Elementarpädagogik-Broschüre

Der kluge
Kindergarten
IMPRESSUM
Medieninhaber: NEOS Parlamentsklub
Dr. Karl-Renner-Ring 3, 1017 Wien
Für den Inhalt verantwortlich:
Abg.z.NR Mag. Beate Meinl-Reisinger
Redaktion:
Mag. Hannes Sokopp
Fachliche Beratung:
Andreas Holzknecht, MEd, MSc,
www.obhut.at
NEOS-Themengruppe Bildung
(Leitung: Christine Hahn)
Grafikdesign und Illustration:
Andreas Pohancenik,
Claire Stückelschweiger
(Practice + Theory) Herstellung: AV + Astoria
Disclaimer: Trotz sorgfältiger Recherche
wird für die Richtigkeit und Aktualität
der Information keine Haftung
übernommen, ausdrücklich als Zitate
oder Fallbeispiele gekennzeichnete
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bzw. Stellen zuzurechnen. Internet-Links
ohne Gewähr.
3. Auflage
©NEOS 2015
parlament.neos.eu
ÜBERSICHT
BILDUNG VON
ANFANG AN
KINDERKRIPPEN UND
KINDERGÄRTEN
4
HERAUSFORDERUNG:
QUALITÄT STEIGERN
6
UNSERE LÖSUNGEN FÜR
MEHR QUALITÄT
8
HERAUSFORDERUNG:
AUSBILDUNG NEU DENKEN
12
UNSERE LÖSUNGEN FÜR EINE
ZEITGEMÄSSE AUSBILDUNG
14
HERAUSFORDERUNG:
SPRACHFÖRDERUNG FÜR ALLE
KINDER VERANKERN
16
UNSERE LÖSUNGEN FÜR
EINE UMFASSENDE
SPRACHFÖRDERUNG
17
GEHT NICHT, GIBT’S NICHT!
UNSERE LÖSUNGEN IM
PRAXISTEST
19
Was muss eine
Elementarpädagogik Reform
bringen?
Qualitätssteigerung
Sprachförderung
für alle Kinder
Reformierung der
Ausbildung für
Elementarpädagog_innen
Die Interessen und Talente
unserer Kinder stehen für uns
im Mittelpunkt. Eine frühe
Entwicklung von Sprach- und
anderen Fähigkeiten muss
gefördert werden.
Wir ermöglichen das.
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN3
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!
Jedem Kind die Flügel heben ist eines der zentralen
Leitmotive von NEOS. Denn Bildung ist Zukunft und der
Schlüssel zur Chancengerechtigkeit. Bildung beginnt aber
nicht erst mit dem Schuleintritt eines Kindes, sondern viel
früher: Das erforderliche und wichtigste Fundament liegt
bei den Familien und dem Elternhaus. Kinderkrippen und
Kindergärten fügen die nächsten Bausteine hinzu, die
entscheidend für die weitere Entwicklung werden. Damit
darauf tragfähige Säulen gebaut werden können, braucht
es ein Umdenken in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik
und die intensive Kooperation all dieser Bereiche.
In den vergangenen Jahren ist es gelungen Kinderbetreuungsplätze
quantitativ auszubauen. Jetzt braucht es eine Qualitätsoffensive, die
diesen Namen auch verdient. Wir NEOS fordern daher entschlossene
und große Schritte in Richtung Qualitätssteigerung. Denn hier sind
Investitionen ins Bildungswesen nicht nur am dringendsten erforderlich,
sondern nachweislich auch am wirksamsten. Wir brauchen deshalb
eine sichtbare gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern
und Gemeinden.
Im Kern benötigen wir einheitliche Qualitätsstandards für alle
Kinderkrippen und Kindergärten, eine Reform der Aus- und
Weiterbildung der Pädagog_innen und einen neuen Zugang zum Thema
Sprachförderung. Wie eine solche Qualitätsoffensive in der Praxis
gelingen kann, zeigen die vielfältigen Beispiele im zweiten Teil dieser
Broschüre.
Schaffen wir also zusammen Rahmenbedingungen, in denen sich die
Elementarpädagogik weiterentwickeln und entfalten kann. Erleichtern
wir den Übergang vom Kindergarten ins Schulwesen und stärken wir
damit zusammen das Bewusstsein, dass Kinderkrippen und Kindergärten
ein wesentlicher Baustein unseres Bildungssystems sind. Denn: Unsere
Kleinsten verdienen größte Aufmerksamkeit.
