. »Sie befinden sich seit gestern
Abend im Glendale Memorial. Jetzt ist es neun
Uhr dreißig vormittags. Mein Name ist Dr. Petersen. Und Sie sind ...?«
»Michael Cavenaugh.« Immer noch irritiert
schüttelte er die Hand des Arztes.
»Gut, dann haben wir ja endlich einen Namen.
Als Sie eingeliefert wurden, befand sich kein
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Ausweis in Ihrer Brieftasche.«
»Kein Ausweis?«
»Vielleicht wurde er gestohlen? Immerhin
sieht es so aus, als wären Sie überfallen worden.
Allerdings hatten die Räuber genug Anstand,
Ihnen hundert Dollar zu lassen.« Der Arzt lächelte mitleidig. »Wir benötigen Ihre Anschrift, Ihr
Geburtsdatum und die Angaben zu Ihrer Krankenversicherung. Sie sind doch versichert, nicht
wahr?«
»Ja.« Michael rasselte die geforderten Daten
herunter, die der Arzt eifrig mitschrieb.
»Muss ja eine üble Bande gewesen sein, an die
Sie geraten sind. Sie haben zwei angeknackste
Rippen, eine verrenkte Schulter und Schnittwunden. Ganz zu schweigen von der Kopfverletzung.
Zum Glück hat man Sie auf diesem Parkplatz
gefunden. Nicht auszudenken, wie es Ihnen sonst
ergangen wäre.«
»Parkplatz? Was für ein Parkplatz?« Michael
war sich ziemlich sicher, dass er auf dem Bürgersteig gelandet war.
»Na, in der Madison Street, gleich neben dem
Lagerhaus von Wong Ltd. Erinnern Sie sich nicht
mehr daran? Das könnte auf eine ernstere Kopfverletzung hindeuten.«
»Äh, ja, doch, natürlich. In der Madison
Street.« Michael nickte hastig. Bloß keinen zusätzlichen Wirbel verursachen. Er fragte sich nur,
wer so freundlich gewesen war, ihn nach der Explosion noch mindestens dreihundert Meter weit
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bis zu diesem Parkplatz zu schleppen und dort
abzulegen. Ganz sicher nicht Hallway und seine
Leute, denn die dürften die Explosion nicht überlebt haben.
»Wollen Sie Anzeige erstatten? Ich kann die
Polizei für Sie verständigen.«
Michael schüttelte den Kopf. »Nein danke, das
bringt sowieso nichts. Außerdem kann ich nicht
bleiben. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Diesmal richtete er sich weit vorsichtiger auf und
ächzte ein bisschen. »Bringen Sie mir bitte meine
Entlassungspapiere, Dr. Petersen.«
»Was, Sie wollen in diesem Zustand das Krankenhaus verlassen?« Sichtlich erschrocken legte
der Doktor ihm eine Hand auf den Arm. »Das
kann ich Ihnen unter keinen Umständen empfehlen. Wir sollten Sie mindestens einen, besser
noch zwei Tage zur Beobachtung hierbehalten.«
»Nein. Ich übernehme die volle Verantwortung.« Skeptisch blickte Michael an sich hinab.
Er trug lediglich eines dieser dünnen hellgrünen
Krankenhaus-Hemdchen. »Wo sind meine Sachen?«
Dr. Petersen deutete auf den Schrank neben
dem Bett. Die Tür stand offen, sodass Michael
den scheußlich lädierten Armani-Anzug erkennen konnte. »Sie können sich von jemandem
etwas anderes bringen lassen, Mr. Cavenaugh,
wenn Ihnen das lieber ist.«
»Nein, das geht schon. Machen Sie einfach
meine Papiere fertig.« Als er die Beine zur Seite
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schwang, um sich aufzusetzen, presste Michael
die Lippen fest zusammen. Sein Körper fühlte
sich an, als sei er von einem Truck überrollt worden. Dr. Peterson murmelte etwas, das nach einem Protest klang, und entfernte sich.
»Immer auf dem Sprung, genau wie in alten
Zeiten.«
Michael hob ruckartig den Kopf, als er die ihm
nur allzu vertraute Frauenstimme vernahm.