Matthias Strolz Beate Meinl-Reisinger
Klubobmann und Klubobmann-Stellvertreterin
Bildungssprecher
und Familiensprecherin
4
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
QUALITÄT STEIGERN
5
Kinderkrippen und
Kindergärten:
Viele Herausforderungen
für einen guten Start
AUSBILDUNG
FÜR ELEMENTARPÄDAGOGIK
REFORMIEREN
QUALITÄT
STEIGERN
SPRACHFÖRDERUNG
FÜR ALLE KINDER
VERANKERN
6
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
QUALITÄT STEIGERN
7
Herausforderung:
Qualität steigern
Die vierjährige Lisa, die in Wien den Kindergarten besucht,
wird zusammen mit 24 anderen Kindern von einer
elementarpädagogischen Vollzeitkraft und einer Hilfskraft
in Teilzeit betreut. Die gleichaltrige Kathrin aus Kärnten
ist Teil einer ebenso großen Gruppe, hat jedoch zwei
Vollzeitkräfte zur Verfügung: eine elementarpädagogische
Fachkraft und eine Hilfskraft. Das bedeutet, dass für die
Betreuungs- und Bildungsarbeit von Lisa weniger Personal
zur Verfügung steht.
Warum ist das so? Und weshalb muss Kathrins berufstätige Mutter
durchschnittlich 32,4 Schließtage überbrücken, indem sie private Kinderbetreuung organisiert, während es im Fall von Lisas Mutter gerade
einmal 3,8 Tage sind? Die Antwort darauf ist so einfach wie beschämend:
Weil die Bundesländer den qualitativen Rahmen, in dem Kinderkrippen
und Kindergärten agieren, selbständig festsetzen. Und die treffen
ganz unterschiedliche Regelungen, was Weiterbildung und Einsatz des
Personals, Gruppengröße oder auch Jahresöffnungszeiten angeht.
Schließtage Wien
d
urchschnittlich
Schließtage Kärnten
d
urchschnittlich
3,8
32,4
Die Verantwortungsbereiche von Bund,
Ländern und Trägern im Überblick:
Bund
Länder
Gemeinden & private Träger
rechtlich
Ausbildung des pädagogischen Personals
Gesetzgebung bez.
wesentlicher struktureller
Rahmenbedingungen
für Kinderkrippen und
Kindergärten
Betrieb der Kinderkrippen
und Kindergärten nach den
Vorgaben des Landes
finanziell
Fördergeldgeber an die
Länder für Ausbau der
Plätze und Sprachförderung
Fördergeldgeber an die
Träger z.B. für Personalkosten,
Errichtungskosten
Verantwortung für
das Personal
qualitativ
Anreize für den qualitativen
Ausbau als Fördergeldgeber
Organisation und Durchführung
von Fort- und Weiterbildungen für
das pädagogische Personal
Festlegung des Angebotes
entlang landes-gesetzlicher
Vorgaben (z.B. Öffnungszeiten,
Gruppengröße, z.T. auch
pädagogische Ausrichtung)
E
inheitliche Qualitätsstandards?
Fehlanzeige. Darüber wird seit
Jahren gesprochen, eine Lösung
ist aber auch weiterhin nicht in
Sicht. Angebot und Qualität der
Kinderbetreuung sind deshalb
immer noch von Wohnsitz und
Landesgrenzen abhängig.
8
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
UNSERE LÖSUNGEN 9
Unsere Lösungen für
mehr Qualität
Lösung 1:
Einheitliche Qualitätsstandards
für Kinderkrippen und
Kindergärten festlegen
Linie statt Kompetenzwirrwarr muss das Motto sein! Dafür brauchen
wir klare und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards, die vom
Bund zentral vorzugeben sind. Diese Standards müssen sich an den
Bedürfnissen der verschiedenen Altersgruppen und nicht an finanziellen
Erwägungen orientieren. Denn: Je kleiner ein Kind, umso kleiner müssen
Gruppe und Betreuungsschlüssel sein. Bildung im Kleinkindalter ist
schließlich nur über Bindung möglich, die wiederum die Basis für eine
positive emotionale Entwicklung und kognitive Lernprozesse darstellt.
Krabbelstube
m
ax. Gruppengröße
P
ersonalschlüssel pro Kind 6
Jahre
1:3
m
ax. Gruppengröße
Kinderkrippe
m
ax. Gruppengröße
P
ersonalschlüssel pro Kind A
nteil Fachpersonal am
12
Jahre
1:5
Gesamtpersonal / Gruppe mindestens 50 %.
Fachpersonal = explizit elementarpädagogisch
ausgebildetes Personal.
P
rinzipiell soll es nur mehr ausgebildetes (z. B.
interdisziplinäres) Personal geben.
Kindergarten
H
öchstzulässige Jahresschließzeiten
maximal 25 Werktage.
m
ax. Gruppengröße
P
ersonalschlüssel pro Kind 20
1:8
Jahre
10
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
Lösung 2:
Einheitliche Qualitätsstandards
für Fort- und Weiterbildung des
Personals entwickeln
Während der Bund für die Grundausbildung der Elementarpädagog_innen verantwortlich ist, sorgen die Länder für deren
Fort- und Weiterbildung - mit dem Ergebnis erheblicher regionaler
Unterschiede. Da die Arbeit mit Kindern bereichernd und
fordernd zugleich ist, brauchen wir für diese Berufsgruppe aber
bestes Training nach österreichweit einheitlichen Vorgaben und
finanziellen Ressourcen. Neben Weiterbildungsoptionen im Bereich
Interkulturalität und Inklusion sind insbesondere auch reflexive
Angebote wie regelmäßige Coaching- und Supervisionsgespräche
sicherzustellen.
A
lle Pädagog_innen sollen zur Nutzung dieser
Angebote einen einheitlichen Anspruch auf
Fortbildung während der Dienstzeit haben.
Lösung 3:
Qualitätssicherung in alle Kinderkrippen und Kindergärten bringen
Beim Ausbau der Kinderbetreuung geht Quantität noch immer
vor Qualität. Damit verspielen wir nicht nur die Chancen unserer
Kinder auf Bildung, sondern auch jede Menge Fördergelder, denn:
Der Bund zahlt auch für die Entstehung von Betreuungsplätzen, die
nicht höchsten Qualitätsstandards entsprechen. Zielführend wäre
daher die Entwicklung eines Qualitätssiegels für Kinderkrippen
und Kindergärten (ähnlich dem Sternesystem der Hotellerie) als
Voraussetzung für die Gewährung von Fördergeldern.
Bei der Erneuerung der Zertifizierung soll insbesondere der Nachweis
der qualitativen Weiterentwicklung der Einrichtung zu erbringen
sein. Das Rad muss hier nicht neu erfunden werden: Es gibt bereits
gut funktionierende Instrumente zur Qualitätssicherung, wie
beispielsweise die Kindergarten-Einschätz-Skala „KES“ als ein
UNSERE LÖSUNGEN
11
Beobachtungsinstrument zur Untersuchung der pädagogischen
Qualität in deutschen Kindergärten. Darüber hinaus müssen
bestehende Instrumente wie der „BildungsRahmenPlan“ in einem
Bundesrahmengesetz verbindlich festgeschrieben werden.
Lösung 4:
Einheitliche Finanzierung
Die Finanzierung erfolgt einheitlich durch den Bund. Wir fordern
einen Paradigmenwechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung im
Bereich der elementaren Bildung. Die Finanzierung folgt damit den
Kindern und besteht aus einer Pro-Kopf-Finanzierung und zusätzlich
einer spezifischen, standortbezogenen Komponente.
12
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
AUSBILDUNG NEU DENKEN 13
Herausforderung:
Ausbildung neu denken
Maria gehört zu den über 40 % Absolvent_innen einer
Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (kurz: BAKIP),
die binnen drei Jahren nach erfolgreichem Schulabschluss
ein Studium aufnehmen. Denn mit 19 Jahren – direkt
nach der Matura – konnte sie sich eine Tätigkeit in einem
Kindergarten einfach nicht vorstellen. Da sie aber kein
passendes universitäres Ausbildungsangebot im Bereich
Elementarpädagogik finden konnte, entschied sie sich
schlussendlich für Soziologie – ein Fach, dem sie in
ihrer weiteren beruflichen Karriere treu geblieben ist.