»Brianna!« Mit ihr hatte er hier am allerwenigsten gerechnet. Doch da stand sie, einen Unterarm
der Länge nach gegen den Türstock gelegt und
ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Ihr zierlicher, durchtrainierter Körper steckte in einem
verboten kurzen roten Kleidchen, die passenden
himmelhohen Pumps täuschten ein wenig darüber hinweg, dass sie nur 1,62 Meter groß war.
Sie hatte sich kaum verändert. Lediglich ihr
fast glattes hellbraunes Haar war kürzer als vor
drei Jahren und reichte ihr nur noch knapp bis
auf die Schultern. In ihren dunkelblauen Augen
blitzte es angriffslustig wie eh und je.
»Hallo Michael.« Sie stieß sich vom Türrahmen ab und stolzierte mit schwingenden Hüften
auf ihn zu. »Du lebst ja doch noch. Die Nachricht
des Krankenhauses auf dem Anrufbeantworter
meines Dads klang, als hätte dein letztes Stündlein geschlagen. Da dachte ich, ich komme vorbei
und vergewissere mich, dass der Teufel dich
wirklich holt.«
»Da muss ich dich leider enttäuschen. Noch
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weile ich unter den Lebenden. Und ich habe nicht
vor, das so schnell zu ändern.« Mit einem unterdrückten Stöhnen stand Michael auf und
schwankte zum Schrank, nahm seine Kleider
heraus und trug sie wortlos hinüber ins Bad. Dort
warf er einen kurzen Blick in den Spiegel über
dem Waschbecken, drehte das Wasser auf und
spritzte sich etwas davon ins Gesicht. Hinter sich
hörte er Brianna im Krankenzimmer auf und ab
gehen.
»Wahrscheinlich ist das auch besser so«, rief
sie ihm ihre Antwort zu. »Immerhin gibt es noch
genügend Leute, die ein Hühnchen mit dir zu
rupfen haben. Es wäre sehr schade, wenn sie dazu keine Gelegenheit mehr bekämen.«
Michael verdrehte die Augen, entledigte sich
des unsäglichen Kittels und stieg in die Anzughose. Das Hemd war schon schwieriger. Die angebrochenen Rippen brannten und stachen, dass es
ihm den Atem verschlug. Von der verrenkten
Schulter ganz zu schweigen. »Seit wann bist du in
L.A.?«, fragte er, ohne auf ihre Bemerkung weiter
einzugehen.
»Seit Thanksgiving.« Als er, sein Hemd zuknöpfend, das Bad wieder verließ, saß sie mit
überschlagenen Beinen auf der Bettkante und
blickte ihm mit dem für sie typischen katzenhaften Ausdruck entgegen. »Du weißt schon, das
Fest, an dem sich Freunde und Familie treffen,
Unmengen essen und eine schöne Zeit miteinander verbringen.«
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»Bri ...« Sie schaffte es mal wieder in kürzester Zeit, seine Nerven bis aufs Äußerste zu
strapazieren.
»Und da ich schon mal hier war, dachte ich,
ich hänge noch ein bisschen Urlaub dran und
erledige meine Weihnachtseinkäufe dieses Jahr
mal ohne Frostbeulen. Chicago kann im Winter
ziemlich ungemütlich werden. Außerdem gibt es
dort ein paar Leute, denen ich für eine Weile aus
dem Weg gehen möchte. Dad freut sich, dass ich
ihm ein bisschen Gesellschaft leiste.«
»Geht es ihm gut?«
»Hervorragend. Er ist für drei Tage nach San
Diego runtergefahren. Dort findet eine kleine
Elektronikfachmesse statt. Er hat sich zwar zur
Ruhe gesetzt, aber er hält sich trotzdem gern auf
dem Laufenden, was die neueste Sicherheitstechnik anbelangt.«
»Und deinem Grandpa?«
Brianna legte den Kopf ein wenig schräg.