In einem Kindergarten zu arbeiten war für Maria auch
nach Abschluss ihres Studiums keine Option, denn die
dort in Aussicht gestellten Verdienstmöglichkeiten
waren für eine Jungakademikerin schlicht nicht attraktiv
genug. Aber es ist nicht nur eine Frage des Geldes: Eine
akademische Ausbildung – egal welche – findet derzeit in
diesem Bereich keine Anerkennung.
Eine Aufwertung des Berufs im Sinne einer Anhebung auf universitäres
Niveau wird deshalb seit Jahren diskutiert und ist in praktisch allen
Ländern Europas schon längst selbstverständlich. Sie würde schließlich
einige Vorteile mit sich bringen: Zum einen wäre der Zeitpunkt
der Berufsentscheidung nach hinten verlagert und ein attraktives
Bildungsangebot für Männer und Frauen geschaffen (derzeit ist die
Elementarpädagogik zu 99 % weiblich), zum anderen wäre dadurch
auch eine Verbesserung der Ausbildungstiefe (insbesondere im
entwicklungspsychologischen Bereich) möglich.
Hochschulen und gemeinnützige Trägerorganisationen haben die
Zeichen der Zeit längst erkannt und bieten erste solcher Studiengänge
mit einem Schwerpunkt auf aktuelle Herausforderungen und
praktische Arbeit an. Ein politisches Bekenntnis zur österreichweiten
Ausrollung dieser Angebote besteht aber leider nicht.
D
ie Arbeit in Kinderkrippen und Kindergärten ist mehr
Maria ist leider kein Einzelfall: Statistisch betrachtet nimmt nur eine/r
von drei BAKIP-Absolvent_innen tatsächlich eine Tätigkeit in einem
Kindergarten oder einer Kinderkrippe auf. Das liegt vor allem daran, dass
die Entscheidung für diesen fordernden Beruf in Österreich vorwiegend
im Alter von 14 Jahren getroffen wird.
Eine akademische Ausbildung –
egal welche – findet derzeit in diesem
Bereich keine Anerkennung. Nicht nur
finanziell.
als ein Beruf: Sie ist ein vielschichtiger persönlicher
Einsatz und Dienst an der Gesellschaft, für den es die
beste Ausbildung braucht.
14
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
Unsere Lösungen für eine
zeitgemässe Ausbildung
Die elementarpädagogische Ausbildung muss auf neue
Beine gestellt werden. Die bestehenden Ausbildungsstätten werden dabei nicht in Frage gestellt, sondern
übernehmen neue zukunftsweisende Aufgaben:
zukünftig zu Berufsbildenden Höheren Schulen für den Bildungs-,
Sozial- und Gesundheitsbereich und übernehmen die Ausbildung
der Assistenzkräfte nach einheitlichen Vorgaben.
D
ie beliebten BAKIP-Kollegs für Quereinsteiger_innen werden
(in Zusammenarbeit mit den Pädagogischen Hochschulen)
zu Bachelor-Studiengängen weiterentwickelt und damit auch
zukünftig eine zentrale Rolle in der Ausbildung des Fachpersonals
(Elementarpädagog_innen) spielen. Diese Studiengänge sind sowohl
Vollzeit als auch berufsbegleitend zu führen und sollen einen
Schwerpunkt auf die Bildungsarbeit in einem multikulturellen
Umfeld legen.
F
ür die Ausbildung von Führungskräften (Leitungsfunktionen
in Kinderkrippen und Kindergärten) werden außerdem MasterStudiengänge an den Pädagogischen Hochschulen eingerichtet,
die berufsbegleitend absolvierbar sind.
15
Die Ausbildung des Fachpersonals im Kontext der Pädagogischen
Hochschulen fördert überdies einen Dialog zwischen den pädagogischen
Berufen, der für das Gelingen sanfter Übergänge zwischen den
Bildungseinrichtungen (etwa vom Kindergarten in die Primarstufe I)
unbedingt erforderlich ist. Denn zukünftig könnten Kindergärten und
Schulen nicht nur räumlich zusammenrücken (Campus-Modell), sondern
auch inhaltlich zunehmend verschmelzen.
Lösung 1:
Ausbildung neu denken
D
ie Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP) werden
UNSERE LÖSUNGEN D
amit sich auch in den Kindergärten und Kinder-
Einheitliche
Ausbildung
krippen die Geschlechterrealität der Lebenswelt
abbildet, muss es Ziel sein, mehr Männer für den
Beruf zu gewinnen. Wie das geht, können uns einige
Länder in Europa in gelebter Praxis zeigen.