»Woher das plötzliche Interesse? Die letzten drei
Jahre hast du doch auch nicht nach ihnen gefragt.«
»Bri!« Wieder verdrehte er entnervt die Augen. »Tut mir leid, dass das Krankenhaus bei
deinem Dad angerufen hat. Das war so nicht vorgesehen.«
»Kann ich mir vorstellen. Warum trägst du
seine Adresse überhaupt noch mit dir herum? Ich
dachte, du hättest sie vernichtet, nachdem du
Matt den Cops zum Fraß vorgeworfen hast.«
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»Ich habe ihn nicht ...« Michael griff nach
dem Jackett und zog es vorsichtig an. »Hör zu,
ich kann jetzt nicht darüber reden.«
»So wenig wie damals, als du mich einfach
ohne Vorwarnung oder ein Wort des Abschieds
verlassen hast?« In ihrer Stimme schwang jetzt
eine deutliche Schärfe mit, die er ihr nicht verübeln konnte. »Während eines Einsatzes noch
dazu. Nicht gerade die feine englische Art, seine
Freundin loszuwerden.«
»Ich wollte dich nicht loswerden, Bri.«
»Deshalb bist du auch nie wieder aufgetaucht,
du Bastard.« Sie ballte die Hände zu Fäusten und
sprang kampfbereit auf.
»Die Sache ist ein bisschen komplizierter, als
du denkst.« Er seufzte innerlich. »Wenn du
willst, erkläre ich es dir irgendwann. Aber nicht
jetzt. Erst mal muss ich mich mit meinen Leuten
in Langley in Verbindung setzen. Mein Kontaktmann wurde ermordet und meine Zielperson ist
vor«, er griff nach ihrem Handgelenk und hob es
an, um auf ihre silberne Armbanduhr zu schauen,
»siebzehn Stunden in die Luft geflogen. Ich muss
herausfinden, wer dafür verantwortlich ist.«
»In die Luft geflogen?« Brianna entzog ihm
den Arm mit einem Ruck. »Nicht zufällig ein Bürohaus in der South Vermont Avenue? Die Nachrichten waren gestern Abend voll davon. Man hat
vier Leichen in den Trümmern gefunden. Die
übrigen Beschäftigten, die noch dort waren, sind
wohl mit ein paar Schrammen und dem Schre22
cken davongekommen.« Sie musterte ihn von
Kopf bis Fuß. »Daher also die Blessuren.«
»Ja. Hör zu, ich muss los. Lass uns ein andermal weiterreden.« Er wandte sich zur Tür, in
der gerade wieder Dr. Petersen erschien. Der Arzt
wirkte sowohl besorgt als auch eine Spur verlegen.
»Mr. Cavenaugh, ich fürchte, es gibt ein kleines Problem mit den Angaben, die Sie zu Ihrer
Person gemacht haben.«
Michael runzelte die Stirn. »Was für ein Problem?«
»Sie stimmen nicht.« Dr. Petersen deutete auf
einen Computerausdruck auf seinem Klemmbrett. »Sehen Sie, wir haben die Daten überprüft,
aber es gab keine Übereinstimmung Ihres Namens, der Adresse oder des Geburtsdatums.
Wenn Sie so freundlich wären, mir Ihre Sozialversicherungsnummer zu nennen, damit ich Ihre
Identität bestätigen lassen kann. Falls Sie sie
nicht im Kopf haben, reicht auch Ihre Kontonummer.«
Michael wechselte einen kurzen Blick mit Brianna, die jedoch lediglich die Augenbrauen hob.
Dann setzte er sein berufsmäßiges Lächeln auf,
nahm dem Arzt das Klemmbrett ab und überflog
den Ausdruck.
Tatsächlich schien die Kombination aus seinem Namen, Geburtsdatum und der Adresse,
unter der er offiziell in New York gemeldet war,
keinen Treffer in den Datenbanken hervorge23
bracht zu haben. Also schrieb er schweigend eine
seiner Kontonummern auf das Papier und reichte
es Dr. Petersen.
Der Arzt dankte ihm und verließ eiligen
Schrittes den Raum.
»Die CIA scheint es ja mit deinen UndercoverEinsätzen ziemlich genau zu nehmen.« Brianna
lächelte spöttisch.
»So genau nun auch wieder nicht.« Sicherheitshalber folgte Michael dem Arzt bis zur Patientenaufnahme.
»Leider existiert dieses Bankkonto nicht.« Die
blondierte Mittvierzigerin, die seine Daten in den
Computer eingegeben hatte, blickte mit einer
Mischung aus Misstrauen und Mitleid zu ihm
auf. »Haben Sie noch ein anderes? Eine Kreditkarte vielleicht?«
Michael runzelte die Stirn und ging um den
Tresen herum, um sich selbst von der Meldung
auf dem Bildschirm zu überzeugen. »Darf ich?«
Umstandslos zog er die Tastatur zu sich heran.
»Hey, was soll das denn?« Die Stimme der
Sekretärin wurde schrill. »Sie können doch nicht
einfach ...«
»Nur einen Augenblick.« Michael tippte ein
paar Daten ein. Wieder kein Treffer. Als er den
Kopf hob, sah er Brianna auf der anderen Seite
des Tresens stehen und ihn interessiert beobachten. Wieder lächelte er, diesmal in Richtung des
Arztes. »Das muss ein Datenbankfehler sein.«
»Das ist natürlich möglich, aber Sie werden
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verstehen, dass wir dennoch einen Nachweis
über Ihre Identität benötigen. Andernfalls müsste ich die Polizei verständigen.«
»Das ist nicht nötig.« Michael winkte betont
lässig ab. »Wer weiß, wie lange es dauert, bis der
Fehler behoben ist. Miss Wagner kann meine
Identität bestätigen. Nicht wahr, Brianna?«
Brianna reagierte nicht.
»Bri?« Eindringlich sah er sie an.
»Hm? Was? Ach so. Ja, natürlich, Herr Doktor. Ich kenne diesen Mann. Das kann ich Ihnen
gerne schriftlich geben.« Ihr übertrieben gezierter Tonfall reizte Michaels angespannte Nerven,
doch er beherrschte sich. Sollte sie ihren Spaß
haben.
»Das ist ja gut und schön.« Dr. Petersen
schien die Angelegenheit immer unangenehmer
zu werden. Michael sah ihm an, dass er kurz davor war, tatsächlich die Cops zu rufen. »Trotzdem brauchen wir einen Nachweis über Ihre
Identität, Mr. Cavenaugh. Schon wegen der
Rechnung, und überhaupt ist das rechtlich ...«
»Wie viel schulde ich dem Krankenhaus?«
Die Sekretärin räusperte sich und zog die Tastatur wieder zu sich heran, tippte etwas ein.
»Dreitausendsiebenhundertfünfundsiebzig Dollar.«
Brianna stieß einen Pfiff aus.
Michael ging um den Tresen herum und nahm
sie ein wenig beiseite. »Brianna!«
»Ja, Michael?« Sie sah mit einem feinen Lä25
cheln zu ihm auf und klimperte mit den Wimpern. Sie wusste natürlich genau, um was er sie
bitten wollte.
»Würdest du ...« Er senkte die Stimme ein
wenig. »Ich zahle es dir so schnell wie möglich
zurück.«
Sie antwortete nicht gleich, sondern tat, als
müsse sie erst gründlich darüber nachdenken.
»Bri, bitte!«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Dafür schuldest du mir was, Michael.«
»Ich sagte doch, dass ich es dir zurückzahle.«
»O nein, mit Geld allein ist es da nicht getan.«
Er stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. »Also, was willst du von mir?«
»Mal sehen.« Sie löste die Arme wieder und
tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen.
»Wie wäre es mit einer Erklärung?«
Er nickte zögernd. »Okay.«
»Die kannst du mir bei einem gemeinsamen
Dinner geben.« Sie warf ihm einen vielsagenden
Blick zu.
Er gab sich sofort geschlagen. Eine andere
Wahl hatte er sowieso nicht, wenn er nicht riskieren wollte, dass Dr. Petersen die Polizei rief. »Ein
Dinner?«
»Für den Anfang. Dann sehen wir weiter.«
»Nicht heute.«
»Aber noch in diesem Jahr.«
»Also gut, wenn es dich glücklich macht.«
»Das muss sich erst noch herausstellen.« Sie
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wandte sich mit einem strahlenden Lächeln an
die Sekretärin und zückte ihre Kreditkarte. »Ich
zahle für den Herrn.«
ЖЖЖ
Erleichterung breitete sich in Michael aus, als er
dem Krankenhaus den Rücken zukehrte. Brianna
ging schweigend neben ihm her bis zu ihrem Wagen, einer noch fast neuen dunkelroten Limousine japanischen Fabrikats mit cremefarbenen Ledersitzen.
»Schicker fahrbarer Untersatz.« Anerkennend
strich er über den glänzenden Lack.