Neue BachelorStudiengänge
Lösung 2:
Kinderkrippen und
Kindergärten für andere
Berufsgruppen öffnen
Master-Studiengänge für
Führungskräfte
Wie in anderen Bereichen soll Interdisziplinarität auch in
Kinderkrippen und Kindergärten Einzug halten: Durch die
Öffnung für andere (soziale) Berufe wie etwa Logopäd_innen,
Ergotherapeut_innen oder Kinderkrankenpfleger_innen
soll zukünftig der Regelfall sein. Größere Durchlässigkeit
zwischen den Berufsfeldern im Bildungswesen und personelle
Autonomie der Einrichtungen inklusive.
I nterdisziplinarität soll auch in Kinderkrippen
und Kindergärten Einzug halten.
16
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
UNSERE LÖSUNGEN
17
Herausforderung:
Sprachförderung für alle
Kinder verankern
Unsere Lösungen
für eine umfassende
Sprachförderung
Eine umfassende Sprachentwicklungsförderung für
alle Kinder ist derzeit nicht die Regel. Ihre individuellen
sprachlichen Herausforderungen nehmen viele Kinder
daher wohl in die Schule mit.
Lösung 1:
Schwerpunkt auf Sprachentwicklungsförderung setzen
So ist vieles, woran im Kindergarten nicht gearbeitet werden kann, später
mühevoll, langwierig und kostenintensiv auszugleichen oder leider auch
für immer verloren. So entwickeln sich bei Kindern eher sprachliche
Barrieren und damit verbundene kostenintensive Schwächen. Förderung
von Begabungen sieht jedenfalls anders aus.
Für die Sprachförderung braucht es deshalb ein durchgängiges Konzept,
das allen Bedürfnissen Rechnung trägt, eine entsprechende Ausbildung
des Fachperonals in allen Kindergruppen und eine Evaluierung der
bestehenden Sprachförderungsmaßnahmen. Die Sprachentwicklung
der Kinder soll ständig beobachtet und halbjährlich dokumentiert
werden (ständige Beobachtungen der Pädagog_innen ersetzen stressige
Testsituationen). Die Dokumentation der Sprachfähigkeit, die schon
heute vor Schuleintritt vorgesehen ist, muss ebenfalls nach einheitlichen
Gesichtspunkten gestaltet werden: Daten, die hier erhoben werden,
sind anonymisiert zu sammeln und auszuwerten, um Entwicklungen im
Kindergartenbereich sichtbar zu machen.
Wir fordern hier einen modernen Ansatz. Um die
Entwicklung von Sprache zu fördern braucht es
keine Defizitorientierung. Sprachförderung ist ein
wichtiger Grundbaustein in der Bildung für alle Kinder.
Wesentliche Sprachbereiche sind dabei zum Beispiel:
Unterstützung der Muttersprache, Hinführen zu Deutsch
als Bildungssprache, Hinführen zu Mehrsprachigkeit.
Unsere Kinder verdienen eine umfassende und freudvolle sprachliche
Förderung nach ihren Bedürfnissen. Diese Förderung soll allen Kindern
offen stehen, in den Kindergartenalltag eingebettet sein, durch die
Gruppenpädagog_innen stattfinden, alle wesentlichen Sprachbereiche
fördern und das familiäre Umfeld (etwa durch Begleit- und CoachingAngebote) miteinbeziehen.
Die Sprachentwicklung jedes Kindes soll dabei laufend beobachtet
und dokumentiert werden. Die Daten sind anonymisiert für
qualitätssicherende Maßnahmen zu nutzen.
E
ine unfassende Sprachentwicklungsförderung für
alle Kinder ist derzeit nicht die Regel. Es braucht ein
neues, durchgängiges Konzept, das allen Bedürfnissen
Rechnung trägt.
18
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
Lösung 2:
Mehrsprachigkeit gezielt
fördern
Mehrsprachigkeit ist eine Bereicherung, keine Belastung. Wir sind der
Meinung, dass Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache nicht mit einem
Startnachteil ins Schulwesen eintreten sollten. Stattdessen müssen sie
eine tragfähige Startrampe vorfinden. Der Schlüssel dazu ist sprachliche
Frühförderung in der Muttersprache und auf Deutsch. Wir fordern daher
mehrsprachige Angebote bereits in Kindergärten und Kinderkrippen
sowie individuelle Beratung und Förderung. Davon werden alle Kinder
in ihrer sprachlichen Entwicklung profitieren.
Auch die Erstsprache von Kindern mit Migrationshintergrund ist ein
Schatz, der gehoben werden muß. Wer in der eigenen Umgangssprache
lesen und schreiben gelernt hat, lernt schneller und besser Deutsch.
Dieses große Potential der Erstsprache kommt derzeit leider noch
ungenügend zur Entfaltung. Deshalb brauchen wir Initiativen, die dies
in Kinderkrippen und Kindergärten gezielt fördern. Im Rahmen des
qualitativen Ausbaus soll deshalb auf einen entsprechenden Anteil an
mehrsprachigen Betreuungseinrichtungen abgestellt werden.
BEST PRACTICE BEISPIELE
19
Geht nicht, gibt’s nicht!
Unsere Lösungen
im Praxistest
Gute theoretische Vorschläge, aber nicht praktisch
umsetzbar? Weit gefehlt. Denn was wir fordern, ist
in einigen Bundesländern sowie im benachbarten
Ausland bereits Realität. Das belegt die folgende
Auswahl von Best-Practice-Modellen.
Nachahmung ist ausdrücklich erwünscht!
20
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
BEST PRACTICE BEISPIELE
21
Qualitätsentwicklung
Best Practice Beispiele
Gütesiegel der Familienzentren Nordrhein-Westfalen
Die Familienzentren NRW bestehen seit 2006 und verpflichten sich
ausdrücklich zur Einhaltung von Qualitätsstandards. Erfüllt eine
Einrichtung mindestens 24 von insgesamt 48 Standards, kann um ein
Gütesiegel angesucht werden. Ist dieses erreicht worden, erhält die
Einrichtung eine jährliche Zusatzunterstützung in Höhe von rund
12.000,- Euro. Die Zertifizierung (Gütesiegel) hat eine Gültigkeit von
vier Jahren. Danach wird ein Re-Zertifizierungsverfahren
durchgeführt – womit ein andauernder Lern- und Verbesserungsprozess gewährleistet ist.
Damit bietet dieses Entwicklungsmodell eine gute Balance zwischen
qualitätsvoller Rahmendefinition und individueller Gestaltungsfreiheit,
zwischen Eigeninitiative in der Qualitätsentwicklung und fachlich
normierter Unterstützung von außen sowie zwischen personeller
Eigenressource und finanzieller Unterstützung und könnte damit –
in adaptierter Form – auch für den Bereich der Kinderbetreuung in
Österreich beispielgebend sein. Als Grundlage für ein solches System
könnte das wissenschaftliche Instrument der Kindergarten-EinschätzSkala (kurz: KES-R) dienen, die 43 verschiedene Merkmale zur
Förderung von Kindern im physischen, sozialen, emotionalen und
kognitiven Bereich umfasst.
Kinder in die Mitte – in der Gemeinde Höchst (Vorarlberg)
ist das Realität geworden
Der KinderCampus ist ein bunter, lebendiger, offener und einladender
Lern- und Begegnungsraum für Kinder zwischen 0 und 6 Jahren und
deren Eltern.
Mit dem Ziel, Familien in ihrem Alltag zu unterstützen, wird versucht
möglichst viele Angebote für Kinder unter einem Dach zu vereinen. Mit
dem KinderCampus wird auch ein sozialer Raum in Höchst geschaffen,
wo alltägliche Begegnungen stattfinden können.
K
inderhaus: Kinderbetreuung von 1 bis 6 Jahren
Im KinderCampus beherbergt ist eine von der Gemeinde Höchst
betriebene öffentliche Kinderbetreuungseinrichtung, das
Kinderhaus. Hier ist die Betreuung von Kindern im Alter von
1 bis 6 Jahren möglich.
P
rojektWerkstatt: Sprache als Schlüsselkompetenz
für unsere Kinder
Die ProjektWerkstatt im KinderCampus schafft einen
Bildungsort für Eltern und deren Kinder mit den Schwerpunkten
Sprachfrühförderung, Mehrsprachigkeit und familiäre Lese- und
Spielkultur. Die Projektwerkstatt möchte dazu beitragen, dass Kinder
aller sozialer Gruppen in diesem Dorf einen guten Bildungsstart und
gute Bildungschancen haben können.