»Hab ich von einem Kunden erhalten, anstelle
von Bargeld. Erstklassige Ware gegen erstklassige Ware. Ein guter Handel.«
»Was für eine Ware?«
Sie zuckte die Achseln. »Stereoanlagen hauptsächlich.«
»Hauptsächlich?«
»Ein paar Satellitentelefone und ein Flashlight-3000-Überwachungssystem waren auch
dabei.«
»Dieses System wird so gut wie nur in Banken
eingebaut.«
»Ich habe ja nicht behauptet, dass es einfach
war daranzukommen. Für den Mehraufwand ist
dieses Schätzchen herausgesprungen.«
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Sie schloss den Wagen auf und setzte sich hinters Steuer.
Michael quälte sich auf den Beifahrersitz und
nannte ihr die Adresse seines Motels. »Danke,
dass du mich fährst.«
Sie reagierte nicht darauf, sondern fädelte den
Wagen in den fließenden Verkehr ein. »Irgendeine Idee, wer sich den Streich mit deinen Daten
erlaubt hat?«
»Keine Ahnung, ob es ein Streich ist. Darf ich
mal dein Handy benutzen?« Er nahm es einfach
aus der Halterung der Ladestation und tippte die
Nummer seines Vorgesetzten bei der CIA ein. Es
dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Vorzimmerdame meldete.
»Hier spricht Michael Cavenaugh. Stellen Sie
mich bitte zu Jake Middleton durch.«
»Michael wer?«
»Cavenaugh. Ich muss dringend mit Middleton sprechen. Mein letzter Einsatz ist etwas aus
dem Ruder gelaufen, und jemand hat ...«
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht
weiterhelfen. Sie müssen falsch verbunden sein.«
»Falsch ver... Was?« Er zog die Stirn in tiefe
Falten. »Natürlich kennen Sie mich. Kommen
Sie, wie oft war ich schon in Middletons Büro?
Nun holen Sie ihn mir bitte ans Telefon.«
»Sie sind wirklich falsch verbunden. Hier gibt
es keinen Mitarbeiter namens Middleton.«
»Natürlich gibt es den. Er ist seit sechs Jahren
mein Kontaktmann und Vorgesetzter.«
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»Es muss sich um eine Verwechslung handeln.«
Michaels Kehle schnürte sich zu. »Überprüfen
Sie meinen Sicherheitsstatus: Alpha-Delta-1-3-65-1. Michael Cavenaugh. Mit C.«
Im Hintergrund hörte er eine Tastatur klappern. »Es tut mir leid, dieser Sicherheitscode
existiert nicht. Auf Wiederhören.«
»Nein, nicht aufl...! Mist.« Zornig starrte Michael das Handy an, wählte die Nummer erneut.
Diesmal klingelte es nicht, sondern eine Computerstimme verkündete, dass die gewählte Nummer nicht vergeben sei.
Brianna sah ihn kurz von der Seite an. »Hast
du dir in Langley Feinde gemacht?«
Er klemmte das Handy zurück in die Halterung und legte ratlos den Kopf in den Nacken.
»Sieht fast so aus. Ich habe allerdings keine Ahnung, womit.«
»Muss aber eine größere Sache sein, wenn sie
dich anscheinend nicht mal mehr kennen.«
Brianna hatte recht. Das war kein simpler
Computerfehler. Jemand schien zu versuchen,
ihn auszuschalten.
Als sie das Motel erreichten, stieg er umgehend aus dem Wagen. Brianna tat es ihm gleich
und wollte ihm zu seinem Zimmer folgen, doch er
hielt sie zurück. »Fahr nach Hause, Bri. Ich muss
erst mal herausfinden, was hier vorgeht.«
»Ich könnte dir dabei Gesellschaft leisten.«
»Nicht jetzt. Du weißt selbst, dass es hier um
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Geheimnisse geht, die ich nicht mit dir teilen
kann.«
»Kann oder will?« Ihre Augen verengten sich
zu Schlitzen.
»Im Augenblick beides.«
»Wenigstens bist du ehrlich.« Sie presste kurz
die Lippen zusammen. »Auf Wiedersehen, Michael.« Sie stieg wieder ein, die Fahrertür knallte
zu. Mit zu viel Gas und quietschenden Reifen
fuhr sie davon.
Michael blickte ihr nach, bis sie um eine Ecke
bog. »Wunderbar.« Er rieb sich resigniert übers
Gesicht. Bri hatte sich nicht verändert – und er
hatte es wieder einmal in Sekundenschnelle geschafft, sie gegen sich aufzubringen. Ganz wie in
alten Zeiten.
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