Sie bietet Eltern in Form von Workshops, Vorträgen und
Begegnungstreffen u.v.m. die Möglichkeit, sich im Bereich
Sprachförderung und Sprachentwicklung weiter zu bilden.
Darüber hinaus werden für Kinder und Familien
Vorleseangebote geschaffen.
W
eitere Angebote im Haus
— Elternberatung – Connexia
— Kinderarzt
— aks Kinderdienste – Therapieangebote
22
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
BEST PRACTICE BEISPIELE
23
Öffnung des Kindergartens für
andere (soziale) Berufsgruppen
Best Practice Beispiele
Quereinstieg und Nachqualifizierung
Best Practice Beispiele
Montessori-Kindertagesstätte „Sinnesreich“
und Kita-Werk Lübeck
BAKIP 21, Wien
Interdisziplinäre Teams haben in deutschen Kindertagesstätten schon
heute eine gute Kultur. Im „Gesamtbericht Zukunftskonzept Kita 2020 –
mit Praktikerinnen im Gespräch“ der Hochschule Osnabrück wird
dargestellt, wie Potentiale durch das Zusammenwirken verschiedener
Perspektiven und professioneller Hintergründe gehoben werden können.
Die eingebundenen Erzieher_innen haben hierzu ein multiprofessionelles
Team für die Kita der Zukunft entworfen: Akademiker_innen in
Leitungspositionen sowie mehr männliche Pädagogen werden gewünscht,
ebenso Mitarbeiter_innen aus verschiedenen Kulturen. Da einzelne
Mitarbeiter_innen nicht alle Bereiche abdecken können, müssen
Expert_innen, Fachleute oder Spezialist_innen ins Team einbezogen
werden: Explizit angeführt sind hier Sprachförderkräfte, Logopäd_
innen, Motopäd_innen, Psycholog_innen, Ergotherapeut_innen und
Ernährungsberater_innen.
Eine praktische Umsetzung eines solchen Konzepts ist die MontessoriKindertagesstätte „Sinnesreich“ in Singen (Baden-Württemberg): Hier
arbeitet ein interdisziplinäres Team bestehend aus einer Ergotherapeutin,
einer Heilpädagogin, Erzieherinnen, einer Kinderkrankenschwester,
einer Sozialpädagogin und einer Sprachtherapeutin zusammen. Eine
ähnliche Zusammensetzung weist auch das „Haus in der Sonne“ des
Kita-Werk-Lübeck (Schleswig-Holstein) auf: Hier zeichnet ein Team
aus Personen unterschiedlicher beruflicher Hintergründe (vom
Sozialpädagogen bis zur Physiotherapeutin) für die Betreuung und
Förderung der Kinder verantwortlich.
Das BAKIP-Kolleg „CHANGE“ an der BAKIP 21 in Wien ist eine
Ausbildung, die es Wiedereinsteiger_innen, Arbeitssuchenden und
Berufstätigen mit Veränderungswunsch ermöglicht, eine Tätigkeit
im elementarpädagogischen Bereich aufzunehmen, wobei Theorieund Praxisfragen einander abwechseln. Zu Beginn des 3. Semesters
werden die Lehrgangs-Teilnehmer_innen als „Kindergartenpädagogin/
Kindergartenpädagoge in Ausbildung“ durch die Stadt Wien, die auch
die Kosten für den Lehrgang übernimmt, angestellt. Nach Abschluss
der Diplomprüfung werden die Absolvent_innen schließlich in
ein reguläres Arbeitsverhältnis mit der Stadt Wien überführt.
Quereinstieg bzw. Nachqualifizierung sind dadurch finanziell
abgesichert möglich.
24
BILDUNG VON ANFANG AN – DER KLUGE KINDERGARTEN
BEST PRACTICE BEISPIELE
25
Sprachentwicklungsförderung
Best Practice Beispiele
Alltagsintegrierte Sprachbildung in Nordrhein-Westfalen
Mehrsprachige Kindergärten im Burgenland
Nordrhein-Westfalen stellt derzeit auf alltagsintegrierte Sprachbildung
in Kinderbetreuungseinrichtungen um. Das bedeutet, dass künftig jedes
Kind von Beginn an alltagsintegriert und stärkenorientiert sprachlich
gefördert wird. Das setzt natürlich eine kontinuierliche Beobachtung
und Dokumentation der Sprachentwicklung und eine zusätzliche
Qualifizierung der elementarpädagogischen Fachkräfte voraus.
Nordrhein-Westfalen stellt hierfür Mittel in Höhe von fünf Millionen Euro
bereit. Mit Herbst 2014 wurden deshalb „Startpakete“ mit geeigneten
Instrumenten für die verbindliche Dokumentation der Sprachentwicklung
jedes Kindes an Träger und Einrichtungen versendet. In weiterer
Folge muss sich jede Einrichtung (oder Trägerschaft) für eines dieser
Instrumente entscheiden – ein Modell, das auch in Österreich sinnvoll
umgesetzt werden könnte.
Im Burgenland können auch Kinder deutscher Muttersprache
zweisprachige Kinderbetreuungseinrichtungen besuchen, wenn
ihre Eltern sie dazu anmelden. Auch kann eine Assistenz für die
Volksgruppensprache beantragt werden. In 29 Kinderbetreuungseinrichtungen werden derzeit Deutsch und Kroatisch angeboten,
in neun Deutsch und Ungarisch. Der Kindergarten in Schachendorf
wird aufgrund eines einstimmigen Elternbeschlusses sogar
dreisprachig geführt (Deutsch, Kroatisch, Ungarisch). Englisch
wird fast immer zusätzlich angeboten. Vor allem entlang der
ungarischen Grenze wollen immer mehr Eltern, dass auch die
ungarische Sprache erlernt wird. An der Bildungsanstalt für
Kindergartenpädagogik Oberwart ist die Ausbildung daher auch
in Kroatisch und Ungarisch möglich. Unterricht in diesen beiden
Sprachen kann auch als Freigegenstand absolviert werden.
Vorarlberger Netzwerkgemeinden
Ausgehend vom Projekt „SPRACHFREUDE – Nenzing spricht mehr“
hat sich in Vorarlberg eine Modellschiene etabliert, die auch
im dörflichen Kontext anwendbar ist. So wurden u.a. spezielle
Elternbildungsmaterialien und Elternbildungsseminare zum Thema
entwickelt und spezifische Kompetenztrainings für „Deutsch als
Zweitsprache unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit“ für
Pädagog_innen in Spielgruppen, Kindergärten und Volksschulen
konzipiert. Inzwischen wurde auch ein Konzept für den Aufbau
eines lokalen Sprachfördernetzwerks entwickelt, das in einer
ersten Phase in vier Gemeinden (Frastanz, Rankweil, Hard und Wolfurt)
in Umsetzung ging. Essentiell sind hier u.a. die Zusammenarbeit
mit Eltern im Bereich „Frühe Sprachförderung“, die Vernetzung und
inhaltliche Akkordierung aller Akteur_innen, die sich für dieses Ziel
engagieren, und eine genaue Beobachtung und Dokumentation der
Sprachentwicklung.
Interkulturelle Bildung an der niederösterreichischtschechischen Grenze
Auch in Niederösterreich wird in der elementaren Bildung erfolgreich
auf Mehrsprachigkeit gesetzt: So standen etwa beim von der
Europäischen Union geförderten Projekt „Interkulturelle Bildung
für Kinder, Schüler und Pädagogen“ das spielerische Erlernen von
Tschechisch und Deutsch, die Förderung des frühen Sprachenlernens
und die Beseitigung von Vorurteilen im Fokus. Gestartet wurde das
bis August 2014 laufende Projekt im September 2012. Beteiligt waren
Pädagog_innen in 66 Kindergärten und 30 Schulen in Niederösterreich,
die zur Vermittlung der tschechischen Sprache und Kultur beitragen.
Gleichzeitig wird Kindern in Kindergärten und Schulen in Südmähren,
Südböhmen und Vysocina die Möglichkeit geboten, erste Grundzüge
der deutschen Sprache zu erlernen. Damit kommen zwischen 2012
und 2014 rund 7.000 Kindergartenkinder und rund 2.000 Schüler_innen
mit der Sprache des Nachbarlandes in Kontakt.
Bildung von Anfang an.
BEATE MEINL-REISINGER
Illustration
oder Auflistung
von Punkten?
@BMeinl